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Ach, es ist unverantwortlich, den Ehrgeiz in uns
zu erwecken – einer Furie zum Raube sind wir
hingegeben.
Aus einem Brief
Wie aus einem Gefängnis stürmt Kleist in das gefährlich Grenzenlose der Dichtung hinein. Endlich eröffnet sich seinem gärenden Drang Möglichkeit der Entladung; die eingeengte Phantasie kann sich zerteilen in Gestalten, verströmen im schwelgenden Wort. Aber einem Kleist wird nichts zur Lust, weil er kein Maß kennt. Kaum daß er das erste Werk beginnt, kaum daß er wagt, sich als Gestalter, als Dichter zu fühlen, will er schon sofort der größte, herrlichste, der gewaltigste Dichter aller Zeiten sein und stellt bereits an sein Erstlingswerk den frevlerischen Anspruch, die großartigsten Werke der Griechen und der Klassik zu übertreffen. Mit dem ersten Ansprang alles erreichen; damit ist jene Kleistische Übertreibung nun ins Literarische pervertiert. Andere Dichter beginnen zaghaft mit Hoffnungen und Träumen, mit Versuchen und Bescheidungen; Kleist aber, ständig in Superlativen lebend, verlangt vom ersten Versuch gleich das Unerreichbare. Sein »Guiskard«, den er (nach seinem fast traumwandlerischen Frühwerk, den Schroffensteinern) beginnt, soll, ja muß die mächtige Tragödie aller Zeitalter sein. Mit einem Ruck will er in die Ewigkeit hinein; nie hat die Literatur eine titanischere Vermessenheit gekannt als Kleistens Forderung nach Unsterblichkeit gleich mit dem ersten Ausbruch seiner Kraft. Jetzt erst sieht man, wieviel Hochmut in dem überheizten Kessel seiner Brust heimlich verschlossen war: in dampfenden Worten zuckt und zischt er heraus. Wenn ein Platen von Odysseen und Iliaden faselt, die er schaffen will, so ist das ungläubige Selbstbeschwätzung einer schwachen Natur. Aber Kleisten ist es ehern ernst mit seinem Wettstreit wider die Götter des Geistes; wenn ihn eine Leidenschaft packt, so treibt er sie (und sie wiederum ihn) ins Maßlose, und von dieser Stunde der Klarheit über seine Mission wird der Ehrgeiz zur fast tödlichen Aufbietung seines ganzen Seins. Seine Hybris ist lebenswahr, todeswahr, als er sich nun, ein Desperado des Lebens, in trotziger Herausforderung der Götter an ein Werk wirft, das (wie er Wieland suggeriert) »die Geister des Äschylos, Sophokles und Shakespeare« in sich vereinigen soll. Immer setzt Kleist sein Ganzes auf eine Karte. Und von nun ab heißt sein Lebensplan nicht mehr leben und richtig leben, sondern Unsterblichkeit.
Kleist beginnt sein Werk im Spasma, in der letzten Entzückung und Trunkenheit. Alles, auch das Schaffen, verwandelt sich ihm zur Orgie; Lust- und Qualschreie brechen aus seinen Briefen stöhnend oder schwelgend hervor. Was andere Dichter ermutigt und bekräftigt, die Ermunterung durch Freundeswort, läßt ihn taumeln in Angst und Lust, so furchtbar ist sein ganzes Sein erregt von der Alternative des Gelingens oder Versagens. Was andern Glück ist, wird ihm (hier wie immer) Gefahr, denn bis an den letzten Lebensnerv drängt er die große Entscheidung. »Der Anfang meines Gedichtes, das der Welt Deine Liebe zu mir erklären soll«, schreibt er seiner Schwester, »erregt die Bewunderung aller Menschen, denen ich es mitteile. O Jesus! Wenn ich es doch vollenden könnte! Diesen einzigen Wunsch soll mir der Himmel erfüllen, und dann, mag er tun, was er will.« Auf diese einzige Karte Guiskard setzt er sein ganzes Leben. Eingegraben auf seiner Insel im Thuner See in die Arbeit, ganz hinabgetaucht in den eigenen Abgrund, kämpft er den Jakobskampf mit dem Engel, mit dem Dämon, daß er ihn freilasse. Manchmal jauchzt er auf in frenetischer Verzückung. »In kurzem werde ich Dir viel Frohes zu schreiben haben; denn ich nähere mich allem Erdenglück«; dann wieder erkennt er, was für finstere Mächte er aus sich beschworen hat: »Ach, der unselige Ehrgeiz, er ist ein Gift für alle Freuden.« In Sekunden der Zernichtung möchte er sterben – »Ich bitte Gott um den Tod«, dann wieder überfällt ihn die Angst, er »möchte sterben, ehe ich meine Arbeit vollendet habe«. Nie hat vielleicht ein Dichter erbitterter, mit einem rasenderen Einsatz seiner ganzen Existenz um sein Werk gerungen als Kleist in jenen Wochen der Ureinsamkeit auf der kleinen Insel im Thuner See. Denn dieser Guiskard ist mehr als bloß literarischer Spiegelschein inneren Wesens: hier in dieser titanischen Gestalt will er die ganze Tragödie seiner Existenz darstellen, das ungeheure Wollen des männlichen Geistes, indes der Körper geheim unterwühlt ist von Schwächen und Schwären. Vollenden bedeutet hier: genesen, Sieg eine Erlösung, der Ehrgeiz die Selbsterhaltung: darum dieser ungeheure Krampf, diese gleichsam zu Muskeln straff gespannten Nerven. Es ist Ringen um eine Lebensentscheidung, das spürt er und die Freunde mit ihm, die ihm raten: »Sie müssen den Guiskard vollenden und wenn der ganze Kaukasus und Atlas auf Sie drückte.« Nie wieder hat sich Kleist so tief in ein Werk hineingeworfen, einmal, zweimal, dreimal schreibt er die Tragödie hintereinander, um sie wieder zu zerstören, er weiß jedes Wort darin so auswendig, daß er bei Wieland sie frei aus dem Gedächtnis rezitieren kann. Monatelang wälzt er den überwuchtigen Stein zur Höhe, immer rollt er wieder die Tiefe hinab: ihm ist es nicht gegeben wie Goethe im Werther, im Clavigo, mit einem Ruck sich von seinem Seelengespenst zu entlasten, zu fest ist der Dämon in seine Seele verklammt. Endlich sinkt ihm zerbrochen die Hand: »Der Himmel weiß, meine teuerste Ulrike (und ich will umkommen, wenn es nicht wörtlich wahr ist)«, stöhnt der Ermattete auf, »wie gern ich einen Blutstropfen aus meinem Herzen für jeden Buchstaben eines Briefes gäbe, der so anfangen könnte: mein Gedicht ist fertig. Aber, Du weißt, wer, nach dem Sprüchwort, mehr tut, als er kann. Ich habe nun ein Halbtausend hintereinander folgender Tage, die Nächte der meisten mit eingerechnet, an den Versuch gesetzt, zu so vielen Kränzen noch einen auf unsere Familie herabzuringen: jetzt ruft mir unsere heilige Schutzgöttin zu, daß es genug sei ... Töricht wäre es wenigstens, wenn ich meine Kräfte länger an ein Werk setzen wollte, das, wie ich mich endlich überzeugen muß, für mich zu schwer ist. Ich trete vor einem zurück, der noch nicht da ist, und beuge mich, ein Jahrtausend im voraus, vor seinem Geiste.«
Eine Sekunde scheint es, als wollte Kleist sich beugen vor dem Geschick, als hätte sein leuchtender Geist Macht über sein rasendes Gefühl. Aber in ihm waltet noch finster der Dämon des Unmaßes: er kann die heldenhafte Haltung des großen Verzichtes nicht durchhalten, sein Ehrgeiz, einmal aufgepeitscht, läßt sich nicht wieder zurückzäumen. Vergebens suchen die Freunde seine dumpfe Verzweiflung aufzurütteln, vergebens raten sie ihm zu einer Reise in hellere Landschaft: was als erheiternder Ausflug gedacht war, wird zu sinnloser Flucht von Ort zu Ort, von Land zu Land. Flucht vor den fürchterlichsten Gedanken. Das Mißlingen des Guiskard ist der Dolchstoß für Kleistens rasenden Stolz, und in jäher Umschaltung ersetzt jetzt den herrischen, himmelstürmenden Hochmut das alte nagende Minderwertigkeitsgefühl. Noch einmal wiederholt sich der entsetzliche Angstgedanke seiner Jugend, die Angst vor der Impotenz, vor dem Nicht-Können, nun aber gegen die Kunst gewandt. Wie damals als Mann, fürchtet er jetzt, sich als Dichter nie mehr ganz bewähren zu können, und (wie damals) die Schwäche gewaltsam übertreibend, stöhnt er schäumend auf: »Die Hölle gab mir meine halben Talente, der Himmel schenkt dem Menschen ein ganzes oder gar keins.« Kleist, der Maßlose, aber kennt nur das Alles oder das Nichts, Unsterblichkeit oder Untergang.
So wirft er sich ins Nichts, so geschieht die wahnsinnige Tat, eine Art ersten Selbstmordes (schwerer vollbracht als später sein Freitod): in Paris, fiebernd angelangt von sinnloser Fahrt, verbrennt er den »Guiskard« und seine andern Entwürfe, um sich vor ihrem herrischen Begehren nach Unsterblichkeit zu retten. Nun ist der Lebensplan zerstört: immer in solchen Augenblicken taucht, magisch aufgerufen, sein Gegenspieler auf: der Todesplan. Und befreit von dem Dämon des Ehrgeizes, schreibt er jenen unsterblichen Brief, den schönsten vielleicht, den ein Künstler im Augenblick des Mißlingens gestaltet: »Meine teure Ulrike! Was ich Dir schreiben werde, kann Dir vielleicht das Leben kosten; aber ich muß, ich muß, ich muß es vollbringen. Ich habe in Paris mein Werk, soweit es fertig war, durchgelesen, verworfen und verbrannt: und nun ist es aus. Der Himmel versagt mir den Ruhm, das größte der Güter der Erde; ich werfe ihm, wie ein eigensinniges Kind, alle übrigen hin. Ich kann mich Deiner Freundschaft nicht würdig zeigen, ich kann ohne diese Freundschaft doch nicht leben: ich stürze mich in den Tod. Sei ruhig, Du Erhabene, ich werde den schönen Tod der Schlachten sterben ... ich werde französische Kriegsdienste nehmen, das Heer wird bald nach England hinüberrudern, unser aller Verderben lauert über den Meeren, ich frohlocke bei der Aussicht auf das unendlich-prächtige Grab.« Und tatsächlich stürzt er sich mit schon verdunkelten Sinnen, wahnsinnig über die vollbrachte Tat, quer durch Frankreich, nach Boulogne, wird mühsam von dem erschreckten Freunde zurückgebracht und liegt dann monatelang geblendeten Geistes bei einem Arzte in Mainz.
So endet Kleistens erster ungeheurer Ansprung. Mit einem Riß wollte er sein ganzes Inneres, den Dämon, nach außen reißen; aber er zerreißt sich bloß die Brust, und in seinen blutenden Händen bleibt ein Torso, freilich einer der herrlichsten, die je ein Dichter geschaffen. Nichts vollendet er als – symbolisch genug – jene Szene des Willenstrotzes Guiskards, wie er sein Leiden, seine Schwächen ehern überwindet, aber Byzanz ist nicht erreicht, das Werk nicht vollendet. Doch schon dieser Kampf um die Tragödie ist eine heroische Tragödie. Nur wer die ganze Hölle in sich trug, konnte so um Gott ringen, wie es Kleist mit diesem Werke wider sich selber getan hat.