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»Wundert Euch keineswegs darüber,« sagte er: »daran ist nicht, wie man oft meint, die Revolution, nicht das fremde Kriegsvolk, das bei uns war, nicht die durch Krieg entstandene Ungebundenheit des Volks Ursach, wie man häufig sagt. Die Menge der Wirthshäuser und Schenken hat's auch nicht gethan. Wenn man sie heut alle abschaffen könnte, würden darum der Brannteweintrinker nicht weniger werden. Aber viel hat besonders dazu die Wohlfeilheit des hitzigen Getränkes, im Verhältniß zum Wein, und die Leichtigkeit beigetragen, es zu fabriziren. Daher wird es in Fabriken und Privathäusern in Menge gebrannt aus Träbern und Obst, Kartoffeln, Kirschen, Zwetschgen, Enzian, Korn, Waizen, Gersten; – es läßt sich fast Alles zu dem Gesöff benutzen, wodurch man die menschliche Gesundheit, ohne es zu vermuthen, nach und nach, wie jener Herr sagt, vergiftet.«
»Unser Herr Wirth hat aber mit Recht gesprochen, die Giftmischerbande besteht nicht bloß aus den Brannteweinbrennern und zahllosen Verkäufern des Gifts. Es sind andere Leute dabei im Spiel, die das unwissende Volk, reich und arm, zum Genuß verführen; welche die Gesundheit von Männern, Weibern und Kindern zerstören; welche Armuth und Unzucht befördern; welche Gefängnisse, Irrenhäuser, Spitäler und Zuchthäuser mit elenden Menschen füllen helfen. Das sind die vornehmen und wohlhabenden Leute, die sogenannten gebildeten Familien. Denn auch von ihnen gehören Viele zu den Unwissenden, trotz sie sich für gebildet halten. Da werden außer hitzigen Weinen aus fremden Länder, allerlei Liköre vor und nach dem Essen, und zum schwarzen Kaffee, und zum Frühstück und zum Schlaftrunk vorgesetzt. Wer Fremdes zu ihnen kömmt, wird dazu ermuntert. In der Klasse der Reichen und der Handwerker sind im Verhältnis eben so Viele, denen gebrannte Wasser zum Bedürfniß, durch Gewohnheit, geworden sind, als unter Landleuten und Taglöhnern. Daher findet man bei ihnen auch eine Menge kränklicher, schwächlicher Personen, die den Doktor beständig im Hause haben müssen, und schon im Keim verderbte, schwächliche Kinder erzeugen!«
»Aber diese vermeinten gebildeten Leute lassen es nicht dabei bewenden. Sie verbreiten auch das Brannteweingift im Volk, als Alltagsgetränk. Sie geben es ihren Arbeitern; sie geben es in der Aernte ihren Dreschern und Heuern; sie geben es ihren Wäscherinnen; sie setzen es vor, wenn man ihnen Zinsen bringt und so bei allen Gelegenheiten. Sie bilden sich wohl gar in ihrer Unverständigkeit ein, den Arbeitern und Taglöhnern dadurch mehr Lust und Kraft zur Arbeit zu geben. Ja freilich in der ersten Stunde reizt der Fusel die Lebensgeister auf, und es wird munter geschafft; aber in den nächsten darauf folgenden Stunden stellt sich ganz natürlich Mattigkeit, Schläfrigkeit der Glieder und Verdrossenheit ein. Das sollten doch die unwissenden gebildeten Leute aus an sich selbst gemachter Erfahrung wohl wissen! Es ist Thatsache, daß von zwei gleich starken Arbeitern oder Taglöhnern, derjenige, welcher keinen Branntewein nimmt, im Tage mehr schafft und mit mehr Umsicht und Ueberlegung zu Werke geht, als der Trinker. Dieser gleicht einem Reisenden, der anfangs schnell läuft, Andere anfangs zurückläßt, aber bald ermattet und hinter denen zurückbleiben muß, die ihren regelmäßigen ruhigen Schritt gehen.«
Ein kleiner Mann, der das Ansehen eines begüterten Bauers hatte, unterbrach den Friedensrichter in seiner Rede und rief: »Richtig! das weiß ich am besten. Vier nüchterne Arbeiter, die ihren Durst mit Wasser und Milch oder leichtem Bier löschen, schaffen im Tag mehr, als fünf Schnappsbrüder. Ich dulde dergleichen auf meinem Hof nicht, und befinde mich wohl dabei. Ein Schnappsbruder spart sein Geld weder für sich, noch für Weib und Kind auf; wie sollte er daran denken, für einen Fremden Geld sparen zu helfen?«
Der Friedensrichter sagte darauf: »Ich weiß, Gevatter, Ihr habt Jedem bei Euch den Abschied gegeben, der Branntewein liebt, und habt Euern guten Vortheil dabei gefunden. Man sieht in Euerm Hause kein gebranntes Wasser. Möchten es alle ehrliche, habliche Leute, alle verständige, wahre Volksfreunde machen, wie Ihr. Dem überhandnehmenden Unwesen wäre zum Glück des Landes bald abgeholfen. Aber wenn wohlhabende Familien, Fabrikanten, Beamte, sogar Geistliche und Schullehrer ihrem Gesinde, ihren eigenen Kindern, ihren Arbeitsleuten, mit dem Wohlgefallen an starken Getränken und ihrem bösen Beispiel vorangehen, was soll man vom gemeinen Mann erwarten? Sie sind die vornehmsten Unheilstifter und Volksvergifter!«
»Ja, ihr Herren,« fuhr der Friedensrichter fort: »was noch mehr sagen will, die Männer, denen man die Beförderung des öffentlichen Wohls anvertraut, die sind es, welche durch ihren Unverstand, oder durch ihre Gewissenlosigkeit in unserm beklagenswerthen Vaterlande alle jene Leiden, Verbrechen und Gräuel, die aus täglichem Gebrauch starker Getränke entstehen, immer mehr erweitern helfen; Armuth und Spielsucht, Wollust, Prozeßsucht und Verschwendung. Diebstahl und Schlägereien, ungesunde Nachkommenschaft und Krankheiten aller Art. Da stehn die Herren Geistlichen auf der Kanzel; halten unter sich Versammlungen; schreien über Verfall der Religion; jammern über zunehmende Sittenlosigkeit; aber wer von ihnen legt in seiner Gemeinde Hand ans Werk, die geheime Quelle der Laster und Sünden, den alltäglichen Genuß geistiger Getränke, zu vernichten? Mit dem Predigen und Jammern und Ermahnen zum Glauben ist's wahrhaftig nicht allein abgethan. Und sieht man nicht selbst Geistliche in Wirthshäusern? Sieht man nicht selbst Pfarrer und Mönche, die Trunkenbolde sind? Sieht man nicht selbst Jugendlehrer und Professoren bei wilden Saufgelagen lärmen, die dem Trunk ergeben sind und der bessern Jugend zum Aergerniß und Gelächter werden? Aber, ihr Herren, so allgemein ist bei uns schon das Laster geworden, daß es nicht mehr für Laster angesehen wird; daß man es kaum noch für eine kleine Unart, für eine verzeihliche Schwäche hält; daß man sich einander sagt: ein Räuschlein in Ehren, soll keiner wehren! So weit sind wir schon gekommen!«
»Unsere Doktoren sollten für die Gesundheitspflege im Volk wachen und sorgen. Sie am ersten sollte, wenn sie gewissenhafte, wohlmeinende Männer wären, vor dem Mißbrauch starker Getränke warnen; und Mißbrauch, sag' ich, ist auch schon deren alltäglicher Gebrauch. Sie wissen am besten, zu wie vielen körperlichen Uebeln dieser tägliche Genuß führt. Sie wissen am besten, wie vielerlei Krankheiten von Brannteweingift entstehen und entwickelt werden; und wie gefährlich einem Jeden, der sich hitzige Getränke zur Gewohnheit macht, eine Krankheit wird, die jedem Andern weniger schadet Aber diese Doktoren, muß ich fast glauben, sorgen mehr dafür, Patienten zu bekommen. An gesunden Leuten ist ihnen nichts gelegen. Sie warnen uns nicht; sie verbieten den ihnen vorteilhaften Branntewein und Likör nicht in den Häusern, wo sie Zutritt bekommen; am wenigsten in reichen Häusern. Ist das Leichtsinn von solchen Männern, oder Gewinnsucht?«
»Und, ihr Herren, was soll ich von unsern Regenten und Gesetzgebern sagen, unter denen selbst manche Zechbrüder, auch Weinhändler, Likörfabrikanten, Wirthe u. s. w. sitzen? Ich will nicht von trinklustigen Beamten reden, die sich nur zu oft Willkür, Ungerechtigkeit oder Rohheit erlauben, wenn sie ein Gläschen zu viel genommen haben. Kennet ihr keine Beispiele von dergleichen falschen Mustern christlicher Obrigkeiten? – Nur noch von den verkehrten, sittenmörderischen Einrichtungen und Gesten und Verordnungen im Lande will ich sprechen. Sie gestatten jährlich 4 bis 6 Tanzsonntage, guter Zucht willen; aber so viel Saufsonntage, als Sonntage im Jahr sind. Statt die zahlreichen Brannteweinbrennereien zu mindern, hat man sie sich vermehren lassen, und die Gewerbsfreiheit in Lasterfreiheit verwandelt. Die Menge der Brennereien erschwert die nothwendig strenge Aufsicht. Statt den Branntewein durch Ohmgelder und Abgaben zu vertheuern und für den gemeinen Mann kostspieliger zu machen, verteuert man lieber mit Steuern und Ohmgeldern den unschädlichen Wein, und zwingt damit den Wenigbemittelten, sich an die destillirten Getränke zu halten und den Genuß derselben zur Gewohnheit zu machen. So gestatten und begünstigen die Regenten die Vergiftung des Volkes, seiner Gesundheit und Sitten. Keine Luxusabgabe wäre wohltätiger, als die schwerste auf Weingeist und daraus bereitete Getränke; auf deren Einfuhr, Fabrikation und Verbrauch in öffentlichen und Privathäusern. Ja, jene Herren, die sich sogar Landesväter und Volksfreunde nennen lassen, sind es, die durch ihre Nachsicht gegen den ungeheuern Verbrauch des Brannteweins in unserm Lande fast mehr Wittwen und Waisen, mehr Krüppel und Kranke, mehr Selbstmörder und Wahnsinnige gemacht haben, als vielleicht der Krieg gemacht haben würde.«
Als der Sprecher schwieg, rief der Wirth: »Fahret fort, es ist Wahrheit und nichts übertrieben!«
»Nun ja!« sagte der Friedensrichter: »Wozu wiederholen, was Ihr selber schon gesagt habt? Durch Begünstigung des Brannteweingebrauchs werden die Menschen leichtsinniger, verschwenderischer, träger, ärmer und gefühlloser für die Schande. Dann klagt man über Mangel an guten Armenanstalten. Wer aber hat die Armuth befördert? der Gesetzgeber! Armuth und Liederlichkeit verleiten zu zahllosen Polizeivergehen, Diebereien, Betrügereien und Verbrechen. Man wird wenig Missethäter finden, die, ehe sie ihre That begingen, sich nicht vorher durch einen Schluck Branntewein erhitzt und ermuthigt hätten. Der Straßenräuber, der Dieb, ehe er sich an ein Unternehmen wagt, wird zuvor einen Schnapps hinunterstürzen. In den gerichtlichen Verhören achtete man bisher viel zu wenig darauf, darüber nachzuforschen. Fragt aber Mann um Mann in den Gefängnissen und Strafanstalten, und ihr werdet die Hälfte der Leute als Wein- und Brannteweinsäufer erkennen. Und dann klagt man, daß die Zuchthäuser für die Menge der Sträflinge zu enge werden. Wer hat denn die Vermehrung der Verbrechen und Vergehen vorher befördert? der Gesetzgeber selbst ist der Urheber des öffentlichen Verderbens. – Doch kein Wort darüber mehr.«
Jetzt stand ein Herr im schwarzen Kleide auf, den man einige mal, als Advokaten und Rathsherrn, betitelt hatte. Er rief: »Herr Friedensrichter, noch habt Ihr Eins vergessen. Wir haben ein Gesetz, welches sogar die Trunkenbolde vorzugsweise vor den nüchternen Leuten begünstigt.«
»Und das wäre?« fragte der Friedensrichter etwas verwundert.
»Daß die Trunkenheit eines Uebelthäters als Milderungsgrund seiner Strafe angesehen wird. Man sagt: er war seiner Sinne nicht mächtig; er war nicht vollkommen zurechnungsfähig! Aber ist es nicht auch schon Verbrechen, seinen Geist zu betäuben, seine Menschenwürde zu besudeln und viehisch zu werden? – Ist der Dieb, oder der Mörder im Rausch keiner Zurechnung fähig: so ist das Gesetz ungerecht, wenn es ihn dennoch bestraft. Man sollte ihn ungestraft laufen lassen, oder allenfalls nur wegen der Trunkenheit büßen, weil sie unanständig ist. In Nordamerika aber versteht es die Gesetzgebung anders. Dort gilt die vorangegangene Betäubung des Geistes durch hitzige Getränke als kein Milderungsgrund der Strafe, sondern das im Rausche begangene Verbrechen wird eben so bestraft ohne Erbarmen, als wäre es in der Nüchternheit verübt. Denn jeder Mensch ist Herr und Meister, daß er sich nicht selber zum Vieh herabwürdige. Jeder kann es verhüten, in einen Zustand zu gerathen, in welchem er nicht mehr weiß, was er Schweres und Folgenreiches begeht. Der Ernst dieses Gesetzes hat dort die Menge der Verbrechen auffallend vermindert. Bei uns in Europa wird es noch lange dauern, bis man die einfachste Wahrheit anerkennt. Wer nüchtern ist, weiß, daß er, sobald er berauscht ist, nicht gut dafür stehen kann, ob er nicht in der nächsten Stunde schon einen Verrath, eine Verschwendung seines Vermögens am Spieltisch, einen Ehebruch, eine blutige Schlägerei, einen Mord, oder ein anderes Unglück vollbracht hat. Der Weingeist riegelt ihm die breite Bahn der Vergehen und Verbrechen auf, schleppt ihn lachend zur öffentlichen Schande, zum Gefängniß, zur Sträflingskette, zum Blutgerüst. Er weiß es nüchtern voraus, daß es auch mit ihm der Fall sein könne, sobald er beim Trinkglase die Vernunft verliert. Er begeht das Verbrechen. Und nun wird ihm der Rausch zum Milderungsgrund der wohlverdienten Strafe gemacht!«
Das Gespräch, welches vielen Wortwechsel veranlaßte, dauerte bis spät Abends, und hatte noch nicht geendet, als ich mich mit meinem Freunde Walter zur Ruhe begab.