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Während Kyrus diese Anstalten traf wurde der König von Armenien durch die von Kyrus ihm zukommende Botschaft sehr betroffen; denn er fühlte es daß er im Unrecht seie, weil er weder den Tribut entrichtet noch sein Contingent gestellt habe. Was ihn aber am meisten ängstigte war die Besorgniß, man werde sehen daß er angefangen habe die Königsburg in Vertheidigungsstand zu setzen. Durch alle diese Umstände bedenklich gemacht ließ er seine Macht versammeln: seinen jüngern Sohn Sabaris schickte er mit seiner eigenen und seines älteren Sohnes Gattin und mit seinen Töchtern unter einer Bedeckung auf die Gebirge: eben dahin sandte er auch seinen Schmuck und seine kostbarsten Geräthe. Er selbst schickte Kundschafter aus, um des Kyrus Bewegungen zu beobachten, und ordnete inzwischen die herbeikommenden Armenier. Bald aber kamen andere Boten, mit der Nachricht Kyrus sei bereits in der Nähe. Da wagte er den offenbaren Kampf nicht mehr, sondern zog sich zurück. Als die Armenier Dieß sahen zerstreuten sie sich, Jeder in seine Heimat, um ihre Habe aus dem Wege zu schaffen. Als Kyrus auf der ganzen Ebene Alles aus einander laufen und fahren sah, ließ er sagen, Keiner der bleibe dürfe ihn 84 als Feind betrachten; wenn er aber einen Fliehenden in seine Hände bekäme, den würde er als Feind behandeln. So blieb der größte Theil ruhig: Einige entflohen mit dem Könige. Als aber die Bedeckung der Weiber auf ihrem Wege auf die im Gebirge Aufgestellten stieß erhoben sie sogleich ein Geschrei, und Viele von ihnen wurden auf der Flucht gefangen. Zuletzt gerieth auch der Sohn sammt den Weibern und Töchtern und allen Kostbarkeiten die sie mit sich führten in Gefangenschaft. Bei der Nachricht von diesen Vorgängen wußte der König nicht mehr wohin er sich wenden sollte, und floh auf eine Anhöhe. Kyrus umstellte diese mit dem Heer das er bei sich hatte, und ließ dem Chrysantas sagen, er solle eine Besatzung auf dem Berge zurücklassen und zu ihm stoßen. Nachdem Kyrus sein Heer beisammen hatte sandte er einen Herold an den Armenier mit der Frage: »erkläre dich, Armenier: willst du lieber hier bleiben und mit Hunger und Durst kämpfen, oder auf das ebne Land herabkommen und dich mit uns schlagen?« Er erwiderte, er habe zu keinem von beiden Kämpfen Lust. Noch einmal ließ ihn Kyrus fragen: »warum sitzest du denn also hier und kommst nicht herab?« – »Weil ich in Verlegenheit bin was ich thun soll,« war die Antwort. – »Das hast du gar nicht nöthig,« ließ ihm Kyrus erwidern; – »denn du kannst herabkommen und dich einer rechtlichen Entscheidung unterwerfen.« – »Aber Wer wird der Richter sein?« fragte er. – »Offenbar Derjenige welchem die Gottheit die Macht gegeben hat auch ohne rechtliche Entscheidung über dich nach Belieben zu verfügen.« Da kam denn der Armenier, die Nothwendigkeit erkennend, herunter. Kyrus, der nun seine ganze Macht beisammen hatte, ließ ein Lager schlagen und nahm ihn mit allem Uebrigen in dessen Mitte.
Während dieser Zeit kam der ältere Sohn des Armeniers, Tigranes, ein ehemaliger Jagdgenosse des Kyrus, von einer Reise zurück: und auf die Nachricht von dem Geschehenen gieng er sogleich, wie er war, zu Kyrus. Da er aber Vater und Mutter, seine Geschwister und seine eigene Gattin in Gefangenschaft sah weinte er, wie man sich denken kann. Als ihn Kyrus erblickte sagte er zu ihm, ohne weitere 85 Bewillkommung: »Du kommst gerade recht, um Ohrenzeuge von dem Verfahren gegen deinen Vater zu sein.« Sofort rief er die Feldherren der Perser und Meder zusammen; die Armenischen Edeln die gerade da waren zog er ebenfalls dazu: auch die Weiber die auf Wagen in der Nähe saßen entfernte er nicht, sondern ließ sie zuhören. Als nun Alles in Ordnung war begann er. »Armenier, vor Allem rathe ich dir bei unserem Rechtshandel die Wahrheit zu sagen, damit du wenigstens von Einem, und zwar dem Verhaßtesten, frei seiest. Denn du weißt daß die Menschen, wenn sie als Lügner erscheinen, ihrer Begnadigung selbst am meisten im Wege stehen. Sodann wissen ja deine Kinder, diese Frauen und die anwesenden Armenier um Alles was du gethan hast; merken sie nun daß du in deiner Erzählung von der Wahrheit abweichst, so werden sie denken du sprechest dir selbst das Urtheil das Aeußerste zu erdulden, wenn ich die Wahrheit nicht erfahre.« – »Frage nur, Kyrus, was du willst,« erwiderte er, »und sei überzeugt daß ich die Wahrheit sagen werde; möge mir deswegen geschehen was da will.« – »So sage denn an, sprach Kyrus: hast du einmal mit Astyages, meinem Großvater, und den übrigen Medern Krieg geführt?« – »Ja,« war die Antwort. – »Als du aber von ihm besiegt wurdest, versprachst du Tribut zu bezahlen, ihn auf jedem Feldzug zu begleiten und keine festen Plätze zu haben?« – »Allerdings.« – »Warum hast du nun weder den Tribut entrichtet, noch das Heer gesendet, und die festen Plätze angelegt?« – »Ich strebte nach Freiheit,« versetzte er; »denn es erschien mir als ein großes Glück selbst frei zu sein und seinen Kindern Freiheit zu hinterlassen.« – »Allerdings,« erwiderte Kyrus, »ist es etwas Schönes sich mit den Waffen in der Hand zu wehren, daß man nicht in Knechtschaft gerathe; wenn aber Einer der im Krieg besiegt oder auf irgend eine andere Weise unterwürfig gemacht worden ist sich seinem Gebieter zu entziehen sucht, ehrst du Diesen, sage du zuerst deine Meinung, als einen rechtschaffenen und edel handelnden Mann, oder strafst du ihn als unrecht handelnd, wenn du ihn in deine Gewalt bekommst?« – »Ich strafe ihn,« erwiderte er; »ich darf ja nicht lügen.« – Gib mir nun auf folgende Fragen einzeln bestimmte 86 Antwort: »Wenn du einen Befehlshaber hast und er macht einen Fehler, läßst du ihm den Oberbefehl oder setzst du einen Andern an seine Stelle?« – »Ich thue das Letztere,« antwortete er. – »Weiter, wenn er begütert ist, läßst du ihm seinen Reichthum oder versetzest du ihn in Armut?« – »Ich nehme ihm was er hat.« – »Wenn du aber gar erfährst daß er zum Feinde abfällt, was thust du dann?« – »Ich tödte ihn,« war seine Antwort; »denn wenn ich einmal sterben muß, warum soll ich mich lieber einer Lüge überweisen lassen als die Wahrheit reden?« Als der Sohn Dieß hörte rieß er sich den Turban ab, die Weiber schrieen laut auf, zerkratzten sich die Gesichter und zerrießen die Kleider, als wäre es um den Vater geschehen und sie Alle bereits verloren. Kyrus gebot ihnen Stillschweigen und sprach weiter: »wohlan denn: du also, Armenier, hältst dieß für Recht; was für Maßregeln räthst du demnach uns?« Der Armenier schwieg, unschlüssig ob er dem Kyrus rathen solle ihn zu tödten, oder das Gegentheil von Dem was er gesagt hatte vorschlagen. Da fragte sein Sohn Tigranes den Kyrus: »Da mein Vater unschlüssig ist, erlaubst du, Kyrus, daß ich in Betreff seiner den meiner Ansicht nach für Dich besten Rath gebe?« Kyrus, der sich von der Jagd her noch erinnerte daß Tigranes einen weisen Mann bei sich gehabt habe, den er sehr bewunderte, war sehr begierig zu hören was er sagen werde; er sprach ihm daher zu, seine Meinung kecklich zu sagen.
Tigranes sprach: »wenn du die Unternehmungen und Handlungen meines Vaters gut heißest, so rathe ich dir ihm nachzuahmen: scheint er Dir aber durchaus gefehlt zu haben, so rathe ich dir ihm nicht nachzuahmen.« – »Wenn ich gerecht handle,« sagte Kyrus, »so kann ich wohl dem Fehlenden auf keinen Fall nachahmen.« – »Das ist wahr,« erwiderte Tigranes. – »Ich muß also wohl, deinem Rathe gemäß, deinen Vater strafen, wenn es das Recht erfordert Den welcher Unrecht thut zu strafen.« – »Hältst du es aber für besser, Kyrus, die Strafe zu deinem Vortheil, oder zu deinem Nachtheil zu verhängen?« – »Im letztern Fall,« sprach Kyrus, »würde ich ja mich selbst strafen.« – »Aber du würdest dir,« sprach Tigranes, »einen großen Schaden 87 zufügen, wenn du die Deinigen in einem Zeitpunkt tödten wolltest wo dir ihr Besitz am meisten werth ist.« – »Wie ist Das möglich,« erwiderte Kyrus, »daß die Leute dann den größten Werth haben wann sie über dem Unrecht ertappt werden?« – »Ich meine, wenn sie alsdann zur Besonnenheit kommen; denn ohne Besonnenheit scheint mir auch keine andere Tugend etwas zu taugen. Denn was ist z. B. mit einem starken oder tapfern, mit einem guten Reiter, einem reichen, einem im Staate mächtigen Mann anzufangen, wenn es ihm an Besonnenheit fehlt? Durch Besonnenheit aber wird jeder Freund nützlich und jeder Diener brauchbar.« – »Du meinst also,« sprach Kyrus, »daß auch dein Vater an diesem Einen Tag aus einem Unbesonnenen ein Besonnener geworden sei?« – »Allerdings.« – »Du zählst also die Besonnenheit unter die Leidenschaften der Seele, wie die Betrübniß, nicht unter die Wissenschaften? Denn wenn Der welcher besonnen sein soll vorher verständig werden muß, so kann doch fürwahr Einer nicht in einem Augenblick aus einem Unbesonnenen ein Besonnener werden.« – »Wie? Kyrus,« entgegnete Tigranes: »hast du noch nie die Erfahrung gemacht daß ein Einzelner aus Unbesonnenheit den Kampf mit einem ihm Ueberlegenen wagte, sobald er aber besiegt war von dieser Unbesonnenheit abkam? Oder hast du noch nie gesehen daß eine Stadt die sich wider die andere auflehnte, sobald sie besiegt war, statt weitern Kampfes sich sogleich willig unterwarf?« – »Was für eine Demüthigung deines Vaters hast du denn im Auge daß du so fest behauptest er sei besonnen geworden?« – »Ich meine das Bewußtsein das er hat, nach Freiheit gestrebt zu haben, und nun ein Sklave, wie noch nie, geworden zu sein: und daß er nichts von Dem was er durch Heimlichkeit oder durch Eile oder durch einen Gewaltschlag vornehmen zu müssen glaubte durchzusetzen im Stande war. Von dir aber weiß er daß du ihn in dem worin du ihn überlisten wolltest so überlistet hast wie man es nur bei blinden, tauben und ganz sinnlosen Menschen kann: was du aber verborgen halten wolltest, das hieltest du, wie er weiß, so geheim daß du ihm die festen Plätze, die er im Rücken zu haben glaubte, ohne daß er etwas merkte, in Gefängnisse umwandeltest. An 88 Geschwindigkeit aber übertrafst du ihn so sehr daß du mit einem großen Heere von fernher kamst, ehe er seine Macht nur zusammengebracht hatte.« – »Glaubst du also,« sprach Kyrus, »auch eine solche Demüthigung sei im Stande Menschen zur Besonnenheit zu bringen, welche darin besteht daß sie anerkennen daß Andere ihnen überlegen sind?« – »Noch vielmehr,« erwiderte Tigranes, »als wenn sie in der Schlacht besiegt werden. Denn Der welcher durch Stärke besiegt wurde glaubt bisweilen, wenn er den Körper geübt habe, durch einen neuen Kampf die erlittene Niederlage wieder gut machen zu können: und eroberte Städte glauben, wenn sie Bundesgenossen bekommen haben, sich wieder heben zu können; Wen man aber als überlegen anerkennt, dem gehorcht man oft sogar ohne Zwang.« – Kyrus versetzte: »wie es scheint glaubst du nicht daß die Uebermüthigen die bescheideneren, die Diebe die ehrlichen, die Lügner die wahrhaftigen, die Ungerechten die gerechten Leute kennen.« »Weißt du nicht,« fuhr er fort, »daß auch im vorliegenden Fall dein Vater uns getäuscht und die zwischen uns bestehenden Verträge nicht gehalten hat, unerachtet er wußte daß wir auch nicht Eine der von Astyages festgesetzten Bedingungen übertreten?« – »Das meine ich auch nicht, daß allein die Bekanntschaft mit Ueberlegenen besonnen macht, ohne von ihnen zur Strafe gezogen zu werden, wie es jetzt bei meinem Vater der Fall ist.« – »Deinem Vater ist ja,« erwiderte Kyrus, »noch nicht das mindeste Leid geschehen; er fürchtet nur, ich weiß das wohl, es möchte über ihn das Aeußerste ergehen.« – »Glaubst du denn,« erwiderte Tigranes, »irgend Etwas drücke den Menschen so sehr nieder wie heftige Furcht? Weißt du nicht daß Die welche mit dem Schwert, das für das empfindlichste Strafwerkzeug gilt, geschlagen worden, doch mit denselben Leuten sich wieder versuchen wollen; daß die Menschen aber Denen welche sie heftig fürchten nicht einmal wenn sie ihnen Muth einsprechen in's Gesicht sehen können?« – »Du meinst,« sprach Kyrus, »Furcht sei für die Menschen eine härtere Strafe als thätliche Züchtigung?« – »Du weißst,« antwortete Tigranes, »daß ich Recht habe: denn das ist dir bekannt daß Die welche fürchten sie möchten aus dem Vaterland verbannt werden, 89 oder die welche bei bevorstehendem Kampf besorgen sie möchten besiegt werden, muthlos sind; daß die Schiffenden, denen es vor Schiffbruch, und Diejenigen welchen es vor Sklaverei und Gefangenschaft bange ist, aus Furcht weder Speise noch Schlaf genießen können. Denen aber welche bereits verbannt, besiegt und in Sklaverei sind schmeckt Essen und Schlaf bisweilen besser als Denen welche noch im Glücke leben. Welche schwere Bürde die Furcht ist erhellt noch mehr daraus daß Einige welche fürchten, wenn sie gefangen werden, sterben zu müssen, sich aus Todesangst vorher den Tod geben, indem sich die Einen in Abgründe stürzen, Andere sich erhängen, Andere sich erstechen. So wahr ist es daß unter allem Schrecklichen die Furcht die Seele am meisten schreckt. Und wie glaubst du erst daß mein Vater gegenwärtig gestimmt sei, der nicht nur für sich, sondern auch für mich, seine Gattin und alle seine Kinder die Knechtschaft fürchtet?« – Kyrus erwiderte: »daß er gegenwärtig so gestimmt sei ist mir gar nicht unglaublich: aber es scheint mir daß derselbe Mann im Glück sich zu brüsten, im Unglück sich schnell zu demüthigen, und wenn er wieder aufkommt, von Neuem übermüthig zu werden und Unruhen zu veranlassen pflege.« – »Bei'm Zeus, Kyrus,« erwiderte Tigranes, »unser Vergehen berechtigt allerdings zum Mißtrauen gegen uns: aber du kannst ja in unserem Lande Festungen anlegen, die festen Plätze besetzt halten und jedes andere Unterpfand das du willst nehmen: und dennoch werden wir uns dadurch nicht niedergebeugt fühlen, wenn wir uns erinnern daß wir daran Schuld sind. Wenn du aber Einem der sich noch keines Fehlers schuldig gemacht hat die Herrschaft übergibst und Mißtrauen gegen ihn blicken lässest, so sieh zu daß er dich nicht, trotz der erwiesenen Wohlthat, doch nicht für seinen Freund halte. Wenn du aber, aus Besorgniß ihn zu erbittern, ihm kein Joch auflegst, um seinen Uebermuth in Schranken zu halten, so sieh zu daß du es nicht mehr nöthig habest ihn in Ordnung zu bringen als es gegenwärtig bei uns war.« – »Aber bei den Göttern,« versetzte Kyrus, »solche Diener von denen ich wüßte daß sie mir mit Zwang dienen möchte ich nicht gerne haben. Die aber von denen ich wüßte daß sie nur aus Wohlwollen und 90 Freundschaft zu mir die schuldigen Dienste leisten, glaube ich, auch wenn sie einen Fehler machen, leichter ertragen zu können als Die welche mich hassen, aber aus Zwang ihre Pflicht vollständig erfüllen.« – Darauf sprach Tigranes: »was die Freundschaft betrifft, von Wem könntest du sie in dem Grade wie jetzt von uns erwerben?« – »Ich glaube von Denen,« erwiderte Kyrus, welche sich nie als Feinde gezeigt haben, wenn ich ihnen die Wohlthaten erwiese die du jetzt von mir für euch in Anspruch nimmst.« – »Könntest du auch, Kyrus, im gegenwärtigen Augenblick Jemand finden welchem du einen so großen Dienst erweisen würdest wie meinem Vater? Wenn du z. B. Einem von Denen welche dir nichts zu Leid gethan haben das Leben lässest, welchen Dank wird er dir dafür wissen – Ferner wer wird dich dafür daß du ihm Weib und Kind nicht nimmst mehr lieben als Der welcher es verdient zu haben glaubt sie zu verlieren? Sodann kennst du Jemand dem es schmerzlicher sein würde die Herrschaft über die Armenier zu verlieren als uns? Daher ist es auch natürlich daß Der welchem es am schmerzlichsten ist nicht König zu sein, wenn er die Herrschaft bekommt, dir den größten Dank wissen würde. Wenn dir auch daran gelegen ist nach deinem Abzuge die Ordnung möglichst gesichert zu wissen, so überlege, in welchem Fall die Ruhe am besten erhalten wird, wenn eine neue Regierung eingesetzt wird, oder wenn die gewohnte fortbesteht? Ist es dir aber darum zu thun eine starke Armee mitzunehmen, wer hat hier eine bessere Auswahl als Der welcher sie schon oft gebraucht hat? Brauchst du Geld, wer kann dieß besser aufbringen als Der welcher Alles was vorhanden ist kennt und inne hat? Mein lieber Kyrus, nimm dich in Acht daß du nicht, wenn du uns entsetzest, dir selbst größeren Schaden zufügest als mein Vater dir zufügen konnte.« So sprach er.
Kyrus freute sich darüber ungemein, weil er nun Alles erreicht zu haben glaubte was er dem Kyaxares versprochen hatte. Denn er erinnerte sich gesagt zu haben er hoffe ihn noch zu einem bessern Freunde zu machen als er vorher gewesen sei. Darauf fragte er den Armenier: »Wenn ich in diese deine Wünsche eingehe, Armenier, so sage einmal, ein wie starkes Heer willst du mir stellen, und wieviel Geld zum Kriege 91 beitragen?« Der Armenier antwortete: »Der einfachste und billigste Vorschlag den ich machen kann ist daß ich dir die ganze vorhandene Mannschaft zeige: hast du sie gesehen, so nimmst du davon so viel dir beliebt, und läßst das Uebrige zur Besatzung des Landes zurück. Ebenso ist es billig daß ich dir alles vorhandene Geld vorzeige, und daß du nach genommener Einsicht nehmest so viel du willst, und zurücklassest so viel du willst.« Kyrus sagte: »nun so sage mir denn: wie hoch beläuft sich deine Macht und dein Geld?« Der Armenier erwiderte: »die Armenischen Reiter belaufen sich ohngefähr auf achttausend, das Fußvolk auf vierzigtausend. Das Geld aber, mitgerechnet die Schätze die mein Vater hinterlassen hat, beträgt, in Silber angeschlagen, mehr als dreitausend Talente.« Kyrus sagte, ohne sich lange zu bedenken: »da die benachbarten Chaldäer mit dir im Kriege begriffen sind, so gib mir von dem Heere die Hälfte mit, und statt der fünfzig Talente Tribut welche du sonst bezahltest erlege dem Kyaxares das Doppelte, weil du damit im Rückstand geblieben bist: mir aber leihe hundert Talente auf das Versprechen, wenn die Gottheit mir Glück verleiht, dir für das Geliehene entweder andere größere Wohlthaten zu gewähren oder das Geld zurückzuzahlen; sollte ich es aber nicht im Stande sein, so möge es als Unvermögen, nicht als Ungerechtigkeit angesehen werden.« Darauf sprach der Armenier: »ich bitte dich bei den Göttern, Kyrus, sprich nicht so, sonst kann ich keinen Muth fassen: sei vielmehr überzeugt daß Das was du zurücklässest eben so gut dein ist als Das was du mitnimmst.« – »Gut,« erwiderte Kyrus: »wie viel Geld gäbest du mir wohl, um deine Gattin wieder zu bekommen?« – »So viel ich aufbringen kann.« – »Und um deine Kinder?« – »Auch um diese, so viel ich bezahlen kann.« – »Das wäre also,« sagte Kyrus, »schon das Doppelte von Dem was du hast.« – »Und du, Tigranes, sage einmal, wie theuer würdest du deine Gattin loskaufen (er war seit Kurzem verheirathet und liebte seine Gattin außerordentlich)?« – »Selbst mit meinem Leben, Kyrus,« erwiderte er, »würde ich sie von der Sklaverei loskaufen.« – »So nimm du denn die deinige hin: denn ich glaube sie gar nicht als Gefangene bekommen zu haben, da du nie 92 vor uns geflohen bist. Auch du, Armenier, nimm deine Gattin und deine Kinder ohne Lösegeld hin, damit sie wissen daß sie frei zu dir zurückkommen. Jetzt speiset bei uns, und dann ziehet hin wohin ihr wollt.« Also blieben sie.
Als sie sich nach der Mahlzeit aus dem Zelt entfernten fragte Kyrus: »sage mir doch, Tigranes, wo ist jener Mann der mit uns jagte und den du sehr zu bewundern schienst?« – »Ach, Den hat mein Vater hier hinrichten lassen.« – »Ueber welchem Verbrechen traf er ihn an?« – »Er sagte, er verderbe mich; und doch war er so edel, Kyrus, daß er sogar als er zum Tode geführt wurde mir zurief: »Zürne, Tigranes, deinem Vater nicht, weil er mich hinrichten läßt: er thut es nicht aus böser Gesinnung, sondern aus Unwissenheit: und alle Fehler der Unwissenheit halte ich für unvorsätzlich.« – Nun rief Kyrus aus: »Schade um den Mann.« – Darauf sprach der Armenier: »tödten ja auch die, mein Kyrus, welche fremde Männer im Umgang mit ihren Weibern antreffen, dieselben nicht darum weil sie denselben den Kopf verrücken; sondern weil sie glauben solche Leute entziehen ihnen ihre Liebe, darum behandeln sie dieselben als Feinde. Auch ich war eifersüchtig auf ihn, weil es mir vorkam er flöße meinem Sohn größere Achtung vor sich als vor mir ein.« Hierauf sagte Kyrus: »Bei den Göttern, Armenier, dein Fehler war menschlich: und du, Tigranes, verzeihe deinem Vater.« Nachdem sie sich so unterhalten hatten nahmen sie freundschaftlichen Abschied, wie es nach einer Aussöhnung zu erwarten war, bestiegen mit den Weibern die Wagen, und fuhren fröhlich davon.
Nachdem sie nach Hause gekommen waren sprach der Eine von Kyrus' Weisheit, der Andere von seiner Ausdauer, ein Dritter von seiner Milde, Mancher auch von seiner Schönheit und Größe. Da fragte Tigranes seine Gattin: »fandst auch du, meine Liebe, den Kyrus schön?« – »Bei Gott,« erwiderte sie, »ich habe ihn gar nicht angesehen.« – »Wen denn?« sprach Tigranes. »Den, fürwahr, welcher sagte er wolle mich mit seinem eignen Leben aus der Sklaverei 93 loskaufen.« Sodann giengen sie, wie sich's nach solchen Vorfällen denken läßt, mit einander zur Ruhe.
Am folgenden Tage sandte der Armenier dem Kyrus und dem ganzen Heere Gastgeschenke und ließ seinen Leuten bekannt machen, Diejenigen welche in's Feld ziehen müssen sollen sich am dritten Tage stellen. Von der Geldsumme von welcher Kyrus gesprochen hatte bezahlte er das Doppelte. Kyrus nahm davon so viel als er gesagt hatte, und schickte das Andere zurück. Er fragte, Wer das Heer führen würde, der Sohn oder er selbst? Sie erwiderten Beide auf einmal, der Vater: »Welchen du willst;« der Sohn: »ich werde mich nicht von dir trennen, selbst wenn ich als Troßknecht dir nachfolgen muß.« Lächelnd sagte Kyrus: »wie viel müßte man dir geben, wenn du deine Gattin hören lassen wolltest daß du als Troßknecht dienest?« – »Sie braucht nichts zu hören; ich werde sie mitnehmen, so daß sie selbst sehen kann was ich thue.« – »Es dürfte nun Zeit sein,« sagte Kyrus, »daß ihr eure Zurüstungen treffet.« – »Sei überzeugt,« versetzte Tigranes, »daß wir mit Allem was der Vater hergibt ausgerüstet eintreffen werden.« Die Soldaten giengen nun gastlich beschenkt zur Ruhe.
Am folgenden Tage nahm Kyrus den Tigranes, den Kern der Medischen Reiterei und die erforderliche Zahl von seinen Freunden mit sich, riet im Lande umher und betrachtete es, um einen Platz für eine Festung aufzufinden. Als er auf eine Anhöhe kam fragte er den Tigranes, welches die Gebirge seien von denen herab die Chaldäer zu ihren Raubzügen kommen. Tigranes zeigte sie. Kyrus fragte weiter: »sind diese Berge jetzt unbesetzt?« – »Nein, fürwahr,« antwortete Tigranes, »sie haben Kundschafter ausgestellt, welche den Andern anzeigen was sie sehen.« – »Was thun sie denn auf die erhaltene Kunde?« – »Sie springen ihnen auf die Anhöhen bei, so gut Jeder kann.« Diese Nachrichten zog Kyrus ein; durch eigene Einsicht aber überzeugte er sich daß das Land der Armenier zum großen Theil wegen des Krieges öde und unbebaut war. Sie giengen sodann in's Lager zurück, speisten und begaben sich zur Ruhe. Am folgenden Tage erschien 94 Tigranes gerüstet; er hatte gegen viertausend Reiter, gegen zehntausend Pfeilschützen und eben so viele leichte Schildträger zusammen gebracht. Während sich Diese versammelten brachte Kyrus ein Opfer, und als dieses günstig war berief er die Führer der Perser und Meder zusammen und redete die Versammelten also an:
»Liebe Männer, diese Berge die wir sehen gehören den Chaldäern; nähmen wir nun diese ein und setzten unsere Festung auf ihre Spitze, so müßten Beide, Armenier und Chaldäer, sich nothwendig ruhig gegen uns verhalten. Das Opfer nun war uns günstig; der menschlichen Thätigkeit aber kann zu Ausführung dieses Plans Nichts so behülflich sein wie die Geschwindigkeit. Denn kommen wir vorher hinauf, ehe sich die Feinde sammeln, so könnten wir die Spitzen entweder ganz ohne Schwertstreich nehmen oder hätten wir es nur mit wenigen und schwachen Feinden zu thun. Es gibt nun keine leichtere, keine gefahrlosere Anstrengung als bei dieser schnellen Unternehmung Ausdauer zu beweisen. Greifet also zu den Waffen; ihr, Meder, gehet uns zur linken, ihr, Armenier, zur Hälfte auf der rechten Seite, zur Hälfte vor uns: ihr, Reiter, beschließet den Zug, uns ermunternd und vorwärts drängend, und sollte Einer lässig werden, so gebt es nicht zu.« Darauf stellte er sich an die Spitze des Heeres, das er colonnenweise gestellt hatte. Als die Chaldäer gewahr wurden daß die Bewegung aufwärts gieng gaben sie den Ihrigen sogleich Zeichen, riefen einander zu und versammelten sich. Kyrus aber rief: »Perser, sie geben uns ein Zeichen uns zu beeilen; denn kommen wir vorher hinauf, so vermögen die Anstrengungen der Feinde Nichts.«
Die Chaldäer hatten kleine Schilde und zwei Lanzen. Sie galten für das streitbarste Volk in jener Gegend, und weil sie dabei arm sind, so dienen sie um Sold, wenn ihrer Jemand bedarf. Ihr Land ist nämlich gebirgig und nur zum wenigsten Theile ergiebig. Als nun Kyrus mit seinen Leuten den Höhen näher kam sagte Tigranes, der neben Kyrus einherzog: »Kyrus, weißt du daß wir selbst sogleich werden kämpfen müssen? denn die Armenier werden dem Feind sicherlich nicht Stand halten.« Kyrus erwiderte, er wisse Das, und gab den 95 Persern sogleich Befehl sich zu rüsten, indem sie augenblicklich nachsetzen müßten, wenn die verstellter Weise fliehenden Armenier den Feind in die Nähe gelockt haben würden. So zogen denn die Armenier voran, die anwesenden Chaldäer aber rannten, als sich die Armenier näherten, nach ihrer Gewohnheit unter Feldgeschrei auf sie zu, und die Armenier hielten, ebenfalls nach ihrer Gewohnheit, nicht Stand. Als aber die nachsetzenden Chaldäer sahen daß eine mit Schwertern bewaffnete Mannschaft ihnen entgegenrücke, so fielen Einige die sich näherten auf der Stelle, Andere entflohen, Andere wurden gefangen. Bald waren die Bergspitzen erobert. Kyrus und seine Leute blickten von da auf die Wohnsitze der Chaldäer herab und bemerkten, wie sie aus den benachbarten Wohnorten flohen. Als alle Soldaten beisammen waren ließ Kyrus ein Frühstück bereiten. Darauf legte er an dem Orte wo die Warten der Chaldäer gewesen waren, den er fest und mit Wasser versehen fand, sogleich eine Festung an; dem Tigranes befahl er seinen Vater, mit allen Zimmerleuten und Maurern die er habe, her zu bescheiden. Es gieng daher ein Bote an den Armenier ab, Kyrus aber begann mit den anwesenden Leuten die Befestigung.
Während Dessen führten sie die Gefangenen gebunden, Einige auch verwundet vor Kyrus. So wie er sie erblickte ließ er die Gefangenen sogleich lösen; zu den Verwundeten ließ er Aerzte rufen und sie heilen. Dann sagte er zu den Chaldäern, er sei weder mit dem Vorhaben sie zu verderben, noch aus Verlangen nach Krieg gekommen, sondern um zwischen den Armeniern und Chaldäern Frieden zu stiften. »Ehe nun die Anhöhen besetzt waren, war es euch, ich weiß es wohl, nie um Frieden zu thun; denn eure Habe war in Sicherheit, und den Armeniern raubtet ihr das Ihre. Nun betrachtet einmal, in welcher Lage ihr euch befindet. Ich entlasse euch Gefangene nach Haus und gebe euch mit den übrigen Chaldäern zu bedenken, ob ihr mit uns Krieg führen oder unsere Freunde sein wollet. Wollt ihr den Krieg, so kommt nicht mehr hieher ohne Waffen, wenn ihr vernünftig seid: glaubt ihr aber des Friedens zu bedürfen, so kommt ohne Waffen. Eure Lage gut zu machen, wenn ihr unsere Freunde werdet, werde ich mir 96 angelegen sein lassen.« Als die Chaldäer Dieß gehört erhoben sie den Kyrus hoch, nahmen von ihm zärtlichen Abschied und giengen nach Hause.
Als der Armenier den von Kyrus an ihn ergangenen Ruf und dessen Thaten vernahm, so begab er sich mit Handwerksleuten und Allem was er sonst nöthig zu haben glaubte in möglichster Eile zu Kyrus. Als er aber den Kyrus erblickte sagte er. »Kyrus, wie wenig können wir Menschen von der Zukunft vorhersehen, und dennoch, wie viel unternehmen wir. Auch ich versuchte es die Freiheit zu erringen, und wurde ein Sklave, wie ich es noch nie war: und nachdem wir in der Gefangenschaft gewiß geglaubt haben verloren zu sein, so steht es jetzt wieder besser mit uns als je. Denn Die welche uns unaufhörlich vielen Schaden zufügten sehe ich nun in eine Lage versetzt wie ich es wünschte. Und auch Das muß ich dir sagen, Kyrus, daß ich viel mehr Geld gegeben hätte, um die Chaldäer von diesen Anhöhen zu verdrängen, als du von mir erhalten hast; und dein bei dem Empfang des Geldes gegebenes Versprechen, uns dafür Gutes zu thun, hast du bereits erfüllt, so daß wir schon wieder zu neuem Danke verpflichtet sind: und wenn wir keine schlechten Leute sind, so würden wir uns schämen diesen nicht zu entrichten; und wenn wir ihn auch entrichten, so wird unsere Leistung doch den Verdiensten eines solchen Wohlthäters nicht entsprechend erfunden werden.« So sprach der Armenier.
Die Chaldäer aber kamen und baten den Kyrus um Frieden. Kyrus fragte sie: »nicht wahr, Chaldäer, ihr wünschet blos darum den Frieden weil ihr glaubt, da wir einmal diese Anhöhen inne haben, so könnet ihr sicherer im Frieden als im Kriege leben?« Die Chaldäer gestanden es zu. Kyrus fuhr fort: wie wäre es nun, wenn ihr durch den Frieden auch noch andere Güter gewännet?« – »Das würde unsere Freude noch erhöhen.« – »Nun denn, findet ihr den Grund eurer gegenwärtigen Armut in etwas Anderem als im Mangel an gutem Land?« Auch Dieß bejahten sie. »Wie nun, versetzte Kyrus, »wünschtet ihr wohl die Erlaubniß, gegen Entrichtung der gleichen Steuer 97 welche die Andern, nämlich die Armenier bezahlen, in Armenien so viel Land als ihr wollet anzubauen?« – »Allerdings,« sagten die Chaldäer, »wenn wir die Gewißheit hätten vor Beeinträchtigungen sicher zu sein.« – »Und du, Armenier,« sagte Kyrus, »wünschtest du daß das bei dir ungebaut liegende Land angebaut werde, wenn die Bebauer die bei dir üblichen Abgaben entrichten wollten?« – »Das wäre mir sehr erwünscht,« erwiderte der Armenier: »denn meine Einkünfte würden sich dadurch bedeutend erhöhen.« – »Und wie meint ihr, Chaldäer? Da ihr gute Berge habt, möchtet ihr wohl diese den Armeniern zu Waiden überlassen, wenn euch die Waidenden das was man mit Recht fordern kann bezahlen würden?« Die Chaldäer gestanden Dieß zu, indem es ihnen ohne Arbeit großen Vortheil bringen würde. »Und du, Armenier,« fuhr Kyrus fort, »wolltest du die Waiden der Chaldäer benützen, wenn du durch einen kleinen Nutzen den du ihnen schaffst weit größere Vortheile erringen würdest?« – »Recht gerne, wenn ich glauben könnte daß die Waide sicher sei.« – »Würde Dieß wohl der Fall sein,« sagte Kyrus, »wenn die Anhöhen von euch besetzt wären?« – »Ja wohl,« sprach der Armenier. »Aber, bei'm Zeus,« riefen die Chaldäer, »wenn Diese die Anhöhen inne hätten, so könnten wir nicht einmal unser Land, geschweige denn das ihrige, sicher bebauen.« – »Wenn dagegen ihr die Anhöhen besetztet?« erwiderte Kyrus. »Dann,« sagten sie, »wäre es gut für uns.« – »Aber alsdann,« sprach der Armenier, »stände es für uns schlimm, wenn Diese die Anhöhen wieder überkommen sollten, besonders wenn sie befestigt sind.« Kyrus sagte hierauf: »ich will es nun so machen: Keinem von Beiden will ich die Anhöhen übergeben, sondern wir wollen sie besetzen; und wenn Einer den Andern beeinträchtigt, so werden wir dem Beeinträchtigten beistehen.«
Mit diesem Vorschlag waren beide Theile zufrieden: Dieß, sagten sie, sei der einzige Weg dem Frieden Dauer zu verleihen. Sie gaben sich darauf wechselseitig die Pfänder der Treue und setzten fest, Beide sollen unabhängig von einander sein, hingegen sollen wechselseitige Heirathen, gegenseitige Benützung des Landes und der Waiden 98 Statt finden, und gemeinschaftliches Schutzbündniß, wenn Einer von Beiden angegriffen würde. So kam es damals zu Stande; und noch jetzt bestehen die Verträge die damals zwischen den Chaldäern und dem Könige von Armenien abgeschlossen wurden. Nachdem die Verträge geschlossen waren legten Beide sogleich mit größter Bereitwilligkeit Hand an die Errichtung der Festung, welche eine gemeinschaftliche werden sollte, und versahen sie mit Lebensmitteln. Als es Abend wurde lud Kyrus beide Theile als jetzt befreundet zu Tische. Als sie beisammen im Zelte waren sagte Einer der Chaldäer, im Allgemeinen sei ihnen zwar die jetzige Lage sehr erwünscht, aber es gebe einige Chaldäer die von der Beute leben und das Land zu bauen weder verstehen noch es aushalten würden, weil sie gewohnt seien vom Krieg zu leben. Denn sie waren beständig entweder auf Streifzügen oder in fremden Diensten, oft bei dem Könige der Indier (der, sagten sie, ungemein viel Gold hat), oft auch bei Astyages. Darauf versetzte Kyrus: »wollen sie jetzt nicht auch bei mir Dienste nehmen? Ich biete ihnen die höchste Summe die je Einer gegeben hat.« Sie stimmten ihm bei und sagten, dazu werden sich viele Liebhaber finden.
So wurde nun Dieses verabredet. Als aber Kyrus hörte daß die Chaldäer oft zu dem Könige von Indien kamen, so fiel ihm die Gesandtschaft ein die von demselben nach Medien gekommen war, um die dortigen Angelegenheiten zu erforschen, und dann zu den Feinden gieng, um sich auch von ihrer Lage zu unterrichten; daher wünschte er daß der König von Indien seine Thaten erfahren möchte. Er begann daher folgende Rede: »Du König von Armenien, und ihr Chaldäer, sagt mir: wenn ich jetzt Einen meiner Leute an den König von Indien absendete, würdet ihr mir von den Eurigen Einige mitgeben, die ihm den Weg zeigen und mein Gesuch bei dem Könige unterstützen könnten? Denn ich möchte noch einen Zuschuß an Geld erhalten, um den Sold Denen welchen er gebürt reichlich geben und die verdienten Soldaten mit Ehrengaben beschenken zu können. Darum wünsche ich recht vieles Geld zu haben; denn ich glaube es zu bedürfen. Euch aber möchte ich gerne schonen, weil ich euch nun für Freunde halte; vom Indier 99 aber nähme ich es gerne an, wenn er mir gäbe. Der Bote nun, dem ihr Führer mitgeben und bei seiner Bitte behülflich sein sollt, soll dort melden: »»König von Indien, Kyrus hat mich an dich gesandt; er sagt, er bedürfe Geld, weil er noch eine andere Macht von Persien aus erwarte (was auch wirklich der Fall ist). Wenn du ihm nun schickest so viel du entbehren kannst, so wolle er, wenn die Gottheit seine Unternehmung mit glücklichem Erfolg kröne, es dahin zu bringen suchen daß es dich nicht reue ihm einen Dienst erwiesen zu haben.«« So wird mein Abgeordneter sprechen: gebt nun auch ihr den Eurigen auf, was euch zuträglich scheint. Bekommen wir von ihm Geld, so stehen uns reichere Mittel zu Gebot; bekommen wir keines, so wissen wir daß wir ihm keinen Dank schuldig sind, sondern wir dürfen seinetwegen Alles nach unserem Vortheil einrichten.« Das sagte Kyrus in der Hoffnung, die mitgehenden Armenier und Chaldäer werden so von ihm sprechen wie er wünschte daß alle Menschen von ihm sprechen und sprechen hören. Sie lösten sodann, als es Zeit war, die Gesellschaft auf und giengen zur Ruhe.
Am folgenden Tage sandte Kyrus den Boten mit den genannten Aufträgen ab: die Armenier und die Chaldäer schickten Leute mit, welche sie für die Tauglichsten erachteten um mit Wort und That die Sache des Kyrus zu unterstützen. Kyrus versah hierauf die Festung mit hinreichender Besatzung und allen Lebensmitteln, ließ einen Meder den er für den dem Kyaxares Ergebensten hielt als Befehlshaber zurück, und zog dann ab, begleitet von beiden Heeren, sowohl dem das er selbst mitgebracht als dem welches er von den Armeniern an sich gezogen hatte, nebst viertausend Chaldäern, die sich für die Besten im ganzen Heere hielten. Als er auf das bewohnte Land herabkam, da blieb kein Armenier, weder Mann noch Weib, zu Hause: Alle zogen ihm entgegen, sich freuend des Friedens, herbeibringend und führend was Jeder von Werth hatte. Der Armenier zeigte sich darüber nicht ungehalten, denn er dachte, auf diese Art werde sich Kyrus über diese allgemeine Ehrenbezeugung noch mehr freuen. Zuletzt kam ihm auch die Gemahlin des Armeniers mit ihren Töchtern und ihrem jüngern 100 Sohn entgegen und brachte unter andern Geschenken auch das Gold das Kyrus früher nicht hatte nehmen wollen. Als Kyrus sie erblickte sprach er: »Ihr dürft mich nicht so behandeln als ob ich für Lohn herumziehe und wohlthue: behalte du, liebes Weib, dieses Geld das du bringst, und ziehe hin; gib es aber dem Armenier nicht mehr zum Vergraben, sondern rüste damit deinen Sohn auf's Schönste aus und schicke ihn zum Heer: von dem Uebrigen schaffe dir, deinem Gemahl, deinen Töchtern und deinen Söhnen denjenigen Schmuck an, dessen Besitz euch das Leben schöner und angenehmer machen wird: zum Vergraben in die Erde aber möge es an den Körpern genug sein, wenn Jeder gestorben ist.« Darauf riet er weiter: der Armenier aber begleitete ihn, so wie das gesammte Volk, das ihn als seinen Wohlthäter, als edlen Mann ausrief und nimmer abließ, bis er über die Grenze geleitet war. Der Armenier verstärkte das ihm gegebene Heer noch, weil er Friede in seinem Lande hatte, und Kyrus zog ab, nicht nur bereichert mit dem Geld das er empfangen hatte, sondern durch sein Benehmen hatte er sich auch das Recht erworben über viel mehreres zu verfügen, wenn er dessen bedürfte.
Er lagerte sich sodann auf der Grenze. Am folgenden Tage aber schickte er das Heer und das Geld an Kyaxares (Dieser war verabredetermaßen in der Nähe); er selbst mit Tigranes und den edlen Persern belustigte sich überall wo sie Wild vorfanden mit der Jagd.
Nachdem er nach Medien gekommen war gab er seinen Taxiarchen so viel von dem Gelde als ihm für Jeden hinreichend schien, um Diejenigen seiner Untergebenen welche sich besonders gut gehalten hatten auszuzeichnen. Denn er glaubte, wenn Jeder seine Abtheilung des Lobes würdig mache, so müsse es um das Ganze gut stehen. Und wo er Etwas sah das dem Heer zum Schmucke dienen konnte, das schaffte er an und vertheilte es jedesmal an die Würdigsten als Geschenk, in der Ueberzeugung daß alles Schöne und Gute was das Heer besitze ihn selbst ziere. Als er nun von Dem was er empfangen hatte unter sie austheilte, sprach er in der Mitte der Taxiarchen und Lochagen und Aller welche er ehrte folgendermaßen: »Freunde, wir 101 haben jetzt gerechten Grund zur Freude, theils weil wir in Ueberfluß versetzt worden sind, theils weil wir die Mittel in Händen haben Diejenigen welche wir wollen zu ehren, und daß Jeder die ihm gebürende Ehre empfange. Aber lasset uns nie vergessen, durch welche Mittel wir uns diese Güter erworben haben; denn bei einigem Nachdenken werdet ihr finden daß Nachtwachen, wo es nöthig war, Anstrengung, Schnelligkeit und Standhalten vor dem Feind jene Mittel waren. Auch in der Zukunft müssen wir so wackere Männer bleiben, da wir wissen daß Gehorsam und Ausdauer, und, wenn es die Umstände heischen, Strapazen und Gefahren uns diese hohen Genüsse und großen Güter gewähren.«
Als Kyrus bemerkte, wie kräftig seine Soldaten waren um die Beschwerden des Krieges zu ertragen, wie muthig um die Feinde zu verachten, wie erfahren in allem zur Handhabung ihrer Waffen Gehörigen, wie gut zum Gehorsam gegen die Vorgesetzten gewöhnt, so bekam er Lust eine Unternehmung gegen die Feinde zu versuchen, indem er wohl wußte daß sich den Feldherren durch Zögerung Manches auch an der schönsten Zurüstung ändert. Da er ferner sah daß bei dem Ehrgeiz den sie bei ihren Wettkämpfen hatten Viele der Soldaten einander neidisch ansahen, so wünschte er auch deßwegen sie so bald als möglich in's feindliche Land zu führen. Denn er wußte daß gemeinschaftliche Gefahren Bundesgenossen gegen einander freundschaftlich gesinnt machen, und daß sie dann weder Die welche sich durch Waffenschmuck auszeichnen, noch Die welche nach Ruhm streben beneiden, sondern daß Leute dieser Art ihres Gleichen um so mehr loben und lieben weil sie Dieselben als Mitarbeiter an dem allgemeinen Besten betrachten. Er bewaffnete daher zuerst das Heer so schön und gut als möglich, und stellte es in Schlachtordnung: dann rief er die Myriarchen,Befehlshaber über Zehntausend. Chiliarchen, Taxiarchen und Lochagen zusammen: Diese wurden nämlich bei den Musterungen der Abtheilungen nicht mitgezählt, und wenn sie bei dem Feldherrn Befehle einzuholen oder den Soldaten zu verkünden hatten, 102 so blieb das Heer auch dann nicht ohne Aufsicht; sondern die Dodekadarchen und HexadarchenDodekadarchen haben über zwölf, Hexadarchen über sechs Mann zu gebieten. hatten alles Uebrige in Ordnung zu halten.
Als die Befehlshaber versammelt waren führte er sie in den Reihen herum, zeigte ihnen den guten Zustand, und belehrte sie worin die Stärke eines jeden Hülfscorps bestand. Nachdem er auch ihnen Lust eingeflößt hatte nun Etwas zu unternehmen, so befahl er ihnen nunmehr zu ihren Abtheilungen zu gehen, ihren Leuten Dasselbe zu sagen was er ihnen gesagt, und selbst zu versuchen Allen Begierde nach einem Feldzug einzuflößen, damit Alle frohen Muthes auszögen: des andern Morgens aber sollten sie vor dem Palaste des Kyaxares erscheinen. Sie giengen hin und thaten sämmtlich also; am folgenden Tage aber erschienen die Befehlshaber mit Tagesanbruch an der Pforte. Kyrus gieng mit ihnen zu Kyaxares hinein und begann folgende Rede:
»Ich weiß zwar, Kyaxares, daß du an Das was ich sagen will schon längst so gut als wir gedacht hast: aber vielleicht scheust du dich es zu sagen, um den Schein zu vermeiden als denkest du deßwegen an einen Feldzug weil es dir beschwerlich sei uns zu unterhalten. Da du nun schweigst, so will ich für dich und für uns sprechen. Wir Alle nämlich sind der Meinung, da wir gerade gerüstet sind, so sollen wir nicht erst dann kämpfen wann die Feinde in dein Land eingefallen sind, noch in Freundesland unthätig zuwarten, sondern so schnell als möglich in das feindliche Land eindringen. Denn jetzt, so lange wir in deinem Lande stehen, fügen wir deinen Unterthanen wider unsern Willen manchen Schaden zu; ziehen wir aber in das feindliche Gebiet, so macht es uns Vergnügen Jenen Schaden zu thun. Sodann unterhältst du uns hier mit vielen Kosten: ziehen wir aber hinaus, so verschaffen wir uns den Unterhalt aus dem feindlichen Lande. Ferner, wenn uns dort größere Gefahr bevorstände als hier, so wäre vielleicht das Sicherste zu wählen; nun aber werden Jene die Gleichen sein, mögen wir sie hier erwarten oder ihnen in ihr Land entgegenziehen; 103 ebenso werden wir als die Gleichen kämpfen, mögen wir sie hier empfangen oder gegen sie anrückend den Kampf beginnen. Gewiß jedoch werden wir viel bessere und muthigere Soldaten haben wenn wir gegen die Feinde anrücken und zeigen daß uns der Anblick der Feinde nicht zuwider ist: sie hingegen werden uns viel mehr fürchten, wenn sie hören daß wir nicht furchtsam vor ihnen erbeben und unthätig zu Hause sitzen, sondern auf die Nachricht von ihrem Anrücken ihnen entgegen ziehen, um so schnell als möglich in's Handgemenge zu kommen, und nicht zuwarten bis unser Land verwüstet wird, sondern zuvor das ihrige verheeren. Und in der That halte ich es für einen großen Vortheil, wenn wir Jene furchtsamer, unsere Leute dagegen muthiger machen werden, und ich denke, die Gefahr wird so für uns kleiner, für die Feinde aber bedeutend größer. Mein Vater sagt es ja immer, und du ebenfalls, und alle Andere stimmen darin überein daß die Schlachten mehr durch den Muth als durch Körperstärke entschieden werden.«
So sprach er. Kyaxares aber antwortete: »daß es mir beschwerlich sei, Kyrus und ihr übrigen Perser, euch zu unterhalten, daran laßt auch nicht einen Gedanken aufkommen: gleichwohl halte auch ich es für das Allerbeste in das Land der Feinde einzurücken.« – »Da wir nun,« sprach Kyrus, »gleicher Meinung sind, so wollen wir uns rüsten und, sobald die Winke der Götter es genehmigen, ohne Verzug ausrücken.« Kyrus befahl hierauf den Soldaten aufzupacken, und opferte zuerst dem König Zeus, dann auch den übrigen Göttern, und flehte, sie möchten das Heer gnädig und gütig leiten, und ihm mit Beistand, Hülfe und gutem Rath nahe sein; auch zu den Heroen welche Medien bewohnten und schirmten flehte er. Als das Opfer günstig und das Heer an den Grenzen versammelt war, so fiel er unter glücklichen Vorbedeutungen in das Land der Feinde ein. Sobald er über die Grenzen gegangen war, so besänftigte er die Erde durch Weihgüsse und erflehte die Gunst der Götter und der einheimischen Heroen Assyriens durch Opfer. Darauf opferte er abermals dem vaterländischen Zeus, ohne die andern Götter, die ihm (von den Magiern) angegeben wurden, zu vernachlässigen.
104 Nachdem Dieß gehörig vollbracht war führten sie das Fußvolk sogleich eine kleine Strecke vorwärts und lagerten sich dann, während die Reiterei einen Streifzug unternahm, von dem sie viele und mannigfache Beute zurückbrachte; und auch nachher immer, wenn sie das Lager veränderten und dadurch Lebensmittel im Ueberfluß hatten und zugleich das Land verheerten, erwarteten sie die Feinde. Als man aber Nachricht erhielt daß sie keine zehn Tagmärsche mehr entfernt seien, da sprach Kyrus: »Kyaxares, nun ist es Zeit entgegen zu rücken, damit weder die Feinde noch die Unsrigen glauben, wir ziehen aus Furcht nicht entgegen, sondern offenbar werde, wir beginnen den Kampf nicht ungern.« Als Kyaxares damit einverstanden war, so rückten sie in Reihe und Glied täglich so weit vor als ihnen hinlänglich schien. Das Abendessen hielten sie immer so lang es noch Tag war: Feuer aber zündeten sie bei Nacht im Lager nicht an, wohl aber vor dem Lager, um Diejenigen welche sich etwa bei Nacht näherten mittelst des Feuers zu sehen, selbst aber nicht gesehen zu werden. Oft steckten sie auch hinter dem Lager Feuer an, um die Feinde zu täuschen. Daher fielen bisweilen Kundschafter unter ihre Vorposten, weil das hinten befindliche Feuer sie glauben machte, sie seien noch weit vom Lager.
Als nun die Heere einander bereits nahe waren, verschanzten sich die Assyrier und ihre Bundesgenossen durch einen Graben: was die barbarischen Könige noch heut zu Tage thun, wenn sie sich lagern (die Sache ist schnell gethan, weil viele Hände geschäftig sind); denn es ist ihnen wohl bekannt daß die Reiterei, besonders die barbarische, bei Nacht verwirrend und unbrauchbar ist. Ihre Pferde stehen nämlich mit gebundenen Füßen an den Krippen; und werden sie überfallen, so ist es mühsam sie bei Nacht loszubinden, zu zäumen, zu satteln und sich zu harnischen: und zu Pferd durch's Lager zu kommen ist schlechterdings unmöglich. Aus allen diesen Gründen werfen die Uebrigen, und auch Diese, die Verschanzungen auf: zugleich glauben sie, wenn sie verschanzt seien, stehe es ihnen frei den Kampf zu beginnen wann sie wollen.
So kamen sie einander nahe. Als sie etwa noch eine Parasange 105 aus einander waren schlugen die Assyrier auf die angegebene Weise an einem zwar festen, aber sichtbaren Orte ihr Lager. Kyrus hingegen wählte zu dem seinigen einen so viel wie möglich unbemerkbaren, hinter Dörfern und Hügeln gelegenen Ort, in der Meinung daß im Krieg alle Bewegungen, wenn sie unerwartet gesehen werden, den Gegnern furchtbarer seien. In jener Nacht nun stellten beide Heere, wie es sich gehörte, Vorposten auf und schliefen. Am folgenden Tage aber ließ der Assyrier, Krösus und die übrigen Führer die Heere in der Verschanzung ausruhen. Kyrus aber und Kyaxares blieben in Reih und Glied stehen, um, wenn die Feinde anrücken, schlagfertig zu sein. Als es sich aber zeigte daß die Feinde nicht aus der Verschanzung ausrücken und an diesem Tag keine Schlacht wagen würden, so berief Kyaxares den Kyrus und die übrigen Befehlshaber und redete sie also an: »Meine Meinung ist, ihr Männer, wir sollen so gerüstet wie wir da stehen auf die Verschanzung der Feinde losgehen, und zeigen daß wir eine Schlacht wünschen. Dieß wird die Folge haben daß, wenn Jene nicht entgegen rücken, unsere Leute nur desto muthiger abziehen, die Feinde aber, wenn sie unsere Kühnheit sehen, sich um so mehr fürchten.« Dieß war seine Meinung. Kyrus aber erwiderte: »nein, bei den Göttern, Kyaxares, das wollen wir nicht thun. Denn wenn wir uns jetzt sehen lassen, und marschieren, wie du willst, so werden uns die Feinde jetzt ohne alle Furcht anrücken sehen, weil sie wissen daß sie gegen alle Gefahr gesichert sind; ziehen wir aber unverrichteter Dinge ab, so werden sie im Gegentheil, wenn sie unsere Zahl viel schwächer als die ihrige sehen, uns verachten, und morgen mit weit stärkerem Muthe ausziehen. Nun aber bedenke wohl: wenn sie wissen daß wir da sind, uns aber nicht sehen, so sind sie, weit entfernt uns zu verachten, um unsere Plane bekümmert; ja ich weiß gewiß, sie sprechen unaufhörlich von uns. Wenn sie aber herausrücken, so muß, wenn wir sie endlich da wo wir sie längst gewünscht haben, unser Erscheinen und mit ihnen Handgemeinwerden Eins sein.« Nachdem Kyrus so gesprochen hatte stimmte auch Kyaxares und die Uebrigen 106 ihm bei. Hierauf aßen sie zu Abend, stellten Wachen aus, zündeten vor den Wachen viele Feuer an und legten sich zur Ruhe.
Am folgenden Morgen aber opferte Kyrus bekränzt und befahl auch den übrigen Edeln, bekränzt bei dem Opfer zu erscheinen. Nachdem das Opfer verrichtet war rief er sie zusammen, und sprach:
»Männer, wie die Wahrsager versichern und ich selbst glaube, kündigen uns die Götter eine nahe Schlacht an und verheißen Sieg, und versprechen uns durch die Opfer Heil. Ich nun würde mich scheuen euch zu ermahnen, wie ihr euch in diesem Falle betragen sollt; denn ich weiß daß ihr so viel wisset als ich und Dasselbe wie ich geübt und gehört habt und noch beständig höret, so daß ihr sogar Andere füglich darüber belehren könntet. Habt ihr aber über folgende Punkte noch nicht nachgedacht, so höret; Diejenigen nämlich welche erst seit Kurzem unsere Bundesgenossen sind und die wir uns ähnlich zu machen suchen, Diese müßt ihr an die Bedingungen erinnern unter denen wir von Kyaxares bisher unterhalten wurden, an die Uebungen die wir vornahmen, an Dasjenige wozu wir sie aufgerufen haben, und worin sie versprachen freudig mit uns wetteifern zu wollen. Auch daran erinnert sie daß der heutige Tag zeigen wird was Jeder werth ist; denn es ist kein Wunder wenn Einige bei Dingen welche sie erst spät gelernt das Bedürfniß haben daß man sie daran erinnert; aber man muß zufrieden sein wenn sie auch nur in Folge einer Erinnerung wackere Männer werden können; und zwar werdet ihr, wenn ihr Dieß thut, auch zugleich euch selbst prüfen; denn Wer in einem solchen Augenblick noch Andere besser machen kann, der muß wohl auch selbst das Bewußtsein haben daß er ein vollkommen tüchtiger Mann sei. Wer aber für seine Person allein die Erinnerung hat und sich damit begnügt, der darf sich billig nur für halb vollkommen halten. Deßwegen sage nicht ich es ihnen, sondern fordere euch auf es zu sagen, damit sie sich bestreben euch zu gefallen; denn ihr stehet in Verkehr mit ihnen, Jeder in seiner Abtheilung. Bedenket ferner wohl: wenn ihr euch Diesen muthig zeiget werdet ihr nicht nur Diese, sondern auch viele Andere nicht mit Worten, sondern mit der That Muth lehren.« 107 Zuletzt sagte er, sie möchten hingehen und bekränzt frühstücken, nach vollbrachtem Weihguß aber mit den Kränzen auf ihren Posten zurückkehren.
Nachdem Diese abgegangen waren rief er die Uragen [Anführer des Nachtrabs] zu sich und redete sie also an: »Perser, ihr gehört zu den Edeln und seid erwählt, weil man von euch glaubt daß ihr im Uebrigen den Besten gleich, vermöge eures Alters aber noch verständiger seid. Ihr habt eine nicht minder ehrenvolle Stelle als wir, die Vordersten: denn da ihr hinten stehet könnet ihr die Guten, welche ihr sehet und ermuthiget, noch tapferer machen; und sollte Einer feig sein, so sehet ihr auch Diesen und gestattet es ihm nicht. Der Sieg aber ist euch, wenn je Einem, zuträglich, theils wegen eures Alters theils wegen der Schwere eurer Rüstung. Wenn euch nun die Vordern aufrufen nachzufolgen, so gehorchet ihnen; und zwar, um auch hierin ihnen nicht nachzustehen, rufet ihr ihnen entgegen schneller auf den Feind loszugehen. Geht nun auch ihr hin und frühstücket, und tretet sodann mit den Uebrigen bekränzt in Reih und Glied.«
Während Kyrus damit beschäftigt war zogen die Assyrier, welche bereits gefrühstückt hatten, keck heraus und stellten sich muthig in Schlachtordnung. Der König, auf einem Wagen herumfahrend, stellte sie und redete sie folgendermaßen an: »Assyrier, jetzt müßt ihr wackere Männer sein. Denn jetzt gilt's den Kampf um euer Leben, um das Land in welchem ihr geboren, um die Häuser in denen ihr erzogen worden seid, um Weiber, Kinder und alle Güter die ihr besitzet. Siegt ihr, so bleibet ihr im Besitz von diesem Allem, wie bisher; werdet ihr besiegt, so bedenket daß ihr das Alles den Feinden überlassen müßt. Weil ihr nun den Sieg wünschet, so haltet Stand und kämpfet; denn es ist thöricht, wenn man siegen will, die blinden, unbewaffneten, handlosen Theile des Körpers den Feinden fliehend entgegen zu setzen. Ein Thor ist auch wer aus Liebe zum Leben die Flucht versucht, da er ja weiß daß die Siegenden erhalten werden, die Fliehenden aber eher sterben als Die welche Stand halten. Ein Thor ist auch wer nach Reichthum strebt und sich besiegen läßt; denn wer weiß nicht daß die 108 Sieger das Ihrige erhalten und die Habe der Besiegten noch dazu bekommen, die Besiegten aber sich selbst sammt aller ihrer Habe verlieren?«
Während der Assyrier damit beschäftigt war ließ Kyaxares dem Kyrus durch Boten sagen, es sei nun Zeit gegen den Feind anzurücken. »Denn wenn Die außerhalb der Verschanzung jetzt noch wenig zahlreich sind, so werden, während wir anrücken, ihrer Viele werden. Wir wollen daher nicht warten bis sie uns überlegen werden, sondern auf sie losgehen, so lange wir noch glauben sie mit leichter Mühe besiegen zu können.« Kyrus antwortete: »Kyaxares, wenn die Besiegten nicht mehr als die Hälfte von ihnen sind, so wisse daß sie sagen werden, wir haben aus Furcht vor der Uebermacht die Wenigen angegriffen: sie selbst aber werden nicht glauben besiegt zu sein; sondern du würdest noch eine andere Schlacht liefern müssen, wo sie vielleicht bessere Vorkehrungen treffen würden als jetzt, da sie sich zu unserer Verfügung gestellt haben, so daß wir fechten können, mit wie Vielen wir wollen.« Mit dieser Antwort giengen die Boten zurück.
Inzwischen kam Chrysantas der Perser und einige Andere der Edlen und brachten Ueberläufer. Kyrus fragte sie, wie natürlich, nach der Lage der Feinde. Sie sagten, sie seien bereits bewaffnet ausgerückt, der König habe sich ebenfalls außerhalb des Lagers begeben, stelle sie selbst in Schlachtordnung und gebe eben den jedesmal Ausgerückten viele und scharfe Ermahnungen, wie Die welche es gehört haben versichern. Da sprach Chrysantas: »Wie wäre es aber, Kyrus, wenn auch du die Soldaten zusammenriefest, so lange es noch angeht, und sie ermahntest, ob etwa auch du sie noch tapferer machen könntest?« Kyrus erwiderte: »Chrysantas, laß dir nicht bange werden durch die Ermahnungen des Assyriers; denn es gibt gewiß keine so kräftige Ermahnung welche Die die nicht tapfer sind, sobald sie dieselbe hören, auf der Stelle tapfer macht, weder Pfeilschützen, wenn sie sich nicht vorher [darin] geübt haben, noch Wurfspießwerfer, noch Reiter, ja selbst nicht einmal Solche welche vermöge ihrer körperlichen Anlage zu Strapazen befähigt sind, wenn sie sich nicht vorher geübt 109 haben.« Chrysantas antwortete: »es genügt schon, Kyrus, wenn du durch eine Ermahnung ihren Muth erhöhst.« – »Könnte wirklich,« sprach Kyrus, »Eine Rede noch am nämlichen Tage die Seelen der Zuhörer mit Schaam erfüllen oder vom Schändlichen abhalten und sie ermuntern sich des Lobes wegen allen Anstrengungen und allen Gefahren zu unterziehen und sich's zum festen Grundsatz zu machen daß es wünschenswerther sei kämpfend zu sterben als fliehend gerettet zu werden? Müssen nicht,« fuhr er fort, »wenn solche Gedanken den Menschen eingeprägt werden und Bestand haben sollen, zuerst Gesetze vorhanden sein wodurch den Braven ein ehrenvolles und freies Leben bereitet wird, den Schlechten ein niedriges, kummervolles und unausstehliches Dasein bevorsteht? Sodann sollte man, glaube ich, für diese Leute Lehrer und Aufseher haben, welche sie durch Wort und That an diese Handlungsweise gewöhnen, bis es ihnen beigebracht ist Diejenigen welche wegen ihrer Tugend in gutem Rufe stehen für die wahrhaft Glückseligsten, Diejenigen welche wegen ihrer Schlechtigkeit in schlechtem Rufe stehen für die Allerunglückseligsten zu halten. Denn so müssen Diejenigen gesinnt sein welche zeigen wollen daß die Bildung welche ihnen zu Theil geworden sie über die Furcht vor dem Feind erhebe. Wenn man nun aber in dem Augenblick wo man bewaffnet in die Schlacht ausrückt, wo Vielen auch Das entfällt was sie früher wußten, die Leute durch eine Declamation im Augenblick kriegerisch machen könnte, so wäre die größte Tugend am allerleichtesten zu lernen und zu lehren. Denn ich würde selbst an die Beständigkeit Dieser hier, welche wir in unserer Umgebung geübt haben, nicht glauben, wenn ich nicht auch euch vor mir erblickte, die ihr ihnen ein Beispiel geben werdet, wie sie sich betragen sollen, und sie erinnern könnet wenn sie Etwas vergessen. Aber wundern müßte ich mich, Chrysantas, wenn eine schön gestellte Rede Diejenigen welche zur Tugend noch gar nicht angeleitet worden sind in der Mannhaftigkeit weiter fördern würde als ein schön gesungenes Lied die in der Tonkunst Unerfahrenen in der Tonkunst.«
110 Während dieses Gesprächs erschien eine zweite Botschaft des Kyaxares, welcher dem Kyrus sagen ließ, er thue Unrecht wenn er zögere und nicht so schnell als möglich auf die Feinde losrücke. Darauf antwortete Kyrus den Boten: »er möge wissen daß die hinreichende Zahl noch nicht ausgerückt ist; meldet ihm das in Gegenwart Aller: doch, weil er's für gut findet, so will ich jetzt aufbrechen.« Hierauf betete er zu den Göttern und rückte mit dem Heer aus. Sobald er den Zug in Bewegung gesetzt hatte stellte er sich an die Spitze, die Soldaten, durch lange Uebung gewöhnt in Reihe und Glied zu marschiren, folgten in guter Ordnung: muthig, weil sie mit einander wetteiferten, weil ihre Körper geübt waren, und weil an der Spitze jeder Abtheilung die Befehlshaber standen; freudig, weil sie verständig waren: denn sie wußten aus langer Erfahrung daß es das Sicherste und Leichteste sei mit den Feinden handgemein zu werden, besonders mit Bogenschützen, Spießwerfern und Reitern.
So lange sie noch außer der Schußweite waren gab Kyrus das Losungswort: Zeus Helfer und Führer. Nachdem das Losungswort herumgegangen und wieder an ihn zurückgekommen war stimmte Kyrus den üblichen Päan an, und das gesammte Heer fiel andächtig mit lauter Stimme ein; denn in einem solchen Augenblick fürchten die Gottesfürchtigen die Menschen weniger. Nachdem der Päan geendigt war zogen die Edlen heiter und wohlgeübt voran, blickten einander an, nannten Nebenmänner und Nachmänner beim Namen, und unter dem beständigem Rufe: wohlauf, liebe Männer! wohlauf brave Männer! ermunterten sie einander zu folgen. Als die Hinteren sie hörten, riefen sie dagegen den Ersten zu, sie sollen muthig vorausziehen, und das Heer des Kyrus war voll Willigkeit, Ehrliebe, Kraft, Muth, Ermunterung, Ordnung, Gehorsam; und Dieß ist, wie ich glaube, das Furchtbarste für die Feinde.
Als aber das Persische Heer in die Nähe des Feindes kam sprangen die Assyrischen Wagenkämpfer, welche abgestiegen waren und vor dem Heere plänkelten, auf ihre Wagen und zogen sich zu der Masse der Ihrigen zurück; ihre Pfeilschützen, Wurfspießwerfer und Schleuderer 111 aber schoßen ihre Geschosse viel zu früh ab als daß sie treffen konnten. Als nun die anrückenden Perser auf die abgeschossenen Geschosse traten, da rief Kyrus: »brave Krieger, jetzt schlage Jeder einen stärkeren Schritt an, zum Beispiel und zur Losung für die Andern.« Sie gaben diesen Ruf weiter: Einige aber schlugen aus Eifer, aus Muth und Kampfgier den Sturmschritt an; und das ganze Heer folgte im Sturmschritt nach. Kyrus selbst, vergessend des langsamen Schritts, gieng im Schnellschritt voraus und rief zugleich: »Wer folgt nach? Wer ist brav? Wer wird zuerst seinen Mann werfen?« Als sie es hörten riefen sie eben so; und durch das ganze Heer lief sein Losungswort: »Wer wird nachfolgen? Wer ist brav?« Unter diesem Rufe nun rückten die Perser dem Feinde auf den Leib; dieser aber vermochte nicht mehr Stand zu halten, sondern wendete sich und floh in seine Verschanzung. Die Perser dagegen setzten ihm an den Eingängen nach, und warfen im Gedränge Viele zu Boden. Auf Die aber welche in die Gräben fielen sprangen sie hinab und machten sie nieder, Mann und Roß. Einige Streitwagen nämlich wurden auf der Flucht genöthigt in die Gräben zu rennen. Als die Medischen Reiter Dieß sahen sprengten sie auf die feindliche Reiterei los und brachten auch diese zum Weichen. Da war denn ein Verfolgen der Pferde und Männer und ein Niedermetzeln Beider. Die Assyrier aber welche innerhalb der Verschanzung auf der Höhe des Grabens standen dachten weder daran noch vermochten sie's mit Pfeilen und Wurfspießen auf die Mordenden zu schießen, wegen des schrecklichen Schauspiels und aus Furcht. Bald, als sie bemerkten daß Einige der Perser sich bis zu den Eingängen des Walls durchgehauen hatten, wandten sie sich, und flohen von den innern Wällen.
Als nun die Weiber der Assyrier und der Bundesgenossen sahen daß die Flucht sogar bis in's Lager sich erstrecke, da fiengen sie an zu schreien, liefen bestürzt umher; die Einen hatten schon Kinder, andere waren noch jünger; sie zerrießen ihre Kleider, zerkratzten sich und baten Alle auf welche sie stießen flehentlich sie nicht im Stich zu lassen, sondern sie, ihre Kinder und ihr eignes Leben zu vertheidigen. Da stellten 112 sich auch die Könige selbst mit ihren Getreuesten an die Eingänge und stiegen auf die Wälle, selbst kämpfend und die Andern ermahnend. Als Kyrus Dieß bemerkte fürchtete er, selbst wenn die Seinigen mit Gewalt hineindrängen möchten sie bei ihrer geringen Zahl von der Mehrzahl überwältigt werden, und befahl ihnen daher sich [das Gesicht dem Feinde zugekehrt] außer der Schußweite zurückzuziehen und seine Befehle zu erwarten. Da hätte man die treffliche Zucht unter den Edeln wahrnehmen können: denn schnell gehorchten sie, und schnell ertheilten sie den Befehl den Uebrigen. Als sie aber aus der Schußweite waren standen sie an ihrem bestimmten Platze, weil Jeder die ihm gebürende Stelle genauer kannte als ein Chor.