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15.

Abbassa hatte am frühen Morgen einen Boten über den Tigris gesandt. Er kehrte zurück und sagte ihr: Giafar habe den Khalifen nach dem Heere begleitet, man habe des Khalifen Zelt aufgeschlagen, er würde im Lager übernachten und den folgenden Tag aufbrechen.

Da die Prinzessin dieses vernahm, so erwachte das Verlangen in ihrem Herzen, ihres Bruders Kinder, die sie so zärtlich liebte, für deren Erziehung sie so viel gethan hatte, noch einmal zu sehen, von ihnen Abschied zu nehmen und sie ihren Wärterinnen zu empfehlen. Die Kinder sprangen ihr froh entgegen, schalten sie, daß sie so lange nicht zu ihnen gekommen, fragten sie, wo sie gewesen wäre? sie beantwortete mit stillen Thränen ihre zärtlichen Vorwürfe, ihre kindischen, endlosen Fragen, trug ihnen auf, ihren Bruder zu grüßen, unterhielt sich lange mit ihren Wärterinnen und entriß sich den Kleinen. Hierauf begab sie sich zu Zobaide, angenehm überrascht eilte ihr diese zärtlich entgegen; aber da sie Spuren von Thränen in ihren Augen gewahr ward, ihren innern Kummer beim ersten Blick bemerkte und erfahren hatte, daß Haroun Giafar den Augenblick hatte rufen lassen, da er aus dem Harem ging, so glaubte sie, ihr Besuch habe auf Das Bezug, was den Abend vorgegangen war. Um ihren Vorwürfen zuvorzukommen, fing sie an, sich zu entschuldigen, und fragte ängstlich: ob Giafar ihr zürne, was der Khalife gesagt hätte; sprach verworren von dem Geiste, dem Genius. Abbassa rief erstaunt: Ein Geist, ein Genius! – Ja, eben der Geist, der Genius, der mich und seine Mutter errettet hat, der ihn beschützt!

Abbassa. Der ihn beschützt? – (Ein sonderbares, dunkles, freudiges Gefühl durchdringt ihr Herz.) Der ihn beschützt, ihm erschienen ist?

Zobaide. Der ihn durch alle Gefahren glücklich geführt hat, ihn ferner führen wird.

Abbassa. Ein Geist, der ihn durch alle Gefahren glücklich führt?

In ihrem Herzen, ihrer Phantasie lag der Keim zum Wunderglauben. Eine Frage folgte der andern. Zobaidens Antworten wurden immer dunkler, immer verworrener. Einige Worte, die sie von Harouns Antheil an der Erscheinung fallen ließ, ängstigten sie; das dunkle Gefühl von Schutz, die Gewißheit, daß Giafar nichts widerfahren sei, beruhigten sie. Die Erzählerin konnte ihr nichts deutlicher machen. Die Stätte brannte unter ihren Sohlen. Der Abschied ward schnell genommen; sie versprach Zobaide, sie bei Giafar zu entschuldigen, eilte davon, befahl ihren Leuten, schnell zu sein. Giafar war angekommen, sie flog an seine Brust: Dank dem Propheten, daß du da bist! Was hat mein Bruder dir von dem Geist gesagt? Warum verschweigst du mir ein Geheimniß so seltener, glücklicher Art? Durfte Abbassa nicht so gut, als Fatime wissen, daß du unter dem Schutze höherer Wesen stehst? Wer ist es würdig, wenn du's nicht bist? Erzähle mir schnell – laß mich den Geist kennen lernen, der dich schützt, und empfiehl auch deine Abbassa seinem Schutz!

Giafar sah sie ernster und feierlicher an, als sie ihn je gesehen hatte. So weißt auch du, daß mich der Khalife um dieser Erscheinung willen hat rufen lassen?

Abbassa. Wohl weiß ich es. Fatime ist untröstlich darüber, daß sie dein Geheimniß verrathen hat. Es war zufällig, und du wirst sie entschuldigen, wenn du Alles hörst. Doch wo ist die Gefahr dabei? Was kann es dir bei meinem Bruder schaden? Muß er nicht mit Ehrfurcht den Mann ansehen, der mit Höhern, mit Mächtigern, als er, in Verbindung steht?

Das dunkle Gefühl legte einen starken Nachdruck auf das Wort Mächtiger.

Giafar. Die Wirkung, Geliebte, die es auf ihn that, ist von anderer Art; jene wünschte ich nicht, und diese konnte ich nicht vermuthen, da er mich um die Erscheinung fragte. Er hielt mich für einen Träumer, einen Betrüger, und als er selbst die Erscheinung erblickte, ergrimmte er gegen mich, sagte Unsinn in seinem Zorne. Hab ich dies Wesen doch nicht gerufen! bedarf ich doch seiner nicht!

Abbassa. Ihm – auch ihm ist dein Geist erschienen?

Giafar. So sagte er – ich sah ihn nicht – sah nur sein Staunen – seine Augen starr gekehrt gegen den Winkel des Sophas – sah ihn die Luft durchgreifen, mit wilden Blicken sich gegen mich kehren – doch ich bin es von ihm gewohnt und vergebe es ihm; diesen Morgen war er milder.

Er verfiel in Nachsinnen. Abbassa hing an seinen Augen; er begann: du sollst Alles hören, sollst zwischen ihm und mir als Richter sitzen. Dir wird der tiefe Sinn des sonderbaren Gesichts mehr einleuchten. Du wirst die Warnung fassen, wie ich sie faßte, und die Erzählung wird dir Licht über mein vergangenes und jetziges Leben geben.

Mit düstern Farben schilderte er seine ehemalige Lage und ihre Ursache, von dem gewaltsamen Ende seines Vaters bis zum Augenblick der Erscheinung Ahmets. Das Mitleiden, die Theilnehmung Abbassas erweckten ganz sein damaliges Gefühl; aber da er nun anfing, Ahmets Erscheinung, seine Unterredung mit ihm zu schildern, und sie ihm immer näher rückte – ihr Athem bald stand, bald leise über die Lippen drang – ihre gespannte Seele, ihr Herz voll Glauben sich in allen ihren Zügen ausdrückten, so entstammte sich seine Beredtsamkeit an dem sanftglühenden Feuer der Augen und Wangen der durch die Liebe zum Wunderbaren gestimmten Horcherin. Kühne Bilder, erhabene Gesinnungen, große Gedanken drangen aus seinem Herzen. Ihn erhob das Gefühl des Guten, das er gethan hatte, die Ueberzeugung, daß er seinen Ruf erfüllte, die anerkannte Gewißheit, daß die Ereignisse der moralischen Welt durch unsern reinen Willen, durch den wahren Gebrauch unsrer Vernunft, unabhängig von aller fremden, äußern Macht, in unserm Vermögen stehen, unser Vermögen bestimmen müßten. Noch mehr erhob ihn der Gedanke, Abbassas Herz immer mehr an diesen seinen hohen Zweck zu fesseln, ihre Ruhe, ihr Glück dadurch zu sichern, und glaubte in der Begeisterung, er sichere dabei seinen schweren Sieg. Dann beschrieb er ohne Schonung für sich die Warnung, die ihm dieses unbegreifliche Wesen durch eine Reihe von Gesichten im Traum gegeben – vergaß den Antheil nicht, den Haroun daran hatte – Abbassa bebte auf ihrem Sitze – sank bleich gegen seine Brust, als er seinen schrecklichen Fall, sein noch erschrecklicheres Erwachen schilderte.

Lächelnd drückte er sie wider seine Brust: Fürchte nichts, Giafar ist nur im Traum gefallen, war nur im Traume ein Verbrecher. Nur im Traume verblendete ihn der Wahn, damit er wachend die Klippe zu vermeiden strebe. Es ist mir bisher gelungen und wird mir's an deiner Seite, die du mir eine nähere, verwandtere, begreiflichere und angenehmere, himmlische Erscheinung bist, nun nicht leichter gelingen? Kann ich, von dir, deiner Tugend, deiner Weisheit geleitet, straucheln? – Sich, dies ist die Erscheinung, die ich deinem Bruder gezwungen mittheilen mußte; in der er einen Betrug von mir zu sehen glaubte, die ihn gegen mich empörte, da sie dem Zweifler sich darstellte.

Abbassa sah sich mit banger Neugierde um.

Giafar. Er ist nicht da! dir wird er nicht erscheinen. Was hätte er dir zu sagen? Alle Vorstellungen von Furcht und Gefahr verschwanden vor dem glänzenden Gedanken, der Mann, den sie liebte, stehe durch seine Tugend, durch diesen Geist mit dem Erhabenen in Verbindung, der das Schicksal der Menschen leitet, und Bosheit, Macht und Gewalt vermöchten nichts gegen ihn. Selbst der Zwang verlor sich während dieser Begeisterung; kaum erinnerte sie sich der Drohung des eifersüchtigen Bruders. Giafar entriß sich spät der reizenden, gefährlichen Schwärmerin und überließ sie ihren Träumen.


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