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Siebentes Kapitel.

Krischan Barnekow hatte einen Sechsling aufgewendet, um sich rasieren zu lassen, und alsdann noch einen Sprung heim getan, um sein festlichstes Gewand anzulegen. Das war sein alter Braten- und Begräbnisrock, den er sich vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren hatte bauen lassen, als er nach etwa dreißigjähriger Wanderschaft in sein Heimatdorf zurückgekehrt war, um sich dort als reputierlicher Handwerksmeister festzusetzen. Mittlerweile hatte Krischan seine Fünfundsiebzig auf dem Buckel, und dieser Buckel war ihm schmal geworden, also daß das Festgewand des Fünfzigers in seiner abgeschabten schwarzen Pracht ihm weit über die dürren Glieder schlotterte. Er zog auch geschwind noch ein Paar weiße Strümpfe über die blauen gestrickten, und wenn auch die vom langen Liegen im Kasten schon ein wenig angegilbt waren, so zeugten sie doch für die gute Absicht, der Einladung des geistlichen Wirts Ehre zu erweisen. Einen hohen Dornstock in der Hand, in seinen viel geflickten Radmantel gewickelt und seinen arg herumgestoßenen Dreispitz von grauem Filz auf dem weißen Greisenköpfchen, so trat er zur festgesetzten Essensstunde im Pfarrhause an.

»Nun, Krischan, wie geht's denn immer?« sprach ihn der Pfarrer an, als er ausgeschält, die glatten Bäckchen von der frischen Kälte rosig angehaucht, in die Stube trat.

»I nu,« versetzte das Männchen, aus listigen, hellen Äuglein zu dem hohen Geistlichen emporblinzelnd, »dat geiht all so, as de Wind weiht. En ollen Minschen möt tofreden sin.«

»Da hat Er recht, Krischan,« sagte der Pastor, dem Greise freundlich auf die Schulter klopfend, »Zufriedenheit im Alter, das ist eine der besten Gottesgaben. Sie wird allen zu teil, so getreulich bei dem Werke ausgeharret haben, dazu der Herr sie berufen hat, und nicht die eitlen Wege dieser Welt gewandelt sind, sondern sich redlich abgemüht haben auf der steilen Straße, so hinaufführet in die Ewigkeit.«

Der Alte lächelte verlegen und bewegte bedenklich sein Köpfchen hin und her. »Stimmt doch wohl nicht ganz, Herr Pastor,« sagte er, »sintemalen ich für meine Person niemalen bei einer Sache oder einem Metier lange ausgehalten habe und obendrein dreißig Jahre von meinem Leben egal ordnettremang die Wege dieser Welt gewandelt, nämlich durch die Polackei, nach Ungarn, Böheimb, Österreich, ins Welschland, Schweiz und Frankreich, und schier durch alle deutschen Lande, bis ich mich endlich wieder nach Puhlendorp retourgefunden habe. Ja, Herr Pastor, ich war all ümmer ein lustigen Vogel, und von dem frommen Wandel, da weiß ich nich viel von. Die Straße nach die Ewigkeit – ja, da habe ich nie gefragt, wo's da wohl lang gehen mag. Wissen Sie, Herr Pastor, for die Ewigkeit, da habe ich keinen Geschmack zu. Alle Dingen einerlei und ümmer dasselbe – nee, dat paßt mich nich! Ich mein, was der Mensch is, der is da zum Pasterlantant, wie der Franzose sagt. So is't recht! Werdas nich lernt, die Zeit dotschlagen, den schlägt sie dot – das is meine Meinung – Dero müssen schon exküsieren.«

»Oho,« lachte der Pfarrer, »Er ist ein wunderlicher Philosoph. Wo hat Er das her?«

Der Alte folgte ohne viel Umstände der freundlichen Aufforderung, auf dem Kanapee Platz zu nehmen, rieb sich die Hände auf den abgescheuerten Knieen seiner blauen Tuchhose warm und sagte dabei fein nachdenklich: »Ja, ich habe mir meine Meinung so peu à peu vom Wege zusammengelesen – anders lesen kann ich ja nich. Was mein Vater war, der hat von seinem Vater noch allens genau gehört, woans dat im dreißigjährigen Krieg zugegangen seie, und hat mir das so deutlich fürgestellt, daß ich dunnemals meinte, ich seie selbst dabei gewesen. Und denn habe ich vor meine Person mich überall hingestellt, wo man immer eine kräftige Böe wehen mochte. Habe mich in Kriegs- und Friedenszeiten unter die verschiedenlichsten Menschen herumgetrieben und immer die Augen offen gehabt und wohl gemerkt, wie sie das tun und treiben. Und sehen Sie, Hochwürden, darum is mir zu Mute gewesen, als wenn ich Hunderte von Jahren auf dieser Welt wäre. Ich war auch nie bloß Krischan Barnekow aus Puhlendorp, sondern heute Polack und morgen Kravat, und denn mal wieder Walliser oder Schwizer oder Franzos – das war mir allens eingal; denn solches habe ich dabei gelernt: was der Mensch is, der ist und bleibt überall ein und derselbigte. Und wo er gegen an muß, und was sich in einem weg verändert, dat is man bloß die Zeit. So is't auch gut, und wenn't nich so wär, denn künnt der Deuwel dat uthallen in' minschlichen Läwen.«

Der Pfarrer, der ihm aufmerksam zugehört hatte, wendete nunmehr ein, daß es ihm bei solcher Geistesbeschaffenheit doch wohl schwer geworden sein müßte, fünfundzwanzig Jahre in Puhlendorp auszuhalten, wo es doch außer guten und schlechten Erntejahren wenig Abwechslung gegeben habe.

»Ja, Herr Pastor,« lächelte der Alte, »das is mir auch woll aufgefallen. Dunnerkiel, denk' ich manch einmal, wat deihst du hier so lang in Puhlendorp? Nu, dat möt wohl sin, weilen du tween Magen hast as so'n Oß. In den einen Magen hew ik drittig Jahr lang all dat Minschentüg und die bewegten Zeitläuften alltohop rinfreten; und seitlang ik nu in Puhlendorp so schön still sitt, is den annern Magen an die Reih kamen, un de käut dat nu all wedder, wat in den iersten in is. Drittig Jahr hew ik freten, nu denk i mi, dat ik nu ok drittig Jahr käuen möt. Unb wenn ik dormit fartig bin, denn bin ik all achtig Jahr, und denn kann ik ja woll afkratzen, hehehe! Spaßig is dat man, daß dat mit den Käuen von achtern nach vorne geiht. Appräsang hew ik nu zum Exempel die Zwanzigerjahre vor, wo sie mich zu Warschau gestäupt hebben – Pscha kref, die polischen Kanaillen! Können Sie sich wohl denken, Hochwürden, daß mir solchermaßen de Tid nich lang wird.«

»Er ist eigentlich zu beneiden, Krischan,« sprach der Pfarrer, »Er hat Seine ganze Welt in Seinem Hirn und überspannet die Säcula mit Seinem Geiste. Während unsereins, wenn man es recht besiehet, doch eigentlich nichts erlebt hat. Da muß man wohl dazu gelangen, aus Nichtigkeiten Haupt- und Staatsaktionen zu machen und sich die Galle in den Hals zu kränken um erbärmliche Menschlichkeiten, so im Grund der Rede nicht wert seind. – Ich habe gesehen, wie Er gelacht hat in der Kirche, als ich von denen Gesetzesknechten sprach, so mich mit ihren Paragraphen zum Diebe machen möchten. Nun sag Er mir ehrlich, mein lieber Krischan: hat Er mich auslachen wollen oder jene, vor welche die Predigt gemünzt war?«

»Dero halten zu Gnaden: alle beede,« versetzte das Greislein fröhlich. »Hochwürden habe ich ausgelacht, weilen sich Dero solchermaßen erbosten, wo doch der Mensch mal nich anders ist. Und die Herrschaftlichen habe ich ausgelacht, weil sie't mal düchtig kriegten und so schön dumme Gesichter zu machten. Aber Dero sind da ganz richtig in beraten, dat Sie nun den Hasen, wo Sie einmal dotsmeten hebben, ook upeeten.«

Erasmus Südekum lachte laut und behaglich. »Das freut mich, Krischan, daß Er meiner Ansicht ist. Das Sprichwort sagt: ›So du dir eine Suppen eingebrockt hast, sollst du sie auch aufessen.‹ Und Er fügt logisch hinzu: ›So du einen Hasen erschlagen hast, so verspeise ihn fröhlichen Herzens mit den Deinigen.‹ Also soll es nunmehro geschehen, wenngleich mein Döchting das Mäulchen darob hängen läßt, als ginge es zur Henkersmahlzeit.«

Indem schaute die alte Karsunken zur Tür herein und vermeldete, daß das Essen aufgetragen sei.

»Komm Sie nur herein, Karsunken, und lasse Sie die Tür weit offen; wir wollen mit gebührender Feierlichkeit zu Werke gehen. Krischan Barnekow, zeig' Er mal, daß Er sich in der fürnehmen Welt umgetan hat, und biete Er der Madame Karsunken Seinen Arm.«

Die beiden Alten gingen mit einiger Zierlichkeit auf den Spaß ein und schritten feierlich Arm in Arm ins Eßzimmer hinüber. Der Pfarrer ging hinterdrein.

Jungfer Lotte stand schon vor ihrem Platz am gedeckten Tisch und tupfte sich beim Eintritt der drei eben noch ein Tränlein von den Augen.

»O Kind, Kind,« schalt der Vater, »kannst du dich immer noch nicht drein finden? Die Hauptsache ist jetzt, daß der Braten wohlgeraten seie. Für alles übrige laß nur mich und den lieben Herrgott sorgen. Wollt', ich hätte dich lieber bei Krischan Barnekow denn bei der Madame Seifferthin in die ›École des Jeunes Demoiselles‹ geschickt. Da wäre dir die Freiheit des Christenmenschen besser aufgegangen, mein' ich.«

Sie hatten inzwischen alle vier am Tische Platz genommen, und Lottchen faltete nunmehr die Hände und sprach das Tischgebetlein – will sagen: sie würgte es mehr heraus, als sie es sprach. Dann teilte die Karsunken die Suppe aus, und man begann stumm zu löffeln. Danach räumten die Frauenzimmer das Suppengeschirr hinweg und trugen es hinaus. Der Pfarrer schenkte dem Stellmacher schmunzelnd ein Glas aus der besseren Bouteille Rotwein ein, die er zur Feier des Tages aus dem Keller geholt hatte, und stieß mit dem Alten an: »Auf Euere Gesundheit, mein werter Philosoph!«

»Alawott!« gab jener zurück und führte etwas zitternd das Glas zum Munde. »Hm!« machte er darauf und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Lang her, daß ich keinen Wein verschmeckt hab'. Das war, als Louis der Fünfzehnte König war. Da haben die Päsangs das Zeug aus Wassergläsern getrunken, und war doch größer Elend unter ihnen, denn derzeit unter unserm Bauernvolk. Die Steuererheber haben das Letzte aus ihnen herausgeschunden. Wann es sich aber so fügete, haben sie doch alle gebrüllt: Vifleroa! – Ja, ja, dat geiht all so as de Wind weiht!«

»Da hat Er wiederum recht,« sagte der Pfarrer. »Die Könige fordern Gut und Blut und werden dennoch hoch verehret von denen Völkern. Es muß wohl also sein, sintemalen unser Herr selber gesagt hat: ›Gebet dem Könige, was des Königs ist, und hebet die Hand nicht auf wider die Obrigkeit, so Gewalt über euch hat‹.«

»Dero haben aber doch von der Freiheit des Christenmenschen gesprochen,« warf Krischan schlau ein.

»Gilt nur von der inneren Freiheit – die können wohl alle haben.«

»Denn ist das Christentum wohl man bloß eine einwendige Sache, und denn bleibt es sich am Ende gleich, ob ich bei die Katholischen oder bei die Lutherischen oder sonst wo in die Kirche gehe – wenn ich man die einwendige Freiheit habe.«

Der Pastor blickte einigermaßen verdutzt auf. »Nee, Krischan, das weiß ich nun doch nicht. Wenn ich die reine Lehre mit den Ohren vernommen habe, so muß ich ihr auch äußerlich folgen, sonst trifft mich der Fluch derer, die da hören und sehen und dennoch nicht glauben wollen.«

»Und woans bliwt de Freiheit?« fragte Krischan ruhig zurück.

»Freiheit, Freiheit?« murmelte der Pfarrer unruhig. »Darüber werden wir uns wohl schwerlich verständigen, Krischan. Ich glaube, Seine Freiheit ist auf Erden nicht zu finden und wäre auch nicht gut vor dieser Menschen Geschlecht. Da müssen wir uns wohl der Ewigkeit getrösten. – Trink Er, Krischan, der Wein ist gut!«

»Na, denn bin ich – so frei,« lachte der Greis und sog langsam und bedächtig an seinem Glase.

Da tat sich die Tür auf, und die Karsunken trug auf einer großen Schüssel den Bibelhasen herein. Lottchen folgte hinterdrein mit dem Rotkraut und dem Apfelmus.

Da man ihm bereits in der Küche mit dem Hackmesser das Rückgrat gebrochen hatte, konnte man den Braten ohne weiteres auf die Teller geben. Farbe und Duft, insonderheit der köstlichen Sahnensauce, verhießen das Beste, also daß der Pfarrer gleich im vorhinein der Karsunken ausbündiges Lob spendete. Die Schüssel ging herum, und jeder nahm sich sein Stück; nur Jungfer Lottchen schob sie, ohne sich zu bedienen, möglichst weit von sich weg.

Da packte den Vater ein jäher Zorn, also daß er leicht auf den Tisch schlug und ausrief: »Was soll mir das heißen? Will die Demoiselle Mucken haben? Das Maulhängen heute den ganzen Tag ist mir schon längst zuwider. Jetzt stell dich nicht an und iß!« Er erhob sich ein weniges von seinem Stuhl, spießte ein schönes Bratenstück auf seine Gabel und applizierte solches auf des Mädchens Teller.

Aber im selben Momente, als das Hasenstück zwischen Rotkraut und Apfelmus hineinplumpte, stieß das Jüngferlein also der Bock, daß es in ein erbärmliches Schluchzen ausbrach. »Och Gott, och Gott, – ich kann doch nicht! Ich – ich – ... Eh'r kannst du mich selbst erschlagen, als daß ich von diesem – von diesem Unglückshasen einen Bissen – herunterbringe! Ich weiß ganz genau – ich würde mir da ... Och Gott, och Gott! – den Tod würde ich mir da anessen – und du auch, Vater – und wir alle.«

»Kiek die rabiate Deern an!« sagte der Pfarrer zu seinem Gaste und stellte sich spöttisch, wenngleich ihm bei solch leidenschaftlichem Ausbruch selber ein wenig bänglich zumute ward.

Und die Karsunken legte die Hand auf ihren gewaltigen Busen und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Jotte doch, Mamselleken, angst und bange kann sie einen machen, wahrhaft'jen Jott! Möchte bloß wissen, wovor ik mir nu ooch den Dod dran holen soll! Ik hab doch man jedan, wat ik als Köchin zu vaflichtet bin. Wie mir der Hase jeliefert is, so hab' ik ihm jespickt und jebraten. Ik bin 'ne anständige Person, und ik hab' mir nie nischt zuschulden kommen lassen. Mir kennen se alle. Und wenn ik mir wo blicken lasse, denn heißt et allemal: ›Dach Karsunken! Immer noch bei Weje?‹ – Jawoll, sag' ik, ik hab 'en jutes Jewissen. Da bleibt man lange jung und munter bei. – ›Jawoll‹, sagen die Leute, ›so is et ooch‹.«

Der Pfarrer hielt sich die Ohren zu. »Um Gottes willen, Karsunken, wo gerät Sie denn wieder hin! Was hat das mit dem vorliegenden Hasen zu schaffen?«

»Na, wenn Sie det nich insehen, Herr Paster, denn dut et mir um Derowillen leid. Ik bin 'ne anständige Person. Ik hab mir nie nischt zuschulden kommen lassen, und ik weeß bloß so viel, dat mir nu aller Appetit verjangen is.«

Während Erasmus Südekum, erbost über die närrischen Reden der Frauenzimmer, mit Messer und Gabel so wütend an seinem Bratenstück herumarbeitete, als hätte er mit dem Bibelwurf den Totschlag noch nicht gründlich genug besorgt, schien sich Krischan Barnekow aufrichtig an solcher Torheit zu gaudieren. Er zermummelte behaglich seinen Bissen, und dann sagte er zur Köchin gewendet: »Dor heft du unrecht mit, Ollsche. Kiek mal an, wie mich dat smeckt, denn warst du ook wedder Appetit kriegen. Dat is so week as en molsche Beer. Ik hew man bloß noch drei Tähn in't Mul und ik eet süst keen Fleisch mehr, weilen ik et nich mehr kauen kann. Aberst den Has, oll Karsunken, dat's en Ollen-Mannsbraten, hehe! Dat's en Staatshas! Un dat möt wohl wahr sin, dat de Hasen an schöinsten smecken, wenn se mit de Bibel dotsmeten war'n, hehe! Do möt aberst einen ook Pastor zu sin, um damit dat hei mit dat Wort Gottes so schöin treffen kann.«

Der Pfarrer lachte mächtig laut, um mit Gewalt seiner guten Laune wieder habhaft zu werden. »Er ist ein Schalk, mein lieber Krischan. Man weiß nie, ob Er sich über einen lustig macht, oder ob Er's so meint, wie Er's sagt. – Na, ihr verehrten Frauenzimmer, wollt ihr nicht wieder zur Vernunft kommen? Ich will die zeitlichen und ewigen Strafen von wegen dieses Hasen allein auf mich nehmen. Die christliche Kirche kennet gottlob kein Speisegesetz, wonach der Hase ein unreines Tier seie. Das Essen ist euch also unbenommen, und sei der Braten zehnmal ungerecht Gut. Ihr habt ihn nicht erjaget, sondern ich. Und wenn sie einen kraft des Gesetzes um einen elenden Hasen an den Galgen bringen können – nun dann brauchet ihr doch nicht mitzuhangen!«

»Dat is eegentlich ooch wahr,« sagte die Karsunken nach kurzem Nachdenken. »I wat, ik esse, wat meene Herrschaft mir vorsetzt.« Und sie führte resolut einen Bissen Braten zum Munde.

Nun war die festliche Stimmung etlichermaßen wiederhergestellt, und keiner achtete weiter auf das Jungfräulein, das stumm und traurig dasaß und nur ein wenig von seinem Rotkraut und Apfelmus pickte. Zum Beschluß des Mahles gab es noch eine süße Grütze mit geschlagener Sahne und Kirschsaft dazu, womit diese denkwürdige Neujahrsmahlzeit einen gar angenehmen Ausgang nahm.

Während nun die Karsunken sich in die Küche verfügte, um das Geschirr abzuwaschen und auf später einen köstlichen Kaffee vorzubereiten, den es im Pfarrhause nur bei festlichen Gelegenheiten gab, schritt Erasmus Südekum mit seiner Tochter und seinem Gaste wieder hinüber in die mollig warme Studierstube. Der Alte wollte sich zwar gleich wieder empfehlen, um nicht im Mittagsschläfchen zu stören, aber der Pfarrer ließ ihn nicht fort. Der ungewohnte Wein hatte die Zunge des welterfahrenen Greisen gelöst, und es war dem Pfarrer ein leichtes, durch seine Fragen einen ganzen Schwarm von seltsamen Abenteuern, merkwürdigen Erfahrungen und wunderlichen Meinungen aus diesem weitgereisten Menschen herauszulocken. Die Zeit verging ihm so angenehm über solchen Erzählungen, daß er, in seinem Sorgenstuhl behaglich seine Pfeife schmauchend, des gewohnten Schlafes ganz vergaß. Lottchen saß auf dem steifen, mit Roßhaartuch überzogenen Sofa und guckte trübselig vor sich hin, und es war ihr nicht anzumerken, ob sie dem Alten zuhörte oder nicht. In Wahrheit saß sie die ganze Zeit über lauschend da, um ja nicht die Hausglocke zu überhören. Wollte doch der Fritz nach Tische vorsprechen, um mit dem Vater unter vier Augen zu reden. Was mochte er ihm wohl zu sagen haben? Das war es, was sie so erregt hatte, daß sie sich nicht einmal vor dem Gaste zusammenzunehmen vermochte und über den Hasen in Tränen ausgebrochen war. Und wie nun plötzlich wirklich die alte, klapprige Schelle ertönte, früher als sie selbst vermutet hatte, da stürzte Lottchen aus dem Zimmer und rannte nach der Haustür, um selbst zu öffnen. Vielleicht fand sie doch eine Minute Zeit, bevor er hineinging, ihn um sein Vorhaben zu befragen und ein gutes Wort von ihm zu hören, das ihr die kindische Angst benahm.


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