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Während Maximianus noch sprach, hatte Johannes durch seine aufmerksame, doch irgendwie gereizte Haltung merken lassen, daß ihm gegen die Erzählung des Freundes ein Einwand am Herzen liege.
»Haben wir nicht vereinbart,« rief er nun, »daß alles Kriegerische in unseren Erzählungen zu vermeiden sei? Du, Maximianus, als der älteste, hättest dieses Gebot am getreulichsten hüten sollen. Indessen trägst du eine Geschichte vor, die sicherlich unser Mitgefühl erregt hat, aber gegen die wir uns gerade darum erst recht zur Wehr setzen müssen, weil sie uns nämlich den traurigen Zustand, in dem wir uns selbst befinden, so anschaulich nahebringt.«
»Verzeiht mir,« bat Maximianus kleinlaut und weinerlich, so daß die Freunde in helles Lachen ausbrachen. »Ich bin nun einmal kein Meister im Verstellen; dachte ich doch, in der Gestalt eines Landsknechtes hinlänglich verwandelt zu sein und durch die Entfernung meiner kleinen Begebenheit auf nahezu drei Jahrhunderte allen unseren Satzungen Genüge getan zu haben. Und ich dachte, daß die Liebe zu einem Flecken Erde, zu einer vertrauten Landschaft, nicht eben schlechter sei als zu einem Weibe. Und weiter schien mir das Wichtigste, daß ich euch doch ein wirkliches Erlebnis erzählte, nicht wahr, ein Erlebnis, das mir am Herzen lag.
Ich weiß nun allerdings nicht, ihr lieben Freunde,« fuhr Maximianus fort, »ob es euch so ergeht wie mir, aber oftmals in diesen letzten fünf Jahren, wenn ich mich auf wunderbare Weise vom Tode verschont sah, wollte es mir scheinen, als sei gerade ich für die letzte Kugel aufgespart, die allerletzte, dümmste und sinnloseste aller Kugeln, und ich solle Weib und Kind nicht wiedersehen. Ihr wißt, ich bin bei keiner Unternehmung zurückgeblieben, und es ist nicht Todesfurcht, die mich bedrückt. Manchmal stehe ich meinem eigenen Schicksal erschreckend kalt gegenüber, fühle mich auch gar nicht mehr als Einzelwesen, sondern als vertretbare Sache, als eine Ameise in einem großen Haufen: der Stock irgendeines müßigen Spaziergängers wird zum Pfahl Gottes, der alles durcheinanderstürzen läßt.
Versteht ihr mich: die Sinnlosigkeit, die über uns waltet, bedrückt mich. Ganz zum Schluß feuert einer noch eine Büchse ab: ›Da hast eins, Kerl!‹ Denn er weiß, daß jenseits des Stacheldrahtes irgend jemand im Schmutz hockt wie er selbst. Und er will ihm noch schnell eine auf den Pelz brennen, wie ein Knabe dem anderen, den er gar nicht kennt, im Vorübergehen einen Schlag versetzt.
Einen wird sie treffen, die letzte Kugel. Bis zur Stunde bin ich unverwundet geblieben, ich, der älteste unter euch. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, sage ich mir. Dieser Krieg ist nicht so beschaffen, daß ihm auch nur einer entschlüpft. Auf mich hat er's eben ganz zuletzt abgesehen, wenn schon die Friedensglocken läuten … Verschont er mich aber wirklich und trifft einen anderen, so habe ich euch eben das Schicksal dieses anderen erzählt, das doch irgendwie das meine ist, unser aller Schicksal.«
Maximianus hielt erregt inne und sah sich verlegen nach allen Seiten um. Dann erst nahm er die Rede wieder auf.
»Zum Landsknecht bin ich freilich kaum geboren, und auch vieles Weintrinken vertrage ich nicht, obzwar ich nahe den Reben, an den ›langen Lüssen‹, zu Hause bin. Aber es ist dies jetzt eine Vorstadtstraße wie eine andere und man hat dort Baracken für Verwundete und Kranke aufgestellt, eine weitläufige Stadt des Elends, so daß meine Frau und meine drei Kinder immer das Schreckliche vor Augen haben, wenn sie nur das Haus verlassen. Manchmal sage ich mir, Feigheit wäre Pflicht. Mein eigenes Tun kommt mir so geisterhaft vor, unser aller Tun. Was haben wir damit zu schaffen? Ein ganzes Leben lang sind wir über unsere Schreibtische gebeugt gesessen; warum führen wir nun mit einem Male das Dasein von Vaganten und Strauchdieben? Warum schlafen wir unter freiem Himmel und zerreißen unser Essen mit den Händen, wie wilde Tiere? Wie ist es denn möglich, daß wir töten und getötet werden, so jammervoll wie man Fliegen zerquetscht, wir Sehenden.
Die anderen ahnen doch ihre Tollheit kaum. Wir aber sind in den Hexensabbat gerissen, ohne am Wahnsinn teilzuhaben, der mitleidig alles Bewußtsein aufhebt. Wir führen klaren Blickes dieses Leben von Geisteskranken, werden alt und grau dabei und warten auf die letzte Kugel, auf die allerletzte, die jenseits des Stacheldrahtes von einem armen Teufel abgeschossen wird, dem vielleicht ebenso elend zumute ist wie uns, und der sein sinnloses Tun vielleicht ebenso tief verachtet.«
Eine Pause entstand. Dann sprach Johannes mit sanfter Stimme: »Für diesmal soll dir verziehen sein, Maximianus, aber in Zukunft mag es sich doch empfehlen, derlei Erzählungen beiseitezulassen. Haben wir nicht beschlossen, wohltätige Träume als Schutzwall um uns zu breiten. Uns armen Siebenschläfern kann es nicht taugen, daß man uns wachrüttelt.«
Maximianus stimmte zu: »Wir sitzen hier, in einer Höhle gefangen,« sagte er, »und wissen nicht einmal, ob irgend jemand, Freund oder Feind, sich noch um uns kümmere oder auch nur ahne, daß wir leben. Die Boten, die wir ausgesandt haben, sind nicht mehr zurückgekehrt. Einige Heiterkeit käme uns wohl zustatten.«
Diese Worte lösten den Bann, der auf den Freunden lag. Muntere Reden wurden gewechselt, und man vereinbarte, daß am nächsten Abend Serapion für eine Erzählung, fernab vom Kriege, Sorge tragen solle.