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Juli bis Weihnachten 1566
Die Geburt des Kindes bedeutet in der Tragödie Maria Stuarts gleichsam den Abschluß des nur vorbereiteten ersten Aktes. Die Situation hat sich mit einmal dramatisch gestaltet und bebt von inneren Unentschiedenheiten und Spannungen. Nun treten neue Gestalten und Charaktere vor, der Schauplatz verändert sich, die Tragödie wird aus einer politischen zur persönlichen. Bisher hatte Maria Stuart gegen die Rebellen in ihrem Lande, gegen die Feindschaft jenseits der Grenze gekämpft, nun fällt eine neue Macht sie an, gewalttätiger als alle ihre Lords und Barone: die eigenen Sinne geraten in Aufruhr, die Frau in Maria Stuart führt Krieg gegen die Königin. Der Machtwille verliert zum erstenmal die Oberhand gegen den Blutwillen. In Leidenschaft und Leichtsinn zerstört die erwachte Frau, was die Monarchin bisher mit Besonnenheit leidlich bewahrt: wie in einen Abgrund wirft sie sich herrlich selbstverschwenderisch in eine Ekstase der Leidenschaft, wie sie die Weltgeschichte kaum überschwenglicher kennt, alles vergessend, alles mit sich reißend, Ehre, Gesetz und Sitte, ihre Krone, ihr Land eine andere tragödische Seele, die kaum ahnbar gewesen, weder in der fleißigen, braven Prinzessin noch in der lässig wartenden und verspielten Königswitwe. In einem einzigen Jahr erhöht Maria Stuart ihr Leben zu dramatisch vertausendfachtem Maß, in diesem einen und einzigen Jahr zerstört sie ihr Leben.
Zu Beginn dieses zweiten Aktes tritt wiederum Darnley auf, auch er verändert und ins Tragische verwandelt. Er tritt auf, allein, denn niemand gibt ihm, der alle verraten hat, Vertrauen oder nur ehrlichen Gruß. Eine tiefe Erbitterung, eine ohnmächtige Wut zerwühlt diesem ehrgeizigen Jungen die Seele. Er hat das Äußerste getan, was ein Mann für eine Frau tun konnte, aber er meinte dafür zumindest Dank zu gewinnen, ein wenig Demut, Hingabe und vielleicht sogar Liebe. Statt dessen begegnet Darnley bei Maria Stuart, sobald sie ihn nicht mehr benötigt, einem nur verstärkten Widerwillen. Die Königin bleibt unerbittlich. Um sich an dem Verräter zu rächen, hatten ihr die geflüchteten Lords den von Darnley unterzeichneten Freibrief für Rizzios Mord heimlich zugesteckt, damit sie die Mitschuld ihres Mannes erkenne. Dieser »bond« lehrt Maria Stuart zwar nichts Neues, aber je mehr sie Darnleys verräterische und feige Seite verachtet, um so weniger kann sich die stolze Frau verzeihen, eine solche hohle Hübschheit einmal geliebt zu haben. In ihm haßt sie zugleich den eigenen Irrtum, längst ist der Mann in Darnley ihr widrig wie ein schleimiges, klebriges Geschöpf, wie eine Schlange, eine Schnecke, die man nicht einmal mit der Hand anrühren will, geschweige denn heranlassen an den warmen, lebendigen Leib. Sein Dasein und Vorhandensein drückt ihr wie ein Alp auf der Seele. Und nur ein Gedanke beherrscht ihre Tage und Nächte: wie von ihm loskommen, wie sich von ihm befreien?
Diesem Gedanken schattet vorerst nicht einmal der Wunschtraum einer Gewalttätigkeit bei: was Maria Stuart erlebt, ist kein Einzelfall. Wie Tausende andere Frauen fühlt sie sich nach kurzer Ehe zu schmerzlich enttäuscht, als daß ihr weiterhin Umarmung und Nähe dieses fremd gewordenen Mannes noch erträglich sein könnten. Scheidung ergibt sich in einem solchen Falle als selbstverständlich logische Lösung, und tatsächlich: Maria Stuart bespricht diese Möglichkeit mit Moray und Maitland. Aber einer Scheidung so knapp nach der Geburt des Kindes steht das gefährliche Gerede über ihre angeblichen Beziehungen zu Rizzio im Wege: sofort würde man ihr Kind einen Bastard nennen. Um keinen Makel an den Namen James VI. zu heften, der nur als Sproß einer völlig unantastbaren Ehe auf den Thron Anspruch erheben kann, muß die Königin – entsetzliche Qual – von dieser natürlichsten Lösung abstehen.
Aber es bliebe noch eine andere Möglichkeit: die vertrauliche, die stille Vereinbarung zwischen Mann und Frau, nach außen weiterhin als König und Königin vermählt zu erscheinen, innerlich aber einander die Freiheit zurückzugeben. Damit wäre Maria Stuart von Darnleys verliebtem Andrängen erlöst und vor der Welt der Schein einer Ehe gewahrt. Daß Maria Stuart auch diese Art der Befreiung angestrebt hat, beweist ein überliefertes Gespräch mit Darnley, in dem sie ihm nahelegte, sich eine Maitresse zu nehmen, womöglich Morays, seines Todfeindes, Frau; mit diesem scherzhaft maskierten Vorschlag wollte sie ihm andeuten, wie wenig sie gekränkt wäre, wollte er sich anderweitig schadlos halten. Aber entsetzliche Verstrickung: Darnley will keine andere, er will nur sie und sie allein, dieser klägliche arme Junge hängt mit geheimnisvoller Hörigkeit und Gier gerade an dieser starken stolzen Frau. Nie läßt er sich mit anderen ein, er kann und will keine berühren als diese eine, die sich ihm entzieht. Nur dieser Körper macht ihn gierig und toll, unablässig bettelt er um seine ehelichen Rechte, und je hitziger, je zudringlicher er um sie wirbt, um so heftiger sie ihn zurückstößt, um so tückischer, um so zorniger wird sein Verlangen, um so hündischer kommt er werbend wieder; mit furchtbarer Enttäuschung bezahlt die Frau ihre unselige Eile, diesem Knaben ohne Haltung und Hoheit eheliche Gewalt gewährt zu haben, denn mit widerstrebenden Sinnen bleibt sie nun rettungslos an ihn gebunden.
In dieser grauenhaften seelischen Situation handelt Maria Stuart wie Menschen meist in derart auswegloser Lage; sie entflüchtet der Entscheidung, sie weicht dem offenen Kampfe aus, indem sie sich ihm entzieht. Merkwürdigerweise haben es fast alle ihre Biographen als unverständlich erklärt, daß Maria Stuart nicht eine gewisse Ruhezeit nach dem Kindbett abwartete, sondern das Schloß und ihr Kind schon nach vier Wochen ohne vorherige Ansage verließ, um sich zu Boot auf eine Lustfahrt nach Alloa zu begeben, einem Gut des Earl of Mar. Nichts ist in Wahrheit erklärlicher als diese Flucht. Denn mit diesen Wochen war die Respektfrist zu Ende, innerhalb welcher sie ihren Körper ohne besonderen Vorwand dem ungeliebten Gatten verweigern konnte; jetzt wird er bald wieder sich nähern, jeden Tag, jede Nacht sie bedrängen, und ihr Körper will, ihre Seele kann einen Liebhaber nicht ertragen, den sie nicht mehr liebt; was natürlicher darum, als daß Maria Stuart aus seiner Nähe flieht, daß sie Raum und Ferne zwischen ihn und sich stellt, daß sie sich äußerlich frei macht, um innerlich frei zu sein! In all den nächsten Wochen und Monaten, den ganzen Sommer lang bis tief in den Herbst, rettet sie sich durch dieses Wandern von Schloß zu Schloß, von Jagd zu Jagd, durch diese Flucht. Und daß sie dabei sich zu erheitern sucht, daß in Alloa und überall Maria Stuart, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, sich fröhlich unterhält, daß die alten Maskenspiele und Tänze und die buntesten Vergnügungen wie zu Chastelards, wie zu Rizzios Tagen der Unbelehrbaren wieder die Zeit vertreiben, bestätigt nur, wie rasch diese gefährlich Sorglose alle schlimmen Erfahrungen vergißt. Einmal macht Darnley den schüchternen Versuch, seine ehelichen Rechte einzufordern. Er reitet nach Alloa hinüber, aber er wird kurz abgefertigt und gar nicht eingeladen, die Nacht im Schlosse zu verbringen; innerlich ist er für Maria Stuart abgetan. Als Strohfeuer war das Gefühl für ihn aufgeschossen, als Strohfeuer ist es zusammengesunken. Ein Irrtum, an den man ungern denkt, eine lästige Erinnerung, die man am liebsten auslöschen möchte – das ist nunmehr für sie Henry Darnley geworden, den ihre verliebte Torheit zum Herrscher Schottlands und zum Herrn ihres Leibes gemacht.
Darnley zählt nicht mehr, aber auch Morays, ihres Bruders, ist sie trotz aller Versöhnung nicht mehr völlig gewiß; den nach längerem Zögern gleichfalls begnadigten Maitland wird sie nie mehr für ganz zuverlässig halten, und doch braucht sie jemanden, dem sie rückhaltlos vertrauen kann, denn alles Halbe und Vorsichtige, alles Zurückhaltende und Zögernde ist dieser impulsiven Natur unmöglich und fremd. Ganz und gar nur kann sie geben, ganz und gar sich verweigern, ganz mißtrauen oder ganz vertrauen. Als Königin und als Frau sucht Maria Stuart zeitlebens bewußt oder unbewußt den Gegenpol ihres unruhigen Wesens, den starken, den harten, den verläßlich beständigen Mann.
So ist Bothwell als einziger seit Rizzios Tod geblieben, auf den sie sich verlassen kann. Rücksichtslos hat das Leben diesen Starken umhergetrieben. Schon als jungen Mann jagt ihn die Meute der Lords aus dem Lande, weil er sich weigerte, mit ihnen Gemeinschaft zu machen; treu bis zum letzten Augenblick hat er Maria von Guise, Maria Stuarts Mutter, gegen die »Lords of the Congregation« verteidigt und noch Widerstand geleistet, als die Sache der katholischen Stuarts schon völlig verloren war. Aber schließlich war die Übermacht zu groß geworden und drückte ihn aus der Heimat. In Frankreich wird der Verbannte sofort Kommandant der schottischen Leibgarde, die ehrenvolle Stellung bei Hofe verfeinert seine Umgangsformen, ohne aber die elementare Urgewalt seines Wesens zu schwächen. Aber Bothwell ist zu sehr Kriegsmann, um sich mit einer Pfründe zu bescheiden, und sofort wie sich Moray, sein Todfeind, gegen die Königin erhebt, segelt er über das Meer und steht für die Stuarttochter im Kampfe. Wann immer jetzt Maria Stuart einen Helfer gegen ihre intriganten Untertanen benötigt, bietet er seine starke und panzerbewehrte Hand freudig dar. In der Nacht von Rizzios Ermordung springt er entschlossen aus dem Fenster des ersten Stockwerkes herab, um Hilfe zu holen, seine Umsicht fördert die verwegene Flucht der Königin, seine militärische Energie flößt den Verschworenen solchen Schrecken ein, daß sie eiligst kapitulieren. Niemand in Schottland hat Maria Stuart bisher besseren Dienst geleistet als der etwa dreißigjährige verwegene Soldat.
Dieser Bothwell ist eine Figur wie aus einem einzigen Block schwarzen Marmors gemeißelt. Gleich dem Colleone, seinem italienischen Condottierebruder, blickt er mit energisch herausfordernder Haltung kühn über die Zeiten, ein ganzer Mann mit aller Härte und Brutalität übersteigerter Männlichkeit. Er trägt den Namen eines uralten Geschlechts, der Hepburns, doch könnte man denken, daß von Wikingern und Normannen, diesen rauhen Kriegern und Räubern, noch ungebändigtes Blut in seinen Adern rollt. Trotz aller angelernten Kultur (er spricht trefflich Französisch und liebt und sammelt Bücher) hat er die elementare Rauflust eines geborenen Rebellen gegen die bürgerlich brave Ordnung bewahrt, die wilde Abenteuerfreude jener »hors la loi«, jener romantischen Korsaren, wie sie Byron liebte. Groß, breitschultrig, von außerordentlicher Körperkraft – er kann mit dem schweren Zweihänder wie mit einem leichten Degen zuschlagen und allein ein Schiff durch den Sturm steuern –, gewinnt er aus dieser physischen Sicherheit auch eine großartige moralische oder vielmehr unmoralische Verwegenheit. Vor nichts schreckt dieser Gewalttätige zurück, nur die Moral des Starken ist die seine: rücksichtslos nehmen, halten und verteidigen. Aber diese seine naturhafte Rauflust hat nichts gemein mit der niederen Raffsucht und dem rechnerischen Ränkespiel der andern Barone, die er, der Unbedenkliche, verachtet, weil sie sich immer zu ihren Raubzügen vorsichtig zusammenrotten und feige ihre Wege im Dunkel gehen. Er aber schließt keine Bündnisse, er macht sich mit niemandem gemein; allein, hoffärtig und herausfordernd geht er an Gesetz und Sitte vorbei seinen Weg, jedem die gepanzerte Faust ins Gesicht schlagend, der ihm entgegenzutreten wagt. Völlig unbesorgt tut er, was er will, ob erlaubt oder unerlaubt, am offenen Tage. Aber obzwar ein Gewalttäter unbedenklichster Sorte, ein geharnischter Amoralist, hat Bothwell den andern zumindest den Vorzug der Aufrichtigkeit voraus. Inmitten der zweideutigen und zwiespältigen Charaktere all dieser Lords und Barone wirkt er wie ein reißendes und doch königliches Tier, ein Panther, ein Löwe unter all diesen schleicherischen Wölfen und Hyänen, keine moralische, keine menschlich einnehmende Figur, aber immerhin ein Mann, ein ganzer, urmännlich, kriegerischer Mann.
Darum hassen, darum fürchten ihn die anderen Männer, doch unermeßlich hat er durch diese nackte, klare, brutale Kraft über die Frauen Gewalt. Ob dieser Frauenräuber schön gewesen, weiß man nicht; kein zulängliches Bild von ihm ist erhalten (und doch denkt man ihn sich unwillkürlich von Frans Hals gemalt, als einen jener herausfordernden kühnen Krieger, den Hut verwegen ins Gesicht geschoben, das Auge frech und frei jedem Blick entgegen). Manche Berichte nennen ihn geradezu abstoßend häßlich. Aber um Frauen zu gewinnen, bedarf es nicht der Schönheit; schon das starke Arom von Männlichkeit, das von solchen Kraftnaturen ausströmt, das Anmaßend-Wilde, das Rücksichtslos-Gewalttätige, die Aura von Krieg und Sieg wirkt als sinnliche Verführung; keinen Mann lieben Frauen ja leidenschaftlicher, als den sie gleichzeitig fürchten und bewundern, bei dem ein leichtes, rieselndes Gefühl von Grauen und Gefahr die Lust ins Geheimnisvolle steigert. Ist aber ein solcher Gewalttäter nicht nur ein »male«, ein stierhaftes wildes Mannstier, sondern ist, wie bei Bothwell, das Nackt-Brutale gleichsam umhüllt von höfischer, von persönlicher Kultur, ist ihm außerdem Klugheit und Gewandtheit zu eigen, so wird seine Gewalt zur Unwiderstehlichkeit. Überall und anscheinend ohne Mühe hat dieser Abenteurer seine Abenteuer. Am französischen Hofe ist seine Beliebtheit berüchtigt, aus dem Kreise Maria Stuarts hat er sich bereits einiger Adelsdamen bemächtigt, in Dänemark hat eine Frau ihm ihren Gatten, Gut und Geld geopfert. Aber trotz all diesen Triumphen ist Bothwell keineswegs ein wirklicher Verführer, ein Don Juan, ein Frauenjäger, denn er jagt ihnen gar nicht ernstlich nach. Siege dieser Art sind seiner Kampfnatur viel zu ungefährlich und zu leicht. Bothwell nimmt die Frauen nach räuberischer Wikingerart nur als gelegentliche Beute, er nimmt sie gewissermaßen zwischendurch, wie er trinkt und spielt oder ein Pferd reitet und kämpft, als lebenssteigernde Kraftprobe, als männlichstes aller männlichen Spiele, er nimmt sie, aber er gibt sich ihnen nicht hin, er verliert sich nicht an sie. Er nimmt sie, weil Nehmen und Mit-Gewalt-Nehmen die natürlichste Lebensform seiner Machtlust ist.
Diesen Mann in Bothwell bemerkt Maria Stuart zunächst gar nicht in ihrem verläßlichen Vasallen. Ebensowenig erblickt Bothwell in der Königin die junge begehrenswerte Frau; mit seiner unbekümmerten Frechheit hatte er sich seinerzeit sogar über ihre private Person ziemlich unverblümt geäußert: »Sie und Elisabeth ergäben zusammen noch keine anständige Frau.« Erotisch sie anzusehen kommt ihm gar nicht in den Sinn, und ebensowenig hat sie eine Neigung für ihn. Ursprünglich wollte sie ihm sogar die Rückkehr verbieten, weil er über sie freche Gerüchte in Frankreich verbreitet hatte, aber sobald sie ihn einmal als Soldaten erprobt hat, bedient sie sich seiner dankbar und treu. Eine Gunst folgt der andern, er wird zum Oberbefehlshaber der Nordmark ernannt, dann zum Großleutnant von Schottland und Oberkommandanten der bewaffneten Macht im Falle von Krieg und Rebellion. Die Güter der geächteten Rebellen werden ihm geschenkt, und als besonderes Zeichen ihrer freundschaftlichen Sorge wählt die Königin – der beste Beweis, wie unerotisch ihre Beziehungen anfangs gewesen – ihm eine junge Frau aus dem reichen Geschlecht der Huntlys.
Einem solchen geborenen Herrenmenschen muß man nur Macht geben, und er reißt sie völlig an sich. Bald ist Bothwell der erste Ratgeber in allen Dingen, der eigentliche Statthalter des Reiches, und ärgerlich meldet der englische Botschafter, »sein Ansehen bei der Königin sei höher als das aller andern«. Aber diesmal hat Maria Stuart richtig gewählt, sie hat endlich einen Machtwalter gefunden, der zu stolz ist, sich von Elisabeth mit Versprechungen und Bestechungen kaufen zu lassen oder mit den Lords wegen eines kleinen Vorteils zu bündeln; mit diesem verwegenen Soldaten als getreuen Diener gewinnt sie zum erstenmal die Oberhand in ihrem eigenen Land. Bald spüren die Lords, wieviel Autorität der Königin durch Bothwells Militärdiktatur zugewachsen ist. Schon beginnen sie zu klagen, »sein Hochmut sei so groß, daß David niemals so verabscheut wurde wie er«, und gerne möchten sie sich seiner entledigen. Aber Bothwell ist kein Rizzio, der sich wehrlos abschlachten, kein Darnley, der sich widerstandslos zur Seite schieben läßt. Er kennt die Praktiken seiner Adelskameraden; ständig umgibt er sich darum mit einer starken Leibgarde, und auf seinen Wink wären seine Borderers bereit, die Waffen zu ergreifen. Ihm ist es gleichgültig, ob diese Intriganten bei Hofe ihn lieben oder hassen. Genug, daß sie ihn fürchten und daß, solange er das Schwert an der Seite trägt, die unruhige und räuberische Bande zähneknirschend der Königin pariert. Auf ausdrücklichen Wunsch Maria Stuarts hat sich sein erbittertster Feind, Moray, mit ihm versöhnen müssen; damit ist der Ring der Macht geschlossen, die Gewichte sind klar verteilt. Maria Stuart, seit von Bothwell gesichert, begnügt sich mit der bloßen Repräsentation, Moray führt weiter die innere Verwaltung, Maitland den diplomatischen Dienst und Bothwell, der Verläßliche, ist »all in all«. Dank seiner eisernen Hand herrscht wieder Ordnung und Friede in Schottland; ein einziger wirklicher Mann hat dieses Wunder bewirkt.
Je mehr Macht aber Bothwell in seine harten Hände bekommt, um so weniger bleibt für denjenigen, dem sie nach Fug und Recht zugehörte, für den König. Und allmählich schrumpft auch dies Wenige zu einem bloßen Namen, zu einem Nichts. Ein Jahr nur, und wie fern ist schon die Zeit, da die schöne junge Herrscherin Darnley leidenschaftlich gewählt, da man ihn zum König ausgerufen und er im goldenen Harnisch gegen die Rebellen geritten! Nun, nach der Geburt des Kindes, nach erledigter Pflicht, sieht der Unselige sich immer mehr beiseite geschoben und mißachtet. Man läßt ihn reden und hört ihm nicht zu, man läßt ihn gehen und begleitet ihn nicht. Er wird nicht mehr dem Staatsrat beigezogen, nicht mehr zu Geselligkeiten, immer irrt er allein herum, und ein kalter Raum von Einsamkeit wandert mit wie sein Schatten. Überall spürt er im Rücken scharfe Zugluft von Hohn und Haß. Ein Fremder, ein Feind, steht er zwischen Feinden in seinem eigenen Land, in seinem eigenen Haus.
Dieses völlige Fallenlassen Darnleys, diese jähe Umschaltung von heiß auf kalt, mag aus dem seelischen Widerwillen der Frau verständlich sein. Aber ihre Verachtung derart öffentlich kundzutun, war eine staatspolitische Torheit der Königin. Vernunft müßte ihr gebieten, diesem Ehrgeiz-Eitlen wenigstens einen Faden Ansehen zu lassen und ihn nicht so mitleidlos der frechen Beleidigung der Lords auszusetzen. Denn immer hat Beleidigung die schlimme Wirkung, selbst aus dem Schwächsten noch Härte herauszupressen; auch Darnley, bisher bloß weichlich, wird allmählich boshaft und gefährlich. Er hält seine Erbitterung nicht länger im Zaum. Wenn er mit bewaffneten Knechten – er hat seit Rizzios Ermordung Vorsicht gelernt – für Tage wegreitet, hören die Jagdgäste offene Drohungen gegen Moray und manche der Lords. Er schreibt aus eigener Machtvollkommenheit diplomatische Briefe ins Ausland, beschuldigt darin Maria Stuart als »unverläßlich im Glauben« und bietet sich als der wahre Schutzherr des Katholizismus Philipp II. an. Als Urenkel Heinrichs VII. will er sein Recht auf Macht und Mitrede, und so seicht und weich diese Knabenseele auch sein mag, auf ihrem tiefsten Grunde glüht doch ein flackerndes Gefühl für Ehre auf. Nur charakterlos, nicht ehrlos kann man diesen Unglücklichen nennen, und wahrscheinlich hat Darnley sogar seine verächtlichsten Handlungen gerade aus verkehrtem Ehrgeiz, aus einem überreizten Geltungswillen begangen. Schließlich faßt – man hat den Bogen eben überspannt – der Zurückgestoßene einen verzweifelten Entschluß. Ende September reitet er plötzlich von Holyrood nach Glasgow und verschweigt nicht seine Absicht, Schottland zu verlassen und in die Fremde zu gehen. Er spiele nicht mehr mit, erklärt er. Man verweigere ihm die Machtbefugnis, die ihm als König gebühre; gut, aber dann schmeiße er auch den Titel hin. Man gebe ihm keinen würdigen Wirkungskreis im Reich und Haus; gut, dann verlasse er eben das Königsschloß und Schottland. Auf seinen Befehl wird ein Schiff im Hafen ständig unter Segel gehalten und alles zur Abfahrt gerüstet.
Was will Darnley mit dieser überraschenden Drohung? Hat ihn bereits eine Warnung erreicht? Ist ein Wink über ein geplantes Komplott ihm zugekommen und beabsichtigt er – unfähig, gegen die ganze Meute sich zu wehren –, rechtzeitig irgendwohin zu fliehen, wo ihn Gift und Dolch nicht erreichen können? Quält ihn ein Verdacht, jagt ihn eine Angst? Oder war die ganze Ankündigung nur ein bloßes Sichaufplustern, eine diplomatische Trotzgeste, um Maria Stuart zu erschrecken? Alle diese Möglichkeiten sind denkbar und sogar sie alle zugleich – viele Gefühle mengen sich ja immer in einem einzigen Entschluß –, keine kann man mit Entschiedenheit behaupten oder verneinen. Denn hier, da der Weg bereits in die verschattete Unterwelt des Herzens hinabzuführen beginnt, brennen die historischen Lichter trüber: vorsichtig und nur auf Vermutungen gestützt, kann man sich weitertasten in diesem Labyrinth.
Offenkundig aber ist, daß Maria Stuart über Darnleys angekündigte Abreise schwer erschrickt. Welch ein tödlicher Schlag für ihren guten Ruf wäre eine so böswillige Landesflucht des Vaters, unmittelbar vor der festlichen Taufe des Kindes? Und wie gefährlich gerade jetzt, so knapp nach dem Rizzioskandal! Wie, wenn dieser zur Weißglut der Wut aufgereizte dumme Junge am Hofe Katharinas von Medici oder Elisabeths allerhand ausplauderte, das nicht zu ihren Ehren gereichte? Welcher Triumph für die beiden Rivalinnen, welch ein Hohn vor der ganzen Welt, wenn der vielgeliebte Ehegemahl so eilig Reißaus nähme von Tisch und Bett! Sofort ruft Maria Stuart ihren Staatsrat zusammen, und hastig wird, um Darnley zuvorzukommen, in einem großen diplomatischen Schreiben an Katharina von Medici von vorneweg alles Unrecht auf den Ausreißer gehäuft.
Aber dieser Alarm war zu früh geblasen. Denn Darnley ist gar nicht abgereist. Dieser schwächliche Knabe findet immer gerade noch die Kraft zu männlichen Gesten, nie aber zu einer männlichen Tat. Am 29. September, demselben Tage, da die Lords ihren Warnungsbrief nach Paris sandten, erscheint er unerwartet in Edinburgh vor dem Palast; jedoch er weigert sich einzutreten, solange darin noch mehrere der Lords verbleiben: wiederum ein sonderbares und kaum erklärliches Verhalten! Fürchtet Darnley das Schicksal Rizzios, will er das Schloß aus Vorsicht nicht betreten, solange er seine Todfeinde darin weiß? Oder will der Gekränkte nur öffentlich von Maria Stuart gebeten sein, wieder heimzukehren? Ist er vielleicht nur gekommen, um die Wirkung seiner Drohung auszukosten? Geheimnis, wie alle die anderen, die Darnleys Gestalt und Schicksal umwittern!
Maria Stuart faßt sich schnell. Sie hat jetzt schon eine bestimmte Technik zur Hand, mit diesem Schwächling fertig zu werden, wenn er den Herrn oder Rebellen spielen will. Sie weiß, sie muß ihm jetzt rasch – genau wie in jener Nacht nach der Ermordung Rizzios – den Willen entwinden, ehe er in seinem kindischen Trotz Unheil anstiftet. Also schleunigst fort mit allen moralischen Rücksichten und allen zimperlichen Bedenken! Wieder schauspielert sie Nachgiebigkeit. Um ihn kirre zu kriegen, scheut Maria Stuart auch nicht das äußerste Mittel: sie verabschiedet die Lords, sie geht dem vor dem Tore trotzig wartenden Darnley entgegen und führt ihn nicht nur feierlich in den Palast, sondern wahrscheinlich auch auf Circes Insel, in ihr eigenes Schlafgemach. Und siehe, der Zauber wirkt wie damals und immer auf den mit all seiner sinnlichen Leidenschaft ihr verfallenen Jungen; am nächsten Morgen ist Darnley zahm, Maria Stuart hat ihn wieder am Gängelband.
Unerbittlich muß der Verlockte wie damals nach der Rizzionacht bittern Preis zahlen. Darnley, der sich bereits wieder Herr und Gebieter fühlt, stößt plötzlich im Empfangsgemach auf den französischen Gesandten und die Lords: Maria Stuart hat sich, genau wie Elisabeth für die Moraykomödie, rechtzeitig Zeugen bestellt. Vor ihnen fragt sie nun laut und eindringlich »for God's sake« Darnley, weshalb er Schottland verlassen wolle, und ob sie ihm etwa dazu irgendwelchen Anlaß gegeben habe. Es ist eine harte Überraschung für Darnley, der sich noch ganz als Liebhaber und Geliebter fühlt, wie ein Angeklagter diesen Lords und dem Gesandten vorgeführt zu werden. Finster steht er da, der lange Bursche mit seinem blassen bartlosen Kindergesicht. Wäre er ein wirklicher Mann und aus hartem Holz geschnitzt, jetzt wäre der Augenblick, stark aufzutreten, herrisch seine Beschwerden vorzubringen und statt als Angeklagter sich als Richter und König über diese Frau und vor seine Untertanen zu stellen. Aber mit einem wächsernen Herzen wagt man keinen Widerstand. Wie auf schlimmer Tat ertappt, wie ein Schuljunge, der Angst hat, jeden Augenblick könnten ihm die Tränen ohnmächtiger Wut in die Augen treten, steht Darnley in dem großen Saal, beißt die Lippen zusammen und schweigt und schweigt. Er gibt keine Antwort. Er beschuldigt nicht, aber er entschuldigt sich auch nicht. Allmählich beginnen die Lords, von diesem Schweigen peinlich berührt, ihm höflich zuzureden, wie er »so beautiful a queen and so noble a realm« verlassen könne. Aber vergeblich; Darnley würdigte sie keiner Antwort. Dieses Schweigen voll Trotz und geheimer Drohung wirkt auf die Versammelten immer niederdrückender, man spürt, daß dieser Unselige sich nur mehr mühsam zurückhält, um nicht loszufahren, und es wäre eine fürchterliche Niederlage für Maria Stuart, wenn er die Kraft aufbrächte, dieses anklägerische starke Schweigen durchzuhalten. Aber Darnley wird schwach. Wie der Gesandte und die Lords ihn immer und immer wieder »avec beaucoup de propos« bedrängen, läßt er sich schließlich mit leiser und unwilliger Stimme das Zugeständnis entringen, nein, seine Frau habe ihm keinen Anlaß zur Abreise geboten. Mehr hat Maria Stuart nicht gewollt als diese Erklärung, die ihn selber ins Unrecht setzt. Jetzt ist ihr guter Ruf vor dem französischen Gesandten gesichert. Nun kann sie wieder ruhig lächeln und mit einer abschließenden Handbewegung feststellen, diese Erklärung Darnleys genüge ihr vollkommen.
Aber Darnley ist nicht zufrieden; Scham würgt ihm das Herz, daß er abermals dieser Delila erlegen, daß er sich aus dem Bollwerk seiner Stummheit herauslocken ließ. Unermeßliche Qual muß der damals Betörte und Genarrte empfinden, wie sie ihm jetzt mit hoheitsvoller Gebärde gewissermaßen »verzeiht«, während er wahrscheinlich mit mehr Recht hätte den Ankläger spielen können. Zu spät findet er etwas Haltung zurück. Er bricht das Gespräch schroff ab. Ohne einen höflichen Gruß gegen die Lords, ohne seine Frau zu umarmen, hart wie ein Herold, der eine Kriegserklärung übergibt, verläßt er das Zimmer. Seine einzigen Abschiedsworte sind: »Madame, Sie werden mich so bald nicht wiedersehen.« Aber die Lords und Maria Stuart lächelten einander nur erleichtert an, da der »proud fool«, der aufbegehren und frech gekommen, mit geducktem Rücken wieder heimschleicht; seine Drohung erschreckt niemanden mehr. Möge er nur fernbleiben, und je weiter, um so besser für ihn und alle.
Aber doch! Den Unbrauchbaren, einmal braucht man ihn noch. Den niemand im Haus will, einmal ruft man ihn noch dringlich heim. Nach langer Verzögerung soll am 16. Dezember im Schlosse von Stirling die feierliche Taufe des jungen Prinzen stattfinden. Großartige Vorbereitungen sind getroffen. Elisabeth, die Patin, ist zwar nicht selbst erschienen – ein Leben lang hat sie jede Gelegenheit vermieden, Maria Stuart zu begegnen –, aber sie hat, ausnahmsweise ihre berüchtigte Sparsamkeit überwindend, ein kostbares Geschenk durch den Earl of Bedford überbringen lassen, ein schwergewichtiges, köstlich getriebenes Taufbecken aus reinem Gold, den Rand mit Juwelen besetzt. Die Gesandten Frankreichs, Spaniens, Savoyens sind zur Stelle, der ganze Adel entboten; wer durch Namen und Ansehen gilt, will bei dieser Feier nicht fehlen. Bei solcher repräsentativer Entfaltung geht es nun mit bestem Willen nicht an, eine an sich zwar unbedeutende Persönlichkeit auszuschalten, nämlich Henry Darnley, den Vater des Kindes, den Herrn des Landes. Aber Darnley, der weiß, daß man ihn zum letztenmal benötigt, läßt sich nicht mehr so leicht einfangen. Er hat genug an den öffentlichen Beschämungen, er weiß, daß der englische Gesandte Auftrag hat, ihm den Titel »Majestät« zu verweigern, und der französische Gesandte, den er in seinem Zimmer aufsuchen will, läßt ihm mit erstaunlicher Anmaßung sagen, er würde bei der einen Tür des Zimmers herausgehen, sobald Darnley bei der andern hereinkäme. Jetzt endlich bäumt sich in dem Getretenen der Stolz – freilich langt seine Kraft nur wieder zu einer infantil schmollenden und boshaften Geste. Aber diesmal ist die Geste wirksam. Darnley bleibt zwar im Schlosse von Stirling, aber er zeigt sich nicht. Er trotzt durch Abwesenheit. Demonstrativ verläßt er seine Gemächer nicht, er nimmt nicht teil an dem Taufakt seines Sohnes, an Ball und Fest und Maskenspiel; statt seiner – und ein Murmeln des Ärgers geht durch die Reihen empfängt Bothwell, der verhaßte Günstling, in neuen prächtigen Gewändern die Gäste, und Maria Stuart muß sich in Freundlichkeit und Heiterkeit überbieten, damit niemand an das Skelett im Hause denke, an den Herrn, Vater und Gatten, der eine Treppe höher oben im verriegelten Zimmern sitzt und dem es gelungen ist, seiner Frau und ihren Freunden gründlich die Festfreude zu verderben. Noch einmal hat er bewiesen, daß er da ist, noch da ist; gerade durch sein Nichtdabeisein bringt Darnley sein Dasein zum letztenmal in Erinnerung.
Aber für dieses knabenhaft auftrotzende Benehmen wird schleunig die Zuchtrute zugeschnitten. Ein paar Tage später, am Weihnachtsabend, zuckt sie mit scharfem Hieb nieder. Das Unerwartete tritt ein: Maria Stuart, die sonst Unversöhnliche, entschließt sich auf den Rat Morays und Bothwells, die geächteten Mörder ihres Rizzio zu begnadigen. Damit sind die erbittertsten Todfeinde Darnleys, die Verschwörer, die er damals belogen und betrogen, wieder ins Land zurückgerufen. Darnley, so einfältig er sonst sein mag, erkennt sofort die tödliche Gefahr für seine Person. Wenn dieser Klüngel, Moray, Maitland, Bothwell, Morton, sich zusammenrottet, dann bedeutet das eine Treibjagd, dann ist er endgültig umstellt. Es muß einen Sinn haben, wenn seine Frau sich plötzlich mit seinen bittersten Feinden verständigt, einen Sinn und auch einen Preis, den er nicht gewillt ist zu bezahlen.
Darnley hat die Gefahr begriffen. Er weiß, jetzt geht es gegen sein Leben. Wie ein Wild, das die Bluthunde schon hart auf der Spur weiß, flüchtet Darnley mit einem Sprung weg aus dem Schloß zu seinem Vater nach Glasgow. Noch ist das verhängnisvolle Jahr nicht zu Ende, seit man Rizzio in die Erde gescharrt, und wieder sind die Mörder brüderlich versammelt, nah und immer näher rückt etwas Unheimliches heran. Die Toten schlafen nicht gern allein in ihrer Tiefe, immer fordern sie jene zu sich, die sie hinabgestoßen, immer senden sie Angst und Grauen als Herolde voraus.
Wirklich, irgend etwas Dunkles und Schweres wie eine Wolke am föhnigen Tag, etwas Drückendes und Fröstelndes hängt über dem Schloß von Holyrood seit einigen Wochen. An jenem Abend der Königstaufe im Schloß von Stirling, als Hunderte von Kerzen den Gästen entgegenglühten, da man den Fremden die Pracht des Hofes zeigen wollte und den Freunden Freundlichkeit, hat noch einmal Maria Stuart, immer für kurze Spannen Zeit Meisterin ihres Willens, alle Kraft zusammengefaßt. Sie hat ihre Augen strahlen lassen von erheucheltem Glück, sie hat die Gäste bezaubert durch funkelnde Laune und gewinnende Herzlichkeit; aber kaum verlöschen die Lichter, so erlischt auch ihre gespielte Freudigkeit, still wird es, grauenhaft still in Holyrood, still, merkwürdig still in ihrer Seele; irgendein geheimnisvoller Kummer, eine undurchsichtige Befangenheit bemächtigt sich der Königin. Eine sonst ganz fremde Melancholie liegt mit einmal wie ein trüber Schatten auf ihrem Antlitz, das innerste Gemüt scheint durch irgend etwas Unerklärliches verstört. Sie tanzt nicht mehr, sie verlangt nicht mehr nach Musik, auch ihre Gesundheit scheint seit jenem Ritt von Jedburgh, nach dem man sie wie tot vom Pferde gehoben, völlig erschüttert. Sie klagt über Schmerzen in der Seite, sie bleibt tagelang im Bett und meidet alle Fröhlichkeit. Nur kurze Zeit aber hält sie es in Holyrood aus, ganze Wochen verbringt sie in abgelegenen Behausungen und anderen Schlössern, aber nirgends lange, eine fürchterliche Unrast treibt sie weiter und weiter. Es ist, als arbeite in ihr ein zerstörendes Element, als horchte sie mit einer grauenhaften Spannung und Neugier auf dieses Schmerzhafte, das in ihr wühlt – etwas Neues, etwas anderes hat in ihr begonnen, etwas Feindseliges und Böses Gewalt bekommen über ihre sonst so helle Seele. Einmal überrascht sie der französische Gesandte auf dem Bett liegend und bitter schluchzend; der alte erfahrene Mann läßt sich nicht täuschen, wie nun die Beschämte beginnt, hastig von Schmerzen in der linken Seite zu erzählen, die sie bis zu Tränen peinigen. Er erkennt sofort, das sind Sorgen der Seele und nicht des Körpers, Sorgen nicht der Königin, sondern die einer unglücklichen Frau. »Die Königin fühlt sich nicht wohl«, meldet er nach Paris, »aber ich glaube, daß die wahre Ursache ihrer Krankheit in einem tiefen Schmerze hegt, für den es kein Vergessen gibt. Immer wiederholt sie: ›Ich möchte sterben.‹«
Auch Moray, Maitland und den Lords entgeht nicht die Verdüsterung ihrer Herrin. Jedoch besser zum Krieg als zur Seelenkunde geschult, sehen sie nur den groben, den äußern, den handgreiflichen Anlaß der ehelichen Enttäuschung. »Für sie ist es unerträglich«, schreibt Maitland, »daß er ihr Gatte ist und sie keinen Ausweg weiß, um von ihm freizukommen.« Aber Du Croc, der alte erfahrene Mann, hat richtiger gesehen, als er von einem »tieferen Schmerze« sprach, »für den es kein Vergessen gibt«. Eine andere, eine innerliche und unsichtbare Wunde in ihrer Seele quält diese unglückliche Frau. Der Schmerz, für den es kein Vergessen gibt, ist, daß sie sich vergessen hat, sich und ihre Ehre, Gesetz und Sitte, daß eine Leidenschaft sie aus dem Dunkel her plötzlich überfallen hat wie ein reißendes Tier und ihren Leib bis in die Eingeweide zerfleischt, eine maßlose, eine unstillbare, unersättliche Leidenschaft, als Verbrechen beginnend und nicht anders zu lösen als durch neues und neues Verbrechen. Und nun kämpft sie, über sich selbst erschreckend, von sich selber beschämt, nun quält sie sich, dies grausige Geheimnis zu verbergen, und fühlt doch und weiß doch, es läßt sich nicht verbergen und verschweigen. Schon ist stärkerer Wille über ihr als ihr wissendes Wollen; schon gehört sie nicht mehr sich selbst, sondern hilflos und ratlos dieser übermächtigen, dieser unsinnigen Leidenschaft.