Heinrich Zschokke
Das Abenteuer der Neujahrsnacht
Heinrich Zschokke

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2.

Philipp schritt majestätisch durch die beschneiten Gassen der königlichen Residenz, auf welchen noch viel Volks umherwandelte, als wär's am Tage. Kutschen fuhren her und hin. Alles war in den Häusern hell und licht. Unsern Nachtwächter belustigte das heitere Leben. Er sang und blies im angewiesenen Stadtquartier die zehnte Stunde recht frohmütig ab, am liebsten und mit mancherlei Nebengedanken vor dem Hause unweit der Gregorienkirche, wo er wohl wußte, daß Röschen bei ihren Freundinnen war. »Nun hört sie mich,« dachte er, »nun denkt sie an mich und vergißt vielleicht Gespräch und Spiel. Wenn sie nur um zwölf Uhr nicht bei der Kirchtür fehlt!«

Und als er seinen Gang durch das Stadtquartier gemacht hatte, kehrte er vor das beliebte Haus zurück und sah nach den erleuchteten Fenstern von Röschens Freundinnen hinauf. Zuweilen sah er weibliche Gestalten am Fenster, dann schlug sein Herz schneller. Er glaubte Röschen zu sehen. Verschwanden die Gestalten, so studierte er ihre verlängerten Schatten an der Wand und Zimmerdecke, um zu erkennen, welcher Röschens Schatten sei und was sie tue. Es war freilich gar nicht so angenehm, in Frost und Schnee dazustehen und Beobachtungen zu machen. Aber was fechten Frost und Schnee einen Liebhaber an! Und Nachtwächter lieben heutzutage so romantisch wie irgend zärtliche Ritter der Vorwelt in Romanzen und Balladen.

Er spürte den Einfluß der Kälte erst, als es elf Uhr schlug und er von neuem die nachtwächterliche Runde beginnen sollte. Die Zähne klapperten ihm vor Frost. Er konnte kaum die Stunde anrufen und dazu blasen. Er wäre gern in ein Bierhaus eingekehrt, um sich wieder zu erwärmen.

Wie er nun durch ein einsames Nebengäßchen ging, trat ihm eine seltsame Gestalt entgegen, ein Mensch mit schwarzer Halblarve vor dem Gesicht, in einen feuerroten Seidenmantel gehüllt, auf dem Haupte einen runden, seitwärts aufgeschlagenen Hut, phantastisch mit vielen hohen, schwankenden Federn geschmückt.

Philipp wollte der Maske ausweichen. Diese aber vertrat ihm den Weg und sagte: »Du bist mir ein allerliebster Kerl, du! Du gefällst mir! Wo gehst du hin? Sag' mir's.«

Philipp antwortete: »In die Mariengasse, da ruf' ich die Stunde.«

»Göttlich!« rief die Maske. »Das muß ich hören. Ich will dich begleiten. So was hört man nicht alle Tage. Komm nur, närrischer Kerl, und laß dich hören,; aber das sag' ich dir, als Virtuose laß dich hören, sonst bin ich nicht zufrieden. Kannst du ein lustiges Stückchen singen?«

Philipp sah wohl, der Herr war ein wenig weinselig und vornehmen Standes, und antwortete: »Herr, beim Glase Wein und in warmer Stube besser als bei solcher Kälte, die einem das Herz im Leibe erstarrt.« – Damit ging er seines Weges in die Mariengasse und sang und blies.

Die Maske hatte ihn dahin begleitet und sprach: »Das ist kein Kunststück. Das kann ich auch, du närrischer Kerl. Gib mir dein Horn; ich will für dich blasen und singen. Du sollst dich halb zu Tode wundern.«

Philipp gab auf der nächsten Station den Bitten der Maske nach und ließ sie blasen und singen. Es ging ganz in der Ordnung. So zum zweiten, zum dritten und zum vierten Male. Die Maske konnte nicht müde werden, Stellvertreter des Nachtwächters zu sein, und war in Lobeserhebungen seiner Geschicklichkeit unerschöpflich. Philipp lachte von ganzem Herzen über die wunderlichen Einfälle des lustigen Herrn, der vermutlich, aus froher Gesellschaft oder von einem Balle kam und sich mit einem Gläschen Wein über die gewöhnliche Höhe des Alltagslebens hinaufgestimmt hatte.

»Weißt du was, Schätzchen? Ich hätte große Lust, ein Paar Stunden zu nachtwächtern. Ist es diesmal nicht, komm' ich mein Lebtag nicht zu der Ehre. Gib mir deinen Mantel und breitkrempigen Hut: ich gebe dir da meinen Domino. Geh in ein Bierhaus, trinke dir ein Räuschchen auf meine Rechnung; und hast du eins, so komm wieder und gib mir meinen Maskenanzug zurück. Hier hast du ein Paar Taler Trinkgeld. Was meinst du, Schätzchen?«

Dazu hatte der Nachtwächter keine Lust. Die Maske aber gab mit Bitten nicht nach, und wie beide in ein finsteres Gässchen traten, wurde kapituliert. – Philipp fror erbärmlich; eine warme Stube hätte ihm wohlgetan, ein gutes Trinkgeld nicht minder. Er bewilligte dem jungen Herrn also das Nachtwächter-Vikariat auf eine halbe Stunde, nämlich bis zwölf Uhr; dann sollte er zur Hauptpforte der Gregorienkirche kommen und Mantel, Hut, Horn und Stange gegen den langen roten Seidenmantel, Larve und Federhut austauschen. Auch nannte er ihm noch vier Straßen, in denen er die Stunde abzurufen habe.

»Herzensschatz!« rief die Maske entzückt, »ich möchte dich küssen, wenn du nicht ein Schmierfinke wärst. Nun, es soll dich nicht gereuen. Um zwölf Uhr stelle dich bei der Kirche ein und hole zum Trinkgeld dir noch ein Bratengeld. Juchhe, ich bin Nachtwächter!«

Die Kleider wurden vertauscht. Die Maske vernachtwächterte sich. Philipp band die Larve um, setzte den von einer funkelnden Schleife gezierten Lederhut auf und wickelte sich in den langen feuerroten Seidenmantel. Als er seinen Stellvertreter verließ, fiel es ihm aber doch aufs Herz, der junge Herr könnte vielleicht aus Uebermut die nachtwächterliche Würde entweihen. Er drehte sich noch einmal um und sagte: »Ich hoffe, Sie werden meine Gutmütigkeit nicht mißbrauchen und Unfug treiben. Das könnte mir Verdruß zuziehen und den Dienst rauben.«

»Was denkst du denn, närrischer Kerl?« rief der Vikar. »Meinst du, ich wisse nicht, was meines Amtes sei? Dafür laß mich sorgen. Ich bin ein Christenmensch, so gut wie du. Packe dich, oder ich werfe dir die Stange zwischen die Beine. Um zwölf Uhr bist du unfehlbar bei der Gregorienkirche und gibst mir meine Kleidung wieder. Adieu! Das ist ein Teufelsspaß für mich.«

Trotzig ging der neue Nachtwächter seines Weges. Philipp eilte, ein nahegelegenes Bierhaus zu erreichen.


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