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Achtes Kapitel

Die Schicksalsnacht von Holyrood

9. März 1566

Es gehört zum Wesen jedes vollblütigen Gefühls, daß es nicht zählt und spart, nicht zögert und nicht fragt: wenn eine fürstliche Natur liebt, so bedeutet dies volles Hingeben und Verschwenden. In den ersten Wochen der Ehe kann sich Maria Stuart gar nicht genug tun an Gunstbezeigungen für ihren jungen Gatten. Jeden Tag überrascht sie Darnley mit anderen Geschenken, bald ist es ein Pferd, bald ein Kleid, hundert kleine und zärtliche Dinge, nach dem sie ihm alles Große, nachdem sie ihm den Königstitel und ihr unruhiges Herz schon gewährt hat. »Was an Ehre einem Manne von einer Frau zugebilligt werden kann«, berichtet der englische Gesandte nach London, »wurde ihm voll und ganz zuteil. Alles Lob, alle Würden, welche sie zu vergeben hat, sind ihm längst zuerkannt. Keiner gefällt ihr, der ihm nicht zusagt, und was soll ich mehr sagen, als daß sie ihren ganzen Willen ihm unterordnet.« Maria Stuart vermag ihrer vehementen Natur gemäß nichts halb zu tun, sondern alles nur ganz und mehr als ganz: wenn sie sich hingibt, so ist es nicht ein zögerndes, ängstliches, sondern ein besinnungslos wildes und verschwenderisches Schenken ohne Maß. »Sie hat sich völlig unter seinen Willen gestellt«, schreibt Randolph, »und läßt sich lenken und führen, wie es ihm gefällt.« Als leidenschaftlich Liebende löst sie ihr ganzes Leben in Gehorsam und ekstatischer Demut auf. Nur ein ungeheurer Stolz kann bei einer liebenden Frau so großartig in eine ungeheure Hingabe umschlagen.

Jedoch große Geschenke sind dem nur Gnade, der ihrer würdig ist, jedem andern werden sie Gefahr. Starke Charaktere werden stärker durch plötzlich ihnen zugewachsene Macht (denn Macht ist ihr natürliches Element), schwache Charaktere aber erliegen ihrem unverdienten Glück. Triumph macht sie nicht demütig, sondern hoffärtig, und in kindischer Torheit verwechseln sie ein zugefallenes Geschenk mit eigenem Verdienst. Bald erweist sich die rasche und unbeschränkte Gebelust Maria Stuarts als verhängnisvoll verschwendet an diesen engen, eitlen Jungen, der selbst noch einen Erzieher brauchte, statt sich Herr zu fühlen einer großmütigen, einer großherzigen Königin. Denn kaum bemerkt Darnley, welche Gewalt er gewonnen hat, so wird er anmaßend und frech. Er nimmt Maria Stuarts Geschenke wie einen ihm schuldigen Tribut, die Gnade dieser königlichen Liebe als sein ihm zustehendes Mannesrecht; zum Herrn erhoben, meint er, das Recht zu haben, sie wie eine Untergebene zu behandeln. Innerlich eine armselige Natur, wächsernen Herzens – »heart of wax«, wie später Maria Stuart selbst verächtlich von ihm sagen wird –, verliert der verwöhnte Junge jede Hemmungen, er bläht sich auf und mengt sich herrisch in Staatsgeschäfte. Dahin die Gedichte und die zarten Manieren, sie sind nicht mehr nötig, jetzt trumpft er im Rate auf, spricht rüde und laut, trinkt mit seinen Kumpanen und kanzelt die Königin, als sie ihn einmal aus derart unwürdiger Gesellschaft zu holen sucht, in so beschämender Weise ab, daß die öffentlich Gedemütigte in Tränen ausbricht. Weil ihm Maria Stuart den Titel König geschenkt hat – nur den Titel und nicht mehr –, meint er, jetzt schon wirklich König zu sein, und fordert ungebärdig die Mitherrschaft, die »matrimonial crown«; noch ehe ihm der Bart gesprossen, will der Neunzehnjährige schon als unumschränkter Gebieter Schottland regieren. Aber jeder erkennt: hinter dieser herausfordernden Art steckt kein wirklicher Mut, hinter diesem Prahlen kein entschlossener Wille. Bald wird auch Maria Stuart sich nicht länger der Beschämung entziehen können, ihr erstes und schönstes Liebesgefühl an einen undankbaren Laffen verschwendet zu haben. Zu spät, wie so oft, könnte sie jetzt bereuen, die wohlmeinenden Warnungen ihrer besten Berater mißachtet zu haben.

Nun gibt es im Leben einer Frau keine tiefere Erniedrigung, als sich voreilig einem Manne hingegeben zu haben, der solcher Liebe unwürdig war: nie wird eine wahre Frau solche Schuld sich selber, nie dem Schuldigen verzeihen können. Nach so viel Leidenschaft zwischen zwei Menschen wäre aber bloße Kühle und glatte Höflichkeit widernatürlich: einmal entzündet, muß ein Gefühl weiterbrennen, es kann nur seine Farbe ändern, dunkel schwelen in Haß und Verachtung, statt hell zu lodern als Liebe und Brand. So entzieht Maria Stuart, immer hemmungslos in ihrem Empfinden, sobald sie ihn als unwert erkannt hat, Darnley vielleicht brüsker und plötzlicher, als es eine besonnene, eine berechnende Frau getan hätte, ihre Gunst. Von einem Extrem fällt sie in das andere. Stück für Stück nimmt sie jetzt Darnley wieder weg, was sie im ersten Schwung ihrer Leidenschaft, ohne zu überlegen, ohne zu zählen, ihm zuerkannt. Von einem faktischen Mitkönigtum, von der »matrimonial crown«, die sie seinerzeit dem sechzehnjährigen Franz II. übertragen hatte, ist nun mit einmal keine Rede mehr. Voll Ärger merkt Darnley, daß er zu wichtigen Sitzungen des Staatsrats nicht mehr zugezogen wird und man ihm verweigert, die königlichen Insignien in seinem Wappen zu führen. Zum bloßen Prinzgemahl degradiert, spielt er jetzt plötzlich statt der erträumten Hauptrolle am Hofe nur mehr jene des verärgerten Raisonneurs. Bald färbt die verächtliche Behandlung auf die Höflinge ab; sein Freund David Rizzio zeigt ihm keine Staatsdokumente mehr und siegelt, ohne ihn zu fragen, mit dem »iron stamp«, der Königsunterschrift, alle Briefe, der englische Gesandte verweigert ihm den Titel »Majestät« und kann bereits zu Weihnachten, kaum ein halbes Jahr nach den Flitterwochen, über »strange alterations« am schottischen Königshofe berichten. »Vor kurzem hieß es noch immer: der König und die Königin, jetzt wird bloß vom Gatten der Königin gesprochen. Er hatte sich schon gewöhnt, in allen Edikten als erster genannt zu werden, jetzt kommt er an zweiter Stelle. Jüngst wurden gewisse Münzen mit den Doppelköpfen »Henricus et Maria« geprägt, aber diese wurden alsbald eingezogen und neue ausgegeben. Zwischen den beiden bestehen gewisse Unstimmigkeiten, aber weil es amantium irae oder ›household words‹ sind, wie man im Volke sagt, hätte all das noch nichts zu sagen, vorausgesetzt, daß es nicht noch schlimmer wird.«

Aber es wird schlimmer! Zu den empfindlichen Zurücksetzungen, die der papierene König an seinem eigenen Hofe erleiden muß, kommt noch die geheime und allerempfindlichste des Ehegatten. Seit Jahren hat Maria Stuart, tiefinnerlich eine aufrichtige Natur, lernen müssen, in der Politik zu lügen: wo aber ihr persönliches Gefühl berührt ist, kann sie sich niemals verstellen. Kaum ist sie sich klargeworden, an welchen Nichtigen sie ihre Leidenschaft verschwendet hat, kaum taucht hinter dem Phantasie-Darnley der Brautwochen der törichte, eitle, freche und undankbare Junge auf, so schlägt die physische Verliebtheit brüsk in einen körperlichen Widerwillen um. Völlig unerträglich wird es ihr, diesem Gatten weiterhin ihren Leib zu gewähren, seit ihr Gefühl sich ihm entfremdet hat.

So entzieht sich, sofort wie sie sich schwanger fühlt, die Königin unter allerhand Vorwänden seiner Umarmung. Bald stellt sie sich krank, bald müde, immer findet sie andere Ausflüchte, sich ihm zu verweigern. Und während sie in den ersten Monaten (Darnley selbst enthüllt im Zorne all diese Einzelheiten) die sinnlich Werbende gewesen war, beschämt sie ihn nun durch häufige Zurückweisung. Auch in dieser intimsten Sphäre, in der er zuerst Macht über diese Frau gewonnen, fühlt sich – tiefste, weil quälendste Kränkung – Darnley plötzlich entrechtet und verstoßen.

Darnley hat nicht die seelische Kraft, seine Niederlage zu verschweigen. Dumm und töricht schwätzt und schreit er seine Zurücksetzung in aller Öffentlichkeit aus, er murrt und droht, er prahlt und kündigt fürchterliche Rache an. Je bombastischer er aber seine Verärgerung ausposaunt, um so lächerlicher wirken seine Faseleien, und nach einigen Monaten gilt er trotz seinem Königstitel nur mehr als lästiger und mißgelaunter Herumsteher, dem jeder gleichgültig den Rücken zeigt. Man beugt sich nicht mehr, sondern man lächelt, wenn dieser Henricus, Rex Scotiae, etwas will oder wünscht oder fordert. Und nicht einmal Haß wird einem Herrscher so verhängnisvoll wie allgemeine Verachtung.

 

Die fürchterliche Enttäuschung, die Maria Stuart an Darnley erlitten, ist aber nicht nur eine menschliche, sondern auch eine politische. Sie hatte gehofft, an der Seite eines jungen, ihr mit Leib und Seele ergebenen Gatten endlich unabhängig zu werden von der Vormundschaft Morays, Maitlands und der Barone. Aber mit den Honigwochen sind alle Illusionen geschwunden. Um Darnleys willen hatte sie Moray und Maitland zurückgestoßen, und mehr als jemals steht sie allein. Doch eine Natur wie die ihrige kann, wenn auch noch so tief enttäuscht, nicht ohne Vertrauen leben; immer wieder sucht sie nach einem sicheren Menschen, auf den sie sich unbedingt verlassen kann. Lieber wird sie jemanden wählen, der niederem Range entstammt, der nicht die Ansehnlichkeit eines Moray und Maitland besitzt, aber dafür eine Tugend, die ihr notwendiger ist an diesem schottischen Hofe, die kostbarste aller Dienergaben: unbedingte Treue und Verläßlichkeit.

Einen solchen Mann hat der Zufall ins Land gebracht. Als der Gesandte von Savoyen, Marchese Moreta, Schottland besucht, befindet sich in seinem Gefolge ein junger, dunkelhäutiger Piemontese, David Rizzio (»in visage very black«), etwa achtundzwanzig Jahre alt, mit runden wachen Augen und einem frischen Mund, der gut zu singen weiß (»particolarmente era buon musico«). Nun sind Dichter und Musikanten bekanntlich an Maria Stuarts romantischem Hofe immer willkommene Gäste. Von ihrem Vater, von ihrer Mutter trägt sie die leidenschaftliche Neigung zu den schönen Künsten im Blut, nichts entzückt und beglückt sie inmitten der Düsternis ihrer Umgebung so sehr, als sich an schönen Stimmen, an Geigen- und Lautenspiel zu erfreuen. Damals fehlte gerade ein Bassist in ihrem Chor, und da der »Seigneur Davie« (so wird er von nun ab im engeren Kreise genannt) nicht nur gut zu singen, sondern auch Worte und Noten geschickt zu setzen weiß, bittet sie Moreta, er möge ihr den »buon musico« für ihren persönlichen Dienst überlassen. Moreta ist einverstanden und ebenso Rizzio, der mit einem Jahresgehalt von fünfundsechzig Pfund angestellt wird. Daß er in den Rechnungsbüchern als »David le Chantre« unter dem Gesinde als »valet de chambre«, als Kammerdiener, geführt wird, hat an sich nichts Erniedrigendes zu besagen, denn bis zu Beethovens Zeit werden Musiker auch göttlichster Art an den Höfen schlechtweg zum Gesinde gezählt. Noch Wolfgang Amadeus Mozart und der alte weißhaarige Haydn essen, obwohl schon in ganz Europa berühmt, nicht am höfischen Tisch mit Adel und Fürstlichkeit, sondern am ungedeckten mit den Stallmeistern und Kammerzofen.

Nun hat sich Rizzio nebst seiner guten Stimme einen hellen Kopf mitgebracht, einen frischen beweglichen Verstand und eine gute künstlerische Kultur. Er beherrscht Latein ebenso fließend wie Französisch und Italienisch, er schreibt guten Stil; eines seiner erhaltenen Sonette zeigt dichterischen Geschmack und wirkliches Formgefühl. Bald ergibt sich für ihn erwünschte Gelegenheit, vom Dienertisch aufzurücken. Der Geheimsekretär Maria Stuarts, Raulet, hatte sich nicht sehr widerstandsfähig gezeigt gegen die am schottischen Hofe epidemische Krankheit: gegen die englische Bestechung. Und kurzerhand mußte ihn die Königin aus ihrem Dienst entlassen. An die freie Stelle in ihrem Arbeitskabinett schiebt sich jetzt der wendige Rizzio, und von nun ab geht es rasch aufwärts und aufwärts. Aus einem bloßen Schreiber wird er nach kurzer Frist ihr Berater. Bald diktiert nicht mehr Maria Stuart dem piemontesischen Secretarius die Briefe, sondern er entwirft sie nach eigenem Ermessen; nach wenigen Wochen wird sein persönlicher Einfluß in den schottischen Staatsgeschäften bereits fühlbar. Die rasche Heirat mit dem katholischen Prinzgemahl Darnley war zum guten Teil sein Werk gewesen, und die außerordentliche Festigkeit, mit der die Königin Moray und die andern schottischen Aufständischen zu begnadigen ablehnt, schreiben diese nicht mit Unrecht seinen Machenschaften zu. Daß Rizzio nebenbei auch Agent des Papstes am schottischen Hofe gewesen, ist vielleicht Tatsache, vielleicht bloß Verdacht; aber wenn auch der päpstlichen, der katholischen Sache leidenschaftlich zugetan, dient er doch jedenfalls Maria Stuart hingebungsvoller, als sie es bislang in Schottland erfahren. Bei wem aber Maria Stuart Treue fühlt, den weiß sie würdig zu belohnen; zu wem sie offenen Herzens sprechen kann, dem zeigt sie auch eine offene Hand. Sichtbar, allzu sichtbar, zeichnet sie Rizzio aus, sie beschenkt ihn mit kostbaren Kleidern, sie vertraut ihm das Siegel des Reiches an und alle Staatsgeheimnisse. Es dauert nicht lange, und der Diener David Rizzio ist ein großer Herr geworden, der an der Tafel der Königin mit ihren Freundinnen speist, er hilft als maître de plaisir wie weiland Chastelard (verhängnisvolle Schicksalsbrüderschaft) herzhaft mit, musikalische Feste und andere Heiterkeiten bei Hofe zu veranstalten, immer mehr wird das Dienstverhältnis zur Freundschaftsbeziehung. Bis tief in die Nacht darf zum Neide des Gesindes dieser niedergeborene Ausländer allein in engster Vertrautheit in den königlichen Gemächern weilen; prinzlich angetan, hochmütig abweisend, übt ein Mann das höchste Staatsamt aus, der erst vor ein paar Jahren völlig arm in abgerissener Lakaientracht mit nichts als ein bißchen Wohllaut in der Kehle an diesen Hof gekommen. Nun geschieht keine Entscheidung im schottischen Königreiche mehr ohne seinen Willen und sein Wissen. Aber wenn auch Herr über alle andern, bleibt Rizzio doch zugleich der treueste Diener seiner Königin.

Und zweiter sicherer Pfeiler ihrer Selbständigkeit: nicht nur die politische, sondern auch die militärische Macht liegt jetzt in verläßlichen Händen. Auch hier steht ein neuer Mann ihr zur Seite, Lord Bothwell, der in seiner Jugend schon für die Sache ihrer Mutter, Marie von Guise, gegen die Lords der protestantischen Kongregation – obwohl selbst Protestant – gekämpft und der vor dem Hasse Morays Schottland verlassen mußte. Nach dem Sturze seines Todfeindes zurückgekehrt, stellt er sich und die Seinen der Königin zur Verfügung, und diese Macht ist nicht gering. Selber ein unbedenklicher, zu jedem Abenteuer bereiter Kriegsmann, eine eiserne Natur, gleich leidenschaftlich in seiner Liebe wie in seinem Haß, hat Bothwell seine Borderers, seine Grenzleute, hinter sich. Und seine Person allein bedeutet schon eine entschlossene Armee: dankbar ernennt ihn Maria Stuart zum Großadmiral und weiß, gegen wen immer es gilt, wird er zur Stelle sein, um sie und ihr Kronrecht zu verteidigen.

Mit diesen beiden ihr persönlich Getreuen hat Maria Stuart, dreiundzwanzigjährig, endlich beide Zügel der Herrschaft straff in der Hand, den politischen und den militärischen. Nun könnte sie es zum erstenmal wagen, allein gegen alle zu regieren, und immer hat diese Unvorsichtige jedes Wagnis gewagt.

Jedesmal aber, wenn in Schottland ein König wirklich herrschen will, wehren sich die Lords. Nichts kann diesen Unbotmäßig-Trotzigen unerträglicher sein als eine Monarchin, die weder um sie wirbt noch sich vor ihnen fürchtet. Von England her drängen Moray und die andern Geächteten auf Rückberufung. Sie lassen alle Minen, auch die silbernen und goldenen, springen, und da Maria Stuart unerwartet fest bleibt, richtet sich der Unmut des Adels in erster Linie gegen ihren Berater Rizzio; bald geht ein heimliches Murren und Munkeln in den Schlössern um. Voll Erbitterung spüren die Protestanten eine feinmaschige Diplomatie machiavellistischer Schule in Holyrood am Werk. Sie ahnen mehr, als sie es wissen können, daß Schottland in den großen Geheimplan der Gegenreformation einbezogen werden soll, vielleicht hat auch wirklich Maria Stuart sich schon der großen katholischen Union verpflichtet. Dafür wird in erster Linie der fremde Eindringling Rizzio verantwortlich gemacht, der zwar das unbeschränkte Vertrauen seiner Herrin, aber sonst keinen Freund an diesem Hofe besitzt. Immer handeln die Klugen am unklügsten. Statt bescheiden seine Macht zu verdecken, trägt Rizzio sie – ewiger Fehler aller Emporkömmlinge – prahlerisch zur Schau. Vor allem aber ist es für den schottischen Adelsstolz unerträglich, zusehen zu müssen, wie ein ehemaliger Diener, ein hergelaufener Wandermusikant zweifelhaftester Abkunft, im Gemach der Königin, dicht neben ihrem Schlafgemach, Stunden und Stunden in vertrauten Gesprächen verbringen darf. Immer grimmiger wird der Verdacht, diese heimlichen Besprechungen hätten die Ausrottung der Reformation und die Einsetzung des Katholizismus zum Ziele. Und um rechtzeitig alle derartigen Pläne zu durchkreuzen, findet sich heimlich eine Reihe protestantischer Lords zu einer Verschwörung zusammen.

Nun kennt der schottische Adel seit Jahrhunderten nur ein und dieselbe Methode, sich mit unbequemen Gegnern auseinanderzusetzen: den Mord. Erst wenn die Spinne, die alle diese heimlichen Fäden zieht, zertreten, erst wenn dieser geschmeidige, undurchdringliche italienische Abenteurer beseitigt ist, erst dann haben sie neuerdings das Heft in der Hand, erst dann wird Maria Stuart wieder gefügiger werden. Dieser Plan, Rizzio durch Mord beiseite zu schaffen, scheint schon sehr früh Anhänger unter dem Adel gewonnen zu haben, denn Monate vor der Tat meldet der englische Gesandte bereits nach London: »Entweder bereitet ihm Gott ein rasches Ende oder ihnen ein unerträgliches Leben.« Aber zu offener Auflehnung finden die Verschworenen lange nicht den rechten Mut. Noch steckt ihnen der Schrecken zu tief in den Knochen, mit welcher Schnelligkeit und Festigkeit Maria Stuart die letzte Rebellion niedergeschlagen hat, sie zeigen wenig Lust, das Schicksal Morays und der anderen Emigranten zu teilen. Nicht minder aber fürchten sie die eiserne Hand Bothwells, der hart zuzuschlagen liebt und den sie zu hochmütig wissen, um sich mit ihnen in Komplotten gemein zu machen. So können sie nur murren und heimlich die Fäuste ballen, bis endlich einer von ihnen – es ist ein teuflisch genialer Gedanke – den Plan faßt, die Ermordung Rizzios aus einem rebellischen Akt zu einer legalen und patriotischen Tat zu machen, indem man Darnley, den König, als Schirmherrn an die Spitze der Verschwörung stellt. Auf den ersten Blick scheint dieser Gedanke unsinnig. Der Herrscher eines Landes in Verschwörung gegen seine eigene Frau, der König gegen die Königin? Aber die Kombination erweist sich psychologisch als richtig, denn wie bei jedem Schwächling ist bei Darnley die Triebfeder aller seiner Handlungen unbefriedigte Eitelkeit. Und zu viel Macht ist an Rizzio gefallen, als daß der gestürzte Darnley seinem einstigen Freunde nicht neidisch grollen sollte. Dieser hergelaufene Habenichts führt diplomatische Verhandlungen, von denen er, Henricus, Rex Scotiae, nicht verständigt wird, er sitzt in den Zimmern der Königin bis ein und zwei Uhr nachts herum, also die Stunden, welche die Gattin mit ihrem Ehegemahl verbringen sollte, und seine Macht wächst Tag um Tag in dem Grade, als seine eigene vor dem ganzen Hofe sich mindert. Die Weigerung Maria Stuarts, ihm das Mitregentenrecht, die »matrimonial crown«, zu verleihen, führt Darnley – wahrscheinlich mit Recht – auf Rizzios Einfluß zurück, und schon dies wäre genug, einen gekränkten und innerlich unedlen Menschen zum Haß aufzustacheln. Aber die Lords träufeln ein noch brennenderes Gift in die aufgerissene Wunde seiner Eitelkeit, sie reizen Darnley dort, wo er am empfindlichsten verwundet ist, in seiner Mannesehre. Sie erwecken in ihm durch allerhand Andeutungen den Verdacht, Rizzio teile mit der Königin nicht nur den Tisch, sondern auch das Bett. Diese an sich unbeweisbare Vermutung empfängt bei dem verärgerten Darnley besondere Glaubhaftigkeit durch den Umstand, daß sich Maria Stuart immer häufiger ihm selber in letzter Zeit ehelich verweigert hat. Sollte das, grausamer Gedanke, geschehen sein, weil sie diesen schwarzhäutigen Musikanten vorzieht? Gekränkter Ehrgeiz, der keinen Mut zu offener klarer Beschwerde hat, ist stets leicht für Verdächtigung zu gewinnen, eine Natur, die sich selber nicht traut, wird rasch jedem andern mißtrauen. Nicht lange müssen die Lords ihn anstacheln, um ihn wirr und bösartig zu machen. Bald ist Darnley ehern überzeugt, »daß ihm die größte Unehre zugefügt wurde, die einem Manne geschehen könne«. Und so wird das Unglaubliche Ereignis: der König tritt an die Spitze der Verschwörung gegen seine eigene Frau, gegen die Königin.

 

Daß dieser kleine dunkelhäutige Musikant David Rizzio tatsächlich der Liebhaber Maria Stuarts gewesen sei, ist niemals bewiesen worden noch zu beweisen. Aber gerade die offene Gunst, welche die Königin diesem ihrem Geheimschreiber vor dem ganzen Hofe gewährt, spricht am energischesten gegen einen solchen Verdacht. Selbst zugegeben, daß zwischen geistiger Intimität einer Frau mit einem Manne und körperlicher Hingabe nur eine schmale Grenze liegt, die manchmal eine unruhige Minute, eine gespannte Gebärde plötzlich zu überspringen vermag, so zeigt doch Maria Stuart, die damals schon Schwangere, eine solche Sicherheit und Sorglosigkeit ihrer königlichen Freundschaft zu Rizzio, wie eine wirkliche Ehebrecherin sie nie zur Schau getragen hätte. Wäre sie tatsächlich in unerlaubten Beziehungen zu Rizzio gestanden, ihr Erstes und Natürlichstes wäre gewesen, alles Scheinverdächtige zu meiden; sie hätte nicht bis spätmorgens mit ihm in ihren Gemächern Musik gemacht und Karten gespielt, nicht sich während der Abfassung der diplomatischen Korrespondenz mit ihm in ihr Arbeitskabinett allein zurückgezogen. Aber wie im Falle Chastelards wird ihr auch diesmal gerade ihre sympathischeste Eigenschaft zur Gefahr, ihre Verachtung des »on dit«, ihr souveränes Sich-Hinwegsetzen über jedes Gerede und Geschwätz, ihre natürliche Unbefangenheit. Fast immer gehen Unvorsichtigkeit und Mut in einem Charakter zusammen als Gefahr und Tugend, gleichsam Vorderseite und Rückseite derselben Münze: nur die Feigen und Unsicheren fürchten sich vor dem Anschein einer Schuld und handeln vorsichtig und berechnend.

Aber so böswillig und widersinnig auch erfunden, ein Gerücht, über eine Frau einmal ausgesprengt, kommt nicht mehr zur Ruhe. Von Mund zu Mund schwingt es sich weiter und nährt sich vom Atem der Neugier. Noch ein halbes Jahrhundert später wird Heinrich IV. die Verleumdung aufnehmen und über James VI. von England, den Sohn, den damals Maria Stuart im Schoße trägt, spotten, er sollte eigentlich Salomon heißen, weil er, wie jener, ein Sohn Davids sei. Zum zweitenmal leidet der Ruf Maria Stuarts schweren Schaden, nicht durch ihre Schuld, sondern durch ihre Unvorsichtigkeit.

Daß die Verschwörer, die Darnley aufstachelten, selbst nicht an ihre eigene Fabel glaubten, beweist außerdem, daß sie zwei Jahre später diesen angeblichen Bastard feierlich als James VI. zum König proklamieren. Und dem ehebrecherischen Sprossen eines zugereisten Musikanten hätten diese Hochmütigen nie den Eid geleistet. Mitten in ihrem Haß haben die Lügner schon damals die Wahrheit gewußt, und die Verleumdung dient ihnen nur, um Darnley in Saft zu bringen. Auf den schon Überreizten, den durch sein Minderwertigkeitsgefühl Verwirrten wirkt aber schon Verdacht elementar: wie Feuer schießt ihm die Wut in die Sinne, wie ein Stier stürzt er auf dies vorgehaltene rote Tuch und rennt damit blindwütig in das aufgezäumte Komplott. Ohne zu überlegen, läßt er sich in die Verschwörung gegen seine eigene Frau einfangen, und nach wenigen Tagen lechzt niemand so heftig nach dem Blute Rizzios wie sein ehemaliger Freund, der mit ihm Tisch und Bett geteilt und dem dieser kleine, von Italien zugereiste Musikant zu einer Krone verholfen.

 

Ein politischer Mord stellt bei dem schottischen Adel jener Zeit eine feierliche Angelegenheit dar: nicht hitzig und hastig wird im ersten Zorne zugestoßen, sondern die Partner verbinden sich vorsorglich – Ehre und Eid würde ihnen nicht genug Sicherheit bieten, dazu kennen sie einander zu gut – mit Siegel und Brief zu diesem seltsam ritterlichen Geschäft, als ob es ein rechtliches wäre. Bei allen gewalttätigen Unternehmungen wird, wie bei einem Kaufvertrag, sauber und klar auf einem Pergament ein sogenannter »covenant« oder »bond« angelegt, durch den sich die fürstlichen Banditen auf Gedeih und Verderb aneinander binden, denn nur als Gruppe, als Klüngel, als Clan fühlen sie Mut genug, sich gegen ihre Herrscher zu erheben. Diesmal – zum erstenmal in der schottischen Geschichte – haben die Verschwörer die Ehre einer Königsunterschrift auf einem solchen Bond. Zwischen den Lords und Darnley werden zwei Kontrakte ganz bieder und rechtschaffen abgeschlossen, in denen Zug um Zug der abgedrängte König und die ausgeschalteten Barone sich gemeinsam verpflichten, Maria Stuart die Macht aus den Händen zu winden. Darnley verspricht in dem ersten Bond, die Verschwörer auf jeden Fall »shaithless«, straflos, zu halten und sie auch in Gegenwart der Königin persönlich zu schützen und auch zu verteidigen. Er stimmt ferner zu, daß die verbannten Lords zurückberufen und ihnen alle ihre »faults« nachgesehen würden, sobald ihm die Königsgewalt, die von Maria Stuart bisher verweigerte »matrimonial crown«, übertragen worden sei; ferner erklärt er, die »kirk« gegen jede Schmälerung ihrer Rechte zu verteidigen. Dafür versprechen die verschworenen Lords in dem zweiten Bond – dem »Gegenbrief«, wie man geschäftlich sich ausdrücken würde –, Darnley diese »matrimonial crown« zu verleihen und sogar (man wird sehen, daß sie nicht unbedacht diese Möglichkeit ins Auge fassen) im Falle des vorzeitigen Todes der Königin ihm das Königsrecht zu belassen. Aber hinter diesen scheinbar klaren Worten schimmert noch mehr durch, als Darnley begreift – der englische Gesandte hört schon richtig den wahren Text –, nämlich die Absicht, sich Maria Stuarts überhaupt zu entledigen und sie mittels eines »unglücklichen Zufalls« zugleich mit Rizzio unschädlich zu machen.

Kaum sind die Unterschriften unter diesen schmählichen Kuhhandel gesetzt, so galoppieren schon die Boten, um Moray zu verständigen, sich für die Rückkehr bereitzumachen. Und seinerseits sorgt der englische Gesandte, der kräftig an dem Komplotte mitwirkt, daß Elisabeth rechtzeitig die blutige Überraschung erfahre, die ihrer Nachbarkönigin zugedacht wird. »Ich weiß nun gewiß«, hat er schon am 13. Februar, also lange vor dem Morde, nach London geschrieben, »daß die Königin ihre Heirat bereut und sie ihn und seine ganze Sippe haßt. Ich weiß auch, daß er glaubt, einen Teilhaber bei seinem Spiel zu haben (»partaker in play and game«), und daß gewisse Machenschaften zwischen Vater und Sohn im Gange seien, gegen ihren Willen zur Krone zu kommen. Ich weiß, daß, wenn diese gelingen, David mit Zustimmung des Königs in den nächsten zehn Tagen die Kehle durchschnitten haben wird.« Aber auch von den hintergründigeren Absichten der Verschwörer scheint dieser Späher genaue Kundschaft zu besitzen. »Noch ärgere Dinge als diese sind mir zu Ohren gekommen, sogar von Anschlägen gegen ihre eigene Person.« Nach diesem Brief kann kein Zweifel mehr bestehen, daß diese Verschwörung weitere Ziele hat, als man sie dem Schwachkopf Darnley anvertraut, und daß der Stoß, der angeblich nur gegen Rizzio geführt wird, gegen Maria Stuart selbst geht und ihr Leben fast ebenso bedroht wie das seine. Aber der tollgemachte Darnley – immer sind die feigsten Naturen die grausamsten, sobald sie Macht hinter sich spüren – lechzt nach einer besonders raffinierten Rache an dem Manne, der ihm sein Siegel, der ihm das Vertrauen seiner Frau genommen. Er verlangt, daß, um seine Frau zu erniedrigen, der Mord in ihrer Gegenwart vorgenommen werde – Wahn eines Schwächlings, der hofft, eine starke Natur durch eine »Strafe« zu beugen und eine Frau, die ihn verachtet, durch eine brutale Kraftleistung wieder kirre zu machen. Seinem Wunsche entsprechend wird tatsächlich die Schlächterei in die Gemächer der schwangeren Frau verlegt und der 9. März als der richtige Tag gewählt: die Widrigkeit der Ausführung soll die Niedrigkeit des Anschlags noch übertreffen.

 

Während Elisabeth und ihre Minister in London seit Wochen um alle Einzelheiten wissen (ohne daß sie schwesterlich die Bedrohte warnte), während Moray an der Grenze seine Pferde gesattelt hält und John Knox bereits den Sermon vorbereitet, um den Mord als eine Tat »most worthy of all praise« zu rühmen, ist Maria Stuart, von allen verraten, völlig ahnungslos. Gerade in den letzten Tagen hat Darnley – immer macht Verstellung einen Verrat besonders widerlich – sich ungewöhnlich gefügig gezeigt, und nichts kann sie vermuten lassen, welche Nacht des Grauens und des noch auf Jahre weiterwirkenden Verhängnisses mit dem sinkenden Abend des 9. März beginnt. Eine Warnung von unbekannter Hand hat dagegen Rizzio erhalten, aber er läßt sie unbeachtet, denn am Nachmittag fordert, um sein Mißtrauen einzuschläfern, Darnley ihn zu einer Partie Schlagball auf; fröhlich und unbesorgt nimmt der Musikus diese Einladung seines ehemaligen guten Freundes an.

Unterdessen wird es Abend. Maria Stuart hat sich wie gewöhnlich das Souper in das Turmzimmer bringen lassen, das im ersten Stock neben ihrem Schlafgemach liegt: es ist ein kleiner Raum, der nur Platz hat für intimste Geselligkeit. Ein engster familiärer Kreis – ein paar Edelleute und Maria Stuarts Stiefschwester – rundet sich um den schweren Eichentisch, den Wachskerzen in silbernen Kandelabern erhellen. Der Königin gegenüber sitzt David Rizzio, angetan wie ein großer Herr, den Hut à la mode de France auf dem Kopf, damasten und pelzverbrämt der Rock; munter erzählt er, und vielleicht wird man nach dem Essen ein wenig Musik machen oder sich sonst auf lässige Weise erheitern. Es wirkt auch nicht ungewöhnlich, daß mit einmal der Vorhang, der zum Schlafgemach der Königin führt, sich beiseite schiebt und Darnley, der König, der Gatte, eintritt; sofort erheben sich alle, man macht dem seltenen Gast an dem gedrängten Tische Platz neben seiner Gemahlin, die er locker umfaßt und mit einem Judaskuß begrüßt. Munter geht das Gespräch weiter, die Teller, die Gläser klirren freundlich gastliche Musik.

Aber da hebt sich zum zweitenmal der Vorhang. Jetzt fahren alle auf, verwundert, verärgert, erschreckt, denn hinter der Tür steht wie ein schwarzer Engel in voller Rüstung der allgemein gefürchtete, als Zauberer verschriene Lord Patrick Ruthven, einer der Verschworenen, das nackte Schwert in der Hand. Sein Antlitz starrt besonders bleich, denn schwerkrank ist der Fiebernde vom Bett aufgestanden, nur um die löbliche Tat nicht zu versäumen, und aus seinen heißen Augen spricht eine harte Entschlossenheit. Die Königin, sogleich Böses ahnend – denn niemand außer ihrem Gemahl darf sich der geheimen Wendeltreppe bedienen, die in ihr Schlafgemach führt –, herrscht Ruthven an, wer ihm erlaubt habe, unangemeldet bei ihr einzudringen. Aber kaltblütig, mit ruhiger Gelassenheit antwortet Ruthven, es sei weder gegen sie noch gegen irgendeinen andern etwas beabsichtigt. Sein Kommen gelte einzig »yonder poltroon David«.

Rizzio erblaßt unter dem prunkvollen Hut und krampft sich mit der Hand an den Tisch. Er hat sofort begriffen, was ihm bevorsteht. Nur seine Herrin, nur Maria Stuart kann ihn jetzt noch schützen, da der König keinerlei Anstalten macht, den Frechen hinauszuweisen, sondern kühl und verlegen dasitzt, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Maria Stuart versucht sofort zu vermitteln. Sie fragt, was man denn Rizzio vorwerfe, welches Verbrechen er begangen habe.

Darauf zuckt Ruthven verächtlich die Schultern und sagt: »Fragen Sie Ihren Mann.« »Ask your husband.«

Maria Stuart wendet sich unwillkürlich Darnley zu. Aber in der entscheidenden Stunde wird der Schwächling, der seit Wochen zu diesem Morde hetzt, feig und klappt in sich zusammen. Er hat nicht den Mut, sich frei und klar hinter seine Spießgesellen zu stellen. »Ich weiß nichts von der ganzen Sache«, lügt er verlegen und wendet den Blick ab.

Doch jetzt hört man neuerdings harte Schritte und Klirren von Waffen hinter dem Vorhang. Die Mitverschworenen sind einer nach dem andern die enge Treppe emporgestiegen und sperren als geharnischte Mauer Rizzio jeden Rückzug. Entkommen ist nicht mehr möglich. So versucht Maria Stuart, ihren treuen Diener wenigstens durch Verhandlungen zu retten. Wenn David etwas vorzuwerfen sei, dann werde sie selbst ihn vor das Parlament des versammelten Adels fordern, jetzt aber, gebietet sie, mögen sich Ruthven und alle anderen aus ihren Gemächern entfernen. Aber Rebellion gehorcht nicht. Bereits hat sich Ruthven dem leichenblassen Rizzio genähert, um ihn zu packen, ein anderer wirft ihm einen Strick um den Leib und beginnt, ihn hinauszuzerren. Ein furchtbarer Tumult entsteht, bei dem der Tisch umgeworfen wird und die Lichter verlöschen. Rizzio, unbewaffnet und schwächlich, kein Krieger und kein Held, klammert sich an das Kleid der Königin, grell schrillt sein Angstschrei durch das Gedränge: »Madonna, io sono morto, giustizia, giustizia!« Aber einer der Verschworenen schlägt die geladene Pistole gegen Maria Stuart an und würde sie im Sinne der Verschwörung abdrücken, wenn ein anderer sie nicht rechtzeitig ablenkte, und Darnley selbst hält mit beiden Armen den schweren Körper der schwangeren Frau fest, bis die andern den wild Aufheulenden und in Todesangst sich Wehrenden aus dem Zimmer geschleift haben. Noch einmal, da sie ihn schon durch das nachbarliche Schlafgemach schleppen, krallt er sich an das Bett der Königin, wehrlos hört sie seine Hilferufe. Aber mit Gewalt schlagen die Mitleidslosen ihm die Finger herunter, zerren ihn weiter und weiter in das Paradezimmer; dort fallen sie gemeinsam wie Rasende über ihn her. Angeblich war es ihre Absicht gewesen, Rizzio nur in Haft zu nehmen und dann am nächsten Tag feierlich auf dem Marktplatz zu hängen. Aber die Erregung macht sie toll. Wie um die Wette stoßen sie mit ihren Dolchen auf den Wehrlosen ein, immer, immer wieder, und vom Blutdunst trunken gemacht, schließlich derartig wildwütig, daß sie einander selber verwunden. Der Boden schwimmt schon naß und rot, und noch immer rasen sie weiter. Erst da sie den letzten Atemzug Leben dem zuckenden, aus mehr als fünfzig Wunden blutenden Leib des Unseligen entrissen haben, lassen sie ab. Und als grauenhaft entstellte Fleischmasse wird die Leiche des treuesten Freundes Maria Stuarts aus dem Fenster in den Hof hinabgeworfen.

 

Maria Stuart hört voll Erbitterung jeden Todesschrei ihres ergebenen Dieners. Aber unfähig, mit ihrem schwerfälligen schwangeren Leib sich von Darnley loszureißen, der sie eisern in seinen Armen hält, bäumt sie sich doch mit der ganzen Kraft ihrer leidenschaftlichen Seele gegen die unerhörte Erniedrigung auf, die ihr angesichts ihrer Untertanen im eigenen Hause angetan wird. Die Hände kann ihr Darnley zupressen, nicht aber die Lippen; aufschäumend in unsinniger Wut, speit sie dem Feigling ihre tödliche Verachtung entgegen. Sie nennt ihn Verräter und Sohn eines Verräters, sie klagt sich selbst an, eine solche Nichtigkeit wie ihn auf den Thron erhoben zu haben: was bisher in dieser Frau bloß Abneigung gegen ihren Gatten gewesen, härtet sich in diesen Minuten zu unvergeßbarem, unauslöschlichem Haß. Vergebens sucht Darnley sein Verhalten zu entschuldigen. Er wirft ihr vor, daß sie seit einigen Monaten sich ihm immer wieder körperlich verweigert habe, daß sie mehr ihrer Zeit Rizzio gewährt habe als ihm, ihrem Gemahl. Auch gegen Ruthven, der jetzt in das Zimmer getreten ist und erschöpft von seiner Tat, in einen Stuhl sinkt, spart Maria Stuart nicht mit den fürchterlichsten Drohungen. Könnte Darnley in ihren Blicken lesen, er würde zurückschauern vor dem mörderischen Haß, der ihm unverhohlen entgegenflammt. Und wären seine Sinne wacher und klüger, er müßte das Gefährliche ihrer Ankündigung erfassen, sie betrachte sich nicht länger als seine Frau und werde nicht früher ruhen und rasten, bis sein Herz so von Trauer erfüllt sei wie das ihre in dieser Stunde. Jedoch Darnley, selbst nur kurzer und kleiner Leidenschaften fähig und unkundig, wie tödlich tief er Maria Stuarts Stolz verwundet hat, ahnt nicht, daß sie in diesem Augenblick ihm bereits sein Urteil gesprochen. Er meint, der arme, kleine Verräter, der sich von allen töricht täuschen läßt, nun, da die erschöpfte Frau verstummt und sich scheinbar willenlos in ihr Zimmer führen läßt, sei ihrer Kraft endgültig das Rückgrat gebrochen und sie ihm wieder hörig. Aber bald wird er erfahren, daß ein Haß, der zu schweigen versteht, noch gefährlicher ist als die wildeste Rede und daß, wer diese stolze Frau einmal tödlich beleidigt, sich selber den Tod in den Nacken gesetzt.

 

Die Hilferufe des weggeschleppten Rizzio, der Waffentumult in den Königsgemächern haben das ganze Schloß geweckt: das Schwert in der Hand, stürzen die getreuen Anhänger der Königin, Bothwell und Huntly, aus ihren Gemächern. Aber die Verschworenen haben auch diese Möglichkeit vorausbedacht: auf allen Seiten ist Holyrood von ihren bewaffneten Knechten umstellt, jeder Zugang gesperrt, damit nicht rechtzeitig aus der Stadt Hilfe für die Königin geholt werden könne. Bothwell und Huntly bleibt, um ihr Leben zu retten und rechtzeitig Entsatz herbeizurufen, kein anderer Weg, als aus den Fenstern zu springen. Auf ihren Alarm, das Leben der Königin sei bedroht, läßt der Stadtprovost sofort die Sturmglocken dröhnen, die Bürgerschaft sammelt sich und zieht vor die Tore nach Holyrood, um die Königin zu sehen und zu sprechen. Aber statt ihrer empfängt sie Darnley, der lügnerisch beruhigt, es sei nichts vorgefallen, man habe im Schloß nur einen ausländischen Spion beseitigt, der spanische Truppen habe ins Land bringen wollen. Ein Königswort wagt selbstverständlich der Provost nicht zu bezweifeln, still kehren die braven Bürger wieder in ihre Häuser zurück, und Maria Stuart, die vergebens sich bemüht hat, Botschaft an ihre Getreuen gelangen zu lassen, bleibt in strengem Gewahrsam in ihre Gemächer versperrt. Ihren Hofdamen, ihren Dienerinnen wird der Eingang verwehrt, alle Türen und Tore im Schlosse sind dreifach besetzt: zum erstenmal in ihrem Leben ist Maria Stuart in dieser Nacht aus einer Königin eine Gefangene geworden. Bis in die letzte Einzelheit ist die Verschwörung gelungen. Im Hofe schwimmt in einer Blutlache die zerfleischte Leiche ihres besten Dieners, an der Spitze ihrer Feinde steht der König von Schottland, denn ihm ist die Krone jetzt zugesprochen, indes sie selbst nicht einmal mehr das Recht besitzt, ihr eigenes Zimmer verlassen zu dürfen. Mit einem Ruck ist sie von der höchsten Stufe herabgestürzt, ohnmächtig, verlassen, ohne Helfer, ohne Freunde, umstellt von Haß und Hohn. Alles scheint für sie verloren in dieser furchtbaren Nacht; aber unter dem Hammer des Schicksals härtet sich ein heißes Herz. Immer findet gerade in den Augenblicken, da es ihre Freiheit, ihre Ehre, ihr Königtum gilt, Maria Stuart mehr Kraft in sich selbst als bei allen ihren Helfern und Dienern.


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