Emile Zola
Nana
Emile Zola

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Zwölftes Kapitel

Gegen ein Uhr morgens lagen Nana und der Graf noch wach in dem großen, mit venezianischen Spitzen besetzten Bette. Der Graf war, nach dreitägigem Schmollen, wiedergekehrt. Das von einer Nachtlampe schwach erhellte Zimmer, durchströmt von einer lauwarmen, von Liebesdüften gesättigten Luft, war in ein einschläferndes Dämmerlicht getaucht, in dem die lackierten, mit Silber eingelegten Möbel nur matt hervorschimmerten. Ein herabgelassener Vorhang hüllte das Bett in Schatten. Nur ein Seufzer, dann ein Kuß unterbrach die Stille... Plötzlich schlug Nana die Bettdecke zurück und setzte sich einen Augenblick mit nackten Beinen auf den Rand des Bettes. Der Graf, den Kopf auf das Kissen zurückgelegt, blieb im nächtlichen Dunkel liegen.

»Lieber, du glaubst doch an Gott?« fragte Nana nach einigem Nachdenken wie von einer religiösen Furcht ergriffen.

Schon seit dem Morgen klagte sie über eine gewisse Beklommenheit, über dumme Gedanken, wie sie zu sagen pflegte: Gedanken an Tod und Verdammnis stiegen wieder in ihrer Brust empor. Zuweilen überkam sie in der Nacht eine kindische Furcht, und Alpdrücken quälte sie, so daß sie nicht schlafen konnte.

Sie fuhr fort:

»Glaubst du, daß ich in den Himmel komme?«

Sie zitterte, während der Graf, über diese sonderbare Frage in einem solchen Augenblick erstaunt, seine eigenen Gewissensbisse wieder erwachen fühlte. Sie warf sich seufzend an seine Brust und klammerte sich fest an ihn an.

»Ich fürchte mich so sehr vor dem Tode... Ich fürchte mich zu sterben...« wimmerte sie.

Nur mit der größten Mühe konnte er sich von ihr losmachen. Er selbst fürchtete, bei dem Wahnausbruche dieses Weibes schwach zu werden, wenn sie sich in schrecklicher Furcht vor dem Unsichtbaren an seinen Körper schmiegte; er flößte ihr Trost ein: sie befinde sich ja wohl und brauche sich nur gut zu betragen, um einst auf Gnade hoffen zu können. Sie aber meinte kopfschüttelnd, es werde wohl kein Mensch bezweifeln, daß sie niemandem etwas zuleide tue; sie zeigte ihm sogar eine Medaille mit der Heiligen Jungfrau, die sie an einem roten Schnürchen stets auf ihrem Busen trug; oh, es sei von vornherein bestimmt, daß alle unverheirateten Frauenzimmer, sobald sie sich von Männern berühren ließen, der Verdammnis anheimfielen.

Er sah sie schon in seiner Phantasie nach hundertjährigem Todesschlummer als fleischloses Skelett im Grabe; er faltete die Hände und stammelte ein Gebet. Seit einiger Zeit übte die Religion wieder ihre Gewalt auf ihn aus; seine Glaubensschwärmerei erfaßte ihn jeden Tag so heftig, daß er nach solchen Momenten wie zu Boden geschmettert war. Krampfhaft zusammengepreßt knackten die Finger seiner Hände, und beständig wiederholte er die Worte: »Mein Gott... mein Gott... mein Gott!« Es war der Angstschweiß seiner Schmach, der jähe Aufschrei seiner Sünde, gegen die er machtlos blieb, trotz dem sicheren Bewußtsein seiner Verdammnis. Nana begann zu weinen, beide umarmten sich, klapperten, ohne recht zu wissen warum, mit den Zähnen und waren von ein und derselben beunruhigenden Idee besessen. Ähnliche Abende hatten sie schon oft verbracht; nur hatte diesmal ihr Benehmen »die Spitze des Blödsinns« erreicht, wie Nana erklärte, sobald sie sich nicht mehr fürchtete. Ein Verdacht stieg in ihr auf, und vorsichtig horchte sie den Grafen aus, ob vielleicht Rose Mignon ihm einen Brief geschickt habe. Aber das war nicht der Fall, es war nur die Angst, nichts weiter, denn er wußte noch nichts von seiner Hahnreischaft.

Zwei Tage später stellte sich Muffat schon am Morgen bei ihr ein, zu einer Stunde, zu der er sonst nie zu kommen pflegte. Er war bleich, seine Augen schienen gerötet, und der ganze Körper bebte noch von einem heftigen, inneren Kampf. Zoé aber, selbst aufs äußerste bestürzt, merkte seine Verwirrung nicht. Sie war ihm entgegengeeilt und rief ihm zu:

»Oh, mein Herr, kommen Sie schnell! Madame wäre gestern abend beinahe gestorben.«

Und als er Genaueres wissen wollte, fuhr sie fort:

»Ach, etwas Unglaubliches... Ein Abortus, mein Herr, wie der Doktor sagt.«

Nana war seit drei Monaten in anderen Umständen. Lange Zeit hatte sie nur an ein Unwohlsein geglaubt, und selbst der Doktor Boutarel war im Zweifel. Als er sich aber dann deutlicher erklärte, empfand sie solchen Verdruß, daß sie alles mögliche tat, um ihren Zustand zu verheimlichen. Davon rührten aber auch zum Teil ihre ängstliche Furcht und ihre finstere Laune her; sie bewahrte ihr Geheimnis mit der Scham eines Mädchens, das sich Mutter fühlt, seinen Zustand aber verbergen muß. Es erschien ihr wie ein lächerlicher Zufall, wie etwas, das ihr hinderlich war und worüber sie viel Spott würde erdulden müssen.

»Kommen Sie nur getrost herauf, mein Herr«, sagte Zoé zu Muffat. »Madame befindet sich schon viel besser und wird Sie sicherlich empfangen... Wir warten eben auf den Doktor, der versprochen hat, heute früh wiederzukommen.«

Die Zofe hatte Georges bestimmt, nach Hause zu gehen und sich schlafen zu legen. Oben im Salon befand sich nur noch Satin. Sie lag auf dem Diwan, rauchte eine Zigarette und starrte geistlos in die Luft. Als jetzt Zoé an ihr vorüberging und dem Grafen wiederholte, wie sehr Madame gelitten habe, bemerkte sie schnippisch:

»Geschieht ihr ganz recht, das wird ihr schon Vernunft beibringen.«

Erstaunt drehten sich die beiden um. Satin hatte sich nicht gerührt, ihre Augen blickten wie vorher unverwandt nach der Decke, und sie drehte die Zigarette nervös zwischen den Lippen.

»Ei, Sie sind ja recht liebenswürdig!« versetzte Zoé.

Aber jetzt schnellte Satin auf, sah den Grafen mit wütenden Blicken an und schleuderte ihm dieselbe Bemerkung ins Gesicht:

»Geschieht ihr ganz recht, das wird ihr schon Vernunft beibringen!«

Dann lehnte sie sich wieder zurück und blies eine leichte Rauchwolke vor sich hin, als ob sie gar kein Interesse für die Sache habe.

Zoé hatte den Grafen Muffat ins Schlafzimmer geführt. Äthergeruch schlug ihm entgegen. Eine behagliche Ruhe herrschte im Gemach, die der spärliche Wagenverkehr in der Avenue de Villiers selten durch ein dumpfes Rollen störte. Nana lag mit bleichem Gesicht auf den Kissen; sie schlief nicht, und ihre träumerischen Augen waren weit geöffnet. Als sie den Grafen bemerkte, glitt ein Lächeln über ihre Züge, ohne daß sie sich aber rührte. »Ach, mein alles«, murmelte sie langsam, »ich glaubte sicher, ich würde dich nie wiedersehen.«

Als er sich nun über sie beugte und ihr Haar küßte, wurde sie zärtlich und sprach ganz zutraulich mit ihm über das Kind, gerade als ob er der Vater wäre.

»Ich wagte es dir nicht zu sagen... Ich fühlte mich so glücklich! Oh, ich machte mir sehr süße Gedanken und hätte gewünscht, daß es deiner wert würde. Und nun ist es vorbei damit... Aber vielleicht ist es so besser! Ich will dir in deinem Leben keine Unannehmlichkeiten machen.«

Er war erstaunt über diese Zumutung und stammelte einige zusammenhanglose Phrasen. Unterdessen hatte er einen Stuhl ergriffen und sich an das Bett gesetzt, den einen Arm auf die Decke gestützt. Jetzt bemerkte Nana die Verwirrung in seinen Gesichtszügen, seine blutunterlaufenen Augen und das nervöse Zittern seiner Lippen.

»Was ist dir denn?« fragte sie. »Du bist wohl auch krank?«

»Nein... mir fehlt gar nichts«, brachte er mühsam hervor. Sie schaute ihn mit einem durchdringenden Blick an; dann schickte sie Zoé fort, die noch immer Arzneigläser ordnete, und als sie endlich allein waren, zog sie ihn zu sich heran und wiederholte:

»Was ist dir, mein Lieber? Deine Augen schwimmen in Tränen, ich sehe es wohl... Vorwärts, sprich, du bist gekommen, um mir etwas zu sagen.«

»Nein, nein, ich beteuere es dir«, stammelte er.

Aber plötzlich, von Schmerz überwältigt und durch den Eindruck dieses Krankenzimmers gerührt, in das er ahnungslos getreten war, brach er in Seufzer aus und vergrub sein Gesicht in die Decken, um den Ausdruck seines Schmerzes zu ersticken. Sicherlich hatte Rose Mignon sich entschlossen, ihm den verhängnisvollen Brief zu schicken. Nana ließ ihn einige Zeit weinen, bis er von so heftigen konvulsivischen Zuckungen befallen wurde, daß das ganze Bett erzitterte. Endlich begann sie im Ton einer mitleidigen Mutter:

»Du hast wohl zu Hause Verdruß gehabt?«

Er bestätigte dies durch ein Kopfnicken, und nach einer Pause fuhr sie leise fort: »Also weißt du jetzt alles?«

Er nickte mit dem Kopf, und nun trat Schweigen ein in dem schmerzerfüllten Zimmer. Als er am Abend zuvor von der Soiree bei der Kaiserin nach Hause kam, hatte man ihm den von Sabine an ihren Liebhaber gerichteten Brief übergeben. Nach einer schrecklichen Nacht, während deren er auf Rache sann, war er am Morgen schon ausgegangen, um nicht in seiner leidenschaftlichen Wut seine Frau auf der Stelle zu ermorden. Draußen hatte ihn die milde Luft des schönen Junimorgens umfächelt, seine bösen Gedanken waren geschwunden, und so war er zu Nana gekommen, wie er dies in allen Schreckensstunden seines Lebens zu tun pflegte. Erst hier überließ er sich seinem Schmerz.

»Nun, beruhige dich«, entgegnete ihm Nana und spielte die Gutmütige. »Schon lange weiß ich davon; aber ich hätte dir sicherlich nicht die Augen geöffnet. Du erinnerst dich wohl, vergangenes Jahr hattest du bereits Zweifel gehegt. Dennoch war, dank meiner Klugheit, alles gut abgelaufen. Kurz, es fehlte dir an Beweisen... Und heute nun, wo du einen Beweis in Händen hast, ist das für dich sehr bitter, ich begreife es wohl! Dennoch muß man sich zu trösten wissen, man ist deshalb noch nicht entehrt.«

Er weinte nicht mehr. Ein Schamgefühl hielt ihn zurück, wiewohl er schon lange ihr von den intimsten Einzelheiten seines ehelichen Lebens Mitteilung gemacht hatte. Sie müßte ihn jetzt ermutigen. Oh, sie sei ja ein Weib, also könne sie alles hören. Mit dumpfer Stimme bemerkte er:

»Du bist krank. Was nützt es, dich damit zu behelligen! Es ist töricht von mir, daß ich gekommen bin. Ich will wieder gehen.«

»Nicht doch«, sagte sie lebhaft. »Bleibe! Ich kann dir vielleicht einen guten Rat geben. Nur laß mich nicht zuviel sprechen, der Arzt hat mir das verboten.«

Er war endlich aufgestanden, ging im Zimmer umher, und sie fragte ihn: »Was willst du jetzt anfangen?«

»Bei Gott, ich werde diesen Menschen ohrfeigen.«

Mit einer mißbilligenden Bewegung fuhr sie fort:

»Das zeugt von keiner Stärke... Und deine Frau?«

»Ich werde die Scheidung beantragen, ich habe jetzt den Beweis in Händen.«

»Auch gar nicht sonderlich stark, mein Lieber! Das ist sogar recht dumm... Du weißt, ich werde dies niemals zugeben.«

Und ruhig, mit schwacher Stimme, bewies sie ihm das Nutzlose eines Duells oder eines Prozesses. Acht Tage lang, meinte sie, werde er das Tagesgespräch der Zeitungen sein; er setze damit seine ganze Existenz aufs Spiel, seine Ruhe, seine hohe Stellung am Hofe, die Ehre seines Namens, und dies einzig und allein, um sich lächerlich zu machen.

»Einerlei«, rief er, »ich werde mich aber gerächt sehen!«

»Mein Mäuschen«, entgegnete sie, »wenn man sich bei solcher Gelegenheit nicht sofort rächt, so rächt man sich nie.«

Er blieb stehen und stotterte: er sei gewiß nicht feige, aber er fühle, daß sie recht habe.

»Willst du wissen, mein Holder, was dir am meisten Unbehagen verursacht? Nur der Umstand, daß du selbst deine Frau hinters Licht führtest! Deine Frau mußte es doch endlich merken. Also, welchen Vorwurf willst du ihr denn machen? Sie wird dir einfach antworten, daß du ihr ein böses Beispiel gegeben hast, und dann wirst du schon den Schnabel halten... Nur deshalb, mein Bester, bist du zu mir gekommen, anstatt dort auf der Stelle beide zu massakrieren.«

Von der Wucht dieser rücksichtslosen Beweisführung niedergeschmettert, war Muffat auf den Stuhl zurückgesunken. Nana schwieg jetzt, um Atem zu schöpfen, dann fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort:

»Oh, ich bin erschöpft. Hilf mir doch ein wenig mich aufrichten! Ich gleite immer herab, weil mein Kopf zu tief liegt.«

Als er ihren Wunsch erfüllt hatte, seufzte sie und fühlte sich wohler. Sie kam wieder auf das unschöne Schauspiel eines Ehescheidungsprozesses zurück. Wolle er, versetzte sie, daß der Advokat der Gräfin ganz Paris damit belustige, daß er von Nana spreche? Es werde dann alles zur Sprache kommen, ihr Fiasko im Varietétheater, ihr Haus und ihr Leben. Sie gebe faktisch nichts auf so viel Reklame! Vielleicht hätten ihn andere Frauenzimmer dazu veranlaßt, alles an die große Glocke zu hängen, aber sie wolle vor allem sein Glück. Sie hatte ihn zu sich herangezogen und drückte jetzt seinen Kopf neben sich in das Kissen, wobei sie einen Arm um seinen Hals schlang und ihm sanft zuflüsterte:

»Höre, mein Mäuschen, es ist am besten, wenn du dich mit deiner Frau verständigst.«

Er geriet fast außer sich.

»Niemals«, rief er, »das bräche mir das Herz, es wäre zu viel der Schande!«

Sie bestand jedoch darauf und entgegnete zärtlich:

»Du sollst dich mit deiner Frau wieder aussöhnen... Nun, du willst doch nicht überall sagen hören, daß ich dich deiner Sabine abspenstig gemacht habe? Das würde mich in ein zu schlechtes Licht rücken, was sollte man von mir denken?... Schwöre mir wenigstens, daß du mich immer lieben willst, denn von dem Augenblick an, wo du mit einer anderen gehst...«

Tränen erstickten ihre Stimme. Er küßte sie und wiederholte:

»Du bist wohl närrisch? Das ist unmöglich!«

»Ja, ja«, versetzte sie, »es ist notwendig... Ich werde mich in das Unvermeidliche fügen. Sie ist ja doch deine Frau.«

So gab sie ihm noch viele gute Ratschläge. Sie sprach sogar von Gott, so daß er Herrn Venot zu hören meinte, wie er ihm eine Moralpredigt hielt, um ihn der Sünde zu entreißen. Sie sprach indessen nicht von einem Bruch, sondern predigte nachsichtig über eine Teilung der Gunst zwischen seiner Frau und seiner Mätresse. Eine solche Einrichtung, behauptete sie, würde gar nichts an ihrer Lebensweise ändern, und er könne immer ihr Liebling bleiben; nur werde er etwas weniger oft kommen müssen. Sie war zu Ende und lispelte nur noch:

»Kurz, ich werde das Bewußtsein haben, eine gute Tat getan zu haben ... Du wirst mich deshalb noch mehr lieben.« Schweigen trat ein. Sie hatte die Augen geschlossen und lag bleich auf ihrem Kissen. Der Graf hatte ruhig zugehört, unter dem Vorwand, sie nicht ermüden zu wollen. Nach einer vollen Minute öffnete sie die Augen wieder und murmelte:

»Und, mein Lieber, das Geld? Woher willst du das Geld nehmen, wenn du dich mit deiner Frau entzweist? ... Gestern ist Labordette wegen des Wechsels gekommen ... Ich habe nichts mehr, ich weiß nicht einmal, was ich anziehen soll.« Dann schloß sie die Augen wieder und schien wie tot. Ein Schatten eisiger Beklommenheit war über Muffats Gesicht geglitten. Bei dem erschütternden Schlage, der ihn getroffen, hatte er seit dem vorigen Abend alle Geldverlegenheiten vergessen, aus denen er sich nicht mehr herauszuhelfen wußte. Trotz gegebenem Versprechen war jener Wechsel auf hunderttausend Franken soeben in Umlauf gesetzt worden; Labordette stellte sich verzweifelt, schob die ganze Schuld auf Francis und sagte, er werde sich nie wieder mit einem so ungebildeten Menschen in einer derartigen Angelegenheit kompromittieren. Der Graf mußte bezahlen, denn nie hätte er den Wechsel auf sich selbst protestieren lassen. Ferner wurden außer den neuen Kosten für Nana noch in seinem Hauswesen eine Menge außergewöhnlicher Ausgaben nötig. Nach ihrer Rückkehr von Les Fondettes hatte die Gräfin plötzlich einen Geschmack am Luxus, eine Sucht nach weltlichen Genüssen an den Tag gelegt, die ihr Vermögen verschlangen. Man begann bereits von ihren verschwenderischen Launen zu sprechen, von einem ganz neuen Haushalt, davon, daß sie fünfhunderttausend Franken damit vergeudet habe, das alte Haus in der Rue Miromesnil zu restaurieren, von kostspieligen Toiletten und beträchtlichen Geldsummen, die verschwunden waren und die sie vielleicht ausgegeben hatte, ohne sich die Mühe zu nehmen, darüber Rechnung zu führen. Zweimal hatte sich Muffat bereits Bemerkungen erlaubt und Rechenschaft gefordert, allein ihre Mienen, ihr Lächeln waren ihm jedesmal so sonderbar erschienen, daß er nicht mehr zu fragen wagte, aus Furcht, eine zu deutliche Antwort zu erhalten. Wenn er Daguenet als Schwiegersohn aus Nanas Hand annahm, so geschah dies vor allem mit dem Gedanken, die Mitgift Estelles auf zweihunderttausend Franken reduzieren zu können und für alles übrige ein Arrangement mit dem jungen Mann zu treffen, der schließlich immer noch über diese unverhoffte Heirat froh sein konnte.

Inzwischen hatte Muffat, seit acht Tagen vor der unerbittlichen Notwendigkeit stehend, die hunderttausend Franken für Labordette aufzubringen, nur an einen einzigen Ausweg gedacht, vor dem er immer zurückbebte. Er wollte Les Bordes verkaufen, eine prächtige, auf eine halbe Million geschätzte Besitzung, die ein Onkel soeben der Gräfin vermacht hatte. Nur brauchte er noch ihre Unterschrift, da er selbst nach ihrem Ehekontrakt die Besitzung ohne Einwilligung der Gräfin nicht veräußern durfte. Am vergangenen Abend endlich hatte er beschlossen, mit seiner Frau über diese Unterschrift zu sprechen. Aber er hoffte nicht, in dieser Stunde, wo alles um ihn herum zusammenzubrechen drohte, eine derartige Übereinkunft zustande zu bringen. Dieser Gedanke ließ das drohende Gespenst des Ehebruchs in noch grellerem Licht erscheinen. Er begriff wohl, was Nana verlangte, denn in seiner gänzlichen Verlassenheit, die ihn dazu trieb, Nana die Hälfte von allem zu versprechen, hatte er sich über seine Lage beklagt und ihr seine Besorgnis über die Unterschrift der Gräfin anvertraut.

Dennoch schien Nana nicht auf ihrem Verlangen zu bestehen; sie öffnete die Augen nicht mehr. Als er sie nun so totenbleich daliegen sah, befiel ihn Furcht, und er flößte ihr ein wenig Äther ein. Sie seufzte tief auf, und ohne Daguenet zu nennen, fragte sie ihn: »Wann findet die Vermählung statt?«

»Mittwoch, also in fünf Tagen, wird der Ehevertrag unterzeichnet«, antwortete er.

Da entgegnete sie, noch immer mit geschlossenen Augen daliegend, als ob sie im Traume redete:

»Endlich, mein Mäuschen! Schau, du hast recht getan! Ach, ich möchte so gern alle Menschen zufrieden sehen!«

Er beruhigte sie, indem er ihre Hand zärtlich drückte. Man werde ja sehen, entgegnete er, die Hauptsache sei jetzt, daß sie sich erhole. Auch er grollte nicht mehr, und dieses Krankenzimmer mit seiner milden Ruhe und seiner ätherschwangeren Luft hatte ihn vollends in eine Sehnsucht nach glücklichem Frieden eingeschläfert. All sein durch die arge Beleidigung aufgeregter Mannesstolz war vor der Wärme dieses Bettes geschwunden, in der Nähe dieses Weibes, für das er sorgte. Er beugte sich über sie und schloß sie fest in seine Arme, während sie unbeweglich dalag und nur ein feines, triumphierendes Lächeln um ihre Lippen spielte. Da erschien der Doktor Boutarel.

»Nun, wie geht's denn unserm lieben Kinde?« sagte er vertraulich zu Muffat, den er als Ehemann behandelte. »Ei, ei! Sie haben sie zum Sprechen verleitet!«

Muffat verließ das Zimmer tiefbewegt, und seine ganze Zärtlichkeit galt jetzt seiner armen Nana, die er so schwach erblickte. Als er schon im Weggehen begriffen war, rief sie ihn durch ein Zeichen zurück und sagte ihm leise, mit einer halb drohenden, halb scherzenden Miene:

»Du weißt, was ich dir erlaubt habe... Kehre zu deiner Frau zurück, oder zwischen uns ist es aus!« –

Die Gräfin Sabine hatte gewünscht, daß der Heiratskontrakt ihrer Tochter an einem Dienstag unterzeichnet werde, um damit zugleich die restaurierte Wohnung, deren Malereien kaum trocken waren, durch ein Fest einzuweihen. Fast fünfhundert Einladungen waren an alle Angehörigen der besseren Gesellschaft ergangen. Noch am Morgen nagelten die Tapezierer Dekorationen an, und gegen neun Uhr abends, in demselben Augenblick, wo man die Gaskandelaber anzünden wollte, gab der Architekt, begleitet von der leidenschaftlich erregten Gräfin, seine letzten Anweisungen.

Es war eines jener Frühlingsfeste, auf denen ein zarter Zauber liegt. Die Wärme der Juniabende hatte es gestattet, daß man die beiden Türen des großen Salons öffnen und somit den Ball bis nach dem Garten ausdehnen konnte. Als die ersten Gäste ankamen, an der Tür vom Grafen und von der Gräfin empfangen, staunten sie. Man mußte sich an den Salon erinnern, wie er ehedem gewesen war, als er noch den frostigen Charakter der seligen Gräfin Muffat trug, an jenes altertümliche Zimmer voll frömmelnder Strenge mit seinen massiven Mahagonimöbeln, seinen braunsamtnen Portieren und seiner grünlichen, von Feuchtigkeit durchtränkten Decke. Jetzt flimmerten, sobald man eintrat, im Vestibül reiche Mosaiken auf Goldgrund unter hohen Kandelabern, während die Rampe der Marmortreppe von oben bis unten mit feinen Ziselierungen geschmückt war. Dann kam der strahlende, mit Genueser Samt drapierte Salon und am Plafond mit einer riesigen Dekoration ein Deckengemälde, das der Architekt beim Verkauf des Schlosses für hunderttausend Franken erstanden hatte. Die Kronleuchter mit ihren Kristallbehängen beleuchteten eine Überfülle von Spiegeln und kostbaren Möbeln. Man hätte meinen können, der Liegestuhl Sabines, dieses prächtige rotseidene Polster, habe sich vervielfacht, erweitert und endlich das ganze Gebäude mit üppiger Bequemlichkeit, mit einem raffinierten Genuß erfüllt, der so heftig wie langverhaltene Glut und Feuerflammen zündete.

Man tanzte bereits. Das im Garten vor einem der offenen Fenster aufgestellte Orchester spielte einen Walzer, dessen einschmeichelnder Rhythmus gedämpft herübertönte. Der Garten lag, von venezianischen Lampen erleuchtet, in leichtem Halbdunkel. Auf einer Rasenfläche erhob sich ein purpurrotes Zelt, in dem ein Büfett mit Erfrischungen für die Gäste stand. Der soeben gespielte Walzer, dieser schmissige Walzer aus der »Blonden Venus«, erfüllte mit seinen beschwingten Klängen das ganze ehemals so strenge Haus. Eine Woge sinnlicher Lust schien von der Straße heraufzuwehen und ein dahingegangenes Zeitalter aus den stolzen Räumen dieses Palais hinwegzufegen, und damit auch die Tradition der Familie Muffat, ein Jahrhundert voll Ehre und Glaubenstreue.

»Sagen Sie einmal«, murmelte Madame Chantereau, »wenn jetzt die Gräfin wiederkäme... Nun, denken Sie sich, sie träte mitten in diese Menge und sähe alle Vergoldungen und den Lärm... Es ist abscheulich!«

»Sabine ist ganz toll«, versetzte Madame du Joncquoy. »Haben Sie sie an der Tür gesehen? Schauen Sie, man kann sie von hier aus bemerken... Sie trägt alle ihre Diamanten.« Einen Augenblick standen sie von ihren Sitzen auf, um aus der Ferne den Grafen und die Gräfin zu mustern. Sabine, in weißer Toilette mit einer wundervollen englischen Spitzengarnitur, triumphierte durch ihre Schönheit und Jugendfrische, während ein wonnetrunkenes Lächeln beständig um ihre Lippen spielte. Auch Muffat in ihrer Nähe, etwas gealtert und bleich, lächelte in seiner ruhigen und würdigen Weise.

»Und wenn man nun noch bedenkt, daß er der Hausherr ist«, fuhr wieder Madame Chantereau fort, »daß ohne seine Erlaubnis nicht ein einziges Bänkchen angeschafft worden wäre!... Ah, richtig, nur sie kann dies alles geändert haben ... Erinnern Sie sich noch, wie sie einst ihren Salon nicht modernisieren lassen wollte? Das ganze Haus hat sie jetzt modernisiert.«

Aber plötzlich schwiegen sie, denn Madame de Chezelles trat ein, und hinter ihr kam ein ganzer Schwarm junger Herren; sie war entzückt über alle die Pracht und rief aus:

»Oh, herrlich, prächtig ... das zeugt von Geschmack!« Und noch ehe sie sich jenen Damen genähert hatte, warf sie ihnen die Worte zu:

»Ich sagte es doch gleich! Es kann nichts Schöneres geben als diese altehrwürdigen Mauern, wenn man sie zu erneuern versteht ... Es wird prachtvoll! Alles im Stil Ludwigs XIV. Nun kann sie jedermann empfangen.«

Die beiden alten Damen hatten sich wieder gesetzt und sprachen mit leiser Stimme von der Heirat, die sehr viele Leute in Erstaunen setzte. Soeben war Estelle in einer rosaroten Seidenrobe vorübergegangen, mit ihrer hageren Gestalt und ihrem stummen jungfräulichen Gesicht. Sie hatte geduldig Daguenet zum Gatten genommen; sie zeigte weder Freude noch Traurigkeit, sondern erschien ebenso kalt und bleich wie an jenen Winterabenden, da sie am Kaminfeuer saß. Dieses ganze prächtige Fest, das ihr galt, dieses Lichtmeer und dieser prächtige Blumenschmuck ließen sie völlig gleichgültig.

»Ein Hochstapler«, versetzte Madame du Joncquoy. »Ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Hüten Sie sich, er ist in der Nähe«, murmelte Madame Chantereau.

Daguenet hatte nämlich Madame Hugon mit ihren Söhnen bemerkt und ihr eiligst den Arm angeboten; er bezeigte ihr ein Übermaß von Aufmerksamkeiten, als ob sie ihm zu seinem Glück verholfen hätte.

»Ich danke Ihnen«, sagte sie jetzt und setzte sich neben den Kamin. »Sehen Sie, das ist meine alte Lieblingsecke.«

»Sie kennen ihn?« fragte Madame du Joncquoy, als Daguenet sich entfernt hatte.

»Gewiß, ein reizender junger Mann! Georges ist ihm außerordentlich zugetan ... Oh, eine der ehrenwertesten Familien.« Und so verteidigte ihn die gute Dame gegen eine stumme Feindschaft, die sie recht wohl merkte.

»Sein Vater«, fuhr sie fort, »stand bei König Louis Philippe in hoher Gunst und bekleidete bis zu seinem Tode eine Präfektur. Der Sohn mag vielleicht etwas leichtsinnig geworden sein, und man hält ihn für ruiniert. Auf alle Fälle jedoch wird er von seinem Onkel, einem reichen Großgrundbesitzer, das ganze bedeutende Vermögen erben.«

Allein die Damen schüttelten ungläubig den Kopf, während Madame Hugon, die sich selbst ein wenig genierte, immer wieder auf die Ehrbarkeit der Familie zurückkam. Sie war sehr abgespannt und klagte über Müdigkeit in den Beinen. Seit einem Monat bewohnte sie ihr Haus in der Rue Richelieu; zahlreiche Geschäfte veranlaßten sie dazu, wie sie sagte. Über ihr freundliches, mütterliches Gesicht zog ein leiser Schatten von Traurigkeit.

»Mag dem nun sein, wie ihm wolle«, schloß Madame Chantereau, »Estelle hätte auf viel bessere Partien Anspruch erheben können.«

Steiner hatte soeben Foucarmont und Faloise getroffen, die vor dem Büfett im Garten ein Glas Champagner leerten.

»Das ist wirklich piekfein«, sagte Faloise, als er das auf vergoldeten Säulen ruhende Purpurzelt musterte. »Man glaubt wirklich, sich auf dem Pfefferkuchenjahrmarkt zu befinden . . . Nicht wahr, so ist es! Ein wahrer Jahrmarkt.«

»Wie würde der arme Vandeuvres staunen, wenn er jetzt wiederkäme«, murmelte Foucarmont. »Sie erinnern sich wohl noch daran, wie er dort vor Langeweile fast verging. Verflucht, man sollte eigentlich nicht lachen.«

»Lassen Sie doch den Vandeuvres sein, es war wirklich eine verfehlte Existenz!« versetzte Faloise in verächtlichem Ton.

»Er hat sich gewaltig getäuscht, wenn er etwa glaubte, uns dadurch, daß er sich braten ließ, zu imponieren! Es spricht nicht einmal mehr jemand von ihm. Verschwunden, tot und begraben! Wir wollen ihn gar nicht mehr erwähnen!«

Als Steiner ihnen die Hand drückte, fuhr er fort:

»Sie wissen wohl, daß Nana soeben angekommen ist... Oh, das war ein Empfang, Kinder, großartig! Zuerst umarmte sie die Gräfin, und als die beiden Neuvermählten herbeikamen, segnete sie sie und sagte zu Daguenet: ›Höre, Paul, wenn du nicht anständig gegen dein Weibchen sein wirst, so hast du es mit mir zu tun ...‹ Wie, Sie haben das nicht gesehen? Oh, ein riesiger Erfolg!«

Die beiden anderen hörten ihn mit offenem Munde an. Endlich begannen sie zu lachen. Er war entzückt und bildete sich auf seine Erzählung etwas ein.

»Nun? Ihr seid mir aber 'reingefallen... Zum Kuckuck aber! Nur Nana ist diese Heirat zu verdanken. Übrigens gehört sie ja zur Familie.«

Jetzt traten die beiden Hugon heran, und Philippe gebot ihm Schweigen. Unter den Herren bildete die Heirat das Gespräch. Georges ärgerte sich darüber, daß Faloise die ganze Geschichte erzählte. Nana, meinte er, habe zwar Muffat einen ihrer früheren Freunde als Schwiegersohn empfohlen, aber es habe schon lange keine nähere Beziehung zwischen beiden geherrscht. Foucarmont erlaubte sich hier, die Achseln zu zucken, und entgegnete: Wisse man denn immer, wann Nana mit jemandem schlafe? Georges aber, dadurch aufgebracht, erwiderte nur mit einem: »Ich, mein Herr, ich weiß es!«, was alle in große Heiterkeit versetzte.

Allmählich drängten sich immer mehr Gäste an das Büfett, und sie traten gemeinsam zurück. Faloise betrachtete die Damen mit kühnen Blicken. Im Hintergrund einer Allee angelangt, wunderten sich die Herren, als sie Venot in eifrigem Gespräch mit Daguenet fanden, und scherzend bemerkten sie, er lasse ihn wahrscheinlich beichten und erteile ihm gute Ratschläge für die Brautnacht. Darauf kehrten sie vor eine der Türen des Salons zurück, wo gerade die Paare in einer Polka daherwogten. Unter dem starken Luftzug, der von außen kam, brannten die Gasflammen sehr lebhaft, und jedesmal, wenn eine Dame im Tanz vorbeischwebte, war es, als kühlte ein leiser Windstoß die sengende Hitze, die von den Kronleuchtern ausströmte.

»Also so weit ist es endlich gekommen!« sagte neben dem Kamin Madame du Joncquoy leise zu Madame Chantereau.

»Diese Dirne hat den Unglücklichen ganz behext... Oh, wie haben wir ihn doch als so fromm und edel gekannt!«

»Allem Anschein nach richtet er sich zugrunde«, fuhr Madame Chantereau fort. »Mein Mann hat einen Wechsel in Händen... Er lebt jetzt ganz in jenem Hause der Avenue de Villiers. Ganz Paris spricht davon... Mein Gott, ich entschuldige Sabine nicht; allein immerhin muß man zugestehen, daß er ihr sehr viel Anlaß zu Klagen gibt, und wer kann es ihr verargen, wenn sie ebenfalls das Geld zum Fenster hinauswirft...«

»Das tut sie auch«, unterbrach sie die andere. »Zu zweien geht das rascher. Es ist ein Sündenpfuhl, meine Liebe.«

Plötzlich ließ sich eine sanfte Stimme vernehmen. Es war Venot. Er hatte hinter ihnen Platz genommen, als ob er nicht gesehen werden wollte, und sich zu ihnen vorbeugend, murmelte er:

»Warum verzweifeln? Wenn alles verloren scheint, wird Gottes Macht sich zeigen.«

Er schaute ruhig dem allmählichen Untergang dieses Hauses zu, das er ehemals beherrscht hatte. Seit seinem Aufenthalt in Les Fondettes ließ er unbekümmert der tollen Wirtschaft freien Lauf, da er sich sehr wohl seiner Ohnmacht bewußt geworden war. Er hatte alles geschehen lassen, die wahnsinnige Leidenschaft des Grafen für Nana, die Besuche Faucherys bei der Gräfin, sogar die Verheiratung Estelles mit Daguenet. Was gingen ihn diese Dinge an! Er zeigte sich jetzt viel geschmeidiger und geheimnisvoller und nährte nun den Plan, sich der jungen Eheleute ebenso wie der entzweiten zu bemächtigen, denn er wußte wohl, daß auf große Ausschweifungen gewöhnlich die größte Frömmelei folgt. Die Stunde der Vorsehung werde schon schlagen, dachte er.

»Unser Freund«, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »ist stets von den edelsten religiösen Gefühlen beseelt – Er hat mir davon die schönsten Beweise gegeben.«

»Gut«, entgegnete Madame du Joncquoy, »vor allem sollte er sich dann doch mit seiner Frau versöhnen.«

»Ohne Zweifel. Ich hoffe eben, daß diese Versöhnung bald eintreten wird.«

Darauf stellten die beiden alten Damen verschiedene Fragen an ihn. Allein er wurde sofort wieder demütig und versetzte, man müsse den Himmel walten lassen. Sein einziger Wunsch sei: wenn sich der Graf wieder der Gräfin nähere, einen öffentlichen Skandal zu vermeiden; die Religion dulde gewisse Schwächen recht wohl, wenn man dabei nur die Schicklichkeit zu wahren wisse.

»Übrigens«, erwiderte Madame du Joncquoy, »hätten Sie die Heirat mit diesem abenteuerlichen Menschen verhindern sollen.«

Der kleine Alte hatte eine Miene tiefen Erstaunens angenommen.

»Sie täuschen sich, Herr Daguenet ist ein höchst verdienstvoller junger Mann. Ich kenne seine Ansichten. Er wird gewisse Jugendirrtümer ablegen, und Estelle wird ihn schon zu einem gottgefälligen Leben zurückführen, dessen können Sie versichert sein.«

»Oh, Estelle!« murmelte verächtlich Madame Chantereau.

»Ich halte die liebe Kleine für unfähig, jemals ihren Willen zu äußern. Sie ist unbedeutend.«

Madame Hugon hatte einige Bemerkungen gehört. Sie legte sich ins Mittel und sagte mit ihrer Duldermiene, indem sie sich an den sie begrüßenden Marquis de Chouard wandte:

»Diese Damen urteilen zu schroff. Das Dasein ist für jedermann so schlimm. Nicht wahr, mein Freund, man muß den anderen sehr viel verzeihen, wenn man selbst der Verzeihung würdig sein will?«

Der Marquis war einige Augenblicke verlegen, da er eine Anspielung befürchtete. Allein die gute Madame Hugon zeigte ein so betrübtes Lächeln, daß er sich sogleich wieder faßte und entgegnete:

»Nein, für gewisse Fehler gibt es keine Verzeihung... Bei solchen milden Urteilen müßte die Gesellschaft zugrunde gehen.«

Der Ball war immer lebhafter geworden. Eine neue Quadrille versetzte den Parkettboden in leichtes Schwanken, als erzitterten die alten Mauern unter der Wucht des Festes. Dann und wann hob sich von der bunten Menge der Köpfe das Gesicht einer im Tanz dahinschwebenden Dame ab; man sah die glänzenden Augen, die halbgeöffneten Lippen und die schneeweiße, zarte Haut, bestrahlt vom Licht des Kronleuchters.

Madame du Joncquoy erklärte, es sei eine unbegreifliche Narrheit, fünfhundert Personen in ein Gemach zu pferchen, in dem kaum zweihundert Personen Platz hätten. Warum wolle man die Hochzeit denn nicht lieber gleich auf dem Karussellplatz feiern?

»Das ist eine neue Mode«, sagte spöttisch Madame Chantereau, »früher wurden solche Feierlichkeiten im engsten Familienkreise begangen, heutzutage aber braucht man Scharen von Gästen, läßt jeden Menschen von der Straße herein, bis sich die Leute fast erdrücken. Dann erst, meint man, sei das Fest schön. Aller Luxus wird zur Schau getragen, und selbst der Abschaum von Paris findet Zutritt. In einem solchen Gedränge zeigen sich natürlich auch die gemeinen Elemente und verderben das Haus. Die Damen beklagen sich, daß sie unter der ganzen Menge kaum fünfzig Personen kennen. Woher kommt dies aber? Junge Damen tragen ihre nackten Schultern zur Schau. Sehen Sie, da trägt eine Dame gar einen Dolch im Haar, während ihr schwarzer Perlenschmuck gerade wie ein Panzerhemd aussieht. Man wird sie gewiß nicht wiedererkennen.«

Aller Luxus der Jahreszeit war hier vertreten, und hohe Persönlichkeiten drängten sich mit den verworfensten Geschöpfen durcheinander, und alle trieb das gleiche Verlangen nach Genuß und Tollheit. Die Hitze stieg, mitten in den überfüllten Salons entwickelte die Quadrille ihre schönen, symmetrischen Figuren.

»Famos! Die Gräfin«, versetzte Faloise an der Gartentür, »sieht zehn Jahre jünger aus als ihre Tochter...«

In seiner zynischen, blasierten Weise sprach er noch weiter über die Herrin des Hauses, ohne viel Anklang mit seinen stückweise vorgebrachten Phrasen zu finden.

Soeben erschien Fauchery. Als Hausfreund hatte er seinen Weg durch den Speisesaal genommen, um das Gedränge an den Saaltüren zu meiden.

»Höre, du mußt mir eine Auskunft geben«, drängte Faloise und faßte seinen Cousin am Arm. »Siehst du jene Dame in weißer Seide?«

Seitdem ihm seine Erbschaft eine unverschämte Anmaßung verliehen hatte, suchte er Fauchery auf jede Weise zum Narren zu halten, da er mit diesem noch von früher her ein Hühnchen zu rupfen hatte und sich für die Spötteleien rächen wollte, die er von ihm hatte einstecken müssen, als er aus der Provinz gekommen war.

»Da, die Dame im Spitzenkleid.«

Der Journalist blickte um sich und wußte noch immer nicht, wen er meinte.

»Die Gräfin?« sagte er endlich.

»Ganz recht, mein Bester... Ich habe zehn Louisdor gewettet: hat sie schöne Waden?«

Er begann zu lachen und war entzückt darüber, diesem Spaßvogel eins versetzt zu haben, der ihn ehedem mit seiner Frage so außer Fassung gebracht hatte, ob er denn glaube, daß die Gräfin keinen Liebhaber habe. Aber Fauchery, ohne auch nur im geringsten erstaunt zu sein, blickte ihn scharf an.

»Ach, geh doch, du Dummkopf!« sagte er endlich und zuckte die Achseln.

Darauf begrüßte er die anderen Herren und drückte ihnen die Hand, während Faloise verblüfft und nicht mehr sicher war, ob er wirklich etwas Witziges gesagt habe... Man unterhielt sich. Seit dem letzten Wettrennen verkehrten der Bankier und Foucarmont in der Avenue de Villiers. Mit Nana ging es bedeutend besser, und jeden Abend holte sich der Graf Bescheid über ihr Befinden. Unterdessen schien Fauchery, der ruhig zuhörte, ausschließlich mit einem Gedanken beschäftigt zu sein.

Am Morgen nämlich hatte ihm Rose bei Gelegenheit eines Streites ganz offen gestanden, daß sie jenen Brief abgeschickt habe; jawohl, hatte sie bemerkt, nun könne er ruhig zu jener vornehmen Dame gehen, sie werde ihn schon recht gut aufnehmen. Nach langem Zögern hatte er doch endlich Mut gefaßt und war erschienen. Allein jetzt verblüffte ihn wieder der unverschämte dumme Scherz Faloises, obwohl er scheinbar seine gewöhnliche Ruhe besaß.

»Was haben Sie denn, Fauchery?« fragte ihn Philippe. »Sie sehen ja recht leidend aus.«

»Ich? Durchaus nicht... Ich habe gearbeitet, deshalb komme ich so spät.«

Darauf fuhr er mit völliger Kälte und jenem unbewußten Heroismus, der die gewöhnlichen Tragödien des Lebens löst, fort:

»Ich habe noch nicht einmal die Herrschaften des Hauses begrüßt... Man darf die Höflichkeit nie vergessen!«

Nach Faloise sich umdrehend, wagte er sogar einen Scherz und sagte:

»Nicht wahr, Dummkopf?«

Mitten durch das Gedränge brach er sich nun Bahn; die volle Stimme des Dieners war jetzt nicht mehr so stark mit dem Anmelden der Gäste in Anspruch genommen. Dennoch unterhielten sich der Graf und die Gräfin noch immer an der Tür mit ihren Gästen, da sie durch den Eintritt verschiedener Damen aufgehalten wurden. Endlich erreichte sie Fauchery, während die Herren, die er eben verlassen hatte, auf der Gartenterrasse sich auf die Zehen stellten, um die Szene zu betrachten. Nana schien etwas ausgeplaudert zu haben.

»Der Graf hat ihn nicht bemerkt«, murmelte Georges. »Achtung, er dreht sich um – Da, so weit ist es also!«

Das Orchester hatte soeben wieder einen Walzer aus der »Blonden Venus« angestimmt. Zuerst hatte Fauchery die Gräfin begrüßt, die heiter und entzückt beständig lächelte. Darauf war er einige Augenblicke regungslos hinter dem Grafen stehengeblieben, als ob er auf etwas wartete. Der Graf bewahrte in dieser Nacht seinen vornehmen Ernst, verbunden mit der feierlichen Haltung des Großwürdenträgers. Als endlich sein Blick auf den Journalisten fiel, wurde seine Haltung noch majestätischer... Einige Sekunden blickten sich die beiden Männer stumm an, und darauf bot Fauchery zuerst die Hand zum Gruß, den der Graf erwiderte. So standen sie da, hatten einander die Hände gereicht, und vor ihnen lächelte die Gräfin Sabine mit niedergeschlagenen Blicken, während der Walzer beständig im Takt schäkerhaften Spottes weitererklang.

»Aber das geht ja wie geschmiert!« sagte Steiner.

»Sind denn ihre Hände zusammengewachsen?« fragte Foucarmont, erstaunt über den langen Druck.

Estelle war herbeigekommen, und Fauchery begrüßte sie, während sie, steif in ihrer rosa Robe, ihn mit der erstaunten Miene eines schweigenden Kindes anblickte und zugleich scheue Blicke auf ihre Eltern warf. Auch Daguenet schüttelte dem Journalisten herzlich die Hand. So bildeten sie alle eine heitere Gruppe, während Venot sie aus einiger Entfernung mit seinen scheinheiligen Augen musterte und gleichsam in seine gottselige Milde einhüllte und glücklich war über diese äußerste Schmach, die mit dazu beitrug, die Wege der Vorsehung zu bereiten...

Am Abend nach der kirchlichen Trauung stellte sich der Graf seit zwei Jahren zum erstenmal wieder bei seiner Frau ein. Die Gräfin war erstaunt und wich zuerst aus: aber dabei zeigte sich ihr Lächeln, jenes trunkene Lächeln, das sie nie verließ. Er stammelte verschämt einige Entschuldigungen, worauf sie ihm eine eindringliche Gardinenpredigt hielt. Übrigens wagte keines von beiden eine klare Auseinandersetzung.

Dann sprach der Graf über den Verkauf von Les Bordes; sie willigte sofort ein. Geld komme ihnen ja beiden recht, meinte sie, und sie würden den Erlös teilen. Dies vollendete die Versöhnung. Muffat empfand in seinen Gewissensbissen eine wahre Erleichterung ...

Als an eben demselben Tage Nana gegen zwei Uhr noch schlief, erkühnte sich Zoé, an die Tür des Schlafzimmers zu klopfen. Die Vorhänge waren zugezogen, und ein linder Hauch drang durch ein Fenster in die schweigende Kühle des Halbdunkels. Nana schlug die Augen auf: »Wer ist da?«

Zoé war im Begriff zu antworten, aber Daguenet erzwang sich den Eintritt und meldete sich selbst an. Da stützte sie sich auf das Kopfkissen, schickte die Zofe fort und fragte bestürzt:

»Wie, du hier, an deinem Hochzeitstage?«

Erstaunt über die herrschende Dunkelheit, blieb er mitten im Zimmer stehen. Bald indessen gewöhnte er sich daran, trat in 305 seinem Festanzug, Frack, weißer Halsbinde und weißen Handschuhen, auf sie zu und wiederholte:

»Jawohl, ich bin es! ... Erinnerst du dich nicht mehr meines Versprechens?«

»Nein«, versetzte sie, sie erinnere sich an nichts, und so mußte er sich deutlicher aussprechen... In dem düsteren Zimmer, das noch ein flüchtiger Äthergeruch durchdrang, erstarb ein zärtliches Lachen. Die heiße Luft schwellte die Fenstervorhänge, und man hörte Kinderstimmen auf der Straße...

Nach dem zweiten Frühstück trat Daguenet mit seiner jungen Gattin die Hochzeitsreise an.


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