Theodor Wolff
Spaziergänge
Theodor Wolff

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Neue Bahnen und alte Wege

(Territet)

Im letzten Drittel des August ereignete sich in den Schweizer Alpen ein schauerlicher »Wettersturz«, der zahlreiche Personen veranlaßte, die Koffer zu packen und die komfortablere Heimat aufzusuchen. In den Tälern und in den Bergorten, die noch inmitten der Vegetation liegen, regnete es viele Tage und viele Nächte lang, in den höheren Regionen schneite es kräftig, und selbst die eitelsten Damen umwickelten am Abend an der Table d'hote ihre Reize mit wollenen Tüchern. Die Eingeborenen, die lange über die anhaltende, den Kühen so nachteilige Dürre geklagt hatten, klagten nun über den Regen, der die Fremden aus dem Lande jagte. Diese ausgezeichneten Schweizer haben zwei Sorten von milchenden Kühen, und ersichtlich wußten sie nicht recht, welche von den beiden ihnen die liebere wäre.

An einem Morgen, als das Wetter ganz besonders scheußlich war, fuhr ich mit der Wengernalp-Bahn über die Kleine Scheidegg nach Grindelwald. In dem offenen Wagen der Zahnradbahn saßen zähneklappernd einige Touristen, die ein Rundreisebillett hatten und auf diese 39 berühmte Strecke nicht verzichten wollten, und zwei junge Eheleute auf der Hochzeitsreise, die sich bei der Abfahrt mit liebevoller Sorgfalt gegenseitig Watte in die Ohren stopften. Als der Bahnwagen sich in einer Höhe von etwa achtzehnhundert Metern befand, verwandelte sich der Regen in ein Flockengerinsel, und als wir noch zweihundert Meter weiter gestiegen waren, fuhren wir durch ein dichtes, wirbelndes Schneegestöber. Eine hohe, flimmernd weiße Schneedecke war über den hügeligen Boden gebreitet, die Zweige der Tannen senkten sich unter der Schneelast, und auf dem Bahnsteig von Wengernalp warfen sich der Kellner und der Gepäckträger mit Schneebällen. Diese weißen Flächen mir ihrem dürftigen, eingeschneiten Baumwuchs, den aus Nebeln und Flockengewirr auftauchenden Telegraphenstangen und den schneebelasteten kleinen Bahnhofsgebäuden erschienen wie sibirische Steppen, und niemand, der dort zum ersten Male entlang fuhr, konnte ahnen, daß ganz nahe, in den Nebeln zur Rechten, die Jungfrau, der Mönch und der Eiger sich verbargen. Auf der Station Scheidegg wärmten sich die Touristen mit heißem Grog und Glühwein, und dann fuhren sie heiter und pflichtgetreu mit der Jungfraubahn zur Eigerwand, obwohl sie absolut nicht hoffen konnten, dort irgend etwas zu sehen. Die Hochzeitsreisenden befühlten ihre wattierten Ohren und bestiegen gleichfalls die Jungfraubahn.

Grindelwald, das mit seinen hübschen Häusern, mit den bunten Blumen auf all den hölzernen Balkons und den beiden verkümmerten und wie von den Motten zerfressenen Gletschern so sauber und behaglich zwischen 40 den Bergen liegt, macht noch immer den Eindruck einer englischen Kolonie. In den beiden größten Hotels kommen auf hundert Engländer kaum fünf Deutsche, in den Bretterhäuschen im Walde und an den Wiesenwegen, wo man Erdbeeren und Himbeeren mit Sahne essen kann, sitzen am Nachmittag nur Engländerinnen, und die meisten Reklameschilder sind in englischer Sprache abgefaßt. Wie überall, wo sie sich wie zu Hause fühlen, bilden auch in Grindelwald die Engländer eine große Familie, und die Tanzkränzchen, die am Abend in den Hotels veranstaltet werden, sind im Grunde englische Familienkränzchen. Und wie überall, wo die Engländer das beherrschende Element sind, hat die Gesellschaft etwas sehr Reingewaschenes, aber auch etwas eigenartig Ausgewaschenes, und die jungen Misses – von einigen wenigen Schönheiten und besonders von einigen brünetten Schönheiten abgesehen – sind einander so ähnlich, daß man fürchtet, sie könnten vertauscht werden, und unwillkürlich das Bedürfnis verspürt, sie wie die Droschken und Automobile zu numerieren.

Auf der Wengernalp hatte ich etwas sehr Angenehmes erfahren: die Jungfraubahn, die einstweilen nur bis zur Station Eigerwand geht, wird noch in langer Zeit nicht fertiggestellt sein und, wie viele Fachleute erklären, vielleicht ewig unvollendet bleiben. In Grindelwald sah ich etwas sehr Abscheuliches: an den schroffen, zerrissenen Felswänden des Wetterhorns ist mit Farbe der Lauf einer zukünftigen Bahnlinie angedeutet, und bereits werden alle Vorkehrungen für den Bau einer Schwebebahn getroffen. Es ist wirklich betrübend, daß die Schweizer Behörden den erwerbslüsternen 41 Unternehmern und Aktiengesellschaften das Recht verkaufen, so nacheinander alle Schätze des Landes zu entweihen und die Unberührtheit, die herbe Größe, die stolze Einsamkeit und damit die ganze Schönheit der Berge zu zerstören. Glauben die pietätlosen Schatzhüter wirklich, durch diese Verschacherung und Verunstaltung aller Naturwunder das Schweizer Portemonnaie noch mehr als bisher füllen zu können, und sehen sie nicht, daß durch solche Mittel zwar Scharen durchreisender Touristen angelockt, die seßhaften und zahlungskräftigen Leute aber verscheucht werden? Langsam aber sicher töten sie so die Henne, die ihnen die goldenen Eier legt.

Man kann die Vergewaltigung der Jungfrau und die Schändung des Wetterhorns bedauern und braucht deswegen noch lange nicht die Ansicht derjenigen zu teilen, die in der Schweiz nun am liebsten überhaupt keine Bahnen und vor allem keine Bergbahnen dulden möchten. Dank der Pilatusbahn erblicken Tausende ein Alpenpanorama, das ihnen sonst ewig fremd und unbekannt geblieben wäre; dank der Gornergratbahn werden andere Tausende zu einer ungeahnten, wunderbaren Welt hinaufgeführt, und das Gefühl der Verehrung wird nicht verletzt, sondern im Gegenteil gesteigert. Aber von der Jungfraubahn, die bisher zumeist durch einen dunklen Tunnel läuft, sieht man so gut wie gar nichts, und vom Wetterhorn wird man nicht viel mehr sehen, als man heute schon vom benachbarten Mattenberge sehen kann. Nicht für die Naturfreunde werden diese Bahnen gebaut, sondern für die naturfremden Pieseckes, die eine illustrierte Karte mit dem Poststempel »Jungfrau« oder »Wetterhorn« absenden und am 42 Stammtisch erzählen wollen, daß sie mit ihren Trampelfüßen auf der Jungfrau gestanden. Es gibt ja einen Schweizer Alpenklub, der, wie alle Welt weiß, sehr viel Macht und Einfluß besitzt. Wann wird er sich entschließen, gegen den Bergeschacher der Schweizer Aktienbudiker Front zu machen?

Ich bin vor anderthalb Wochen zu einem Heiligtum gekommen, das Unternehmer und Ingenieure noch nicht entstellt haben und das noch so weltfern und unangetastet daliegt, als wäre es, wie die Zaubergärten, durch eine hohe Dornenhecke geschützt. Dieses Heiligtum ist der Grimselpaß, den die meisten Dauerbesucher der Schweiz natürlich kennen, den ich indessen zum ersten Male gesehen habe. Man kann über den Grimselpaß zu Fuß, im Wagen oder mit der Post von Meiringen nach Gletsch gelangen, aber ich glaube, daß man gut tut, nicht die Post zu nehmen, die an den schönsten Punkten mit etwas herzloser Hast vorbeijagt. Es gibt zweifellos Bergstraßen, die an schrofferen Abgründen vorüberführen, den Ausblick auf weitere Landschaftsbilder gestatten, aber es gibt schwerlich eine andere Bergstraße, über der eine so eigenartige, merkwürdige Stimmung lagerte wie über dem Grimselpaß.

Bis zu dem Gasthause von Handegg, wo die drei langen, prachtvollen Wassergarben des Handeggfalles nebeneinander und gleichsam um die Wette in den tiefen Felsenkessel hinabstürzen, ist der Paß mit der hüpfenden Aar und dem vielen Waldgrün nur hübsch, liebenswürdig und harmlos idyllisch. Aber wenn man die sogenannte Spitalklamm erreicht, befindet man sich zwischen schroffen, kahlen Felsenwänden, die nicht farblos und 43 nüchtern wie andere Felsenwände erscheinen, sondern in allen Farbentönen leuchten. Dann macht der Weg eine Biegung, und man ist in der weiten, von Bergzügen eingefaßten steinernen Einöde, in deren Mitte an dem runden schwarzen See das Hospiz steht. Während die Pferde gefüttert werden, geht man rund um den See, zur anderen Seite und ein wenig höher hinauf, und wenn man nicht gerade ein Barbar ist, verspürt man unwillkürlich eine kleine Bewegung.

Der runde See erscheint abwechselnd schwarz und blaugrün, aber er ist so klar, daß man bis auf den Grund hinabsieht. An zwei Seiten ist er von hohen Felswänden eingeschlossen, an der dritten von einem niedrigen Felswall, und an der vierten berührt er das Geröll der Ebene. Auf den Felswänden und dem Wall haften dunkelgrüne Moosflecken, das entblößte Gestein daneben hat eine weißgrüne Farbe, und die Wasserbäche, die noch hier und da heruntergleiten, haben tiefleuchtende lila Streifen zurückgelassen. Die Steine haben phantastische Formen, breitgewölbte Elefantenhäupter drängen sich aus den Felswänden heraus, und all dieses in dunklem und hellem Grün und tiefem Lila leuchtende Gestein scheint zu leben. Ein warmer Dunst liegt über den Felswänden, und man könnte glauben, es wäre der Atem der Steine.

Man übernachtet dann in Gletsch, wo die Postkutschen, die Wagen und die Wanderer, die von der Furkastraße und vom Grimselpaß herab und aus dem Rhonetal heraufsteigen, sich treffen, und fährt am nächsten Morgen mit dem Wagen weiter nach Brieg. In dem weichgewellten Tale von Oberwallis folgen in 44 ununterbrochener Reihe die wohlhabenden Dörfer, die weißen Kirchen, die überall hingebaut sind, wo zwei dunkle Bauernhäuser beieinander stehen, die Männer und Frauen, die im Takt die Sensen schwingen, die roten Kopftücher, die in der Sonnenluft über den grünen Wiesen aufleuchten. Um die Mittagsstunde kommt man zu der Stelle, wo der Simplontunnel gebaut wird und wo bereits ein hoher, weißgrauer Torbogen die Tunnelöffnung umrandet. Die Bewohner kratzen sich den Kopf, weil sie die Schädigung ihrer kleinen Interessen befürchten, und die Bewohner der italienischen Arbeiterdörfer kratzen sich gleichfalls den Kopf, aber aus anderen Gründen.

Einstweilen sitzen diese italienischen Kolonisten noch so behaglich in ihren Nestern, als könnte der Simplontunnel niemals fertig werden. Sie haben sich ganz nach heimatlicher Sitte eingerichtet, mit ihren Weinwirtschaften, ihrem Schmutz und ihrem bekannten Nationalgestank. Locker gekleidete Frauenzimmer mit schwankenden Busen hocken klatschend und tratschend auf den Türschwellen, halbnackte, kotbeschmierte Bälger wälzen sich in der Gosse, und wie der Hirtenjunge im Gestrüpp den verirrten Gemsen nachspürt, suchen phlegmatische Mütter in dem schwarzen Zottelhaar ihrer Sprößlinge das bescheidene Haustier des italienischen Erdarbeiters.

* * *

In Zermatt waren die Hotels noch überfüllt, und in der schmalen, winkeligen und so originellen und pittoresken Straße, in der die Kaufleute ihre Tische mit buntem Schnickschnack und die Obsthändlerinnen ihre 45 Körbe mit Äpfeln und Feigen aufgestellt haben, promenierten Leute aus allen Ländern und junge Damen, die den Eispickel in der Hand schwangen wie sonst den Sonnenschirm. Es gibt wenige Orte in der Schweiz, die so sehr ihren eigenen Charakter haben wie Zermatt. Die schwarzbraunen Blockhäuser, die in der Fremdensaison vom Rindvieh verlassen sind, die altmodischen Hotels, die vielen bärtigen Führer mit den Ringen in den Ohren, die bunten Verkaufstische, das internationale Publikum, die braunen kahlen Berghöhen, all das kommt zusammen, um Zermatt einen besonderen Charakter, eine amüsante Eigenart zu geben. Und dann ragt hoch über diesem Orte, der zugleich so primitiv und so hypermodern ist, das Matterhorn, der bizarrste, merkwürdigste und unheimlichste aller Berge, der wie ein ungeheueres, gieriges Tier sich lauernd vornüber neigt und zum Sprunge bereit scheint. . . .

Ich sage nichts vom Gornergrat. Das Schauspiel, das man dort oben genießt, dieses unendliche Panorama, das man vor sich, unter sich und ringsumher erblickt, bleibt zweifellos der Knalleffekt der Schweiz. Die Tage, an denen man bei klarem Wetter auf diesem Felsgrat steht, den die Natur inmitten ihrer größten Wunder wie eine Kanzel aufgerichtet hat, gehören zu den Festtagen des Lebens, und jedesmal, wenn man dort oben anlangt, fühlt man, daß einem der Atem stockt. Ich weiß sehr wohl, daß einem der Atem schon aus dem einfachen Grunde ein bißchen versagt, weil man nicht an diese Höhenluft gewöhnt ist, aber er versagt doch hauptsächlich, weil die Überraschung, das Erstaunen, die Bewunderung sich so unabweisbar aufdrängen. Erst 46 ganz allmählich unterscheidet man das einzelne, ganz vorn die silberweißen Schneefelder des Breithorns und des Monte Rosa, die lange Eisfläche des Gornergletschers, die vom Schnee gestreiften Wände des Matterhorns und dann drüben, rechts von Rothorn und Weißhorn, die fernen, in blaurosa Dunst getauchten Ketten der Berner Alpen. Und erst ganz allmählich wagt man durch das Fernrohr oder den Krimstecher zu blicken und die Bergsteiger zu beobachten, die am Seil über die Felsgrate klettern oder mit schweren, abgemessenen Schritten über die schrägen Schneefelder des Monte Rosa und des Breithorns stampfen.

Es dreht sich in Zermatt alles um diese Bergbesteigungen, die dort und in Chamonix nicht den Eindruck eines Gigerlvergnügens, sondern den Eindruck einer ernsten Angelegenheit machen. Alle Welt nimmt an diesem Sport den regsten Anteil, und wenn nicht mit den Füßen, so doch mit den Augen und mit dem Mund, und alle Welt weiß, welche Herren und welche Damen am Morgen zu einer großen Besteigung aufgebrochen sind.

Vor den Nebeln, die das Matterhorn einhüllten, und vor dem Regen, der auf die braunen Höhen, auf die verlassenen Blockhäuser und auf die schmale, pittoreske Straße niederprasselte, bin ich dann nach Territet geflohen. Unten auf dem Ufer wird gegenwärtig entsetzlich viel gebaut und gezimmert, mindestens sieben neue Hotels wachsen heran, und ganz Territet und ganz Montreux sind in lärmvolle Bauplätze verwandelt. Ich habe nie eine besondere Vorliebe für das Territet und das Montreux unten am Wasser verspürt – für dieses 47 Territet und dieses Montreux, deren anspruchsvolle Eleganz doch keinen Vergleich mit der Eleganz der Pariser oder der Riviera-Hotels aushält –, und ich habe immer gefunden, daß gerade der Genfer See noch mehr als jeder andere in Ruhe und Frieden betrachtet werden muß. Erst wenn man oben auf den Hügeln haust, bemerkt man so recht die edlen Linien der Berge, die sich am Spätnachmittag schwarzblau und gleichsam fern entrückt am Himmel abzeichnen, sieht man in ihrer vollen Feinheit die wechselnden Licht- und Schattenspiele auf der Wasserfläche. Und erst von dort oben erkennt man, daß dieser See von einer besonders vornehmen Art ist, von weit vornehmerer Art als die anderen Schweizer und die oberitalienischen Seen, und daß er, wie alle ernsten und zurückhaltenden Naturen, nur ganz allmählich seine Geheimnisse verrät.

In dem hübschen, graziösen Hotel mit den weißumrandeten Terrassen, mit den feuerroten Blumenbeeten, den breiten, fruchtbeladenen Kastanienbäumen und den steif in ihren Kübeln stehenden Palmen herrschen jener Friede und jene Wohlanständigkeit, die doppelt würdigt, wer von den Schweizer Touristenplätzen kommt. Es wohnen keine schwer Leidenden im Hotel auf dem Hügel, nur ein paar blutarme junge Engländerinnen und ein paar andere Damen mit leicht beginnender Brustkrankheit, noch ganz in jenen ersten Stadien, in denen noch alle Hoffnungen erlaubt sind. Es gibt auch, wie in all diesen Pensionaten, eine verblühende Mutter und eine aufblühende Tochter, über die vielerlei gemunkelt wird, einen alten Engländer, der den weiblichen Pensionären beim Aussuchen der Stickmuster behilflich 48 ist, eine junge Russin, deren Mann im Kriege weilt, und in deren Gegenwart die Tagesfragen nicht berührt werden, und zwei Jünglinge, einen französischen und einen deutschen, die nur auf der Durchreise da sind und vergeblich hoffen, hier etwas zu erleben. An der Table d'hote erhalten die blutarmen Damen, die an Gewicht zunehmen sollen, ein Reisschüsselchen oder einen Maisbrei, und ein bejahrtes Fräulein mit weißen Löckchen über den Schläfen hat die Mission, die Neuangekommenen auszuforschen, und beginnt leise und züchtig: »Sind Sie zum ersten Male in Territet?«

Wenn der Abend kommt, funkeln unten auf der vielgeschlungenen Küste Hunderte und Tausende von kleinen Lichtern, und es ist beinahe, als wären die Sterne heruntergefallen und flackerten nun auf dem buchtenreichen Landstreifen. Die Mutter und die schöne Tochter, von denen es nicht klar ist, ob sie die anderen meiden oder von den anderen gemieden werden, lesen in der Veranda Romane, und im Salon breitet der alte Engländer prüfend die fertigen Stickereien auf dem Tische aus. Draußen auf der Terrasse bewegt kein Windhauch die schweren Wipfel der Kastanien, die runden Kronen der Lorbeerbäume und die breiten Blätter der Palmen, eine große Stille liegt über dem See, und die Berge drüben verschwimmen und zerrinnen wie Schatten. Aber hier und dort, auf einem der kleinen Vorsprünge der Terrasse oder unter den Zweigen einer Kastanie, sitzt eingewickelt in warme Mäntel eine der jungen Damen mit der leicht beginnenden, noch durchaus nicht hoffnungslosen Brustkrankheit, blickt dem entschwindenden Lichte des Dampfers nach, der nach Genf fährt, und 49 fühlt, wie man in Paris sagt, »du vague dans l'âme«, etwas Unbestimmbares, das auf der Seele lastet. Und forsch, mit elastischen Schritten, promenieren auf dem Kiesweg der Terrasse die beiden Jünglinge, der deutsche und der französische, und der gelangweilte Blick des einen scheint sagen zu wollen: »Es ist hier wirklich nichts los!« und der ironische Blick des anderen: »Wie uninteressant! Mein Gott, wie uninteressant!« 50

 


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