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Vierzehntes Kapitel.
Die Jagd des »Kormak«.

Während Indri und Toby die beiden blutdürstigen Raubtiere jagten, suchte der »Kornak« Bhandara mit einer Hartnäckigkeit und Ausdauer, die selbst der beste englische Polizeibeamte beneidet hätte, die Spuren des durchtriebenen Fakirs.

Der Indier hatte früher, wie viele andere Elefantenführer, der äußerst zahlreichen Kaste der Diebe angehört, einer Kaste, die vor den Augen der Indier der riesigen hindostanischen Halbinsel gar nichts Unehrenhaftes hat.

Für diese bildet sie gerade so gut eine Kaste, wie die der Tischler, Goldarbeiter, Fischer usw. und jeder, der ihr angehört, kann, ohne sich zu schämen, sogar mit einem gewissen Stolze sagen, daß sein Handwerk der Diebesberuf ist.

Darin liegt nichts Unrechtes, es ist eine den andern gleichberechtigte Kaste, regelrecht gebildet und auch von den andern anerkannt.

Damit ist nicht etwa gesagt, daß man in Indien nach Belieben stehlen könnte, ohne daran verhindert zu werden. Im Gegenteil, jeder, der dabei ertappt wird, erhält eine Strafe, denn das ist die Pflicht des Radscha.

Nur wird der Dieb wegen seines Diebstahls, wenn er sich nicht erwischen läßt, nicht wie verächtliches Gesindel behandelt, sondern wie jeder andere Mensch, der seine Kunst gewandt ausgeführt hat.

Bhandara, der jener Kaste angehört hatte, die unter den Badhak, den Sonoria von Pendjab und Aoude, unter den Molongen Bengaliens, den Ramosi von Bombay, den Karachavandlon von Dekkan und den Korwak van Malabar so verbreitet ist, war vielleicht der einzige Mensch, der es mit dem Fakir aufnehmen konnte.

Durchtrieben, klug, scharfer Beobachter, gewandt wie eine Schlange und mutig wie wenige Indier, konnte er einige Aussicht haben, jenen gefährlichen Gauner aufzuspüren, der sich so gut mit Dhundia verstand.

Kaum hatte er den »Bengalow« verlassen, ging er nicht sofort zur Pagode, sondern drängte sich zum Bazar vor, um sich zu verkleiden und einen Helfershelfer zu suchen, was nicht schwer war, in einem Lande, wo Diener nach Tausenden zählen, die nur zu essen verlangen und sich dafür zu jedem Dienste hergeben.

Bhandara verlor nicht viel Zeit. Er trat in einen Laden, der einer alten Indierin gehörte, und kam nach einer Viertelstunde, als brigibasischer Brahmane verkleidet, wieder hervor.

Die Verkleidung war vorzüglich. Diese Brahmanenkaste trägt reiche »Dubgad«, breite Turbane, die fast bis zur Hälfte des Gesichts herunterreichen, weiße Muschelhalsbänder und zahlreiche Ringe an den Fingern, Armen und Fußknöcheln.

Um die Täuschung zu vervollkommnen, hatte sich Bhandara mit einer gelben Schärpe versehen, ein Abzeichen jener Brahmanen, das man immer feucht halten muß, um sich Kopf und Schultern damit zu erfrischen.

Zufrieden mit jener Verkleidung, die ein imponierendes Aussehen verlieh, begab sich der frühere Dieb schleunigst zu einer Diener-Agentur. Nachdem er sich verschiedene Leute wiederholt angesehen hatte, blieb sein Blick auf einem dreizehnjährigen Knaben haften, der durchtrieben aussah und für sein Alter sehr kräftig war.

»Den werde ich brauchen können,« murmelte der »Kornak«, nachdem er ihn gemustert hatte. »Er fällt weniger auf als ein Mann und wird genügen.«

»Wie heißt du?« fragte er dann.

»Sadras,« antwortete der Knabe prompt.

»Hast du Eltern?«

»Nein, ›Sahib‹, sie sind an der Cholera gestorben.«

»Ich gebe dir zu essen und zwei Rupien, wenn du mir treu dienen wirst, dann werden wir sehen.«

Zwei Rupien! Ein wahrer Schatz für jenes Kind, das noch nicht einmal eine gesehen hatte.

Der »Kornak« ließ ihn anständig kleiden, zahlte dem Agenten eine Rupie und nahm den Knaben mit.

»Und jetzt,« sagte er, »gehen wir zur Pagode. Der Fakir müßte ein Tausendkünstler sein, wenn er mich wiedererkennen würde. Ein ›Kornak‹ kann kein Brahmane werden.«

Als er die Pagode erreichte, immer vom Knaben gefolgt, drängte sich noch eine gewaltige Menge nach dem Orte, wo die Patienten saßen, die die furchtbare Querstangenfolter überstanden hatten.

Nicht ohne Mühe brach er sich Bahn, indem er den Knaben immer an der Hand hielt, damit er sich nicht verlöre und erreichte die Treppe, auf deren letzten Stufe die Gottheit stand.

Mit einem Blicke merkte er, daß der Fakir verschwunden war.

»Ob er Verdacht geschöpft hat, daß er verfolgt wird?« fragte, sich Bhandara, indem er die Stirn runzelte. »Jener Mann muß durchtriebener sein, als ich glaubte.

Wohin wird er gegangen sein? Er muß eine außergewöhnliche Konstitution haben, um mit derart zerfetzten Schultern nach Hause zu gehen. Wohlan, ich werde ihn wiederfinden.«

Er versuchte, seine Nachbarn auszufragen, aber ohne Erfolg. Keiner hatte ihn fortgehen sehen, da die Aufmerksamkeit aller auf die Kinderfolter gerichtet war.

Bhandara fragte nicht weiter. Er war zu klug, um sich dadurch zu verraten.

Denn unter jener Menge konnte ein Gefährte des Fakirs sein, dann wäre sein Unternehmen doppelt schwierig gewesen.

Er verließ die Pagode und begab sich zum »Bazar«, gerade in dem Augenblick, in dem der gewandte Gauner, nachdem er sich verkleidet hatte, fortging, um das Korbspiel unter den Fenstern des »Bengalow« vorzuführen.

Anfangs hatte Bhandara kein Glück, aber er war nicht der Mann danach, sich entmutigen zu lassen. Er fühlte sich stark genug, um auch in jenem schwierigen Unternehmen zu siegen.

Trotzdem verging der Tag, ohne daß es ihm gelungen wäre, irgendwo die Spuren des schlauen Fakirs zu finden.

»Der muß sehr gewandt sein, sich nicht überraschen zu lassen,« murmelte Bhandara, als der Abend kam. »Gehen wir zum ›Bengalow‹ und setzen wir morgen unsere Jagd fort.«

Als er die Tür des kleinen Palastes erreichte und nach Indri fragte, war er sehr überrascht, vom Hofmeister zu hören, der ihn nicht erkannt hatte, daß die Jäger schon nach den Minen aufgebrochen wären.

»Es ist besser, wenn ich mich nicht zu erkennen gebe,« sagte sich der »Kornak«. »Da sie nichts von meiner Verwandlung gemerkt haben, lassen wir sie in der Täuschung und übernachten wo anders.

Vielleicht habe ich da mehr Glück.

Wenn mein Herr ohne mich aufgebrochen ist, so bedeutet das, daß er mich nicht braucht und vorzieht, mich auf der Jagd nach dem Fakir zu lassen.«

Er wandte sich nach dem Knaben und fragte ihn, ob er ein Gasthaus ersten Ranges kenne, um dort zu übernachten.

»Neben dem ›Bazar‹ ist eins,« antwortete Sadras. »Es wird von feinen Leuten besucht.«

»Führe mich hin,« sagte Bhandara.

Eben wollten sie dem »Bengalow« den Rücken kehren, als die Blicke des »Kornak« auf einigen Fußspuren haften blieben, die im Staube der Straße eingedrückt waren.

»Leute sind vor dem ›Bengalow‹ stehen geblieben,« murmelte er. »Da! – was ist das für eine viereckige Form, die ich dort vor der Tür sehe? Ob Gaukler hier waren?«

Wir haben schon gesagt, daß die Indier eine unglaubliche Gewandtheit im Fährtensuchen besitzen. Irgend ein kleines Merkmal, was allen entgehen würde, führt sie oft zu Entdeckungen von unschätzbarem Werte.

Bhandara, der im Spurensuchen vielleicht nicht seinesgleichen hatte, bemerkte sofort die vom Fakir und dessen Gefährten zurückgelassenen Spuren, sowie auch den Korbabdruck.

Er schaute sich um, ob ihn niemand beobachtete, bückte sich und untersuchte sie sorgfältig. – Ein kaum eingetrockneter Blutstropfen, den er am Treppenrande sah, machte ihn stutzig.

Ein Gedanke durchschoß ihn.

»Ob dieses Blut vom zerfetzten Rücken des Fakirs stammt?« fragte er sich. »Ich muß wissen, ob Leute hergekommen sind, um Spiele aufzuführen. Diese viereckige Fährte und jene runde da, die von einer Trommel herzurühren scheint, müssen eine Bedeutung haben, denn heute Morgen waren sie sicher noch nicht da.«

Er erstieg die Treppen des »Bengalow« wieder und schlug abermals an die Metallplatte, die an der Tür angebracht war.

Der Haushofmeister erschien wieder, und als er den Brahmanen sah, verbeugte er sich tief.

»Ich wünsche noch eine Auskunft,« sagte Bhandara, indem er ihm ein Trinkgeld zusteckte. »Wann ist der englische Jäger aufgebrochen?«

»Am Nachmittag, ›Sahib‹.«

»Hat er nicht gesagt, wann er zurückkehrt?«

»Nein, aber ich glaube, daß er die Nacht über in den Minen bleiben wird, denn er hat einen Wagen und ›Schikari‹ mitgenommen.«

»Hat tagsüber niemand nach ihm gefragt?«

»Niemand, ›Sahib‹.«

»Und doch sah ich zahlreiche Spuren vor dem Palaste.«

»Einige Gaukler kamen und führten das Korbspiel vor,« antwortete der Haushofmeister.

Bhandara wußte genug. Er tat, als wenn er diesem Berichte keinerlei Wichtigkeit beimesse, gab abermals ein Trinkgeld und stieg mit der, den Brahmanen eigenen Würde, die Stufen wieder hinab.

»Ich möchte wissen, wer jene Gaukler sind,« murmelte er, indem er ging. »Jener Blutfleck ist mir verdächtig, oder es müßte sich einer jener Leute eine Wunde beigebracht haben, indem sie mit den Messern den Korb zerstachen.

Jedenfalls werde ich die Spur nicht aufgeben, bis Licht in diese Sache kommt.«

Einmal die Spur entdeckt, war Bhandara sicher, sie nicht zu verlieren, auch durch jene staubigen Stadtstraßen nicht, wo tausend andere hindurchliefen.

Nach fünfzehn Schritten entdeckte er einen zweiten Bluttropfen, etwas größer als der erste, auch kaum eingetrocknet, ein Stück weiter hin, einen dritten.

»Wenn ich noch mehr finden könnte, würde ich sicher erfahren, wer jene Gaukler waren,« murmelte der »Kornak«. »Geben wir die Hoffnung nicht auf.«

Langsam schritt er weiter, die Blicke immer scharf zu Boden gerichtet, bis er endlich den Bazar erreichte. Dort aber, auf jenem, von Tausenden und aber Tausend Füßen zerstampften Boden, waren die Spuren so verwirrt, daß sie auch den geschicktesten Dieb oder tüchtigsten Polizisten irreführen mußten.

Umsonst schritt Bhandara nach rechts, nach links und untersuchte den Staub, der den Boden bedeckte. Die Blutflecken waren verschwunden.

»Wieder eine Partie verloren,« sagte er schlecht gelaunt. »Jedoch bin ich überzeugt, daß der Fakir Pannah nicht verlassen hat.«

Er wandte sich zum Knaben, der ihm immer gefolgt war, ohne ihn nach dem Grunde seiner hartnäckigen Nachforschungen zu fragen.

»Findet morgen irgend eine religiöse Zeremonie statt?«

»Ja, ›Sahib‹,« antwortete Sadras. »Das heilige Bad ist morgen, in dem eigens vom Radscha dazu erbauten Bassin, was mit Gangeswasser gefüllt ist.«

»Du wirst mich hinführen, auch ich muß mein Bad nehmen. Jetzt gehen wir ins Gasthaus.«

Eben wollten sie den »Bazar« durchschreiten, der sich noch voll Menschen befand, obwohl die Nacht schon seit Stunden hereingebrochen war, als ihre Aufmerksamkeit von einem betäubenden Lärme gefesselt wurde, der von einer gegenüberliegenden Ecke des großen Platzes herkam.

Trommeln wurden geschlagen, Trompeten und Flöten geblasen, buntfarbige Fahnen, mit Fackeln erleuchtet, kamen näher.

»Eine nächtliche Prozession?« fragte Bhandara den Knaben.

»Die ›Sâpwallah‹ feiern ihr Fest,« antwortete dieser.

»Schauen wir zu, Junge. Uns bleibt noch genug Zeit zum Ausruhen.« Dann murmelte er:

»Der Fakir ist auch Schlangenbändiger und nimmt vielleicht am Umzug teil.

Jener Teufelskerl ist fähig, noch auf den Füßen zu sein, trotz der überstandenen Folter.«

Die Prozession kam mit wachsendem Lärme näher. Voran vier prunkvoll gekleidete Männer, die keuchend eine ungeheure Trommel trugen, die mit Pfauenfedern und bunten Pferdeschwänzen geschmückt war.

Es war das »Hauk«, die heilige Trommel, die man nur bei religiösen Feierlichkeiten spielen darf, wofür man eine vom Stadtsemidar festgesetzte Summe zu zahlen hat.

Dann kamen vierzig Musikanten mit »Khole«, Trommeln aus gebrannter Tonerde, mit zwei Öffnungen, die mit Fell überspannt sind, Tamtam, die einen ohrenzerreißenden Lärm hervorbrachten, »Djhogo«, und Trommeln von besonderem Klang und Trompeten und Flöten.

Neben ihnen liefen fast nackte Indier mit Fackeln, die ein helles, flackerndes Licht verbreiteten.

Hinter diesen schritten etwa fünf Dutzend halbnackte Schlangenbändiger, mit buntem Flitter bedeckt, die, ohne sich einer Gefahr auszusetzen, mit den gefährlichen »Cobra«, »Gulabi«, Boa und anderen, nicht weniger giftigen Schlangen spielten, die sie tagsüber in den Wäldern der Hochebene gefangen hatten.

Zahlreiche Indier trugen Gefäße mit Milch, um sie den Schlangen hinzuhalten. Auch aus den nächsten Häusern, aus den Läden und dem »Bazar« eilten Leute mit Gefäßen herbei.

Als der Zug in der Mitte des Platzes ankam, bildete er einen gewaltigen Kreis, indem er die »Sâpwallah« mit ihren Schlangen darin einschloß.

Die Fackeln wurden so aufgestellt, daß man von jeder Seite jenen Raum überblicken konnte.

Nachdem die Milchgefäße zur Erde gestellt worden waren, beteten die Schlangenbändiger zu ihrem Gott »Crisna«, dem Töter der furchtbaren Riesenschlange Bindrahand, die nach der indischen Sage die Ufer der Djumna verwüstete, und ließen die Reptilien frei, die sich gierig sofort auf die Milch stürzten.

Diese Szene war seltsam und wild. Alle jene Schlangen, die sich am Boden schlängelten und zischend zusammenrollten, sich bissen, um einander die Milch streitig zu machen, und alle jene fast nackten Schlangenbändiger mit ihrem glitzernden Flitter, ihren langen Bärten und den im Fackellichte leuchtenden Turbans boten ein unvergeßliches Bild.

Bhandara, der schon verschiedenen »Naga pantschami« beigewohnt hatte, wie jene Schlangenfeste heißen, achtete gar nicht auf dieses Schauspiel.

Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf die Schlangenbändiger, denn er war fast sicher, den Fakir unter ihnen zu entdecken.

Plötzlich entfuhr ihm ein Ausruf.

Mitten unter den »Sâpwallah« hatte er einen Indier bemerkt, der nicht nackt war, wie seine Gefährten, sondern auf dem Rücken ein weites, gelbes »Doote« trug.

»Wenn jener Mensch seinen Rücken verdeckt, muß er einen Grund dafür haben,« murmelte Bhandara. Die Schlangenbändiger tragen sonst, während ihrer Zeremonien, niemals Gewänder.

Indem er den Knaben immer an der Hand führte, ging er um den Kreis herum, um jenem Menschen näher zu kommen, der seiner Ansicht nach dem Fakir sehr ähnlich sah.

Als er dort war, wo er ihn besser beobachten konnte, unterdrückte er mit Mühe einen Freudenschrei.

»Mein Mann!« rief er. »Ich werde nicht mehr von ihm ablassen und müßte ich ihm durch ganz Indien folgen.«

Der Fakir hatte sich nochmals verwandelt, indem er sich das Gesicht schwarz malte, mit weißlichen Linien durchzog und einen langen Bart anklebte. Trotzdem war er dem forschenden Blicke Bhandaras nicht entgangen.

»Ja, er ist's,« murmelte der »Kornak«. »Derselbe Mann, den wir auf der Hochebene trafen und der sich heute morgen an die Querstange hängen ließ.

Wenn ich ihm das ›Doote‹ wegziehen würde, könnte ich das Pflaster sehen, was seine Wunde bedeckt.

Endlich werden wir erfahren, wer er ist und warum er uns so hartnäckig verfolgt hat.«

Er steckte die Hand unter sein weites Gewand und fühlte nach, ob er den Dolch und den Revolver noch hatte, den ihm Indri gegeben hatte, bevor er den »Bengalow« verließ.

Geduldig wartete er das Ende des Festes ab, bis man die Schlangen, die so viel Milch gesoffen hatten, daß sie fast platzten, in ihre Körbe einschloß und folgte dem Zuge, der sich nach dem südlichen Stadtviertel richtete.

Den Fakir verlor er nicht aus den Augen, entschlossen, ihm überallhin zu folgen.

Als der Zug einen anderen Platz erreichte, zerstreute er sich langsam. Zuerst bogen der Fakir und ein riesig großer Indier ab, der einen Korb trug, worin wahrscheinlich Schlangen waren.

Jene beiden Männer betraten sofort einen engen Seitenweg, der durch ärmliche Hütten führte.

Bhandara, der ihnen folgte, sah plötzlich den Fakir wanken und in die Arme seines Gefährten fallen.

»Er hat sich zuviel zugetraut,« sagte der »Kornak«. »Unmöglich konnte er sich mit jenen furchtbaren Wunden, die er auf dem Rücken hat, noch länger auf den Füßen halten.

Ein Teufelskerl! Er muß von Stahl sein.«

Da er sich nicht sehen lassen wollte, war er hinter einer Hütte stehen geblieben, indem er den Knaben hinter sich versteckte.

Der Riese hatte sich den Korb auf den Rücken gehängt und den Fakir auf die Arme genommen. Er schien ohnmächtig geworden zu sein.

Bhandara sah, wie er sich schnell entfernte und dann plötzlich an einem erbärmlichen Hause Halt machte, dessen Wände aus getrocknetem Schlamm bestanden und mit einem Strohdach überdeckt waren.

Die Tür öffnete sich sofort und beide verschwanden. Ein Licht, das vordem an einem Fenster leuchtete, erlosch.

»Also das ist ihr Haus,« sagte Bhandara befriedigt.« Ich habe meine Zeit nicht unnütz verloren.«

Er drehte sich nach Sadras um, der zu gähnen anfing.

»Weißt du, wer in jener Hütte wohnt?« fragte er.

»Nein, ›Sahib‹.«

»Würdest du es morgen erfahren können? Du bist intelligent und schlau.«

»Ich werde dir's sagen, ›Sahib‹.«

»Du mußt vorsichtig zu Werke gehen, denn ich wünsche nicht, daß seine Bewohner erfahren, daß sich jemand für sie interessiert.«

»Ich werde vorsichtig sein, wie eine › Cobra capelo‹.«

»Gehen wir schlafen.«

Sie kehrten zu dem Platze vor dem »Bazar« zurück und traten in ein schönes Gasthaus.

Bhandara ließ sich ein kräftiges Abendessen auftragen und sich dann eine Kammer anweisen.

Nach fünf Minuten schlief er wie ein Murmeltier.

Als er kurz vor Sonnenaufgang erwachte, war Sadras nicht mehr auf seinem Lager.

»Der Junge ist flink und gehorsam,« sagte er, indem er nach dem leeren Bett schaute. »Ich werde sicher etwas Neues über die Gefährten des Fakirs erfahren.

Erst frühstücke ich, später nehme ich dann als guter Brahmane ein Bad. Eine innere Stimme sagt mir, daß ich auch dort jenen Gauner wiederfinden werde.«

Er ließ sich einen Teller »Carri« mit Fisch und Bananen bringen und ging dann in der Absicht weg, den »Bengalow« aufzusuchen, obwohl er wenig Hoffnung hatte, die Jäger dort wiederzufinden.

Kaum war er fünfzig Schritte gelaufen, als er den Knaben keuchend ankommen sah.

»Sahib,« sagte er, »jene Männer sind ausgezogen, das Haus ist leer.«

Bhandara war überrascht.

»Bist du dessen sicher?« fragte er.

»Ich erfuhr es von einer Person, die ich kenne und die in jenem Viertel wohnt.«

»Gehörte jene Hütte nicht den beiden ›Sâpwallah‹?«

»Sie hatten sie nur für zwei Tage gemietet, außerdem waren es keine echten Schlangenbändiger.«

»Was waren es denn?«

»Gaukler, die auch Gefährten bei sich hatten.«

»Wieviele?«

»Vier Mann und einen Knaben.«

Bhandara war schweigsam geworden. Lebhafte Unruhe sprach aus seinem Gesicht.

»Gaukler!« murmelte er. »Bändiger, Fakire, Betbrüder – was sind das für Leute, warum haben sie uns verfolgt, ob es Spione Parvatis, des ersten Ministers des ›Guicowar‹ sind? Wissen sie, daß mein Herr einer großen Gefahr entgegengeht?

Wenn ich zu den Minen gehen würde, um ihn von ihm in Kenntnis zu setzen, was hier vorgeht! – Nein, ich verliere damit zu viel Zeit und die Spuren des Fakirs würden sich vielleicht verwischen.

Es ist unbedingt nötig, daß ich jenen Mann wiederfinde.

Wohlan, gehen wir zum heiligen Bad; vielleicht ist er dort.«

Er ließ dem braven Knaben zu essen geben, hüllte sich majestätisch in sein »Doote«, feuchtete die gelbe Schärpe an und brach auf, von seinem jungen Führer geleitet.

Da die Feste noch nicht zu Ende waren, war Pannah noch stark bevölkert. Eine buntgewürfelte Menge, die hauptsächlich aus Hirten und Städtern, die aus allen Teilen der Hochebene zusammengeströmt waren, bestand, drängte sich durch die Straßen, um sich im heiligen Gangeswasser zu baden, was man unter enormen Geldkosten in jenes Bassin gebracht hatte.


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