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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Ein hartnäckiger Widersacher

Irene erhob sich. »Nun müssen Sie mich aber wirklich zu Lady Tresham führen. Man wird glauben, daß ich verlorengegangen sei.«

»Wohnen Sie noch immer an der alten Stelle?«

»Ja, aber da die Wohnung teilweise renoviert wird, logiere ich inzwischen in Tresham-House.«

»Darf ich Sie dort aufsuchen?«

Diese Zähigkeit erregte ihren Unwillen. »Das möchte ich Ihnen nicht raten. Sie kennen Lady Tresham nicht, und vielleicht würde Ihr Erscheinen nicht genehm sein. Meine Kusine hegt ziemlich altmodische Auffassungen.«

»Oh, Lady Tresham ist kein Hindernis. Ich werde sie wahrscheinlich heute abend noch sehen. Ihre Verwandten haben mich zum Essen eingeladen.«

Irene fühlte sich geschlagen und ließ das deutlich merken. Wiederum war er ihr zuvorgekommen. »Wie ich vorhin sah, scheinen Sie ja jetzt in sehr hohen Kreisen zu verkehren.«

»Ich glaube nicht, daß ich mir dazu besondere Mühe gegeben habe.«

»Geld ist eben eine unwiderstehliche Macht ...«

»Angehörige Ihrer Kreise glauben es wenigstens«, antwortete er mit einem leichten Ton der Verachtung.

Sie gab keine Antwort, doch Trent fühlte sich durch ihre augenblickliche Reizbarkeit nicht entmutigt. Erhobenen Hauptes und mit neuem Selbstvertrauen, das sich in seiner ganzen Haltung widerspiegelte und ihr nicht entging, schritt er an ihrer Seite. Der Sonnenschein, die Musik und die heiter angeregte Umgebung verursachten ihm prickelndes Wohlbehagen.

Und da fiel plötzlich der heftige Schlag. Es war, als ob alle seine Luftschlösser jäh über seinem Kopf einstürzten, die blaue Luft dunkel und grau geworden sei und der schmachtende Walzer sich in einen Totenmarsch gewandelt habe. Er war gewohnt, seine Umgebung aufmerksam zu betrachten, und so hatte er jetzt zum zweitenmal einen hageren Herrn mit bleichgelblicher Gesichtsfarbe, in grauem Cut und grauem Zylinder, wahrgenommen. Die Augen der beiden kreuzten sich. Trent gerann das Blut in den Adern. Es war die eine folgenschwere Karte, die das Geschick für ihn bereithielt und die es jetzt ausspielte.

Trotz der Unerwartetheit des Hiebs erholte Trent sich schnell. Die beiden Männer waren nur noch wenige Schritte voneinander entfernt. Unwillkürlich war jeder stehengeblieben; Irene blickte leicht verwundert von einem zum andern.

»Ich möchte Sie gern einen Augenblick sprechen, Herr Trent«, sagte Hauptmann Francis gelassen.

»In fünf Minuten werde ich zurückkommen. Erwarten Sie mich, bitte, an der anderen Seite des Musikpavillons!«

Francis dankte und trat zur Seite. Trent und Irene setzten ihren Weg fort. »Ihr Bekannter schien geradezu vom Himmel zu fallen«, bemerkte Irene.

»Ich habe im Ausland seine Bekanntschaft gemacht. Hier hatte ich ihn nicht vermutet.«

»In Westafrika?« fragte sie hastig.

»Es gibt noch andere wilde Gegenden,« wich er aus, »und die meisten von ihnen kenne ich. Doch hier haben wir Loge Nr. 13. Also bis heute abend?«

Sie nickte, und Trent war sich wieder selbst überlassen. Er schlug nicht gleich den Weg zum Musikpavillon ein, sondern betrat ein Café am Ende des Gebäudes und forderte einen Kognak. Er trank das Glas langsam aus, die Augen auf eine lange Batterie Flaschen gerichtet, ihm gegenüber auf einem Regal. Seine Gedanken wanderten nach einer kleinen Niederlassung an der Goldküste, wo feuchte Hitze in giftigen Dämpfen brodelte und ein endloser Schwarm von Menschen mit abgespannten Gesichtern und müden Bewegungen harte Arbeit verrichtete. Welch verwünschter Zufall, der ihn jetzt wieder an den einzigen schwachen Punkt seines Daseins erinnerte – an das einzige Kapitel seines Lebensbuches, das er gern für immer versiegelt hätte! Draußen schrillte das Läuten einer Glocke, klang heiseres Schreien vieler Stimmen von der Tribüne – das sich durch die offene Tür bietende Bild erschien ihm wie eine Vision in leuchtenden Farben. Vor Minuten noch hatte ihn dies alles wundervoll gedünkt. Nun lag eine dunkle Wolke drohend über dem Tag. Als er wieder hinaustrat, war es ihm, als ob er Stunden drinnen verweilt habe. Einen Augenblick blieb er stehen, vom Sonnenlicht geblendet, dann ging er weiter, sich durch die Menge einen Weg bahnend.

Francis sah bei Trents Näherkommen auf und machte ihm auf der Bank Platz.

»Ich hätte nicht geglaubt, Sie so bald in England zu sehen«, bemerkte Trent.

»Und ich hätte nicht geglaubt, je wieder nach England zu kommen«, war die Antwort. »Man sagte mir allgemein, es sei ein Wunder, daß ich heil davongekommen bin. Auch erzählte man mir, daß ich Ihnen mein Leben danke.«

Trent hob achtlos die Schultern. »Ich würde dasselbe für den Geringsten meiner Arbeiter getan haben. Sie schulden mir keinen Dank. Offen gestanden hoffte ich, Sie würden sterben.«

»Den Wunsch hätten Sie sich leicht erfüllen können.«

»Das lag nicht in meiner Absicht. Und was wollen Sie jetzt von mir?«

Mit einem Gesicht, auf dem sich die widerstreitendsten Gefühle spiegelten, wandte Francis sich ihm zu. »Ich möchte Ihnen so gerne glauben, Trent. Aber Sie müssen mir sagen, was Sie mit Monty machten.«

»Wissen Sie denn nicht, wo er ist?«

»Wie sollte ich es wissen?«

»Nun ja. Die Sache verhält sich so: Als ich wieder in Attra ankam, war Monty verschwunden – nach der Heimat geflohen, und bisher habe ich noch nichts von seinem weiteren Verbleib gehört. Ich beabsichtigte, ihm alles zu geben, was ihm zukommt, und ihn mit nach England zu nehmen. Statt dessen ist er uns heimlich entwischt. Er hält sich hier aber bestimmt nicht allein auf, oder er müßte sich seit dem letztenmal, da ich ihn sah, sehr verändert haben.«

»Der Missionar sagte mir, daß er fort sei. Sonderbar ist nur, daß er sich nicht gemeldet hat.«

»Da Souza muß ihn bei der Landung erwartet haben.«

»Onkel Sams Halbbruder? Welches Interesse sollte ihn dazu veranlaßt haben?«

»Sein Interesse als Großaktionär der Gesellschaft. Monty kann uns natürlich ruinieren. Ich möchte behaupten, daß der Portugiese ihn verbirgt, bis er seine Aktien losgeschlagen hat.«

»Wie steht eigentlich der Kurs?«

»Das weiß ich nicht. Ich bin erst gestern angekommen. Aber es herrschte bestimmt keine Nachfrage nach Da Souzas Aktien.«

»Hat er denn so viele?«

»Eine beträchtliche Menge.«

»Ich möchte die Situation richtig begreifen. Ich irre mich wohl nicht in der Annahme, daß Monty an die Gesellschaft größere Forderungen stellen könnte?«

»Gewiß. Und ich gönne sie ihm auch gern, obwohl ich augenblicklich nicht wüßte, woher ich seine Ansprüche, eine halbe Million Pfund, nehmen soll. Aber ist Ihnen denn nicht klar, daß mein Verkauf der Konzession an die Gesellschaft unberechtigt ist, da Monty noch lebt? Die ganze Gründung ist somit ungesetzlich, und man würde uns vor Gericht bringen – gerade jetzt, wo es der größten Umsicht bedarf, um das Unternehmen zum vollen Gelingen zu führen. Wenn Monty hier wäre und bei klarer Vernunft, würden wir schon zu einer Einigung kommen. Aber als ich ihn wiedersah, war er völlig unzurechnungsfähig und würde so nur jedem abgefeimten Schurken zum Spielball dienen. Kurzum, es ist eine verzweifelte Lage!«

Francis sah ihn scharf an. »Was erwarten Sie nun von mir?«

»Ich habe kein Recht, etwas von Ihnen zu erwarten. Aber ich habe Ihnen das Leben gerettet, und vielleicht fühlen Sie sich also irgendwie mir gegenüber verpflichtet. Erstens kann ich ebensowenig wie Sie Monty herbeischaffen. Er kann in England sein; aber auch das Gegenteil ist möglich. Ich werde Da Souza aufsuchen. Er wird wahrscheinlich mehr wissen. Sie können mich begleiten, wenn Sie wollen. Ich will Monty um keinen Pfennig benachteiligen. Er soll alles haben, worauf er Anspruch hat – aber ich will die Zahlungsweise gütlich mit ihm regeln und die Sache nicht vor die Öffentlichkeit gezerrt wissen. Das geschieht in seinem wie in meinem Interesse. Die Leute, die mit mir die Gesellschaft gründeten, vertrauen mir, und ich will sie nicht enttäuschen.«

Francis nahm ein kleines Silberetui aus der Tasche, zündete sich eine Zigarette an und rauchte, in Gedanken versunken. Endlich sagte er: »Es ist möglich, daß Sie ein ehrlicher Mann sind. Andererseits werden Sie zugeben, daß der Schwerpunkt der Wahrscheinlichkeit, meinerseits gesehen, eher der anderen Seite zuneigt. Wir wollen ein wenig zurückgreifen – auf unsere erste Begegnung. Ich war Zeuge, als der König von Bekwando die Konzession erteilte. Dem Wortlaut des Vertrages nach waren Sie Montys Erbe, und er selbst lag betrunken – in einem Klima, in dem Alkohol und Tod Hand in Hand gehen. Sie lassen ihn allein im Busch zurück, erzählen, daß er tot sei, und nehmen alles allein in Besitz. Ich finde ihn noch lebend vor, tue für ihn alles, was ich kann – und hiermit endet der erste Akt. Was geschieht nun weiter? Ich höre von Ihnen sprechen als von einem einflußreichen Millionär. Trotzdem war Monty noch am Leben, und Sie wußten davon. Doch als ich nach Attra kam, war er verschwunden. Sie behaupten, nicht zu wissen, wo er ist. Das mag stimmen – aber sehr wahrscheinlich klingt es nicht.«

Trents Unterlippe zuckte, ein Zeichen des in ihm rasenden Sturmes; doch er bezwang sich und schwieg.

Francis fuhr fort: »Ich bin nicht Ihr Feind, Trent, und will Ihnen auch nicht schaden. Aber dies ist mein fester Entschluß: Bringen Sie Monty innerhalb einer Woche ans Tageslicht, um ihm das zu geben, was ihm zukommt! Dann werde ich schweigen. Haben Sie ihn mir aber nach Verlauf von acht Tagen nicht vorgestellt, so bin ich gezwungen, seiner Familie alles, was ich weiß, mitzuteilen.«

Trent erhob sich langsam. »Ihre Adresse!« sagte er kurz. »Ich werde tun, was in meinen Kräften steht.«

Francis riß ein Blatt aus seinem Notizbuch, auf das er ein paar Worte kritzelte. »Hier können Sie mich jederzeit erreichen. Einen Augenblick noch, Herr Trent! Als ich Sie vorhin sah, befand sich in Ihrer Begleitung eine Dame ...«

»Und?«

»Ich bin bereits zu lange aus England fort, so daß mich mein Gedächtnis manchmal im Stich läßt. Darf ich den Namen der Dame wissen?«

»Fräulein Irene Wendermot.«

Francis warf seine Zigarette fort und zündete sich eine neue an. »Vielen Dank!«


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