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Der Arkebusier Leopold Wambacher hatte einen frohen Tag. Er schritt allein an der Uferböschung der Moldau hin, außerhalb des verschanzten Teiles der Prager Altstadt, weil er sich von dem schwedischen Volke, das drüben auf der kleinen Seite sein Winterquartier bezogen hatte, gerade heute eines listigen Anschlages versah.
Schon vor ein paar Tagen hatte er bemerkt, wie hinter der mittleren der drei Inseln, die den Strom beherrschten, mit Schilf verkleidete Fährboote bereitgemacht worden waren, und er wußte überdies, daß seit kurzem der Jäger Kaspar Knittel drüben unter den Schwedischen in Sold stand, nicht anders als der Rittmeister Odovalsky, der von den Kaiserlichen ohne Genugtuung verabschiedet, dem Grafen Königsmark seinen Plan eingegeben hatte, wie man die kleine Seite von Prag mit raschem Handstreich zu nehmen vermöchte.
Der Kaspar Knittel war Leopolds Zeltgenosse gewesen, ein verwegener Geselle, der sich nicht leicht bei nebligem Wetter eine gute Gelegenheit zum Parteigehen und Beutemachen entschlüpfen ließ.
Es war jedoch der Sinn des Arkebusiers Wambacher heute nicht auf Kampf gestellt, so er schon der blutigen Sträuße gar viele ausgefochten während der dreißig Jahre, seit die Kriegsfurie in deutschem Lande umging. In seinem Ohr klangen ganz laut die Friedensglocken.
Leopold Wambacher stammte aus dem Dorfe Gründsing, das nur eine Wegstunde von des Kaisers Residenz zu Wien gelegen war, an den Hängen eines rebenbewachsenen Hügels, den man den »Reisenberg« nannte. Die Weingärten, die sich hier rings in der Sonne hindehnten, so weit das Auge reichte, gehörten zum größten Teile dem Stifte Klosterneuburg.
Wenige Streifen nur, die in dem Verzeichnis der Güldengründe bei der Pfarre Heiligenstadt sorglich beschrieben erschienen, gehörten den erbgesessenen Bauern; »an den langen Lüssen« nannte man sie, und eines der winzigen Gärtlein hatte Wambachers Vater besessen. Der goldgelbe Wein aber, der »an den langen Lüssen« gedieh, war berühmt in der ganzen Gegend, und es hieß, der Propst selbst ziehe ihn dem besten Tropfen aus den eigenen Kellereien vor.
Ein seltsames Schicksal hatte es indessen gefügt, daß Leopold Soldat wurde. Er liebte den schmalen Acker, der hinter dem Hof sich sachte zum Hügel hinaufschlang, und er hätte sich nie von ihm trennen mögen. Aber da lebte ein älterer Bruder, dem der Vater das Gärtlein anheimgab, und er, der Jüngere, sollte als Knecht dem eigenen Bruder Robot leisten wie dem Stift.
Gab es doch auch schon hungrige Mäuler zu stopfen, denn frühzeitig unbesonnen hatte Leopold eine junge Magd gefreit, die als Heiratsgut nichts einbrachte als ihre rosigen Wangen, den prallen Busen und die Gewißheit schnellen Kindersegens. Wie noch der Bruder obendrein in übermütiger Laune beim Keltern mit ihr zu scharmutzieren begann, schoß dem also Verratenen der Zorn und der aufsteigende Dunst des jungen Weines gleichermaßen in den Kopf, daß er selbigen Abends von einem Werbeoffizier Handgeld nahm.
Seit dreißig Jahren nun stand Leopold als Soldat im Felde. Zuerst war er als Pikenier ausgerüstet worden, mit Brustharnisch und Armschienen, bald jedoch verdroß es ihn, sich als jämmerlicher »Schiebochse« höhnen zu lassen.
So nahm er die Arkebuse, weil er da auch kein Bandelier noch Furkett zu tragen brauchte, wie etwa die Musketiere, sondern frei aus Kugeltasche und Pulverhorn lud.
Unter Bouquoy hatte er bei der Niederwerfung des böhmischen Aufstandes mitgetan und war dem Friedländer nach Stralsund gefolgt. Bei Nördlingen hatte er von einer feindlichen Partisane eine furchtbare Verletzung erhalten, die ihm nahe ans Leben ging. Und doch war er vor Breitenfeld als einer der letzten erst dem heftigen Ansturm der Schweden gewichen.
Gut kaiserlich war der Arkebusier Wambacher allzeit geblieben, ohne Falsch noch Hinterhalt. Darum hatte man ihn zu Eger als Wachtposten vor die Zugbrücke gestellt, als oben im Festsaale des Schlosses das wilde Stechen und Schlagen anging. Laut hatte er da in die Nacht die Losung gerufen: »Vivat Ferdinandus!«
Damals wurde er Gefreiter und nach seiner Verwundung bei Nördlingen sogar Wachtmeister. Straffe Zucht hielt er in der Kompagnie und, sooft man ein Regiment auch abdankte und die Fahne abriß – ihn ließ man nicht ziehen.
Bei solcher Abdankung rotteten sich manche in Haufen zusammen und begannen ein Harnischwaschen mit alten Widersachern, denen sie Aufschub des Streites gelobt, solange die Fahnen wehten. »Ha, Kerl!« hieß es, »ein Pfund deiner Haare gilt mir nicht mehr als ein Pfund Baumwolle. Heraus, raufe dich mit mir!«
Leopold Wambacher aber stand abseits solchem Streit, von einem kaiserlichen Fähnlein kam er zum andern, wechselte oft das Quartier, und jeder Hauptmann wußte, daß man den Leopold in der Kompagnie haben müsse, weil sein Beispiel die anderen mitriß.
Gar seltsam aber hatte sich so das Leben des Arkebusiers Wambacher gefügt. Denn es war von Anbeginn nicht sein Vorsatz gewesen, sein Leben auf den Krieg zu stellen, sondern er gedachte nur den ersten Zorn wegen des ungetreuen Bruders und des verlorenen Gärtleins loszuwerden.
Kaum war die jähe Hitze des Werbetrunkes verflogen, da reute ihn schon der Abschied von der »langen Lüssen«, und er tröstete sich nur mit dem Gedanken, daß er zur Frühjahrsarbeit längst wieder könnte zur Stelle sein.
So gingen die Jahre hin. Andere starben, andere ließen sich neu anwerben, andere nahmen Abschied oder wurden auf der vielfach verschlungenen Kriegsfahrt in das heimatliche Dorf geführt. Dem Arkebusier Wambacher wollte es nicht gelingen, den »Reisenberg« wiederzusehen. Immer schoben sich Hindernisse in die Quere. Man gab ihm nicht Paßbrief noch Freizettel, und als Hundsfott wollte er nicht von den Fahnen gehen. Dazu kam langsam die Gewöhnung.
Mit jedem neuen Frühling meinte Leopold, nun müsse der Krieg bald sich selbst verzehren. Im Herbst werde gewiß schon Frieden sein. Aber der Krieg fraß gierig weiter, Land und Leute, wie eine Flamme im Wind.
So geschah es, daß der Arkebusier Leopold Wambacher, der die Hahnenfeder seines Hutes vor mehr als fünfzehn verschiedenen Fahnen geschwenkt hatte, im Grunde seines Herzens ein Weinbauer geblieben war. Das andere Kriegsvolk hauste übel in den Dörfern, doch Leopold tat nicht mit beim Bauernschinden.
Was er aber sonst an Beute gewann, hielt er fest. Und das Soldatensprichwort: »Was mit Trommeln erworben wird, geht mit Pfeifen dahin,« konnte bei ihm nicht Anwendung finden. Mit Karten und Schelmenbeinen mochte er nichts zu schaffen haben, und eine schmucke Dirne, die ihn einst zu prellen suchte, hatte er dem Rumormeister übergeben. Wohlgespickt war sein Beutel, und er zählte fleißig nach, ob der Besitz sich mehrte.
Nur in einem leichten Tun hielt es der Arkebusier Wambacher seinen Waffengenossen gleich. Er liebte einen guten Trunk. Doch während die anderen sich berauschten und wilde Reden führten, saß er still beim Wein, schmeckte die ersten Tropfen prüfend mit Lippe und Zunge und schüttelte traurig den Kopf.
Er sah die blonde Theres, sein Weib, mit den nackten, starken Beinen in die gefüllten Kufen treten, und neben ihr stand sein Bruder. Dann gedachte er des rotwangigen Buben, den er als einen armen hilflosen Schreihals ehedem zurückgelassen hatte. Er verfolgte in Gedanken sein Wachstum wie das Wachstum der Reben, Jahr um Jahr, und dachte: »Nun blüht's, nun gärt's, nun sind die Beeren reif.«
Aus jedem Glas, das Leopold trank, sah er das schmale Gärtlein am »Reisenberg« wachsen. Dicht daneben wollte er einen Grund kaufen und sich einen Hof dazubauen, schmuck und geräumig, daß es ein Ansehen hatte. Dafür geizte er, dafür legte er beiseite, was er aus den Gürteln der Feinde holte.
Einmal war ihm ein junger Bursch aus Heiligenstadt begegnet. Der hatte ihm erzählt, sein Bruder sei kinderlos gestorben und Leopolds Sohn bewirtschaftete jetzt das Gärtlein. Sonst hatte Leopold von den »langen Lüssen« nichts mehr vernommen. Auch dies wenige kam ihm höchst wunderbar vor: daß sein eigen Fleisch und Blut an seiner statt erbte, so, als wäre er gar nicht mehr am Leben. Dann malte er sich aus, wie er endlich nach Friedensschluß heimkehren würde, den Beutel mit Dukaten vollgespickt. Da würde sich wohl auch für ihn ein Platz finden, wo er ausruhen konnte.
Denn manchmal fühlte Leopold schon, daß er müde war. Bis zum nördlichen Meer hatte der Krieg ihn hinaufgetragen und wieder zurück durch zwei Dritteile von Deutschland. Blond und gertenschlank war er ausgezogen, milchweiß das Gesicht, nun aber war sein Antlitz wetterhart und durchfurcht, und in dem struppigen Haar spannen sich einzelne weiße Fäden.
Mit Ungeduld erwartete der Arkebusier Leopold Wambacher den Frieden. Vor acht Jahren waren vom Reichstag in Regensburg die benachbarten Städte Münster und Osnabrück für eine Friedensversammlung auserwählt worden. Diese vortreffliche Zeitung hatte das Herz Leopolds mit neuer Hoffnung erfüllt. Er, der Geizhals, der jeden Batzen zweimal umdrehte, scheute nicht Traktament und reiche Verehrung, wenn er etwas über den Fortgang des Friedensgeschäftes erfahren konnte.
Aber noch drei Jahre mußte er warten, bis ein Landspassat, der aus Münster kam, ihm berichten konnte, daß der Reichshofrat Doktor Johann Grane feierlich auf dem Rathaus den Eid gelöst habe, wodurch die Stadt dem Kaiser und Reich und ihrem Bischof verbunden war, damit sie auf die Dauer der Friedensverhandlungen nur der Neutralität verpflichtet sein sollte.
Und wieder ein volles Jahr später erhielt Leopold vom Haag aus Nachricht, nun sei das Zeremoniell bestimmt, mit welchem der französische Gesandte wollte aufgenommen sein. Aber viel Zeit ging verloren, weil man sich nicht darüber einigen konnte, ob auch die schwedischen Gesandten auf den Titel Exzellenz Anspruch hätten, und weil der Graf d'Avaux mit zwanzig bewaffneten Reitern sich gegen die Spanier den unmittelbaren Platz nach der kaiserlichen Kutsche erkämpfen ließ.
Solcherart immer wieder um Heimkehr und Frieden geprellt, sah sich also der Arkebusier Leopold Wambacher nach dreißig Jahren der Mühsal und des Kampfes an den Punkt des Krieges zurückgeführt, von wo er seinen Ausgang genommen hatte.
Doch wie er nun heute frühmorgens durch die Straßen der Prager Altstadt gewandelt war, geschah es ihm völlig unerwartet, daß er einen Läufer traf, vornehm herausstaffiert, den kurzen Spieß mit Bändern umwunden, und in dem Fremden einen Troßbuben erkannte, der vor Zeiten Wambachers eigene Armatur getragen hatte.
Jetzt freilich tat der Bub sehr vornehm und rühmte sich, im Dienste eines großen Herrn zu stehen, der eben erst in der Stadt eingetroffen sei und wichtige Botschaft bereithalte. In wenigen Stunden müsse der Rat versammelt sein und alle Kirchenglocken würden zu läuten beginnen; in der Altstadt wie drüben auf der kleinen Seite.
Als nun Leopold in den Laufer drang, der schwur, er könne nicht länger verziehen, sein Herr warte schon seiner, ließ der Bub sich doch ausführlich vernehmen, in Münster und Osnabrück sei der Friede abgeschlossen worden. Aber Leopold möge um Himmels willen das Geheimnis niemandem kundtun, solange nicht die Glocken zu läuten begonnen hätten. Denn sein Herr habe ausdrücklich anbefohlen, alles müsse der Ordnung nach geschehen, und in großer Feierlichkeit sollten die wichtigen Siegel erbrochen werden.
Gern gelobte der Arkebusier Wambacher, was man von ihm verlangte. Sein erregtes und gleichwohl noch zweifelndes Gemüt dürstete nach beruhigender Gewißheit. So hielt er den Laufer am geputzten Wamse fest, bis der Fremde vollends berichtete, wie er selbst die Reichsstände auf dem Bischofshofe zu Osnabrück habe versammelt gesehen, und wie der französische Gesandte mit sechs Kutschen in die Wohnung des Grafen von Nassau gefahren sei, wohin der kaiserliche Gesandte alsbald in zwei Kutschen folgte, deren jede mit sechs Pferden bespannt war, und wie kurz nachher die Schweden in fünf Kutschen zu dem Grafen von Lamberg sich begaben, wo der kaiserliche Reichshofrat Crane sie erwartete.
Dreimal seien auf den Basteien der Städte die Stücke gelöst worden, sobald die Friedensurkunden auf dem Bischofshof eintrafen. Und nicht minder freudig würde in allen kaiserlichen Städten der Friede begrüßt werden, wohin jetzt schnell ausgerüstete Gesandte mit Brief und Siegel die frohe Kunde trügen.
Der Arkebusier nahm es als frohes Vorzeichen für sich selbst, daß er allein, vor den anderen, um die große Nachricht wußte. Am Ufer der Moldau blieb er stehen, blickte hinauf gegen die große Brücke, in deren Türmen die feindlichen Wachen und Vorposten sich lauernd gegenüberlagen, und sah im Nebel die roten Ziegeldächer des Hradschin schimmern.
Des Tages mußte er sich entsinnen, da er hier in Prag die böhmischen Empörer auf dem Blutgerüst hatte sterben sehen, und mancher Pikenier aus dem Regimente des Grafen Thurn, das gemeutert hatte, zu den Kaiserlichen übergegangen war. Auch der Jäger Kaspar Knittel, der dann lange Zeit getreulich neben Leopold Hieb und Stich abgefangen.
Leopold hatte Zutrauen zu dem Gesellen gefaßt, weil der auch aus einer Weingegend stammte und nicht jeden Trunk wahllos durch die Gurgel jagte, gleich den anderen. Er scherte sich nicht, um das Geschwätz der Steckenknechte, die wissen wollten, Kaspar besitze einen Passauer Zettel, er habe sich fest und gefroren gemacht; nur eine Kugel aus Erbsilber könne ihn verwunden.
Es tat ihm leid, als der Jäger von der Kompagnie ging. Und daß Leopold in diesem Augenblicke, des endlichen Friedens gewiß, dem Kaspar auflauerte, geschah nur, weil er dem Jäger gern zu guter Letzt den Possen spielen mochte, ihn beim Parteimachen abzufassen. Gestern hatte er Besseres noch im Sinne geführt, nämlich den Kaspar dem kaiserlichen Heere wiederzugewinnen. Heute wollte es ihm schon recht sein, ihn nur festzuhalten, bis die Glocken zu läuten anfingen, und mit dem also Überraschten gemeinsam das gelobte Land des Friedens zu betreten.
Die schwedische Unternehmung hatte Leopold des Nachts schon gründlich auskundschaften lassen, er wußte, daß der Anschlag für den hellichten Tag vorbereitet war, weil man sich da seiner am wenigsten versah. Und nun der Nebel noch so wunderbar das Unternehmen zu begünstigen schien, konnte der Kaspar nicht lange auf sich warten lassen.
Sicherlich war ihm zu Ohren gekommen, daß sich nahe dem Ufer eine heimliche Vorratskammer befand, und er würde nicht eben dort eine Landung versuchen, sondern ein wenig höher, wo das Schilf ihn verbarg, damit er die etwa aufgestellten Wachen umgehe.
So hatte Leopold dawider vorsorglich seine eigenen Anordnungen getroffen. Eine Wasserrunse ging in einer schmalen Klemme zum Strom hinunter. Diesen Weg mußten die Schwedischen nehmen, um in den Rücken der Wachen zu gelangen. Den Ausgang also hatte Leopold schon gestern mit seinen Leuten besetzt; nun schärfte er ihnen ein, sich im Vorteil zu halten, ohne gleichwohl den Schuß aus dem Rohr zu lassen, solange nicht ausdrücklich Feuer anbefohlen sei.
Zugleich nahm Leopold selbst seinen Stand ganz vorn in der Runse, und da sah er auch das Fährboot sich langsam ans Ufer schieben. Schon von weitem konnte für seinen erfahrenen Blick kein Zweifel darüber bleiben, daß schwedisch Volk die Bemannung des Bootes bilde, weil die erhobenen Musketen keine Richtgabeln aufwiesen. Die Leute im Boote schienen sich wenig Args zu versehen und im Nebel ihrer Sache ganz sicher zu sein. Sie schickten auch keine Vorhut ans Land; nur ein Mann schritt voraus, während die anderen noch das Boot im Schilf befestigten.
Kaspar Knittel war's, der so als erster in die Runse kam. Schnell wurde ihm mit aufgezogenem Hahn das Feuerrohr präsentiert.
»Solcher Traktation ist meinesgleichen nicht gewohnt!« schrie der Jäger. Leopold aber fragte kurz: »Was Volks?«
Der Jäger antwortete »Kaiserisch.«
Darauf Leopold wieder: »Ich bin auch kaiserisch. Ein Schelm, der seinen Herrn verleugnet.«
Nun erst erkannte Kaspar Knittel seinen Zeltgenossen. »Wir sein schwedisch Volk vom Rittmeister Odowalsky,« sagte er herausfordernd und nach einer Pause: »Potz Blut, wie führt uns der Teufel hie zusammen? Ich hab', erschlag mich der Donner, vorlängst vermeinet, du wärest gehänget worden!«
Leopold aber erwiderte nicht den Schimpf. Wie mancher andere, der vom Schäferstecken zum Schwert gegriffen, achtete er darauf, sich in Kriegsdiensten durch löbliche Soldatenmanier vom Bauer zu unterscheiden. »Der Herr wird ihm belieben lassen, seine Leute gut zu vermahnen!« sagte er, »und vor mir in die Stadt zu gehen, wofern er nicht als Feind will traktieret sein.«
»Ho! Potz Schlapperment!« schrie Kaspar zornig und wischte einem von Leopolds Leuten, der ihm zunächst stand, eine dichte Maulschelle übers Gesicht, daß der Mann zu Boden fiel.
Aber zwei andere Kaiserliche faßten den Jäger am Arm, während Leopold ihm nachdrücklich zurief: »Wolle der Herr mich nit dazu bringen, daß ich das Kartell gröblich verletze oder eine schändliche Tat wider alle Billigkeit und Soldatengewohnheit beginne.«
Und da nun Kaspar sah, daß es keinen Ausweg aus diesem Garn gab und die Leute Wambachers den seinen an Zahl überlegen waren, stieß er noch ein paar kräftige Flüche aus und begann mit Leopold wegen der Übergabe zu verhandeln. Es wurde ihm holländisches Quartier zugesichert, das heißt, er durfte alles behalten, was er im Gürtel trug, und seinen Degen obendrein. Nur seine Leute sollten die Feuerrohre am Ufer niederlegen. Kaspar selbst mußte sie ohne Bewaffnung heranholen.
Nachdem dies alles aufs beste geordnet war, und zwar genau so, wie es sich Leopold von Anbeginn ausgedacht hatte, schüttelte er dem Kaspar die Hand und forderte ihn auf, in einer nahen Wirtschaft den ausgestandenen Arger brav zu versaufen. Kaspar war es zufrieden. Und da auch manch anderer von Leopolds Leuten unter den Schwedischen einen alten Bekannten angetroffen hatte, ging's bald an ein lebhaftes und freudiges Begrüßen.
Nun also saßen die alten Zeltgenossen beim Wein, den Leopold aus einem versteckten Keller hatte holen lassen.
»Daß dich der Hagel erschlage, Bruder,« sagte Kaspar zutraulich. »Ich hätt' mein Lebtag nit vermeint, daß ich dich wieder antreffen würde.«
So gerieten sie ins Schwatzen, tauschten Erinnerungen aus, wie bei Breitenfeld die Kartaunen der Schweden waren heiß geworden und nur die neuen ledernen Kanonen gegen die anstürmenden Kroaten die Entscheidung gebracht hatten. Und wie sie einmal mit Teufelslarven auf Partei gegangen waren. Und wo ein besser Dienen gewesen, bei diesem Fähnlein oder bei jenem, und Leopold meinte, dem Kaspar seien die roten kaiserlichen Schnüre doch besser zu Gesicht gestanden als die grünen schwedischen.
Seit nämlich Leopold wußte, daß nun der Krieg für immer zu Ende war, wurde ihm beinahe wehmütig zumute, und mit Rührung gedachte er der vielen halsbrecherischen Abenteuer und Convois, deren er nicht wenige mit Kaspar Knittel gemeinsam bestanden. Tausendmal hatte er sein Leben verwettet und wiedergewonnen, und er war bereit, frommen Gemütes der Vorsehung zu danken, die ihn durch so vielfache Höllenfährnisse des Krieges bis zu diesem begnadeten Tage geführt.
Als der zweite Krug aufgetragen wurde, hatte er schon Mühe, das große Geheimnis, das seinen ganzen Sinn erfüllte, für sich zu behalten. Er horchte auf die Straße, ob denn nicht endlich die Glocken zu läuten anfingen, und er verfluchte den Malefizbuben, der ihm so unwillkommenes Schweigen auferlegt.
Kaspar Knittel hatte indessen eine Pfeife hervorgeholt, die er mit Tabak anfüllte, worauf ein heftiges Qualmen begann. Er schien sein Ungemach völlig verschmerzt zu haben und erzählte nun mit breitem Lachen von einem Weibsbild, das ihm drüben im Lager ein hübsches Stück Geld abgepreßt; er sei froh, die Dirne nun endlich los zu sein und die acht Gulden Sold, die ihm erst gestern zugezählt worden, im Gürtel behalten zu können. Vielleicht werde er nun doch wieder bei den Kaiserlichen sein Glück versuchen, wenn im Frühjahr das Stechen aufs neue beginne. Dabei faßte er die Magd, die eben den dritten Krug auf den Tisch stellte, mit erfahrenem Griff um die Hüfte.
Nun hielt Leopold nicht länger an sich, sondern brach laut pustend mit seiner Neuigkeit los: »Kein Stechen gilt mehr, Bruder, nicht kaiserlich und nicht schwedisch, das ganze Volk wird abgedankt, der Friede ist geschlossen!«
Und er begann dem erstaunten Kaspar Knittel umständlich und mit mancherlei Ausschmückung zu berichten, was er selber des Morgens erfahren hatte.
Der Kaspar aber, vom Weine erhitzt, schien dies alles für einen Scherz zu nehmen, der ihm durchaus nicht behagte. »Abgedankt?« schrie er. »Wer zahlt Genugtuung? Soll ich als Gartbruder umgehen? Wer schmeißt mir ein Batzen in Hut, wenn die Fahnen abgerissen sein?«
Leopold versuchte den Erregten einer milderen Ansicht zu gewinnen. Er malte ihm in lockenden Farben aus, wie schön der Friede sein werde und welchen Segen er der zerstampften Welt bringen müsse. Und da Kaspar vor lauter Zorn keine Antwort mehr gab, sondern nur wild vor sich hinblickte, kam er von so allgemeiner Schilderei auf den besonderen Punkt, der ihm am Herzen lag.
Er begann, wie oft vorher, von dem Dorfe Gründsing zu erzählen und von den »langen Lüssen.« Denn er glaubte bei Kaspar, der den Wein als Kenner liebte, Verständnis für die verzehrende Sehnsucht zu finden, die ihn durch dreißig Jahre eines rauhen Kriegslebens nicht aus ihren Fängen gelassen hatte.
Aber Kaspar fuhr auf: »Narr dummer!« schrie er, giftrot vor Galle. »Glaubst leicht, deine Theres wollt' dir als junge Dirne um Hals fallen, alter Hahn? Potz hundert Gift! Dein Bub wartet mit der Karbatsche, kann keinem Gartbruder Herberg geben. Hat selber schön Weib und Kinder. Will schlecht Beispiel meiden. Soldaten und Bauern sein Feind durchaus.« Und Kaspar schlug zur Bekräftigung den Becher um, so daß der goldgelbe Trunk auf den Boden verspritzte.
Unwillkürlich griff Leopold nach dem Gefäß, um den Wein zu retten, doch Kaspar Knittel schrie: »Daß dir das höllische Feuer in den Hals fahre!« Er schnitt eine Grimasse und beutelte sich, als habe er Pech und Schwefel und nicht einen köstlichen Trunk geschlürft, mit dem sehr wohl die kaiserliche Majestät in eigener Person hätte traktiert werden können. »Wachst der Teufelswein auch an den ›langen Lüssen‹?« fragte er höhnisch.
Nun fuhr auch in Leopold der Zorn, wie ehedem, als er den Bruder mit der Theres angetroffen. Der Kaspar zerstörte seinen Traum, und er geriet gerade darum in Hitze, weil er nichts Rechtes zu entgegnen wußte.
»Kannst mit dem Traktament wohl vorliebnehmen, Kaspar,« sagte er. »Der Wein ist gut und die ›langen Lüssen‹ sein gut.« Doch sich bezwingend fügte er hinzu: »Gib Fried', Kaspar!«
Gerade dieses Wort reizte den Jäger. Er wollte keinen Frieden. Schwankenden Schritts, vom Weine schwer, begann er auch von den anderen Tischen Krüge und Becher mit dem Degen, den ihm Leopold belassen hatte, auf den Boden zu schlagen, so daß ein arges Lärmen und Klirren anhub.
In diesem Augenblick aber entstand vor der Türe ein neuer Tumult. Vor Angst bleich stürzte die Magd ins Zimmer und erzählte, es sei noch ein weiteres Boot mit Schwedischen gelandet, sie hätten die Vorratskammern ausgeplündert und das Haus umstellt. Und hinter der Magd drängte schon das schwedische Volk zur Türe herein, versicherte sich der Feuerrohre, die in einer Ecke lehnten.
Schnell sprangen die Zecher auf, teilten sich in zwei Haufen, die Kaiserlichen standen zu Leopold, während die Schwedischen sich um Kaspar Knittel scharten. Der schrie: »Ich sag' das Quartier auf!« und schwang schon einen Degen über dem Kopfe.
Verzweifelnd blickte Leopold in den Tumult. Er war völlig nüchtern geworden, indessen alles rings um ihn wie von einer bösen Trunkenheit besessen schien, durch die er selbst dreißig Jahre lang gewandert war. Sinnlos Höllenwerk alles! Blut besudelte den Boden wie der Wein, dampfte auf.
Und laut rief Leopold in den Saal, das Klirren der Waffen und das Fluchen der Trunkenen übertönend: »Haltet ein, Leut, Fried im Land! Hört die Glocken!«
Wirklich war's, als ob in der Ferne ganz leise eine Kirchenglocke zu läuten beginne. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Man blickte Leopold an, der auf eine Bank gestiegen war, und wie zum Zeichen, daß Friede sei, den eigenen Degen abschnallte und vor Kaspar hin auf den Tisch warf.
Nun ging ein wildes und derbes Lachen an. Niemand von den Schwedischen und von den Kaiserlichen glaubte an den Frieden. Es war immer Krieg gewesen, warum sollte das mit einem Male anders werden? Wer vom Frieden sprach, schmähte das soldatische Handwerk. Viele Kaiserliche rückten von Leopold ab, wie von einem Wahnsinnigen.
Kaspar aber lallte: »Es gibt kein Fried im Land, heut nit und nimmermehr, muß Krieg sein allezeit, bis zum jüngsten Tag.«
Lauter schon hörte man die ferne Glocke klingen; eine andere fiel ein. Da wendete sich Kaspar erbost gegen Leopold. »Dein höllich Traktament soll mir nit das Herz abstehlen! Dich halt' ich vor einen Schelmen, bis du einen von gegenwärtigen Degen zu dir nimmst und auf Soldatenmanier mit mir missest.«
Ein Schwedischer zupfte Leopold am Koller: »Lauf Mann, du müßt sonst sterfen!«
Hoch reckte sich der Arkebusier Wambacher auf. »Einhundert Sapperment!« schrie er heiser. »Kaiserisch Volk zu mir!«
Er griff nach dem Degen. Der Kampf begann.
»Vivat Ferdinandus!« rief Leopold wie einst, da er auf der Zugbrücke von Eger Wacht gehalten. Und es war ihm, als sehe er am hellbeleuchteten Fenster, wie damals, den Schatten des Obersten Illo, der auf die Bewaffneten einhieb, die gekommen waren, sein Leben abzufordern. Deutlich erkannte er, wie der Arm des arg bedrängten Mannes erlahmte. Aber es war nicht des Obersten Illo Arm, sondern der seine. Kraftlos fiel die Hand nieder, die zuschlagen wollte, ließ den Degen sinken.
»Kannst nimmer hacken, alter Hahn,« sprach Leopold zu sich selber. Das Gewicht von dreißig furchtbaren Jahren lag auf seinen Schultern. Und zu Kaspar gewendet, an dem sein Eisen machtlos abglitt, rief er: »Ist also doch wahr, das du gefroren bist und des Teufels!«
»Wehr' dich, Bärenhäuter, oder stirb!« schrie Kaspar, und seine Gestalt war riesenhaft vergrößert. Sein rotes, aufgedunsenes Gesicht verzerrte sich zu einer schrecklichen Fratze, die Augen rollten in tiefen Höhlen. Das war die Kriegsfurie, die schrecklich ihren Rachen auftat und alles in sich hineinschlang, die »langen Lüssen« mitsamt dem Dorf Gründsing und den »Reisenberg« und die ganze Welt.
»Wehr' dich oder stirb!« wiederholte Kaspar und rannte seinem Gegner das Eisen mit wildem Stoß gegen die Brust, daß es sogleich durchs Koller drang.
Müde und schwer fiel der Arkebusier Wambacher nach rückwärts auf eine Bank, streckte sich und schloß die Augen, wie einer der schlafen will. Aus dem schmalen Schnitt im Wams tropfte rotes Herzblut als ein dünner Quellfaden, der schnell versiegt.
Immer lauter und mächtiger schwoll indessen der Ton der Glocken an, erfüllte den ganzen Raum. Immer neue Glocken mengten sich in den Chor, von allen Türmen der Altstadt, dann von der kleinen Seite her, bis zum Hradschin hinauf. Und auch der Nebel war gewichen, die Sonne brach hervor, leuchtete auf den roten Dächern. Bald war die Straße von Menschen voll, viele knieten nieder und begannen laut zu beten. Andere sangen.
Verständnislos blickte Kaspar Knittel auf den leblosen Körper des alten Zeltgenossen, der vor ihm lag. »Es gibt kein Fried im Land, heut nit und nimmermehr,« wiederholte er finster, »muß Krieg sein allzeit, bis zum Jüngsten Tag.«