Theodor Wolff
Spaziergänge
Theodor Wolff

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Hannah und Henna

(Konstantinopel)

Am jüngsten Freitag, als das »Goldene Horn« wirklich seinen Namen zu verdienen schien – denn die Sonne hatte über die blaue stille Flut ein zitterndes Goldgespinst gebreitet –, nahmen wir ein Boot und fuhren zwischen den Ufern mit Kasernen und Moscheen hindurch zu den »Süßen Wassern«. Um die weiße Kuppel der grandiosen Aja Sophia – grandios nur im Innern – lag der Sonnendunst wie ein feiner Rauch, der von vielen kleinen parfümierten Ägypterzigaretten in die Luft steigt, und das Sonderbarste war, daß ein blasser, schmächtiger Halbmond am Blau des Himmels stand, deutlich sichtbar, obgleich der mondbringende Abend noch fern war.

Ich kenne nicht all die Bücher, welche die Reiseschilderer über Konstantinopel geschrieben haben, aber ich bin überzeugt, daß in jedem »Tagebuch eines Orientreisenden« und in allen »Briefen vom Bosporus« der Freitag an den »Süßen Wassern« nicht vergessen worden ist. Denn nirgends spricht der groteske Geist dieser Stadt so vernehmbar, niemals geht der Vorhang über 30 der Faschingsoperette, die sich »Konstantinopel« nennt, so indiskret weit empor wie hier. Wenn an solch einem Frühlingsfreitag das Volk von Konstantinopel zu dem hügelumgürteten Flußtal hinauswandert, wenn die Haremsfrauen der Paschas in blanken Karossen auf dem Ufer den unübersehbaren Korso abhalten, die schwarzen Eunuchen hinter den Kutschen galoppieren, die jungen Elegants von Stambul aus ihrem Kabriolett die Schönen mustern, wenn unter den Laubendächern am Fluß die Frauen und Töchter der weniger Reichen hocken, schwatzend, Süßigkeiten naschend, wenn in den schmalen, langen Kähnen eine bunte, rauchende Gesellschaft herumrudert, wenn häßliche Zigeunerinnen mit dem Tamburin klappern, und fromme Mekkapilger am Weg mit dem Allahruf betteln – dann möchte man einen neuen Offenbach an das Dirigentenpult stellen und ihn die Karnevalsmelodie spielen lassen, die zu diesem Spuk an den Toren Europas so notwendig zu gehören scheint.

Warum stirbt unsere Operette? Warum kommen unsere satirischen Hansnarren so elendiglich um? Weil sie in Ländern wohnen, wo alles so bitterernst ist, und wo selbst die Dummheit und die Beschränktheit keinen mehr lachen machen. Aber sie sollten hierherkommen, wo alles wie ein einziger Schwank erscheint. Das ist nicht Europa, das philiströse, kluge, ordnungsliebende, rastlose Europa – das ist auch nicht der Orient, der melancholische, schweigsame, verträumte Orient – das ist ein von einem witzigen Gott geschaffenes Zwitterding, das Satyrspiel hinter dem großen fatalen Schauspiel »Europa«.

Oh, das ist nicht die Luft, in der man mit herber 31 Gründlichkeit tiefsinnige Probleme lösen möchte. Das ist nicht die Luft, in der die Philosophen und die Gelehrten gedeihen. Aber kein abenteuerlicher Witz, der in dieser Luft nicht aufschießen könnte. Es ist das Paradies für die, welche den Roman des Don Miguel de Cervantes wirklich zu genießen wissen, welche der strengen Gewissenhaftigkeit den bizarren Einfall vorziehen, die phantastischen Skizzen eines Goya bewundern und das Leben nicht wie einen gut bürgerlichen Braten, sondern wie ein aus überraschenden Leckerbissen komponiertes Menü verzehren.

Ich glaube, daß eine von diesen Naturen die rotblonde Miß Hannah ist, die ich zu meiner Freude bei den »Süßen Wassern« wiedertraf, nachdem ich sie am Vormittag bei dem Selamlik gesehen, wo sie lächelnd den Tee schlürfte, den uns der Sultan im Pavillon auf Jildiz Kiosk kredenzen ließ. Während der blasse, schwarzbärtige, kränklich dreinschauende Sultan zur Moschee fuhr, zwischen den enggedrängten Scharen seiner wohlgeschulten Armee hindurch, lächelte Miß Hannah mir einem Lächeln, das ich mit dem Tode bestraft hätte, wenn ich Sultan gewesen wäre. Der französische Militärattaché, ein prachtvoller Mann mit den niedergezogenen Mundwinkeln des Blagueurs, schon mit einem leisen Grau über den Schläfen, eingeschnürt in die Uniform der französischen Husaren, ein Salonheld, wie Dumas ihn nicht eleganter erträumen könnte, machte ihr den Hof. Und Miß Hannah lächelte, mit dem Lächeln der Frau, die hundertmal dem kleinen Liebesgott das Herz geopfert hat – das Herz der andern.

Jetzt, wo ich sie bei den »Süßen Wassern« 32 wiederfand, ritt sie auf einem Rappen mit schlankem, schmiegsamem Hals und seidenfeiner Mähne zwischen den Karossen der Haremsdamen und den schwarzen Eunuchen. Sechs Kavaliere hinter ihr her. Und jeder von diesen Sechsen war ein Bewerber, der seinen ganzen Witz aufwandte, um ein gnädiges Nicken dieses stolzen rotblonden Kopfes zu ernten.

Sie trug ein graues Reitkleid und einen kleinen dunkleren Strohhut. Eine Teerose an der Brust. In der Hand hielt sie eine Gerte, an deren Griff ein Smaragd glühte.

Das war das Weib in seiner Vollendung. Alles Süße und Feine, das die Kultur erzeugt, hatte es sich zu eigen gemacht. Von allem, was die klugen Leute im Lauf der Jahrhunderte ersonnen, hatte es sich soviel genommen, als es brauchte, seinen Charme zu erhöhen und seine Herrschaft zu befestigen. Es war die Frau, die ihre Macht kannte. Die Gelehrten, die Kaufleute, die Staatsmänner, die Erfinder hatten nur für sie gearbeitet. Sie jagten nach Ruhm, Geld, Größe, um ihr zu gefallen. Sie kamen und legten das alles ihr zu Füßen. Die Klügsten gingen bei ihr in die Schule und glaubten, etwas gelernt zu haben, wenn sie Lehrgeld bezahlt hatten.

Es war die Frau der modernen Zivilisation, die bewunderte, gefeierte, die nun ihre Hand auch nach allem Besitz des Mannes ausstreckt, nachdem sie den Mann selbst erobert hat, der die Universitäten sich öffnen, der die kleinen und die großen Stuart Mills politische Rechte erwerben wollen – die Frau, die sichtbar ihre Flagge überall aufhissen und auch äußerlich herrschen 33 will, nachdem sie im geheimen, innerlich, seit langem geherrscht hat.

Ich habe nichts von der schönen rotblonden Miß Hannah zu erzählen – nichts, als daß sie da war. Es ist nichts Merkwürdiges an den »Süßen Wassern« mit ihr geschehen. Ersichtlich überboten sich die sechs Kavaliere in Artigkeiten. Sie machten ihre Komplimente und ihre Bemerkungen, zeigten ihren Geist und ihren Humor, waren ernst und ironisch, ließen Tiefe und Feuer ahnen, je nachdem sie glaubten, zu gefallen. Aber sie konnten gewiß nichts vorbringen, was so interessant und so witzig war wie der Kontrast zwischen dieser Gruppe und allem andern im Bilde.

Zu zweien, zu dreien und zu vieren fuhren die Haremsdamen in den geschlossenen Kutschen. Gewöhnlich waren die Frauen eines Harems in die gleiche Farbe gekleidet – in leuchtende, brennende Farben, purpurrot, himmelblau, goldgelb, meergrün. Die Schleier, weiße und schwarze, waren so zart und dünn, daß sie nicht allzuviel verbargen. Die großen Augen sahen neugierig durch die Fenster.

Hier und da hatte eine den Handschuh von den Fingern gestreift, und man sah die fleischige, weiße Hand und die Fingernägel, die mit Henna rot gefärbt waren. Alle Fingernägel, die man sah, waren mit Henna gefärbt.

In einigen Wagen sah man Mütter, die ihre Töchter bei sich hatten. Das war auch so eine Art Schau, zu der sie herkamen. Die jungen Beys in den Kabrioletts prüften und sortierten. Das war hier die Gelegenheit, bei der man seine künftigen Haremsdamen wählen 34 konnte. Es gibt keine Tanzkränzchen, keine Eisbahn, keine Promenaden. Es gibt nur diese Korsofahrt an den »Süßen Wassern« an den sonnigen Feiertagen.

Es waren wohl ein paar tausend Wagen da . . . lauter Prachtwagen mit wundervollen, schnaubenden Pferden. Und ohne viele Mühe konnte man die ganze weibliche Gesellschaft von Konstantinopel mustern. Es war leicht, die Schönen von den Häßlichen zu sondern. Leichter noch bei den Frauen aus dem Volk, die auf dem Ufer in den Laubengängen saßen, die Schuhe vor sich hingestellt hatten und den buntbestrumpften Fuß unterm Kleidsaum vorblinzeln ließen.

Schön – in der großen Mehrzahl schön – sind die Tscherkessinnen. Sie scheinen von einer feineren Rasse als die Türkin, haben schmalere Gesichter, einen matteren Teint, leuchtendere, klügere Augen. Der Türke, der auf der Suche nach einer Haremsdame ist, bevorzugt die Tscherkessin gern und kauft sie gewöhnlich aus einem »Pensionat«, wohin sie ihre Familie zur Ausbildung gegeben hat. Sie hat ein wenig Klavierspiel, Stickerei und bisweilen ein bißchen Französisch gelernt. Meistens trägt sie schwarzseidene Gewänder und schwarze Schleier, und dieses Schwarz kleidet sie exzellent und gibt ihr etwas Vornehmes, Apartes, einen Hauch besonderer Romantik.

Aber all diese Frauen sind auch, was körperliche Reize betrifft, in der Anlage verdorben. Ein Malheur, wenn sie sich von ihrem Sitz erheben. Dann sieht man, wie die ewig ruhende Lage den entsprechenden Gebrauchsteil ausgebildet hat, und vor der Fülle dieser Reize flieht der Nichttürke . . .

35 Es kommen nur die artigen Frauen zu den »Süßen Wassern«. Die, welche sich im Laufe der Woche etwas zuschulden kommen ließen, bleiben hübsch zu Hause. Sie haben kein Anrecht auf die Freuden des Frühlings-Freitags. Aber die Gehorsamen bekommen ihre Korso-Equipage und Geld für die Süßigkeiten.

Den Verteidigern der Frauenrechte liefert der Orient das passendste Exemplum. Hier gehört alles, Macht und Rechte, allein dem Mann. Keine Frau, die dreinzureden hätte. Und doch ist die große Leuchte des Orients im Erlöschen.

An dem Koran, der ihn gewaltig gemacht, stirbt der Islam wie an einem Zauberpulver, das erst Lebenskraft verleiht und dann, zu lange genossen, tötet. Er stirbt an dem Mangel an Familie und vielleicht an dem Fehlen der wahren Frau. Welch ein Triumph für die Frauen Europas, diesen Orient sterben zu sehen, der das Weib noch wie etwas Minderwertiges behandelt!

Als ich die rotblonde Miß Hannah sah, lachend, galoppierend, umworben von ihren sechs Kavalieren, wurde ich den Gedanken nicht los: was empfinden bei diesem Anblick die Haremsdamen in ihren geschlossenen Kutschen, hinter denen die schwarzen Eunuchen argwöhnisch einhertraben? Spüren sie Verachtung oder Neid, ein ironisches Mitleid oder ein stilles Wünschen?

Und ich glaube, daß es mehr das ironische Mitleid als das Wünschen, mehr die Verachtung als der Neid ist, was da in ihnen auflebt. Die vererbte Gewohnheit tut viel. Man hat sie immer nur gelehrt, sich schön zu machen, auf den Polstern zu liegen, Süßigkeiten zu essen, sich die Nägel mit Henna zu färben, um dem Mann 36 zu gefallen. Ihre Gedanken gehen nicht weiter. Und gehen sie weiter, dann sind sie gewiß zumeist dem modernen Europa nicht günstig. Denn der Orient sieht nun einmal einen besonderen Reiz der Frauen in ihrer Abgeschlossenheit. Und ich meine, die Frauen wissen das. Sie haben nicht den Wunsch, sich zu zeigen wie die Europäerin, denn sie beherrscht das Gefühl, daß sie dann an Wert verlieren.

Es gibt auch in Europa Phantasten, die für den Reiz des Verschleierten, des im Harem Verborgenen schwärmen. Sie spüren nicht, daß das gezwungene Geheimnis des Harems nicht ein Hundertstel der intimeren Romantik besitzt, den jene Geheimnisse haben, die im modernen Leben, im Salon, auf der Gasse, im Theatersaal zwischen zwei Menschen sich spinnen. Daß es ein unendlich feinerer Genuß ist, den das scheinbar Unverschleierte und doch hundertmal Verhüllte, hinter Worten, Mienen, Gesten hundertmal Versteckte der modernen Liebe gibt. Daß die Romantik keine Haremsgitter braucht.

Oh, das moderne Leben ist angefüllt mit ganz anderen Geheimnissen, als der Harem eines Paschas sie birgt! Dieser ganze Korso der schönen verschleierten Türkinnen ist hier, an der Schwelle Europas, doch nur ein großer Maskenzug. Und mir für mein Teil wären die Geheimnisse der Miß Hannah interessanter – eben darum, weil sie nicht hinter einem Schleier verborgen und von einem Eunuchen bewacht, sondern viel, viel seiner von verhüllenden Worten, dem Lächeln der Weltdame, den gleichgültigen Mienen einer Vielwissenden bewacht und verborgen werden.

37 Miß Hannah und die Korso-Türkinnen – zwei Welten, zwischen denen es keine Brücke zu geben scheint! Und doch muß etwas da sein, was die beiden auf Sekunden vereinigen kann. Denn als ich die rotblonde Miß an dem Wagen einer jungen Haremsdame vorbeigaloppieren sah, da sah ich die Miß der Türkin zulächeln, und die Halbverschleierte gab das Lächeln zurück. Gerade hatte einer der sechs Kavaliere der Umworbenen seine Schmeichelei gesagt, und in den Wagen der Türkin hatte ein junger Bey prüfend hineingestiert. Da lächelten Miß und Haremsdame wie alte Bekannte einander zu.

Ja, darin, daß sie von Zeit zu Zeit über die Männer lächeln wollen, sind die moderne Weltdame und die kleine Türkin, die ihre Fingernägel mit Henna färbt, ganz gleich. Weshalb sie lächeln, was liegt daran? Ob im Gedanken an ein erschlichenes Amüsement, im Gedanken an eine Torheit des Mannes, im Gedanken an einen Triumph . . . einerlei. Aber es ist keine Frau so dumm und keine so demütig, daß sie nicht von Zeit zu Zeit durch ein Lächeln zeigen möchte, wieviel sie klüger ist als der Mann. 38

 


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