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James VI., König von Schottland

Nachspiel

1587–1603

Im griechischen Drama folgt der düsteren, langhinrollenden Tragödie immer ein knappes und freches Satyrspiel: ein Epilog solcher Art fehlt auch nicht im Drama Maria Stuarts. Am Morgen des 8. Februar ist ihr Haupt gefallen, bereits am nächsten Morgen hat ganz London die Vollstreckung erfahren. Grenzenloser Jubel begrüßt die Nachricht in Stadt und Land. Und wäre das sonst hellhörige Ohr der Herrscherin nicht plötzlich dumpf und taub geworden, so müßte Elisabeth sich jetzt eigentlich erkundigen, welches Fest außerhalb des Kalenders ihre Untertanen derart stürmisch feiern. Aber sie hütet sich weislich, zu fragen; dicht und immer dichter hüllt sie sich in den Zaubermantel ihrer Ahnungslosigkeit. Offiziell will sie von der Hinrichtung ihrer Rivalin verständigt oder vielmehr davon »überrascht« werden.

Das trübe Geschäft, die angeblich Unwissende von der Hinrichtung ihrer »dear sister« zu benachrichtigen, fällt Cecil zu. Heiter ist ihm dabei nicht zumute. Seit zwanzig Jahren sind über den bewährten Ratgeber bei ähnlichen Anlässen mancherlei Gewitter niedergegangen, zornmäßig echte und staatspolitisch gespielte; auch diesmal wappnet sich der ruhige, ernste Mann innerlich mit besonderer Gelassenheit, ehe er den Empfangssaal seiner Herrscherin betritt, um sie endlich von der vollzogenen Hinrichtung offiziell zu verständigen. Aber die Szene, die jetzt losbricht, ist ohne Beispiel. Wie? Man habe gewagt, ohne ihr Wissen, ohne ihren ausdrücklichen Befehl Maria Stuart hinzurichten? Unmöglich! Unfaßbar! Niemals habe sie eine so grausame Maßregel in Aussicht genommen, solange nicht ein auswärtiger Feind den Boden Englands betreten hätte. Ihre Ratgeber hätten sie betrogen, verraten, wie Schurken an ihr gehandelt. Ihr Ansehen, ihre Ehre sei unrettbar vor der ganzen Welt durch diese perfide und hinterhältige Tat beschmutzt. Ach, ihre arme, unglückliche Schwester, einem erbärmlichen Irrtum, einer niederträchtigen Schurkerei sei sie zum Opfer gefallen! Elisabeth schluchzt und schreit und stampft wie eine Rasende. In rüdester Weise beschimpft sie den grauhaarigen Mann, daß er und die andern Mitglieder des Rats gewagt hätten, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis das von ihr unterschriebene Todesurteil vollstrecken zu lassen.

Nun hatten Cecil und seine Freunde keinen Augenblick daran gezweifelt, daß Elisabeth die von ihr eingefädelte »illegale« Staatsaktion als einen »Mißgriff untergeordneter Behörden« von sich abwälzen werde. Im Bewußtsein ihres erwünschten Ungehorsams hatten sie sich zusammengetan, um gemeinsam die »Bürde« der Verantwortung der Königin abzunehmen. Aber sie hatten gemeint, Elisabeth werde sich dieser Ausflucht nur vor der Welt bedienen und sub rosa, im privaten Audienzzimmer für die prompte Wegräumung der Rivalin ihnen sogar Dank sagen. Doch Elisabeth hat ihren gespielten Zorn innerlich so vorbereitet, daß er wider ihren Willen oder zumindest jenseits ihres Willens echt wird. Und was über Cecils gesenktes Haupt jetzt niedergeht, ist nicht ein Theatergewitter, sondern eine schmetternde Entladung wirklicher Wut, ein Orkan von Beschimpfungen, ein Wolkenbruch von Schmähungen. Beinahe tätlich fällt Elisabeth ihren getreuesten Berater an, sie beleidigt ihn mit so unerhörten Worten, daß der alte Mann seine Demission anbietet, und tatsächlich darf er zur Strafe für seinen angeblichen Vorwitz für einige Zeit nicht mehr bei Hofe erscheinen. Nun erst wird klar, wie geschickt, wie vorausschauend Walsingham, der eigentliche Anstifter, gehandelt hat, daß er vorzog, während der entscheidenden Tage krank zu sein oder sich krank zu stellen. Denn auf seinen Stellvertreter, auf den unglückseligen Davison, ergießt sich brennend die ganze Schale des königlichen Zornes. Er wird zum Sündenbock, zum Demonstrationsobjekt für Elisabeths Unschuld bestimmt. Nie habe er das Recht gehabt, beschwört jetzt Elisabeth, das Todesurteil Cecil zu übergeben und das Staatssiegel darauf anbringen zu lassen. Gegen ihren Wunsch und Willen habe er eigenmächtig gehandelt und ihr durch seine freche Vordringlichkeit unermeßlichen Schaden zugefügt. Auf ihren Befehl erhebt man in der Starchamber öffentliche Anklage gegen den ungetreuen, in Wahrheit allzu getreuen Beamten; durch einen Gerichtsbeschluß soll feierlich vor Europa festgestellt werden, daß die Hinrichtung Maria Stuarts einzig diesem Schurken zur Last falle und Elisabeth völlig ahnungslos gewesen. Selbstverständlich lassen ebendieselben Staatsräte, die geschworen haben, die Verantwortung brüderlich miteinander zu teilen, ihren Kameraden schmählich im Stich; sie eilen nur, ihre eigenen Ministerposten und Pfründen aus diesem königlichen Gewitter zu retten. Davison, der für den Auftrag Elisabeths keinen Zeugen hat als die stummen Wände, wird zu zehntausend Pfund verurteilt, eine Summe, die er niemals bezahlen kann, und ins Gefängnis geworfen; heimlich schiebt man ihm zwar später eine Pension zu, aber nie darf er mehr zu Elisabeths Lebzeiten bei Hofe erscheinen, seine Karriere ist zerbrochen, sein Leben endgültig erledigt. Es ist immer gefährlich für Höflinge, die heimlichen Wünsche ihres Herrschers nicht zu verstehen. Aber noch verhängnisvoller wird es manchmal, sie allzu gut verstanden zu haben.

 

Das holde Märchen von der Unschuld und Ahnungslosigkeit Elisabeths ist allzu verwegen aufgezäumt, um der Mitwelt als wahr zu gelten. Und es gibt vielleicht nur einen einzigen Menschen, der dieser phantasievollen Darstellung nachträglich Glauben schenkt, und dies ist erstaunlicherweise Elisabeth. Denn eine der merkwürdigsten Eigenschaften der hysterischen oder hysterisch angefärbten Naturen ist nicht nur ihre Fähigkeit, verblüffend gut zu lügen, sondern auch sich selber zu belügen. Was sie wahrhaben wollen, wird für sie wahr, und ihre Zeugenschaft: kann manchmal die ehrlichste aller Lügen sein und darum die gefährlichste. Wahrscheinlich empfindet sich Elisabeth selbst als völlig aufrichtig, wenn sie nach allen Seiten hin erklärt und beschwört, die Hinrichtung Maria Stuarts nie befohlen oder auch nur gewollt zu haben. Denn ein halber Wille war ja wirklich in ihr, der diese Tat nicht wollte, und nun verdrängt die Erinnerung an dieses Nichtwollen allmählich die Teilhaberschaft an der hinterhältig gewollten Tat. Ihr Wutausbruch beim Empfang der Nachricht, die sie zwar wahrhaben, aber nicht wissen wollte, war nicht nur ein theatralisch vorgeprobter, sondern zugleich – in ihrer Natur ist alles zwiespältig – ein echter, ein ehrlicher Zorn, ein Nicht-sich-verzeihen-Können, daß sie ihre reineren Instinkte vergewaltigen ließ, ein echter Zorn auch gegen Cecil, daß er sie in diese Tat hineingerissen und doch nicht verstanden hatte, ihr die Verantwortung zu ersparen. So leidenschaftlich hat sich Elisabeth in ihre Selbstsuggestion, die Hinrichtung sei gegen ihren Willen geschehen, hineingeredet und hineingelogen, daß von nun ab ein beinahe überzeugender Akzent in ihren Worten mitschwingt. Es scheint wirklich nicht mehr Betrug, wenn sie im Trauergewand den französischen Gesandten empfängt und beschwört, »nicht der Tod ihres Vaters, nicht der Tod ihrer Schwester habe so sehr ihr Herz berührt«, aber sie sei »eine arme, schwache Frau, umringt von Feinden«. Wären jene Mitglieder ihres Staatsrats, die ihr diesen erbärmlichen Streich gespielt, nicht so lange in ihrem Dienst gewesen, so hätte sie ihre Köpfe auf den Block gelegt. Sie selbst habe das Todesurteil nur unterschrieben, um ihr Volk zu beruhigen, aber nur dann, wenn eine fremde Armee in England eingedrungen wäre, hätte sie es tatsächlich vollstrecken lassen.

Diese halbe Wahrheit und halbe Lüge, daß sie nie die Hinrichtung Maria Stuarts wirklich gewollt habe, hält Elisabeth auch in dem Briefe aufrecht, den sie mit eigener Hand an James VI. von Schottland richtet. Abermals beteuert sie ihren äußersten Schmerz über den »niederträchtigen Irrtum«, der ganz gegen ihren Willen und ohne ihre Zustimmung (»without her knowledge and consent«) vorgefallen sei. Sie ruft Gott zum Zeugen an, daß sie »in dieser Sache unschuldig sei« und sie niemals daran gedacht habe, Maria Stuart hinrichten zu lassen (»she never had thought to put the Queene, your mother, to death«), obwohl ihr täglich ihre Ratgeber die Ohren vollbliesen. Und den natürlichen Einwand vorausnehmend, daß sie Davison als Schuldigen bloß vorschiebe, sagt sie stolz, keine Macht der Erde könnte sie veranlassen, etwas, was sie selbst befohlen habe, auf die Schultern eines andern zu laden.

Aber James VI. ist gar nicht sonderlich lüstern, die Wahrheit zu erfahren, er will seinerseits nur eines jetzt: den Verdacht abwehren, als ob er das Leben seiner Mutter nicht nachdrücklich genug verteidigt hätte. Selbstverständlich kann er nicht sofort ja und amen sagen, sondern muß wie Elisabeth den Schein der Überraschung und Entrüstung wahren. Er holt also eine große Geste hervor; feierlich erklärt er, ein solcher Akt dürfe nicht ungerächt bleiben. Dem Abgesandten Elisabeths wird verboten, Schottlands Boden zu betreten, und ihr Brief von der Grenzstadt Berwick durch einen eigenen Boten abgeholt: die Welt soll sehen, daß James VI. den Mördern seiner Mutter grimmig die Zähne zeigt. Aber das Londoner Kabinett hat längst das richtige Verdauungspulver gemischt, um den zürnenden Sohn zu bestimmen, die Nachricht von der Hinrichtung seiner Mutter stillschweigend »hinunterzuschlucken«. Gleichzeitig mit dem »für die Bühne der Welt« bestimmten Briefe Elisabeths geht ein privater, diplomatischer nach Edinburgh, in dem Walsingham dem schottischen Kanzler mitteilt, daß James VI. die Thronfolge in England zugesichert und damit das dunkle Geschäft perfekt sei. Dieser süße Trank wirkt zauberisch auf den angeblich so schmerzlich Erregten. James VI. spricht kein Wort mehr von einer Kündigung der Allianz. Er kümmert sich nicht darum, daß der Leichnam seiner Mutter weiterhin unbestattet in einem Kirchenwinkel liegenbleibt. Er protestiert auch nicht dagegen, daß ihr letzter Wille, in französischer Erde Ruhe zu finden, gröblich mißachtet wird. Auf magische Weise ist er plötzlich von der Unschuld Elisabeths überzeugt, und bereitwillig geht er auf die lügnerische Version des »Irrtums« ein. »Sie reinigen sich dadurch von der Mitschuld an jenem unglücklichen Geschehnis« (»Ye purge youre self of one unhappy fact«) schreibt er an Elisabeth und wünscht als braver Kostgänger der englischen Königin, daß ihr »ehrenhaftes Verhalten für ewig in der Welt bekannt werde«. Ein goldener Wind der Verheißung hat die stürmische Welle seines Unmuts rasch beschwichtigt. Und eitel Friede und Eintracht herrscht von nun ab zwischen dem Sohn und der Frau, die das Todesurteil seiner Mutter gefällt.

 

Moral und Politik gehen besondere Wege. Immer beurteilt man darum ein Ereignis von völlig verschiedenen Ebenen, je nachdem, ob man es vom Standpunkt der Humanität oder dem des politischen Vorteils wertet. Moralisch bleibt die Hinrichtung Maria Stuarts ein völlig unentschuldbarer Akt: wider alles Völkerrecht hatte man mitten im Frieden die Nachbarkönigin festgehalten, heimlich eine Schlinge gedreht und ihr auf perfideste Weise in die Hände gespielt. Aber ebensowenig läßt sich leugnen, daß vom staatspolitischen Standpunkt gesehen, die Beseitigung Maria Stuarts für England eine richtige Maßnahme war. Denn in der Politik entscheidet – leider! – nicht das Recht einer Maßnahme, sondern der Erfolg. Und bei der Hinrichtung Maria Stuarts billigt der Erfolg im politischen Sinne nachträglich den Mord, denn er schafft England und seiner Königin nicht Unruhe, sondern Ruhe. Cecil und Walsingham haben die positiven Kräfteverhältnisse richtig abgeschätzt. Sie wußten, daß fremde Staaten vor einer wirklich starken Regierung allezeit schwächlich werden und ihre Gewalttätigkeiten und sogar Verbrechen feige nachsehen. Sie rechneten richtig, daß die Welt sich wegen dieser Hinrichtung nicht in Erregung versetzen lassen werde, und in der Tat: die Rachefanfaren aus Frankreich und Schottland frieren plötzlich ein. Heinrich III. bricht keineswegs, wie er angedroht hatte, die diplomatischen Beziehungen zu England ab, und noch weniger als damals, da es galt, die lebende Maria Stuart zu retten, schickt er, um die tote zu rächen, einen einzigen Soldaten über den Kanal. Allerdings, er läßt in Notre-Dame eine schöne Trauermesse lesen, und die Dichter schreiben einige elegische Strophen: aber damit ist Maria Stuart für Frankreich erledigt und vergessen. Im schottischen Parlament wird ein wenig gelärmt, James VI. legt Trauerkleider an; bald aber reitet er wieder auf den von Elisabeth geschenkten Pferden, begleitet von den von Elisabeth geschenkten Bluthunden, vergnüglich auf die Jagd und bleibt weiterhin der bequemste Nachbar, den England jemals gekannt. Nur Philipp der Langsame von Spanien rafft sich auf und rüstet die Armada. Aber er steht allein und gegen ihn Elisabeths Glück, das zu ihrer Größe gehört und wie bei allen ruhmreichen Herrschern. Noch ehe es zur Schlacht kommt, zerschellt die Armada im Sturm, und damit bricht der lang geplante Angriff der Gegenreformation in sich zusammen. Elisabeth hat endgültig gesiegt und England mit dem Tode Maria Stuarts seine äußerste Gefahr bestanden. Die Zeiten der Abwehr sind vorüber, mächtig wird nun seine Flotte ausgreifen können über die Ozeane nach allen Erdteilen und sie großartig zum Weltreich verbinden. Der Reichtum wächst, eine neue Kunst blüht auf in Elisabeths letzten Lebensjahren. Nie war die Königin mehr bewundert, nie mehr geliebt und verehrt als nach ihrer schlimmsten Tat. Immer sind aus den Quadern der Härte und des Unrechts die großen Staatsgebäude gebaut, immer ihre Fundamente mit Blut vermörtelt; unrecht haben in der Politik nur die Besiegten, und mit ehernem Schritt geht die Geschichte über sie hinweg.

Eine arge Geduldprüfung ist Maria Stuarts Sohn freilich noch aufgespart: nicht mit einem Sprung, wie er geträumt, gelangt er auf den englischen Thron, nicht so schleunig, wie er gehofft, wird der Kaufpreis für seine feile Nachsichtigkeit gezahlt. Er muß, härteste Qual für einen Ehrgeizigen, warten, warten, warten. Fünfzehn Jahre, fast ebenso lange, wie seine Mutter von Elisabeth in Gefangenschaft verschlossen war, muß er untätig in Edinburgh hindösen und warten, warten, warten, bis endlich der alten Frau das Zepter aus der erkalteten Hand fällt. Verdrossen sitzt er auf seinen Schlössern in Schottland, er reitet oft auf die Jagd, er schreibt Traktate über religiöse und politische Fragen, aber seine Hauptbeschäftigung bleibt dies lange und leere und ärgerliche Warten auf eine gewisse Nachricht aus London. Lange bleibt sie aus. Denn es ist, als hätte das vergossene Blut ihrer Gegnerin Elisabeths Adern belebt. Immer stärker wird sie, immer sicherer, immer gesünder seit Maria Stuarts Tod. Nun sind ihre schlaflosen Nächte vorbei, die fiebrige Unruhe des Gewissens, die sie in den Monaten und Jahren des Sich-nicht-entscheiden-Könnens erlitten, wird ausgeglichen durch die Ruhe, die nun ihrem Lande, ihrem Leben geschenkt ist. Kein Irdischer wagt ihr mehr den Thron zu bestreiten, und selbst dem Tod setzt diese Eifersüchtige noch eine leidenschaftliche Energie entgegen, auch ihm gönnt sie nicht ihre Krone. Die Siebzigjährige, zäh und unnachgiebig, will nicht sterben, tagelang irrt sie umher, aus einem Raum in den andern, es hält sie nicht im Bett, es hält sie nicht im Zimmer. Grauenhaft und großartig wehrt sie sich, irgendeinem auf Erden den Platz zu lassen, um den sie so zäh und rücksichtslos gekämpft hat.

Aber endlich kommt doch ihre Stunde, endlich wirft im harten Ringkampf der Tod die Unnachgiebige nieder; aber noch röchelt die Lunge, noch immer schlägt, matter zwar und matter, das alte ungebärdige Herz. Unter dem Fenster wartet, das Pferd gesattelt, ein Abgesandter des ungeduldigen Erben aus Schottland auf ein gewisses vereinbartes Zeichen. Denn eine Hofdame Elisabeths hat versprochen, in derselben Minute, da Elisabeth den letzten Atemzug getan, einen Ring hinunterzulassen. Es dauert lange. Vergeblich blickt der Bote empor; die alte jungfräuliche Königin, die so viele Werber zurückgestoßen, läßt den Tod noch immer nicht an ihren Leib. Endlich, am 24. März, klirrt das Fenster, eine Frauenhand schiebt sich hastig heraus, der Ring fällt herunter. Sofort setzt sich der Kurier auf das Pferd, galoppiert in einem Zuge in zweieinhalb Tagen nach Edinburgh, ein Ritt, der berühmt wird in den Zeiten. Genau so hitzig war vor siebenunddreißig Jahren Lord Melville von Edinburgh nach London gesprengt, um Elisabeth zu melden, daß Maria Stuart einem Sohne das Leben geschenkt habe, wie nun dieser andere Bote nach Edinburgh zu diesem Sohn zurückstürmt, um ihm zu künden, daß Elisabeths Tod ihm eine zweite Krone beschert. Denn James VI. von Schottland ist in dieser Stunde endlich zugleich König von England, endlich James I. geworden. Im Sohne Maria Stuarts sind die beiden Kronen für immer vereint, der unselige Kampf vieler Geschlechter ist zu Ende. Dunkle und krumme Wege geht oft die Geschichte, aber immer erfüllt sich endlich der historische Sinn, immer erzwingen die Notwendigkeiten schließlich ihr Recht.

 

James I. richtet sich wohlgefällig ein in dem Palast von Whitehall, den seine Mutter als den ihren erträumt. Endlich ist er die Geldsorgen los und der Ehrgeiz gekühlt; sein Sinn geht nur auf Behagen und nicht auf Unsterblichkeit. Er reitet oft auf die Jagd, er besucht gern das Theater, um dort, das einzig Gute, das man ihm nachrühmen kann, einen gewissen Shakespeare und andere ehrenwerte Dichter zu protegieren. Schwächlich, faul und unbegabt, ohne jede geistige Gnade, die Elisabeth zuteil war, ohne den Mut und die Leidenschaft seiner romantischen Mutter, verwaltet er bieder das gemeinsame Erbe der beiden feindlichen Frauen: was beide unter glühendster Anspannung der Seele und der Sinne für sich begehrten, ist ihm, dem geduldig Wartenden, kampflos in den Schoß gefallen. Aber nun, da England und Schottland vereint sind, darf auch vergessen sein, daß eine Königin von Schottland und eine Königin von England einander ihr Leben mit Haß und Feindschaft verstörten. Nicht mehr ist die eine im Unrecht und die andere im Recht, ihnen beiden hat der Tod den gleichen Rang zurückgegeben. So dürfen sie endlich, die so lange gegeneinander gestanden, nebeneinander ruhen. James I. läßt den Leichnam seiner Mutter vom Kirchhof in Peterborough, wo sie einsam wie eine Verstoßene liegt, bei feierlichem Fackelschein in die Grüfte der Könige von England, in die Westminsterabtei, überführen. In Stein gemeißelt wird Maria Stuarts Bildnis aufgestellt, in Stein gemeißelt das Bildnis Elisabeths nahe dem ihren. Nun ist der alte Zwist für ewig beschwichtigt, nicht mehr bestreitet die eine der andern das Recht und den Raum. Und die sich im Leben feindlich gemieden und nie einander ins Auge gesehen, nun ruhen sie endlich schwesterlich nebeneinander im gleichen heiligen Schlaf der Unsterblichkeit.


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