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Neununddreißigstes Kapitel.
Die Abrechnung

Der Diener hatte strengste Anweisung, niemanden vorzulassen, und er blieb allein, wie oft es auch klingelte. Doch während er so dalag, mit halbverschlossenen Augen die Marter der letzten Stunden noch einmal durchlebend, hörte er eine Stimme, die ihn jäh aufspringen ließ. Ihre Stimme – jetzt schon! Er schlüpfte eiligst in seine Jacke und öffnete die Tür. Irene und Hauptmann Francis standen in der Halle.

Irene sah erregt aus, ihre Augen funkelten. »Wo ist er?« rief sie ungestüm. »Ich weiß alles. Ich will ihn sofort sehen!«

»Das wird davon abhängen, ob er imstande ist, Sie empfangen zu können!« Trent klingelte dem Diener. »Bitten Sie Schwester Fuller einen Augenblick herunter!«

»Er ist also hier im Hause?«

Trent antwortete nicht. Die Schwester trat ein. »Wie geht es dem Patienten?« erkundigte sich der Hausherr.

»Er hat uns viel Mühe gemacht,« war die vielsagende Antwort. »Die ganze Nacht hat er getobt, und heute morgen scheint er sehr erschöpft. Ist das die Dame, Herr Trent, von der Sie sprachen?«

»Das ist die Dame, die, wie ich Ihnen erzählte, den Kranken besuchen würde, sobald Sie es für ratsam hielten.«

Die Pflegerin machte ein bedenkliches Gesicht. »Der Arzt ist gerade bei ihm. Ich werde lieber erst seine Meinung einholen.«

Trent nickte, und sie verschwand. Irene und Francis blieben wie absichtlich abseits stehen. Trent sprach kein Wort.

Wenig später kehrte die Schwester zurück. »Der Arzt hat seine Untersuchung noch nicht abgeschlossen. In einer halben Stunde jedoch kann die Dame kommen.«

Wiederum blieben sie allein. Trent durchquerte das Zimmer und blieb zwischen der Tür und dem Paar stehen. »Bevor Sie zu Ihrem Vater gehen, gnädiges Fräulein, muß ich Ihnen eine ausführliche Erläuterung geben.«

Irene musterte ihn gelassen; in ihrem reglos-bleichen Antlitz las er sein Urteil. »Ist das noch erforderlich, Herr Trent? Es gibt so vieles zu erläutern, daß die Aufgabe selbst für Ihr Redetalent hoffnungslos scheint.«

»Ich werde Sie nicht allzulange belästigen. Das Wort des einen muß mindestens ebensogut sein wie des andern – und Sie haben ja meinem Feind –« mit einem Blick auf Francis – »Gehör geschenkt«.

Francis zuckte die Achseln. »Ich versichere Sie, daß ich absolut keine Feindschaft für Sie hege. Meine Meinung ist Ihnen bekannt. Ich habe mir nie Mühe gegeben, sie abzuleugnen. Aber ich bestreite, auf Grund irgendwelcher persönlichen Gefühle Ihnen mit einem Vorurteil begegnet zu sein.«

Trent tat, als habe er die Worte nicht gehört. »Was ich Ihnen zu sagen habe,« fuhr er, zu Irene gewandt, fort, »möchte ich Ihnen mitteilen, bevor Sie Ihren Vater sehen. Ich führe Sie zehn Jahre zurück, da ich in Attra mit ihm gemeinsam eine Expedition unternehmen wollte. Schon damals war Ihr Vater gesundheitlich ein Wrack, der niemandem Böses zufügte, aber im Begriff war, sich durch übermäßigen Alkoholgenuß zugrunde zu richten. Von unseren Ersparnissen kauften wir unsere Ausrüstung und die Geschenke, die das Ziel unserer Expedition erforderte, und zogen nach Bekwando. Die ganze Arbeit blieb mir allein, und mit großen Schwierigkeiten gelang es mir, die von uns begehrte Konzession zu erhalten. Ihr Vater verbrachte seine Zeit mit Trinken und Kartenspielen, sofern ich mich dazu bereit erklärte. Das Übereinkommen betreffs der Gewinnverteilung war von mir aufgestellt worden – das stimmt. Aber damals hat er es nicht beanstandet. Ich war ohne Familienanhang, und er ließ mich in dem Glauben, daß er mit seiner Verwandtschaft gebrochen habe. Um diese Zeit erschien Hauptmann Francis zum erstenmal auf der Bildfläche. Er fand Ihren Vater halbtrunken vor, und als er unseren Vertrag las, verhehlte er mir nicht, wie er darüber dachte. Er glaubte, daß ich Ihren Vater sich zu Tode trinken ließ, damit aller Besitz in meine Hände käme. Wahrscheinlich hat er das auch Ihnen gesagt – doch ich bestreite die Richtigkeit seiner Ansicht. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Ich bot alles, was in meinen Kräften stand, auf, um Monty vom Trinken zurückzuhalten.

Auf dem Rückweg erkrankte Ihr Vater, und unsere Träger ließen uns im Stich. Wir wurden von den Eingeborenen verfolgt, denen die Erteilung der Konzession leid geworden war. Mehr als einmal mußte ich mit ihnen kämpfen – zuweilen standen sechs gegen mich – während Ihr Vater bewußtlos zu meinen Füßen lag. Es ist wahr: Ich habe ihn im Busch zurückgelassen, aber ich tat es auf sein eigenes Drängen und weil ich ihn sterbend glaubte. Es war meine einzige Rettungsmöglichkeit – und ich habe von ihr Gebrauch gemacht. Ich entkam und erreichte die Küste. Dann mußte ich mir von einem gewissen Da Souza Geld leihen, um nach England kommen zu können, und hier in London mußte ich ihn zu meinem Teilhaber machen, um die Gesellschaft zur Ausbeutung der Konzession gründen zu können.

Eines Tages geriet ich mit ihm in Streit – an dem Tage, da ich Sie kennenlernte – und vernahm nun zum erstenmal, daß Ihr Vater noch am Leben sei. Ich reiste nach Afrika, um ihn zu holen. In heilloser Angst um sein Vermögen folgte mir Da Souza; denn wenn Ihr Vater erhielt, was ihm gehörte, verlor der Portugiese ja die Hälfte seines Vermögens. Ich fand Ihren Vater krank vor und in nur teilweisem Besitz seiner Geisteskräfte. Ich tat für ihn, was in meiner Kraft stand, und ging auf eine Expedition ins Landesinnere mit der Absicht, ihn bei meiner Heimkehr mitzunehmen. Inzwischen erholte er sich und kam auf den Einfall, selbst nach England zu flüchten, bevor ich zurück war. Auf diese Weise fiel er in die Hände des ihn beobachtenden Da Souza, der seine schlimmen Gründe hatte, ihn verborgen zu halten. Ich rettete ihn noch rechtzeitig vor einem sicheren Tod, brachte ihn in mein Haus und ließ Ärzte und Pflegerinnen kommen. Sobald er Besuch empfangen konnte, würde ich Sie hergebeten haben.

Ich muß zugeben, daß ich seine Existenz verheimlichte, und zwar einfach deshalb, weil unsere Gesellschaft dadurch juristisch unmöglich gemacht worden wäre. Ich mußte doch auch an die Interessen meiner Aktionäre denken. Aber schon vor Wochen entwarf ich einen Vertrag, von mir unterzeichnet, demzufolge Ihrem Vater ein gleichgroßer Anteil wie mir an dem Unternehmen zusteht. Dies ist die heilige Wahrheit, und obwohl es keine Geschichte ist, auf die ich stolz zu sein brauche, sehe ich doch nicht ein, wie ich anders hätte handeln sollen. Wollen Sie mir glauben, oder geben Sie dem Zeugnis wider mich recht?«

Irene wollte antworten, doch Francis unterbrach sie mit einer Handbewegung. »Meine Darstellung habe ich hinter Ihrem Rücken abgegeben,« erklärte er kühl, »und es ist daher nicht mehr als gerecht, sie vor Ihren Ohren zu wiederholen. Ich habe Fräulein Wendermot erzählt, daß ich Sie in Bekwando kennenlernte und auch den Vertrag mit der Bestimmung, daß der Überlebende alles erben solle. Ich machte Fräulein Wendermot darauf aufmerksam, daß Sie in der Blüte Ihres Lebens standen und sich der besten Gesundheit erfreuten, während ihr Vater am Rande des Grabes taumelte und dem Teufel Alkohol verfallen war. Ich erzählte auch, daß ich falsches Spiel vermutete und später den alten Mann aus der Hand der Wilden befreite. Ich erzählte ferner, daß er bei Ihrer Ankunft in Afrika verschwand und Sie mir noch vor wenigen Tagen sagten, seinen Aufenthaltsort nicht zu wissen. Dies war meine Darstellung der Angelegenheit, und ich überlasse das Urteil Fräulein Wendermot.«

»Das ist mir recht!« rief Trent wild. »Ihre Darstellung stimmt, was die Tatsachen betrifft, aber sie ist verleumderisch auffrisiert. Sie haben mich so schwarz wie möglich gemacht.«

Sein ganzes Leben lang war er ihr dankbar für den Blick des Vorwurfs, den sie ihm unwillkürlich zuwarf, als sich ihre Augen begegneten. Aber dann wandte sie den Kopf, und sein Herz wurde kalt. »Sie haben mich betrogen, Herr Trent. Es macht mich traurig, daß Sie mich so enttäuschen.«

»Und Sie – sind Sie selbst ohne Schuld? Haben Sie denn nie vermutet, daß Ihr Vater vielleicht noch leben könne? Sie haben durch Herrn Cuthbert meine Mitteilung erhalten. Sie wußten von dem Brief, den mir Ihr Vater mitgegeben hatte; ich traf Sie Tag für Tag, nachdem Sie wußten, daß ich Ihres Vaters Teilhaber gewesen. Und nicht ein einziges Mal gaben Sie mir zu verstehen, daß Sie etwas über ihn hören wollten. Was muß ich aus alledem schließen – was muß ich von Ihnen denken?«

»Ihr Urteil über mich, Herr Trent, ist völlig belanglos. Aber dies sei Ihnen gesagt: Wenn ich mich Ihnen nicht zu erkennen gab, so geschah es nur aus einem Gefühl des Mißtrauens Ihnen gegenüber. Ich wollte die Wahrheit erfahren und setzte dafür alles aufs Spiel.«

»Also war Ihre scheinbare Freundschaft Lüge! Ich war für Sie nichts anderes als ein Verdächtiger, der zu bespitzeln war!«

Sie schwankte unschlüssig, antwortete aber nicht.

Die Schwester klopfte an die Tür. Mit gebieterischer Bewegung zeigte Trent auf den Ausgang. »Gehen Sie – beide! Sie können mich verdächtigen, soviel Sie wollen. Dem Himmel sei Dank, daß ich nicht den Kreisen angehöre, in dem die Männer statt eines Herzens einen Stein in der Brust tragen und die Frauen mit dem Gesicht eines Engels heucheln!«

Die beiden verließen das Zimmer. Hinter ihnen brach Trent in seinem Stuhl zusammen.

Und oben schluchzte Monty, die Arme um seine Tochter geschlungen.


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