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Unter solchen Gesprächen kamen sie bis an die Grenze von Persien. Nachdem aber von der rechten Seite ein Adler vor ihnen erschienen war beteten sie zu den Göttern und Heroen welche über Persien walten, sie gnädig und wohlwollend zu begleiten, und giengen dann über die Grenze. Nachdem sie dieselbe überschritten hatten beteten sie wieder zu den Schutzgöttern Mediens, sie gnädig und gütig aufzunehmen. Dann umarmten sie sich, der Sitte gemäß, und der Vater kehrte nach seiner Hauptstadt zurück; Kyrus aber zog nach Medien zu Kyaxares. Und nachdem er da angekommen umarmten sie sich zuerst der Sitte gemäß; dann fragte Kyaxares den Kyrus, wie stark das Heer sei das er mitbringe. »Dreißigtausend,« war die Antwort, »die schon früher einmal bei euch als Söldner dienten. Dazu kommen noch andere aus der Zahl der Edlen, die noch nie außer Lands gedient haben.« – »Wie Viele wohl?« sagte Kyaxares. – »Wenn ich ihre Zahl dir nenne,« erwiderte Kyrus, »so wirst du keine große Freude haben; aber du mußt bedenken daß diese wenigen Edlen über die große Anzahl der andern Perser leicht herrschen. Aber hast du sie auch wohl nöthig? oder war es nur vergebliche Furcht und die Feinde kommen nicht?« – »Jawohl kommen sie, und zwar in starker Anzahl.« – »Wie weißt Du dieß so gewiß?« – »Weil es von Vielen, die auf verschiedenen Wegen von dort kommen, bestätigt wird.« – »Wir müssen also den Kampf mit ihnen bestehen?« – »Nothwendig.« – »Nun denn,« sprach Kyrus, »kannst du mir nicht auch sagen, wenn es dir bekannt ist, wie stark die anrückende Macht und wie stark dagegen die unsrige ist? damit wir, wenn wir beide kennen, darüber berathschlagen, wie wir den Kampf am besten einrichten können.«
»So höre denn,« sprach Kyaxares. »Krösus, der König von Lydien, soll zehntausend Reiter und mehr als vierzigtausend Peltasten [leichte Schildträger] und Pfeilschützen herbeiführen; Artamas, Beherrscher von Großphrygien, gegen achttausend Reiter und nicht weniger als vierzigtausend Lanzenträger und Peltasten; Aribäus, der König 58 der Kappadokier, gegen sechstausend Reiter und nicht weniger als dreißigtausend Pfeilschützen und Peltasten; der Araber Maragdus gegen zehntausend Reiter, gegen hundert Streitwagen und unermeßlich viele Schleuderer. Von den Griechen in Kleinasien weiß man noch nichts Gewisses ob sie mitziehen; Die aber welche Phrygien am Hellespont bewohnen haben unter Gabäus auf der kaystrischen Ebene sechstausend Reiter und gegen zwanzigtausend Peltasten versammelt. Die Karier, Kilikier und Paphlagonier seien dem Aufgebot nicht gefolgt. Der König von Assyrien selbst aber, welcher Babylon und das übrige Assyrien beherrscht, wird, wie ich vermuthe, nicht weniger als zwanzigtausend Reiter, und Streitwagen, wie ich gewiß weiß, nicht weniger als zweihundert, Fußvolk aber wahrscheinlich eine Menge herbeiführen; wenigstens hielt er es immer so, so oft er einen Einfall bei uns machte.« – »Da beläuft sich ja,« sagte Kyrus, »die Anzahl der Feinde auf sechzigtausend Reiter und mehr als zweimal hunderttausend Peltasten und Bogenschützen. Und wie hoch berechnest du deine Macht?« – »Medische Reiter sind es über zehntausend; Peltasten und Bogenschützen kommen auf unser Land etwa sechzigtausend, und die Armenier, unsere Grenznachbarn, werden viertausend Reiter und zwanzigtausend Fußgänger stellen.« – »Wir haben also,« sagte Kyrus, »nicht einmal ein Drittel der feindlichen Reiterei, Fußvolk ungefähr die Hälfte.« – »Nun denn,« sagte Kyaxares, »schlägst du die Perser, welche du herbeiführst, auf so Wenige an?« – »Ob wir noch mehr Leute bedürfen oder nicht, wollen wir ein andermal berathen; sage mir jetzt nur, welche Kampfart hat jedes Volk?« – »Fast alle die gleiche. Denn die Armenier und die Unsrigen führen den Bogen und Wurfspieß.« – »Bei dieser Waffengattung muß man also den Kampf aus der Ferne mit Schußwaffen führen.« – »Nothwendig.« – »Hiebei gibt also die Mehrzahl den Ausschlag; denn es ist viel eher geschehen daß Wenige von Vielen verwundet und aufgerieben werden als Viele von Wenigen.« – »Wäre es bei diesen Umständen, mein Kyrus, nicht das Beste wenn man an die Perser schickte und ihnen vorstellte daß wenn die Meder geschlagen werden die Gefahr an die Perser komme, und zugleich um ein 59 stärkeres Heer bäte?« – »Du darfst mir glauben,« erwiderte Kyrus, »daß, wenn auch alle Perser kämen, wir die Feinde an Anzahl nicht übertreffen würden.« – »Weißt du einen bessern Ausweg?« – »Ich würde, wenn es möglich wäre, das ganze hieher kommende Heer der Perser in möglichster Schnelle eben so bewaffnen, wie unsre Edlen bewaffnet sind: nämlich mit einem Harnisch um die Brust, einem Schild in der Linken, einem kurzen Schwert oder einer Streitaxt in der Rechten. Diese Rüstung gewährt den Vortheil daß wir mit größerer Sicherheit uns in's Handgemenge mit den Feinden wagen können, die Feinde aber es gerathener finden werden zu fliehen als Stand zu halten. Wir stellen uns dann Denen welche Stand halten entgegen: die Fliehenden überlassen wir euch und den Reitern, so daß sie weder zur Flucht noch zur Umkehr Zeit gewinnen.« So sprach Kyrus. Dem Kyaxares aber gefiel dieser Rath so sehr daß er nicht weiter daran dachte eine Verstärkung zu verlangen, sondern die genannte Bewaffnung verfertigen ließ. Sie war beinahe schon fertig, als die Edeln mit dem Persischen Heere ankamen. Da versammelte sie Kyrus und hielt folgende Rede:
»Liebe Männer, wenn ich euch in dieser Bewaffnung vor mir sehe, und voller Verlangen mit den Feinden in's Handgemenge zu kommen, und zugleich die euch nachfolgenden Perser mit einer solchen Rüstung versehen weiß welche ihnen den Kampf aus möglichster Ferne anweist, so befürchte ich, wenn ihr euer Wenige seid und von Mitkämpfern entblößt auf einen überlegenen Feind stoßet, es möchte euch übel ergehen. Ihr habt Männer mitgebracht von untadelhaftem Körper; sie werden eine der unsrigen ähnliche Rüstung erhalten; ihren Muth anzufeuern ist unsre Sache. Denn dem Befehlshaber kommt es zu, nicht nur sich selbst wacker zu beweisen, sondern auch dafür zu sorgen daß die Untergebenen es werden.« So sprach er; sie aber freuten sich Alle, weil sie hofften in größerer Anzahl kämpfen zu dürfen; und Einer von ihnen ließ sich also vernehmen:
»Es wird vielleicht sonderbar erscheinen, wenn ich dem Kyrus den Rath gebe an unserer Stelle Etwas zu sprechen, wann Diejenigen 60 welche unsere Mitkämpfer werden sollen die Waffen empfangen. Allein ich weiß daß die Worte Derer welche am meisten wohl und wehe thun können am tiefsten in die Herzen der Zuhörer eindringen. Gibt ein Solcher Geschenke, so werden sie, wenn sie auch kleiner sind als die von Leuten unseres Standes, von den Empfängern doch höher angeschlagen. So werden auch die Perser die uns zur Seite stehen eine Ermahnung von Kyrus weit lieber hören als von uns; und unter die Edeln eingereiht werden sie darauf fester vertrauen, wenn es vom Königssohn und Feldherrn ausgeht als wenn sie von uns auf dieselbe Stufe erhoben würden. Freilich darf auch unsere Mitwirkung nicht fehlen, sondern auf alle Art muß man ihren Muth schärfen. Denn uns kommt zu gut was Diese an Tüchtigkeit gewinnen.«
Kyrus ließ hierauf die Waffen vor aller Augen hinlegen, versammelte das ganze Persische Heer, und hielt folgende Rede:
»Perser, ihr seid mit uns in demselben Lande geboren und erzogen; eure Körper sind so kräftig wie die unseren; auch geistig habt ihr uns nicht nachzustehen. Gleichwohl hattet ihr im Vaterland mit uns nicht gleiche Rechte, nicht als hätten wir euch davon ausgeschlossen, sondern weil euch der Erwerb des Unterhaltes beschäftigt. Euch jetzt diese zu verschaffen, dafür werde ich mit Hülfe der Götter sorgen. Ihr dürft, wenn ihr wollt, dieselben Waffen welche wir haben, ergreifen und in dieselbe Gefahr wie wir euch wagen; dafür sollt ihr aber auch an den Vortheilen welche daraus erwachsen gleichen Antheil mit uns haben. Früherhin waret ihr Pfeilschützen und Spießwerfer, wie wir; und wenn ihr es hierin schlechter als wir machtet, so war es kein Wunder; denn ihr hattet nicht, wie wir, die Muße euch damit abzugeben. Bei dieser Bewaffnung aber haben wir nichts vor euch voraus. Wenigstens bekommt Jeder einen der Brust angepaßten Harnisch, in die linke Hand einen Schild, den wir Alle zu tragen gewohnt sind, in die rechte ein Schwert oder eine Streitaxt, womit ihr auf die Feinde einzuhauen habt, ohne (wie bei den Wurfwaffen) besorgen zu dürfen, der Hieb möchte fehl gehen. Nichts macht hier einen Unterschied als der Muth; und diesen müßt ihr so gut wie wir pflegen. Denn warum solltet ihr 61 weniger als wir nach dem Siege streben, der alles Schöne und Gute erwirbt und erhält? Und die Stärke, die alle Güter der Schwächern dem Stärkern schenkt, warum solltet ihr sie weniger bedürfen als wir?« – Zuletzt sagte er: »Ihr habt Alles gehört; ihr sehet die Waffen: wer Lust hat nehme sie und lasse sich bei seinem Taxiarchen in unsere Reihen einschreiben. Wem es aber genügt als Söldner zu dienen, der bleibe bei den untergeordneten Waffengattungen.« So sprach er; als die Perser die Rede gehört glaubten sie, wenn sie auf die Aufforderung, durch die gleichen Anstrengungen auch die gleichen Vortheile zu erhalten, sich nicht bereitwillig zeigten, so würden sie ihr Lebenlang keine Verbesserung ihres Schicksals verdienen; Alle ließen sich daher einschreiben, und empfiengen die Waffen.
Während man nun von der Annäherung des feindlichen Heeres sprach, dieses aber noch nicht erschienen war, versuchte Kyrus mit den Seinigen Leibesübungen zu ihrer Stärkung anzustellen, sie die Taktik zu lehren, und ihren Muth zum Kriege anzufeuern. Zuerst ließ er durch die von Kyaxares zugetheilten Diener jedem Soldaten seine Bedürfnisse in hinreichendem Maße abreichen; nachdem er sie aber damit versehen verstattete er ihnen nichts Anderes als Kriegsübungen, indem er bemerkt zu haben glaubte daß überall Derjenige der Tüchtigste werde der, ohne sich mit Vielem zu zerstreuen, sich Einem Gegenstande widmet. Unter den Kriegsübungen selbst entfernte er die Uebung mit Bogen und Wurfspieß, und verstattete nur den Kampf mit Schwert, Schild und Panzer. Dadurch wußte er in Kurzem sie davon zu überzeugen daß man sich mit dem Feinde in's Handgemenge einlassen oder bekennen müsse daß man ein nichtswürdiger Bundesgenosse sei. Dieses Bekenntniß aber legt Einer nicht so leicht ab welcher weiß daß der einzige Grund warum er unterhalten wird der ist für Die welche ihm den Unterhalt reichen zu kämpfen. Da er außerdem bemerkte daß die Menschen Alles worin Wetteifer stattfindet mit viel mehr Lust betrieben, so kündigte er Wettkämpfe in allen den Uebungen an die er für die Soldaten nützlich fand. Diese bestanden darin: für den Gemeinen, daß er den Obern gerne gehorche, zu Anstrengungen willig sei, sich den Gefahren mit Ordnung 62 unterziehe, im Dienst Erfahrung zeige, auf schöne Waffen halte, und in dieß Alles seine Ehre setze. Der PempadarchPempadarch, der fünf Mann, Dekadarch, der zehen Mann zu befehligen hat; Lochage, der einen Lochos (bei Xenophon 24 Mann, den vierten Theil einer Taxis) zu befehligen hat, Lieutenant; Taxiarch, der eine Taxis (Compagnie, hundert Mann) anführt, Hauptmann; Chiliarch, der 1000 Mann befehligt. sollte gleichfalls die Pflichten des Gemeinen erfüllen, und seine Pempade möglichst dazu anhalten; der Dekadarch seine Dekade, der Lochage seinen Lochos, ebenso der Taxiarch. Gleichergestalt sollte Jeder der übrigen Anführer selbst untadelhaft sein, und dafür sorgen daß ihre Unterbefehlshaber ihre Untergebenen zur Pflicht anhalten. Auch setzte er Preise aus: die Taxiarchen welche ihre Abtheilungen gut hielten sollten Chiliarchen werden; die Lochagen deren Lochen am ausgezeichnetsten erfunden würden sollten in die Stellen der Taxiarchen nachrücken; die Verdienstvollsten der Dekadarchen sollten in die Stellen der Lochagen treten, die Pempadarchen in die der Dekadarchen, und die Gemeinen welche sich auszeichnen in die der Pempadarchen. Die erste Belohnung aber für alle diese Befehlshaber war die Achtung ihrer Untergebenen. Dann folgten aber auch andere Belohnungen, wie sie Jedem gebürten. Denen welche Lob verdienten wurden auch größere Hoffnungen in Aussicht gestellt, wenn in der Folgezeit irgend ein größeres Glück erscheinen würde. Auch ganzen Taxen, Lochen, Dekaden und Pempaden versprach er Preise, wenn sie durch Gehorsam gegen die Vorgesetzten und Eifer in den vorgeschriebenen Uebungen sich auszeichneten. Dieses waren Preise wie sie für die Menge paßten. Dies waren die dem Heere gemachten Versprechungen und die mit ihm vorgenommenen Uebungen. Zelte ließ er ihnen machen so viele als Taxiarchen waren, so groß daß sie für jede Taxis, die aus hundert Mann bestand, hinreichenden Raum hatten. So lagerten sie nach Taxen abgetheilt. Von der Zeltgemeinschaft aber versprach er sich für den bevorstehenden Kampf den Vortheil daß sie einander gleich gehalten sehen und Keiner sich mit Verkürzung entschuldigen konnte, wenn er nachließ und sich 63 dem Feinde gegenüber feiger als Andere zeigte. Auch für die genauere Bekanntschaft mit einander schien ihm die Zeltgemeinschaft von Nutzen: denn die Bekanntschaft befördert bei Allen die wechselseitige Achtung. ist man aber nicht gekannt, so ergibt man sich wohl eher der Nachläßigkeit, wie Die welche in der Finsterniß sind.
Von diesem Zusammenwohnen versprach er sich auch in der Rücksicht großen Vortheil daß die Leute ihre Stellung in Reih und Glied genau kennen lernten; denn die Taxiarchen, Lochagen, Dekadarchen und Pempadarchen hatten ihre Abtheilungen so unter ihre Aufsicht gestellt wie wenn sie Mann für Mann aufzögen. Diese genaue Uebersicht trug auch zu Verhütung von Unordnungen viel bei, und, wenn es je dazu käme, zu desto leichterer Beilegung; wie man ja auch Steine und Balken die zusammengefügt werden müssen, wenn sie auch noch so sehr unter einander geworfen sind, leicht zusammenfügen kann falls sie Zeichen haben an welchen man erkennen kann von welcher Stelle jedes Stück ist. – Das Zusammenleben schien ihm auch darauf zu wirken daß sie einander nicht so leicht verlassen; denn er sah wie auch Thiere die zusammen aufgezogen wurden eine gewaltige Sehnsucht empfinden, wenn man sie von einander trennt.
Kyrus sorgte auch dafür daß sie nie ohne Schweiß zum Frühstück und Abendessen kämen. Entweder brachte er sie auf der Jagd in Schweiß, oder erfand er solche Spiele welche Schweiß beförderten; oder wenn er eine Unternehmung auszuführen hatte leitete er es so daß sie nicht ohne Schweiß zurückkamen. Denn dieß, glaubte er, befördere die Eßlust, die Gesundheit und die Fähigkeit Anstrengungen auszuhalten. Auch die Verträglichkeit gegen einander, glaubte er, werde durch Anstrengungen befördert, weil auch Pferde die zusammen arbeiten verträglicher beisammen stehen. Und auch dem Feinde gegenüber haben Diejenigen mehr Muth welche das Bewußtsein haben sich wohl geübt zu haben.
Für sich selbst ließ Kyrus ein Zelt ausrüsten, das für Die welche er zum Essen lud den erforderlichen Raum hatte. Gewöhnlich lud er die Taxiarchen ein bei welchen ihm dies zweckmäßig schien; bisweilen 64 auch einige Lochagen, Dekadarchen und Pempadarchen; bisweilen auch gemeine Soldaten; bisweilen eine ganze Pempade, Dekade, Lochos, ja Taxis. Er ehrte durch eine Einladung auch Solche welche Thaten verrichtet hatten wie er sie von Allen verrichtet wünschte. Den Eingeladenen wurde immer dasselbe vorgesetzt wie ihm selbst. Auch den Dienern im Heere gewährte er immer den gleichen Theil von Allem; denn er war der Meinung, diesen mit den Bedürfnissen des Heeres beschäftigten Dienern gebüre dieselbe Ehre wie den Herolden und Gesandten. Sie sollten treu, des Kriegsdienstes kundig, verständig, und außerdem rasch, schnell, unverdrossen und unerschrocken sein. Außerdem aber glaubte Kyrus, diese Diener müssen dieselben Eigenschaften besitzen wie die welche für die Besten gelten, und sich darauf einüben daß sie sich keines Dienstes weigern, sondern Alles was ihnen der Befehlshaber befiehlt für ehrenvoll halten.
So oft sie zusammen speisten war Kyrus für eine angenehme und zugleich zur Tugend ermunternde Unterhaltung besorgt; und so kam er einmal auf folgendes Gespräch: »Männer, glaubt ihr, unsre Genossen seien deßwegen geringer als wir weil sie nicht dieselbe Erziehung genossen haben wie wir, oder daß sie sich weder im Umgang noch im Kampf mit dem Feinde von uns unterscheiden werden?« Hystaspes nahm das Wort und sagte: »wie sie sich gegen den Feind benehmen werden weiß ich noch nicht; im Umgang aber scheinen Einige von ihnen fürwahr sehr wunderlich zu sein. Neulich schickte Kyaxares an jede Taxis Opferfleisch, und Jeder von uns bekam drei oder mehr Stücke, die herumgereicht wurden. Der Koch fieng bei mir an, als er die erste Tracht herumreichte. Als er mit der zweiten kam sagte ich ihm, er solle beim Letzten anfangen und den umgekehrten Gang nehmen. Da schrie Einer der Soldaten aus der Mitte des Kreises: »bei Gott, das heiße ich keine Gleichheit, wenn man bei uns da in der Mitte nie anfängt.« Als ich dieß hörte wurde ich unwillig, daß sie sich verkürzt glaubten, und rief ihn auf der Stelle zu mir. Er gehorchte ganz in der Ordnung. Als aber die Reihe an uns kam so waren, da wir zuletzt nahmen, die kleinsten Stücke übrig geblieben. Da war ihm sein 65 Mißmuth anzusehen, und er sagte vor sich hin: »o unglückliches Schicksal, daß ich jetzt gerade hieher gerufen werden mußte.« – Ich sagte: »sei unbesorgt, sogleich wird es wieder bei uns anfangen, und du wirst zuerst das größte Stück bekommen.« In diesem Augenblick kam die dritte noch übrige Tracht, und an ihn kam das Nehmen gleich nach mir. Als es ihm aber vorkam, der Dritte habe ein größeres Stück erhalten, warf er das seinige wieder hin, um ein anderes zu nehmen. Der Koch glaubte, er wolle kein Fleisch mehr, und gieng im Kreise weiter, ehe Jener ein anderes Stück genommen hatte. Da wurde er über sein Unglück, daß ihm sein früher genommenes Stück weggeschnappt worden war, so unwillig daß er in der Bestürzung und im Zorn über sein Schicksal die ihm noch übrige Brühe umgoß. Der Lochage der uns am nächsten saß schlug bei diesem Anblick in die Hände, und drückte seine Freude durch Lachen aus. Ich that als ob ich hustete; denn ich konnte das Lachen auch nicht halten. Dieß, Kyrus, ein Pröbchen von Einem unserer Genossen. Dieß gab denn, wie man sich denken kann, ein Gelächter.« Ein Anderer der Taxiarchen sagte: »Dieser also, Kyrus, ist auf einen solchen wunderlichen Menschen gestoßen. Ich habe eine andere Erfahrung gemacht. Nachdem du uns Unterricht gegeben hattest entließest du die Taxen, mit dem Befehle, Jeder solle seine Taxis in dem von dir Erlernten üben; ich gieng daher, wie die Andern, hin und nahm die Uebung mit einem Lochos vor. Den Lochagen stellte ich oben an, nach ihm einen jungen Mann, und die Andern in der Folge wohin sie gehörten; dann trat ich vor, kehrte mich mit dem Gesicht gegen den Lochos, und als es mir die rechte Zeit schien commandirte ich: Vorwärts. Da trat dir jener junge Mann vor den Lochagen und marschirte voraus. Als ich es sah rief ich: »Kerl, was machst du?« Er antwortete: »Ich gehe vorwärts, wie du befohlen hast.« Ich sagte: »ich habe aber nicht dich allein, sondern Alle vorwärts commandirt.« Nachdem er dieß gehört wendete er zu seinen Kameraden um und sagte: »hört ihr nicht wie er schimpft? er sagt, er habe Alle vorwärts commandirt.« Da marschirten Alle am Lochagen vorbei und kamen auf mich zu. Als sie nun der Lochage wieder an 66 ihre Stelle gewiesen hatte sagten sie unwillig: »Wem soll man da gehorchen? Der Eine commandirt vorwärts, der Andere halt.« Ich nun nahm dieß in Geduld hin, stellte sie Anfangs wieder an ihre Stelle, und sagte, Keiner der Hintern solle sich rühren, ehe sein Vormann voraustrete; Alle hätten nur darauf zu sehen dem Vormann zu folgen. Als in diesem Augenblick Einer der nach Persien abgieng zu mir kam und mir den Brief abforderte den ich nach Haus geschrieben hatte, so sagte ich dem Lochagen, welcher wußte wo der Brief lag, er solle ihn holen. Dieser gieng hin; der genannte junge Mann folgte dem Lochagen mit Panzer und Schwert ausgerüstet, und der ganze übrige Lochos, als er Diesen erblickte, lief mit: und so brachten sie den Brief. So genau vollzieht mein Lochos alle deine Anordnungen.« Die Gesellschaft lachte natürlich über dieses bewaffnete Geleite des Briefes. Kyrus aber sagte: »O Zeus und ihr andern Götter, was für treffliche Freunde haben wir doch, die so gut zu behandeln sind daß man viele von ihnen durch ein Stückchen Fleisch vollkommen gewinnen kann, und so folgsam daß sie gehorchen, ehe sie die Befehle wissen. Ich weiß nicht, wie man sich bessere Soldaten wünschen kann als solche.« So lobte Kyrus mit lachendem Munde seine Soldaten.
Im Zelte war gerade unter den Taxiarchen Einer, Namens Aglaïtadas, ein Mann von etwas düsterem Wesen. Dieser sagte: »hältst du denn diese Erzählungen für wahr, Kyrus?« – »Was sollten sie denn für einen Grund haben zu lügen?« erwiderte Kyrus. – »Welchen andern, als Lachen zu erregen? Denn darum erzählen sie solche Großthuereien.« – »Stille,« sagte Kyrus, »nenne diese Männer keine Großthuer. Denn der Name Großthuer scheint nur Leuten zuzukommen welche reicher und tapferer thun als sie sind, und versprechen was sie nicht ausführen können, offenbar nur deßwegen um etwas zu erhaschen und zu gewinnen. Wer aber ohne Vortheil für sich, ohne Nachtheil für die Zuhörer und ohne Schaden für irgend Jemand, die Gesellschaft zum Lachen zu bringen sucht, verdient der nicht mit mehr Recht vielmehr den Namen eines witzigen und angenehmen Mannes als eines Großthuers?« So vertheidigte Kyrus Die welche Stoff 67 zum Lachen gegeben hatten; der Taxiarch selbst aber der die lustige Geschichte von dem Lochos erzählt hatte sagte: »du würdest uns wohl, Aglaïtadas, tüchtige Vorwürfe gemacht haben wenn wir versucht hätten dich zum Weinen zu bringen (wie man zuweilen in Liedern und Erzählungen Mitleid erregende, auf Thränen berechnete Geschichten hört), da du uns jetzt, unerachtet du wohl weißt daß wir dir Freude und durchaus nichts Unangenehmes machen wollen, so unehrenvoll behandelst.« – »Beim Zeus,« sprach Aglaïtadas, »dazu habe ich alles Recht; denn Der welcher bei seinen Freunden Lachen zu erregen sucht scheint mir ungleich tiefer zu stehen als selbst Der welcher sie weinen macht. Du wirst bei näherem Nachdenken selbst finden daß ich Recht habe. Denn durch Weinen bringen wenigstens die Väter den Söhnen Ordnung, und die Lehrer den Knaben nützliche Wissenschaften bei: und die Gesetze halten die Bürger dadurch daß sie sie weinen machen zur Gerechtigkeit an. Kannst du aber von den Lustigmachern sagen daß sie entweder dem Körper nützen oder den Geist für die Geschäfte des häuslichen Lebens oder des Staates brauchbarer machen?« Hierauf sprach Hystaspes etwa Folgendes: »wenn du mir folgen willst, Aglaïtadas, so magst du den Feinden immerhin von diesem köstlichen Gericht auftischen und versuchen sie weinen zu machen; uns aber und den Freunden hier wirst du doch von dem minder geachteten, dem Lachen, eine reichliche Spende zukommen lassen, denn ich weiß, du hast einen großen Vorrath davon; denn selbst hast du noch nichts davon verzehrt, und weder Freunden noch Gastfreunden gewährst du freiwillig Stoff zum Lachen. Du hast also gar keine Ausrede, daß du uns nichts zu lachen gibst.« Aglaïtadas antwortete: »suchst du, Hystaspes, gar aus mir einen Gegenstand des Lachens zu machen?« Der Taxiarch erwiderte: »bei Gott, das ist doch ein thörichter Mensch; leichter könnte man aus dir Feuer schlagen als ein Lächeln herausbringen.« Darüber lachten die Andern, die sein Wesen kannten, und Aglaïtadas selbst lächelte dazu. Als nun Kyrus sah daß er heiter werde sagte er: »du thust Unrecht, Taxiarch daß du uns unsern ernsthaftesten Mann verdirbst, indem du ihn zum Lachen bringst, und zwar, da er ein solcher 68 Todfeind des Lachens ist.« Dieß der Inhalt dieses Gesprächs. – Darauf sagte Chrysantas:
»Kyrus, sowohl ich als alle Anwesenden bemerken daß Leute von sehr verschiedenem Werth mit uns ausgezogen sind: wird aber ein Vortheil errungen, so werden diese Alle gleichen Antheil daran ansprechen; und doch halte ich für meine Person nichts in der Welt für so unbillig als daß der Schlechte und der Gute gleichen Antheils gewürdiget wird.« Darauf sagte Kyrus: »Bei den Göttern, ihr Männer, ist es da nicht das Beste für uns, die Sache bei dem Heere zur Berathung zu bringen, ob es Willens sei, wenn die Gottheit unsere Anstrengungen mit Glück belohnt, daß man Allen gleichen Antheil geben oder Jedem nach Verdienst seine Ehre zumessen soll?« – »Was braucht es darüber einer Berathung?« sagte Chrysantas; »warum sagst du nicht vielmehr geradezu daß du es in Zukunft so halten wollest? Oder hast du nicht auch die Wettkämpfe und die Preise so angeordnet?« – »Aber,« sagte Kyrus, »das ist wahrlich nicht der gleiche Fall. Denn was sie im Feldzuge gewinnen, das werden sie wohl für gemeinschaftliches Gut halten; daß aber der Oberbefehl über das Heer mir gebüre, das wissen sie noch von Haus aus; sie erkennen daher gewiß kein Unrecht darin wenn ich Schiedsrichter aufstelle.« – »Glaubst du wirklich,« sprach Chrysantas, »der große Haufe werde, wenn er zusammen kommt, beschließen daß nicht Jeder gleich berechtigt, sondern die Besten bei Ehrenbezeugungen und Geschenken bevorrechtet sein sollen?« – »Allerdings glaube ich Das,« sagte Kyrus, »theils weil ihr den Vorschlag unterstützet, theils weil man mit Ehren nicht widersprechen kann, daß Der welcher am meisten arbeitet und dem Gemeinwesen am meisten nützt auch die größten Belohnungen verdiene; ich glaube, auch die Schlechtesten werden es angemessen finden daß die Guten einen Vorzug haben.« Kyrus aber wünschte diesen Beschluß auch um der Homotimen [Edeln] selbst willen durchzusetzen; denn er glaubte, auch Diese würden besser werden, wenn sie wüßten daß auch ihnen ihre Belohnungen nach Maßgabe des Verdienstes zugemessen werden. Er hielt daher den Zeitpunkt wo auch die Edeln die gleiche 69 Berechtigung des gemeinen Mannes verdroß für den günstigsten um die Sache zur Abstimmung zu bringen. So waren denn die im Zelte Versammelten einverstanden dieß zum Gegenstand der Besprechung zu machen; Jeder, meinten sie, der ein Mann sein wolle müsse damit übereinstimmen. Da lachte einer der Taxiarchen und sagte: »ich kenne einen Mann, und zwar einen Gemeinen, welcher damit einverstanden sein wird daß man nicht so ohne Weiteres Jedem gleiche Ansprüche zugestehe.« – »Wen meinst du?« fragte ein Anderer. Er antwortete: »ich habe einen Zeltgenossen der überall mehr haben will.« – »Auch von den Strapazen?« fragte ein Anderer. – »O nein,« war die Antwort: »ich bin hier über einer Unwahrheit ertappt. Von Strapazen und Anderem dergleichen überläßt er ganz gutwillig Jedem der Lust hat ein größeres Maß.« – »Männer,« sagte Kyrus: »ich meine, man sollte Leute der Art wie Dieser gerade Einen nennt von dem Heere ausschließen, wenn es anders thätig und gehorsam sein soll. Denn der größte Theil der Soldaten ist gewohnt zu folgen wohin man ihn führt; geführt aber werden sie von dem Guten zum Guten, von dem Schlechten zum Schlechten. Und es trifft sich oft daß die Schlechten mehr Gleichgesinnte finden als die Rechtschaffenen. Denn die augenblicklichen Vergnügungen, durch welche die Schlechtigkeit dahinwandelt, verführen Viele auf ihre Seite zu treten; die Tugend aber, die steil hinanführt, ist für den Augenblick nicht sehr stark, um Viele anzuziehen, besonders wenn noch Andere dazu kommen, die auf den abschüssigen Weg der Weichlichkeit locken. Diejenigen nun welche blos durch Weichlichkeit und Unthätigkeit schlecht sind sind nach meiner Meinung, wie die Drohnen, nur durch das was sie verzehren eine Strafe für ihre Genossen; Die aber welche bei den Strapazen schlechte Genossen sind und bei'm Genießen mit unverschämter Gier sich vorandrängen, die sind Verführer zum Bösen. Denn oft können sie an ihrem Beispiel zeigen, wie das Laster im Vortheil ist. Daher bin ich durchaus der Meinung daß solche Leute auszuschließen seien. Ihr müßt auch nicht darauf allzu streng halten eure Reihen aus der Mitte eurer Mitbürger zu ergänzen; denn wie ihr bei den 70 Pferden nicht gerade inländische, sondern die besten suchet, so nehmet auch bei den Menschen immer Diejenigen von welchen ihr euch am meisten Verstärkung und Ehre versprechen könnet. Ein Zeugniß für die Richtigkeit meiner Behauptung ist auch das: kein Wagen kann schnell gehen, wenn langsame Pferde daran sind, noch überhaupt tüchtig sein, wenn das Gespann untüchtig ist. Auch kein Haus kann gut verwaltet werden, wenn es schlechtes Gesinde hat; ja eines das Mangel an Gesinde hat ist nicht so übel bestellt als eines das von schlechtem zerrüttet wird. Ihr müßt ferner bedenken, Männer, daß die Entfernung der Schlechten nicht nur den Vortheil haben wird daß die Schlechten weg sind, sondern auch, daß von den Zurückbleibenden Diejenigen welche bereits von der Schlechtigkeit angesteckt sind sich wieder von ihr reinigen, und daß Gute, wenn sie die Schlechten beschimpft sehen, mit froherem Muthe an der Tugend festhalten.« So sprach er; die Freunde waren Alle damit einverstanden, und thaten also.
Hierauf begann Kyrus wieder mit ihnen zu scherzen. Als er nämlich bemerkte daß Einer der zu Tische gezogenen Lochagen einen überaus dicken und häßlichen Mann, den er als Gast mitgebracht, an seiner Seite sitzen habe, so rief er den Lochagen bei'm Namen auf und sprach: »Sambaulas, führst auch du nach Griechischer Sitte diesen Jüngling, der an deiner Seite liegt, wegen seiner Schönheit mit dir herum?« – »Allerdings,« erwiderte Sambaulas, »wenigstens habe auch ich meine Freude an seinem Umgang und Anblick.« Auf diese Antwort sahen alle Tischgenossen auf ihn; und als sie das grundhäßliche Gesicht des Mannes erblickten lachten sie Alle, und Einer sagte: »sage mir, bei den Göttern, Sambaulas, durch welchen Dienst hat doch dieser Mann dich so fest an sich gekettet?« – »Das will ich sagen, ihr Männer,« erwiderte er. »So oft ich ihn gerufen habe, sei's bei Tag oder Nacht, hat er noch nie ein Hinderniß vorgeschützt noch kam er langsamen Schrittes, sondern immer laufend; und so oft ich ihn etwas thun hieß kam er jedesmal darüber in Schweiß. Auch hat er Alle von seiner Dekade, nicht durch Worte, sondern durch sein Beispiel, so gemacht wie sie sein sollen.« Da sagte Einer: »küssest du 71 denn diesen trefflichen Mann auch, wie deine Verwandten?« – »Nein, beim Zeus,« sagte der Häßliche: »er scheut die Mühe. Denn wenn er mich küssen sollte, so würde er Das für alle Leibesübungen gelten lassen.«
Dieß waren, in Scherz und Ernst, die Unterhaltungen und Verhandlungen im Zelt. Endlich, nachdem sie das dritte Trankopfer gebracht und zu den Göttern um Glück gebetet hatten, trennten sie sich, um schlafen zu gehen. Am folgenden Tag versammelte Kyrus alle Soldaten, und sprach Folgendes:
»Liebe Männer, der Kampf steht uns nahe bevor; denn die Feinde rücken heran. Die Preise des Sieges, wenn er unser wird (denn dieser Gedanke muß sich in unsern Reden und Voraussetzungen aussprechen), sind offenbar unsere Feinde sammt Hab und Gut. Werden wir aber besiegt, so tritt auch dann der Fall ein daß die Güter der Besiegten der Kampfpreis für den Sieger werden. Ihr müßt nun so denken: wenn von den Genossen des Kriegs Jeder die Ueberzeugung hat daß, wenn er sich nicht selbst anstrenge, nichts von Dem was geschehen soll geschehe, so kommt in kurzer Zeit viel Großes zu Stande: denn dann wird nichts das gethan werden soll vernachläßigt; denkt aber Jeder daß ein Anderer handeln und kämpfen werde, auch wenn er sich selbst der Weichlichkeit hingebe, so wisset daß da Unglück aller Art über Alle einstürmen muß. Nun hat die Gottheit es so eingerichtet daß sie Denen welche sich selbst die Vollbringung des Guten nicht auflegen mögen Aufseher setzt. Daher fordere ich Jeden auf hier aufzutreten, und darüber sich zu erklären ob die Tugend bei uns besser geübt werde wenn Dem der sich den meisten Mühseligkeiten und Gefahren unterzieht auch die größte Ehre zu Theil wird, oder wenn wir wissen daß es keinen Unterschied macht ob man gut oder schlecht ist, indem Alle den gleichen Antheil erhalten?« Da erhob sich Chrysantas, Einer der Edlen, ein Mann, weder groß noch kräftig von Aussehen, aber von ausgezeichnetem Verstande, und erklärte sich also:
»Ich glaube, Kyrus, daß du, wenn du diesen Gegenstand zur Sprache gebracht hast, nicht einmal den Gedanken hattest als solle der 72 Schlechte dem Guten gleichgestellt sein, sondern die Absicht, die Probe zu machen ob sich Einer finde der den Gedanken öffentlich auszusprechen wagte daß er, ohne selbst Etwas von Bedeutung zu leisten, an Dem was die Andern durch ihre Tüchtigkeit zu Stande gebracht gleichen Antheil erwarte. Ich bin nun zwar weder schnell auf den Füßen noch stark in den Armen; auch weiß ich daß ich nach den Leistungen meines Körpers weder für den Ersten noch für den Zweiten, ja ich glaube nicht einmal für den Tausendsten, vielleicht nicht einmal für den Zehentausendsten erklärt werden würde; aber Das weiß ich gewiß daß, wenn sich die Kräftigen der Sache mit Nachdruck annehmen, ich den mir gebürenden Theil des Glücks genießen werde; wenn aber die Schlechten nichts thun, die Guten und Kräftigen aber entmuthigt sind, so befürchte ich von etwas ganz Anderem als Glück mehr zu erhalten als mir lieb ist.«
So sprach Chrysantas. Nach ihm erhob sich Pheraulas, einer der gemeinen Perser, mit Kyrus von Haus aus vertraut und von ihm geschätzt, ein Mann, seinem Aeußern und Innern nach von edlem Wesen, und sprach also.
»Ich, Kyrus, bin sammt allen anwesenden Persern der Meinung daß wir jetzt Alle unter gleichen Verhältnissen zum Wettkampf der Tapferkeit ausziehen. Denn ich sehe daß wir Alle bei gleicher Nahrung den Körper üben, Alle des gleichen Umgangs gewürdigt werden, Alle dieselben Preise vor uns sehen. Denn Gehorsam gegen die Vorgesetzten ist die gemeinschaftliche Aufgabe Aller: und Wer dieß ohne Widerrede thut, den sehe ich von Kyrus geehrt. Ferner, muthig gegen den Feind zu sein ist nicht für den Einen Pflicht, für den Andern nicht, sondern auch dieses gilt Allen als das Ehrenvollste. Und jetzt ist uns eine Kampfart angewiesen welche, wie ich sehe, alle Menschen von Natur verstehen; wie auch unter den Thieren Jedes eine Kampfart kennt die es von keinem Andern gelernt hat als von der Natur. Der Stier gebraucht das Horn, das Pferd den Huf, der Hund das Maul, das wilde Schwein den Zahn. Alle diese Thiere wissen sich vor Dem was ihnen am gefährlichsten ist zu hüten, und zwar ohne je in eine Schule gegangen zu sein. Auch ich verstand gleich als Kind die 73 Theile auf welchen ich einen Schlag zu bekommen fürchtete zu decken; und wenn ich nichts Anderes hatte, so hinderte ich Den welcher mich schlagen wollte mit den vorgehaltenen Händen, so viel ich konnte. Und Dieß that ich ohne alle Anweisung; vielmehr bekam ich eben darüber Schläge daß ich mich schützte. Noch als kleiner Knabe nahm ich jedes Schwert das mir zu Gesicht kam, ohne von sonst Jemand als von der Natur, wie gesagt, erlernt zu haben wie ich es fassen müsse; auch Das that ich, unerachtet man es mich nicht lehrte, sondern mich davon abhielt; und so that ich noch Manches wozu mich, trotz des väterlichen und mütterlichen Verbots, die Natur trieb. Und, bei Gott, ich hieb mit dem Schwert Alles was ich im Geheimen abthun konnte zusammen. Denn es war nicht nur natürliche Anlage, wie das Gehen und Laufen, sondern ich fand außerdem auch ein Vergnügen dabei. Da uns nun eine Kampfart zugetheilt ist bei welcher es mehr auf Muth als auf Kunst ankommt, warum sollten wir den Wettstreit mit diesen Edlen nicht gerne eingehen, da die Preise der Tapferkeit gleich sind, wir aber bei dem Kampfe nicht gleich viel auf das Spiel setzen? Denn Diese wagen ein ehrenvolles Leben, das allein angenehm ist, wir aber ein mühevolles, ehrloses, das ich für das Beschwerlichste halte. Hauptsächlich aber darum, ihr Männer, gehe ich frohen Muthes in den Wettstreit mit Diesen, weil Kyrus der Schiedsrichter sein wird, der ohne Parteilichkeit entscheiden wird; ja, ich schwöre es bei den Göttern, ich bin überzeugt daß Kyrus Die welche er als brav erkennt eben so sehr liebt als sich selbst; und ich sehe daß er wenigstens diesen Alles was er hat viel lieber gibt als er es selbst behält. Ich weiß zwar wie sich Diese viel darauf einbilden daß sie in Ertragung des Hungers, des Durstes und der Kälte unterrichtet worden sind; aber sie wissen nicht gehörig daß wir auch hierin von einem bessern Lehrer unterrichtet worden sind als sie. Denn hierin gibt es keinen bessern Lehrer als die Noth, die uns dieses recht gründlich gelehrt hat. Zu den Strapazen bereiteten sich Diese mit den leichtesten Waffen die je von Menschen erfunden worden sind vor: wir aber mußten mit großen Lasten gehen und laufen; daher kommen mir jetzt die Waffen die ich trage mehr wie 74 Federn als wie eine Last vor. Ich kann dir daher sagen, Kyrus, daß ich den Wettkampf bestehen und die meinem Verdienste angemessene Belohnung ansprechen werde. Und euch, ihr Männer vom Volke, ermahne ich zum Wettkampf mit diesen Unterrichteten auszuziehen; denn jetzt sind (tüchtige) Männer genöthigt sich in einen Wettkampf mit Leuten aus dem Volke einzulassen.«
So sprach Pheraulas. Es erhoben sich aber auch noch viele Andere welche beistimmten. Es wurde daher beschlossen, Jeder sollte nach Verdienst belohnt werden und Kyrus der Schiedsrichter sein. So hatte sich nun diese Sache gemacht.
Einst lud Kyrus eine ganze Taxis mit dem Taxiarchen zu Tische; er hatte nämlich gesehen daß dieser die Taxis in zwei Hälften getheilt und zu einem gegenseitigen Angriff einander gegenüber gestellt hatte, Beide mit Panzern und Schilden in der linken Hand bewaffnet; in die rechte Hand gab er der einen Hälfte dicke Stöcke, der andern sagte er sie sollen Erdschollen aufheben und damit werfen. Als sie so gerüstet standen gab er das Zeichen zum Kampf. Da warfen die Einen mit Erdschollen, und trafen bald die Panzer und Schilde bald die Lenden und Beinschienen. Als sie aber in's Handgemenge kamen, so schlugen Die welche die Stöcke führten auf Hüften, Hände und Beine zu: und Die welche sich nach Erdschollen bückten schlugen sie auf Hals und Rücken. Zuletzt jagten die Stockträger die Andern in die Flucht und verfolgten sie, indem sie unter Lachen und Scherzen drauflosschlugen. Abwechselnd nahmen dann die Andern die Stöcke und machten es Denen welche mit den Erdschollen warfen ebenso. Kyrus bewunderte theils den Einfall des Taxiarchen, theils den Gehorsam seiner Leute, daß sie sich neben der Uebung so belustigten; besonders aber, daß Diejenigen welche die Bewaffnung der Perser nachgeahmt hatten den Sieg davon trugen; er lud sie daher zum Essen, und als er im Zelt sah daß Einige das Schienbein, Andere die Hand verbunden hatten, so fragte er, was ihnen begegnet sei? Sie erwiderten, sie seien von Erdschollen getroffen worden. Er fragte weiter, ob es in der Nähe oder aus der Ferne geschehen sei? Sie sagten, aus der Ferne; 75 nachdem sie aber in die Nähe gekommen, da sei es, sagten die Stockträger, eine wahre Lust gewesen. Die aber welche mit den Stöcken waren geschlagen worden sagten, für sie sei es ein schlechter Spaß sich so in der Nähe durchprügeln zu lassen. Zugleich zeigten sie die Stockschläge an den Händen, Hälsen, zum Theil auch im Gesichte. Dann lachten sie, wie natürlich, über einander. Am folgenden Tag war die ganze Ebene voll von Solchen welche diese nachahmten, und so oft sie nichts Anderes zu thun hatten trieben sie dieses Spiel.
Einst sah er einen andern Taxiarchen, der seine Taxis von dem Fluß aus am linken Ufer hin Mann für Mann führte und, als es ihm Zeit zu sein schien, commandirte, der zweite, dritte und vierte Lochos solle neben den ersten in die Fronte vorrücken. Nachdem die Lochagen in der Fronte standen commandirte er, jeder Lochos solle zwei Mann hoch marschiren; da kamen die Dekadarchen in die Fronte; und als es ihm nachher gelegen schien commandirte er, jeder Lochos solle vier Mann hoch marschiren; so kam es denn an die Pempadarchen vier Mann hoch aufzumarschiren. Als sie aber an die Thüre des Zeltes kamen ließ er sie wieder Mann für Mann marschiren, und so führte er den ersten Lochos hinein; diesem hieß er den zweiten, und sofort den dritten und vierten auf dem Fuße folgen; und wie sie der Reihe nach hineingekommen waren ließ er sie sich zum Abendessen lagern. Diesen Mann nun bewunderte Kyrus wegen seiner sanften Art des Unterrichts und wegen seiner Sorgfalt, und lud daher die Taxis sammt dem Taxiarchen zum Essen.
Ein anderer bei der Tafel anwesender Taxiarch, welcher gleichfalls geladen war, sagte: »wirst du denn, Kyrus, meine Taxis nicht auch in dein Zelt einladen? Sie thut doch das Alles, so oft sie zu dem Essen geht; und wenn das Essen zu Ende ist, so führt der Urage (Zugbeschließer) des letzten Lochos diesen hinaus, so daß die Letzten vorn in der Schlachtordnung stehen; hierauf kommt der zweite Urage mit dem zweiten Lochos, und sofort der dritte und vierte, damit sie auf den Fall eines Rückzugs im Kriege das Verfahren dabei kennen lernen. Sind wir aber auf unserem Uebungsplatz angekommen, so marschire 76 ich, wenn es ostwärts geht, voran, und nach mir folgt der erste, sodann nach der gehörigen Reihenfolge der zweite, dritte und vierte Lochos, sammt den Dekaden und Pempaden, bis ich ein Zeichen gebe; geht es aber westwärts, so marschirt der Urage und die Letzten voraus. Sie gehen aber dennoch auf mein Wort, wenn ich auch der Letzte bin; und so gewöhnen sie sich mir eben so gut zu gehorchen, mögen sie hintennach oder voraus marschiren.« Kyrus sagte: »thut ihr dieß auch beständig?« – »Ja gewiß, so oft wir Mahlzeit halten.« – »So lade ich auch Euch ein,« sagte Kyrus, »theils weil ihr bei'm Kommen und Geben kriegerische Uebungen vornimmt, theils weil ihr es bei Tag und Nacht thut, theils weil ihr durch diese Bewegungen euren Körper übt und euch zugleich nützliche Kenntnisse erwerbt. Da ihr nun Alles doppelt thut, so muß ich euch billig auch einen doppelten Schmaus geben.« – »Aber, beim Zeus, nur nicht an Einem Tag,« erwiderte der Taxiarch, »wenn du uns nicht auch doppelte Mägen geben kannst.« So gieng denn für dießmal die Gesellschaft im Zelt zu Ende. An den beiden folgenden Tagen lud Kyrus, seinem Versprechen gemäß, diese Taxis zu sich. Dieß munterte sofort auch alle Uebrigen zur Nachahmung auf.
Als Kyrus einst eine Musterung in Waffen und Parade des gesammten Heeres hielt kam ein Bote von Kyaxares, mit der Nachricht es sei eine Gesandtschaft der Indier da: er möchte daher schleunig kommen. »Ich bringe dir,« sagte der Bote, »von Kyaxares eines seiner schönsten Kleider; denn er wünscht daß du im größten Schmuck und Glanz auftretest, da die Indier sehen werden wie du ankommst.« Auf diese Nachricht befahl Kyrus dem zuvorderst aufgestellten Taxiarchen in die Fronte zu treten und seine Abtheilung Mann für Mann aufmarschiren zu lassen, sich selbst auf der Rechten haltend. Denselben Befehl ließ er durch ihn an den Zweiten und sofort durch Alle hindurch laufen. Folgsam ertheilten und erfüllten sie schnell den Befehl, so daß in kurzer Zeit dreihundert Mann in der Fronte standen (denn so viele Taxiarchen waren es), und hundert Mann in der Tiefe. Nachdem sie sich gestellt hatten befahl er ihm zu folgen, wie er vorausgehen würde, 77 und sogleich schritt er im Sturmschritt voran. Als er aber bemerkte daß die Straße die zum königlichen Palast führte zu eng sei als daß sie den Durchmarsch in der Fronte gestattete, so ließ er, wie es der Raum gebot, das erste Tausend abbrechen und vormarschiren, das zweite diesem auf dem Fuße folgen, und so durchweg; er selbst zog, ohne Halt zu machen, voran, und die andern Tausende folgten jedes dem vordern auf dem Fuße nach. An den Eingang der Straße stellte er zwei Diener, um Denen die nicht wußten was sie zu thun haben es zu sagen. Als sie aber an der Pforte des Palastes ankamen befahl er dem ersten Taxiarchen seine Abtheilung zwölf Mann hoch zu stellen und vor dem Palaste die Dodekarchen in die Fronte treten zu lassen; derselbe Befehl sollte an den Zweiten, und so an Alle nach der Reihe ergehen. Dieß geschah. Kyrus aber trat zu Kyaxares in seinem Persischen, nichts weniger als prächtigen Kleide ein. Als Kyaxares ihn erblickte freute er sich zwar über die Geschwindigkeit, aber unwillig über das einfache Aussehen des Kleides, sagte er: »Was soll das, Kyrus? was hast du gemacht daß du dich so vor den Indiern sehen läßt? Mein Wunsch war daß du in größtmöglichem Glanze auftretest, denn mir hätte es zum Schmuck gereicht wenn du als der Sohn meiner Schwester recht prunkvoll aufgetreten wärest.« Kyrus erwiderte: »Kyaxares, hätte ich dir mehr Ehre gemacht wenn ich mich im Purpurkleide, mit Armspangen und Halskette, langsam einherschlendernd auf deinen Befehl präsentirt hätte, als jetzt, da ich mich dir mit einer so großen und trefflich bestellten Macht, so schleunig, aus Ehrfurcht gegen dich stelle, das Ehrenzeichen des Diensteifers, den Schweiß, sowohl an mir selbst tragend als auch die Andern dir ebenso folgsam darstellend?« So sprach Kyrus; Kyaxares aber sah die Richtigkeit davon ein und ließ die Indier einführen. Nachdem sie eingetreten sagten sie, der König der Indier habe sie geschickt, um nach der Veranlassung des Kriegs zwischen den Medern und Assyrern zu fragen: »haben wir von dir die Antwort, so sollen wir auch zum Könige von Assyrien gehen und bei ihm dieselbe Anfrage machen; endlich sollen wir euch Beiden ankündigen daß der König der Indier, nachdem er das Recht erforscht 78 hat, dem angegriffenen Theile beistehen werde.« Darauf sagte Kyaxares: »ich kann euch sagen daß wir dem Könige von Assyrien nichts zu Leid gethan haben: nun gehet auch, wenn ihr es für nöthig erachtet, zu ihm selbst und vernehmet was er sagt.« Kyrus, der dabei stand, fragte den Kyaxares: »darf auch ich meine Meinung sagen?« Kyaxares forderte ihn dazu auf. Hierauf sagte er: »so verkündet denn dem König der Indier daß wir erklären, wenn der König von Assyrien sage er sei von uns beeinträchtigt, so möge er den König der Indier zum Schiedsrichter wählen.« Nachdem sie Dieß vernommen entfernten sie sich.
Als die Indier abgereist waren, begann Kyrus folgende Anrede an Kyaxares:
»Kyaxares, ich brachte nicht viele eigene Mittel von Haus hieher: und von denen welche ich hatte habe ich noch ganz wenig übrig; ich habe sie auf die Soldaten verwendet. Du wunderst dich vielleicht, wie ich dazu gekommen, da Du sie unterhältst; ich sage dir daher daß ich sie zu nichts Anderem als zu Ehren- und Gnaden-Bezeugungen für Soldaten die mir Freude machten gebraucht habe. Denn ich bin der Meinung daß gute Worte und Wohlthaten für Jeden den man zum tüchtigen Mitarbeiter an irgend einem Geschäft bilden will ein wirksameres Ermunterungsmittel sind als Wehthun und Zwang; daher muß man nach meiner Ansicht Diejenigen welche man zu eifrigen Kriegsgenossen bilden will durchaus mit guten Worten und Wohlthaten zu gewinnen suchen; denn Freunde, nicht Feinde müssen Die sein welche bereitwillige Kampfgenossen sein und den Befehlshaber weder über sein Glück beneiden noch im Unglück verrathen sollen. Da ich nun von Anfang an dieser Ansicht bin glaube ich einen Zuschuß an Geld zu bedürfen. Dabei aber in Allem die Augen auf dich zu richten, der du, wie ich wohl weiß, so viele Ausgaben hast, scheint mir ungeziemend; ich glaube vielmehr daß wir Beide gemeinschaftlich darauf bedacht sein müssen daß dir das Geld nicht ausgehe. Denn wenn du es in reichem Maß besitzest, so weiß ich daß auch ich nehmen kann, wenn ich brauche, zumal wenn ich es auf etwas verwende das auch dir Nutzen bringt. Nun erinnere ich mich neulich von dir gehört zu haben 79 daß der König von Armenien jetzt, da er hört daß die Feinde gegen uns anrücken, sich geringschätzig gegen dich äußert und weder sein Contingent sendet, noch den schuldigen Tribut abträgt.« – »Das Alles ist wahr, mein Kyrus,« erwiderte er: ich bin daher noch im Zweifel ob es besser sei gegen ihn zu Felde zu ziehen und den Versuch zu machen ihn mit Zwang dazu anzuhalten, oder ihn für jetzt zu lassen, damit wir nicht auch diesen Feind zu den andern bekommen.« Kyrus fragte: »sind seine Wohnorte an festen oder an leicht zugänglichen Plätzen?« Kyaxares versetzte: »seine Wohnplätze liegen zwar nicht sehr fest; denn ich habe Das nicht unbeachtet gelassen; aber es sind Berge in der Nähe, auf die er entweichen und sich augenblicklich in Sicherheit bringen kann, so daß man weder seiner Person noch der Schätze die er dahin flüchten konnte habhaft werden kann, wenn man nicht, wie einst mein Vater, sich mit einem Belagerungsheer davor legt.« Darauf erwiderte Kyrus: »wenn du mich hinsenden und mir eine ordentliche Anzahl Reiter geben wolltest, so glaube ich ihn mit Hülfe der Götter dahin zu bringen daß er sowohl das Heer schickt als auch den Tribut bezahlt; ja ich hoffe ihn noch freundschaftlicher als er jetzt ist gegen uns zu machen.« Kyaxares sagte: »auch ich hoffe, sie werden dir eher entgegenkommen als uns; denn ich höre daß Einige seiner Söhne Jagdgenossen von dir waren; sie kämen daher vielleicht auch jetzt wieder zu dir: und wenn wir dieselben in unsere Gewalt bekämen, so könnten wir Alles nach Wunsch zu Stande bringen.« – »Hältst du es nicht für zuträglich,« sprach Kyrus, »diese Plane geheim zu halten?« – »Allerdings,« entgegnete Kyaxares; »sie kommen uns dann leichter in die Hände: und wenn man gegen sie zieht, so trifft man sie ungerüstet.« – »So höre denn,« sprach Kyrus, »ob dir mein Vorschlag gefällt. Ich habe schon oft mit allen meinen Persern an der Grenze deines Landes gegen Armenien gejagt und Einige meiner hiesigen Freunde zu Pferde mitgenommen.« – »Wenn du nun Dasselbe thust,« sagte Kyaxares, »so erregst du keinen Verdacht; erschiene aber deine Mannschaft viel größer als die welche du gewöhnlich auf die Jagd mitnimmst, so würde dieß schon verdächtig werden.« – »Auch hier,« sagte 80 Kyrus, »kann man einen nicht unwahrscheinlichen Vorwand erdichten, wenn man dort die Nachricht verbreitet daß ich eine große Jagd anstellen wolle; Reiter würde ich mir sodann offenkundig von dir ausbitten.« – »Ganz gut,« sagte Kyaxares; »ich zeige mich dann nicht geneigt dir welche zu geben, außer einige Wenige, und thue als beabsichtigte ich an die gegen Assyrien liegenden Grenzfestungen zu ziehen. Und es ist ja auch in Wahrheit meine Absicht jene so fest als möglich zu machen. Wärest dann du mit deiner Macht vorangerückt und schon zwei Tage auf der Jagd, so würde ich dir hinreichende Reiterei und Fußvolk von der bei mir versammelten Macht schicken, mit denen du sogleich einfallen würdest. Ich würde mich mit der übrigen Macht nicht ferne von euch halten, um zu gehöriger Zeit zu erscheinen.«
Kyaxares versammelte nun sogleich Reiter und Fußvolk für die Grenzfestungen und sandte auf der Straße dahin Proviantwagen voraus. Kyrus brachte ein Opfer, um Glück für den Zug zu erflehen, und bat zugleich den Kyaxares durch einen Boten um eine Abtheilung der jüngern Reiter. Unerachtet sehr Viele mitziehen wollten gab er ihm nicht Viele. Nachdem Kyaxares auf der Straße nach den Grenzfestungen bereits mit Fußvolk und Reiterei vorgerückt war erhielt Kyrus bei seinem Opfer für seinen Zug gegen den König von Armenien günstige Vorbedeutungen. So zog er denn vorgeblich mit den Zurüstungen zu einer Jagd aus. Unterwegs sprang gleich auf dem ersten Felde ein Hase vor ihm auf; ein Adler, welcher von der rechten Seite heranflog, stürzte sich, als er den fliehenden Hasen erblickte, auf ihn herab, tödtete ihn, schleppte ihn durch die Luft fort, legte ihn auf einen benachbarten Hügel nieder, und ließ sich seinen Fang schmecken. Als Kyrus das Zeichen sah freute er sich, betete zu dem König Zeus, und sprach zu den Anwesenden: »Männer, die Jagd wird mit Gottes Willen gut ausfallen.« Nachdem sie die Grenzen erreicht jagte er, nach seiner Gewohnheit, sogleich, und die Masse des Fußvolks und der Reiter streifte in langen Reihen vor ihm her, um das Wild aufzutreiben; die besten Fußgänger und Reiter aber stellten sich in Zwischenräumen auf, um das aufgetriebene zu empfangen und zu verfolgen. Sie fiengen viele 81 Schweine, Hirsche, Gazellen und wilde Esel. Denn in diesen Gegenden gibt es auch noch heut zu Tage viele Esel. Nachdem er aufgehört hatte zu jagen rückte er an die Armenische Grenze und hielt Mahlzeit. Am folgenden Tag jagte er wieder, und näherte sich den Gebirgen, auf die er es abgesehen hatte. Nach geendigtem Jagen hielt er wieder Mahlzeit. Als er aber hörte daß das Heer des Kyaxares anrücke, so sandte er heimlich einen Boten ab, und ließ ihnen sagen, sie sollen in einer Entfernung von etwa zwei ParasangenDie Parasange (Persische Meile) entspricht einer ¾ deutschen Meile. Mahlzeit halten; er sah nämlich voraus daß die Heimlichkeit dadurch befördert werden würde; wenn sie gespeist hätten, so möchte ihr Befehlshaber zu ihm kommen. Nach der Mahlzeit versammelte er die Taxiarchen und redete sie also an:
»Liebe Männer, der König von Armenien war früher ein Bundesgenosse und Unterthan des Kyaxares; nun aber, da er von dem Anzug der Feinde gehört, ist er übermüthig und schickt uns weder sein Hülfsheer, noch entrichtet er seinen Tribut; ihn nun wo möglich beizufahen, das ist der Zweck unseres Hieherkommens. Dieß müssen wir so angreifen. Du, Chrysantas, nimmst die Hälfte der bei uns befindlichen Perser und ziehst nach genossenem mäßigem Schlaf auf die Gebirge zu, auf die er, wie man sagt, sich flüchtet, wenn er einen Angriff befürchtet, und besetzest sie. Ich werde dir Wegweiser geben. Man sagt auch, diese Gebirge seien mit Wald bewachsen; daher ist zu hoffen daß ihr ungesehen bleibet. Demungeachtet wäre es zweckmäßig wenn du rüstige Männer vor dem Heere vorausschicktest, die nach Anzahl und Aufzug Räuber vorstellen; stoßen Diese auf Armenier, so suchen sie Einige zu fangen und hindern sie die Kunde zu überbringen; die Andern, welche sie nicht bekommen können, jagen sie erschreckt davon, so daß sie dein ganzes Heer nicht sehen können, sondern Maßregeln ergreifen, als ob sie es mit Räubern zu thun hätten. So mache du es; ich will mit Tagesanbruch mit der Hälfte des Fußvolks und der gesammten Reiterei über das ebene Land gerade auf die Burg des Königs losgehen. 82 Leistet er Widerstand, so müssen wir natürlich kämpfen; räumt er aber das Feld, so müssen wir nachsetzen; und flieht er auf die Berge, so ist es deine Sache von da Keinen entkommen zu lassen. Stelle dir die Sache als eine Jagd vor, wo wir treiben, du an den Netzen stehst: darum vergiß nicht daß die Auswege verschlossen sein müssen, ehe die Jagd sich in Bewegung setzt. Die an den Mündungen Stehenden müssen verborgen sein, wenn sie nicht das herbeikommende Wild wieder zum Umkehren bringen wollen. Doch mache es, mein lieber Chrysantas nicht wieder so wie du es sonst bisweilen aus Jagdliebe gemacht hast; denn oft treibst du dich schlaflos eine ganze Nacht herum; sondern du mußt den Leuten mäßigen Schlaf gönnen, damit sie dem Schlaf Widerstand leisten können. Auch darfst du dießmal nicht nach deiner Gewohnheit, ohne menschliche Wegweiser auf den Bergen herumzuirren sondern den Thieren nachzugehen wohin sie dich führen, auf unwegsamen Pfaden gehen; lasse dir vielmehr durch die Wegweiser, wenn der Weg nicht bedeutend abgekürzt ist, den bequemsten zeigen; denn für ein Heer ist der bequemste Weg der kürzeste. Renne auch nicht, weil du die Berge hinauf rennen kannst, voran, sondern in mittlerer Eile marschire voraus, damit dir das Heer folgen könne. Auch ist es gut wenn bisweilen Einige der Kräftigsten und Eifrigsten stehen bleiben und Muth einsprechen; ist sodann der Zug vorbeigezogen, so ist es für Alle ein großer Antrieb zur Eile, wenn sie sehen wie Diese an den langsam Marschirenden in schnellem Schritt vorübereilen.«
Chrysantas war über den Auftrag des Kyrus hoch erfreut; er nahm nun die Führer mit sich fort, gab Denen die mit ihm ziehen sollten die nöthigen Befehle, und begab sich zur Ruhe. Nachdem sie nun mäßige Zeit ausgeruht hatten trat er den Zug nach den Gebirgen an. Nach Tagesanbruch sandte Kyrus einen Boten an den König von Armenien voraus und ließ ihm ankündigen: »Armenier, Kyrus läßt dir sagen, du sollest in möglichster Bälde deinen Tribut entrichten und dein Heer stellen. Fragt er, wo ich seie, so sage die Wahrheit: ich stehe an den Grenzen. Fragt er, ob ich in eigener Person komme, so sage auch hier die Wahrheit: du wissest es nicht. Fragt er, wie 83 stark wir seien, so sage: er solle dir Jemand mitgeben, um sich davon zu unterrichten.« Mit diesen Aufträgen schickte er den Boten ab; er hielt es nämlich für freundschaftlicher den Zug auf diese Art anzutreten als ohne vorhergegangene Anzeige. Er selbst rückte vor, nachdem er seine Anstalten für den Marsch und Kampf so gut als möglich getroffen hatte. Den Soldaten gab er den Befehl Niemanden etwas zu Leide zu thun; und wenn sie auf einen Armenier stießen, so sollten sie ihm zusprechen nicht bange zu haben und nach Belieben Lebensmittel, seien es Eßwaaren oder Getränke, dahin wo sie stehen zum Verkaufe zu bringen.