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Elftes Kapitel.
Der Menschenfresser.

Vier Stunden danach, kurz vor Sonnenuntergang, während die Menge von neuem zum Platze drängte, wo Bajaderen ihre Tänze aufführten und Schlangenbändiger ihre Reptilien einfingen, um ihnen die Milch vorzusetzen, die der Radscha geschenkt hatte, verließen Toby und seine Gefährten den »Bengalow«, um das Terrain zu untersuchen, wo der Tiger hauste.

Sie wollten einen geeigneten Platz suchen, um einen Hinterhalt herzurichten und nach den Fallen sehen, die einige mutige Indier gestellt hatten, sich später aber, aus Furcht, von jenem furchtbaren Raubtiere zerrissen zu werden, nicht mehr hingetrauten.

Der Radscha hatte einen prächtigen »Ruth«, einen großen Wagen, zu ihrer Verfügung gestellt, ein wirkliches indisches Original, vollständig geschlossen mit Portieren und feinem Bambusgitter, das von vier großen, weißen Ochsen gezogen wurde, die goldne Nasenringe, ebenfalls vergoldete Hörner und rotbemalte Hufe und Schwänze trugen.

Diese Wagen sind für die Reichen und großen Würdenträger bestimmt, obwohl sie unbequem und für Europäer kaum zu gebrauchen sind.

Vier Buschschläger, »Schikari« genannt, die schon an die Jagd auf jene gefährlichen Raubtiere gewöhnt waren und die Minenumgebung haargenau kannten, sollten ihnen bei dem gefährlichen Unternehmen behilflich sein.

»Wahrscheinlich wird die ›Bâg‹, bei diesem Lärme, ihr Versteck gar nicht verlassen haben,« sagte Toby, während der Wagen sich knirschend und schwankend von der Stadt entfernte. »Trotzdem darf man jenen alten Tigern nicht trauen. Wenn man's am wenigsten vermutet, springen sie hervor.«

»Wollen wir ihn diese Nacht nicht erwarten?« fragte Indri.

»Wir werden sehen, wenn wir am Orte sind. Hast du eine Ziege mitbringen lassen?«

»Zwei Stück sind hinten an dem ›Ruth‹ angebunden,« sagte Dhundia.

»Wir können es mit einer Grabenfalle versuchen.«

»Oder mit einem Brettergerüst,« sagte Indri. »Wenn der Ort waldig ist, wird es sogar vorzuziehen sein.«

»Das werden wir später entscheiden,« antwortete Toby.

Je mehr sich der schwere Wagen von der Stadt entfernte, desto schwächer wurde das Geschrei und die Musik.

Die Vororte waren verlassen, denn alle ihre Einwohner waren auf die Stadtplätze geeilt, um sich an den nächtlichen Schauspielen zu erfreuen.

Eine fast lautlose Stille herrschte jenseits der Stadtmauern, die höchstens durch das Knarren der Wagenräder oder dann und wann durch das Brüllen der vier Ochsen unterbrochen wurde.

Das eigentliche Diamantgebiet begann hier, streckt sich aber bis zur Stadt aus und gießt sich dann in die gewaltige Hochebene hinein.

Das ganze Gebiet war durchlöchert und hier und da mit Steinhaufen und hohen, blühenden Jasminsträuchern bedeckt, die einen scharfen Geruch ausströmten.

Große Hütten der Bergarbeiter standen zerstreut um die Ausgrabungen, während sich in der Mitte ein gewaltiges Schröpfwerk erhob, was aber nicht mehr tätig war.

Die Minen Pannahs sind die ältesten, die man kennt, wie sie auch die berühmtesten sind, da sie Diamanten liefern, die an Reinheit selbst die von Brasilien und Transvaal übertreffen.

Die Diamantzone durchquert antike Alluvialgebiete, die hauptsächlich aus horizontalgelegenen Gneis- und Karbonatschichten bestehen, die eine durchschnittliche Stärke von 13 und 14 Metern haben.

Sie dehnt sich ungefähr dreißig Kilometer nordöstlich von Pannah aus, mit den Bergwerkszentren Myra, Etawa, Kamarya, Brispur und Baraghari und bringt Diamanten von wunderbarem Glanze hervor, mit Variationen vom reinsten Weiß zum Schwarz, mit allen Abstufungen, rot, gelb und bräunlichgrün.

»Ich möchte all die Reichtümer besitzen, die unter diesem Boden versteckt liegen,« sagte Toby, der die Bambusstäbe beiseite geschoben hatte, um das Diamantfeld besser überschauen zu können.

Wenn man diese Schichten mit modernen Systemen bearbeiten würde, würden sie einen fabelhaften Ertrag bringen, während diese Bergleute das primitivste Verfahren anwenden, was von Jahrhundert zu Jahrhundert unverändert geblieben ist.

»Trotzdem zieht der Radscha große Summen heraus,« sagte Indri.

»Den jährlichen Ertrag dieser Minen schätzt man auf zwei Millionen, aber wer weiß, wieviel Diamanten von den Arbeitern und Aufsehern gestohlen werden?

Der Radscha ist sogar derart davon überzeugt, daß er selbst die Rente dieser Diamantfelder festgesetzt hat, um nicht gänzlich beraubt zu werden.«

»Und wenn die Diamanternte die von ihm festgesetzte Summe nicht erreicht?« fragte Indri.

»Um so schlimmer für die Direktoren, denn, wird sie nicht erschwungen, so sucht er sich drei oder vier heraus und läßt sie köpfen.«

»Ein höchst einfaches Mittel.«

»Was aber wunderbare Resultate erzielt,« antwortete Toby, »denn die vom Radscha festgesetzten zwei Millionen werden pünktlich bezahlt, und ich versichere dich, daß auch die Direktoren Vorteil davon haben. Alle sind sie steinreich.«

»Sind die Diamanten groß, die man in diesen Minen findet?«

»Das durchschnittliche Gewicht beträgt gewöhnlich sechs Karat; aber es finden sich auch solche von 60, 70, sogar 80.«

»Und man sendet sie nach Europa?«

»Nein, sie bleiben alle in Indien.«

»Doch sagte man mir, daß man auch in Europa Diamanten aus Pannah verkauft.«

»Das stimmt, Indri,« sagte Toby. »Das sind aber brasilianische Diamanten, die man hierher sendet und dann mit indischer Etikette nach England und Holland weiterbefördert.«

»Und hier wurde der ›Lichtberg‹ gefunden?« fragte Dhundia.

»Ja, in diesem Boden,« antwortete der Jäger. »Er hat eine seltsame Geschichte hinter sich, der ›Kohinoor‹, wie jener berühmte Diamant genannt wurde.

Der Bergmann, der ihn fand, war kein Dummkopf. Als er sah, daß jener Diamant Millionen wert sein konnte, überlegte er, anstatt ihn sofort an die Aufseher abzugeben, wie er sich ihn aneignen konnte, überzeugt, das Glück eines Radscha in den Händen zu haben.

Die Sache war jedoch nicht leicht, denn, wie ihr wißt, werden die Bergleute, wenn sie die Schächte verlassen, aufs genaueste untersucht.

Verschlucken, war wegen seiner Größe unmöglich, außerdem hätten ihn die Aufseher, wenn sie es gemerkt hätten, sofort in den Graben geführt und gewartet, bis er auf anderem Wege wieder zum Vorscheine gekommen wäre.

Was tut der durchtriebene Bergmann? Mutig, mit kaltem Blute, bringt er sich mit dem Beile, was er in der Hand hält, eine furchtbare Wunde im Oberschenkel bei, steckt den Diamant hinein und bindet ein Taschentuch darum.

Als ihn die Wächter so zugerichtet sehen, denken sie nicht einmal daran, ihn zu untersuchen und lassen ihn nach Hause gehen, damit er sich pflegen soll.

Nach zwei Wochen wurde der Diamant, der 299 Karat wog und daher Millionen wert war, für hunderttausend Franken verkauft.

Er sollte eben von Pannah fortgeschafft werden, als ein Agent des Radscha den Besitzer anhielt und ihn zwang, den Diamanten zu verkaufen.

So kam er wieder in den Besitz des Fürsten, der ihn eifersüchtig bewacht, aus Furcht, er könne ihm geraubt werden.«

»Und wir werden ihn wieder holen,« sagte Indri halblaut. »Wie hoch wird er geschätzt?«

»Auf zwei Millionen Franken.«

»Diese Summe kann ich zahlen, ohne mich dadurch zu Grunde zu richten,« sagte Indri.

»Selbst wenn du das Doppelte zahlen würdest, würde ihn dir der Radscha nicht überlassen, denn jener Diamant ist für ihn ein kostbarer Talisman.«

»Er wird zufrieden sein und die zwei Millionen nehmen, die ich ihm hinterlegen werde, wenn wir den ›Kohinoor‹ in unserer Hand haben.«

»Ich würde ihm gar nichts dafür geben,« sagte Dhundia.

»Indri ist kein Dieb,« antwortete der Ex-Favorit des »Guicowar« ernst.

Während der Jäger und die beiden Indier schwatzten, fuhr der »Ruth« immer tiefer in die Diamantfelder hinein, die nach dem Auftauchen des furchtbaren »Menschenfressers« gänzlich verlassen waren.

Die Stadt war schon weit und man konnte fast die Lichter nicht mehr unterscheiden. Jedes Geräusch war verstummt.

Die Hochebene, die bis hierher wenig bewachsen war, überzog sich mit einer üppigen Vegetation, denn jener Boden war noch unbebaut. Die Bergleute waren erst bis dahin vorgedrungen und daher die Bäume noch nicht gefällt worden.

Gewaltige Tamarindengruppen wechselten mit 15 Meter hohen Bambus und prächtigen Lorbeerbäumen ab.

Das waren die Schlupfwinkel des »Menschenfressers«.

Der Wagen machte bei einem dichten Bambusgestrüpp Halt.

»Sahib,« sagte einer der »Schikari«, indem er sich dem Wagengitter näherte. »Es wäre unvorsichtig, mit dem ›Ruth‹ noch weiter vorzudringen. Die Bâg hält sich oft in diesen Flecken auf.«

Toby nahm seinen Karabiner und Munition und stieg aus, hinter ihm Indri und Dhundia.

»Ein schöner Ort, um sich in den Hinterhalt zu legen,« sagte er, nachdem er die Gegend überblickt hatte. »Der Tiger konnte kein besseres Versteck finden.«

»Halten wir hier?« fragte Indri.

»Schlagen wir unser Lager auf.«

»Und dann?«

»Dringen wir in diese Flecken und suchen einen geeigneten Ort, wo wir das Gerüst anbringen können.«

»Willst du dem Tiger diese Nacht auflauern?«

»Wir sind einmal hier, und die Nacht ist klar, so benutzen wir die Gelegenheit. Die Tiger verlassen ihre Verstecke nicht immer, oftmals mußte ich tagelang auf jene Bestien warten.«

»Nehmen wir diese halbe Stunde wahr, wo es noch hell ist und bereiten den Hinterhalt vor,« sagte Indri. »Die Herstellung des Gerüstes wird nur wenige Minuten erfordern.«

Sie ließen zwei »Schikari« als Wagenwächter zurück, versahen sich mit Lebensmitteln und drangen, geführt von zwei anderen, die mit Beilen und Stricken versehen waren, ins Gebüsch.

Für den Augenblick setzten sie sich keinerlei Gefahr aus, denn die Tiger verlassen fast nie ihre Verstecke vor Sonnenuntergang. Sie führen ihre Streifzüge nur nachts aus, denn sie bedürfen der Dunkelheit, um unerwartet auf ihre Beute zu stürzen.

Zweihundert Schritte vom Wagen entfernt, begann der eigentliche Wald, der von dichtem Bambusgestrüpp, kleinen Tekbäumen, gewaltigen Bananen, rotem Sandelholz und Gummibäumen gebildet wurde.

»Der reine Urwald,« sagte Indri. »Nicht einmal in Baroda habe ich derartige Wälder gesehen.«

»Es ist einer der schönsten des Hochlandes,« antwortete Toby, »aber auch einer der gefährlichsten, denn es stecken nicht nur Tiger darin.«

»Wo bauen wir das Gerüst?«

»Dort sehe ich einen Platz, der sich vorzüglich dazu eignen würde. Es ist ein ›Banian‹, dessen Schatten uns vor den Blicken der ›Bâg‹ schützen wird.«

»Sind wir weit genug vom Lager entfernt? Du weißt, diese alten Tiger sind sehr vorsichtig und vermeiden sorgfältig die Lagerfeuer.«

»Wir haben einen Kilometer hinter uns, und das wird genügen.«

Sie hatten den Platz erreicht, wo sie das Gerüst errichten wollten. Es war eine kleine, von Tamarinden und Bananen umstandene Lichtung, in deren Mitte sich ein »Banian« erhob, der schon für sich einen kleinen Wald bildete.

Nachdem sie den Platz ausgesucht hatten, machten sich die »Schikari« sofort an die Arbeit, um das Gerüst herzustellen, was aus einer einfachen Plattform aus Ästen besteht, die von vier starken, sechs Meter langen Bambus gestützt wird. Diese Höhe genügt, die Jäger außer Sprungweite jener gefährlichen Raubtiere zu halten.

Die »Schikari«, die in derartigen Bauten sehr bewandert sind, fällten einige starke Bambus, so dick wie der Schenkel eines Mannes und von unglaublicher Widerstandsfähigkeit, und brachen dann eine gewisse Anzahl dehnbarer Tamarindenäste, die man gut ineinander flechten konnte. Da auch Toby und seine Gefährten mithalfen, war die Plattform in einer knappen Stunde errichtet und mit starken Seilen festgebunden.

Sie war drei Meter breit, vier lang und fünf Meter hoch. Die »Schikari« untersuchten sie und überzeugten sich von ihrer Festigkeit.

Neben dem Platze wurden Baumäste angehäuft, um die Jäger besser zu verbergen. Dann band man die Ziege, die sie mitgebracht hatten, an eine der Wurzeln des »Banian«, wo der Schatten am dichtesten war, damit sie der Tiger nicht sofort entdecken und wegschleppen konnte.

»Kehrt zum Lager zurück und rührt euch nicht bis morgen früh,« sagte Toby zu den »Schikari«. »Beunruhigt euch nicht, wenn ihr Schüsse hört.«

»Viel Glück, Sahib,« antworteten die beiden Indier, indem sie zu ihren Flinten und Beilen griffen. »Bei Sonnenaufgang werden wir hier sein.«

Kurz darauf verschwanden sie schleunigst im Dickicht. Jedenfalls waren sie zufrieden, zum Lager, zu den sicheren Feuern zurückkehren zu dürfen, was ihre Gefährten schon angezündet hatten.

Toby ging erst um den »Banian« herum und kletterte dann zu Indri und Dhundia auf das Gerüst hinauf, indem er sich an einen Bambus anklammerte, in den tiefe Kerbschnitte gemacht worden waren, um die Füße zu stützen.

»Verzehren wir vor allen Dingen unser Abendbrot,« sagte der Jäger. »Ein hungriger Mensch hat keine ruhige Hand.«

»Und schießt schlecht,« bemerkte Indri.

»Hoffentlich stört uns der Tiger nicht dabei, um seinen Teil zu verlangen,« sagte Dhundia, der bei diesem Gedanken einen Schauder nicht unterdrücken konnte.

»Wir werden die nötige Zeit zum Essen und auch zum Rauchen haben,« antwortete Toby. »So schnell wird er uns keinen Besuch abstatten.«

In einem Korbe hatten sie eine gebratene Ente, Reispasteten, ein paar Flaschen Bier und eine Flasche »Gin«.

Sie rückten in den Mittelpunkt der Plattform, wo die Äste dichter verflochten waren, und begannen zu essen, ruhig, als wenn sie sich in ihrem »Bengalow« befänden und nicht mitten im Bereiche des »Menschenfressers«.

Nur Dhundia schien sich nicht recht sicher zu fühlen und schaute öfter zum »Banian«, nach der Ziege.

Der Mond war inzwischen aufgegangen und goß seine bläulichen Strahlen über den Wald, so daß die Bambusrohre glitzerten.

Nicht das leiseste Geräusch war hörbar, überall herrschte vollständige Ruhe. Die riesigen Bananenblätter hielten sich steif, da sich kein Lüftchen rührte, auch die Bambusrohre bewegten sich nicht.

»Diese Ruhe,« sagte Indri. »Man könnte meinen, daß es in diesem Walde weder wilde Hunde, Schakale noch Antilopen gäbe.«

»Der Tiger wird sie wahrscheinlich ausgerottet haben,« sagte Dhundia.

»Dieses Schweigen bringt einen sonderbaren Eindruck hervor.«

»Die Nacht ist wirklich ruhig,« sagte Toby, indem er seine Pfeife anzündete. »Sie erinnert mich an einen anderen Abend, der für mich und einen meiner tapfersten ›Schikari‹ verhängnisvoll wurde.

Heute noch trage ich die Spuren von einem gewaltigen Prankenschlage auf dem Rücken davon, und es fehlte wenig, so wäre mir das Rückgrat zertrümmert worden.«

»Durch einen Tiger?« fragte Indri.

»Ja, von einer › Bâg admikanevalla‹, wie wir heute abend erwarten,« antwortete Toby, indem er blaue, duftende Rauchwolken in die Luft paffte. »Das war eine aufregende Nacht, meine Lieben! – – Es war eine der furchtbarsten, die ich in meiner Jägerlaufbahn durchmachte.«

»Erzähle, Toby,« sagte Indri. »Da vergeht die Zeit schneller.«

»Es ist nicht gerade eine sehr ermutigende Geschichte, für Männer, die eins der gewaltigsten Raubtiere erwarten,« antwortete Toby lachend. »Sie kann ungünstig wirken.«

»Ich bin nicht auf meiner ersten Jagd, du weißt es.«

»Dann hört mir zu.«

Bevor er anhub, schaute er sich nach allen Richtungen um, dann entkorkte er die Flasche »Gin« und sagte:

»Solange die Ziege schweigt, haben wir nichts zu fürchten. Vielleicht hat sich die ›Bâg‹ noch nicht entschlossen, ihr Versteck zu verlassen.«

Er leerte ein Gläschen und legte sich dann zwischen die beiden Indier.

»Das Abenteuer, was ich erzählen will, ist nicht mehr neu, denn es ereignete sich vor etwa vier Jahren.

Zu jener Zeit befand ich mich noch in Bengalien und unternahm oft Streifzüge an den Ganges, wo die Tiger so häufig sind, wie die Schakale auf Malabar.

Von einem meiner tüchtigsten ›Schikari‹ begleitet, der mir auch nach Zentralindien gefolgt war, landete ich auf einer jener Inseln, als mir einige bekannte Eingeborene mitteilten, daß eine › Bâg admikanevalla‹ den Jorfluß durchschwommen und Kinder und eine Frau zerrissen hätte.

Sie bemerkten sogar, daß es sich um einen weiblichen Tiger handele, dem ein kleiner Tiger, nicht größer als eine Katze, nachlief.

Seit langem schon wollte ich einen kleinen Tiger haben, um ihn zu zähmen; also hatte ich Gelegenheit, mir einen zu verschaffen, indem ich zuvor die Mutter erschoß.

Ich ließ mir den, von der ›Bâg‹ besuchten Ort erklären, ging hin und legte mich mit meinem treuen ›Schikari‹ auf die Lauer.

Ihr wißt ja, daß ein ›Admikanevalla‹ ein Tiger ist, der schon Menschenfleisch gekostet hat und nur noch zweibeinige Opfer sucht.

Meistens sind es alte Bestien, die nicht mehr die nötige Gewandtheit haben, um Tiere zu überfallen. So verstecken sie sich in der Nähe eines Pfades und erwarten Mann oder Frau.

Aber es sind die gefährlichsten und kühnsten und wagen sich oft bis in die Dörfer, um die Menschen fortzuschleppen, die die Unvorsichtigkeit begehen, außerhalb ihrer Hütten zu schlafen.«

»Das ist richtig,« sagte Indri. »Keine Gefahr hält sie ab, um sich Menschenfleisch zu verschaffen.«

»Zu jener Zeit hatte ich schon viele Tiger erlegt und hatte mich davon überzeugt, daß derartige Jagden für einen kaltblütigen Jäger, der seiner Schüsse sicher ist, gar nicht so gefährlich sind.

Es ist Tatsache, daß die Tiger den Eingeborenen, der gewöhnlich schlecht bewaffnet ist, nicht fürchten, einen weißen Mann dagegen fast immer zu vermeiden suchen, da sie wissen, daß er eine Flinte besitzt, die nicht immer fehlgeht.

Als ich den vom ›Admikanevalla‹ aufgesuchten Pfad erreicht hatte, machte ich mich sogleich daran, die Spuren des wilden Tieres zu suchen. Sie führten zu einem dichten Bambusgestrüpp, wo ich zahlreiche Knochenüberreste fand.

Die Luft an jenem Orte war verpestet von einem ekligen Geruch verwesten Fleisches; sicheres Zeichen, daß dort der Schlupfwinkel der Bestie sein mußte.

Nachdem ich die Umgebung untersucht hatte, sandte ich die Eingeborenen, die mich geführt hatten, in ihr Dorf zurück, denn sie wären mir nur im Wege gewesen, und versteckte mich mit meinem ›Schikari‹ hinter den Stamm einer riesigen Latanie.

Die Nacht fiel herab, dunkel wie ein Ofenloch, denn der Himmel war dicht bewölkt.

Über den schlammigen Kanälen jenes wasserreichen Bodens, wo die Leichen der Indier, die man dem Gangesstrome überläßt, um die Kosten der Leichenverbrennung zu sparen, in Verwesung übergehen, erhob sich ein dichter, mit giftigen Ausdünstungen von Cholera und Fieber durchsetzter Nebel.

Man hörte nur die Marabu krächzen, die an den Ufern der Kanäle schmausten und sich den Magen mit Leichenfleisch stopften.

Ich fing an, mich zu langweilen, auch verspürte ich schon den ersten Fieberfrost, als mir mein ›Schikari‹, der neben mir lag, ins Ohr murmelte:

›Die »Bâg« kommt.‹

Der Mann war in jenen Tiger-Dschungeln geboren und konnte sich nicht täuschen.

Ich richtete mich langsam in die Knie auf und hoffte, das Raubtier aus dem Bambusflecken hervorkommen zu sehen; doch ich sah nichts und hörte nichts.

›Bleibt hier, Sahib,‹ sagte der Indier zu mir. ›Ich werde ihn aus seinem Versteck heraustreiben.‹

Er nahm seine Flinte und entfernte sich schleichend, wie eine Schlange. Nach wenigen Sekunden war er verschwunden.

Einige Minuten ängstlicher Erwartung vergingen für mich. Man kann mutig sein, und trotzdem gibt es im Leben gewisse Momente, in denen man sich der Furcht nicht erwehren kann.

Plötzlich wurde das Schweigen von einem krachenden Schusse zerrissen. Das war der Karabiner meines ›Schikari‹: unter Hunderten hätte ich ihn herausgehört.

Ich wollte eben aufspringen, als ich meinen Gefährten schreien hörte:

›Sahib! Der Tiger!‹

Kaum hatte ich mich erhoben, als ein gellender, furchtbarer Schrei an meine Ohren drang: es war ein Todesschrei.

Blaß, mit wirren Haaren und beklemmten Herzens sprang ich zu dem Ort, von wo er hergekommen war.

Als ich den Saum einer Lichtung erreichte, sah ich eine Szene, die ich nie wieder vergessen werde. Mein ›Schikari‹ lag am Boden und ein großer Tiger fraß, nachdem er ihm den Leib aufgerissen hatte, die rauchenden Eingeweide des Unglücklichen.

Ich legte meinen Karabiner an, eine Doppelflinte, die nie versagt hatte und drückte ab. Der Schuß ging nicht los.

Eben wollte ich den zweiten abfeuern, als das Raubtier unversehens auf mich sprang und hinter mir zu Boden fiel.

Ich fühlte einen heftigen Schmerz, als wenn mein Rückgrat mit einem Schlage zertrümmert worden wäre. Trotzdem verlor ich mein kaltes Blut nicht.

Mich umdrehen, abdrücken und das Maul der Bestie zertrümmern, war ein einziger Augenblick.

Kaum war sie gefallen, als auch ich besinnungslos zu Boden stürzte.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in der Hütte des Dorfhäuptlings. Seine Leute hatten mich, zwei Schritte von dem Kadaver des Tigers entfernt, halbtot aufgehoben, die Hände noch fest um mein Gewehr geklammert.

Einen Monat kämpfte ich zwischen Leben und Tod. Als ich mein Lager wieder verlassen konnte, sah ich einen kleinen Tiger vor mir, den die Eingeborenen bei der Mutter gefunden hatten, während er ihr das Blut aus der Wunde saugte.«

»Und dein ›Schikari‹?« fragte Indri.

»Als ihn die Indier fanden, lebte er noch, trotzdem die Eingeweide aus dem Leibe heraushingen.

Er hatte noch die Kraft, zu fragen:

Bâg mahryaya? (Ist der Tiger tot?)‹

Dann schloß er die Augen, sank zusammen und stieß einen letzten Seufzer aus.

Der Unglückliche war gestorben.«

»Und der kleine Tiger?« fragte Dhundia.

Toby wollte eben antworten, als die Ziege meckerte, die an einer Baumwurzel des »Banian« angebunden war.

»Die ›Bâg‹!« rief der Jäger. »Ruhe!«

Auch Indri war bleich geworden.


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