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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Ein dreifacher Mord.

Vor Erstaunen und Wut über jene Nachricht, waren Toby und der Ex-Favorit des »Guicowar« verstummt.

Sitama war noch frei, also standen neue Überraschungen bevor, neue Streiche, neue Gefahren, erneuter Krieg vonseiten der Verschworenen Dhundias.

Der »Kohinoor«, der schon so viele Opfer gekostet hatte und Indris einzige Rettung bedeutete, war also noch immer nicht in Sicherheit, denn Baroda war noch weit entfernt.

»Geflohen!« sagte endlich Indri dumpf. »Jenen Menschen werden wir noch auf unserm Wege treffen.«

»Wie ist es ihm aber gelungen, die Freiheit zu erlangen?« fragte Toby, bleich vor Zorn. »Sind denn die Kerker des Radscha so unsicher und seine Wächter so unzuverlässig?«

»Geheimnisvolle Verbündete haben ihm geholfen.«

»Verschworene jener infamen Sekte der Dakoiten auch unter diesen Leuten?«

»Sicher, ›Sahib‹,« antwortete der Offizier.

»Ist er allein verschwunden?«

»Nein, zusammen mit zwei Kerkermeistern und den vier Schutzleuten, die dem Scheik den Mann übergeben haben, den wir aufgehenkt sahen.«

»Und wer war jener Unglückliche?«

»Ein armer Teufel, den man in den Minen festgenommen hatte, weil er einen Diamanten verschluckt hatte, um ihn zu entführen. Die Kerkermeister hatten ihn so trunken gemacht, daß er nicht mehr sprechen konnte, und ihn dann den Schutzleuten übergeben.«

»Und die Scheiks haben ihn gehenkt, im Glauben, es wäre der Fakir?« fragte Indri.

»Ja, ›Sahib‹.«

»Und wir glaubten, sämtliche Dakoiten Pannahs vernichtet zu haben!« rief Toby, indem er die Zähne zusammenbiß. »Weiß man wenigstens, wohin jener Hund von einem Sitama geflohen ist?«

»Keiner hat ihn gesehen. Der Radscha hat heute morgen alle Häuser der Hauptstadt untersuchen lassen und seine besten Reiter auf die Hochebene gesandt, alles ohne Erfolg. Weder Sitama, noch die beiden Kerkermeister, noch die vier Schutzleute wurden gefunden. Nur …«

»Ah! Fahrt fort.«

»Das plötzliche Verschwinden einer Gauklerbande ist verdächtig, die seit drei Wochen auf dem Platze der großen Pagode Schauspiele gab.«

»Vielleicht Verbündete Sitamas?«

»Man weiß es nicht; doch liegt die Vermutung nahe, denn jene Gaukler flohen nachts und ließen Zelte und Gepäck zurück.«

»Ob sie hinter uns her sind?« fragte Indri wütend.

»Seid ihr niemandem begegnet?« fragte Toby.

»Nein, ›Sahib‹,« antwortete der Offizier. »Der Weg war frei.«

»Indri, sobald der Elefant ein wenig geruht hat, reiten wir wieder weiter,« sagte Toby. »Eine Überraschung in diesem Tale könnte für uns verhängnisvoll werden. In Gondwana haben wir viel weniger zu fürchten.«

»Überwachen wir vor allen Dingen Dhundia,« sagte Indri.

»Beim ersten Fluchtversuch werde ich ihn wie einen Hund niederschießen.«

»Meine Herren,« sagte der Offizier, »ich kehre zurück, um die Hochebene abzusuchen, wo ich meine Radschaputen habe. Auch den Festungsmannschaften habe ich Befehl gegeben, die Durchgänge zu bewachen und auf jede Bande Feuer zu geben, die das Tal hinabzusteigen versucht. Glückliche Reise, meine Herren und verlaßt Euch auf mich.«

Er schwang sich aufs Pferd, grüßte mit dem Säbel und entfernte sich mit seinen Gefährten.

»Verzweifeln wir nicht, mein Freund,« sagte Toby, als er Indri entmutigt sah. »Vielleicht ist jener Schurke noch auf der Hochebene und versucht vergebens, durch die Reiter des Radscha hindurchzukommen.«

»Morgen werden wir das Tal verlassen und die Wälder Gondwanas erreichen. In zwei Tagen sind wir dann in Sagar.«

»Die Horste Gondwanas sind noch unsichrer, als die Hochebenen von Pannah,« sagte der Ex-Favorit des »Guicowar«. »Du kennst jene undurchdringlichen Dschungeln nicht, die Zufluchtsstätten der ›Meriah‹, der Eingeborenen, die Menschen opfern.«

»Wenn uns Sitama dort erwarten will, werden wir ihm standzuhalten wissen und auch töten.«

»Kehren wir zurück, Indri, und verlassen wir dieses Tal.«

Auf halbem Wege begegneten sie Bhandara, der, beunruhigt über ihre lange Abwesenheit, sich nicht mehr länger im Lager hatte halten können.

Als er die vom Offizier überbrachte Nachricht hörte, verfinsterte sich seine Stirn.

»Ja,« sagte er dann. »Sitama wird uns keine Ruhe lassen, aber ich werde wachen, und wer weiß, ob ich nicht seine Pläne entdecke, bevor er sie ausführen kann.«

Als sie das Lager erreichten, hatte sich der Elefant noch nicht gelegt.

Er hatte seine Abendmahlzeit verschlungen und scherzte mit seinem »Kornak«, indem er ihn mit dem Rüssel hoch in die Luft hob und dann wieder zu Boden gleiten ließ, ohne ihm irgend etwas zuleide zu tun.

»Wenn er spielt, kann er so müde nicht sein,« sagte Toby. »Er wird noch einige Stunden laufen können, nicht wahr, ›Kornak‹?«

»Sihor verweigert seinem Führer nichts,« antwortete der Gefragte. »Bis Mitternacht kann er's aushalten; wenn man ihm eine tüchtige Ration Zucker gibt.«

»Ich erlaube dir, sie zu verdoppeln, wenn du willst.«

»In fünf Minuten wird Sihor marschfertig sein.«

»Und du bereitest …«

Toby beendete den Satz nicht. Verschiedene Schüsse donnerten aus dem Tale herüber und brachen sich lärmend an den Schluchten und Bergen des Senar.

»Flintenschüsse!« hatte Indri ausgerufen, indem er herbeieilte. »Gegen wen hat man gefeuert?«

Ohne zu antworten, schlich sich Toby bis zum Fluß vor, bog sich über den Abgrund und lauschte.

Zwei weitere Schüsse, dann abermals vier dröhnten dumpf wieder und verhallten längs des Flußlaufes.

»Sechs Schüsse,« zählte Toby, »und vorhin fünf, sind elf. Sie haben gegen den Offizier und seine Gefährten gefeuert.«

»Oder haben die Soldaten der Festungen vielleicht auf irgend eine Bande geschossen?«

»Die ›Hudi‹ sind mit kleinen Kanonen bewaffnet, es waren aber Flintenschüsse.«

»Dann hat Sitama einen Anschlag auf den Offizier versucht.«

»Ich fürchte es,« murmelte Toby besorgt.

»Herr, fliehen wir,« sagte Bhandara. »Wir befinden uns hier in schwieriger Stellung, ein Kampf würde hier für uns ein schlechtes Ende nehmen.«

»Und den Offizier verlassen, der vielleicht im Sterben liegt?«

»Er kann schon tot sein!«

»Nein,« sagte Indri. »Wir dürfen ihn nicht verlassen, komm, Toby!«

»Werden wir keine Unvorsichtigkeit begehen?« fragte sich der Jäger, der zögerte.

»Wenn sich jene Banditen während unsrer Abwesenheit auf den Elefanten stürzen? Wer soll den ›Kohinoor‹ verteidigen?«

»Dafür übernehme ich die Verantwortung,« sagte Bhandara. »Ich treibe den Elefanten vor und erwarte euch am Ausgange des Tales, dort, wo die Festung steht.«

»Geh,« antwortete Indri. »Gib auf Dhundia acht.«

»Ich werde ihn eher töten, als ihn mir wegschleppen lassen.«

Ohne weiteres abzuwarten, betraten Indri und Toby den Pfad und erstiegen eiligst das Tal.

Außer den Karabinern hatten sie noch langläufige Pistolen von großer Tragweite.

Die Schüsse waren verstummt und man hörte im Tale nichts anderes, als das Rauschen der Wasser im steinigen Senarbett.

Nach einer Viertelstunde hastigen Laufens blieben Toby und Indri erschöpft stehen, um Atem zu holen.

Dann erreichten sie eine zweite Ebene, die etwas größer war, als die, die ihnen als Lager diente und sanft nach dem Flusse zu abfiel, so daß man hinabsteigen konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, den Hals zu brechen.

Auch nach dem Gebirge zu war der Abhang weniger steil, von tiefen Spalten zerrissen, die bis an die Spitze zu gehen schienen.

»Hier in der Nähe müssen jene Schüsse abgegeben worden sein,« sagte Toby. »Ob sich die Angreifer in diesen Felsrissen verborgen gehalten haben?«

»Oder ob sie dem Fluß entlang abgestiegen sind, um der Wachsamkeit der Festungen leichter zu entgehen, indem sie über die Uferfelsen kletterten?« fragte Indri, unruhig umherblickend.

»Aber ich sehe niemand hier.«

»Der Offizier wird mit seinen Gefährten entkommen sein.«

»Hm! Die Indier sind keine so schlechten Schützen, um mit elf Kugeln drei Männer zu fehlen.«

»Willst du, daß wir noch weiter vorgehen, Toby?«

»Du weißt, Indri, daß ich durchaus kein Feigling bin, trotzdem würde ich lieber umkehren. Hier wittere ich einen Hinterhalt.«

»Nur zweihundert Schritt?«

»Gut, aber nicht mehr.«

Sie luden die Karabiner und Pistolen, warfen einen Blick auf den Fluß, der brausend in seinen steilen Ufern dahinschäumte, spähten nach den felsigen Gebirgswänden und rückten vor, indem sie sich im Schatten der Granitwände versteckt hielten.

Fast hatten sie die 200 Schritte hinter sich, als sie am Uferrande eine schwarze Masse entdeckten.

»Was ist das?« fragte Indri, indem er den Karabiner anlegte.

»Man könnte es für ein Pferd halten,« antwortete Toby.

»Dann haben sie den Offizier hier angegriffen?«

»Siehst du im Gebirge nichts?«

»Nein, Toby.«

»Und ich kann im Flußbett auch nichts entdecken.«

»Die Radschaputen hatten schwarze Pferde, nicht wahr?«

»Ja, Indri.«

»Schauen wir nach.«

Erst lauschten sie einige Augenblicke, als sie dann nichts hörten, als das Rauschen des Flusses, sprangen sie schnell über den Pfad zum Ufer.

Es war wirklich ein Pferd, was am Senarufer lag, ein schönes, schwarzglänzendes Tier, schaumbedeckt, mit flachem Sattel, roter Satteldecke und kurzen Steigbügeln.

Es hatte zwei Kugeln in den Schädel bekommen, die durch die Schläfen gedrungen waren.

»Ein Pferd der Radschaputen!« rief Indri schaudernd. »Wo wird sein Reiter stecken?«

»Es scheint das Pferd des Offiziers zu sein,« bemerkte Toby bewegt.

»Ob er getötet worden ist?«

»Ruhe.«

»Was hast du gehört?«

»Ein Stöhnen.«

»Wo?«

»Unten, im Flusse.«

»Ob die Elenden, die das Pferd getötet haben, den Reiter dann in den Senar stürzten?«

Eine schwache, kaum hörbare Stimme war in jenem Augenblick aus den Uferfelsen gedrungen:

»Hilfe … ich sterbe! …«

»Indri, steigen wir hinab,« sagte Toby.

»Werden wir es können?«

»Ich sehe dort eine Spalte, die es uns ermöglichen wird, bis ans Wasser zu gelangen.«

»Und wenn man uns im Rücken angreift?«

»Das ist richtig, Indri. Du bleibst hier, versteckst dich hinter das Pferd und beschützest mich; ich steige hinab.«

Ohne die Antwort des Gefährten abzuwarten, erreichte Toby mit wenigen Sprüngen die Felsspalte, die bis zum Flußufer hinabzuführen schien.

Der Abstieg, der anfangs schwierig aussah, bot keine großen Beschwerlichkeiten. Es genügte, sich hinabgleiten zu lassen, um den Grund zu erreichen, und so machte es Toby.

In weniger als einer halben Minute befand er sich auf dem Geröll, gegen das sich der Fluß brach.

Sofort erkannte er einen menschlichen Körper, der am Ufer lag, mit den Beinen im Wasser und den Händen fest am Kopf.

»Wer seid Ihr?« fragte Toby, indem er sich ihm näherte.

Als der Verwundete jene Stimme hörte, wollte er sich mit größter Anstrengung aufrichten, fiel aber zurück, indem er kläglich stöhnte.

»Ihr! …« rief Toby, als er in jenem Unglücklichen den Offizier des Radscha erkannte.

»Ja … ›Sahib‹ …« stammelte der Sterbende.

»Wer hat Euch in den Fluß geworfen?«

»Er … die Dakoiten …«

»Sitama?«

Der Offizier nickte.

»Habt Ihr ihn gesehen?«

»Ja,« murmelte der Verwundete mit fast erloschener Stimme.

»Wo?«

Der Offizier zeigte nach dem Fluß.

»Sind sie dem Senar entlang abgestiegen?«

»Ja … ›Sahib‹ …«

»Sind sie dann geflohen?«

»Ja … ja …«

»Und Eure Gefährten?« fragte Toby noch hastig.

»Ge–stor–ben … Fluß …«

»Verwünscht! … Könnt Ihr noch reden?«

Der Unglückliche antwortete nicht. Er war völlig erschöpft und hatte die Augen geschlossen.

Ein Zittern lief durch seinen Körper, dann hörte es plötzlich auf.

Toby entblößte ihm die Brust und legte ihm die Hand aufs Herz: es schlug nicht mehr.

»Tot!« murmelte er. »Wir werden dich rächen, das schwöre ich dir.«

Er zog den Körper zurück, damit ihn der Fluß nicht fortspülen konnte, legte ihn in eine Vertiefung, kletterte dann die Felsspalte hinauf und stieß wieder auf Indri, der sich immer hinter dem Pferde gehalten hatte, indem er die Umgebung aufmerksam beobachtete.

»Sitama hier!« rief der Ex-Favorit des »Guicowar«, als ihm Toby alles erzählt hatte.

»Ja, die Dakoiten sind dem Flusse entlang abgestiegen, um die Festungen zu vermeiden.«

»Wie haben sie ein derartiges Unternehmen ausführen können, nachts, bei den vielen Wasserfällen?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Toby, »aber ich möchte beinahe glauben, daß jene Menschen wahre Dämonen sind.«

»Kehren wir zurück, mein Freund, zum Elefanten. Es kann sein, daß ihn Sitama mit seinen Gefährten angreift.«

»Ja, gehen wir, rasch.«

Eben wollten sie sich erheben, als sie an den Felswänden sich einige Schatten bewegen sahen. Lautlos stiegen sie ab, indem sie sich einander halfen und zeitweise Sprünge wagten, wie die gewandtesten Vierhänder.

»Menschen oder Affen?« fragte Toby, indem er sich rasch hinter das Pferd warf.

»Es scheinen mir Menschen zu sein,« antwortete Indri.

»Und von wo sind sie abgestiegen?«

»Vom Gebirge.«

»Von den glatten, steilabfallenden Wänden!«

»Ich sage dir, daß es Menschen sind, Toby.«

»Sitamas Gefährten?«

»Ich vermute es.«

»Dann müssen sie sich in zwei Banden geteilt haben, um den Reitern und der Wachen der ›Hudi‹ leichter entgehen zu können. Während die eine am Flusse abstieg, ging die andre über die Berge, über Schluchten, an gähnenden Abgründen vorbei.«

»Mein lieber Indri, hier weht kein guter Wind für uns, ich fürchte ein Unheil.«

»Für den ›Kohinoor‹, nicht wahr?« fragte der Ex-Favorit, indem er leichenblaß wurde.

»Mehr für uns, als für den Diamanten, wenigstens vorläufig.«

»Glaubst du, daß uns jene Menschen schon gesehen haben und absteigen, um uns anzugreifen?«

»Wir werden sehen, Indri; verlassen wir diesen Kadaver nicht, der uns als Deckung dienen kann.«

»Gut bewaffnet sind wir, unfehlbare Schützen ebenfalls, also werden wir jenen Schurken viel zu schaffen machen, wenn sie uns fangen wollen.«

Die Leute, die das Gebirge überschritten hatten, setzten ihre gefährlichen Manöver fort, um den Pfad zu erreichen, der dem Senar entlang führte.

Es waren ihrer fünfzehn, alle fast nackend, denn sie trugen nur ein kleines »Languti«, das kaum ihre Hüften bedeckte. Aber alle waren mit Gewehren und Dolchen bewaffnet.

Sie befanden sich noch in einer Höhe von ungefähr vierhundert Fuß und mußten über fast senkrecht abfallende Felsen. Doch war nicht daran zu zweifeln, daß es ihnen gelingen würde, den Pfad zu erreichen, nach der Sicherheit und Gewandtheit zu urteilen, mit der sie vorgingen.

Wenn die Felsen zu glatt waren, hielten sie sich mit Händen und Beinen fest, wie die Affen und erreichten bald die untersten Plattformen, indem sie Menschenpyramiden bildeten, an denen die letzten abstiegen.

Zuweilen wandten sie jedoch Seile an, die sie dann an den Felsen hängen ließen.

»Diese Teufelskerle,« stammelte Toby erstaunt.

»Es sind Gaukler und Seiltänzer,« antwortete Indri. »Außerdem kennst du ja die überraschende Gewandtheit der Indier.«

»Wollen wir sie absteigen lassen? Wenn wir nun Feuer geben würden?«

»Nein, Toby; vielleicht haben sie uns nicht gesehen. Vermeiden wir lieber einen Kampf, dessen Folgen für uns verhängnisvoll werden könnten. Es sind wenigstens fünfzehn, wir dagegen nur zwei.«

»Und ob sie allein sind? Sitama kann näher sein, als wir vermuten.«

»Du hast recht, Indri; warten wir.«

Die Dakoiten, denn es mußten welche sein, hatten auf der Plattform Halt gemacht, um wieder zu Atem zu kommen und ein Mittel zu finden, den letzten Felsabhang hinabzusteigen, der jäh auf den Pfad abfiel, ohne Riß und ohne Spalte.

Sie zögerten nicht lange. Man sah, wie sie ihre Gürtel zusammenbanden, die ihre »Languti« hielten und diese Art Seil dann herunterwarfen.

Das Ende berührte den Pfad noch nicht, aber was bedeutete ein Sprung von vier Metern für diese so gewandten und elastischen Menschen?

Der erste glitt am Seil hinab und ließ sich dann entschlossen fallen. Er fiel, sprang wieder auf und stieß einen Triumphschrei aus.

Die andern ahmten jenes gewagte Manöver nach, ohne darauf zu achten, daß sie dabei die Beine brechen konnten.

Als sie alle auf dem Pfade versammelt waren, warfen sie sich zu Boden und begannen zu schleichen wie die Schlangen, indem sie hinter den umherliegenden Felsblöcken Deckung suchten.

»Sie kommen auf uns zu!« murmelte Indri. »Siehst du sie nicht?«

»Donnerwetter!« rief Toby. »Wir sind entdeckt worden!«

»Retten wir uns in den Fluß.«

»Sie würden uns erschießen, bevor wir dort wären.«

»Sollen wir hier bleiben? Dann werden sie uns bald haben!«

»Wir haben 200 Schüsse zu verfeuern und fünfzehn oder zwanzig werden schon genügen.«

»Wollen wir kämpfen?«

»Ja, Indri.«

»Ich gebe den ersten Schuß ab!«

Der Indier erhob sich in die Knie und schaute über das Pferd hinweg. Die Dakoiten waren nur fünfzig Schritte entfernt und kamen immer näher herangeschlichen.

»Wer da?« rief Indri.

»Soldaten der ›Hudi‹,« antwortete eine Stimme.

»Dann mag der Kommandant allein herankommen, damit wir uns überzeugen können, ob es ein Soldat des Radscha von Pannah ist.«

»Hier bin ich!«

Ein Mann erhob sich hinter einem Felsblock, aber statt näher zu kommen, legte er rasch das Gewehr an und gab auf den Ex-Favoriten des »Guicowar« Feuer.

Jenem Schusse war ein andrer nachgedonnert. Toby hatte auf den Verräter Feuer gegeben und, wie immer, getroffen.

Der Dakoit fuhr mit beiden Händen nach der Brust, ließ die Waffe fallen und stürzte in den Fluß, indem er sich den Schädel an den Felsen zerschlug.

»Bist du verwundet?« fragte der Tigerjäger Indri.

»Nein, die Kugel ging über mich hinweg.«

»Setz' dich dieser Gefahr nicht wieder aus; wir wissen jetzt, mit wem wir es zu tun haben.«

»Ich werde mich nicht zeigen, Toby.«

Die Dakoiten, erschrocken über die mathematische Genauigkeit jenes Schusses, hatten Halt gemacht und sich gegen den Boden gedrückt, um möglichst wenig Schußweite zu bieten.

»Sie sind entmutigt,« sagte Toby.

»Trotzdem ziehen sie sich aber nicht zurück.«

»Wenn wir etwa die Hälfte niedergestreckt haben, wirst du sehen, wie sie uns in Ruhe lassen werden.«

»Und wo wird Sitama sein?«

»Denken wir jetzt nicht an ihn.«

»Und wenn er, von diesen Schüssen alarmiert, zurückkehren würde, um uns im Rücken anzugreifen?«

»Ich wünschte es, Indri.«

»Warum, Toby?«

»Um ihm eine Kugel durch die Brust zu schießen.«

»Schau!«

»Was siehst du?«

»Einige Dakoiten versuchen an den Fluß hinabzusteigen, um unsre Stellung zu umgehen.«

»Warten wir ein wenig; sie müssen am Feuer meines Karabiners vorüber.«

Toby erhob den Kopf, indem er einen raschen Blick über den Fluß warf. Vier Männer schlichen dem Ufer entlang und versuchten die Felsspalte zu erreichen, an der Toby vor kurzem hinabgestiegen war.

»Ich sehe sie,« sagte er. »Jetzt erkennt man sie besser.«

Er streckte sich so lang wie möglich aus, lud den Karabiner und richtete ihn nach den beiden Felsen, an denen die vier Dakoiten vorüber mußten.

Ein Kopf zeigte sich, wurde aber sofort zurückgezogen.

»Sie haben Furcht,« murmelte Toby. »Sie haben gemerkt, daß ich sie an jener Spalte erwarte.«

Einige Sekunden vergingen, dann erschien der Kopf wieder. Der Tigerjäger, schnell wie der Blitz, drückte ab.

Dem Schusse folgte ein Schrei.

Der Dakoit sprang empor, bewegte wie ein Verrückter die Arme und stürzte dann zu Boden.

Sofort brachen die andern drei hervor, um über die Leiche hinweg die Spalte zu gewinnen, aber auch Indri überwachte den Durchgang.

Ein zweiter Schuß krachte und ein andrer Mann fiel.

»Das sind drei,« sagte Toby, während sich die Gefährten der beiden Toten schnell zurückzogen. »Es bleiben nur dreizehn übrig und wir haben noch 197 Kugeln.«

»Wir können uns nicht über unsre Schüsse beklagen. Ah! Auch sie beginnen! Glücklicherweise sind wir gedeckt.«

Die Dakoiten, wütend, von zwei Menschen in Schach gehalten zu werden, hatten ein lebhaftes Feuer eröffnet.

Die Kugeln schlugen dumpf in die Pferdeleiche, ohne hindurch zu kommen, da sie keine große Durchschlagskraft besaßen.

Toby und Indri hatten sich auf die Erde gestreckt und ließen sie schießen, da sie sich nicht zu erheben wagten.

Als die Schüsse jedoch spärlicher wurden, hoben sie einen Moment den Kopf, um zu sehen, ob die Angreifer näher kämen.

Jene Salve dauerte fünf Minuten, dann verstummte sie.

Einige Männer, die Indri und Toby für tot hielten, verließen ihr Versteck und näherten sich.

»Achtung,« sagte der Tigerjäger zu seinem Gefährten. »Sie kommen! Machen wir einen Doppelschuß. Ist dein Karabiner geladen?«

»Ja, Toby.«

»Bereite dich zum Empfang vor.«

Die Dakoiten rückten vorsichtig näher, gebückt, mit den Flinten in der Hand. Alle drei Schritte blieben sie stehen, um zu lauschen, dann, von der Ruhe überzeugt, kamen sie wieder ein Stück näher.

Es waren fünf, von einem Häuptling geführt, der von Zeit zu Zeit seinen Gefährten Befehle zu geben schien.

Toby und Indri atmeten nicht: sie warteten, bis die Gegner nahe genug waren, um ihnen direkt auf den Pelz zu feuern.

»Halt!« sagte plötzlich der Mann, der sie führte.

»Schnell, Indri,« murmelte Toby.

Gleichzeitig sprangen sie auf und feuerten ihre Karabiner mitten in die Gruppe, die fünfzehn Schritte vor ihnen stehen geblieben war.

Die Wirkung jener unverhofften Ladung war überraschend. Drei Männer stürzten übereinander, die andern, erschrocken über jenen unerwarteten Empfang, flohen kopfüber, begrüßt von zwei Pistolenschüssen.

Das war zu viel für jene Banditen.

Ohne Gebrauch von ihren Waffen zu machen, stürzten sie nach der Felsspalte, glitten bis zum Fluß hinunter und versteckten sich hinter die Felsblöcke.

»Das ist der Moment, sich davonzumachen,« sagte Indri. »Der Pfad ist frei.«

»Langsam, Freund,« antwortete Toby. »Lassen wir uns nicht sehen.«

»Warum?«

»Damit sie uns nicht folgen. Schleiche hinter dem Pferde vorbei, an jenen Felsblöcken vorüber und halte dich immer gedeckt. Jene Schurken werden glauben, daß wir unsern Platz nicht verlassen haben und vorläufig nicht wagen, wieder herauf zu steigen.«

»Und wir gewinnen inzwischen Vorsprung.«

»Ja, Indri.«

»Du wärest ein berühmter General geworden.«

»Und doch war meine Karriere mit dem Sergeantenrange zu Ende,« antwortete der Jäger lachend. »Zum Rückzug!«

Sie umschlichen vorsichtig den Pferdekadaver und zogen sich zu den Felsmassen zurück, indem sie ihre Blicke immer nach den Flußufern richteten, aus Furcht, die Dakoiten könnten ihre Verstecke verlassen.

Als sie sich im Schatten der Granitwand befanden, erhoben sie sich und liefen eiligst den Pfad hinunter.

So legten sie über einen Kilometer zurück, indem sie immer schneller liefen. Dann blieben sie wie verabredet stehen und zeigten nach dem Flusse.

»Siehst du sie?« fragte Toby.

»Ja,« antwortete Indri.

»Ob es die sind, die uns angegriffen haben, oder die andern?«

»Das möchte ich auch wissen, aber ich glaube nicht, daß es dieselben sind.«

»Beweg dich nicht; schauen wir, ob sich jener verdammte Fakir darunter befindet.«


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