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Fünfzehntes Kapitel.
Wertvolle Entdeckungen.

Als Bhandara und der Knabe dort ankamen, umstand die Menge schon das Bassin, oder vielmehr den kleinen See, denn es dehnte sich sehr weit aus.

Es war ganz aus Stein gebaut, rundum mit gewaltigen Stufen, ähnlich wie die der Pagoden, die bis zum Ganges hinabführen, dem heiligen Flusse der Indier.

Männer, Frauen und Kinder liefen aus allen Richtungen herbei und brachten Fruchtkörbe oder Milchkrüge mit, um den Inhalt der Gottheit zu opfern, bevor sie in jene geweihten Wasser tauchten.

Die Stufen waren schon besetzt. Zuerst von den brahmanischen Priestern, Leute, die ihr Leben mit so unsinnigen Handlungen verbringen, daß man sie nicht für möglich halten würde, wenn sie nicht von hundert Augenzeugen bewiesen wären.

Angesichts der Menge entkleiden sie sich, indem sie in der einen Hand ein blendend weißes Handtuch halten, dann baden sie sich die Füße, nehmen Wasser in die Handflächen, heben sie hoch und schlürfen das Wasser langsam aus, indem sie es teilweise vordem an den Handgelenken herunterlaufen lassen.

Das ist nur der erste Teil des »Achumans«, wie sie dieses Morgenbad nennen.

Nach einer kurzen Andacht, in der sie ein Gebet an Brahma murmeln, berühren sie mit der Rechten die Nase, die Lippen, die Ohren, Stirn, Schultern, Unterleib, wenden sich hierauf nach Osten, dann nach Norden und putzen sich die Zähne mit einem Stück weichen Holzes.

Diese Verrichtung, die für die Brahmanen äußerst wichtig ist, muß vor Sonnenaufgang erledigt werden, sonst ist die Gefahr vorhanden, daß sie, nach ihrem Glauben an die Seelenwanderung nach dem Tode, in den Körper eines unreinen Insekts fahren! –

Nachdem die Mundreinigung vollzogen ist, wuschen sich jene braven Priester, die voll der unglaublichsten Vorurteile stecken, die Schmutzflecken und Zeichen weg, die sie sich tags zuvor beigebracht hatten, als Abzeichen ihrer Kaste.

Hierauf schabten sie sich, wie es ihre Gebräuche vorschreiben, die Zunge, vorsichtig, damit sie nicht blutete, um für diesen Tag nicht unrein zu werden, und endlich badeten sie sich und legten sich dann unter den Schatten der Bäume. Hier warteten sie auf einen günstigen Moment, Blumen zu pflücken, eine andere sehr wichtige Zeremonie.

Nachdem die Brahmanen ihr Bad beendet hatten, warf sich das Volk in den kleinen See, begierig, in die Wasser des heiligen Ganges zu tauchen.

Da waren Männer, Frauen und Kinder, alle nackt, schwatzend, durcheinander.

Sie nahmen Wasser in ihre Handflächen, boten es unter lächerlichen Verrenkungen der Sonne an, die eben aufging, Licht und Wärme spendend; gossen große Gefäße schneeweiße Milch in den See und warfen Blumen und Früchte hinein, damit ihnen die schützenden Götter Indiens geneigt sein sollten. Wie ein Volk Enten plätscherte die Menge im Bassin herum.

Männer und Frauen badeten sich abwechselnd, spritzten sich mit Wasser, lachten, schrien, während eine Spielerbande auf den letzten Stufen saß und wütend Trommeln schlug und ihre Lungen anstrengte, um ihren Blasinstrumenten immer mehr Lärm zu entlocken.

Auch jenseits der Stufen, unter den Bäumen, wo Obst-, Zuckerwasser- und Betelverkäufer ihre Stände aufgeschlagen hatten, wo Gaukler die schwierigsten Übungen ausführten, war ein betäubender Kravall.

Man schrie, schwatzte, klatschte, während lange Menschenreihen die bereits gebadet hatten, die Stufen herauf kamen, mit leuchtenden Kupfergefäßen, worin sie heiliges Wasser trugen, was sie zu den Tageswaschungen brauchten.

Nachdem Bhandara und der Knabe gebadet hatten, umspähten sie die Stufen und beobachteten scharf die Leute rundum.

siehe Bildunterschrift

Es war nicht leicht, den Fakir mitten unter jener Menge zu finden.

Es war nicht leicht, den Fakir mitten unter jener Menge zu finden, trotzdem verzweifelte der »Kornak« nicht und setzte seine Nachforschungen unermüdlich fort.

Der Morgen war verstrichen und die Reihen der Badenden wurden lichter, als Bhandara vom Knaben lebhaft angestoßen wurde.

»Was willst du denn?« fragte dieser.

»Schau jenen Mann, der eben Betelblätter kauft und von einem Gaukler begleitet wird.

Kennst du ihn nicht wieder?«

Bhandara blickte nach der angedeuteten Richtung und machte eine Gebärde des Erstaunens und auch der Freude.

»Das ist der Riese, der den Schlangenbändiger begleitete, nicht wahr?«

»Ja, ›Sahib‹, der Mann, der ihn in die Hütte trug. Ich erkenne ihn an seinem roten und gelben Turban und dem silbergestickten Gürtel, den er um die Hüften trägt.«

»Das ist einmal ein unerwartetes Glück,« murmelte Bhandara. »Sehen wir, wo sich jener verwünschte Fakir versteckt hat.«

Der Riese rollte ein Betelblatt zusammen, steckte Betelnuß, etwas zerriebenen Kalkstein und Gewürz hinein, formte eine kleine Kugel daraus und nahm sie in den Mund.

Er kaute einige Sekunden daran, indem er roten Speichel zu Boden spie, nahm dann den Gaukler am Arm, ging zu einem Zelte, vor dem einige Tausendkünstler das Korbspiel aufführten, und setzte sich daneben nieder.

Bhandara war ihm gefolgt und tat so, als ob er als echter Brahmane einen günstigen Ort suche, um seine Morgengebete zu verrichten, ohne gestört zu werden.

Als er neben dem Zelte einen großen »Ruth« entdeckte, der viel Schatten bot und dicht hinter den beiden Indiern stand, setzte er sich auf den Boden und tat so, als ob er Gebete murmele. In Wirklichkeit aber lauschte er, um keine Silbe von dem Gespräche jener beiden Männer zu verlieren.

Um keinen Verdacht zu erregen, hatte er Sadras ein Zeichen gegeben, bei einer kleinen Banane in gewisser Entfernung stehen zu bleiben.

Das Gespräch jener beiden Gaukler mußte eben erst begonnen haben.

»Das hat keinen Zweck,« sagte der Riese zu seinem Gefährten. »Hier verlieren wir unsere Zeit unnütz.«

»Vielleicht ist jener Mensch wieder bei seinen Herren.«

Bhandara hatte den Kopf erhoben. Sein Instinkt sagte ihm, daß er teilweise den Stoff zu jenem Gespräche bilde.

Der Gefährte des Riesen antwortete nach einigen Minuten des Schweigens:

»Und doch ist er nicht wieder im ›Bengalow‹ des Radscha gewesen.«

»Hast du ihn schon einmal gesehen, Barwani?«

»Nein,« antwortete der Riese »Wenn ich ihn einmal gesehen hätte, würde ich ihn nicht wieder vergessen.«

»Also kennt ihn nur Sitama?«

»Er allein.«

»Wenn er hier wäre!«

»Er hat seinen Nerven zuviel zutrauen wollen. Sitama hat zwar harte Haut, aber du kannst dir denken, daß nach derartiger Folter auch ein Rhinozeros genug hätte.«

»Und doch hat er, trotz seiner furchtbaren Wunden, das Korbspiel vor den Jägern ausführen wollen.«

Abermals hob Bhandara den Kopf. Jetzt verstand er alles.

»Sie sprechen von Indri und dem englischen Jäger,« murmelte er. »Jener Sitama muß der Fakir sein.«

Barwani, der Riese, hatte das Gespräch wieder aufgenommen.

»Mir ist ein Zweifel gekommen.«

»Welcher?« fragte der Gaukler.

»Daß sie Sitama im Verdacht haben und daß sein Aufhängen seine Qualität als Fakir absolut nicht bestätigt hat.«

»Jener weiße Jäger muß ein durchtriebener Mensch sein, der auch uns zu schaffen macht.«

»Oder vielleicht der Favorit des ›Guicowar‹?«

»Sie werden gleich schlau sein,« antwortete Barwani.

»Und du vermutest, daß sie ihren Diener auf Sitamas Spuren gesetzt haben?«

»Auch Sitama ist dieser Ansicht.«

»Warum! – Ein einfacher ›Kornak‹!« – rief der Gaukler verächtlich. »Es ist nicht der Mann danach, daß er es mit uns aufnehmen könnte.«

»Du kannst nicht wissen, was unter der Haut jenes Menschen steckt.«

»Sie scheinen mich noch nicht recht zu kennen,« murmelte Bhandara, der keine Silbe jenes interessanten Gespräches verlor.

»Was wirst du tun?« fragte der Gaukler.

»Jetzt unsere Nachforschungen aufgeben und zu Sitama zurückkehren.«

»Wo ist er?«

»In der alten Wischnu-Pagode.«

»Ist er nochmals umgezogen?«

»Er fühlte sich in jener alten Baracke nicht sicher,« antwortete der Riese. »Sitama ist vorsichtig und hat recht, es zu sein.«

»Hat er irgend etwas Verdächtiges bemerkt?«

»Ich erfuhr, daß vor drei Stunden ein Knabe die Nachbarn gefragt hat, wer in jener Baracke wohne.«

»Ein Knabe!« rief der Gaukler.

»Ja, mein Freund, wir waren aber schon ausgezogen.«

»Wurde er erkannt?«

»Es war keiner von den Unsern dabei.«

»Wer kann ihn gesandt haben, Barwani?«

»Das weiß ich eben auch nicht.

»Ob es ein Bote des ›Kornak‹ war?«

»Ich bezweifle es.«

»Und doch muß ihn jemand gesandt haben und dieser ›jemand‹ könnte ein Freund der Jäger sein.«

»Du kannst vielleicht recht haben,« antwortete der Riese unruhig. »Deswegen bin ich auch froh, daß wir die Baracke schleunigst verlassen haben.«

Barwani hatte sich erhoben.

»Ich gehe,« sagte er. »Heute abend ist Zusammenkunft in der Pagode; alle werden erscheinen.«

»Gehst du zu Sitama?«

»Es ist nötig; heute morgen hatte er das Fieber.«

»Was soll ich tun?«

»Versuche, den ›Kornak‹ zu entdecken.«

»Die Merkmale, die mir Sitama gegeben hat, genügen nicht.«

»Geh zum ›Bengalow‹ und sieh nach, ob er bei seinen Herren in den Minen ist.«

»Leb wohl, heute abend auf Wiedersehen.«

Bhandara war schnell aufgestanden, um nicht entdeckt zu werden, obwohl er sicher war, nicht erkannt werden zu können von jenen Menschen, die ihn nie gesehen hatten.

Er hüllte sich in das »Doote«, ging dicht am Knaben vorbei und sagte schnell: »Zur alten Wischnu-Pagode.«

Sadras nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Er scheint zu wissen, wo sie ist,« murmelte Bhandara.

Er ging um das Zelt, wartete, bis der Riese vorbei war und folgte ihm dann in einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten.

Obwohl er mitten durch die Menge schritt, die den kleinen See umdrängte, war er sicher, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sein rot und gelber Turban war leicht über allen Köpfen zu sehen.

Barwani umschritt den See und bog dann in eine wenig belebte Straße, die nach dem südlichen Stadtviertel führte.

Bhandara wurde unruhig, als er ihn die belebten Straßen verlassen sah. Er wußte nicht, wo sich die alte Pagode befand, aber, nach der Richtung, die der Riese einschlug, vermutete er, daß sie jedenfalls an einem verlassenen Orte, vielleicht auch außerhalb der Stadtmauer stehen würde.

Wenn seine Vermutung richtig war, war es nicht leicht, Barwani zu folgen. Der Schurke, der schon gewarnt war, konnte leicht bemerken, daß er von jemand verfolgt wurde.

Er kannte zwar den »Kornak« nicht, trotzdem war es nicht klug, ihm durch fast leere Straßen zu folgen, ohne Gefahr, bemerkt zu werden. Und Bhandara lag viel daran, unerkannt zu bleiben, bis er den Fakir aufgespürt habe, um frei zu handeln.

»Vielleicht tat ich nicht recht daran, Sadras am Bassin zu lassen,« murmelte der treue »Kornak«. »Ein Kind erregt weniger Verdacht, ich hätte ihn jenem schleierhaften Schurken nachschicken sollen.«

Er dachte eben darüber nach, wie er die Verfolgung fortsetzen könnte, ohne daß ihn der Riese bemerke, als er an einer Straßenecke einer »Dhummi« begegnete.

Das sind plumpe, zweirädrige, schwere Wagen, die für Landreisen benutzt werden.

Sie haben ein gewölbtes Blätterdach, was vorzüglich gegen die sengenden Sonnenstrahlen schützt und werden von zwei großen weißen Zebu, einer Ochsenart mit starkem Höker und langen, gebogenen Hörnern, gezogen.

Ein derartiger, schwerer Wagen stand an der Straßenecke, während sein Kutscher, ein junger Indier, rittlings auf der Deichsel saß und Betel kaute.

»Bist du frei?« fragte Bhandara, indem er sich dem jungen Manne schnell näherte.

»Ja, ›Sahib‹« antwortete er.

»Ich gebe dir eine Rupie, wenn du mich zur alten Pagode fährst.«

»Zu welcher, ›Sahib‹? Es gibt verschiedene außerhalb der Stadt.«

»Siehst du jenen Mann mit dem roten und gelben Turban?«

»Jawohl.«

»Folge ihm, dann wirst du mich zur alten Pagode bringen, die ich zu besichtigen wünsche.«

»Dein Wunsch wird erfüllt,« sagte der Kutscher, der kaum glauben konnte, so leicht eine Rupie zu verdienen.

Bhandara sprang gewandt unter das Blätterdach, was ihn vollständig versteckte, und der junge Mann hieb grausam auf die beiden Tiere ein, damit sie schnell laufen sollten.

Barwani konnte nichts bemerkt haben, da noch Leute auf der Straße waren. Er lief sehr rasch, ohne sich umzusehen.

Jetzt war Bhandara überzeugt, daß er über die Stadtmauern hinausging, denn sie waren bereits an den alten Festungen, und er machte keine Miene, nach rechts oder links abzubiegen.

»Ich hatte eine gute Idee, diesen Wagen zu mieten,« murmelte der »Kornak«. »Dieses Gefährt kann jenen Gauner auf keinen Verdacht bringen, denn es ist ganz natürlich, daß man diese unbequemen Maschinen auf dem Lande antrifft.«

Barwani erreichte eben ein Bollwerk, wo sich ein Durchgang befand. Er schritt hindurch und verschwand in einem »Bajac«-Felde, eine Art Hirse, die auf jenen weiten Hochebenen vorzüglich wächst.

»›Sahib‹,« sagte der Kutscher, indem er sich nach Bhandara umwandte. »Dein Gefährte wird zur alten Wischnu-Pagode gehen.«

»Ist sie weit?« fragte der »Kornak«.

»In einer halben Stunde werden wir da sein. Siehst du dort unten, hinter jenen Bäumen, die hohe Kuppel mit der vergoldeten Lanze?«

»Ja.«

»Das ist sie.«

»Kennst du sie?«

»Ich bin öfter darin gewesen.«

»Ist sie bewohnt?«

»Nein, denn ihre Mauern sind schon lange nicht mehr fest.«

»Ist sie geräumig?«

»Riesig groß, ›Sahib‹.«

»Steht sie vielleicht auf dem Diamantgebiet?«

»Ja, ›Sahib‹, aber nicht auf jenem, was von dem schrecklichen ›Menschenfresser‹ heimgesucht wird. Es ist der einzige Teil, wo man noch nach Diamanten gräbt.«

»Hast du nie erzählen hören, daß sich nachts in jener Pagode Menschen versammeln?«

»Ich weiß es nicht, ›Sahib‹,« antwortete der Kutscher. »Ich würde es jedoch nicht wagen, eine Nacht zwischen jenen Ruinen zu verbringen.«

»Warum?«

»Man sagt, daß sich schlechtes Gesindel dort aufhält.«

»Ah! … So!« … rief der »Kornak« lachend. »Es ist recht, daß du mir das sagst, so werde ich die Pagode nur am Tage besichtigen.«

Er schaute unter dem Blätterdach hervor und sah Barwani schneller durch die Felder laufen, indem er sich öfter umschaute.

Auch der Wagen kam rasch von der Stelle. Der Kutscher schlug fortwährend mit einem langen Stocke, dessen Spitze mit einem scharfen Nagel versehen war, auf die beiden armen Tiere ein.

Die bebauten Felder verschwanden und die Diamantgebiete tauchten auf. Überall lagen Steinhaufen, überall war der Boden von früheren Schächten zerwühlt.

Hie und da sah man vereinzelte Hütten und weite, überdeckte Plätze, wo zahlreiche Menschen arbeiteten, während Staubwolken aus den Gruben drangen.

Es war das Diamantfeld bei voller Arbeit.

»›Sahib‹,« sagte der Kutscher, »die Pagode steht hinter jenem ›Mhowah‹-Walde, aber mein Wagen kann bis dorthin nicht fahren, da der Boden zu unsicher ist.«

»Du kannst zur Stadt zurückkehren,« antwortete Bhandara, indem er die versprochene Rupie zahlte. »Ich brauche dich nicht mehr.«

Er sprang heraus, wartete, bis sich der Wagen entfernt hatte und schritt zum Wald, indem er sich hinter den Erd- und Steinhaufen versteckte.

Barwani war schon hinter den Bäumen verschwunden. Der »Kornak« kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er wußte, wo er hinging und das war das Wichtigste.

»Das Versteck jenes verwünschten Fakirs ist entdeckt, das andere ergibt sich von selbst,« murmelte er. »Ich kenne die Pagode nicht, weiß auch nicht, wo jene geheimnisvollen Feinde Indris zusammentreffen, ich werde aber alles erfahren, was ich zu wissen wünsche.

Da steckt Parvati dahinter, ich bin sicher, daß ich mich nicht täusche.«

So vor sich hinsprechend, erreichte er den Waldflecken, der aus riesigen »Mhowah« und Nadelbäumen bestand. Er blieb einen Augenblick stehen, um sich zu überzeugen, ob man ihm nicht nachspüre, dann drang er in den Wald.

Leicht konnte er den Spuren des Riesen folgen, die deutlich auf dem feuchten Boden abgedrückt waren, und war so sicher, den Weg nicht zu verfehlen.

Nach zehn Minuten erreichte er eine kleine Lichtung, die von Nadelbäumen, riesigen Bambus, Platanen und kleinen »Tek« umstanden waren. In deren Mitte, vor einem Weiher, erhob sich eine gewaltige, teilweise verfallene Pagode, die jener von Tanger, eine der größten und schönsten Indiens, etwas ähnelte.

Wie diese, war sie pyramidenförmig aufgebaut und über vierzig Meter hoch. Sie lief in eine Menge weißer Marmor- und Porphyrkuppeln aus, deren Farbe der Bronze nahe kam.

Ungeheure Kolonnaden mit Skulpturen, die Dämonen, Elefantenköpfe und Schutzgeister darstellten, umgaben sie und stützten noch ungeheuerlichere Kapitäle, ebenfalls mit Statuen und Tieren überladen, die hauptsächlich Kühe vorstellten, denn diese Tiere sind bei den Indiern heilig.

Vorn, auf der letzten Stufe, erhob sich eine scheußliche Statue Holicas, ein weiblicher Dämon, der nach der indischen Legende Unruhe und Schrecken im »Meru«, dem brahmanischen Paradiese, stiftete, indem er alle indischen Gottheiten in Ketten legte, um 24 Lobestitel und das Recht zu erhalten, wie Brahma, Siwa und Wischnu jedes Jahr festlich begangen zu werden.

Trümmerberge umgaben die Pagode, wahrscheinlich Überreste einer gewaltigen Mauer, die in früheren Zeiten jedenfalls das Gebäude umgab. Trotzdem waren die Wände selbst, obwohl sie breite Risse hatten, noch in gutem Zustande.

Bhandara, der sich hinter einem dicken Baumstamme versteckt hatte, beobachtete einige Minuten die Umgebung, dann trat er, mit seiner Untersuchung zufrieden, wieder in den Wald.

»Das Versteck ist entdeckt; heute abend werde ich mehr verrichten. Sehen wir nach, ob Sadras angekommen ist.«

Er schlich vorsichtig vorwärts, da er nicht wußte, ob jener Wald verlassen war und blieb an einem Gebüsch stehen, von wo aus man das Diamantgebiet überschauen konnte.

Nach einigen Minuten entdeckte er eine kleine menschliche Gestalt, die sich vorsichtig hinter den Stein- und Erdhaufen anschlich.

»Das ist Sadras,« murmelte er. »Der Junge ist klug; durchtriebener, als ich glaubte. Er wird mir vorzügliche Dienste leisten.«

Auch Sadras hatte ihn bemerkt, denn er lief schneller, indem er immer Deckung suchte.

»›Sahib‹,« sagte er, als er näher kam, »du hast mir das Suchen nicht leicht gemacht, ich bin froh, dich endlich gefunden zu haben.«

»Du wußtest also, wo die Pagode stand?«

»Ja, denn voriges Jahr nahm ich an Holicas Fest teil.«

»Kennst du auch das Innere?«

»Ein wenig.«

»Priester sind nicht mehr darin?«

»Nein ›Sahib‹.«

»Höre mir jetzt aufmerksam zu.«

»Ich bin ganz Ohr,« antwortete der Knabe.

»Hast du vom ›Menschenfresser‹ sprechen hören?«

»Jener, der die Minenarbeiter des Radscha zerriß?«

»Ja, Sadras. Kennst du das Gebiet, was er verheerte?«

»Die westlichen Minen, welche die wichtigsten sind.«

»Meine Freunde sind gestern aufgebrochen, um den ›Menschenfresser‹ zu erlegen.«

»Diese Helden! …«

»Einer ist ein Engländer, die andern beiden sind Indier. Wenn ich dir auftragen würde, sie zu suchen, würdest du hingehen?«

Der Knabe zögerte etwas mit der Antwort.

»Wird mich die ›Bâg‹ nicht fressen?« fragte er dann.

»Meine Freunde werden sie schon getötet haben, denn es sind die berühmtesten Jäger Indiens.«

»Dann werde ich sie ohne Furcht aufsuchen.«

»Höre weiter,« sagte Bhandara.

»Sprich, ›Sahib‹.«

»Ich werde heute abend in die Pagode gehen, denn ich möchte ein Geheimnis entschleiern, was du nicht zu wissen brauchst.«

»Zwei Stunden erwartest du mich hier, sollte ich dann noch nicht kommen, gehst du nach Pannah zurück, mietest ein Pferd und überbringst meinen Freunden das Billet, was ich dir jetzt schreiben werde.«

»Und du, ›Sahib‹?«

»Kehre ich nicht zurück, so bedeutet das, daß sie mich getötet haben.«

»›Sahib‹!« rief der Knabe schaudernd. »Warum sagst du das?«

Ohne zu antworten, zog der »Kornak« ein kleines Buch aus einer Innentasche, riß eine Seite heraus, schrieb mit Bleistift einige Zeilen darauf, reichte sie dem Knaben und gab ihm noch 20 Rupien.

»Dieses Geld wirst du brauchen, um ein Pferd zu mieten und die Kosten zu bestreiten, die dir möglicherweise entstehen können.«

»Das Billet gibst du nur in die Hände des weißen Mannes, der Toby heißt. Versprichst du mir das?«

»Ich schwöre dir's ›Sahib‹.«

»Jetzt können wir uns die Diamantminen ansehen. Wir haben Zeit bis heute abend.«

Bhandara und der Knabe verließen den Wald und begaben sich in ein von Spalten und Schächten zerwühltes Gebiet.

Die Mine war ganz in der Nähe, so daß sie sie bald erreichten.

Als Brahmane konnte Bhandara ungestört die von den Radscha-Soldaten bewachte Zone überschreiten, die dort standen, um den Diebstahl dieser kostbaren Diamanten zu verhindern.

Obwohl man in Pannah die religiösen Feste feierte, arbeitete man fieberhaft in den Minen.

Sie bestanden aus einer Reihe etwa fünfzehn Meter breiter und zehn bis zwölf Meter tiefer Schächte, zu denen Stufen führten, die ebenfalls von Wächtern überwacht wurden und aus einigen Schuppen, wo man das Gestein und die Erde wusch, um die Diamanten zu gewinnen, die sich darin befanden. Um die Schächte herum arbeiteten Schröpfwerke, die von Ochsen gedreht wurden, ohne daß es ihnen jedoch möglich war, den wasserreichen Boden völlig trocken zu legen.

Einige Hundert Indier, hauptsächlich Sträflinge, wateten, vollständig nackt, in jenem schlammigen Sumpfe und arbeiteten mit ihren Spaten und Hacken, während andere große Körbe mit dieser Erde füllten und keuchend unter die Schuppen trugen.

Dieses Gemisch von Kieselsteinen, Quarz und Gangsteinen, was zuweilen wunderbare Diamanten enthält, wurde erst gewaschen und dann mittelst Steintrogsystem gesondert.

Der Rest wurde auf große Steintische ausgebreitet, von Kundigen genau untersucht und nach wiederholter Durchsicht weggeworfen.

Die gewonnenen Diamanten wurden sofort den Wächtern übergeben, die sie in eiserne Schubläden einschlossen.

Das Durchsieben des diamanthaltigen Gangsteines erfordert erfahrene Arbeiter, denn es ist nicht leicht, beim ersten Blicke unter Kiesel, Quarz, Jaspis und Hornstein, die ebenfalls ähnlichen Glanz haben, den ungeschliffenen Diamanten zu erkennen.

Bhandara, der immer von einem Arbeiter begleitet wurde, der jede seiner Bewegungen genau überwachte und ihn von den Arbeitern, die die Schächte heraufstiegen, fernzuhalten versuchte, opferte einen großen Teil des Tages, bis der Abend kam, um zur Pagode zurückzukehren.

Gegen sieben Uhr, als die Sonne schnell sank, ging er mit Sadras zum Wald zurück. Der Knabe hatte vor den Minen auf ihn gewartet.

»Gehen wir,« sagte er zu Sadras. »Es ist jetzt der rechte Moment, zu handeln.«

Eben wollte er aufbrechen, als er in der Ferne »Catuben« schallen und Trommeln rühren hörte.

Er blickte nach der Stadt und gewahrte zahlreiche Fackeln, die durch die Felder näher kamen.

»Eine Prozession?« fragte er den Knaben.

»Ob sie das Holicafest feiern wollen?« fragte sich Sadras, statt zu antworten.

»Sie werden meine Nachforschungen erschweren,« murmelte Bhandara stirnrunzelnd. »Hoffentlich sind es wenigstens nicht die Gaukler und Schlangenbändiger?«

»Komm, Sadras; erwarten wir sie im Walde. Dann werden wir sehen, was zu tun ist.«

»Soll ich ihnen folgen, wenn sie in die Pagode gehen?« fragte Sadras.

»Nein, du erwartest mich hier, komme ich bis Mitternacht nicht zurück, so tust du das, was ich dir gesagt habe.«

»Ja, ›Sahib‹.«


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