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Busoni

Sein wirkliches Gesicht lag lange hinter der dunklen Wolke des Bartes verschattet. Tragisch schien er und düster, sah man ihn von der Tiefe des Raumes aus an das Klavier treten, ein leidender Christus an dem schwarzen Holz, das alle irdische Lust und Qual in sich verschließt, immer wieder aufs neue durch ihn zu erlösen. Aber nun, da der dunkle bärtige Rand gefallen ist, der Sturz der Haare nicht mehr schwarz wallend über seinem Antlitz dräut, sondern in silbrigem Grau hell eine helle Stirne freiläßt, schön geformt und rein, entdeckt man in seinen so aufgeheiterten Zügen (diesen seltsam geistigen, seltsam sinnlichen) einen sehr beweglichen Mund, der nur herb bleibt in den Stunden der Musik, sonst sich aber gern zum Lächeln des Gespräches rundet, manchmal sogar überquillt in ein eruptives Lachen, dies einzige italienische, aretinische Lachen Busonis, mit dem er Menschen ebenso fortreißen kann wie mit seiner meisterlichen Kunst. Und man sieht, freudig überrascht, in dem nun erhellten Gesicht die Augen leuchten, rein und Wasserfarben, aber nicht im stumpfen Ton des ruhenden untiefen Wassers, sondern voll der glitzernden Unruhe des beständig fließenden, von steten innerlichen Quellen erneuten und gespeisten. Augen, die es lieben, in die Welt zu schauen, dann wieder in Büchern zu rasten, die sich an Farben und Frauen freuen, trinkende, suchende Augen, die aber plötzlich heilig ruhig werden – in der ernsten Sekunde, da unter seinen Fingern der erste Ton aufklingt. Keinen unserer Meister liebe ich so sehr am Klavier wie Busoni. Andere sind erregt im Schaffen, sie schaufeln, sie graben donnernd die Töne aus dem weißen Steinbruch der Tasten, ihr ganzer Körper schwingt in Anstrengung mit. Andere wieder lächeln zum Spiel das betrügerische Lächeln der Athleten, die getürmtes Gewicht mit gespielter Mühelosigkeit hochheben, einer staunenden Menge zeigend, daß es ihnen nur Spiel sei, unsagbare Leichtigkeit. Andere wieder bäumen sich im Stolz, zittern in Erregung. Er aber, Busoni, lauscht. Er lauscht sich selber im Spiel. Eine unendliche Ferne scheint dann zwischen den geisternden Händen da unten, die in Tönen wühlen, und dem erhobenen Antlitz voll seliger Entrücktheit, das sich versteinert in süßem Erschrecken vor der namenlosen Medusenschönheit der Musik. Unten ist Musik, oben Stille, unten das Schaffen, oben das Genießen. Er scheint vergessen zu haben in diesen kostbaren Minuten, daß all dies, was ihn jetzt mit süßen Schauern ergreift, aus ihm selber strömt, er atmet, trinkt und lauscht nur ekstatisch ein, fremd sich selber in dieser nicht zu erlernenden Gebärde hingegebener Verzückung. Sein Gesicht verklärt sich in der Spannung des Lauschens, und seine Augen spiegeln, aufwärts schauend, irgendeinen unsichtbaren Himmel und darin den ewigen Gott. Wie ich ihn liebe in diesen Augenblicken! Wie ich ihn beneide in diesen Augenblicken um so höchste, seltenste Lust, sich selbst nicht mehr zu fühlen im Staunen des Schaffens, erlöst zu sein von allen Unzulänglichkeiten der Arbeit in die Reinheit der Werkbewunderung, um diese äußerste, nicht mehr ringende und fragende, sondern schon ruhende und sich selbst genießende Meisterschaft! Doch wie einen beneiden, der selbst immer neidlos war, den Hilfreichen, Freudigen, den sich an Jüngeren immer wieder Erneuernden? In Jahren, da andere bitter werden, will erst Freudigkeit in ihm erwachen, in Jahren, da andern die Quelle des Schaffens versiegt, beginnt Musik aus ihm strömend zu quellen. Dem Virtuosen sperrt heute die eigene Vollendung den Weg, nun hat der Künstler, der Schöpfer Busoni erst Zeit, erst Raum, um auszuschreiten. Ich glaube, ohne sie zu kennen, an seine Musik. Etwas Helles wird in ihr sein, die Sorglosigkeit der spät Gereiften, und vielleicht wird sein Lachen, sein einzig herzliches, kindliches Lachen, darin klingen. Die Kunst der Jungen ist eigensüchtig, und darum wild und verworren. Aber die Meisterschaft der Gütigen trägt immer im Haar den silbernen Kranz der Heiterkeit.


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