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6.

Zwei Nächte und drei Tage saß Giafar, angekettet an dem Rumpfe einer Säule, in dem dunkeln, gewölbten Thurm des Todes, der verbunden mit dem Palaste der Khalifen gegen den Tigris lag und über Bagdad zum Schrecken seiner Bewohner hervorragte. Lange lag er da, zwischen Sein und Nichtsein, verloren an dem starren, leeren, schaudervollen Abgrund des Schmerzes, der Verzweiflung, und nur nach und nach entwickelten sich die schrecklichen, scheußlichen Begebenheiten wieder vor seinen Augen. Er sah die Gattin in ihrem Blute – den Knaben ermordet an ihrer geöffneten zerfleischten Brust – ihren schrecklichen Mörder – fühlte seinen Schmerz, sich wieder in dem Schmerz – empfand sein schaudervolles Dasein – wollte aufspringen, die schweren Fesseln zogen ihn auf den von ihnen erklirrenden Boden zurück. Starr blickte er in die düstre Finsterniß, befühlte seine Ketten und erinnerte sich des Todesausspruchs des Khalifen. Sein Haupt sank gegen seine Brust, und er rief in das öde Gewölbe: »Eile, Wahnsinniger, bevor der Schmerz das Opfer deiner unmenschlichen Rache in Freiheit setzet!« Beim Anbruch der dritten Nacht sank er erschöpft von seinen Leiden, erdrückt von den schrecklichen Vorstellungen, in einen tiefen Schlaf. Alle die scheußlichen Bilder verflogen aus seiner Seele. Er sah im Traume seine blühende Gattin – auf ihrem Schooß den kleinen Asan. Sein Herz erglühte – er fühlte sich Flügel – sie trugen ihn zu der Geliebten – er drückte sie an seinen Busen, der Knabe hing erwachsener um seinen Nacken – Freudenthränen netzten seine Augen – sein ausgestreckter Arm hing in der Fessel; der Schmerz vom Druck, die Anstrengung weckten ihn auf, er fühlte die Täuschung, fühlte seinen Verlust, und seine Seufzer widerhallten am Gewölbe. Auf einmal erblickte er den matten Schein eines Lichts, sah sich um und entdeckte Leviathan unter der Gestalt Ahmets auf einem Steine gegen sich über sitzen. Ernst, feierlich und mitleidsvoll sah dieser auf ihn.

Giafar. Ahmet – du?

Leviathan. Ich! – Versprach ich nicht, dir einst wieder zu erscheinen? Wesen meiner Art halten Wort. Hier bin ich. Fürchtest du mich?

Giafar. Was hätte Giafar noch zu fürchten. Vermuthlich kommst du, Zeuge zu sein, wie Haroun die Tugend belohnt. – (Er schüttelt seine Ketten.) – Gehe hin, sieh mein Weib und meinen Knaben, im Blute liegend, ermordet von ihm, und dann blicke in mein Herz.

Leviathan (kalt). Ich habe sie gesehen in ihrem Blute; ihren Mörder bei den Leichen heulen, dich von ihm verfluchen und anklagen hören, als den Mörder seines Glücks, den Zerstörer seiner Tugend. Ich war unsichtbarer Zeuge der That, blicke nun in dein Herz, sehe alle deine Leiden, deine Größe, vernehme deine wilden, verworrenen, zerrissenen Gedanken und komme, dich in diesem Zustande nach deiner Erfahrung an dir und den Menschen zu fragen: Wie es nun mit der Harmonie der moralischen Welt steht? Wie du sie befördert hast? Wo du sie findest?

Giafar. Da nur, wo ich sie suchte, seitdem du mich verlassen hast. In meinem von Schmerz zerrißnen Busen, in meiner Vernunft, die alle Widersprüche, die ich sah und erfuhr, nicht verdunkeln, welche die blutige schreckliche That des Wahnsinnigen nicht vernichten konnte. In dem Guten, das ich mit Bewußtsein auf meine Gefahr gethan habe; in seiner Wirkung auf die Lebenden, die künftigen Geschlechter; in dem Willen, so unglücklich ich auch nun bin, es nach der schrecklichen That dieses Mannes selbst für ihn noch zu thun, wenn er mich darum aufforderte, zu leben.

Leviathan. Groß ist dein Gefühl, Barmecide, und größer, als nöthig. Ich sehe, Giafar ist ein Held der Tugend geworden, meine Lehre hat gut angeschlagen, und ich hoffe, die künftigen Früchte sollen noch blühender sein.

Giafar. Ha, Ahmet, hätte ich diese moralische Welt, diese Tugend anderwärts gesucht, so würde ich nun ergrimmt sagen: Sie sei der Traum einer erhitzten Einbildungskraft, der Wunsch eines zu hoch gespannten Herzens, eine fein ausgesponnene Vernünftelei unsers Stolzes, eine erkünstelte Schwelgerei unsers Geistes; denn sieh, um das ganze herrliche Gewebe meiner Vernunft und meines Herzens zu zerreißen, erforderte es weiter nichts, als daß dieser wahnsinnige Khalife eine sträfliche Leidenschaft für seine Schwester im Busen trage, sich wüthender Eifersucht, unmenschlicher Rache überlasse, und alle meine Zwecke scheitern.

Leviathan (noch kälter). Wahr, Barmecide, vollkommen wahr; wie fern hernach. Freilich, es erforderte weiter nichts, als daß sich der erhabene Barmecide einen Augenblick von dem Kitzel der Wollust hinreißen ließ, nur einen Zeigerschlag seiner erhabenen Zwecke vergaß. – Laß deinen Zorn ruhen, Barmecide, der Richter, der vor dir sitzt, fürchtet ihn nicht – und er zwingt, durch dieses Vergessen, den wahnsinnigen Khalifen zur Erfüllung seines Eids, den er in seiner Gegenwart geschworen hatte. Durch diesen einzigen Augenblick ist der harmonische Gang der moralischen Welt in Asien zerrüttet, die Zerrüttung wirkt auf die lebenden und künftigen Geschlechter, wir haben eine neue Reihe der Dinge, eine andere Welt, andere Menschen, und der nicht so ganz wahnsinnige Khalife setzt uns Khozaima an Giafars Stelle zum Großvizir hin, in der Gewißheit, dieser würde ihm durch Mißbrauch der anvertrauten Gewalt schnell Gelegenheit geben, eines gleich Verhaßten auf eine eben so gerecht scheinende Art los zu werden. Mögen sich Die trösten, die darunter leiden: hat doch der Barmecide weiter nichts gethan, als daß er sich einen kurzen Zeigerschlag dem Rausche der Sinne überließ.

Giafar. Khozaima! armes Volk!

Leviathan. Sehr gut, daß dir dies nah geht, so verzweifle ich nicht an dir. Ja, Er, durch den du gefallen bist, der die Flucht deines Knaben – zufällig, um noch deine Sprache zu reden – entdeckt hat, den du vernichten konntest, dessen Tod der Khalife von dir forderte, und den du zu deinem und dieses Volks Verderben aufgespart hast.

Giafar. Ich handelte gerecht, so weit gerecht, als es der Mensch, nach seinem beschränkten Blick, von einer That sagen kann, deren Folgen nicht in seiner Gewalt sind, die er nicht verantwortet. Mich erschüttert dein Vorwurf nicht. Weißt du, daß ich mich nur darum dem Eid des Khalifen unterwarf, um ihn vor einem Verbrechen zu bewahren, das ihm Thron und Leben gekostet und sein Reich zerrüttet haben würde?

Leviathan. Was weiß Ahmet nicht? Aber um so mehr mußte dir der Wille des strengen, drohenden Herrschers unverletzliches Gesetz sein. Er, der Herr deines Schicksals, in dessen Gewalt du warst, durch dessen Namen du wirktest, hatte das Todesurtheil über dich ausgesprochen, und doch ließest du dich von der Wollust hinreißen, zeugtest den Knaben dem Morde, weihtest dich, dein Weib, deine Verwandten dem Morde, der Verfolgung und warfst dieses Volk, das nur in dir seinen Vater und Volksbeschützer sah, seinen Tyrannen zum Raube hin. Hätte diese fürchterliche Aussicht dein heißes Blut nicht abkühlen sollen? Sei ruhig, Held der Tugend, du hast diesen Haroun durch dieses grausame Verbrechen zum Blutdurst eingeweiht, und schrecklich werden die Folgen sein, wenn du ihnen nicht zuvorzukommen suchst.

Giafar. Wer bist du, Schrecklicher, der du so schonungslos in meinem zerrißnen Herzen wühlst? Der du das Licht meines Verstandes, das ich in allen diesen Stürmen erhalten habe, nun auszulöschen strebst? Da ich dich erblickte, hoffte ich Trost, nähere Erleuchtung, und mit kaltem, fühllosem Blick, mit hämischem Genusse siehst du auf meinen Schmerz.

Leviathan. Lob, die Lieblingskost des Sohns des Staubs, dies erwartetest du von mir, doch noch ist's zu früh dazu.

Giafar. Sage Mitleid – Lästiger! Fühle als Mensch, oder entfliehe nach den kalten Regionen, woher du kamst. Ich habe dich nicht gerufen und bedarf deiner nicht. Ich habe Kraft, meine Leiden auszutragen, und das Gefühl meines Herzens empört sich gegen dich!

Leviathan. Ich fühle als Mensch und will dich auch als Mensch fühlen lehren. Hier sitz' ich vor dir – dein hellsehender Richter, mit Gewalt versehen, der du unterworfen bist – mein Fuß ruht auf der Tiefe, mein Haupt hebt sich über die Wolken, und der Strahl meiner Augen spaltet dein Herz. Was ich bin, woher ich komme, später! Ich bin nicht, was ich scheine, und scheine weniger, als ich bin, damit du meine Gegenwart ertragen kannst. Wenn ich erst die ganze Kraft deiner Seele abgewogen habe, ganz eingesehen habe, ob du der Mann bist, die großen Zwecke auszuführen, die ich auf dich berechnet habe – dann sollst du mich näher kennen lernen – sollst erstaunen – unter meiner furchtbaren Größe hinsinken und dich an meiner Größe wieder aufrichten. – Hast du, was ich dir vorwarf, nicht Alles durch den Fall mit diesem Weibe bewirkt?

Giafar. Verblühte sie nicht? Starb sie nicht des langsamen, qualvollen Todes? Konnt' ich sie anders erretten? Wer der Erdensöhne wäre nicht so gefallen? Konnt' ich vorsehen, da ich mich allein zu ihrer Rettung aufopfern wollte, daß die Rache des Grausamen auch sie, auch den Knaben, mein Geschlecht und sein unschuldiges Volk treffen würde? Sei, was du willst – dein Blick zerspalte mein Herz; er entdecke die Ruhe meines Gewissens über diesen Fall – ich beweine die Folgen und vergesse mich darüber.

Leviathan. Täuscht dich die Ruhe deines Gewissens, so täuscht sie mich nicht. Ist mir doch bekannt, wie eure Feigheit, euer Stolz, eure Leidenschaften diese gefällige Kupplerin eurer Lüste zu stimmen wissen. Mich wirst du nicht verblenden, ich dringe tiefer – rede ich nicht zu dem Manne, der den Held der Tugend zu spielen unternahm? der die Harmonie der Welt befördern wollte? der sie beförderte, um sie schrecklicher zu verwirren? Wie, du, dem jetzt noch das Licht der Vernunft so hell vorleuchtet, du konntest diese Folgen nicht voraussehen? So ahnet ihr immer die Uebel, wo sie nicht sind, und seht sie da nicht, wo sie wirklich sind: seht sie nicht da, wo euer Eigennutz, eure Sinnlichkeit euch blenden. Ist dein Weib nun weniger todt? Hast du nicht ihren Bruder zum Mörder gemacht, da du seinen Eid wußtest, da dir bekannt war, daß er ihm Genüge leisten mußte? Sind die Folgen der blutigen That nicht dein Werk? Was war dies Weib für Asien? Hing von ihrem Leben das Glück dieser Völker ab? Konnte sie die erhabenen Zwecke erfüllen, die du ihr vorgezeichnet hattest? Nur von dir, von deiner Kraft hing das Glück dieser Geschlechter ab, konnte nur durch dich auf die künftigen hinüber blühen! Ha! sie ahnen nicht, daß die augenblickliche Thorheit eines Barmeciden ihr Schicksal so schrecklich bestimmte, und klagen einst bei ihren Qualen den Ewigen, das Verhängniß und das Reich der Finsterniß an.

Giafar. Du bist grausamer, als Haroun, und vergißt, daß du zu einem beschränkten Menschen redest, der über die Zukunft nicht gebieten kann, der nur sein gegenwärtiges Wirken, nur den Beweggrund seines Wirkens zu verantworten hat. Ich? Ich sollte diese schrecklichen Folgen verantworten, nicht der blutdürstige Mörder, der erst der Menschheit Hohn sprach und dann ihr reinstes Heiligthum befleckte? Ich liebte mein Weib, liebte sie über meine Pflicht, war gieriger nach ihrem Genusse, als nach der Erfüllung meiner Pflicht, sah mit Unwillen auf mein Wirken, ob ich gleich stündlich das Gute daraus entspringen sah, weil ich, auf Kosten meines Herzens, meiner Ruhe dies schwere Opfer bringen mußte. Doch widerstand ich, doch konnte ich sie in ihrer Einsamkeit verschmachten lassen und sank nur an ihren Busen, um sie dem Tode zu entreißen – entschlossen, für Die zu sterben, die mit Freuden für mich gestorben wäre, wenn ihr Tod mich hätte retten können. Verlaß mich, kaltes, unempfindliches Wesen, das sein Dasein nicht durch das Herz empfindet. Ich habe Alles gethan, was der Mensch thun kann. Und ich sollte deine Vorwürfe verdienen, sollte strafbar sein, weil ich Haroun, auf meine Gefahr, vor Blutschande sicherte, weil Haroun an seinem Retter, an seiner unschuldigen Schwester, dem noch unschuldigem Knaben ein Verbrechen begangen hat, wovor die Menschheit sich entsetzt? Ich sollte die Folgen seiner Verbrechen als mein Werk ansehen, da er über mein Schicksal aus einem Gefühl entscheidet, welches das Gesetz verdammt?

Leviathan. Diese Entschuldigung hätte in jedes Andern Mund Gewicht, nur in dem Munde des Mannes nicht, der einst die Natur und ihren Urheber lästerte! Der Mann, der die Uebel außer sich suchte, der mußte so handeln, daß er bei seinem Fall rein und groß dastehen konnte! Vor den Augen höherer Wesen ist Der der Strafbarste, welcher durch Schwäche oder Bosheit Ursache zum Verbrechen gibt. Doch ich will einen Augenblick deine Entschuldigung annehmen und dich als einen gewöhnlichen Menschen betrachten; aber dann muß ich auch diesem Haroun die Decke von den Augen reißen, die ihm sein Schicksal verbirgt, muß ihm zeigen, daß er aus dunkler Ahnung zu seinem Besten, zum Besten seiner Kinder und Kindeskinder diese That begangen hat, daß ihn und sie nichts als dieses empörende Verbrechen retten konnte! dann wäge deine Entschuldigungen gegen die seinigen ab.

Giafar. Ich begreife dich nicht mehr. Sieh –

Leviathan. Du wirst es immer mehr. In deinem Knaben Asan ermordete der Khalife seinen künftigen Mörder, den Mörder seiner Kinder. Diese dunkle Ahnung seines Schicksals stieß ihn vorwärts – aus dieser dunklen Ahnung entsprang sein Eid! aus dieser dunklen Ahnung entsprang sein wilder Kampf, seine widernatürliche Eifersucht! Doch ohne dich hätte er seine Schwester umarmt und sich, sie, seine Kinder, seinen Thron, Asiens Glück unter der Last der Blutschuld begraben! Dich las das Schicksal als Opfer seiner Rettung aus, und von Ewigkeit her warst du dazu bestimmt! –

Giafar. Ahmet! Ahmet!

Leviathan. Höre, Sohn des Staubs, und schweige! noch mehr sollst du vernehmen! Ich will deinen Stolz zermalmen, deinen Geist zerrütten, dein Herz zerbrechen – dich bis zum Wahnwitz treiben – dann dich heilen! dann dich Wahrheit sehen lassen! – Vernimm! du hast ihn von allem Diesem errettet; doch nur halb war die Rettung, da du die Probe nicht erfülltest, die er dir aufgelegt hatte. Nur durch die gänzliche Erfüllung entferntest du deinen Untergang, gewannst Harouns Herz dir und der Tugend und befördertest Asiens Glück in dem Bunde mit ihm. Eure so verbundne Regierung sollte das erhabenste Schauspiel werden, das je hohe Weisheit, kluge Güte, strenge Gerechtigkeit zum Sieg der Menschheit über ihren Hang zum Bösen dargestellt hat. Darum erhöhte ich deinen Begriff von Freiheit, darum spannte ich deinen Begriff von Tugend bis zur äußersten Spitze deiner Kräfte; darum erhob ich deinen Stolz durch deinen innern, unabhängigen Werth, deine Selbständigkeit, und verbarg dir die Kette der Dinge, in die du, wie Alles, eingeschmiedet bist, damit ihre Last dich nicht erdrücken möge, damit du deinem Schicksal durch deine Kraft entgingest! Alle diese Zwecke hast du in einem Augenblick vernichtet, den Samen zu künftigem Unglück ausgestreut – und Haroun, getrieben vom dunkeln, weissagenden, innern Geiste, glaubte, er opferte der Rache, da er nur seinen, seiner Kinder von dir gezeugten Mörder tödtete.

Giafar. Hört mein Ohr? Faßt mein Geist die Worte, aus denen ein so schwarzer, fürchterlicher Sinn aufsteigt? Spottest du meiner, Gefährlicher, daß du mich nun wieder in das wilde, verworrene Chaos stößest, das mich einst zu verschlingen drohte? Was sind wir, Schrecklicher, wenn Das ist, was du mir nun sagst? Sklaven der eisernen Nothwendigkeit, blinde, tugend- und lasterlose, verdienst- und straflose Werkzeuge in der Hand eines grausamen Mächtigen, der uns zu Zwecken anwendet, die er uns verbirgt? Der uns für Das zur Rechenschaft zieht, was er in seinem undurchdringlichen Dunkel entworfen hat! Gegen den wir durch Thun, wie durch Unterlassen fehlen? So ist meine Aufopferung Thorheit, so hat Haroun nichts verbrochen, so mußte er mich verfolgen, seine Schwester, meinen Knaben ermorden! Und Der, der alles Dieses so entworfen hat, muß mit Wohlgefallen auf das Vollbrachte sehen!

Leviathan. Ich sehe Licht und Klarheit, wo du nur Finsterniß vernimmst. Was ihr seid, sollst du später vernehmen. Giafar. Behalte deine Weisheit – laß dir dein Licht leuchten, gerne will ich in dieser Finsternis; verbleiben, die mich nicht erschreckt. Ahmet, Das, was du mir sagtest, ist mir, wie du weißt, nicht neu. Dachte ich nicht so in meinem unsinnigen, wilden, eingebildeten Gram? In meinem wirklichen Unglück sehe ich heller und blicke mit Abscheu auf die Widersprüche, durch die du mich martern oder prüfen willst. Der Mensch, der mit so klarem Bewußtsein, mit so viel Ordnung, Kraft und Vorsicht, durch seine Vernunft, durch seinen von ihr bestimmten Willen, selbst auf Gefahr seines Daseins, so große Dinge unternehmen, so viel zum Glück Anderer bewirken kann – der sich überwinden kann – ist kein blindes Werkzeug einer despotischen Gewalt; er ist ein freies, mit einem reinen Geist verwandtes Wesen, wie du ihn einst geschilderst hast. Behalte du deine Kenntnisse, die über des Menschen Kräfte gehen, die sein Dasein, seine Kraft und sein Wirken zermalmen und vernichten müßten, die ihn elender machen würden, als mich die Gewalt dieses sichtbaren Tyrannen gemacht hat. Ich sehe mich nun auf dem höchsten Punkt meiner irdischen Entwicklung, glaube das Maß meiner möglichen Vollkommenheit erreicht zu haben, und Der, der meinen weitern Fortgang stört, der verantworte es. Er soll mich erwürgen, und nicht die Verzweiflung.

Leviathan (feierlich). Jener zuvorzukommen, diese zu heilen, bin ich gekommen. Verschwinde, Hülle, vor den Augen des Sterblichen! Du stehst auf dem hohen Punkt, auf dem ich dich sehen wollte. Meine Lehre hat gefruchtet; laß sehen, ob du ihr ganz entsprichst. Was könnte wohl mich aus jenen Gefilden zu dem Sohne des Staubs ziehen, als sein Glück? Ich habe mich dir nicht enthüllt und enthülle mich dir nicht, bis ich den ganzen Umfang deiner Kraft gemessen habe. Merke auf, in Finsterniß Geborner! Ich, der ich das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige durchschaue, der ich die entfernteste Veranlassung deiner Wünsche und Gedanken erhasche, der ich Thaten reif sehe, wenn ihr Keim noch in deinem Busen schlummert – will dir nun die Mittel zeigen, die Fehler, die du gemacht hast, zu verbessern und wieder herzustellen, was dieser unsinnige Khalife zerstört hat, zu zerstören droht.

Er berührte Giafars Stirne mit einem Stabe und rief: Enthülle dich, Zukunft, dem Erdensohne des Staubs! Er sehe geworden, was noch im Werden liegt! Das Ungeborne stehe vollendet da! Was künftig leidet, ächze in sein Ohr! was künftig sich freut, jauchze ihm zu! klage ihn als seinen Urheber an! segne ihn als seinen Schöpfer! Verschlinge dich, Zeit! ziehe dich zusammen, Raum! Alles stehe still und lebe, wenn ich's gebiete!

Das schwache Licht verlosch. Dicke Finsterniß erfüllte den Kerker. Es rauschte wie die Wogen des Meers, die der Sturm aufwühlt. Eine widrige, blutrothe Dämmerung erleuchtete die Scene. Giafar befand sich in einem wilden Thal, umschlossen von einem Gebirge strotzender, nackender, drohender Felsen. Tiefe Stille herrschte. Bald hallte ein dumpfes Stöhnen, Aechzen und Todesröcheln und Geheul der Verzweiflung in den Felsen. Eine dunkle Wolke stieg aus der Erde auf, rollte über den dürren, scheußlich gefärbten Boden, gegen Giafar hin. Leviathan schlug mit seinem Stabe durch den Dampf. Die Wolke zerriß und gebar ein Chaos von schrecklichen Bildern. Stärker erscholl das Geheul, Stöhnen und Aechzen. Abermals schlug Leviathan durch das wilde Gewühl; es zerfloß in Gruppen, in einzelnen Gestalten. Das Aechzen, das Geheul ließ nach, und Giafar sah vor sich liegen die Leichen seiner Mutter, seiner Brüder, seiner Verwandten, noch zuckend – noch bebend.

Leviathan rief: Dieses Geschlecht hat seine Rolle auf Erden seit Jahrhunderten gespielt, gut und groß gespielt, durch dich ausgespielt. Merke auf! die Zukunft ist im Kreißen.

Giafar sah sich unter den Händen der Henker – sah seinen Kopf vom Leibe trennen – seinen Rumpf zerstücken. Die Kälte des Todes, den Krampf des Todes fühlte er in seinen Gliedern bei dem scheußlichen Schauspiel.

Fürchterlich schrie Leviathan: Barmecide! Dieses wird geschehen!

Das Gemälde verschwand. Krachend stürzten die Gebirge in den Abgrund. Die Erde verschlang sie, bebte, die blutige Luft zitterte.

Leviathan rief: Entwickle dich, Zukunft, dem Sohne des Staubs! Er sehe die Folgen seines Todes!

Aus dem Abgrunde stiegen schwarzer Rauch, zischende, feurige Dämpfe. Rollend fuhren sie in dunkelglühenden Wolken dahin, breiteten sich aus zwischen dem Himmel und der Erde und wirbelten in stammenden, dampfenden Kreisen. Schreckliche Geistergestalten entschwangen sich dem Schlunde und stürzten sich in das wirbelnde Chaos. Dann erscholl eine Stimme aus der Tiefe, daß die Erde tönte in ihrem Zittern, die Geister in den wirbelnden Kreisen versanken und sich nur mächtig kämpfend dem Strudel entrissen. »Aufruhr! Zwietracht! Bürgerkrieg!« brüllte der dumpfe Donner aus der Tiefe der Erde. Mit gellendem Gekreische wiederholten es die mit dem wirbelnden Chaos kämpfenden Geister. Langsam erhob sich aus dem feurigen Schlunde ein dunkles, ungeheures Haupt empor, stieg über das sausende, kochende, dampfende Feuermeer: seine Füße standen im Abgrund, seinen gepanzerten Leib umrollten die rauchenden Dämpfe. Abermals donnerte es herab durch das Chaos, und starker zitterte die Erde, wilder wirbelten die flammenden Kreise: »Ich zerreiße das Gesetzbuch! zerschmettere den Thron! Zerschlage die Stühle der Richter! Verschlinge Wohnung und Feld! Unter meinen Fersen liegt ächzend die Menschheit! Zum Kampfe gerüstet stehen die Söhne des Staubs! Ihr Schwert bereitet den Vögeln der Luft, den Thieren des Waldes ein Mahl!« Das Gekreische der Geister tönte es nach. Höher stieg das ungeheure Haupt über das kochende Chaos, seine Schultern erhoben sich, wie Felsen von Lava gebildet. Ein ungeheurer, bepanzerter Arm fuhr aus dem Chaos und schlug mit einem flammenden Schwerte hindurch. Das zischende, dampfende, wirbelnde, kochende Gewirre riß sich von einander, und im brausenden Sturme rollten die dunkel glühenden Wolken durch die Luft. Zwei Heere standen in unübersehlicher Ebene gegen einander. Haroun an der Spitze des einen, Khozaima an der Spitze des andern. Der Donner rief: »Wahnsinn, Blutdurst, Rache, Herrschsucht, beginnt euer blutiges Spiel!« Die Heere stürzten gegen einander. Das Schwert wüthete. Auf einem feurigen Wagen, von Wölfen, Tigern und Löwen gezogen, saß die ungeheure, gepanzerte Gestalt und fuhr über die Heere hin. Sein Haupt umschwebten die kreischenden Geister. An den stammenden Rädern hing der Tod und die Verwüstung. Der Gepanzerte schwang eine vom Blut triefende Fahne über die Heere; es war die Fahne der Khalifen, aufgeschwollen vom Wind, wie ein ausgespanntes Segel: er griff in die Fahne, zerriß sie, und die blutigen Stücke stürzten herab über Harouns Heer.

Leviathan schlug mit seinem Stabe in das wilde Kriegsgemenge. Todesstille erfolgte. In der Ferne brannten Städte und Dörfer; beim Glanze des Feuers sah Giafar die Ebene mit den Gebliebenen bedeckt.

Noch dumpfer, fürchterlicher schrie Leviathan: Bebe, Sohn des Staubs! dieses sind die Folgen deines Todes!

Giafar lag auf der Erde – seine Hände emporgehoben – seine Augen blinkend gegen den nun glühenden Himmel.

Abermals berührte Leviathan seine Stirne und schlug durch die brennende Luft. Die Verwüstung verschwand, Nacht erfolgte. Bald stieg die Sonne den Horizont herauf. Giafar erblickte die Leichen Harouns, seiner Söhne, Khozaimas vor dem Palast des Khalifen. Frohlockend stürzte das Volk herbei und weidete sich an dem Fall des Tyrannen. Sie rissen die Erde bei dem Palaste auf, warfen die Leichen hinein und deckten sie mit einem Steinhaufen. Giafar sah sich nach dem Palast eilen, umgeben von seiner Mutter, seinen Verwandten, hörte seinen Namen frohlockend ausrufen von dem Volke. Er sah sich sitzen auf dem Throne der Khalifen, Fatime zu seinen Füßen, blühende erwachsene Kinder um sich. Auf seiner Rechten stand eine erhabene Gestalt, die Wage der Gerechtigkeit haltend – auf seiner Linken ein schöner gedankenvoller Jüngling, der Ahmet glich. Das Volk vor ihm knieend, die Hände gegen ihn ausstreckend.

Leviathan schlug durch die Luft, die Bilder verschwanden, das Licht der Sonne erleuchtete hell die Scene. Duftende, blühende Wiesen, reiche Felder lagen vor ihnen. Mit munterm Gesange, fröhlichem Gebrülle zogen Hirten und Vieh aus den Dörfern. Ihnen folgten fröhliche Arbeiter und zerstreuten sich in den Feldern. Die Karavanen zogen ruhig über die Straßen. Lobgesänge des Barmeciden ertönten.

Sanft erscholl Leviathans Stimme: Giafar, dies kann noch geschehen!

Er berührte seine Stirne. Giafar erwachte wie aus einem schweren Traume, lag gefesselt an dem Rumpfe der Säule; Leviathan saß gegen ihm über in voriger Stellung.

Nach einer langen Pause: Wähle, Barmecide! Dieses kann geschehen! Jenes wird geschehen! Nochmals, zum letztenmal ruft dich Ahmet, dessen Macht du kennst und siehst, zum Glück der Menschen auf! Noch mehr, er sichert auch das deine!

Giafar (bebend). Wie kann es geschehen? Was muß ich thun?

Leviathan. Stehe auf!

Giafar richtete sich auf; klirrend fielen die Fesseln von seinen Gliedern. Er sah den Kerker weit offen stehen, seine Wächter vor demselben liegen, als habe sie der Tod hingestreckt. In der Ferne hörte er sich rufen –

Leviathan. Sie schreien um ihren Erretter von künftigem Jammer! hoffen auf ihren Retter, harren, bis Ahmet ihn zu ihnen führt; sie lechzen, den Barmeciden zur Rache zu begleiten und den Abkömmling ihrer alten Könige, unter deren Scepter sie so glücklich waren, auf den Thron der Khalifen zu setzen. Alles, was ich bisher mit dir vorgenommen habe, sollte nur zu deiner Prüfung dienen und dich auf höhere Zwecke vorbereiten. Nun erst weißt du, wie man die Menschen leiten, wie man auf sie wirken muß. Die Erfahrung hat dir den Mittelweg zwischen Tugend und Laster gezeigt; beide sind als gleich gefährliche Klippen zu vermeiden. Kalt mußt du von nun an zwischen beiden stehen und sie so mischen, wenn es noch thut, daß Keiner errathe, in welche Wagschale du gegriffen hast. Du schweiftest in der Tugend aus – wolltest ein Gott sein – ich mache dich zum Menschen, daß dich die Menschen ertragen mögen, daß du menschliches Glück genießest. Das Gefängniß steht offen, die Wächter schlafen, durch meine Macht – dieser dunkle Gang führt zu dem Schlafgemach des Khalifen, dem Mörder deines Weibes, dem Mörder deines Knaben, deinem Mörder. Von Wollust ermattet, sank er an Fatimens Seite in Schlaf – ich gehe dir vor, bewache und schütze dich! Du stößest diesen Dolch in die Brust des Schlafenden – rächest dich, bist gerettet, und Asien blüht unter dem weisen Barmeciden.

Giafar stand erstarrt – den Dolch in bebender Hand haltend.

Leviathan. Warum zitterst du, Feiger? Habe ich deine Kraft, deinen Sinn fürs Große und Gute zu hoch angeschlagen? Wagst du dieses, was ich fordere, gegen das Glück der Menschheit abzuwägen?

Giafar. Ahmet – als ich diese schrecklichen Gesichter sah, litt ich über des Menschen Kräfte; nun du ein Verbrechen von mir forderst, leide ich nicht mehr. Vor einem Augenblick bebte ich vor deiner zermalmenden, mir unbegreiflichen Macht, nun bin ich stark, stärker als du!

Leviathan. Stark! Daß ich doch ja deine Stärke nicht prüfe! Doch noch lasse ich mich zu dem Sohne des Staubs herab. Verbrechen? Wo ist ein Verbrechen? Durch Das, was ich nun von dir fordere, was die Gerechtigkeit will, handelst du der ewigen Ordnung ebenso gemäß, als es Harouns Mutter that, da sie ihren Sohn vergiftete, um dem Bösen, das er that, ein Ziel zu setzen und dem Guten, das Haroun thun sollte, Raum zu geben. Er hat den Kreis des Guten, das ihm bestimmt war, durchlaufen; nun da er, durch das Verbrechen an dir, zum Bösen hinüber springt, ist es deine Pflicht, dir vom Schicksal von Ewigkeit her bestimmt, seinen Lauf zu hemmen und das größere, gewissere Gute, das die Menschheit von dir erwartet, zu vollenden. So nur zerstörst du den Samen des künftigen Bösen, und Asiens Glück blüht unter dir auf.

Giafar (nach einer langen Pause). Dich begreife ich nicht mehr; doch sei, was du willst, ein Versucher oder Verführer, ich begreife mich und wache, und deine Worte haben mich kalt gemacht. Was ist mir deine Vernünftelei? Was deine Zukunft? Ich fühle die Grenzen, in die ich eingeschlossen bin, und handle nach diesen Grenzen. Das Gegenwärtige ist der Kreis meines Wirkens, für die Zukunft ist mein Auge zu stumpf. Zum Mord forderst du mich auf? Der Barmecide sollte durch ein Verbrechen Gutes wirken? – Der Sohn des Staubs, wie du mich nennst, der nur bis morgen lebt und dann das vermeinte Gute Andern überlassen muß, dieser Sohn des Augenblicks sollte sich erkühnen, den Gang der Welt durch einen Mord zu stören, ihr einen neuen aufzuzwingen? Du kannst wohl meinen Verstand verwirren, aber mein Herz empörst du. Zweizüngiger! und wo bliebe die moralische Welt, von welcher du einst so erhaben sprachst? Nach deiner jetzigen Lehre würden bald Verbrechen die Erde verwüsten und alle gesellschaftlichen Bande auflösen. Die durch Eigennutz und niedrige Begierden bestochene Vernunft würde jeder schlechten That eine Wendung in diesem gefährlichen Sinn zu geben wissen. Und wäre nun ich so unsinnig, den Thron der Khalifen durch ein Verbrechen besteigen zu wollen, würde ich mich nicht durch neue darauf erhalten müssen? Würde nicht jeder Verwegene durch gleiches Verbrechen mich herunter zu stürzen berechtigt sein? Könnte dann noch der Barmecide das moralische Gesetz der Vernunft zur Richtschnur seines Lebens machen? Ahmet, oder wer du seist, wenn ich mein geliebtes Weib, meinen geliebten Knaben durch eine solche That wieder auferwecken könnte, wenn eine Stimme vom Himmel ertönte, wenn der Erhabene mir so sichtbar werden könnte, als du gefährlicher Geist mir es bist, und mir eine That geböte, die dem Gesetze meiner Vernunft widerspräche, ich würde ihm mein Ohr verschließen, und zerfiel ich in Staub vor seinem Odem. Doch du machst mich Unsinn reden, denn heilig, wie er ist, kann er das Gesetz nicht aufheben, das er mir gegeben hat.

Leviathan. Du schwärmst im Fiebertraum; denn was du fühlst, denkst und sprichst, fließt nicht aus dem natürlichen Zustand des Menschen. Selbsterhaltung ist das erste der Gesetze, dieses fühlt das Herz des Menschen bei seiner Geburt und verläßt ihn nur beim letzten Athemzug. So wie Keiner das Böse um des Bösen willen, sondern um des Vortheils willen thut, der daraus für ihn entspringt, so thut Keiner das Gute bloß um der Idee des Guten willen. Erwache aus deiner Schwärmerei, laß dich die Bande der Menschheit wieder durch das Herz, die Sinne umfassen, und kehre zur Erde zurück, auf der du geboren bist.

Giafar. Damals, als meine Vernunft verdunkelt, mein Herz von Zweifeln gefoltert war und ich die Weisen las, die meine Selbständigkeit auflösten; damals, da ich die Quelle des Uebels außer dem Herzen und dem Unverstand der Menschen suchte und Gott und die Natur zu Mitschuldigen unsrer Thorheit machte, da war ich ein Schwärmer, ein unglücklicher Schwärmer; aber als meine moralische Kraft durch Thätigkeit lebendig ward, und ich durch die Ausübung der Tugend lernte, daß aus dem Bösen, worüber ich murrte, unsre Vollkommenheit entspringt, nur daraus entspringen könnte, und ich mich dieser Vollkommenheit immer näher fühlte, die Früchte des Guten um mich her reifen sah, da verschwand die Schwärmerei, da ward ich Mensch; da trat mein Herz mit der Vernunft in Einverständniß.

Leviathan. Um kalt, gleichgültig gegen den Ewigen zu werden? um ihn in stolzem Sinn zu lästern?

Giafar. Wer kann heiß gegen Das sein, was er nicht fassen, nicht denken, nicht begreifen kann? Der Mensch liebt nur, was ihm durch Bedürfniß verwandt ist, was sein Glück und Unglück mit ihm sichtbar theilen und fühlen kann. Jede dunkle, ferne, unfaßliche Macht drückt unsre Stärke nieder, zermalmt die Kräfte, die uns zum freien Gebrauch gegeben sind. Was ist für mich außer dieser Welt? Ich erfülle den Kreis meines Wirkens durch die Vernunft, strebe so zu handeln, daß der Beweggrund meines Handelns Gesetz für Alle sein mag. Der Erfolg ist nicht in meiner Gewalt; aber meine Handlung ist vollendet durch den Zweck, durch den reinen Willen. Noch fühle ich, denke ich durch diesen Körper, bald überlass' ich ihn der Verwesung, und lebt ein anderes Wesen in mir, so kann ich nur durch dieses mit der Zukunft verbunden sein, kann nur dadurch mit höhern Wesen in Verbindung kommen und nur dann erfahren, in wie fern ich hier mit ihnen in Verbindung stand.

Leviathan. Der mit dem Geiste schwelgt, ist nur der feinere Wollüstling. Die ausgekünstelte Selbstsucht bestimmte einst dein Wirken, nun deinen Entschluß. In deinem stolzen, kalten Flug, deiner dichterischen, unnatürlichen Ueberspannung verlierst du das Glück der Menschen aus den Augen und stürzest dich üppiger in den Tod des Verbrechers, als der rohe Wollüstling in die Arme des lang gewünschten Weibes.

Giafar. Eben darum, weil er nicht der Tod des Verbrechers ist; nur alsdann würde ich vor ihm beben. Sieh, dies ist eben die Freiheit meines Willens, an der ich einst zweifelte, daß ich nun diesen fürchterlichen Tod wähle und die Rettung verwerfe, die du mir angeboten hast. Was ist es nun, das mich über alle diese Schrecken, über deine Zweideutigkeit, deine schaudernde Macht erhebt, was mich alles Gefühl der Rache zu unterdrücken lehrt? Ich hoffe nichts durch diesen Tod, verliere Alles, was der sinnliche Mensch Glückseligkeit nennt –

Leviathan. Bemühe dich nicht, du suchst vergebens darnach; im Reiche der Träume schwebt es; aber ich will dir's mit menschlichen Namen bezeichnen – Feigheit ist es, Schwäche, dein Weib, deinen Knaben nicht überleben zu können. Ermüdung, bevor du das Ziel erreicht hast. Stolz, Wahnsinn des beschränkten Thoren, der um eines Hirngespinnsts willen die Welt der Tyrannei zur Verwüstung hinwirft! der in dichterischen Verzuckungen von der beschwerlichen Bahn abspringt, die zur männlichen ernsten Tugend führt. Doch es ist Zeit, daß ich die Täuschung wegblase, in die ich dich gehüllt habe. Es ist Zeit, daß ich die Vorsehung gegen deine kühne Anmaßung rechtfertige. Du nanntest dich frei! Was ist Freiheit? Was heißt frei sein? Wann, wie, wo warst du es? Hing es von dir ab, geboren zu werden? Konntest du über deine Erziehung ordnen? Die Begriffe, Gefühle bestimmen, die dir dein Vater eingeflößt hat? Sprang dein Denken aus deiner innern Kraft, ohne daß das Aeußere, über das du nicht gebieten kannst, das Seinige hinzuthat? Warst du damals frei, als ich dich an dem Knoten nagend fand, den der Ewige nur zur Pein der Frevler geschürzt hat? Warst du es, da ich dir, aus dir damals unbekannten Absichten, die Tugend zur Dichterei machte und dem Sklaven der Nothwendigkeit das schmeichelnde Lied der Freiheit vorsang, um ihn fester an die Kette zu schmieden? Warst du es, da ich dich dem glänzenden Dampf nachjagte? Bist du jetzt frei? Kannst du sagen, ich will nicht in Ketten liegen, ich will nicht fühlen, ich will nicht denken? Nichts ist frei von Allem, was dein Auge erreicht, dein Geist umspannt. Das Thier folgt dem aufgezwungenen Instinkt, der Stein, die Pflanze, der Baum dem Triebe des Wachsthums, die Welten den fest vorgezeichneten Bahnen, und der Mensch, das leidende Ding, den Eindrücken der äußern Gegenstände, die ihm seine Begierden, Wünsche, Denken und Empfinden gewaltsam wider seinen Willen aufdringen. Entspringt eine Handlung rein aus deiner Kraft, ohne allen Bewegungsgrund? Kennst du seine Veranlassung? Weißt du sein entferntes, unsichtbares Entstehen? Die Kette der Nothwendigkeit umspannt dich hier und dort, und wenn ich die leeren, lockern Begriffe von Freiheit und Selbständigkeit bei dir, bis zum Wahnsinn, zuspitzte, so geschah es darum, um dich später der faßlicheren Wahrheit, dem nothwendigen Schicksal, das alle Knoten löst, zuzuführen. Außer ihm ist nichts als wilder Zufall, ohne Festigkeit, ohne Zweck. Gleich einem losgerißnen Wesen treibst du in den Wirbel dieser ungeheuren Maschine, ohne Steuer und Ruder. Störst und wirst gestört – zerreibst und wirst zerrieben und sinkst zerrieben ins leere Nichts. O der herrlichen Welt, wo jeder Zwerg des blinden Geschlechts die festbestimmte unveränderliche Ordnung der Weltbegebenheiten verwirren könnte! Und welche Beschäftigung gibt denn das fünfsinnige, leidenschaftliche Thier dem Herrn und Herrscher dieser Welten? Soll er bloß über den Wolken sitzen und eurem unsinnigen Spiel zusehen; oder allenfalls die Glieder, die ihr aus der Kette reißt, wiederum hineinschmieden? Was ist Er, wenn jeder vermessene blinde Sohn des Staubs, jeder Wurm, jedes Insekt sein eigenes Schicksal bestimmen kann? Wenn Jeder frei ist zu wollen, ohne weitere Ursache zu wollen, als weil er will. Der Zwerg steht auf und sagt: ich bin frei, es gibt keine Zukunft, mein Eigensinn, mein Wohlgefallen, meine Leidenschaften geben ihr erst Dasein. Was will das Wesen der Wesen mit seiner festen Ordnung? Wir leben ohne Haupt; von unsrer Bosheit, unsrer Narrheit, unsren schwarzen Lastern, unsrem Stolze, unsrem Wahn, unsrer Tugend, über deren Bedeutung wir noch nicht einig sind, hängen die Weltbegebenheiten ab; durch sie zerrütten oder befördern wir die Reihe der Dinge, die der Ewige entworfen haben soll. Wir machen die Welt aus, und er hat seine Freude an uns. Die Sonne, die Planeten mögen wohl nach einer festen Ordnung laufen, doch wir, die wir ihm ähnlich sind, wir sind unsre Gesetzgeber, Schöpfer unsers Werths, sind Götter im Kleinen, pfuschen in seiner Schöpfung, pfuschen seiner Schöpfung nach.

Dein stolzes Haupt sinkt – merke auf! – Ich muß die Vorsicht rächen – durch dein eignes Beispiel rächen. Laß sehen, was deine Freiheit, dein Wille zu den Begebenheiten hinzugethan hat, in die du verwickelt warst.

Hadi mußte grausam sein, damit er deinen Vater ermorden konnte. Dieser Mord mußte in deiner Gegenwart geschehen, deinen Geist verwirren, dein Herz mit unnützen Betrachtungen über die Uebel der Welt foltern und dich zur künftigen Ueberspannung stimmen. Hat deine Freiheit, dein Wille hierbei gewirkt? Konntest du eines dieser Ereignisse ungeschehen machen? Eine Wolke mußte am Euphrat bersten, dich zur Lästerung gegen den Ewigen reizen; ich mußte dir erscheinen, dich diesem dunkeln, verworrenen Labyrinthe entreißen, um dich zwar in ein glänzenderes, aber noch weit verworreneres zu führen. Hat dein Wille hierbei etwas gethan? Harouns Mutter mußte ihren Erstgebornen ermorden, damit Haroun den Thron besteigen möchte, damit Haroun dich zu sich rufe, um die Tugend deines ermordeten Vaters in dir zu belohnen. Was that hierbei der freie Barmecide? Wahr ist's, etwas thatest du auf deiner Reise; du erzähltest im Selbstgenuß den Weibern meine Erscheinung. War dies eine Wirkung deiner Freiheit; oder nennst du einen Kitzel deiner Zunge Zufall – Zufall, was später über dein Schicksal so schrecklich entschied? Gewiß, das Geheimniß war ganz für Weiberohren gemacht und gut verwahrt. Du kamst in Bagdad an, gingst stolz, kühn und stark einher, und deine Freiheit bewirkte hier, was ganz natürlich war, das Mißtrauen, die Eifersucht eines Herrschers, der seine schwankende, junge Regierung noch erst gründen mußte; später, Giafar, hätte er deiner unabhängigen Tugend nur gelacht. Warst du damals frei, so warst du wahrlich der Sklave deiner Freiheit. In der Brust dieses Khalifen mußte eine unnatürliche Leidenschaft für seine Schwester glühen, und Giafar mußte just solche glänzende Thaten thun, um dieser Schwester Herz durch Bewunderung zur Liebe für ihn zu reizen und das Herz dieses Eifersüchtigen noch mehr gegen sich zu empören. War dies eine Wirkung deiner Freiheit, daß sich nach und nach der Sturm zusammenzog, um dich zu zerschmettern? Von Eigennutz getrieben, mußte dein kühner Feind Khozaima diesem Khalifen ins Gewissen reden. Dein Wille that hier nichts, als daß du den gefährlichen Mann aufspartest, da dir der Khalife doch befohlen hatte, ihn mit seinem Geheimniß in den Tigris zu begraben. Nenne dich hier frei, wenn du willst – ich, der ich die ganze Kette fasse, sage, du warst des Schicksals blinder Sklave und mußtest ihn aufsparen, damit er später dich erwürgte. Um seinen Ruhm, seinen Thron zu retten, deine Tugend auf die Probe zu stellen, seiner wilden Eifersucht genug zu thun, gibt dir der Khalife seine Schwester zum Weibe und bindet sich durch einen furchtbaren Eid. Was that der freie Barmecide hierbei? – Beschämt, daß du der Männer Pflichten nicht erfülltest, im Wahn, die Phantasie der Neuvermählten mit Luft zu füllen, vertrautest du den Eid des Khalifen deiner Mutter; sie flüsterte ihn deinem Weibe ins Ohr und blies den ersten Funken des Begehrens in ihrem Blute an. Aus Mißmuth zieht Haroun über den Tigris; seine Weiber erzählen ihm Märchen von Geistern, Feen und Zauberern, damit er durch seinen Spott die weibliche Ungeduld Fatimens reizte, mit deinem Geheimniß herauszuplatzen. Abbassa mußte das Verlangen, die Kinder ihres Bruders noch einmal zu sehen, nach dem Palast treiben, sie mußte Fatime besuchen, das Geheimniß von ihr erfahren, der Gedanke sich in ihrem Herzen festsetzen: der Mann, der unter dem Schutze der Geister stehe, habe keine irdische Macht zu fürchten. Vergebens seufzest du, vergebens blickst du ergrimmt auf mich. Schon hatte die üppige Flamme der thierischen Liebe den hohen Sinn, die feste Klugheit des Weibes angefressen, der Wunderglaube verzehrte sie, und dieser Wunderglaube mußte den großen, erhabenen Barmeciden stürzen! Wie? warst du da frei, als die lodernde, zitternde Glut aus den Augen der vor Durst nach Wollust Sterbenden dein Herz ergriff und dich in ihre Arme zog? Konnte deine Freiheit diesen Augenblick beschwören, der über Haroun, dieses Volk, über dich, über sie und den Knaben, den sie empfing, so schrecklich entschied? Gleichwohl wußte der auf seine Freiheit stolze Barmecide, daß sein Leben, und mehr als sein Leben, sein hoher Zweck, seine Tugend auf dem Spiele ständen. Wo war da deine Freiheit? Die Wollust hatte sie eingewiegt, die Weiberliebe eingeschläfert. Barmecide, war es Freiheit oder Furcht, die dich zum Heuchler machte, dich mit Frechheit ausrüstete, als dich der Khalife durch eine Wendung nach deiner Lage mit seiner Schwester fragte? Warst du frei, als du deinen Knaben deiner Mutter übergabst? Konnte deine Freiheit den räuberischen Khozaima hindern, daß er deinem flüchtigen Knaben nicht begegnete? Konnte deine Freiheit das Stolpern des Thiers abwenden, den Mund des schreienden Knaben zuhalten, das Ohr des Dieners deines Feindes mit Taubheit schlagen? Hing es von dir ab, daß sich Khozaima bei seinem Berichte eines Hofgeschwätzes erinnerte und deinen flüchtigen Knaben für einen Sohn des Neffen Harouns hielt? Was hat nun bei allem Dem der freie Barmecide gethan? Wurde er nicht von einer äußern Macht gewaltsam fortgestoßen, bis der Strudel ihn ergriff? Mußte er sich nicht leidend verhalten? Hat deine Tugend, dein Verstand einem einzigen dieser Umstände entgegen wirken können? Wurde nicht dieser zum Sklaven gemacht, und jene durch sie zum Fall gebracht? Was siehst du nun hier? Zufall, blindes, sinnloses Ohngefähr; oder eine Reihe von Begebenheiten, wo nothwendig eine aus der andern fließt? Keines Menschen Kraft vermag ihren schnellen Lauf zu fesseln; keines Menschen Kraft den kleinsten Umstand hinzu oder davon zu thun. Alles ist fest, von Ewigkeit her bestimmt; Alles nothwendig. Jede gegenwärtige Begebenheit ist von der vergangenen gezeugt und zeugt die künftige. Wäre es anders, so wäre es diese Welt nicht mehr, so wäre es eine andere, Haroun nicht Das, was er ist, und der Barmecide wäre nicht der erhabene, stolze Mann, den er mir hier vorspielt. Die Kette, die von dem Throne des Ewigen ausgeht, umspannt alle Welten, Alles, was sie in sich fassen, keines ihrer Glieder kann verändert oder herausgerissen werden. Fest hat der Ewige alle Wesen durch die Nothwendigkeit, sich selbst durch sie gefesselt. Was wäre er, wenn er diese Kette mit so schlaffer Hand hielte, daß jedes seiner geschaffnen Wesen sich davon trennen dürfte? Daß jedes aus dem Kreise springen dürfte, den er zu seinem Laufe bestimmt hat? Er hörte auf zu sein, was er ist, wäre schwach, eigensinnig, veränderlich, verleugnete seine Natur und wäre ein Sklave seiner Sklaven. Barmecide! Alles ist festes, unveränderliches Schicksal; Alles ist nothwendig, was geschieht; Alles, was geschieht, mußte geschehen, so geschehen, wie es geschieht. Nur ein Band umspannt Alles. Es gibt kein Drittes – entweder ist Alles Zufall, oder Alles Nothwendigkeit. Zwischen beiden liegt nichts, und das erste selbst ist nichts. Du verfliegst dich in dem ungeheuren Leeren, bist ein Spiel des sinnlosen Zufalls; oder du ergreifst die Kette der Wesen, an der Alles hängt.

Da nun Alles, was du gewirkt hast, was dir begegnet ist, von Ewigkeit her bestimmt und vorgesehen war, so ist auch fest bestimmt und vorgesehen, was du ferner wirken sollst, was dir ferner begegnen soll. Du mußt es wirken, es muß geschehen, weil die Nothwendigkeit das Gesetz aller Wesen ist und durch den Himmel, die Erde und die Hölle herrscht.

Giafar. Ich hörte dir zu und schwieg. Alles, was ich bei deiner langen Rede dachte, war, daß du an Haroun und allen Verbrechern gefälligere, gläubigere Zuhörer finden würdest, als an mir. Den Schluß erwartete ich, und du hast ihn ganz nach der Weise der Philosophen gemacht, die ich so lange gehört habe. Ahmet – wie ich dich nennen soll, weiß ich nun nicht; aber ich fürchte dich nicht mehr. – Wenn, wie du, zweizüngiges Wesen, uns sagst, der Mensch eine Puppe dieses schrecklichen Mächtigen ist, das Gute und Böse nicht aus freier Wahl thut, sondern weil er muß, demnach weder tugend- noch lasterhaft sein kann, so stehe ich, der mit Ketten Belastete, gegen ihn auf, schüttle dieses Joch ab, empöre mich gegen deine ewige Nothwendigkeit und zerreiße kühn den Faden, den er, nach deiner Aussage, zur Bewirkung einer fernern Reihe von Weltbegebenheiten durch mich von Ewigkeit her gesponnen haben soll. Du sagst, ich sei an der Klippe der Wollust gestrandet, wenigstens sollst du mich nicht an der Klippe des Unsinns stranden sehen.

Leviathan. Des Unsinns? Ward nicht eben diese Lehre dem Propheten offenbart?

Giafar. Die Offenbarung der Vernunft ist älter. Und zieht der Prophet diese Folgen daraus? Wirkt wohl seine Lehre mehr, als daß sie die Menschen unter das Joch des Gewaltigen des Himmels und der Tyrannen der Erde beugt? Sie durch Furcht und Angst zur stumpfen, thierischen Geduld zwingt, damit sie sich nicht das Haupt zerschlagen? Weißt du, warum ich frei bin? Nicht darum, weil ich Alles kann, was ich will, sondern weil ich will, was ich soll. Auf dieses Sollen ist meine Freiheit eingeschränkt, daß sie das moralische Gesetz nicht verletze, das die Vernunft mich lehrt, das in die Tafel meines Herzens von ihr nur eingeschrieben ist. Ich bin frei, weil nichts mich zwingen kann, eine Handlung zu begehen, die diese Gesetzgeberin für böse erkennt. Weiß ich nicht, wie ich frei bin, so weiß ich doch, wie ich gerecht, wie ich tugendhaft sein soll. Du hast vergessen – ich begreife es, warum – daß der Mensch, außer dieser sinnlichen Welt, durch seine Vernunft noch zu einer andern Welt gehört und je mehr gehört, als er sich über diese sinnliche erhebt. Du hast vergessen, daß ein Geist ohne Willen und thätige Kraft ein Unding ist; daß er nicht Mittel, sondern Zweck ist, daß wir nur unter Freiheit Sittlichkeit denken können. Mir ist der ganze Zusammenhang aller Weltbegebenheiten ein Spiel der moralischen Kräfte freier, nur von dem Gesetze der Vernunft abhängiger Wesen. Jedes übt, entwickelt, veredelt, vervollkommnet, vermindert oder verschlimmert die seinen und bestimmt schon hier in seinem Innern seinen Werth. Mehr weiß ich nicht, und dies ist mir genug. Empfinde ich nicht, daß ich mich durch die Vernunft von allen andern Dingen, selbst denen, die auf mich wirken, unterscheide? Muß ich mich nicht durch dieses Bewußtsein als ein Wesen ansehen, das außer dieser sinnlichen Welt zur intellektuellen gehört? Gibt mir dieses nicht zwei Standpunkte, nach denen ich mich betrachten muß? Als ein zur intellektuellen Welt gehöriges Wesen kann ich die Bestimmung meines Willens nicht anders als unter der Idee der Freiheit denken. Mit dieser ist die daraus fließende, sich selbst Gesetz zu sein, unzertrennlich verbunden; an beide schließt sich fest der allgemeine Grund der Sittlichkeit. Wäre ich nun bloß ein Glied der intellektuellen Welt, so würden alle meine Handlungen dem Gesetze der Vernunft gemäß sein. Da ich aber zugleich ein Glied der sinnlichen Welt bin, so muß mein Streben dahin gehen, daß sie ihm gemäß seien.

Leviathan. Ein wahrhafter Todessprung für den Sohn der Erde! – Wie, du siehst nicht, daß du den Knoten zerhauest, daß du die Grenzen der Vernunft überspringest, da du dich in die intellektuelle Welt versteigst?

Giafar. Ich würde es, wenn ich mit diesen Augen hineinblicken wollte.

Leviathan. Und für diese Chimäre, für diesen Fiebertraum unterwirfst du dich dem Henker?

Giafar. Ich unterwerfe mich dem Henker, weil ich nicht der Henker eines Andern sein will.

Leviathan. Und deine Mutter? deine Anverwandten?

Giafar. Sie sind mir mehr durch Tugend, als das Blut verwandt.

Leviathan. Und das Menschengeschlecht, das durch deinen Wahnsinn leidet?

Giafar. Du spottest meiner. Wie kann Haroun Den tödten, den das Schicksal von Ewigkeit her bestimmt hat, eine neue Reihe der Dinge anzufangen!

Leviathan. Wenn es nun dich fallen ließe?

Giafar. So ist Ahmet, was er mir scheint, und ich habe recht oder, wenn du willst, dem ewigen Rathschluß gemäß gehandelt.

Leviathan. Welchen Lohn erwartest du für deine Thorheit?

Giafar. Keinen. Glaubst du, daß ich mit der Tugend Wucher treibe? Vielleicht, daß mir dann hell wird, was mir jetzt dunkel ist.

Leviathan (bricht in ein schallendes, gräßliches Lachen aus). Träumer, bevor du dahin gelangst, will ich dich zu Asche hauchen! deine Stärke zerbrechen! deinen Stolz unter meine Ferse treten! deine Kraft zum Sterben zermalmen und dich in heulender Verzweiflung deinem Schicksal überlassen!

Erkenne mich, Barmecide! – Ich bin ein Philosoph – das böse Princip – der Ahermen – der Teufel, Barmecide! – der Teufel, dessen Spiel du warst; der dich, da er dich nicht durchs Laster stürzen konnte, durch den Wahnsinn übertriebener Tugend stürzte. Hier stehe ich, genieße meines Siegs über dich, dein ganzes Haus und diesen unsinnigen Khalifen. Löse nun diesen Knoten auf – vergleiche mein Dasein, meine Erscheinung mit deiner Freiheit.

Während dieser Worte überzog der Grimm der Hölle sein Angesicht. Wuth, Hohn, Haß, bittrer Mißmuth über das Mißlingen seiner Absicht verfinsterten, verzerrten seine erhabenen Züge. Seine Lippen schwollen auf, dick rollten sich die Falten über seine Stirne und drangen über der Nase hervor. Seine Augenbraunen senkten sich herunter, unter ihnen schoß wildes, glühendes Feuer hervor. Sein Athem fuhr kalt und sausend aus seinen weit geöffneten Nasenlöchern.

Die Worte des Drohenden, seine plötzliche, schreckliche Verwandlung zerrütteten auf einen Augenblick die Sinne Giafars. Er sank an dem Rumpfe der Säule zurück. Schon triumphirte Leviathan in seinem Grimme, schon hoffte er ihn gänzlich zu zerknirschen und ihn zum Wahnwitz, zur Verzweiflung zu treiben. Nochmals rief er ihm zu: Kannst du diesen Knoten lösen?

Giafar faßte seine Kraft zusammen, richtete sich auf an dem Rumpfe der Säule, sah in Leviathans fürchterliches Angesicht und antwortete mit fester Stimme: Der Knoten ist gelöst, denn ich habe dich besiegt.

Noch schrecklicher blickte Leviathan auf ihn; Giafar fuhr fort: Philosoph, Teufel, böses Princip, was du auch seist, wirklich oder ein Blendwerk meiner Phantasie! der Knoten ist gelöst, ich habe das Böse in dir besiegt. Bist du, wofür du dich ausgibst, so bist du nichts als ein Auswurf der Geisterwelt, der mir, dem Sterblichen, nicht anders, als unter der Maske der Weisheit nahen durfte.

Leviathan. Und nie bin ich gefährlicher, als wenn ich diese Maske annehme; denn so erscheine ich in euren Philosophen. Dir nahte ich – durfte dir nahen, da du dich frech gegen den Ewigen empörtest, da die Zweifel deine Seele zerrissen und er sein Angesicht von dir gewandt hatte. Hätte ich dein Herz vergiften können, so würde ich diese Zweifel geschärft haben; aber zu großen entscheidenden Thaten warst du zu feige, und mir blieb nichts übrig, als deine Einbildungskraft zu entflammen. Gelang mir's nicht, durch das Geschwätze über unbegreifliche Dinge, durch die Träume, die ich in deinem Gehirne erzeugte, deine Tugend bis zur unsinnigen Schwärmerei zu treiben? Nur dadurch konnte ich das Gute vernichten, das du, wenn du bescheiden einher gegangen wärst, mit diesem Khalifen ausgeführt hättest. Ich sah voraus, daß der stolze, unabhängige Schwärmer durch seine schreiende Tugend diesen auf seine junge Macht eifersüchtigen Herrscher empören mußte! Ich sah voraus, daß du mit jedem Widerstand, mit jedem Kampfe gegen seine ungerechten Forderungen dich höher über ihn schwingen, durch jeden Sieg über ihn seinen Stolz mehr beleidigen, seinen Haß mehr vergiften müßtest! Ich sah voraus, daß Harouns Schwester den Mann bewundern würde, den ich so gut zugestutzt hatte. Ich sah voraus, daß diese Liebe, das auf dein, des Khalifen und das Weiberherz berechnete Spiel so blutig enden würde. Ich sah voraus, daß du meine zweideutige Erscheinung aus Schlaffheit oder Eitelkeit ausplaudern würdest, und dieses war es, was dein Glück zertrümmerte. So mußtest du fallen, da fallen wo Haroun mit Recht einen Beweis deiner Tugend erwarten konnte! So mußte durch dich dein der Hölle verhaßtes Geschlecht zu Grunde gehen! das Gute verlöschen, das du gethan hast, das du noch thun konntest. Ein Augenblick der Wollust vernichtete Alles, und nun stehst du vor mir, wie der Landmann, der seine Felder umging, die reifen Früchte in Garben sammeln ließ, sich seines Reichthums erfreute – eine Wolke stieg am Abend den Horizont herauf, der Blitz schoß aus ihrem Bauche und verzehrte in einem Nu den Lohn des Schweißes. Morgen sehe ich dich unter den Händen des Henkers sterben, du wirst Staub, zerfällst in Nichts, und ich fahre siegreich in die Hölle.

Giafar. Fahre hin! Noch weiß ich nicht, woher ich komme, wohin ich gehe. Hier stehe ich vor dem Versucher zum Bösen, der meinen Verstand durch die schrecklichsten Vorspiegelungen, durch die giftigsten Erläuterungen über mein Leben zu verwirren sucht! der mich in das Dunkel zurückzustoßen strebt, durch das ich mich muthig gekämpft habe! Um mich her sehe ich die Leichen meiner Geliebten – ahne die Vernichtung meines ganzen edeln Geschlechts, sehe alle meine Zwecke zum Guten von der Hand eines Mannes zertrümmert, dem ich mich aufgeopfert habe; höre sie verspottet, entstellt von diesem schrecklichen Wesen! In dieser Qual, dieser Finsterniß, diesem Zweifel erwarte ich den Tod des Verbrechers – und was ist es nun, das mir eine lichte, leuchtende Flamme vorhält in diesem schrecklichen Dunkel? Durch was besiege ich die Zweifel, die dieser gefährliche Geist mit höhnender Miene in meine Seele schießt? Was ist es, das mich über ihn erhebt? Daß ich ohne Schauder den Furchtbaren ansehe, seine trugvolle Hülfe verschmähe und keine Rache auf das Haupt des Mörders meiner Geliebten herabflehe? Trugvoller Geist, in dem ich die Neigung zum Bösen besiegt habe! die Reinheit meines Willens ist es, das Gefühl, nach dem Gesetze der Vernunft gehandelt zu haben. Die Ueberzeugung, daß ein Wesen nicht vergehen kann, das durch den Verstand gewirkt hat. Die Ueberzeugung ist es, die höchste Vollendung meiner Kraft erreicht zu haben, durch das Streben nach ihr, den uneigennützigen Gebrauch meiner Freiheit, durch den Segen der Menschen, der mich aus diesem Leben begleitet, des Lichts würdig zu sein, dessen mein Geist bedarf, die peinliche Finsterniß zu zerstreuen, welche du um mich gezogen hast, die ich hier nicht ganz zerstreuen kann. Dieses ist es, was mich zum Sieger über dich und alle Schrecken macht. Mein Vater, wenn du noch bist, höre mich, nimm mich auf in deinen Schooß, ich falle wie du!

Schon erhoben sich die Haare auf dem Haupte Leviathans in rauschendem Feuer – schon dehnte sich seine Gestalt bis zum Gewölbe des Kerkers aus. Ein Bote des Allheiligen schwebte um das Haupt des Barmeciden, ihm unsichtbar; berührte mit seinen glänzenden Schwingen sanft seine Augen und öffnete sie der Unsterblichkeit. Leviathan entfloh, die Lampe verlosch, und Giafar versank in einen erquickenden Schlaf. Seine Seele schwebte in den Gefilden der Ruhe: sanfte kühlende Lüfte umwehten seine Stirne. Er wandelte mit Abbassa und Asan, auf blumigten Wiesen, unter freundlichen Schatten.


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