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17.

Die ersten Tage verflossen Abbassa ruhig in der Einsamkeit. Das Neue der Scene, die Stille, die nur der Gesang der Vögel, das Rieseln der Bäche, das Lispeln der Luft in den hohen Bäumen belebten, versetzte sie in sanfte Träumereien: aber eben diese sanften Träumereien stimmten sie nach und nach zu einer gefährlichern, stillern, verschlossnern Melancholie. Sie klagte nicht mehr – sie sammelte alles Fühlen und Denken in ihr Herz und empfand täglich mehr, daß ihr Alles fehlte, ohne zu wissen, was ihr fehlte. Kaum erinnerte sie sich noch, warum und wozu sie sich in diese Einsamkeit zurückgezogen hatte; und doch war dieser wachend träumende Zustand so angenehm, das Versinken in sich selbst so reizend, der Gedanke, Giafar genösse nun der Ruhe, so entzückend, daß sie sich unter leisen Seufzern, unter Thränen selig pries, sich von ihm geschieden zu haben. Schwärmerisch traurig und schwärmerisch begeistert wandelte sie in den dunkeln Gängen und sah sich als ein von der Welt, von ihrem Körper, von allem Kummer geschiedenes und befreites Wesen an, während der stille Gram, der zärtliche Hang, der geheime Wunsch an der Blüthe ihres Lebens nagten. Täglich ließ sie Giafar von ihrem glücklichen Zustand Nachricht geben, ihn versichern, sie würde ihn bald, geschwinder, als er hoffte, sehen. Mit süßer Zufriedenheit horchte sie auf Nachricht von ihm und ließ sich seine Worte hundertmal wiederholen. Sie hatte in die Einsamkeit ihre Laute, ihre Stickereien, die Schriften arabischer Dichter und Geschichtschreiber mitgenommen. Der hohe Flug, die erhabenen Gesinnungen, die kühnen Bilder, womit diese die Natur, die Gewalt des Schicksals, die Thaten der Vorwelt, die Aufopferungen großer Männer zum Besten des Vaterlandes und des Glaubens besangen und beschrieben, spannten ihre Phantasie nur auf große Gegenstände, entrückten ihr unvermerkt das Wirkliche, beinahe das Gegenwärtige. Nah war sie der Ruhe, nah dem Siege, als ein Traum diese Begeistrung niederschlug. Giafars Gesicht, die Erscheinung des Geistes, dessen Thaten, Worte und Gestalt sich so ganz ihrer Einbildungskraft bemächtigt hatten, waren in schlaflosen Nächten der Hauptgegenstand ihrer Betrachtungen, ihres Nachsinnens. Mit schauderndem Verlangen fühlte sie den Wunsch, er möchte ihr erscheinen, daß sie ihn fragen könnte – aber Das, was sie ihn fragen wollte, lag noch dunkel in ihrem Busen. Oft fuhr sie bei dem Säuseln der Blätter, dem Spiele des Monds, dem Flattern eines Vogels von einem Ast zum andern bebend aus ihrem Nachsinnen und glaubte ihn zu sehen – seine Stimme zu vernehmen. Sank sie nach diesen Erschütterungen in Schlaf, so sah sie Giafar bald in dieser, bald in jener Gefahr und überall unter dem Schutze des mächtigen Wesens, das er ihr geschildert hatte. Giafar lag in ihren Armen, sie fühlte seinen Athem auf ihren Wangen, seinen Kuß auf ihren Lippen, der grausame Haroun überraschte sie, zog einen Dolch auf Giafar, der Geist erschien drohend, ergriff sie und den Geliebten und trug sie durch die Luft. Dann wallte sie mit dem Geliebten in blühenden Gefilden, geleitet von dem wunderbaren, schützenden Wesen, sah Haroun in der Ferne, bittend, versöhnt – ein Bild, eine Erscheinung voll Schrecken, Glück, Furcht und Wonne folgte auf das andere. Aus diesen Träumen erwachend, bildete der Wunsch des Herzens diesen Gedanken immer weiter aus. Er ward zur Gewißheit: »Was hat Der zu fürchten, der unter dem Schutze eines so mächtigen Wesens steht? Wird er nicht zu seiner Rettung herbeieilen? Zeigte er ihm nicht durch seine Erscheinung, daß er ihn zu seinem Liebling erwählt hat, daß er durch ihn große Zwecke erfüllen will? Wird er ihn in Gefahr verlassen? Kann mein Bruder die Verfügung des Schicksals stören? Weiß er nicht, daß Giafar unter dem Schutze des Mächtigen steht? Wird er es wagen, den von Geistern Bewachten anzugreifen?«

Aus diesen Betrachtungen, dieser kühnen Hoffnung entsprang neue, qualvollere Unruhe. Sie bebte, glühte – sie wollte Giafar sehen, ihm mittheilen, was sie hoffte, ihn durch die Mittheilung gegen alle Gefahr vor ihrem Bruder zu sichern. Die Scham fesselte ihre Füße – Furcht, Ungewißheit umnebelten in dem Augenblick des Entschlusses ihren Geist, und sie versank in tiefere, peinlichere Schwermuth. Noch immer sandte sie Giafar gute Botschaft; jede Stunde, jeden Tag hoffte er sie zu sehen, litt und bekämpfte sein Leiden, die heiße Begierde, sie zu sehen. Schwarze Melancholie ergriff auch ihn; er zweifelte an den Berichten, die er erhielt; aber immer fesselten ihn die Warnung der Mutter, die Drohung des Khalifen, der Gedanke der Gefahr, alle seine Zwecke zu zerrütten. Oft trug ihn sein Fuß nach den dunkeln Gebüschen, die seine Geliebte verbargen, die ihm seine Einbildungskraft leidend, entstellt, traurig vorstellte. Eine stärkere Macht schien ihn zurückzutreiben; er floh, erfreute sich seines Siegs mit zerrißnem Herzen. Hätte er gesehen, wie die Rosen auf ihren Wangen erblichen, wie der Gram an dem Herzen nagte, das nur für ihn schlug, wie die Gluth der Liebe die Blüthe ihrer Schönheit versengte! Hätte er gehört, wie sie, wenn sie seiner Leiden gedachte, in den dunkeln, einsamen Gebüschen, wo nur das fühllose Echo ihre Klagen beantwortete, rief: Warum that der Grausame nicht den Ausspruch, daß ich sterben sollte! – Sie verblühte, sank hin, und je mehr ihr schöner Körper verblühte und hinsank, je höher stimmte sich ihr Geist, je feuriger ward ihre Phantasie, je verworner, dunkler, glänzender und bunter wurden die Bilder, die sie schuf. Im Wachen sah sie Erscheinungen – Geister umschwebten sie – sie schlief nicht mehr, sie träumte wachend – fühlte sich vergehen, sah lächelnd in ihr langsames Hinscheiden. Entkräftet sank sie auf ihr Lager – sie sah den Geist vor sich stehen – vernahm seine Stimme – vernahm von seinen Lippen, was sie zu hören wünschte. In dieser Verwirrung, Täuschung, Pein und Hoffnung auf Rettung ergriff sie eines Morgens, vor Aufgang der Sonne, ein Blatt und schrieb Folgendes an Giafar:

Die strenge Sittsamkeit gebot,
Die Gluth, die mich verzehrt, dir ewig zu verhehlen;
Ich wollt' es; aber ach! umsonst.
Erröthend geb ich nun der heißen Liebe nach –
Zerreiß dies Blatt, benetzt mit meinen Thränen.
Vor Liebe oder Scham, erblassen muß ich bald!
Doch sterben ohne dir zu sagen,
Daß nur für dich Abbassa stirbt,
Dies kann sie nicht.

Die Amme eilte nach dem Palast, sie weckte Giafar auf, er las, sprang auf, warf sich in sein Gewand. Die Sonne stieg den Horizont herauf – er trat in den Pavillon. Sie lag auf dem Sopha, los ihr langes, rabenschwarzes Haar – Sie vernahm ihn – ein Zuruf der Freude, des Schreckens empfing ihn. Die Scham überzog schnell ihre blassen Wangen. Erstarrt stand Giafar: er sah die Zerstörung, die der Gram, die gewaltsam zurückgehaltene Gluth der Liebe bewirkt hatten. Thränen glänzten in ihren sterbenden Augen. Ihre Lippen bebten, ihr Busen drängte sich gegen das Gewand – ihre Hände zitterten. Gewaltsam brachen seine Thränen hervor – sie neigte sich zu ihm – ergriff seine Hand, drückte sie an ihre bebenden Lippen, lispelte ihm zu: »Warum that der Grausame nicht den Ausspruch, daß ich sterben sollte! Du solltest dann glücklich sein! Zürne mir nicht! sieh, wie ich gekämpft habe – ohne Abschied von dir konnte Abbassa nicht sterben!« – Sie verbarg ihr Angesicht – Bei diesen Worten, dem Ton, der sie begleitete, dem Hinsinken, dem Anblick, der Zerstörung verließ ihn alles Denken. Alle Vorstellungen wurden von dem Schmerz verdrängt. Sein Herz fühlte den Vorwurf, der in ihren Worten lag – er drückte sie an seine Brust, küßte ihre Lippen, ihre sterbenden Augen – hatte nur ein Gefühl, das Gefühl ihrer Rettung.


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