Xenophon
Die Kyropädie
Xenophon

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Buch.

1.

So sprach Kyrus. Nach ihm erhob sich Chrysantas, und redete also: »Männer, ich mache heute nicht zum erstenmal die Bemerkung daß zwischen einem guten Fürsten und einem guten Vater kein Unterschied ist. Denn die Väter sorgen für ihre Kinder, daß es ihnen an keinem Gute mangle; Kyrus aber gibt uns hier Räthe durch die wir unser Glück für alle Zeiten begründen können. Was er mir aber etwas zu mangelhaft auseinander gesetzt zu haben scheint, darüber will ich Die welche es nicht wissen zu belehren suchen. Bedenket einmal, welche feindliche Stadt von Ungehorsamen erobert, welche befreundete von Ungehorsamen bewacht werden kann? wie ein Heer von Unbotmäßigen zum Sieg gelangen kann? was den Verlust von Schlachten mehr entscheidet als wenn Jeder auf seine eigene Rettung zu denken anfängt? was sonst Gutes von Denen vollbracht werden kann welche den Führern nicht gehorchen? wie Städte gesetzlich regiert, Häuser erhalten, Schiffe an den Ort ihrer Bestimmung kommen können? Und wir, durch was Anderes haben wir das Glück das wir jetzt haben zu Stande gebracht als durch Gehorsam gegen den Befehlshaber? Dadurch geschah es daß wir bei Tag und bei Nacht schnell auf unserem Posten erschienen, dem Anführer in festgeschlossenen Gliedern folgten, unbesiegbar waren, und von Dem was uns befohlen war nichts halb gethan ließen. Wenn nun der Gehorsam das sicherste Mittel ist um sich Glück zu erwerben, so wisset daß er um das Nöthige zu erhalten ebenfalls das sicherste Mittel ist. Früher hatten Viele von uns über Niemand zu befehlen, sondern mußten sich befehlen lassen; nun aber seid ihr Alle die ihr hier seid so gestellt daß der Eine über Mehrere, der Andere über Wenigere zu befehlen hat. Wie ihr nun selbst über die euch Untergebenen herrschen wollt, so wollen wir auch Denen gehorchen welchen wir Gehorsam schuldig sind. Vor den Sklaven aber müssen wir uns dadurch auszeichnen daß Jene ihren Herren gezwungen dienen: wir aber, wenn wir frei sein wollen, müssen freiwillig thun was am 241 lobenswürdigsten erscheint. Ihr werdet es auch bei Städten die keine monarchische Verfassung haben finden daß diejenigen welche den Behörden am willigsten gehorchen von den Feinden am wenigsten unterworfen werden. Wir wollen uns daher, wie Kyrus befiehlt, vor diesem Staatsgebäude einfinden, die Uebungen betreiben durch die wir uns den Besitz Dessen was wir nöthig haben am meisten sichern können, und uns von Kyrus zu allen Diensten die nöthig sind verwenden lassen. Wir dürfen überzeugt sein daß Kyrus nichts ersinnen kann das ihm zum Vortheil, uns zum Nachtheil gereicht. Denn wir haben gleichen Vortheil und gleiche Feinde.«

Nachdem Chrysantas Dieses gesprochen hatte, so erhoben sich auch viele andere Perser und Bundesgenossen, die ihm beistimmten. Es wurde beschlossen, die Edlen sollten immer an der Pforte des Palastes anwesend sein, und sich zu allen Diensten die Kyrus wünsche bereit halten, bis er sie entlasse. Und diese Einrichtung, wie sie damals gemacht wurde, ist noch jetzt in Asien bei den Untergebenen des Königes; sie thun Dienst am Hofe der Fürsten. Die Grundsätze über Erhaltung der Herrschaft für sich und die Perser welche Kyrus nach unserer Erzählung aufgestellt werden auch noch jetzt von seinen Nachfolgern als feste Regel beobachtet. Es geht aber auch hier wie in Allem: ist der Fürst gut, so werden die Gesetze genauer, ist er schlecht, so werden sie nachläßiger beobachtet. Die Edlen zogen nun mit ihren Pferden und Lanzen vor die Pforte des Kyrus, nach gemeinschaftlichem Beschluß aller vornehmsten Theilhaber an der Eroberung der Herrschaft.

Kyrus stellte hierauf für die verschiedenen Geschäftszweige verschiedene Aufseher an: er hatte Steuereinnehmer, Zahlmeister, Aufseher über die Bauten, Schatzmeister und Besorger der Tafel. Auch über Pferde und Hunde stellte er Aufseher auf, von denen er glaubte daß sie ihm diese Thiere zu seinem Gebrauch am tauglichsten zurichten könnten. Bei Allen aber deren Dienst er zur Erhaltung seines Glückes zu bedürfen glaubte war er selbst darauf bedacht recht tüchtige Leute zu bekommen; er ließ daher nie einen Andern dafür sorgen, sondern hielt das für sein Geschäft. Denn er wußte daß, wenn es einmal zu einer 242 Schlacht kommen sollte, er sich aus ihrer Mitte Neben- und Hintermänner wählen müsse, mit welchen er die größten Gefahren zu theilen hätte: daß aus ihnen die Taxiarchen der Reiterei und des Fußvolks zu ernennen seien; und wenn man irgendwo Feldherrn ohne ihn brauchte, so müßte man sie aus Diesen nehmen. Zu Aufsehern und Satrapen über Städte und ganze Völker könnte man Einige von Diesen gebrauchen, sie als Gesandte abschicken, was er für einen der wichtigsten Posten hielt, um seine Wünsche ohne Krieg zu erlangen. Wenn nun die Leute durch welche die wichtigsten und meisten Handlungen verrichtet werden müßten nicht so wären wie sie sein sollen, so glaubte er daß es schlecht um seine Sache stehen würde; wenn diese dagegen so wären wie sie sein sollten, so würde Alles gut gehen. Von dieser Ansicht ausgehend machte er sich an dieses Geschäft. Er glaubte es sei auch für ihn eine Uebung der Tugend damit verbunden: denn er hielt es für unmöglich, wenn man nicht selbst so ist wie man sein soll Andere zu schönen und guten Thaten zu ermahnen.

Während er mit diesen Gedanken umgieng glaubte er vor Allem der Muße zu bedürfen, wenn es ihm möglich werden sollte für die wichtigsten Angelegenheiten zu sorgen. Sich nun um die Einkünfte gar nicht zu bekümmern hielt er nicht für möglich, weil er voraussah daß eine große Herrschaft viele Ausgaben nothwendig machen werde. Wollte er sich dagegen, bei dem großen Umfang seiner Besitzungen, immer damit beschäftigen, so wußte er daß ihn Dieses von der Sorge für das allgemeine Beste abziehen würde. Als er nun so nachsann, wie er die Finanzverwaltung gut einrichten und doch dabei Muße gewinnen könne, verfiel er auf die Kriegseinrichtung. Denn wie gewöhnlich die Dekadarchen die Dekaden, die Lochagen die Dekadarchen, die Chiliarchen die Lochagen, die Myriarchen die Chiliarchen beaufsichtigen und auf diese Weise Keiner unbeaufsichtigt bleibt, selbst wenn es viele Myriaden Menschen sind, und der Feldherr, wenn er das Heer gebrauchen will, nur den Myriarchen den Befehl zu ertheilen braucht, so brachte Kyrus den Gang seiner Verwaltung in's Kurze. Auf diese Weise brauchte Kyrus nur mit Wenigen zu sprechen, um Alles was zur Verwaltung gehört 243 zu ordnen; und dabei blieb ihm noch mehr freie Zeit übrig als Manchem der nur für Ein Haus oder Schiff zu sorgen hat. Nachdem er diese Einrichtung eingeführt hatte leitete er auch seine Umgebung dazu an. Auf diese Art hatte er sich und seiner Umgebung die gewünschte Muße verschafft.

Nun kam er daran die Diener der Verwaltung zu bilden. Zuerst ließ er Die welche, ohne selbst zu arbeiten, hinreichenden Unterhalt hatten, aber nicht an der Pforte erschienen, holen: denn er glaubte, die Anwesenden, die immer um den Regenten sind und wissen daß alle ihre Handlungen von den Besten gesehen werden, würden nichts Schlechtes und Schändliches zu thun wagen; bei den Ausbleibenden aber suchte er den Grund ihres Ausbleibens in einem Hang zur Wollust, Ungerechtigkeit oder Nachläßigkeit.

Ich will nun zuerst berichten, wie er solche Leute zwang sich einzufinden. Er gab Einem seiner besten Freunde Befehl sich der Güter der Ausbleibenden zu bemächtigen und zu sagen, was er nehme sei sein Eigenthum. Dann kamen die Beraubten sogleich, um sich über das Unrechr zu beklagen; Kyrus aber gab ihnen lange Zeit kein Gehör; und wenn er sie gehört hatte schob er die Entscheidung lange hinaus. Dadurch hoffte er sie zur Dienstleistung zu gewöhnen, und zwar auf eine weniger feindselige Weise als wenn er sie mit Strafen gezwungen hätte sich einzufinden. Dieß war Eine Lehrart wodurch er sie auf den Platz brachte: die andere die daß er den Anwesenden die leichtesten und einträglichsten Aufträge gab: eine dritte daß er den Abwesenden nie etwas zukommen ließ. Die stärkste Art der Nöthigung war daß er, wenn Einer auf dieß Alles nichts gab, Diesem sein Eigenthum nahm und einem Andern gab, von dem er glaubte daß er, wenn man ihn brauche, auf dem Platze sein könne; und so gewann er einen brauchbaren Freund statt eines unbrauchbaren. Auch der jetzige König fragt nach dem Grund wenn Einer von Denen welche da sein sollen fehlt.

So verfuhr er gegen Diejenigen welche nicht erschienen. Diejenigen aber welche sich stellten glaubte er am meisten zu schönen und guten Thaten ermuntern zu können, wenn er als ihr rechtmäßiger Herrscher 244 seinen Untergebenen sich als vollendetes Muster aller Tugenden darstellte. Denn er glaubte zu bemerken daß die Menschen schon durch geschriebene Gesetze besser werden; den guten Herrscher aber hielt er für ein sehendes Gesetz für die Menschen, weil er anordnen und die Unordentlichen sehen und bestrafen kann.

Nach diesem Grundsatze zeigte er sich jetzt zuerst in der Verehrung der Götter eifriger, weil er auf einer höhern Stufe des Glücks stand. Daher wurden die Magier eingesetzt, und regelmäßig mit Anbruch des Tages sang er Loblieder auf die Götter und brachte täglich den Göttern Opfer, welche die Magier angaben. Die damalige Einrichtung besteht noch jetzt bei dem jeweiligen König. Dieß ahmten nun auch die übrigen Perser nach, in der Meinung auch sie würden glücklicher werden wenn sie die Götter verehren, wie es der Glückseligste, ihr Beherrscher, that. Sie glaubten auch sich dem Kyrus dadurch gefällig zu machen. Kyrus aber war der Meinung die Frömmigkeit seiner Leute sei auch ihm heilsam, nach demselben Schlusse wie man lieber mit frommen Menschen auf dem Schiffe ist als mit solchen welche eines Verbrechens verdächtig sind. Zudem dachte er, wenn alle seine Staatsbeamten gottesfürchtig wären, so würden sie gegen einander und gegen ihn, der ihr Wohlthäter zu sein glaubte, weniger sich eine schlechte Handlung erlauben. Indem er ferner offen an den Tag legte daß er Viel darauf halte keinem Freunde oder Bundesgenossen Unrecht zu thun, sondern streng auf Gerechtigkeit sah, so glaubte er würden auch die Andern desto eher sich schändlichen Gewinns enthalten, und nur auf gerechtem Wege sich Etwas erwerben wollen. Auch Schamgefühl meinte er Allen am besten einflößen zu können, wenn er an den Tag legte daß er vor Allen solche Achtung habe daß er nichts Unanständiges spreche oder thue. Er schloß hier so: es ist nicht nur bei'm Fürsten, sondern auch bei Denen welche man nicht zu fürchten hat der Fall daß die Schamhaften mehr geachtet werden als die Schamlosen; und je schamhafter eine Frau ist, desto mehr Achtung nöthigt sie Jedem ab der sie sieht.

Gehorsam glaubte er seinen Leuten dadurch am tiefsten einzuprägen wenn er zeigte daß er Diejenigen welche ohne Widerrede gehorchen 245 mehr ehre als Die welche die größten und gefährlichsten Heldenthaten aufzuweisen hätten. Diesen Grundsätzen blieb er auch im Handeln unverbrüchlich getreu. Durch das Beispiel von Sittlichkeit das er gab bildete er Alle auch dazu. Denn wenn sie sehen daß Der welchem Ausschweifungen am ehesten erlaubt sind sich innerhalb der Schranken halte, so lassen sich die Schwächern weniger eine Ausschweifung zu Schulden kommen. Zwischen Schamhaftigkeit und Sittlichkeit machte er den Unterschied daß der Schamhafte öffentlich, der Sittliche auch im Verborgenen keine schlechte Handlung begeht. Die Enthaltsamkeit aber, glaubte er, werde am besten so geübt wenn er selbst das Beispiel gebe daß er sich durch das augenblickliche Vergnügen nicht vom Guten abziehen lasse, sondern vor dem Genusse lieber eine anständige Arbeit verrichte. Durch dieses Benehmen brachte er es dahin daß die Schlechtern in der Unterordnung unter die Bessern ihren Dienst beim Palast sehr regelmäßig versahen, und daß sie gegen einander stets in den Schranken der Schamhaftigkeit und des Anstands blieben. Da konnte man Keinen bemerken der vor Zorn schrie oder vor Freude unanständig lachte, sondern wenn man sie sah mußte man sie in der That für fein gebildete Menschen halten. Dieß thaten, dieß sahen sie bei ihrem Aufenthalt am Palaste.

Der kriegerischen Uebungen wegen führte er Diejenigen welche er einer solchen Uebung bedürftig glaubte auf die Jagd, indem er diese im Allgemeinen als die beste Uebung zum Krieg und als die passendste für die Reiterei ansah. Denn weil man den fliehenden Thieren nachsetzt, so lernt man hier am besten auf verschiedenem Boden fest schließen: und durch den Ehrgeiz und durch die Begierde Etwas zu bekommen macht sie am meisten zu Pferde gewandt. Zugleich gewöhnte er hier seine Umgebungen am meisten an Enthaltsamkeit und an Ertragung der Strapazen, der Kälte, der Hitze, des Hungers und des Durstes. Und noch jetzt nimmt der König mit seinen Umgebungen diese Uebungen regelmäßig vor.

Daß er nun glaubte Keinem gebüre die Herrschaft der nicht besser sei als die Beherrschten ist aus dem Gesagten deutlich, so wie daß er 246 bei dieser Uebung seiner Umgebungen am meisten sich selbst zur Enthaltsamkeit und zu kriegerischen Künsten und Uebungen gewöhnte. Denn er führte die Andern auf die Jagd, wenn kein dringender Grund zum Zuhausebleiben vorhanden war: er selbst aber jagte auch wenn es die Umstände nicht anders erlaubten, zu Haus die in den Thiergärten unterhaltenen Thiere: und er aß nicht eher bis er schwitzte, noch gab er den Pferden, ehe sie getummelt waren, Futter. Auch auf diese Jagd nahm er die Scepterträger die ihn umgaben mit. So kam es daß sowohl er als seine Umgebungen wegen der beständigen Uebung in allen edeln Fertigkeiten sich auszeichneten. Ein solches Beispiel gab er; außerdem ehrte er von den Andern Diejenigen welche den größten Eifer im Guten zeigten durch Geschenke, durch Würden, durch Ehrensitze und Auszeichnungen aller Art. Daher flößte er Allen einen großen Ehrgeiz ein vor ihm als ausgezeichnet zu erscheinen. Ich glaube aber an Kyrus bemerkt zu haben daß er der Meinung war, der Herrscher müsse nicht nur dadurch sich vor den Unterthanen auszeichnen daß er besser als sie sei, sondern er müsse sie auch durch einen gewissen Zauber blenden. Er wählte daher die Medische Tracht, und auf sein Zureden legten sie auch seine Umgebungen an. Er glaubte nämlich daß diese Kleidung alles Mangelhafte an dem Körper verberge und Diejenigen welche sie tragen schön und groß mache; denn die Schuhe sind von der Art daß man unbemerkt Etwas unterlegen kann, um größer zu scheinen als man ist. Auch das Bemalen der Augen führte er ein, damit die Augen schöner erscheinen, und das Schminken, damit die Haut schöner aussehe als sie von Natur ist. Auch empfahl er ihnen an öffentlichen Orten nie auszuspucken oder sich zu schneuzen, auch nicht sich umzuwenden um nach Etwas zu sehen (um zu zeigen daß sie Nichts bewundern). Das Alles, glaubte er, trage dazu bei den Untergebenen achtungswerther zu erscheinen.

So bildete er durch Uebung und durch seinen würdevollen Vorgang Diejenigen welche er zu seinen Regierungsbeamten bestimmte; Diejenigen aber welche er zur dienenden Klasse bestimmte forderte er weder zur Betreibung edler Uebungen auf noch gestattete er ihnen den 247 Besitz von Waffen: er sorgte aber dafür daß sie wegen [des Verbotes] der den Freien gestatteten Uebungen weder in Speise noch in Trank verkürzt würden. Denn wenn sie den Reitern Thiere auf das freie Feld trieben, so erlaubte er ihnen Speise auf die Jagd mitzunehmen, was keinem Freien gestattet war; auf dem Zuge ließ er sie, wie das Zugvieh, an das Wasser führen; wenn es Zeit zum Frühstück war, so wartete er auf sie, bis sie gegessen hatten, damit sie keinen zu großen Hunger bekämen. Daher nannten ihn auch Diese, wie die Vornehmen, Vater, weil er für sie sorgte, damit sie ohne Widerrede beständig Sklaven blieben.

Auf diese Weise verschaffte er der ganzen Herrschaft der Perser die nöthige Sicherheit; daß er selbst von den Unterjochten keine Gefahr zu befürchten habe, darüber war er ganz getrost. Denn er hielt sie für Schwächlinge, sah daß sie in keinem geordneten Verbande stehen, und zudem kam bei Tag und bei Nacht Keiner von ihnen auch nur in seine Nähe. Von denen hingegen welche er für die Kräftigsten hielt und bewaffnet und zusammengerottet sah, welche, wie er wußte, Anführer theils der Reiterei theils des Fußvolks waren, und sich zum Theil einbildeten als wären sie im Stande zu herrschen, überdieß mit seinen Wächtern in viele Berührung kamen und den Kyrus selbst öfters besuchten (denn Dieß war unvermeidlich, wenn er sie zu irgend einem Dienste gebrauchen wollte) – von Diesen hatte er auf verschiedene Weise Gefahr zu fürchten. Indem er nun darauf sann sich auch gegen Diese zu sichern, fand er es auf der Einen Seite nicht rathsam ihnen die Waffen abzunehmen und sie unkriegerisch zu machen (denn er hielt es für eine Ungerechtigkeit, die den Sturz seiner Herrschaft herbeiführen könnte): auf der andern Seite ihnen den Zutritt zu verwehren und Mißtrauen blicken zu lassen hielt er für den Anfang von Feindseligkeiten. Statt alles Dessen fand er es für das seiner Sicherheit zuträglichste und edelste Mittel wenn er die Kräftigsten mehr an seine Person als aneinander ketten könnte. Wie er Dieß erreicht, will ich darzustellen suchen.

2.

Vor Allem zeigte er zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit 248 Menschenfreundlichkeit im weitesten Kreise: denn er dachte, wie es nicht leicht ist Diejenigen von welchen man glaubt daß sie uns hassen zu lieben, oder den Uebelwollenden gewogen zu sein, so können auch Diejenigen deren freundschaftliche und wohlwollende Gesinnung man kennt von Denen welche sich geliebt glauben nicht wohl gehaßt werden. So lange er nun nicht die reellen Mittel hatte Wohlthaten zu spenden, suchte er durch Vorsorge für seine Freunde, durch Bemühungen für sie, durch Freudenbezeugungen über ihr Glück, durch Beileid bei ihrem Unglück und dergleichen ihre Freundschaft zu erwerben; nachdem er aber in die Lage gekommen war reelle Wohlthaten auszutheilen, so scheint er der Meinung gewesen zu sein daß keine Wohlthat welche die Menschen einander erweisen bei gleichem Aufwande angenehmer sei als die Mittheilung von Speisen und Getränken. Er richtete daher vor Allem seine Tafel so ein daß von derselben Art Speisen welche er genoß immer noch viele Portionen aufgestellt würden: diese vertheilte er dann alle, ausgenommen Das was er mit seinen Tafelgenossen verzehrte, an seine Freunde, denen er sein Andenken oder seine Freundschaft bezeugen wollte. Er schickte auch Denen zu welche bei Wachen oder beim Dienste oder bei andern Veranlassungen seine Zufriedenheit erworben hatten, um ihnen einen Beweis zu geben daß ihre Bemühungen sich ihm gefällig zu erzeigen ihm nicht verborgen geblieben seien.

Auch Diener denen er seine Zufriedenheit bezeugen wollte ehrte er mit einem Gerichte von seiner Tafel; ja er ließ das ganze Essen der Dienerschaft auf seine Tafel stellen, indem er glaubte, auch Dieses flöße ihnen, wie den Hunden, ein gewisses Wohlwollen ein. Wollte er Einen seiner Freunde bei'm großen Haufen in Ehren bringen, so sandte er ihm gleichfalls von seiner Tafel. Und es ist noch jetzt so, daß Jedermann Denen welchen von des Königs Tafel geschickt wird mehr Aufmerksamkeit bezeugt, weil man glaubt daß sie in großem Ansehen stehen und auswirken können um was sie bitten. Aber nicht nur aus den angegebenen Gründen erfreut Das was vom Könige geschickt wird, sondern in der That ist auch Das von der königlichen Tafel viel schmackhafter. Dieß ist auch kein Wunder. Denn gleichwie die übrigen Künste 249 in den großen Städten auf einen ausgezeichneten Grad vervollkommnet sind, so sind auch die Speisen des Königs äußerst fein zubereitet. In kleinen Städten macht der Nämliche Bettstellen, Thüren, Pflüge, Tische; ja der Gleiche baut oft auch Häuser und ist zufrieden wenn er auch so nur Arbeitgeber findet, um sich zu nähren; da ist es dann unmöglich daß Einer bei so vielen Zweigen der Kunst Alles gut mache. In großen Städten aber, wo es für jedes Einzelne viele Käufer gibt, ist Eine Kunst hinreichend um ihren Mann zu nähren, ja oft nicht einmal eine ganze, sondern der Eine macht Manns-, der Andere Weiberschuhe: ja hie und da lebt Einer blos vom Nähen, der Andere vom Zuschneiden der Schuhe; der Eine schneidet blos Kleider zu, der Andere, der von dem Allem nichts thut, setzt sie zusammen. Nothwendig muß nun Der welcher sich sein Lebenlang auf die einfachste Arbeit beschränkt sie auch am besten liefern. Ebenso ist es mit der Kochkunst. Denn wo Eine Person das Polster ausbreitet, den Tisch deckt, das Brod knetet, bald diese bald jene Zuspeise bereitet, da muß man es natürlich haben wie es jedesmal gelingt. Wo aber Einer ausschließend damit beschäftigt ist Fleisch zu kochen, ein Anderer es zu braten, Einer den Fisch zu kochen, ein Anderer ihn zu braten, ein Anderer Brod zu bereiten, und auch davon nicht einmal verschiedene, sondern nur Eine beliebte Art, so muß bei dieser Einrichtung jedes Einzelne ausgezeichnet gut zubereitet werden.

Bei dieser Zubereitung hatten die Speisen von der Tafel des Kyrus vor allen den Vorzug. Wie er aber auch sonst durch alle Arten von Aufmerksamkeit den Sieg davon trug, das will ich jetzt erzählen. Denn wenn er sich durch die Menge seiner Einkünfte vor allen Menschen weit auszeichnete, so zeichnete er sich noch weit mehr durch die Menge seiner Geschenke aus. Kyrus fieng Dieß an, und noch jetzt besteht bei den Königen die Sitte in Geschenken sehr freigebig zu sein. Denn wer kann reichere Freunde aufweisen als der König der Perser? Wer schmückt seine Umgebungen mit schönern Gewändern als er? Wessen Geschenke kennt man so leicht als solche, wie einige vom Könige, Spangen und Halsgeschmeide und Rosse mit goldenem Zügel? Denn Dieß 250 darf Niemand haben dem es der König nicht gegeben hat. Von wem sagt man daß er es durch Größe der Geschenke dahin gebracht habe daß er Brüdern, Vätern und Kindern vorgezogen würde? Wer sonst konnte Feinde die einen Weg von mehrern Monaten entfernt waren züchtigen wie der Perser-König? Wer sonst der eine Herrschaft erobert hatte wurde bei seinem Tode von den Unterthanen Vater genannt als Kyrus? Offenbar kommt dieser Name mehr einem Wohlthäter als einem Raubgierigen zu.

Wir haben auch in Erfahrung gebracht daß er die sogenannten Augen und Ohren des Königs auf keine andere Art erworben habe als durch Geschenke und Auszeichnungen. Denn dadurch daß er Diejenigen welche ihm wichtige Nachrichten mittheilten glänzend belohnte ermunterte er Viele auf Nachrichten die dem Könige nützlich werden könnten zu lauschen und zu spähen. Daher war denn auch angenommen daß der König viele Augen und viele Ohren habe. Zu glauben der König habe nur Ein Auge erwählt wäre Irrthum. Denn außerdem daß Einer nur wenig sehen und hören kann, wäre es den Andern gewissermaßen befohlen nachläßig zu sein, wenn Einer diesen Auftrag hätte. Zudem, wenn bekannt wäre wer das Auge sei würde man wissen daß man sich vor diesem in Acht zu nehmen habe. Aber Das ist nicht so; sondern der König hört Jeden an welcher sagt er habe etwas der Aufmerksamkeit Werthes gehört oder gesehen; daher glaubt man der König habe viele Ohren und viele Augen. Man scheut sich überall etwas dem Könige Nachtheiliges zu sprechen, als ob er es hörte, oder Derartiges zu thun, als ob er selbst da wäre. Daher wagte es Niemand auch nur leise etwas Schlimmes über Kyrus zu sagen; sondern Jeder benahm sich so als hätte er in jeder Gesellschaft lauter Augen und Ohren des Königs um sich; und von dieser Stimmung der Leute gegen ihn weiß ich keinen andern Grund anzuführen als daß er kleine Dienste mit großen Wohlthaten belohnte.

Zwar daß er sich durch Größe der Geschenke auszeichnete ist bei seinem Reichthum kein Wunder; aber daß er sich als König durch Aufmerksamkeit und Sorgfalt für seine Freunde hervorthat verdient mehr 251 Beachtung. Bei Nichts war ihm die Beschämung so sehr anzusehen wenn er übertroffen wurde, als bei der Aufmerksamkeit für die Freunde. Man erzählt sich einen Ausspruch von ihm, nach welchem er gesagt habe, der Beruf eines guten Hirten und eines guten Königs sei gleich. Der Hirt müsse, um Nutzen von seiner Heerde zu ziehen, sie glücklich machen, so weit nämlich Schafe glücklich sein können; ebenso müsse der König Städte und Menschen glücklich machen, wenn er sie benützen wolle. Bei dieser Gesinnung ist es kein Wunder wenn er es als Ehrenpunct betrachtete es allen Menschen in Dienstgeflissenheit zuvor zu thun.

Einen schönen Beweis davon soll Kyrus dem Krösus gegeben haben, als Dieser ihn erinnerte, er werde durch sein vieles Geben arm werden, da er für Einen Mann sehr große Schätze in seinem Hause aufhäufen könnte. Darauf soll ihn Kyrus gefragt haben: »wie viel Geld, glaubst du wohl, würde ich jetzt haben wenn ich deinem Rathe gemäß, seitdem ich die Herrschaft habe, Gold aufgehäuft hätte?« Krösus habe eine große Summe gesagt, worauf Kyrus erwiderte: »wohlan denn, Krösus, gib dem Hystaspes hier einen Mann mit, auf den du das meiste Vertrauen setzest. Du aber, Hystaspes, mache bei meinen Freunden die Runde, sage ihnen, ich brauche zu irgend einer Unternehmung Geld (was auch wirklich der Fall ist), und fordere sie auf, Jeder solle mir so viel Geld als er könne vorschießen; wie viel sie geben wollen sollen sie dem Diener des Krösus schriftlich und gesiegelt geben. Er fertigte Schreiben gleichen Inhalts aus, die er dem Hystaspes gesiegelt übergab, um sie seinen Freunden zu überbringen: Allen empfahl er den Hystaspes als seinen Freund aufzunehmen. Nachdem dieser die Runde gemacht und der Diener des Krösus die Briefe überbracht hatte sagte Hystaspes: »König Kyrus, auch mich darfst du jetzt als einen Reichen betrachten, denn ich habe deinen Briefen viele Geschenke zu verdanken.« Kyrus erwiderte: »Auch dieser, Krösus, ist jetzt Einer unserer Schätze; nun sieh bei den Andern nach und rechne zusammen, wie viel Geld mir zu Gebot steht, wenn ich es brauche.« Bei'm Zusammenrechnen soll Krösus weit mehr herausgebracht haben als er gesagt hatte daß Kyrus haben würde wenn er gesammelt hätte. 252 Nachdem Dieß erwiesen war soll Kyrus gesagt haben: »siehst du, Krösus, wie auch ich Schätze habe. Aber du räthst mir sie bei mir aufzuhäufen und mich ihretwegen beneiden und hassen zu lassen und sie gemietheten Wächtern, die ich darüber setze, anzuvertrauen. Wenn ich aber meine Freunde bereichere, so glaube ich an ihnen Schätze und getreuere Wächter meiner Person und meiner Güter zu haben als wenn ich gemiethete Wachen darüber aufstellte. Ich will Dir noch etwas Anderes sagen, Krösus: über den Hang den die Götter in die Seelen der Menschen gepflanzt und dadurch Alle gleich arm gemacht haben kann auch ich nicht Meister werden, sondern auch ich bin, wie die Andern, unersättlich im Geld; aber dadurch glaube ich mich von den Meisten zu unterscheiden daß die Einen, wenn sie mehr als das Hinreichende erworben haben, es theils vergraben, theils vermodern lassen, theils mit Zählen, Messen, Wägen, Auslüften und Bewachen beunruhigt werden: und dennoch können sie, wenn sie es im Hause haben, weder Mehr essen oder ertragen (sonst müßten sie bersten), noch Mehr anziehen als sie tragen können (sonst müßten sie ersticken); sondern an dem überflüssigen Besitz haben sie nur eine Last. Ich aber folge diesem von den Göttern eingepflanzten Hange und strebe immer nach Mehrerem; wenn ich aber mehr erworben habe als meine Bedürfnisse erfordern, so helfe ich damit dem Mangel meiner Freunde ab: und dadurch daß ich die Menschen bereichere und ihnen wohlthue erwerbe ich mir ihr Wohlwollen und ihre Freundschaft, und die Frucht davon ist Sicherheit und Ruhm, die weder vermodern noch im Uebermaß vorhanden belästigen: sondern der Ruhm, je größer er ist, desto größer und schöner und leichter zu tragen wird er, und erleichtert oft auch Die welche ihn tragen. Damit Du aber auch Das wissest, Krösus: ich halte nicht Diejenigen welche am meisten haben und bewachen für die Glücklichsten (denn sonst wären Die welche die Mauern bewachen die Glücklichsten; denn sie bewachen Alles was in der Stadt ist); sondern Den welcher auf gerechtem Wege am meisten erwerben und auf anständige Art am meisten gebrauchen kann, Den halte ich für den Glücklichsten.« Und so wie er hier sprach zeigte er sich auch im Handeln.

253 Er hatte ferner bemerkt daß die meisten Menschen, wenn sie anhaltend gesund sind, sich mit Lebensmitteln versehen und sich mit Dem was zur Kost der Gesunden taugt einrichten, dafür aber daß sie das für Krankheiten Passende bei der Hand haben wenig Sorge tragen; er beschloß daher auch diesem Uebelstande abzuhelfen und versammelte die besten Aerzte mit Aussetzung einer Belohnung um sich: und Diese durften nur sagen was für Werkzeuge, Arzneien, Speisen oder Getränke sie für tauglich hielten, so schaffte er sogleich einen Vorrath davon an. Und wenn einer krank wurde an dessen Genesung gelegen war, so besuchte er ihn und gab Alles her was er bedurfte. Den Aerzten aber wußte er Dank wenn sie bei der Heilung die bei ihm vorräthigen Mittel anwandten.

Durch solche und viele ähnliche Mittel suchte er bei Denen von welchen er geliebt sein wollte den Vorrang zu gewinnen. Die Kämpfe aber die er angeordnet, und die Preise die er ausgesetzt hatte, wodurch er Wetteifer für schöne und gute Uebungen erregen wollte, brachten dem Kyrus zwar Lob, weil er für die Uebung der Tugend sorgte, unter den Vornehmen aber erregten diese Wettkämpfe Streit und Eifersucht. Außerdem machte es Kyrus gewissermaßen zum Gesetz daß in Fällen die der Entscheidung bedürften, sei es im Gericht oder im Kampfe, Diejenigen welche die Entscheidung verlangen sich über die Wahl der Richter vereinigen sollen. Man kann sich denken daß nun beide streitenden Parteien die Vornehmsten und ihre besten Freunde zu Richtern wählten; die verlierende Partei aber beneidete die siegende und war den Richtern böse daß sie nicht zu ihren Gunsten gesprochen: die siegende dagegen gab sich das Ansehen daß sie durch Recht siege, und glaubte sich daher Niemandem zum Danke verpflichtet.

Auch Die welche in der Freundschaft bei Kyrus den ersten Rang einnehmen wollten waren, wie es sonst in den Freistaaten der Fall ist, eifersüchtig auf einander, so daß die Meisten einander lieber aus dem Wege geräumt hätten als zu etwas Gutem behülflich gewesen wären.

So habe ich nun das Verfahren angegeben welches Kyrus befolgte um die Vornehmen mehr an sich als aneinander zu ketten. 254

3.

Nun wollen wir beschreiben wie Kyrus das erste Mal aus dem Palast auszog; denn das Ehrfurchtgebietende bei diesem Aufzuge scheint uns zu den Künsten zu gehören die er ersann, um die Herrschaft in Achtung zu erhalten. Zuerst vor dem Auszuge berief er die Würdenträger von den Persern und den Bundesgenossen zu sich und theilte unter sie Medische Kleider aus (es war damals das erste Mal daß die Perser ein Medisches Kleid anzogen), und sagte ihnen dabei, er wolle auf die den Göttern geweihten Plätze ziehen und mit ihnen ein Opfer bringen. »Erscheinet daher, mit diesen Kleidern geschmückt, vor Sonnenaufgang an der Pforte, und stellet euch, wie euch Pheraulas der Perser in meinem Namen bekannt machen wird; und wenn ich den Zug beginne, so folget in der angegebenen Ordnung. Glaubt aber Einer von euch, der Zug würde sich auf eine andere Art schöner ausnehmen, der theile mir nach unserer Rückkunft seine Meinung mit; denn es muß Alles eingerichtet werden wie es euch am schönsten und besten scheint.« Nachdem er unter die Vornehmsten die schönsten Kleider ausgetheilt hatte ließ er auch noch andere Medische Kleider herausbringen; denn er hatte eine Menge machen lassen, wobei er purpurne, dunkelrothe, scharlachene und blutrothe Stoffe gar nicht sparte. Er gab jedem der Führer seinen Theil davon, mit der Weisung ihre Freunde damit zu schmücken, »wie ich«, sprach er, »euch schmücke.« Da fragte ihn Einer der Anwesenden: »wann aber wirst du dich schmücken, Kyrus?« Er antwortete: »scheine ich denn euch jetzt nicht geschmückt zu sein wenn ich euch schmücke? Gewiß, wenn ich meinen Freunden wohlthun kann, so werde ich schön erscheinen, ich mag ein Kleid anhaben welches ich will.« So giengen denn diese hin, schickten nach ihren Freunden und schmückten sie mit den Kleidern.

Kyrus berief nun den Pheraulas, einen Mann von gemeinem Stande, den er aber für verständig, geschmackvoll, wohlgeordnet und dienstwillig gegen seine Person hielt, Denselben der einst seinen Vorschlag daß Jeder nach Würden belohnt werden solle unterstützt hatte, und gieng mit ihm zu Rathe, wie er den Aufzug für die Wohlwollenden am schönsten, für die Uebelwollenden am furchtbarsten machen 255 könnte. Nachdem sie sich in der gleichen Ansicht vereinigt hatten gab er dem Pheraulas Auftrag dafür zu sorgen daß der Aufzug morgen auf die von ihnen beschlossene Weise vor sich gehe. »Ich habe befohlen,« fuhr er fort, »daß in Betreff der Ordnung bei'm Zuge Alle dir gehorchen sollen. Damit sie aber deinem Befehle lieber folgen, so nimm diese Gewänder und bringe sie den Anführern der Lanzenträger. Diese Reitröcke gib den Anführern der Reiter, und den Anführern der Wagen diese übrigen Kleider.« Er nahm sie mit. Als ihn aber die Führer erblickten sprachen sie: »du bist ein großer Mann geworden, daß du auch uns befiehlst was wir thun sollen.« – »Bewahre mich Zeus,« erwiderte Pheraulas, »dazu hat es so wenig den Anschein daß ich sogar noch unter die Packträger kommen werde; wenigstens bringe ich diese zwei Reitröcke da, den einen für dich, den andern für einen Andern: nimm du davon welchen du willst.« Da vergaß Der welcher den Reitrock empfieng des Neides und gieng sogleich mit ihm zu Rathe, welchen er nehmen solle. Er rieth ihm zu dem besten, sagte aber: »wenn du mich verräthst daß ich dir die Wahl gelassen habe, so wirst du, wenn ich dir wieder Etwas zu überbringen habe, einen andern Ueberbringer an mir finden.« Nachdem Pheraulas die Austheilung so wie ihm befohlen war vollzogen hatte, so machte er sogleich Anstalten um den Zug auf's schönste anzuordnen.

Am folgenden Tage war vor Sonnenaufgang Alles im Reinen: auf beiden Seiten der Straße standen Reihen, wie sie noch jetzt aufgestellt werden wenn der König ausziehen will; innerhalb dieser hat Niemand als die Vornehmen einen Zugang. Es waren Leute mit Peitschen aufgestellt, welche dreinhieben wenn Jemand die Ordnung störte. Zuerst standen gegen viertausend Lanzenträger vor der Pforte, vier Mann hoch, und zweitausend auf beiden Seiten der Pforte. Auch alle Reiter waren da, von den Pferden abgestiegen, und hatten die Hände in das Obergewand gesteckt, wie es noch jetzt in Anwesenheit des Königs Sitte ist. Die Perser standen auf der rechten, die Bundesgenossen auf der linken Seite des Wegs, ebenso die Streitwagen, auf jeder Seite die Hälfte. Als sich die Pforten des Palastes öffneten, so 256 wurden zuerst dem Zeus ausgezeichnet schöne Stiere, je vier und vier, herausgeführt, und für die andern Götter welche die Magier angaben: denn die Perser glauben, bei Verehrung der Götter müsse man viel mehr als bei andern Dingen Sachverständige zu Rathe ziehen. Nach den Stieren wurden Pferde aufgeführt, zum Opfer für die Sonne; auf diese ein weißer Wagen mit goldenem Joch, bekränzt, dem Zeus heilig; nach diesem ein weißer Wagen der Sonne, auch dieser, wie der frühere, bekränzt; nach diesem wurde ein dritter Wagen herausgeführt, die Pferde mit Purpur behangen, und hinter ihm folgten Männer welche Feuer auf einem großen Altar trugen. Nach diesem kam Kyrus selbst auf einem Wagen aus der Pforte hervor, mit aufrecht stehendem Turban, purpurnem Unterkleid, mit weißem Streif in der Mitte (was kein Anderer haben darf); um die Beine carmosinrothe Beinschienen, und ein ganz purpurnes Obergewand. Um den Turban hatte er noch ein Diadem; seine Verwandten hatten dasselbe Zeichen, und ebenso haben sie es noch jetzt. Die Hände hatte er außerhalb der Aermel. Neben ihm stand ein großer Wagenlenker, der jedoch kleiner als er war, mochte es Natur oder auf irgend eine Art gemacht sein: Kyrus erschien viel größer. Bei seinem Anblicke fielen Alle nieder, sei es daß Einige Befehl hatten den Anfang zu machen, oder daß sie durch die Pracht des Aufzuges und durch das große und schöne Aussehen des Kyrus in Staunen gesetzt waren. Vorher fiel kein Perser vor Kyrus nieder.

Nachdem der Wagen des Kyrus aus dem Palast hervor war zogen die viertausend Lanzenträger voraus und die zweitausend folgten auf beiden Seiten des Wagens. Ungefähr dreihundert Scepterträger, welche seine gewöhnliche Umgebung waren, folgten zu Pferde, mit ihren Lanzen ausgerüstet. Dann wurden die von Kyrus gehaltenen Pferde mit goldnen Zügeln, und mit gestreiften Decken behangen, gegen zweihundert aufgeführt: auf diese folgten zweitausend Speerträger; auf diese die zuerst errichtete Schaar der zehntausend Reiter, hundert Mann hoch gestellt, unter Anführung des Chrysantas; auf Diese zehntausend andere Persische Reiter, ebenso gestellt, unter Anführung des Hystaspes; auf Diese zehntausend Andere unter Anführung des Datamas: 257 auf Diese eine andere Abtheilung unter Anführung des Gadatas; hierauf Medische Reiter, auf Diese die Armenischen, dann die Hyrkanischen, dann die Kadusischen, dann die Sakischen. Nach den Reitern waren die Streitwagen gestellt, je vier, unter Anführung des Persers Artabatas.

Dem Zuge zur Seite folgten eine Menge Menschen außerhalb der Schranken; der Eine hatte Dieß, der Andere hatte Jenes von Kyrus zu bitten. Er sandte daher einige der Scepterträger, die ihm drei auf jeder Seite des Wagens folgten, an sie ab und ließ ihnen sagen, wenn sie Etwas von ihm wollten, so sollten sie ihre Wünsche einem der Befehlshaber der Reiterei vortragen; Diese würden es sodann ihm sagen. Alsbald wandte sich nun der Haufe an die Reiter und berathschlagte, wen Jeder angehen sollte.

Diejenigen seiner Freunde welche Kyrus von dem Volk am meisten geehrt wissen wollte ließ er einzeln zu sich rufen, und sagte zu ihnen: »wenn euch Einer von diesem nachlaufenden Haufen Etwas vorträgt das euch unbedeutend scheint, so gebt ihm kein Gehör; wenn aber Einer eine gerechte Bitte vorzubringen scheint, so setzet mich davon in Kenntniß, damit wir sie nach gemeinschaftlicher Berathschlagung gewähren.« Alle nun welche er zu sich rief sprengten schnell und bereitwillig herbei, erhöhten dadurch den Herrscherglanz des Kyrus und zeigten ihren strengen Gehorsam. Ein gewisser Daïpharnes aber, ein etwas ungebildeter Mensch, bildete sich ein, er würde sich vornehmer ausnehmen wenn er nicht schnell gehorchte. Als Kyrus Dieß bemerkte schickte er, ehe er zu ihm kam und mit ihm sprach, einen der Scepterträger hin und ließ ihm sagen, er brauche ihn nicht mehr: und in der Folge ließ er ihn nicht mehr rufen. Als aber der nach ihm Gerufene noch vorher auf dem Platze war, gab ihm Kyrus eines der nachfolgenden Pferde, und befahl einem der Scepterträger es ihm hinzuführen wohin er es haben wolle. Die welche Dieß sahen erblickten darin eine hohe Auszeichnung, und von nun an bemühten sich viel Mehrere um seine Gunst.

258 Nachdem sie bei den geweihten Plätzen angekommen waren opferten sie dem Zeus, wobei sie die Stiere ganz verbrannten; sodann der Sonne und verbrannten die Pferde. Dann brachten sie der Erde ein Opfer nach den von den Magiern angegebenen Gebräuchen, dann den Heroen welche Syrien beschützen. Sodann steckte er auf der Ebene, die er schön fand, ein Ziel von etwa fünf Stadien aus und befahl den Reitern, nach Völkern abgetheilt, darüber hin zu sprengen. Mit den Persern ritt er selbst und gewann den Sieg: denn im Reiten übte er sich am meisten. Unter den Medern siegte Artabatas (er hatte sein Pferd von Kyrus zum Geschenk erhalten), unter den Syrern ihr Anführer, unter den Armeniern Tigranes, unter den Hyrkaniern der Sohn des Anführers, unter den Sakern ein gemeiner Soldat; er ließ nämlich mit seinem Pferde die Uebrigen beinahe um die Hälfte der Laufbahn hinter sich. Da soll Kyrus den Jüngling gefragt haben, ob er ein Königreich für sein Pferd annähme? Er antwortete: »ein Königreich würde ich nicht annehmen, aber einen rechtschaffenen Mann mir zum Danke zu verpflichten, das ließe ich mir gefallen.« Da sagte Kyrus: »ich will dir einen Platz zeigen wo du blind hin werfen darfst, ohne einen braven Mann zu verfehlen.« – »Den Platz zeige mir doch,« erwiderte der Saker: »dann will ich die Hand aufheben und mit diesem Erdenklose werfen.« Kyrus zeigte ihm die Stelle wo die Meisten seiner Freunde waren. Er warf geschlossenen Auges mit dem Klose und traf den Pheraulas, der vorbei ritt. Dieser richtete gerade einen Befehl von Kyrus aus: er kehrte sich aber bei dem Wurfe nicht einmal um, sondern richtete seinen Auftrag aus. Der Saker blickte auf und fragte, wen er getroffen habe? »Bei'm Zeus,« sprach Kyrus, »Keinen der Anwesenden.« – »Doch Keinen der Abwesenden?« erwiderte der Jüngling. – »O ja,« sprach Kyrus, »du hast Jenen, der schnell nach dem Wagen hin sprengte, getroffen.« – »Aber wie kommt es daß er sich nicht umwandte?« Kyrus erwiderte: »er ist rasend, wie es scheint.« Nachdem der Jüngling Dieß gehört hatte gieng er hin um zu sehen, wer er sei, und findet den Pheraulas, das Kinn voll Erde und Blut; dieß war ihm vom Wurfe aus der Nase herabgeströmt. Er gieng zu 259 ihm hin und fragte ihn, ob er geworfen worden sei? – »Wie du siehst,« antwortete er. – »So gebe ich dir denn dieses Pferd.« – »Wofür?« fragte Pheraulas. Darauf erzählte der Saker die Geschichte und sagte zuletzt: »ich glaube wirklich einen wackern Mann getroffen zu haben.« Pheraulas erwiderte: »wärest du klug gewesen, so hättest du es einem Reichern geschenkt als ich bin; nun aber will auch ich es annehmen. Ich bitte aber zu den Göttern, die gemacht haben daß ich von dir geworfen wurde, mich in den Stand zu setzen es so zu machen daß dich das mir gegebene Geschenk nicht gereue. Für jetzt besteige mein Pferd und reite fort: ich werde wieder zu dir kommen.« So machten sie also einen Tausch.

Unter den Kadusiern trug Radines den Sieg davon. Auch mit den Streitwagen veranstaltete Kyrus bei jeder Abtheilung ein Wettrennen. Allen Siegern gab er Stiere, damit sie einen Opferschmaus halten möchten, und Becher. Einen Stier nahm auch er als Siegespreis an; von den Bechern aber gab er seinen Theil dem Pheraulas, weil er mit seiner Anordnung des Zuges aus dem Palaste wohl zufrieden war. Wie damals der Zug von Kyrus eingerichtet wurde wird er noch jetzt vom Könige gehalten; nur die Opferthiere bleiben weg, wenn er nicht opfert. Als Dieß zu Ende war kamen sie wieder in die Stadt, und Diejenigen denen Wohnungen gegeben worden waren lagerten sich in den Wohnungen, Diejenigen welche keine hatten im Lager.

Nun lud auch Pheraulas den Saker der ihm das Pferd geschenkt hatte ein und bewirthete ihn; er gab ihm Alles im Ueberfluß; und nachdem sie gespeist hatten füllte er die Becher welche er von Kyrus empfangen hatte, trank sie ihm zu und schenkte sie ihm. Als der Saker die große und schöne Decke, die reichliche und prächtige Einrichtung und die viele Dienerschaft sah sagte er: »sage mir, Pheraulas, gehörtest du auch zu Hause unter die reichen Bürger?« Pheraulas sprach: »wie, zu den Reichen? Ich gehörte im Gegentheil zu Denen welche im eigentlichen Sinne des Worts von der Arbeit ihrer Hände leben. Mein Vater ließ mir zwar die Bildung welche Knaben zu erhalten pflegen geben, mich kümmerlich mit seiner Arbeit ernährend: als ich 260 aber ein Jüngling wurde konnte er mich nicht ernähren, wenn ich nicht arbeitete; er nahm mich daher auf das Feld mit und hielt mich zur Arbeit an. Da ernährte dann ich ihn, so lange er lebte; ich grub und besäete ein ganz kleines Stück Landes, das jedoch nicht schlecht, vielmehr äußerst gerecht war; denn allen Saamen den es empfieng gab es recht und gerecht mit mäßigem Zins zurück. Einmal gab es aus Edelmuth doppelt soviel zurück als es empfangen hatte. So lebte ich zu Hause. Nun aber hat mir Kyrus das Alles was du siehst gegeben.« Da antwortete der Saker: »du Glücklicher, besonders auch darum weil du von armem Stand aus reich geworden bist; denn ich glaube daß du auch darum das Glück des Reichthums weit angenehmer empfinden mußt weil du, nachdem du den Mangel erfahren hast, reich geworden bist.« Pheraulas sprach: »Glaubst du, Saker, daß ich jetzt um so angenehmer lebe, je mehr ich besitze? Weißt du nicht daß ich gegenwärtig nicht um das Mindeste angenehmer esse, trinke und schlafe als zu der Zeit meiner Armut? Von diesem Reichthum habe ich so viel Gewinn daß ich mehr aufbewahren, mehr an Andere austheilen und, weil ich für mehr zu sorgen habe, mehr arbeiten muß. Denn jetzt verlangen viele Diener von mir zu essen, zu trinken, und Kleider; Andere brauchen Aerzte; da kommt Einer und bringt Schafe die der Wolf zerrissen hat, oder Stiere die in den Abgrund gestürzt sind, oder meldet eine Seuche habe die Heerden befallen; so daß ich jetzt durch meinen großen Besitz mehr Unlust zu haben glaube als vorher durch meinen wenigen.« Der Saker erwiderte: »aber, bei'm Zeus, wenn Alles in gutem Zustand ist, so muß der Anblick des großen Reichthums dir viel mehr Freude gewähren als ich habe.« – »Saker,« sagte darauf Pheraulas, »Reichthum zu besitzen ist nicht so angenehm als es unangenehm ist ihn zu verlieren. Du wirst einsehen daß ich Recht habe. Keiner der reich ist wird aus Wohlbehagen gezwungen zu wachen; von Denen aber welche ihren Reichthum verloren haben siehst du nicht leicht Einen der vor Betrübniß schlafen kann.« – »Ja bei'm Zeus,« erwiderte der Saker, »man sieht ja selbst von Denen welche Etwas bekommen nicht leicht Einen der vor Vergnügen einschlafen 261 kann.« – »Du hast Recht,« erwiderte er: »denn wenn das Haben so angenehm wäre wie das Empfangen, so wären die Reichen ungleich glücklicher als die Armen. Auch muß, lieber Saker, Derjenige welcher Viel hat auch Viel aufwenden, für Verehrung der Götter, für Freunde und Gastfreunde. Wer nun eine große Freude am Geld hat, dem thut es, was nicht zu vergessen ist, auch sehr weh wenn er viel ausgeben muß.« – »Bei'm Zeus,« erwiderte der Saker, »zu Diesen gehöre ich nicht, sondern ich halte auch Dieß für ein Glück wenn man Viel hat auch Viel auszugeben.« – »Nun, bei den Göttern,« sprach Pheraulas, »bist du nicht im Augenblick sehr glücklich geworden und hast mich glücklich gemacht: nimm dieses Alles in Besitz und gebrauche es wie du willst; mich aber unterhalte nicht anders als einen Gastfreund, ja noch geringer als einen Gastfreund. Denn mir wird es genügen an Dem was du hast Theil zu nehmen.« – »Du scherzest,« sagte der Saker. Pheraulas aber bekräftigte eidlich daß er im Ernste spreche. »Und noch mehr, lieber Saker, will ich dir bei Kyrus auswirken daß du weder an der Pforte Dienst thun noch in's Feld ziehen darfst. Bleibe du als ein reicher Mann zu Hause; ich will Dieß für dich und für mich thun. Und wenn ich durch den Dienst bei Kyrus oder auf einem Feldzug noch etwas Gutes gewinne, so will ich es dir bringen, damit du über noch Mehr zu gebieten hast. Nur enthebe mich dieser Sorge; denn wenn ich damit nichts mehr zu schaffen habe, so glaube ich daß du mir und dem Kyrus sehr nützlich werden wirst.« Nachdem Dieß so gesprochen war kamen sie darüber überein und führten es aus. Der Eine glaubte glücklich geworden zu sein, weil er über viel Geld zu verfügen hatte; der Andere glaubte selig zu sein daß er einen Aufseher bekomme der ihm Muße gewähre zu thun was ihm angenehm wäre.

Der Charakter des Pheraulas war für Freundschaft gestimmt, und nichts schien ihm so angenehm und nützlich als gegen Menschen gefällig zu sein. Denn den Menschen hielt er für das beste und dankbarste unter allen Geschöpfen, weil er sah daß Diejenigen welche gelobt werden Den der sie gelobt mit Freuden wieder loben und sich bestreben 262 Denen welche ihnen gefällig sind Gegendienste zu erweisen; daß sie wohlwollende Gesinnung erwidern und Diejenigen von welchen sie sich geliebt wissen nicht hassen können; und daß sie mehr als alle lebende Geschöpfe ihren Aeltern, lebend oder todt, die erhaltenen Wohlthaten zu vergelten suchen. Alle andere lebenden Geschöpfe hielt er für undankbarer und unerkenntlicher als den Menschen. So freute sich denn Pheraulas über die Maßen, daß es ihm vergönnt sein sollte der Sorge für seine Besitzungen enthoben sich seinen Freunden widmen zu können; der Saker aber, daß er Viel besitze und Viel genießen dürfe. Der Saker liebte den Pheraulas, weil er ihm immer Etwas mitbrachte, und Pheraulas den Saker, weil er Alles bereitwillig annahm und, unerachtet er immer für mehr zu sorgen hatte, ihn doch nie in seiner Muße störte. Auf diese Weise lebten Diese.

4.

Nachdem auch Kyrus geopfert hatte lud er Diejenigen seiner Freunde welche sich am thätigsten zeigten seinen Glanz zu erhöhen und ihn mit dem meisten Wohlwollen ehrten zum Siegesmahl ein. Den Meder Artabazus, den Armenier Tigranes, den Reitereianführer der Hyrkanier, und den Gobryas lud er auch dazu. Den Gadatas machte er zum Befehlshaber der Scepterträger, und nach seiner Anordnung wurde die ganze Hofhaltung eingerichtet. Wenn Gäste gebeten waren, so setzte sich Gadatas nicht, sondern führte die Aufsicht; wenn sie aber allein waren, so speiste er auch mit, denn Kyrus liebte seine Gesellschaft, und er wurde dafür mit reichlichen und großen Geschenken von Kyrus und um des Kyrus willen von Andern beehrt. Wenn nun die Eingeladenen zum Essen kamen, so setzte er sie nicht wie es gerade der Zufall gab, sondern Den welchen er am meisten ehrte an die linke Seite, weil hier eher als auf der rechten ein Angriff möglich ist; den Zweiten setzte er auf die rechte, den Dritten wieder auf die linke, den Vierten auf die rechte, und sofort, wenn es Mehrere sind.

Diese öffentliche Erklärung wie hoch er Jeden achte hielt er für gut, weil die Menschen da wo sie glauben der Ausgezeichnete habe weder öffentlichen Ruhm noch Ehrenpreise zu erwarten offenbar keinen Wetteifer unter einander haben: wo aber der Ausgezeichnete 263 hervorgezogen wird, da zeigt sich bei Allen ein reger Wetteifer. Kyrus sprach auf diese Weise aus, wer am meisten bei ihm galt – und machte den Anfang gleich bei den Plätzen im Sitzen und Stehen. Jedoch stellte er den angewiesenen Sitz nicht auf alle Zeiten fest, sondern machte es zum Gesetz daß man durch gute Handlungen auf einen ehrenvollern Sitz vorrücken, durch Nachlässigkeit auf einen minder ehrenvollen zurückversetzt werden konnte. Er machte es sich aber zur Ehrensache daß Der welcher obenan saß auch am meisten Gutes von ihm aufzuweisen haben sollte. Diese unter Kyrus getroffenen Einrichtungen bestehen, wie wir wissen, noch jetzt.

Während des Essens fand es Gobryas zwar nicht befremdend daß bei einem so großen Herrscher die Tafel reichlich besetzt war, aber Das daß Kyrus, als ein so mächtiger Mann, Nichts von Dem was ihm zu schmecken schien allein verzehrte, sondern die Anwesenden angelegentlich bat es mit ihm zu theilen: ja er bemerkte daß er oft einigen abwesenden Freunden von Dem schickte was ihm zusagte. Als daher das Essen geendet und Kyrus alles Uebriggebliebene, was sehr viel war, nach verschiedenen Seiten versendet hatte, so sprach Gobryas: »Bisher glaubte ich, Kyrus, dein Hauptvorzug sei dein Feldherrntalent; nun aber schwöre ich bei den Göttern, du scheinst mir durch Menschenfreundlichkeit dich noch mehr auszuzeichnen als durch Feldherrntalent.« – »Ganz gewiß,« erwiderte Kyrus: »ich verrichte auch Handlungen der Menschenfreundlichkeit weit lieber als der Feldherrnkunst.« – »Wie so?« fragte Gobryas. – »Weil man,« erwiderte Kyrus, »bei den einen den Menschen Böses thun muß, bei den andern Gutes.«

Nachdem sie hierauf ziemlich getrunken hatten fragte Hystaspes den Kyrus, »würdest du mir wohl böse sein, Kyrus, wenn ich dich um Etwas das ich von dir zu erfahren wünsche fragte?« – »Bei den Göttern,« erwiderte Kyrus, »im Gegentheil würde ich dir böse sein wenn ich wüßte daß du Das was du fragen willst verschweigest.« – »Nun so sage mir: bin ich schon einmal nicht gekommen, wenn du mich rufen ließest?« – »Sprich doch von so Etwas nicht,« erwiderte Kyrus. – »Oder habe ich, wenn ich gehorchte, es langsam gethan?« 264 – »Auch Das nicht.« – »Oder habe ich schon einen Befehl von dir nicht vollbracht?« – »Ich gebe dir Dessen keine Schuld,« sprach Kyrus. – »Oder hast du je bemerkt daß ich Das was ich that nicht willig und mit Freuden gethan habe?« – »Das am allerwenigsten,« versetzte Kyrus. – »Warum also, bei den Göttern, Kyrus, hast du dem Chrysantas einen ehrenvollern Platz angewiesen als mir?« – »Soll ich es sagen?« sprach Kyrus. – »Allerdings,« erwiderte Hystaspes. – »Wirst du mir's aber auch nicht übelnehmen, wenn du die Wahrheit hörst?« – »Ich werde mich im Gegentheil freuen, wenn ich weiß daß mir kein Unrecht geschieht.«

»Nun,« sprach Kyrus, »dieser Chrysantas wartete für's Erste gar nicht auf den Ruf, sondern erschien meiner Geschäfte wegen ehe er gerufen wurde. Sodann that er nicht nur Das was ihm befohlen wurde, sondern auch Das was er selbst uns vortheilhaft glaubte. Sollte den Bundesgenossen Etwas gesagt werden das, wie er glaubte, mir zu sagen zustand, so rieth er es mir; merkte er aber daß ich den Bundesgenossen Etwas bekannt gemacht wünsche, aber Anstand nehme es in meiner eignen Angelegenheit zu sagen, Das sprach er als seine eigene Meinung aus. Muß ich ihn bei diesen Umständen nicht ohne Bedenken noch über mich selbst setzen? Ihm, sagte er immer, genüge Alles was er habe; aber wie er mir einen neuen Vortheil zuwenden könne, darauf sieht man ihn immer bedacht. Und über mein Glück ist er mehr erfreut als ich.«

Darauf erwiderte Hystaspes: »Bei der Hera, es ist mir lieb daß ich diese Frage an dich gemacht habe.« – »Warum hauptsächlich?« fragte Kyrus. »Weil auch ich versuchen will es so zu machen. Nur Eins weiß ich nicht: wie ich meine Freude über dein Glück an den Tag legen solle, ob ich in die Hände klatschen oder lachen oder was ich thun soll?« Artabazos sagte: »du mußt den Persischen Tanz aufführen.« Darüber wurde gelacht.

Im Verlauf des Mahles fragte Kyrus den Gobryas: »sage mir, Gobryas, würdest du wohl jetzt deine Tochter lieber Einem von Diesen geben als damals wo du das erste Mal mit uns zusammenkamst?« – 265 »Soll ich also auch die Wahrheit sagen?« sprach Gobryas. – »Allerdings; denn keine Frage verlangt eine unwahre Antwort.« – »Nun so will ich dir denn gestehen, ich gebe sie jetzt viel lieber.« – »Kannst du auch sagen, warum?« – »Allerdings.« – »So sage es denn.« – »Damals sah ich Diese zwar Anstrengungen und Gefahren muthig ertragen; nun aber sehe ich daß sie das Glück mit Würde ertragen. Mir scheint es aber schwerer, Kyrus, einen Mann zu finden der das Glück, als Einen der das Unglück gut erträgt. Denn das Glück flößt den Meisten Uebermuth, das Unglück Allen Besonnenheit ein.« Da sprach Kyrus: »hast du das Wort des Gobryas gehört, Hystaspes?« – »Ja gewiß,« erwiderte er: »und wenn er noch viele solche Aussprüche thut, so wird er mich viel eher zum Werber um seine Tochter bekommen als wenn er mir viele Becher zeigte.« – »In der That,« sagte Gobryas, »ich habe viele solche Sprüche zusammengeschrieben, die ich dir nicht vorenthalten will, wenn du meine Tochter heirathest. Was aber die Becher betrifft, so weiß ich, da du sie nicht leiden zu können scheinst, nicht, ob ich sie dem Chrysantas da geben soll, da er dir auch den Sitz geraubt hat.« Da sprach Kyrus: »Hystaspes und ihr andern Anwesenden, wenn ihr zu heirathen gedenket und es mir sagt, so werdet ihr sehen, wie behülflich auch ich euch dazu sein werde.« Gobryas fragte: »wenn aber Einer eine Tochter verheirathen will, bei wem muß er es anbringen?« – »Auch Dieß bei mir,« sprach Kyrus; »denn ich bin in dieser Kunst sehr erfahren.« – »In welcher?« fragte Chrysantas. »In der Einsicht, was für eine Ehe für Jeden passend ist.« Chrysantas sprach: »sage mir nun bei den Göttern, was für eine Gattin findest du für mich am passendsten?« »Für's Erste,« sprach Kyrus, »muß sie klein sein, denn auch du bist klein; heirathest du aber eine große, so mußst du, wenn du sie stehend küssen willst, an ihr emporspringen wie die jungen Hunde.« – »Das ist eine gute Vorsorge von dir,« sprach Chrysantas, »denn zum Springen habe ich nicht die mindeste Anlage.« – »Sodann würde Eine mit eingebogener Nase für dich gut passen.« – »Wozu aber Dieses?« – »Weil du eine Habichtsnase hast, und zur eingedrückten Nase würde die Habichtsnase am besten passen.« – 266 »Meinst du,« fragte Chrysantas, »daß auch zu Dem welcher gut gespeist hat, wie jetzt ich, Eine die nicht gegessen hat passen würde?« – »Allerdings,« erwiderte Kyrus; »denn bei Denen welche voll sind ist der Bauch auswärts, bei Denen welche nicht gegessen haben einwärts gebogen.« Da sprach Chrysantas: »aber bei den Göttern, kannst du mir wohl sagen was für Eine für einen frostigen König taugt?« Da lachte Kyrus laut auf, und die Andern mit ihm. Während sie lachten sprach Hystaspes: »Das ist es warum ich dich am meisten in deinem Königreich beneide.« – »Was?« fragte Kyrus. – »Daß du, trotz deiner Kälte, Lachen erregen kannst.« Da erwiderte Kyrus: »würdest du nicht viel dafür geben wenn man Dieß von dir sagte und Derjenigen hinterbrächte bei der du den Ruf eines witzigen Kopfes zu haben wünschest?« So scherzten sie unter einander.

Hierauf brachte er dem Tigranes weiblichen Schmuck, mit der Bitte ihn seiner Gattin zu geben, weil sie so muthig ihrem Manne nachgefolgt sei. Dem Artabazos schenkte er einen goldnen Becher, dem Hyrkanier ein Pferd und viel anderes Schöne. »Dir aber, Gobryas, gebe ich einen Mann für deine Tochter.« – »Doch mich,« rief Hystaspes, »damit ich auch die Sprüche bekomme.« – »Hast du aber auch,« fragte Kyrus, »ein Vermögen das dem des Mädchens entspricht?« – »Ja bei'm Zeus, ein weit größeres.« – »Und wo hast du dieses Vermögen?« – »Hier, wo du sitzest, da du mein Freund bist.« – »Das genügt mir,« sprach Gobryas; und sogleich streckte er seine Hand aus und sprach: »gib ihn mir, Kyrus, ich nehme ihn an.« Da nahm Kyrus die Rechte des Hystaspes und gab sie dem Gobryas, der sie annahm. Hierauf gab er dem Hystaspes viele schöne Geschenke, um sie dem Mädchen zu schicken: den Chrysantas aber zog er zu sich und küßte ihn. Da sprach Artabazos: »bei'm Zeus, Kyrus, nicht von gleichem Gold ist der Becher den du mir, und das Geschenk das du dem Chrysantas gegeben hast.« – »Ich will es auch dir geben,« sprach Kyrus. – »Wann?« fragte Jener. – »In dreißig Jahren.« – »So halte dich also gefaßt,« erwiderte Artabazos, »daß ich warten und nicht sterben werde.« So 267 gieng denn die Gesellschaft zu Ende. Als sie aufstanden stand auch Kyrus auf und begleitete sie an die Thüre.

Am folgenden Tag entließ er die freiwilligen Bundesgenossen nach Hause, außer Denen welche ihre Wohnung bei ihm aufschlagen wollten. Diesen gab er Land und Häuser, welche die Abkömmlinge derer welche damals blieben noch jetzt haben: die Meisten sind Meder und Hyrkanier. Die Abgehenden beschenkte er reichlich, und entließ sie, nachdem er Anführer und gemeine Soldaten zufrieden gestellt hatte. Hierauf vertheilte er auch unter seine Soldaten die Schätze die er in Sardes bekommen hatte. Den Myriarchen und seiner unmittelbaren Umgebung gab er Jedem nach Verdienst auserlesene Geschenke, das Uebrige vertheilte er. Und nachdem er Jedem der Myriarchen seinen Theil gegeben hatte erlaubte er ihnen es ebenso auszutheilen, wie er es unter sie austheilte. Das Uebrige vertheilten sie, indem der Befehlshaber seine Unterbefehlshaber prüfte, und so stufenweise herab bis auf die Hexadarchen, die, ebenfalls nach angestellter Prüfung ihrer Gemeinen, Jedem nach Verdienst gaben; und so bekamen Alle den verdienten Theil. Nachdem sie Dieß empfangen hatten sagten Einige über Kyrus: »er muß doch selbst Viel haben, da er Jedem von uns so Viel gegeben hat.« Andere aber sagten: »wie könnte er Viel haben? Das ist nicht des Kyrus Art sich zu bereichern, sondern er hat eine größere Freude am Geben als am Nehmen.« Als Kyrus diese Reden und Meinungen über sich hörte berief er seine Freunde und alle Befehlshaber, und sprach also:

»Liebe Männer, ich habe schon Menschen gesehen welche sich den Schein geben wollten daß sie mehr besitzen als sie haben, weil sie glaubten Dieß gebe ihnen ein vornehmeres Aussehen. Nach meiner Ansicht aber erreichen sie damit gerade das Gegentheil. Denn wenn Einer im Rufe steht daß er Viel habe, und er zeigt sich nicht im Verhältniß seines Vermögens wohlthätig gegen seine Freunde, der kommt in den Ruf gemeiner Gesinnung. Auf der andern Seite gibt es Leute welche zu verbergen suchen was sie haben. Auch Diese scheinen es mir schlecht mit ihren Freunden zu meinen. Denn weil die Freunde nicht wissen was 268 sie haben, so entdecken sie ihnen ihre Bedürfnisse oft nicht, und lassen sich durch den Schein täuschen. Das Geradeste scheint mir zu sein daß man sein Vermögen öffentlich bekannt werden läßt, und mittelst desselben ringt sich als edlen Mann zu zeigen. Und so will denn ich euch die von meinen Schätzen welche man sehen kann zeigen, diejenigen welche man nicht sehen kann beschreiben.« Nach diesen Worten zeigte er ihnen viele kostbare Schätze; diejenigen aber welche so lagen daß man sie nicht leicht sehen konnte beschrieb er. Zuletzt sprach er: »Das Alles dürft ihr ebensogut für euer als für mein Eigenthum halten: denn ich häufe es auf, weder um es selbst zu verzehren, noch um es selbst zu vergeuden (denn Das könnte ich gar nicht), sondern damit ich jeweilig Demjenigen von euch der mir etwas Gutes thut geben kann, und damit Jeder von euch der Etwas zu bedürfen glaubt zu mir komme und nehme was er bedarf.« So wurde Dieß gesprochen.

5.

Als ihm nun der Stand der Dinge in Babylon zu erlauben schien sich zu entfernen, rüstete er sich zum Zug nach Persien, und gab hiezu auch den Uebrigen Befehl. Nachdem er sich mit allen Bedürfnissen hinreichend versehen glaubte brach er auf. Wir wollen nun auch Das erzählen in welch schöner Ordnung sein großes Gefolge auspackte, wieder aufpackte, und, wo es sein mußte, schnell sich lagerte. Denn wo der König zu Felde zieht, da nimmt sein ganzes Gefolge, Sommers und Winters, Zelte mit.

Kyrus führte sogleich die Sitte ein, sein Zelt gegen Morgen zu richten; dann war das Erste was er festsetzte, in welcher Entfernung vom königlichen Zelte die Lanzenträger sich lagern sollten: hierauf wies er den Bäckern ihren Platz auf der Rechten, den Köchen auf der Linken, den Pferden auf der Rechten, dem Zugvieh und allem Uebrigen auf der Linken an. Alles war so geordnet daß Jeder seinen Platz nach Umfang und Stellung wußte. Wenn sie aufpacken, so nimmt Jeder das Geräthe das er zu brauchen hat zusammen, und Andere legen es auf die Lastthiere; so daß alle Packknechte auf Einen Augenblick bei den für den Transport bestimmten Lastthieren sich einfinden, und Jeder die seinigen bepackt. So braucht man für Aufhebung Eines Zelts so viel 269 Zeit wie für alle. Ebenso geht es bei'm Abpacken. Und damit alle Lebensmittel auf die Zeit zubereitet werden, ist ebenfalls Jedem zugetheilt was er zu thun hat; daher reicht dieselbe Zeit hin, um sie für Eine Abtheilung oder für alle zuzubereiten. Wie aber bei den mit Bereitung der Lebensmittel beschäftigten Dienern Jeder seinen gehörigen Platz hatte, so hatten auch die Bewaffneten bei der Lagerung die ihrer Waffenart angemessene Stelle, kannten dieselbe, und trafen unfehlbar Alle daselbst ein.

Ordnung hielt Kyrus auch in einem Hause für etwas Schönes; denn wenn man Etwas bedarf, so weiß man wohin man gehen muß um es zu finden. Für noch viel schöner aber hielt er die Ordnung bei den Heeresabtheilungen, je schneller der günstige Augenblick für kriegerische Unternehmungen entflieht, und je mehr die Fehler, wenn man zu spät kommt, zu bedeuten haben. Dagegen sah er daß die größten und vortheilhaftesten Ereignisse im Krieg Folge von der Benützung der Gelegenheit sind; darum war er auch für diese Ordnung sehr besorgt. Er selbst ließ sich zuerst in der Mitte des Lagers, als an der sichersten Stelle, sein Zelt aufschlagen; alsdann hatte er die Getreuesten nach seiner Gewohnheit um sich; im Kreis um Diese her waren die Reiter und Wagenführer. Denn Diese, glaubte er, bedürfen einen sichern Platz, weil sie von den Waffen mit welchen sie kämpfen im Lager keine bei der Hand haben, sondern lange Zeit zu der Bewaffnung bedürfen, wenn sie dieselbe mit Nutzen anwenden wollen. Zur Rechten und Linken von ihm und von den Reitern war der Platz für die Peltasten; den Platz vor und hinter ihm nahmen die Pfeilschützen ein. Die Schwerbewaffneten aber und die mit großen Schilden Ausgerüsteten stellte er wie eine Mauer um Alle herum, damit, wenn auch die Reiter sich rüsten müßten, die Standfestesten vorn ständen und sie deckten, bis sie sich bewaffnet hätten. Wie die Schwerbewaffneten, so ließ er auch die Peltasten und Pfeilschützen in Reihe und Glied schlafen, damit bei Nacht, im vorkommenden Fall, wie die Schwerbewaffneten gerüstet sind die ins Handgemenge Kommenden zu erschlagen, so auch die Pfeilschützen und 270 Wurfspießwerfer in Bereitschaft wären den anrückenden Feind über die Schwerbewaffneten hin mit Wurfspießen und Pfeilen zu beschießen.

Alle Anführer hatten auch Zeichen auf ihren Zelten, und wie verständige Diener in den Städten die Wohnungen der Meisten, hauptsächlich aber die der Befehlshaber wissen, so wußten auch die Leute von der Umgebung des Kyrus im Lager die Plätze der Anführer, und kannten eines Jeden Abzeichen. Wenn daher Kyrus Einen zu sprechen wünschte, so brauchten sie ihn nicht erst lange zu suchen, sondern nahmen den kürzesten Weg nach Jedem. Und weil alle Völker besonders gestellt waren, so sprang es viel mehr in die Augen wenn Einer in der Ordnung war, oder wenn Einer das Befohlene nicht that. Bei dieser Einrichtung glaubte Kyrus, wenn Einer bei Tag oder bei Nacht einen Angriff auf das Lager machte, so müßte er gleichsam in einen Hinterhalt fallen.

Die Taktik setzte er nicht blos darein wenn man dem Heere mit Leichtigkeit eine gedehnte oder gedrängte Stellung geben, wenn es in Colonnen steht, es in die Linie stellen, oder, wenn die Feinde auf der Rechten oder auf der Linken oder von hinten sich zeigen, die Schlachtordnung richtig entwickeln kann; er zählte auch dazu daß man nöthigenfalls trenne und jede Abtheilung an den vortheilhaftesten Platz stelle und, wo Eile nöthig ist, den Zug beschleunige. Das Alles und Aehnliches verlangte er von einem Taktiker, und er sorgte für das Alles gleichmäßig. Auf dem Zuge ließ er die Ordnung stets durch die Umstände bestimmt werden, bei der Lagerung aber behielt er gewöhnlich die angegebene Ordnung bei.

Als sie auf dem Zuge an das Medische Gebiet kamen eilte Kyrus zu Kyaxares. Nachdem sie einander umarmt hatten sagte Kyrus zu Kyaxares, er habe ihm in Babylon einen Palast nebst einem Hofstaat eingerichtet, damit er, wenn er dahin komme, ein eigenes Absteigequartier finde; sodann gab er ihm auch die übrigen reichlichen und schönen Geschenke. Kyaxares nahm sie an, ließ ihm aber durch seine Tochter eine goldne Krone, Armspangen, eine Halskette und ein Medisches Kleid von der höchsten möglichen Schönheit überreichen. Die Jungfrau setzte dem 271 Kyrus die Krone auf. Kyaxares aber sprach: »ich gebe Dir, Kyrus, Diese zur Gemahlin; sie ist meine Tochter. Dein Vater heirathete die Tochter meines Vaters, von welcher du herstammst; Diese ist es die du oft als Knabe, als du bei uns warest, liebkostest, und wenn sie Jemand fragte, wen sie heirathen wolle, so sagte sie, den Kyrus; zur Mitgift gebe ich ihr ganz Medien; denn ich habe keinen ächten männlichen Nachkommen.« So sprach Kyaxares. Kyrus aber erwiderte: »ich erkenne den Werth der Jungfrau, ihrer Abkunft und der Geschenke an; aber erst mit Zustimmung meines Vaters und meiner Mutter will ich es dir zusagen.« So sprach Kyrus: doch schenkte er dem Mädchen Allerlei was, wie er dachte, auch dem Kyaxares gefiel. Nachdem er Dieß gethan hatte zog er nach Persien.

Als er aber an die Grenzen Persiens kam so ließ er das Heer daselbst zurück und gieng mit seinen Freunden nach der Stadt, indem er so viele Opferthiere nachführte daß alle Perser Opfer und Opfermahle anstellen konnten. Seinem Vater, seiner Mutter und seinen Freunden, allen Obrigkeiten, Aelteren und Edlen brachte er entsprechende Geschenke mit. Auch alle Perser, Männer und Frauen, beschenkte er, wie es noch jetzt geschieht, wenn der König nach Persien kommt. Hierauf versammelte Kambyses die Aeltesten der Perser und die Behörden welche über die höchsten Angelegenheiten zu entscheiden haben, zog den Kyrus auch zu der Versammlung, und hielt folgende Rede:

»Ihr Perser, und du, Kyrus, billig bin ich euch Beiden gewogen; denn über euch bin ich König, du, Kyrus, bist mein Sohn. Ich halte es daher für meine Pflicht Das was ich für euch Beide zuträglich finde öffentlich auszusprechen. Denn blicken wir auf die Vergangenheit, so habt ihr den Kyrus groß gemacht, indem ihr ihm ein Heer gabet und ihn zum Anführer desselben ernanntet, Kyrus aber hat an der Spitze desselben euch, ihr Perser, Ruhm in der ganzen Welt und Ehre in ganz Asien erworben. Von denen welche mit ihm zogen hat er die Ausgezeichnetsten bereichert, dem großen Haufen Sold und Unterhalt gewährt. Durch Errichtung einer Persischen Reiterei hat er die Perser in den Stand gesetzt sich auch auf freiem Felde geltend zu machen. Wenn ihr 272 nun auch in Zukunft diese Gesinnung behaltet, so werdet ihr einander zu großem Glücke verhelfen. Wenn aber du, Kyrus, aufgeblasen durch das gegenwärtige Glück, es versuchst die Perser, wie die andern Völker, unumschränkt zu beherrschen, oder wenn ihr, Bürger, ihn um seine Macht beneidet und seine Herrschaft zu stürzen suchet, so wisset daß ihr einander großen Glücks verlustig machen werdet. Um nun Dieses zu verhindern und vielmehr das Gute zu fördern, bin ich der Meinung daß ihr ein gemeinschaftliches Opfer bringet und, die Götter zu Zeugen aufrufend, festsetzet daß du, Kyrus, wenn Jemand gegen Persien feindlich anrückt oder die Persischen Gesetze aufzulösen sucht, mit aller Macht zu Hülfe kommst; ihr Perser hingegen, daß ihr, wenn Jemand den Kyrus vom Throne stürzen oder wenn Einer seiner Untergebenen von ihm abfallen will, euch selbst und dem Kyrus auf den ersten Befehl den er geben wird zu Hülfe eilen wollet. So lange ich lebe ist die Herrschaft in Persien in meinen Händen; nach meinem Tode aber gebürt sie natürlich dem Kyrus, wenn er noch lebt. Und wenn er nach Persien kommt, so haltet heilig darauf daß er für euch die Opfer darbringt die ich jetzt bringe; wenn er aber außer Landes ist, so würde es nach meiner Ansicht zu eurem Besten dienen wenn Derjenige welchen ihr für den Ausgezeichnetsten vom Geschlechte haltet den Dienst der Götter vollbrächte.« Diese Rede des Kambyses fand Beifall bei Kyrus und den Persischen Großen. Sie schloßen unter Anrufung der Götter den Vertrag ab, und noch jetzt besteht dieses Verhältniß zwischen dem Könige und dem Volke.

Nachdem Dieß geschehen war verließ Kyrus Persien und nach seiner Ankunft in Medien heirathete er mit Zustimmung seines Vaters und seiner Mutter die Tochter des Kyaxares, von deren ausnehmender Schönheit man noch jetzt spricht. [Nach einigen Geschichtschreibern heirathete er die Schwester seiner Mutter; aber da müßte die Jungfrau schon sehr bejahrt gewesen sein.] Nach der Hochzeit zog er sogleich mit ihr ab.

6.

Nachdem er wieder in Babylon war fand er für gut Satrapen zu den unterjochten Völkern zu schicken; gleichwohl sollten die 273 Befehlshaber der Festungen und die Anführer der im Lande liegenden Besatzungen von niemand Anderem als von ihm abhängen. Diese Maßregel nahm er, damit, wenn einer der Satrapen durch seinen Reichthum oder durch die Menge Volks übermüthig würde und sich unabhängig zu machen suchte, er sogleich Gegner in seinem Lande fände.

Da er nun damit umgieng, so beschloß er zuerst die Befehlshaber zusammenzurufen und sie vorher damit bekannt zu machen, damit sie die Bedingungen unter denen die Abgehenden abgeschickt werden kennen lernten. So, glaubte er, würden sie es am besten aufnehmen. Wäre hingegen Einer zum Herrscher eingesetzt und erführe diese Maßregel nachher, so, glaubte er, würden sie es übel aufnehmen und meinen es sei aus Mißtrauen gegen sie geschehen. Als sie daher versammelt waren redete er sie also an:

»Liebe Männer, wir haben in den unterjochten Städten Besatzungen und Befehlshaber, die wir damals zurückließen, und Diesen gab ich bei meinem Abgange den Befehl sich mit nichts Weiterem abzugeben als mit Bewachung der Festung. Diese will ich nun ihrer Stellen nicht entheben; denn sie haben das ihnen Anvertraute gut bewacht; aber ich will noch Satrapen absenden welche über die Einwohner herrschen und vom Tribut den sie beziehen der Besatzung Sold geben und was sonst nöthig ist bezahlen. Auch finde ich für gut daß Diejenigen von euch welche sich hier ansäßig gemacht haben und denen ich vielleicht beschwerlich falle wenn ich sie zu diesen Völkern in Geschäften abschicke, daselbst Ländereien und Häuser erhalten, um sie in die Lage zu versetzen den Tribut sowohl hier in Empfang zu nehmen als auch dort, wenn sie sich hinverfügen, in eigner Behausung abzusteigen.«

So sprach er und verlieh vielen seiner Freunde in allen unterjochten Städten Häuser und Unterthanen; und noch jetzt verbleiben die Nachkommen Derer welche damals diese Ländereien bekamen in verschiedenen Ländern im Besitz derselben; sie selbst aber wohnen bei'm König.

»Wir müssen aber,« fuhr Kyrus fort, »bei Denen welche als 274 Satrapen in diese Länder abgehen auf Solche sehen welche daran denken alles Schöne und Gute was sich in jedem Lande findet hieherzuschicken, damit auch wir hier das Gute das sich aller Orten findet genießen; wir müssen sie ja auch vertheidigen, wenn sie irgendwo in Noth kommen.«

Nachdem er seine Rede geendet wählte er diejenigen seiner Freunde, welche er für die Tüchtigsten hielt und von denen er wußte daß sie Lust hatten unter den angegebenen Bedingungen abzugehen, und schickte sie als Satrapen ab: nach Arabien den Megabyzus, nach Kappadokien den Artabatas, nach Großphrygien den Artakamas, nach Lydien und Ionien den Chrysantas, nach Karien den Adusios, um welchen sie gebeten hatten, nach Phrygien am Hellespont und Aeolien den Pharnuchos. Nach Kilikien, Kypros und Paphlagonien sandte er keine Persischen Satrapen, weil sie ihm freiwillig nach Babylon gefolgt waren; doch legte er auch ihnen einen Tribut auf. Wie es Kyrus damals einrichtete, so stehen noch jetzt die Besatzungen in den Festungen unmittelbar unter dem Könige; von ihm werden die Befehlshaber der Besatzungen ernannt und sind bei ihm verzeichnet.

Allen Satrapen welche ausgeschickt wurden gab er den Befehl so viel möglich Alles was sie ihn hatten thun sehen nachzuahmen. Zuerst sollten sie aus ihrem Gefolge von Persern und Bundesgenossen Reiter und Wagenführer bilden; diejenigen aber welche Land und Paläste erhalten hätten sollten gehalten sein an der Pforte zu erscheinen, sich der Ordnung zu befleißen und sich zu den Diensten des Satrapen, wenn er Etwas brauche, herzugeben; auch sollten sie den Nachwuchs der Knaben an der Pforte erziehen, wie bei ihm geschehe; der Satrap sollte Die welche bei der Pforte sind auf die Jagd führen und sich und seine Leute im Kriegswesen üben.

»Wer mir aber nach Verhältniß seiner Macht die meisten Wagen und die besten Reiter aufweisen kann, den werde ich als einen braven Bundesgenossen und als einen wackern Genossen von mir und den Persern in Beschützung des Reiches ehren. Aber ihr müßt, wie ich, Ehrensitze für die Ausgezeichneten haben; euer Tisch muß, wie der meinige, zuerst die Hausgenossen nähren, dann aber auch noch hinreichend besetzt sein 275 um den Freunden mitzutheilen und Den welcher sich durch irgend eine That auszeichnet täglich zu belohnen. Schaffet euch auch Thiergärten an und haltet Thiere und nehmet weder selbst, ehe ihr Anstrengung gehabt habt, Speise zu euch, noch gebet den Pferden, ohne sie vorher getummelt zu haben, Futter. Denn ich könnte nicht, wenn ich allein stände, mit menschlicher Kraft die Güter von euch Allen beschützen; sondern ich muß, selbst brav, mit den braven Männern aus meiner Umgebung euer Beistand sein; ihr aber müßt ebenso, selbst brav, mit den bei euch befindlichen tüchtigen Männern meine Bundesgenossen sein. Auch das wünschte ich von euch beachtet daß ich nichts von Dem wozu ich euch auffordere den Sklaven befehle, und daß ich Alles was ich von euch verlange selbst zu thun mich bestrebe. Wie aber ich euch befehle mir nachznahmen, so lehret auch ihr eure Unterbefehlshaber euch nachzuahmen.«

Auf dieselbe Art nun wie Kyrus es damals anordnete stehen noch jetzt alle Besatzungen unter dem Könige; an allen Höfen der Statthalter wird noch derselbe Dienst verrichtet, alle großen und kleinen Häuser sind noch ebenso eingerichtet, überall haben die Ausgezeichnetsten der Anwesenden Ehrensitze, alle Reisen werden auf dieselbe Art angeordnet, überall sind viele Geschäfte in wenigen Oberbeamten vereinigt. Nachdem er gesagt hatte was Jeder zu thun habe und Jedem eine Macht beigegeben hatte, schickte er sie ab und kündigte Allen zum Voraus an sich zu rüsten, weil im nächsten Jahre ein Feldzug und eine Musterung der Männer, Waffen, Pferde und Wagen sein werde.

Wir haben bemerkt daß auch eine andere Einrichtung, welche, wie man sagt, Kyrus aufbrachte, noch jetzt besteht. Jedes Jahr nämlich zieht ein Abgeordneter mit einem Heere herum, der den Satrapen Hülfe leistet, wenn Einer sie nöthig hat, Diejenigen aber welche übermüthig sind in die Schranken weist, und Die welche die Abtragung des Tributs oder die Beschützung der Einwohner oder den Anbau des Landes versäumen oder sonst eine ihrer Pflichten verletzen, dazu anhält. Kann er es nicht zu Stande bringen, so meldet er es dem Könige. Dieser hält Rath über den Schuldigen. Man sagt gewöhnlich von diesen 276 Umherreisenden: der Sohn des Königes, der Bruder des Königes, das Auge des Königes kommt, wenn man sie gleich nicht einmal zu sehen bekommt. Denn Jeder von ihnen kehrt um wo ihn der Befehl des Königs trifft.

Noch eine andere bei der Größe des Reichs sehr nützliche Erfindung von ihm haben wir bemerkt, mittelst welcher er den Zustand auch der entferntesten Theile des Reichs schnell erfahren konnte. Nachdem er nämlich untersucht hatte wie viel Weges ein Pferd das geritten wird im Tage zurückzulegen vermöge, so legte er in solcher Entfernung Stallungen an und stellte Pferde darein und Leute welche sie besorgten. An jeden dieser Plätze setzte er einen Mann der tauglich war die überbrachten Briefe in Empfang zu nehmen, zu übergeben und die ermüdeten Pferde und Menschen aufzunehmen und frische abzusenden. Bisweilen soll dieser Verkehr selbst bei Nacht nicht stille stehen, sondern auf die Tagpost eine Nachtpost folgen. Bei dieser Einrichtung sollen Einige schneller als Kraniche diesen Weg zurücklegen. Wenn auch Dieß nicht wahr ist, so ist wenigstens unleugbar daß Dieß die schnellste Art ist wie Menschen zu Lande reisen. Und es ist etwas Gutes wenn man von Allem schnell Nachricht bekommt und möglichst schnell Vorkehrungen treffen kann.

Nach Ablauf des Jahres versammelte er ein Heer in Babylon, und er soll gegen hundert und zwanzig tausend Reiter, gegen zweitausend Sichelwagen, und gegen sechsmal hundert tausend Fußgänger zusammengebracht haben. Mit dieser Macht unternahm er den Feldzug, auf welchem er alle Völker welche von der Grenze Syriens bis an's rothe Meer wohnen unterjocht haben soll. Dann soll er den Feldzug nach Aegypten gemacht und dieses Land unterjocht haben. Nun waren die Grenzen seiner Herrschaft – gegen Osten das rothe Meer, gegen Norden der Pontus Euxinus [das schwarze Meer], gegen Westen Kypros und Aegypten, gegen Süden Aethiopien. Die Grenzen dieser Länder aber sind theils wegen der Hitze, theils wegen der Kälte, theils wegen des Wassers, theils wegen des Mangels an Wasser unbewohnbar. Er selbst schlug seinen Wohnsitz im Mittelpunkt derselben auf und brachte 277 die Winterszeit in Babylon sieben Monate lang zu (denn dieses Land ist warm), die Frühlingszeit drei Monate lang in Susa, den höchsten Sommer zwei Monate lang in Ekbatana. Bei dieser Einrichtung, sagt man, habe er immer in der Temperatur [Wärme und Kühle] des Frühlings gelebt.

Die Menschen waren so gegen ihn gesinnt daß jedes Volk sich verkürzt glaubte wenn es nicht dem Kyrus alles Schöne geschickt was Boden, Zucht oder Kunst in seinem Lande hervorbrachte. Ebenso glaubte jede Stadt und jeder Einzelne reich zu werden wenn er dem Kyrus einen Dienst erwies. Denn Kyrus nahm von Allen Das an woran sie Ueberfluß hatten, und gab ihnen dagegen Das wovon er wußte daß es ihnen mangle.

7.

Nachdem auf diese Weise die Lebenszeit des Kyrus abgelaufen war kam er in hohem Alter nach Persien, das siebente Mal während seiner Regierung. Sein Vater und seine Mutter waren natürlich längst gestorben. Kyrus brachte die üblichen Opfer, führte nach hergebrachter Sitte den Reigen an und theilte nach seiner Gewohnheit an Alle Geschenke aus. Als er aber im Palaste schlief sah er im Traum eine übermenschliche Gestalt sich ihm nahen, welche sagte. »halte dich bereit, Kyrus, du wirst nun zu den Göttern gehen.«

Nachdem er dieses Traumgesicht gesehen hatte wachte er auf und glaubte nun beinahe gewiß zu wissen daß seines Lebens Ende da sei. Er nahm daher sogleich Opferthiere und opferte dem vaterländischen Zeus, der Sonne und den übrigen Göttern auf den Höhen, wie die Perser zu opfern pflegen, und betete also:

»Vaterländischer Zeus, Sonne und alle Götter, empfanget dieses Opfer nach Vollendung vieler schönen Thaten, zum Danke dafür daß ihr mir in Opfern, in himmlischen Zeichen, durch Vögel und durch Vorbedeutungen kund gethan habt was ich thun und was ich nicht thun solle. Großen Dank sage ich euch daß auch ich eure Fürsorge erfahren und über dem Glück nie vergessen habe daß ich ein Mensch bin. Nun stehe ich zu euch, verleihet auch jetzt meinen Kindern, meiner Gattin, meinen 278 Freunden und meinem Vaterlande Glück und mir ein Ende, entsprechend dem Leben das ihr mir geschenkt habt.«

Nachdem er Dieses verrichtet hatte und nach Hause gekommen war glaubte er der Ruhe zu bedürfen und legte sich nieder. Zur bestimmten Stunde kamen die dazu bestellten Diener und wollten ihn in's Bad setzen. Er aber sagte, die Ruhe bekomme ihm wohl. Dann kamen wieder andere Diener zur bestimmten Zeit und brachten ihm zu essen; er hatte aber keine Lust zur Speise, hingegen Durst schien er zu haben, und das Trinken schmeckte ihm. Als seine Umstände den folgenden und den dritten Tag dieselben waren berief er seine Söhne, welche dießmal mit ihm nach Persien gekommen waren, zu sich. Auch seine Freunde und die Behörden der Perser ließ er vor sich kommen, und als alle versammelt waren begann er folgende Anrede:

»Meine Söhne und alle anwesenden Freunde, das Ende meines Lebens ist jetzt da; ich habe dafür viele sichere Kennzeichen. Ihr müßt mich, wenn ich gestorben bin, als einen Seligen betrachten und diesen Glauben in all euren Reden und Handlungen ausdrücken. Als Knabe habe ich alles Schöne was den Knaben, als Jüngling was den Jünglingen, als Mann was den Männern geziemt, genossen. Mit der fortrückenden Zeit glaubte ich stetes Wachsthum meiner Kraft zu bemerken, so daß ich mich auch in meinem Alter nie schwächer als in meiner Jugend fühlte; und ich kenne keine Unternehmung, keinen Wunsch der nicht mit glücklichem Erfolge gekrönt worden wäre. Meine Freunde sah ich durch mich glücklich, meine Feinde von mir unterjocht. Mein Vaterland, das früher in Asien wenig geachtet war, hinterlasse ich jetzt auf der höchsten Stufe; ich weiß Nichts das ich erworben und nicht auch erhalten hätte. Ich habe die vergangene Zeit verlebt wie ich wünschte; aber eine Furcht die mich verfolgte, ich möchte in der Folgezeit etwas Widriges sehen, hören oder erleiden müssen, ließ mich nie vollkommen stolz und ausgelassen froh werden. Wenn ich jetzt sterbe, so hinterlasse ich euch, Kinder, die mir die Götter geschenkt haben, lebend, und das Vaterland und die Freunde glücklich. Warum sollte ich daher nicht mit Recht glücklich gepriesen und eines unsterblichen Andenkens würdig 279 erachtet werden? – Ich muß nun auch meinen Nachfolger in der Regierung ernennen, damit euch keine Streitigkeiten darüber beunruhigen. Ich liebe euch Beide gleich, meine theuern Söhne: aber den Vorsitz und die oberste Leitung der Angelegenheiten übertrage ich dem Erstgebornen und der Natur der Sache nach Erfahrenern. Ich selbst wurde von diesem unserem gemeinschaftlichen Vaterlande so gewöhnt Aelteren, nicht nur Brüdern, sondern auch Bürgern, aus dem Wege zu gehen und beim Sitzen und Reden nachzustehen. Auch euch, liebe Söhne, habe ich von Anfang an so erzogen, den Aelteren Ehre zu erweisen, von Jüngeren sie euch erweisen zu lassen. Nehmet also Das was ich sage als etwas dem Herkommen, der Gewohnheit und dem Gesetz Angemessenes auf.«

»Du, Kambyses, übernimm die Regierung; die Götter übertragen sie dir, und ich, so weit es in meiner Macht steht. Dich, Tanaoxares, ernenne ich zum Satrapen der Meder, Armenier und Kadusier. Bei dieser Austheilung glaube ich zwar dem Aelteren eine größere Herrschaft und den Namen des Königthums zu hinterlassen, dir aber ein ungestörteres Glück. Denn ich sehe nicht, welche menschliche Freude dir mangeln wird; du wirst Alles haben was Menschen erfreuen kann. Aber nach schwereren Unternehmungen zu streben, viele Sorgen zu haben, nie ruhig zu sein, getrieben vom Wetteifer es meinen Thaten gleich zu thun, Nachstellungen Andern zu bereiten und ihnen ausgesetzt zu sein, dieses Loos wartet des Regierenden mehr als deiner, und bedenke daß Dieses für den Lebensgenuß sehr störend wird. Auch du, Kambyses, weißt daß nicht dieses goldne Scepter es ist was das Königreich erhält, sondern daß treue Freunde das wahrhafteste und sicherste Scepter der Könige sind. Glaube aber nicht daß die Menschen von Natur getreu sind (denn sonst müßten sich Dieselben gegen Alle treu zeigen, wie auch andere Naturerzeugnisse für Alle als dieselben erscheinen); sondern Jeder muß sich Getreue schaffen, und Dieß geht nicht durch Gewalt, sondern vielmehr durch Wohlthun. Wenn du nun Gehülfen in der Beschützung des Reiches zu gewinnen suchst, so wende dich zuerst an Den welcher mit dir aus gleichem Schoos entsprungen ist. Sind ja schon Mitbürger 280 vertrauter als Fremde, und Tischgenossen als Die welche einem andern Hause angehören. Diejenigen aber welche von demselben Samen entsprossen, von derselben Mutter genährt, in demselben Hause groß geworden sind, und von denselben Aeltern geliebt worden, dieselben Personen Vater und Mutter nennen, wie sollten nicht Diese die Allervertrautesten sein? Darum vereitelt nie den Segen wozu die Götter für die Brüder in ihrem vertrauten Verhältniß den Grund gelegt haben, sondern bauet darauf andere Werke der Liebe; dann wird eure Freundschaft für Andere immer unübertrefflich sein. Wer für seinen Bruder sorgt, der ist ja auf seinen eignen Vortheil bedacht. Denn wem sonst bringt des Bruders Größe so viele Auszeichnung wie dem Bruder? Wer sonst wird wegen eines mächtigen Mannes so sehr geehrt werden als sein Bruder? Bei wem wird man sich mehr scheuen ihm Unrecht zu thun als bei Dem welcher einen mächtigen Bruder hat? Niemand sei daher eifriger ihm zu dienen als du, Niemand bereitwilliger ihm zu helfen. Denn Niemanden geht sein Glück oder Unglück so nahe an als dich. Bedenke auch Dieß, an wem du durch deinen Beistand einen stärkern Bundesgenossen erhalten kannst als an ihm? Was ist schändlicher als den Bruder nicht zu lieben? was ehrenvoller als den Bruder vor Allen zu ehren? Kann ja, Kambyses, allein der Bruder beim Bruder der Erste sein, ohne Neid bei Andern zu erregen.«

»Ja, bei den vaterländischen Göttern, Söhne: wenn euch daran liegt mir Freude zu machen, so ehret einander. Denn ihr wisset es noch nicht gewiß daß ich Nichts mehr bin, wenn ich das menschliche Leben geendet habe. Sahet ihr ja auch bisher meine Seele nicht, sondern erkanntet ihr Dasein blos aus Dem was sie wirkte. Habt ihr aber noch nie bemerkt welchen Schrecken die Seelen Derer die Unrecht gelitten haben den Mördern einflößen? welche Rachegeister sie über die Frevler senden? Glaubt ihr, die Ehrenbezeugungen gegen die Verstorbenen würden sich so lange erhalten haben, wenn ihre Seelen gar keinen Genuß davon hätten? Auch davon, meine Kinder, habe ich mich noch nie überzeugen können daß meine Seele, so lange sie in einem sterblichen Leibe ist, lebe, wenn sie von diesem entfernt ist, sterbe: denn 281 ich sehe daß die Seele es ist welche auch die sterblichen Körper, so lange sie in ihnen ist, lebendig macht. Auch davon bin ich nicht überzeugt daß die Seele vernunftlos sein wird, wenn sie von dem vernunftlosen Körper getrennt ist; sondern wenn die Geistigkeit unvermischt und rein ausgeschieden ist, dann muß sie natürlich auf ihrer höchsten Stufe sein. Wenn aber der Mensch aufgelöst wird, so geht natürlich Alles zu dem Verwandten über, nur die Seele nicht: diese allein kann man nicht sehen, weder wenn sie da, noch wenn sie verschwunden ist.«

»Bedenket ferner daß dem menschlichen Tode Nichts näher ist als der Schlaf. Da erscheint die Seele des Menschen am göttlichsten, da wirft sie einen Blick in die Zukunft; denn da ist sie, wie es scheint, am freisten. Wenn sich nun Dieß so verhält, wie ich glaube, und meine Seele den Körper verläßt, so thut aus Achtung vor meiner Seele um was ich euch bitte: ist es aber nicht so, sondern bleibt die Seele im Körper und stirbt mit ihm, so thut aus Scheue vor den ewigen Göttern, welche Alles sehen und Alles vermögen, welche auch die Ordnung dieses Weltalls unverändert, nie alternd und nie wankend, in unbeschreiblicher Schönheit und Größe zusammenhalten, so thut oder denket aus Scheue vor den Göttern nie etwas Gottloses oder Unheiliges. Nächst den Göttern scheuet auch das ganze jeweilig nachwachsende Menschengeschlecht. Denn nicht im Dunkeln verbergen euch die Götter, sondern eure Thaten müssen vor das Angesicht der ganzen Welt treten. Erscheinen sie rein und von Ungerechtigkeit frei, so werden sie euch Ansehen in den Augen Aller verleihen. Denket ihr aber gegen einander auf Ungerechtigkeiten, so werdet ihr das Zutrauen aller Menschen verlieren. Denn Niemand könnte euch mehr trauen, wenn er auch noch so geneigt wäre, sobald er sähe daß ihr Dem welcher die meisten Ansprüche an die Liebe hat Unrecht thuet.«

»Habe ich euch nun hinlänglich belehrt wie ihr euch gegen einander benehmen sollet, nun dann – wo nicht, so lernet es von den Vorfahren: denn Dieß ist die beste Schule. Meistens waren Aeltere mir Kindern, Brüder mit Brüdern innig befreundet; Einige haben aber auch schon das Gegentheil gethan. Wählet nun Diejenigen zum Muster 282 welche sich bei ihrem Betragen am besten befunden haben, so werdet ihr den rechten Entschluß fassen. Nun ist es wohl genug hievon. Meinen Körper aber, liebe Söhne, leget, wenn ich gestorben bin, weder in Gold noch in Silber noch in irgend etwas Anderes, sondern übergebet ihn so schnell als möglich der Erde. Denn gibt es ein seligeres Loos als mit der Erde vermischt zu werden, welche alles Schöne und alles Gute erzeugt und ernährt? Ich liebte die Menschen immer zu sehr um mich nicht gerne mit der Wohlthäterin der Menschen zu vereinigen. Jetzt aber fühle ich daß mich das Leben verläßt, da wo es, wie es scheint, bei Allen zuerst verschwindet.«

»Will nun noch Einer von Euch meine Rechte berühren oder mir noch in's lebende Auge sehen, der trete herzu. Wenn ich mich aber verhüllt habe, so bitte ich euch, liebe Söhne, lasset Niemand meinen Körper sehen, und sehet ihn auch selbst nicht mehr. Versammelt aber alle Perser und Bundesgenossen an meinem Grabmale, damit sie mir Glück wünschen daß ich nun in Sicherheit bin und kein Uebel mehr erfahre, mag ich bei der Gottheit sein oder in's Nichts versinken. So viel ihrer aber kommen, erweiset ihnen alles Gute das bei eines glücklichen Mannes Leiche üblich ist, und entlasset sie sofort. Auch dieses mein letztes Wort vergesset nicht: »»wenn ihr den Freunden wohlthut, so werdet ihr auch die Feinde züchtigen können.«« Und nun lebet wohl, geliebte Söhne, sagt auch der Mutter in meinem Namen ein Lebewohl; und alle ihr anwesenden und abwesenden Freunde lebet wohl.«

Nachdem er Dieses gesagt und Allen die Rechte geboten hatte verhüllte er sich, und so starb er.

8.

Daß nun Kyrus' Reich das blühendste und größte in Asien war, davon gibt es sich selbst Zeugniß. Es war begrenzt gegen Osten vom rothen Meere, gegen Norden vom Pontus Euxinus, gegen Westen von Kypros und Aegypten, gegen Süden von Aethiopien. Und bei diesem großen Umfange wurde es durch den einzigen Willen des Kyrus regiert; er ehrte und pflegte seine Untergebenen wie seine Kinder, und den Kyrus ehrten seine Unterthanen wie einen Vater. Gleich nach seinem Tode aber geriethen seine Söhne in Zwist; Städte und 283 Völker fielen ab, und Alles verschlimmerte sich. Um meine Behauptung zu belegen will ich bei der Verehrung der Götter anfangen.

Ich weiß daß früher der König und seine Untergebenen selbst den größten Verbrechern ihr Wort hielten, mochten sie einen Eid geschworen oder bloßen Handschlag gegeben haben. Wären sie nicht so gewesen, hätten sie nicht in diesem Rufe gestanden, so hätten ihnen, wie ihnen jetzt, da ihre Ruchlosigkeit bekannt ist, kein Mensch mehr traut, auch damals die Anführer der mit KyrusDie Anführer der mit Kyrus dem Jüngern nach Asien gezogenen Griechen, fünf Feldherrn und zwanzig Unterbefehlshaber, ließen sich unter dem Vorwande von Unterhandlungen in's feindliche Lager locken, wo sie Alle hingerichtet wurden (Xen. Anab. II, 6, 1). zu Felde Gezogenen nicht getraut. Nun aber haben sie sich ihnen im Vertrauen auf ihren früheren Ruf in die Hände gegeben, und nachdem sie vor den König geführt worden waren wurden ihnen die Köpfe abgeschnitten. Auch Viele der Barbaren welche mit ihnen gezogen waren kamen um, durch verschiedene Versprechen getäuscht.

Auch in diesem Theile steht es gegenwärtig viel schlechter. Früher, wenn Einer für den König sein Leben der Gefahr aussetzte, eine Stadt oder ein Volk bezwang oder ihm sonst etwas Schönes zu Stande brachte, so waren diese Leute geehrt. Nun aber werden die höchsten Ehrenbezeugungen Denen erwiesen welche durch ähnliche Handlungen wie Mithridates, der seinen Vater Ariobarzanes verrieth, oder wie Rheomithres, der sein Weib, seine Kinder und die Kinder seiner Freunde dem Könige von Aegypten als Geißeln hinterließ und die feierlichsten Eide brachOlymp. 104, 3. erregten mehrere Statthalter in Kleinasien einen Aufruhr. Rheomithres gieng zum Könige Tachos von Aegypten, gab Diesem seine Gattin und Kinder, nebst den Söhnen anderer Satrapen als Geißeln, und erhielt von ihm fünfhundert Talente und fünfzig Schiffe, lieferte aber diese nebst Vielen der Mitverschworenen an den König aus., dem Könige einen Vortheil zu verschaffen scheinen. Nach solchem Vorgange wandten sich alle Völker Asiens zur Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit; denn wie die Vorsteher sind, so werden gewöhnlich auch ihre Untergebenen. Auf diesem Wege wurden sie ruchloser als sie früher waren.

284 Auch in Betreff des Geldes sind sie ungerechter; denn nicht nur grobe Verbrecher, sondern auch Leute welche gar nichts Unrechtes gethan haben ergreifen sie und zwingen sie wider alles Recht Geld zu bezahlen; daher haben Die welche für reich gelten eben so viel zu befürchten als grobe Verbrecher: deswegen haben Diese auch keine Lust sich mit einem überlegenen Feinde zu schlagen und an einen königlichen Feldzug sich anzuschließen. Daher kann Jeder der mit ihnen Krieg führt sich nach Belieben ungeschlagen in ihrem Lande herumtreiben, wegen ihres Mangels an Frömmigkeit gegen die Götter und wegen ihrer Ungerechtigkeit gegen die Menschen. In dieser Hinsicht ist ihre Gesinnung durchaus schlechter als in alten Zeiten.

Nun will ich auch noch erzählen daß sie auch für ihren Körper nicht mehr die Sorge tragen wie ehmals. Es war Sitte bei ihnen weder auszuspucken noch sich zu schneuzen. Diese Sitte hatte offenbar ihren Grund nicht darin weil sie die Feuchtigkeiten im Körper schonten, sondern weil sie den Körper durch Anstrengung und Schweiß stählen wollten. Jetzt aber besteht zwar noch die Sitte weder auszuspucken noch sich zu schneuzen, aber auf Anstrengung dringt man nirgends. Früher war es Sitte nur Einmal zu speisen, um den ganzen Tag zu Geschäften und Anstrengungen zu verwenden; jetzt hält man zwar immer noch blos Eine Mahlzeit; aber man fängt mit Denen an welche am zeitigsten frühstücken, und fährt mit Essen und Trinken fort bis die Spätesten schlafen gehen.

Früher war es Sitte keine Nachttöpfe zu den Gastmahlen mitzubringen, wahrscheinlich weil man glaubte, wenn man nicht zu viel trinke, so werde Leib und Seele kräftiger erhalten. Jetzt besteht zwar die Sitte noch keine mitzubringen; aber sie trinken so viel daß sie, statt welche hereinzubringen, selbst hinausgetragen werden, wenn sie nicht mehr aufrecht hinausgehen können.

Auch Das war herkömmliche Gewohnheit, auf der Reise weder zu essen noch zu trinken und keines der damit zusammenhängenden Bedürfnisse öffentlich zu verrichten. Diese Sitte besteht zwar jetzt noch; aber 285 sie machen ihre Tagereisen so kurz daß ihre Enthaltsamkeit gar keine Bewunderung mehr verdient.

Früher giengen sie so oft auf die Jagd daß diese für Mann und Roß hinreichende Uebung darbot. Als aber der König Artaxerxes und seine Umgebung sich dem Weine ergab, so giengen sie selbst nicht mehr so viel auf die Jagd und führten auch die Andern nicht darauf.

Ja Diejenigen welche Strapazen liebten und mit ihren Reitern auf die Jagd zogen beneideten sie sichtbar und haßten sie, weil sie es ihnen zuvorthaten.

Auch die Sitte die Knaben bei Hofe zu erziehen dauert noch fort; die Erlernung und Uebung des Reitens aber ist abgekommen, weil sie nie zu Gelegenheiten kommen wo sie sich zeigen und hervorthun könnten. Auch Das daß dort die Knaben früher gerechte Entscheidung der Streitigkeiten hörten und dadurch Gerechtigkeit lernen sollten, hat sich gänzlich umgekehrt; denn sie sehen deutlich daß Diejenigen es gewinnen welche am meisten spenden. Früher lernten die Knaben auch die Kräfte der Erderzeugnisse kennen, um die nützlichen zu gebrauchen, der schädlichen sich zu enthalten; nun scheint es daß man sie Dieß lehrt, damit sie recht viele Schlechtigkeiten verüben; wenigstens kommt es nirgends häufiger vor daß Menschen durch Vergiftung sterben oder zerrüttet werden als dort.

Jetzt sind sie auch viel weichlicher als unter Kyrus. Denn damals hatten sie noch die Persische Zucht und Enthaltsamkeit neben Medischer Kleidung und Weichlichkeit. Jetzt aber lassen sie die Persische Ausdauer erlöschen, behalten aber die Medische Weichlichkeit. Ich will auch Dieß genauer erörtern. Es genügt ihnen nicht unter ihr Lager weiche Decken zu breiten, sondern sie stellen auch die Füße der Polster auf Teppiche, damit der Boden keinen Widerstand leiste, sondern die Teppiche nachgeben. Bei den gekochten Speisen die auf den Tisch gesetzt werden hat man von den früher erfundenen Nichts abkommen lassen, aber immer neue dazu ersonnen. Ebenso ist es mit der Zuspeise; denn für Beides haben sie neue Erfinder. Auch im Winter ist es ihnen nicht hinreichend daß Kopf, Körper und Füße bedeckt seien, sondern sie haben auch an den 286 äußersten Theilen der Hände eine Pelzbedeckung und Fingerhandschuhe. Im Sommer genügt ihnen weder der Schatten der Bäume noch der Felsen, sondern es stehen in demselben noch Leute neben ihnen, welche noch einen anderen Schatten erkünsteln. Recht viele Trinkgeschirre zu besitzen, darauf setzen sie einen hohen Werth; und wenn sie auch augenscheinlich von ungerechtem Gut erworben sind, so schämen sie sich Dessen nicht; denn Ungerechtigkeit und schändliche Gewinnsucht hat eine hohe Stufe bei ihnen erreicht. Früher war es Landessitte sich zu Fuße gehend nicht blicken zu lassen, aus keinem andern Grunde als damit sie recht tüchtige Reiter würden; jetzt aber haben sie auf den Pferden mehr Decken als auf ihren Betten, denn es liegt ihnen nicht so viel am Reiten als an einem weichen Sitze.

Was sodann die Kriegsübungen betrifft, wie sollten sie darin nicht durchgängig schlechter sein als früher? Denn vor diesem war es Landessitte daß Die welche Ländereien besaßen von diesen Reiter stellten, welche wirklich in's Feld zogen, und daß im Falle eines Feldzuges die welche an den Grenzen des Landes in Besatzung lagen Söldner waren: nun aber haben die Großen ihre Thürsteher, Bäcker, Köche, Mundschenken, Badbereiter, ihre Bedienten zum Auf- und Abtragen, beim Schlafengehen und Aufstehen, zum Anziehen, Bemalen und Schminken, und zur Zurechtmachung alles Uebrigen; all dieses Gesinde aber haben sie zu Reitern gemacht, damit sie in ihrem Solde dienen. Einen Haufen geben zwar auch Diese ab, aber sie taugen nichts zum Krieg. Dieß zeigt der Erfolg selbst; denn in ihrem Lande treiben sich die Feinde leichter als die Freunde um.

Kyrus hatte die Wurfwaffen abgeschafft, Mann und Roß geharnischt, Jedem Einen Spieß in die Hand gegeben und die Leute in's Handgemenge geführt. Jetzt kämpfen sie weder in der Ferne noch in der Nähe. Die Fußgänger haben zwar ihre kleinen Schilde, Schwerter und Streitäxte noch, um den Kampf wie unter Kyrus zu führen; aber in's Handgemenge mögen auch Diese nicht gehen. Auch die Sichelwagen gebrauchen sie nicht mehr zu dem Zwecke zu welchem Kyrus sie machen ließ. Denn dadurch daß er den Wagenlenkern Auszeichnungen 287 verlieh und hiedurch tapfer machte verschaffte er sich Leute welche die Schwerbewaffneten anfielen. Die Gegenwärtigen aber kennen die Wagenführer nicht einmal persönlich, und glauben die Ungeübten werden ebenso gut als die Geübten sein. Einige nehmen zwar einen Anlauf; aber ehe sie auf den Feind stoßen fallen sie zum Theil unabsichtlich herab, zum Theil springen sie herab, so daß die der Lenker beraubten Gespanne den Freunden oft mehr Schaden zufügen als den Feinden. Da sie nun selbst es einsehen wie es mit ihrem Kriegsstand aussieht, so ziehen sie sich zurück, und Keiner geht mehr ohne Griechen in den Krieg, weder wenn sie mit einander Krieg führen, noch wenn die Griechen gegen sie zu Felde ziehen; denn sie haben den Grundsatz angenommen ihre Kriege auch gegen Diese mit Hülfe von Griechen zu führen.

Nun glaube ich meine Aufgabe gelöst zu haben; denn ich behaupte daß die Perser gegenwärtig weniger Ehrfurcht gegen die Götter, weniger Achtung vor Verwandten, weniger Gerechtigkeit gegen Andere, weniger Tapferkeit im Kriege beweisen als früher. Ist Jemand entgegengesetzter Meinung, der betrachte ihre Thaten, und er wird darin die Bestätigung Dessen was ich gesagt habe finden.

 


 


 << zurück