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Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten,
Hab ich getan – Unmöglichstes versucht.
Mein alles hab ich an den Wurf gesetzt. Der Würfel,
der entscheidet, liegt, er liegt. Begreifen muß
ichs – und, daß ich verlor.
Penthesilea
Auf der höchsten Höhe seiner Kunst, im Jahr des »Homburg«, erreicht Kleist verhängnisvollerweise auch die höchste Stufe seiner Einsamkeit. Nie war er weltvergessener, zielverlorener in seiner Zeit, in seiner Heimat: das Amt hat er weggeworfen, seine Zeitschrift ist ihm verboten worden, seine innere Mission, Preußen an die Seite Österreichs in den Krieg zu reißen, bleibt vergeblich. Sein Urfeind Napoleon hält Europa als gedemütigte Beute in Händen, der König von Preußen wird sein Verbündeter, nachdem er sein Vasall geworden ist, Kleistens Stücke wandern unerledigt von Bühne zu Bühne, werden verhöhnt vom Publikum oder vom Direktor lässig abgetan, seine Bücher finden keinen Verleger, er selbst nicht das niederste Amt; Goethe hat sich von ihm abgewandt, die andern kennen ihn kaum und achten ihn nicht, die Protektoren haben ihn fallenlassen, die Freunde ihn vergessen: als letzte verläßt ihn noch die Treueste, die einst so »pyladisch gesinnte Schwester« Ulrike. Jede Karte, auf die er gesetzt, ist verloren, und die letzte, die höchste, die er noch in Händen hat, das Manuskript seines Meisterwerkes »Prinz Friedrich von Homburg«, kann er nicht mehr ausspielen: er sitzt an niemandes Tisch mehr, und keiner traut seinem Einsatz. Da versucht er es noch einmal, aus monatelanger Verschollenheit auftauchend, mit der Familie: noch einmal fährt er hinüber nach Frankfurt an der Oder zu den Seinen, sich die Seele zu letzen an einer Handvoll Liebe, aber sie streuen ihm Salz in die Wunden und Galle auf die Lippen. Jene Mittagsstunde im Kreise der Kleiste, die auf den entlassenen Beamten, den verkrachten Zeitungsherausgeber, den mißglückten Dramatiker wie auf einen ihrer Familie Unwürdigen hochmütig herabblicken, bricht ihm das Rückgrat: »Wollte ich doch lieber zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal wieder erleben«, schreibt er verzweifelt, »was ich das letztemal in Frankfurt an der Mittagstafel empfunden habe.« Er ist ausgestoßen von den Seinen, zurückgestoßen in sich selbst, in die Hölle seiner eigenen Brust: mit verdüsterter Seele, beschämt und erniedrigt bis unter die Haut, taumelt er nach Berlin zurück. Ein paar Monate schleicht er in abgetragenen Schuhen und defekten Kleidern dort herum, petitioniert in den Ämtern um ein Amt, bietet (vergeblich) seinen Roman, seinen »Homburg«, seine »Hermannsschlacht« den Buchhändlern an, verdüstert seine Freunde mit seinem Anblick: schließlich wird alles seiner müde, so wie er alles Suchens müde ist. »Meine Seele ist so wund«, klagt er erschütternd in jenen Tagen, »daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir daraufschimmert.« Alle seine Leidenschaften sind zu Ende, alle Kraft vertan, alle Hoffnung verbraucht, denn:
Machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr,
Und wie er flatternd das Panier der Zeiten
Sich weiterpflanzen sieht von Tor zu Tor,
Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden
Und legt die Leier tränend aus den Händen.
Da in diesem ungeheuersten Schweigen, das jemals (vielleicht nur bei Nietzsche) um einen Genius stand – rührt eine dunkle Stimme an sein Herz, ein Ruf, der ihn immer sein ganzes Leben lang in den Augenblicken der Entmutigung, der Verzweiflung angeklungen: der Todesgedanke. Von frühester Jugend begleitet ihn diese Idee des Freitodes, und so wie er, ein halber Knabe noch, sich einen Lebensplan gefertigt, so war auch der Todesplan längst vorgedacht: immer wird der Gedanke mächtig in den Stunden der Unmacht, dann taucht er wie ein dunkler Fels, wenn die Flut der Leidenschaft, der aufgischtende Schwall der Hoffnung zurückebbt, in seiner Seele auf. Nicht zu zählen sind in Kleistens Briefen und Begegnungen diese fast brünstigen Schreie nach dem Ende, ja man könnte fast die Paradoxie wagen, zu sagen: er konnte das Leben überhaupt nur dadurch so lange ertragen, daß er stündlich bereit war, es wegzuwerfen. Immer will er sterben, und wenn er so lange zögert, ist es nicht aus Furcht, sondern aus dem Übertreiblichen, aus dem Exzessiven seiner Natur, denn auch den Tod will Kleist in Riesenmaßen, in einer Exaltation, einem Überschwang: er will nicht klein, nicht erbärmlich, nicht feige sich töten, er begehrt, wie er in jenem Briefe an Ulrike schreibt, »einen herrlichen Tod« – selbst dieser finsterste, abgründigste Gedanke hat bei Kleist noch eine Lustbetonung, eine rauschhafte Wollüstigkeit. Er will sich in den Tod stürzen wie in ein ungeheures Brautbett, und in merkwürdigster Verschränkung träumt er sich den Tod als zweiseligen Untergang. Irgendeine Urangst – er hat sie unsterblich gemacht in der Szene des Prinzen von Homburg – läßt ihn, den Einsamsten, fürchten, diese Einsamkeit des Lebens noch durch die ganze Ewigkeit des Todes weiterzutragen: so bietet er, von Kindheit an, jedem, den er liebt, mit höchster Ekstase an, mit ihm zu sterben. Der Liebesbedürfigste des Lebens sehnt sich nach einem Liebestod. In der irdischen Existenz konnte keine Frau seinem Übermaß genügen, keine Schritt halten mit seinem fanatischen Fortrasen in eine Ekstatik des Gefühls, keine, nicht die Braut, nicht Ulrike, nicht Marie von Kleist können mit in die Siedehitze seiner Forderungen; nur der Tod, der Superlativ, der nicht mehr zu Überbietende, vermag einem Kleistischen Liebesbedürfnis – Penthesilea hat seine Gluten verraten – genügen. So ist nur die Frau, die mit ihm sterben will, die dieses äußerste, nicht mehr zu übersteigernde Gefühl aufbringt, die einzige, die er ersehnt, und ihm »ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt« (wie er in seinem Todesbrief aufjubelt). So bietet er, fast aufdringlich, allen, die ihm teuer sind, seine Gefolgschaft an für den Sturz ins Dunkel. Karoline von Schiller (die ihm fast fremd war) erklärt er sich bereit, »sie und mich zu erschießen«, und seinen Freund Rühle lockt er mit schmeichelnden leidenschaftlichen Worten: »Der Gedanke will mir nicht aus dem Kopf, daß wir noch einmal zusammen etwas tun müssen komm, laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andere gehen.« Wie immer bei Kleist, wird der Gedanke, der kalte, zur Leidenschaft, zur Glut, zur Ekstase. Immer mehr berauscht er sich an der Idee, das langsame stückweise Zerbröckeln von Kraft und Widerkraft durch eine einmalige Explosion, durch eine heroische Selbstzerstörung großartig zu enden, aus der Kläglichkeit, Gehemmtheit, Gebrochenheit des ewig ungenügsamen Lebensgefühls in einen phantastischen Tod sich hinabzustürzen: herrlich reckt sich der Dämon in ihm auf, denn er will endlich zurück in seine Unendlichkeit.
Diese Leidenschaft zur Todesgemeinschaft bleibt von seinen Freunden, von den Frauen unverstanden, wie alle seine Übersteigerungen des Gefühls: vergeblich drängt, ja bettelt er um einen Gefährten für den Abgrund – alle wehren sie erschreckt und entgeistert den phantastischen Vorschlag ab. Endlich – und gerade in der Stunde, da seine Seele schon überschwillt von Bitternis und Ekel – begegnet er einer, einer fast fremden, die ihm dankt für so sonderlichen Vorschlag. Es ist eine Kranke, eine Todgeweihte, im Innern ihres Leibes so vom Krebs zerfressen wie Kleist im Innern seiner Seele von Lebensüberdruß; unfähig selbst eines starken Entschlusses, aber exaltiert anempfinderisch an seine Ekstase, läßt sich die Verlorene gern mitreißen in den Abgrund. Nun hat er eine, die ihn erlöst von der Einsamkeit der letzten Sekunde des Sturzes, und so entsteht diese seltsame phantastische Brautnacht des Ungeliebten mit der Ungeliebten, so stürzt sich die alternde, todkranke, häßliche Frau (deren Antlitz er nur mit der Ekstase dieses Gedankens geschaut) mit ihm in die Unsterblichkeit hinein. Im Innersten war diese schöngeistige, sentimental-schwärmende Rendantenfrau ihm fremd, ja er hat es wahrscheinlich nie erfahren im geschlechtlichen Sinne, daß sie Frau war – aber er vermählt sich mit ihr unter anderm Stern und Zeichen, in der heiligen Priesterschaft des Todes. Die zu klein, zu weich, zu schwächlich gewesen wäre für sein Leben, wird ihm herrlich als Sterbegenossin. Er selbst hatte sich ihr angeboten: sie mußte ihn nur nehmen, und er war bereit.
Das Leben hatte ihn bereit gemacht, allzu bereit, es hatte ihn getreten, geknechtet, enttäuscht und erniedrigt – aber mit herrlicher Kraft hebt er sich noch einmal auf und formt aus seinem Tod seine letzte heroische Tragödie. Der Künstler in ihm, der ewige Übertreiber facht das lang schwelende Feuer des heimlich glimmenden Entschlusses mit mächtigem Atem an; und wie eine Lohe von Jubel und Seligkeit schlägt es aus Kleistens Brust, seit er seines Freitodes gewiß ist, seit er, wie er sagt, »zum Tod ganz reif geworden«, seit er weiß, daß ihn das Leben nicht bemeistern wird, sondern er es bemeistert. Und der nie ein reines Ja zum Leben fand (wie Goethe), nun sagt und jubelt er sein freies seliges Ja zum Tode: herrlich ist dieser Klang, zum erstenmal tönt wie eine Glocke sein ganzes Wesen klar und ohne Dissonanz. Alle Sprödigkeit ist gebrochen, alle Dumpfheit zerstoben, prachtvoll dröhnt jetzt jedes Wort, das er spricht, das er schreibt, unter dem Hammer des Schicksals. Schon tut ihm der Tag nicht mehr weh, schon atmet er auf, schon atmet die aufgespannte Seele Unendlichkeit, das schmerzhaft Gemeine wird fern, das innere Leuchten Welt, und selig erlebt er seines eigenen Ich, seines Homburgs Verse vor dem Untergang:
Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein!
Du strahlst mir durch die Binde meiner Augen
Mir Glanz der tausendfachen Sonne zu!
Es wachsen Flügel mir an beiden Schultern,
Durch stille Ätherräume schwingt mein Geist;
Und wie ein Schiff, vom Hauch des Winds entführt,
Die muntre Hafenstadt versinken sieht,
So geht mir dämmernd alles Leben unter:
jetzt unterscheid ich Farben noch und Formen,
Und jetzt liegt Nebel alles unter mir.
Die Ekstase, die ihn dreiunddreißig Jahre lang durch das Dickicht des Lebens trieb, nun hat sie ihn milde aufgehoben in eine Seligkeit des Abschieds. In der letzten Stunde faßt sich der Zerrissene zusammen, das Zerspaltene seines Wesens schmilzt im äußersten Gefühl. Im Augenblick, da er frei und kühl in das Dunkel tritt, verläßt ihn sein Schatten: der Dämon seines Lebens schwebt aus dem zerrütteten Leib wie Rauch über dem Feuer und löst sich auf in die Sphären. In der letzten Stunde schmilzt Kleistens Schwere und Schmerz, und sein Dämon wird Musik.