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An einem trüben Dezembertage des Jahres 1787 ritten zwei Reiter durch die neue Gasse in Rudolstadt ein. Als sie vor dem Hause der verwitweten Frau Oberforstmeister von Lengefeld vorbeikamen, verhüllte der eine im Scherze mit dem Mantel das Gesicht; aber die am Fenster sitzenden Damen hatten ihn schon erkannt; es war Wilhelm von Wolzogen, sein Begleiter war Schiller. Die beiden Freunde kamen von Meiningen und wollten nach Weimar; sie verlebten den Abend im Lengefeldischen Hause, zu dem Wolzogen in verwandtschaftlicher Beziehung stand. Dieser zufällige Weg wurde für Schiller der Weg zum Glück.
Sehen wir einen Augenblick zu, wie es in der Seele dieses Mannes aussah. Schiller war ein viel umhergetriebener Wanderer; von lebhafter Sehnsucht nach ruhigem und stillem Glück auch in engerem Kreise war seine Seele früh erfüllt gewesen, aber äußere Schicksale und das eigene unruhig gärende Wesen hatten ihn von dem Ziel solcher Sehnsucht weit abgeworfen. Aus ungeliebtem Amte, dessen Führung alle schönen und guten Keime seines Wesens zu erdrücken drohte, hatte er sich durch einen mutigen, aber gefährlichen Schritt befreit. Mittellos, des nächsten Tages ungewiß, über seinem Haupte die drohende Gefahr als fahnenflüchtig aufgegriffen zu werden, hatte er die Heimat verlassen und irrte unstet umher oder hielt sich in weltfernen Dörfern verborgen; den bittern Trank des Elends und der Not mußte er leeren; auf der Mainbrücke in Frankfurt, als auch die letzten Hoffnungen erloschen, flog durch seine Seele der furchtbare Gedanke, daß ein Sprung von dieser Brücke ihn frei machen würde, und als dann der Himmel etwas lichter wurde, als in Mannheim ein leichter Schimmer des Glückes auf ihn fiel, da mußte er die bittere Wahrheit an sich erfahren, daß wir den ärgsten Feind nicht außer uns, sondern in uns haben. Gänzlich verwirrt in seinem sittlichen Dasein, viel verwirrter, als die gewöhnlichen Lebensbeschreibungen es darstellen, erscheint der Sechsundzwanzigjährige am Ende seiner Mannheimer Zeit. Charlotte von Kalb hatte in ihm jene Leidenschaft entfacht, die er selbst später seiner Braut gegenüber als miserabel bezeichnet und von der ein nur schwaches, aber schmerzliches Echo in seinen Gedichten widerklingt. Aus dieser innern Lebensgefahr reißt ihn wieder ein völliger und plötzlicher Bruch mit allen Verhältnissen. Einst war er vor dem Herzog geflohen; jetzt flieht er gewissermaßen vor sich selbst. Er geht nach Sachsen, dem Ruf eines Freundes folgend, in dessen zielbewußter organischer Bildung er das Kehrbild der eigenen mit innerer Tröstung wahrnahm. Körner und seine Familie umgaben den Friedesuchenden mit ihrer Freundschaft und Liebe, und in dem Frieden dieser glücklichen Häuslichkeit lassen sie ihn erwarmen; er wird ruhiger, gefaßter, große, weitausschauende Aufgaben werden mutig angegriffen und ausgeführt. Aber gerade der Anblick dieses häusliches Glücks regt in Schiller die Wünsche nach einer »bürgerlichen Existenz« (er drückt sich selbst gern so aus) wieder lebendig auf. Der Weltunkundige hängt sein Herz an jene Dresdener Abenteuerin Henriette von Arnim, aus deren Einfluß die Freunde ihn nur mit Mühe loszureißen vermögen. Sie brauchen eine Gewaltkur. Er geht nach Weimar. Und hier in Weimar ist er zunächst fast auf sich allein angewiesen. In der Öde der Junggesellenbude an Arbeiten beschäftigt, die nicht um des geistigen Erwerbes allein willen unternommen wurden, wird er von einer unüberwindlichen Sehnsucht nach einer Seele ergriffen, die um ihn sei; in dieser inneren Verfassung lernte er Charlotte von Lengefeld kennen.
Wir haben keine genaue Kunde von dem, was an jenem Abend gesprochen worden ist; aber Karoline berichtet die allgemeine Richtung und Stimmung. »Schiller fühlte sich wohl,« sagt sie, »und frei in unserm Familienkreise; entfernt vom flachen Weltleben galt uns das Geistige mehr als alles; wir umfaßten es mit Herzenswärme, nicht befangen von kritischen Urteilen und Vorurteilen, nur der eigenen Richtung unsrer Natur folgend. Dies war es, was er bedurfte, um sich selbst dem Umgang aufzuschließen. Wir kannten seinen Don Carlos noch nicht; ohne alle schriftstellerische Eitelkeit schien es ihm am Herzen zu liegen, daß wir ihn kennen lernten; ich erinnere mich nicht, daß unsre Gespräche noch etwas andres aus der Welt seiner Dichtung berührten, die Briefe von Julius an Raffael ausgenommen. Der Gedanke, sich unsrer Familie anzuschließen, schien schon an jenem Abend in ihm aufzudämmern, und zu unsrer Freude sprach er beim Abschiede den Plan aus, den nächsten Sommer in unserem schönen Tale zu verleben.« Von Schillers eigenem Eindruck hören wir in einem Briefe, den er am 10. Dezember an Frau von Wolzogen nach Bauerbach schrieb: »Wir sind glücklich nach Rudolstadt gekommen, wo ich eine sehr hochachtungswerte und liebenswürdige Familie fand; ich kann nicht anders, als Wilhelms guten Geschmack bewundern; denn mir selbst wurde so schwer, mich von diesen Leuten zu trennen, daß nur die dringendste Notwendigkeit mich nach Weimar ziehen konnte; wahrscheinlich werde ich aber diese Nachbarschaft nicht unbenutzt lassen und sobald ich auf einige Tage Luft habe, dort sein.« Und wie sehr der Anblick dieses Kreises die alten sehnsüchtigen Wünsche in ihm aufgeregt hatte, zeigt uns, was er an Körner in den ersten Januartagen 1788 schreibt: »Ich bedarf eines Mediums, durch das ich die andern Freuden genieße, Freundschaft, Geschmack, Wahrheit und Schönheit werden mehr auf mich wirken, wenn eine ununterbrochene Reihe feiner, wohltätiger, häuslicher Empfindungen mich für die Freude stimmt und mein erstarrtes Wesen wieder durchwärmt. Ich bin bis jetzt ein isolierter, fremder Mensch in der Natur herumgeirrt und habe nichts als Eigentum besessen; ich sehne mich nach einer bürgerlichen Existenz. – Ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück gefühlt und nicht sowohl, weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern darum, weil ich die Freuden mehr naschte als genoß, weil es mir an immer gleicher und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des Familienlebens gibt.«
Noch waren es allerdings unbestimmte Gefühle in Schillers Seele. Gegen Ende Januar kam Charlotte von Lengefeld nach Weimar, um die Karnevalsredouten mitzumachen und die Beziehungen zur Herzogin, für deren Dienst sie ja bestimmt war, fester zu knüpfen. Sie hatte eigentlich im Goetheschen Hause wohnen sollen; das für sie bestimmte Zimmer war aber noch durch einen von Goethe bestellten Italiener besetzt, und so wohnte Charlotte im Hause der Frau von Imhof, der Schwester der Frau von Stein. Anfang Februar traf Schiller auf einer Redoute plötzlich Charlotte, und da er bei seiner Übersiedelung nach Weimar zu dem Hause Imhof Beziehungen angeknüpft hatte, fand sich nun öfters Gelegenheit, Charlotte zu sehen. Der Eindruck wurde stärker und stärker in Schillers Seele; Mitte Februar schreibt er an Körner: »Eine Frau habe ich noch nicht; aber bitte Gott, daß ich mich nicht ernsthaft verplempere.« Im März kommt er auf diese Briefstelle zurück: »Neuerdings ließ ich zwar ein Wort gegen Dich fallen, das Dich auf irgendeine Vermutung bringen könnte; aber dieses schläft tief in meiner Seele.«
welchen Eindruck dieses erste Wiedersehen auf Charlotte machte, zeigt uns eine Stelle aus einem Briefe an Wilhelm von Wolzogen: »Schiller war auch oft mit uns und hat mich und Frau von Imhof oft besucht; er gewinnt immer mehr bei näherer Bekanntschaft; sein Plan ist, diesen Sommer einige Monate hier zu wohnen; da habe ich denn eine Wohnung in Cumbach für ihn ausgedacht. Da werden wir, hoffe ich, manchen freundlichen Abend in seiner Gesellschaft verleben.«
Zwischen Schiller und Lotte selbst kam es noch in Weimar zu einigen Billetts, die das allmähliche Zunehmen des gegenseitigen Interesses deutlich abspiegeln; noch sind sie förmlich, zufällige und dürftige Ergänzungen zum persönlichen Verkehr; aber schon schimmert etwas von warmem Gefühl durch. »Eben zieht mich ein Schlitten ans Fenster,« schreibt Schiller, »und wie ich hinaussehe, sind Sie's, und das ist doch etwas für diesen Tag.« Sie gibt ihm ihr Album, und er schreibt sich ein; es sind die Verse, die unter der Überschrift »Einer Freundin ins Stammbuch« in die Werke übergegangen sind. Lotte dankt ihm für sein Gedicht; die Zeilen sollen ihr immer als Zeichen seines Andenkens wert sein. »Daß ich Sie nicht so oft sehen kann, als ich wünsche, tut mir leid.« Schon ist der Plan zwischen ihnen besprochen, daß er den Sommer in Rudolstadt zubringen soll. »Ich dachte eben, als ich Ihr Billett erhielt, daran, daß es doch mir so lieb sein würde, daß Sie manchen schönen Morgen, manchen stillen Abend, mit uns der schönen Natur sich freuen würden und Sie durch Ihre Gesellschaft uns so viel Freude machen könnten.« Als sie im April nach Rudolstadt zurück muß, schreibt sie: »Leben Sie wohl, recht wohl, wenn ich Sie hier nicht mehr sehen soll und denken Sie meiner; ich wünschte, daß es oft geschähe.« Schiller antwortet noch am selben Tage mit wachsender Herzlichkeit. Das »gnädige Fräulein« der ersten Briefe paßt schon nicht mehr. »Sie werden gehen, liebstes Fräulein, und ich fühle, daß Sie mir den besten Teil meiner jetzigen Freuden mit sich hinwegnehmen.« »Sie wollen also, daß ich an Sie denken soll; das würde geschehen sein, auch wenn Sie es mir verboten hätten. Meine Phantasie soll so unermüdet seyn, mir Ihr Bild vorzuführen, als wenn sie in den acht Jahren, daß ich sie den Musen verdingt habe, sich nur für dieses Bild geübt hätte. Ich werde Sie an jedem schönen Tage unter freiem Himmel wandeln sehen und an jedem trüben auf Ihrem Zimmer. – Vielleicht denken Sie auch meiner.« Und immer wieder schiebt er den Schluß des Briefes hinaus, um dem Lebewohl neuen Ausdruck zu geben. »Leben Sie also recht wohl, bestes Fräulein, erinnern Sie sich manchmal und gern daran, daß hier jemand ist, der es unter die schönsten Zufälle seines Lebens zählt, Sie gekannt zu haben. Noch einmal, leben Sie recht glücklich.« Und als sie wirklich abgereist ist, da fühlt er sich vereinsamt. Er lebt und webt in der Sehnsucht nach dem Sommer. »Man sollte lieber nie zusammengeraten – oder nie mehr getrennt werden.«
So hat Schiller schon bei dem Beginn dieser Bekanntschaft das sichere Gefühl, daß dieses Mädchen für ihn und er für sie bestimmt sei. Nicht Leidenschaft, sondern ruhige Freude erweckte die aufkeimende Liebe in seiner Seele; nicht lähmend und zerstörend, wie frühere Verhältnisse eines stürmischeren Alters wirkte diese Neigung auf ihn. Freundlich und beseligend weben die Gedanken an Charlotte in ihm und neuen Mut zur Arbeit flößen sie ihm ein; er fühlt, daß es sich hier endlich um sein Lebensglück handeln kann. »Ich sehne mich nach einer bürgerlichen und häuslichen Existenz,« die Worte jenes Briefes an Körner enthalten die Grundstimmung der nächsten Jahre.