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3.

Der Säugling trank Kraft, Leben und Gedeihen an dem Busen seiner nun glücklichen Mutter, und Giafar genoß oft in stillem Entzücken des schönsten, rührendsten Anblicks, womit die Natur ihre Kinder belohnt. Abbassa's Blick theilte sich zwischen ihm und Dem, der an ihrer Brust lag, und nichts störte ihre Wonne, als der Gedanke der gedrohten Trennung. Mit freudig bebendem Herzen sah sie sein Gedeihen, bemerkte sie jede Entwicklung, sein erstes Lächeln, seinen ersten vernehmlichen Laut, sein erstes Sitzen und hatte täglich Giafar neue freudige Wunder zu erzählen. Bei seinem ersten wankenden Stehen fühlte sie Freude und Schrecken – es brachte die gedrohte Trennung näher herbei – sie lächelte und weinte, drückte den Knaben fest an ihr Herz: »Warum darf ich nicht mit dir fliehen? Warum mich nicht mit dir verbergen? Warum dich nicht an deinen heiligen Zufluchtsort begleiten?«

Schon verkündigte ihr die Mutter wegen der baldigen Ankunft des Khalifen die Nothwendigkeit der Entfernung des Knaben und sprach von den Anstalten, die sie insgeheim zur Reise gemacht hatte. Giafar erhielt in diesem Augenblick Nachricht von dem Khalifen, sie lautete: er würde, nachdem er den griechischen Kaiser zu einem schimpflichen Frieden gezwungen und das Reich erweitert hätte, sein während der Verfolgung Hadi's gethanes Gelübde erfüllen, sogleich eine Wallfahrt nach Mekka antreten und sich erst von da nach Bagdad begeben. Der Barmecide trat zu den Weibern und unterrichtete sie von dem Vorhaben Harouns. Bekümmert sagte er zu seiner Mutter: »Wir können den Knaben nun nicht nach Mekka senden, wie leicht entdeckte ihn dort der Khalife? Wir müssen warten, bis er Mekka verlassen hat, bis er in Bagdad angekommen ist.« Abbassa's Augen glänzten vor Freude bei dieser Nachricht, sie fiel Giafar entzückt um den Hals: »Ich werde ihn noch länger behalten, noch länger seine Mutter sein dürfen! Dank sei dem Propheten, der meinen Bruder nach Mekka rief! Der Knabe wird indessen noch stärker werden, und ich habe weniger für ihn zu zittern! – Doch warum so ernst, Giafar? Nimmst du keinen Theil an meiner Freude?«

Giafar. Ich schweige, Geliebte, um deine Freude nicht zu stören. Sei wachsam – unsre Lage wird nun mit jedem Tag gefährlicher. Gefahrvoller ist die Reise des Knaben, wenn dein Bruder in Bagdad ist. An ein Wunder grenzt es, daß unser Geheimniß bisher verborgen blieb; noch größer wird das Wunder sein, wenn wir ihn von hier bis nach Mekka den Augen seiner Kundschafter entziehen können. Ist er außer unsrer Hand, so ist er und unser Glück in der Gewalt des Zufalls. Darum sei weise, daß wir nicht durch unsre Schuld zerschmettert werden. Ich weiß und fühle es, was ich und du in dem Knaben verlieren, fühle die Gefahr, der ich ihn aussetze, und, beim Propheten! gehörte mein Leben mir allein, ich stellte mich bei des Khalifen Ankunft vor ihn und sagte ihm, was geschehen ist –

Abbassa. O Giafar – er würde dich tödten –

Giafar. Er würde mir Ruhe geben, und so würde ich sie suchen. Ich fühle ergrimmt mein Recht als Mensch, das er mit Füßen tritt. Fühle heiß, daß ich ein Barmecide bin! daß ich Vater bin! und mich nun zur Lüge, zur Verstellung erniedrigen muß, um meine Pflicht zu erfüllen, mein Kind zu retten, ihn, den Grausamen vor einem Verbrechen zu bewahren, das die Menschheit empören, ihn zum scheußlichen Ungeheuer machen müßte.

Abbassa. Welche schreckliche Zukunft eröffnest du mir? Und mit so viel Ernst, einer so finstern Stirne, als triebe dich eine dunkle Ahnung zur Weissagung deines, meines und dieses Knaben Unglücks.

Giafar. Abbassa, ich bin nicht mehr frei, hänge nun von den Menschen, von dem Zufall ab. Dieses empfinde ich und muß dich auf Alles vorbereiten, was uns treffen kann. Mit Muth und Klugheit mußt du dich bewaffnen, um diesem schrecklichen Ausgang zuvorzukommen. Dies ist's, was ich sagen will; es ist keine Ahnung, die mich zu reden treibt; auch erfordert's keinen weissagenden Geist, um dies zuvorzusehen. Es ist Vorbereitung, Warnung, daß deine mütterliche Zärtlichkeit dich nicht verrathe. Wie unglücklich ist Giafar, daß er dich in seinen süßen Träumen stören muß; aber er ist aus den seinen erwacht, und sein Glück beginnt nur wieder, wenn dieser geliebte Knabe in Sicherheit ist.

Abbassa. Er ist es, wird es sein. Ihn begleiten seines Vaters Tugend, die Liebe seiner Mutter, der Schutz des Ewigen, der ihn, seines Vaters Tugend zu belohnen, ihre fernere Wirkung nicht zu stören, dem Auge der Menschen verbergen, dem Zufall, den Er lenkt, entreißen wird. Ihn schützt der Geist, der seinem Vater einst erschienen ist, um ihn von düstrem Trübsinn zu heilen und in das Leben zum Besten der Menschheit zurückzuführen.

Giafar wandte sich bei den letzten Worten weg. Er fühlte eine eiskalte Hand in seinen Busen greifen. Mit Mühe wandte er sich zu Abbassa: Glaube und sei glücklich; doch wisse, daß der Ewige Alles an uns dadurch gethan hat, daß er uns einen Geist beigesellt hat, der für sich fähig ist, zu wählen und thätig zu sein. Auf ihn zu warten, daß er den Knoten löse, den wir verworren haben, hieße den Unbeschränkten zum Unterworfenen des Beschränkten machen, brächte uns um unsern Werth und machte ihn zum Mitschuldigen unsrer Thorheit. – Meine Mutter lächelt! Höre auf sie, Geliebte; ihr kluger, kalter Sinn wird schon die Mittel zu unsrer Rettung finden. Mein tugendhafter Vater starb, und kein Geist kam ihm zu Hülfe.

Abbassa. Er kam dem Sohn zu Hülfe.

Giafar. Er erweckte ihn aus dem Schlummer, soll er nun auch den Wachenden leiten?

Abbassa. Erschien er nicht meinem Bruder, um ihn von der Wahrheit, die er bezweifelte, zu überzeugen?

Giafar. Er erschien, um deines Bruders Herz von mir noch mehr abzuwenden; schwieg bei seinen fürchterlichen Worten und verschwand. Wollte er nur dies bewirken? wollte er – (Er sieht mit forschenden Blicken auf sie, sie schlägt die Augen verwirrt nieder. Er deutet auf seine Brust.) – Verzeihe mir, ich will deinen Kummer nicht vermehren. Glaube an Geister, an ihre Hülfe! Der Gedanke werde dein Trost, befördere deine Ruhe. Meine Mutter und ich, wir handeln, als stehe unsre Rettung nur in unsern Händen.

Abbassa. Vergib mir, Giafar! Ich bin nicht mehr die vorige Abbassa. Seitdem ich dich liebe, diesen Knaben habe, lebe ich nur in euch – und habe keine Klugheit, keinen festen, kalten Sinn mehr.


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