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Die Bayreuther Festspiele der ersten, abgeschlossen hinter uns liegenden Periode lassen sich in fünf Gruppen teilen, deren erste keine Gruppe ist, sondern der einsame Ring von 76; darauf folgen vier Dreiheiten: die drei ersten Parsifal 82, 83, 84 –, dann, stets mit ihm verbunden, zuerst die späteren Werke: Tristan 86 und Meistersinger 88, 89, – hierauf die früheren: Tannhäuser 91, 92 und Lohengrin 94, – endlich dreimal der erneute Ring 96, 97, 99, zuletzt wieder verbunden mit den Meistersingern, wie zum ersten Ausdruck der Freude über die damit vollbrachte Arbeit erstmaliger Fixierung dieser Werke in Bayreuth. Eine zweite Periode, dem gesicherten Besitz der Bayreuther Kunst gewidmet, mußte nun die vollständige Reihe sämtlicher Werke mit dem noch fehlenden Vorspiel, dem Fliegenden Holländer, beginnen, dem zunächst der » Tannhäuser« im Jahre 1904 folgte.
Blicken wir jetzt auf jene ganze erste Periode zurück, auf die 25 Jahre Bayreuth seit 76, so dürfen diejenigen, welche sich an der großen Reihe künstlerischer Erlebnisse mit Recht erfreut haben, nicht etwa meinen, man wolle diese Freuden oder auch das Recht dazu ihnen verkleinern, indem, wer von Bayreuth selber her alle Nöte der Arbeit kennt, zunächst und besonders daran denkt, welche unaufhörlichen Sorgen und Mühen an die Darbietung solcher Genüsse geheftet waren. Im Gegenteil! Wollte man in Bayreuth einer rechten Freude Ausdruck geben, so wäre es gerade darüber, daß sich seine – ich darf wohl sagen – Leiden umgesetzt haben in die Freuden der anderen, all derer, die ihm Freunde waren und Freunde wurden. Aber es kann nicht schaden, wenn auch die Freude das Bewußtsein davon behält, daß sie aus Schmerzen geboren ist, wie alles Große und Schöne dieser Welt. Das Leiden bedeutet doch einmal die göttliche Berufung des Menschen zu seinen höchsten Zwecken und Zielen.
Wie Wagner selbst hat leiden, sorgen und sich mühen müssen, oft fast verzweifeln wollte, doch nie verzweifelt ist in den bangen Zeiten der Vorbereitungen zu den ersten Festspielen, das ist ja nun wohl durch mancherlei Veröffentlichungen, insbesondere durch die oben genannten Briefe an Friedrich Feustel bekannt geworden. Man weiß, daß die Festspiele von 76 nur erst mit knapper Not überhaupt zustande gekommen waren, daß im Technischen, Szenischen, Dekorativen noch manches daran fehlte, was dann die Kritik für Stilfehler des Meisters nahm – das sogar die ästhetisch so bedeutsame Verfinsterung des Zuschauerraumes nicht einmal gesehen werden konnte, weil die Erleuchtung selbst noch nicht fertig war, die da hätte verfinstert werden sollen. Was aber sonst noch damals beim Werke innerlich, rein künstlerisch, also am Stil gefehlt, das hat völlig nur der Meister selbst gewußt und mit herbem Weh empfunden. Wie sollte er die noch unbelehrten Künstler so plötzlich dem »durch üble Angewohnheiten verdorbenen Boden« der Oper entziehen und als lebendige Teile mitten in sein neues ideales Kunstwerk versetzen? Nach vielen Mühen um ihre Umschulung – wenn auch nur kaum erst ein Simile, ein Schein seiner Intentionen erreicht war –, wie oft hat er dann an der Grenze der betreffenden Talente Halt machen und entsagend sich zurufen müssen: »Lassen wir's gehen!« – niemals aber ohne dem ehrlichen Eifer des von ihm doch zum äußersten hingerissenen Künstlers in rührender Weise seine Achtung und seinen Dank ausgedrückt zu haben. Dann mochten diese getrost meinen, doch eigentlich des Meisters Wunsch und Willen erfüllt zu haben; und so konnte mancher noch Jahrzehnte später gutgläubig als Autorität der Tradition gelten, obwohl er dann bisweilen, in Zweifelfällen befragt, nach soviel anderen Theatererfahrungen und Gewöhnungen nicht mehr recht wußte, ob er selber bei den »unvergeßlichen Festspielen« rechts oder links auf der Bühne gesessen oder gestanden hatte.
Nun ist es aber mit der »Tradition« überhaupt eine eigene Sache. Wo es gilt, lebendige Kunst zu schaffen – und eine solche schöpferische Aufgabe ist jedes Festspiel in Bayreuth –, da genügt nicht die leblose Wiederholung erstarrter Momente zufälliger Erinnerung. Die »Tradition« darf nicht in den Fehler verfallen, gegen den die ganze Kunstart Wagners ankämpfte: sie darf nicht eine Dienerin des Formalismus werden. Gerade das, was Bayreuth auszeichnet, und was der Meister einst als »unnachahmlich« für alle Welt bezeichnen konnte, ist doch die geistige Kraft, die sich darin zu stets neu lebendigem Ausdruck bringt. Aus dem Geiste der Bayreuther Kunst, wie ihr Meister ihn seinem großen Werke eingehaucht und darin gestaltet hat, ist jede Wiedergabe seiner Schöpfungen dort einzig zu erreichen. Wer diesen Geist nicht von ihm gelernt hat und in sich bewahrt, dem helfen alle Traditionen, alle Erinnerungsbilder an gewesene Einzelheiten nicht; er wird niemals ein Bayreuther Festspiel oder etwas dem Aehnliches zustande bringen. Am Geiste ist die Erscheinung zu messen; was ihm nicht entspricht, auch was ihm bei den ersten großen Versuchen seiner Gestaltung durch den Meister selbst noch nicht entsprechen konnte, muß dem lebendigen Wirken weichen, das fortdauernd sich bemüht, die Gestaltung zu vollenden. Nicht die formale Erscheinung allein hätte die bedeutsame Wirkung der ersten Festspiele ausüben können; an ihr vielmehr blieb all das törichte Irren haften, das sich damals Kritik nannte. Das, was den großen Eindruck hervorrief, der recht eigentlich die »Tradition« von 1876 blieb, indem ihn die Besucher jener Vorstellungen mit in ihr Leben nahmen und alle späteren Eindrücke daran maßen, das war eben die völlig neu wirkende Kraft des Bayreuther Geistes, den man den freigewordenen Geist Wagners und seiner Kunst nennen darf. Es ist über allen Zweifel erhaben, daß der Eindruck von 1876 auf die damals ihn Miterlebenden ein ganz unvergleichlicher, niemals zu wiederholender, ein Erlebnis von höchster Art gewesen ist. Wir erlebten darin zum ersten Male das Glück, die Kunst des musikalischen Dramas aus der Hand ihres Meisters selbst zu erhalten, ohne fremde Vermittlung und Uebertragung in ihm feindliche Sphären, die theatralische Gestaltung des Dramas selbst als das eigenste Werk des schaffenden Künstlers, dessen Geist, dessen Wille, dessen Atem alles beseelte, wie er es alles einzig ermöglicht hatte. Eine Wunderwelt, noch nie geschaut, noch nie gehört, entstanden vor 25 Jahren, vollendet aber erst in diesem unvergeßlich einzigen Augenblick ihres vollen Lebens.
Man denke doch nur: zum allerersten Male auf der Welt hörten wir den Klang des unsichtbaren Orchesters! Zum ersten Mal sahen wir die Rheintöchter jauchzend durch die grünen Fluten schwimmen, und wir hätten uns sehr gewundert, wenn jemand uns gesagt hätte, die lebensgefährlichen schweren Karren seien noch lange nicht das Ideal der Technik für diese unvergleichlich phantastisch wirkende Szene. Wir erfuhren zum ersten Mal den vollen tragischen Gehalt der düsteren und leidenschaftlichen Stimmung des ersten Walkürenaktes, und zum ersten Mal erschien auf der Bühne die wetterwild stürmische Szene der Walküren, verbunden mit jener unerhörten Klangwirkung der Stimmen erster Sängerinnen, denen der Meister eingeschärft, eine jede von ihnen müsse sich als eine Heldin fühlen. Und zum ersten Mal tat sich der Waldzauber des Siegfried auf – sah man den jungen Helden das Feuer durchschreiten, auf die sonnenreine, stille Höhe des Felsens emportauchen, und zum ersten Mal erwachte Brünnhilde unter seinem Kuß zum strahlenden Sang der Weltbegrüßung. Zum ersten Male trat die alles überwältigende Tragödie der Götterdämmerung auf eine irdische Bühne, und es wurden Dinge erlebt, wie das nächtige Flüstergespräch zwischen Alberich und Hagen (von Wagner selbst als der kaum begreifliche Höhepunkt der neuen Leistungen bezeichnet) und jene gewiß im lyrischen Drama noch unerhörte Szene des Speereides: wie lauter Offenbarungen einer vordem ungekannten tragischen Kunst. Und nach dem allen endlich noch Siegfrieds Tod, Brünnhildens letzte Worte; – der Untergang Walhalls! – Dies alles hatten wir damals zum ersten Male erlebt, und wir sollten nicht sagen: das Erlebnis kann nicht wiederkehren, es kann nicht übertroffen werden?!
Das Erlebnis nicht – aber die Kunst! – Denn dies alles war doch für Wagner wie eine Schöpfung aus dem Nichts gewesen. Ja, und es wäre noch besser gewesen, wenn er wirklich aus dem Nichts hätte schaffen können. So aber mußte er wohl oder übel doch wieder ein Etwas dazu benutzen, wie es eben zur Zeit an den Operntheatern, die kaum schon etwas von den Meistersingern ahnten, sich einzig ihm darbot. Erschien das Ergebnis trotzdem so sehr als etwas Neues, Nie-Gesehenes, als etwas, was nach der Meinung der Kritik nie hätte sein sollen und nie wieder sein dürfe: daraus erkennt man doch, was der enthusiasmierende Impetus des künstlerischen Genies im großen und ganzen bereits zu erreichen vermocht hatte. Eine neue Welt stand da, unvollkommen gewiß in vielem, aber in den Grundzügen schon deutlich, eine Welt, die garnichts mit der Oper zu tun hatte, die durchaus in Allem und Jedem nur den Ausdruck des Dramas zu gewinnen erstrebte, die schon ganz und einzig in dieser Sphäre des dramatischen Ausdrucks lebte, ihre ersten großen Atemzüge tat. Aber wiederum keineswegs die Welt des Wortdramas, sondern die Welt der Musik, deren tiefste wortlose Geheimnisse im Drama sich entäußern zum klaren, plastisch formenden Lichte des Stiles.
Was an diesem Stil schon beim ersten Versuch so neu erschien, war wohl besonders die große edele Ruhe des Bühnenbildes, welche selbst noch den bewegtesten Momenten, bis zur größten Allgemeinbewegung, als klare Gliederung in Stellungen und Gruppen maßgebend inne wohnte. Es ist dies die künstlerisch überlegene Ruhe der bewußten dramatischen Bedeutsamkeit des Momentes. Das Charakteristische, die Seele gleichsam des Vorganges, erscheint gefesselt im lebensvollen Ausdruck der Gruppierung. Nur aber der große Rhythmus einer Musik erhabenen Stiles kann solche szenischen Linien stilistisch rechtfertigen und regeln. Dies gerade hatte 1876 zu Wagners häufigem Aerger z. B. bei den gruppierten Individualitäten des Rheingoldes noch nicht recht glücken wollen. Wir hören darüber seine Klage in einem Briefe an Betz: »Fühlten Sie sich im Rheingold geniert und nicht recht zu Haus, so sage ich Ihnen, daß es uns allen so ging, und daß ich während der Proben selbst auf Schwierigkeiten traf, die ich mich vergebens zu überwinden bemühte, wogegen ich vergebens auch meine Erfindungsgabe abquälte, uns allen eine gegenseitig lähmende Steifheit zu benehmen.« Aber er fügt auch gleich hinzu: »Dem werden wir jetzt Abhilfe zu finden wissen; es muß hier viel korrigiert werden.« Hätte das Defizit des ersten Festspiels nicht die Wiederholung verhindert – nicht um zwanzig volle Jahre hinausgeschoben, – es wäre schon 1877 alles »korrigiert« worden. Was dann im Jahre 96 gerade beim Bayreuther Rheingold erst Staunen, dann Bewunderung erregte, war nichts anderes als diese »Korrektur des Meisters«, durchgeführt von denen, die sich ihre möglichste Ausübung und Vollendung zur Aufgabe ihres Lebens gesetzt haben.
Die Wahrheit aber über den Anfang von Bayreuth, wie Wagner selbst sie empfand, drückt sich wohl am schärfsten in dem Seufzer aus, der sich ihm bald nach den Festspielen 76 in einem Briefe an Niemann entrang: »Alles, was mich je gequält, folgt mir nach: die ewige Sorge dem Unzureichenden gegenüber. Selbst wenn ich der materiellen Sorgen für meine Unternehmung nicht gedenke, werden gerade Sie mich vorstehen, wenn ich nach all dem ungemeinen, mein Herz tief rührenden Eifer, welcher diese Aufführungen in das Leben rief, das Werk unserer Bemühungen doch fast nur als eine Kraftvergeudung ohne Zweck und Nutzen erkenne.«
Diese tiefe Unbefriedigtheit Wagners beruhte auf einer Erkenntnis, nicht auf einer Stimmung. Die Motive, welche die Stimmung für Bayreuth ihm gründlich verderben mußten, kamen erst nach: nicht nur jenes elende Defizit, – insbesondere das völlige Mißglücken des Schulplanes, auf Grund dessen die Fortführung der Festspiele in großem Sinne gedacht war. Die letzten kostbaren Jahre von Wagners Leben gingen darüber verloren, indessen der in aller Welt einzige Theaterbau, für so viele schöne Möglichkeiten errichtet, stumm und leer stand. Die in seinem Stile vorgeschulte Künstlerschar erhielt er nicht, womit er die nächsten Spiele ganz anders, viel freier und sicherer, die Bayreuther »Erlebnisse« bis zur wirklichen Bayreuther Kunst hätte durchführen können. »Wollen Sie, dann haben wir eine Kunst!« Es ward aber nicht gewollt. Ferdinand Jäger, wissen wir, war der einzige, der auf den Ruf des Meisters nach Schülern wirklich kam und eifrig lernte, was nur dort sich lernen ließ; aber den Vorteil hatte davon nun Wien, welches den unvergeßlichen Siegfried dieses echten poetischen Dramatikers erlebte, nicht Bayreuth, das im tiefen sechsjährigen Kunstschlaf lag.
Als es dann endlich 1882 zum zweiten Festspiel, zum Parsifal kam, stand der siebzigjährige Meister ganz denselben Schwierigkeiten gegenüber wie 76. Auch jetzt mußte er sich die Künstler erst von den Theatern zusammensuchen, um ihnen in noch kürzer bemessener Zeit krampfhaften Arbeitens die Fähigkeit zu ihrer neuen Aufgabe fast noch mehr ein- als auszubilden. Eine Aufgabe, die wahrlich nicht geringer war als beim Ring, schon von dem Gesichtspunkte aus, den der Meister selbst festgestellt hatte. Dieser Parsifal, da er nicht das Produkt einer schon bestehenden Schule hatte sein können, sollte statt dessen nun vielmehr die Grundlage dafür bilden.
Damit dies aber wenigstens noch zu Wagners Lebzeiten ihm ermöglicht wäre, ward ihm noch jene dritte, bitterste Erfahrung nicht erspart: er sah sich gezwungen, von der grundlegenden Idee abzugehen, wonach diese Kunst als freie Gabe denen sich darbieten sollte, die sie »gewollt« und zu ihrer Verwirklichung geholfen hatten. Jetzt mußte sie doch vor einem großen Publikum gegen Bezahlung sich sehen lassen. Für Wagner selbst bedeutete dies eine absolute Entsagung. Aber für die Freunde Bayreuths sieht es ein wenig anders aus: an Stelle einer noch unmöglichen idealen Wirklichkeit hat sich seitdem eine unermeßliche Möglichkeit aufgetan. Je mehr Seelen, wie immer vorbereitet, nach Bayreuth kommen und künstlerische Eindrücke in sich aufnehmen, je mehre auch können dadurch in ihren besten Fähigkeiten ergriffen, vom Niederen abgezogen, auf das Hohe und Reine hingeleitet, über das Tragische in den Dingen der Welt aufgeklärt, kurz, jeder auf seine Art, zum » Bayreuther« werden. Wer es einmal ward, der weiß, welche Wohltat dies sei, weiß aber auch, daß zum Werdeprozeß des Bayreuther Geistes vor allem die Werdestätte Bayreuth selbst gehört.
So wäre denn diese Wirkung sehr schön gewesen, wenn sie nur etwas rascher gekommen wäre! Leider aber blieb jene Menge, welche die vielen Möglichkeiten in sich geborgen hätte, noch lange aus. Nur gerade noch der erste Parsifal lohnte dem Meister die Mühen durch die Befreiung von der äußeren Sorge, daß die Sache wieder finanziell mißglücken könnte. Auch in künstlerischer Beziehung, wie schon angedeutet, stand das im Parsifal Erreichte, trotz dem Mangel der Schule, bereits hoch über dem 76 Möglichen. Es gelang hier wirklich einmal ein stilgerecht in sich abgeschlossenes Ganze mit schönem Geiste und in sicheren Zügen bis zu einem hohen Grade der Vollendung zu fördern. Quantitativ war die Aufgabe ja auch einfacher gegen die des vierteiligen Ringes, mehr auf eine Grundstimmung beschränkt, in feste, ruhige Formen – bis zum Rituellen – gefaßt. Die Individualitäten der Künstler waren glücklich den wenigen Hauptrollen angepaßt, und es waren lauter wirkliche Talente, darunter Erscheinungen so charakteristischer Art wie Scaria als Gurnemanz, Hill als Klingsor, Reichmann als Amfortas. Die ganz eigenartige Kundry der genialen Marianne Brandt ist als Ausdruck der geheimnisvollen Seele dieser wunderbaren Gestalt ohne Gleichen geblieben. Der Reigen der Blumenmädchen wird jedem unvergeßlich sein. Aber auch sein Blumenvater Heinrich Porges, der altgetreue Freund und Helfer, der durch fast zwei Jahrzehnte diesen lieblichen Kranz immer frisch musikalisch gewunden hat, darf nie vergessen werden, wo es gilt zu bekennen, was der Bayreuther Parsifal uns Gutes und Edeles, und mehr noch als Kunst gebracht hat.
Daneben freilich stand nur erst ein – wenn auch guter – Opernchor zu Gebote. Denn ohne die Gnade des Königs Ludwig, welcher Ohor und Orchester seines Hoftheaters, nebst den beiden Kapellmeistern, Levi und Fischer, nach Bayreuth schickte, wäre das Festspiel überhaupt unmöglich gewesen. Während es in Bayreuth später fast nur noch der strengsten Festhaltung des 82 Fixierten gelten durfte, so war der Fortschritt, der immer noch anzustreben blieb, in der Zusammensetzung und Ausbildung eines wirklichen Bayreuther Chores zu sehen. Was die späteren Jahre, insbesondere von den Meistersingern 88 an, in dieser Beziehung auf der Bayreuther Bühne ermöglicht gezeigt haben, gehört gewiß zum Erstaunlichsten und Glücklichsten auf dem mühsamen Wege zu vollendeter Darstellung der Werke. Will jemand nach einem besonderen Kennzeichen der Bayreuther Kunst fragen, so darf man ihn auf den Bayreuther Chor verweisen und an die gewaltigen und schönen Wirkungen dieses Chores in den Meistersingern, dem Tannhäuser, dem Lohengrin, dem Holländer erinnern. Hier hatte man einen wichtigen Faktor des Kunstwerkes ganz in der Hand, ihn nach Wunsch zu schulen, und brauchte nicht erst nach willigen Einzeltalenten zu suchen. Damit ist denn auch das bedeutende Verdienst des allzufrüh dahingeschiedenen Leiters der späteren Bayreuther Stilbildungsschule, Julius Kniese, bezeichnet. Dieser unermüdliche Aufsucher der Talente an den Bühnen und hilfreiche Einstudierer ihrer bayreuther Aufgaben war auch einer der wenigen, die wirklich nach Bayreuth kamen, um der Sache allein zu dienen. Da ward es denn auch etwas Schönes und Gutes.
Für Wagner selbst war mit diesem ersten Parsifal, der uns ein Bild der Vollendung schien, freilich auch noch durchaus nicht alles erreicht, was er von der Grundlage seiner Schule erwünscht hatte. Wer ihm nach dem Festspiel von 82 vertraulich sich nähern durfte, mußte es wohl bemerken, wie auch nach diesem Siege – denn ein Sieg war es, auch über die öffentliche Meinung – seine Stimmung mehr wehmütig als freudig war. Er sah vor sich eine unabsehbare neue Arbeit, unablässige Mühen um das Festhalten des eben wie im Fluge Erreichten, ohne jede Erleichterung der Mittel dazu, der künstlerischen wie der materiellen, mit ganz denselben alten Nöten um die Künstler und um das Publikum. Die Begründung der Stipendienstiftung war ein letzter Versuch, dem Ideal sich wieder zu nähern, daß nicht Zahlende, sondern Zählende das Publikum von Bayreuth bildeten. Das künstlerische Ideal ward damit gestützt auf den moralischen Grund edeler Wohltätigkeit. Dies war Richard Wagners letztes Werk.