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Fünftes Kapitel.

Wozu nicht alles Lottchens Kniee herhalten mußten an diesem beklommenen Wintertage! Ob sie nun blaß sah oder ohne Ursache dunkelrot, ob sie untätig dasaß in verwirrten Gedanken oder mit unruhiger Hast im Hause sich zu schaffen machte – an allem mußten die geschundenen Kniee schuld sein. Da konnte es denn nicht fehlen, daß die alte Karsunken sich ihr Teil dachte und auch der Herr Vater Pfarrer bedenklich zu werden begann, insonderheit weil das Jüngferlein weder eine Besichtigung seiner Verletzung dulden noch gar von einer Berufung des Medikus aus dem Kreisstädtchen etwas wissen wollte.

Da nahm er denn nach Tisch das Mägdlein mit in seine Studierstube hinüber, zog es auf seinen Schoß und redete ihm gut zu, es solle nur ganz offenherzig frischweg offenbaren, wo der Schuh es drücke.

»Ich wollte es Ihm schon allerweilen sagen,« begann Lottchen stotternd, »aber ich hatte die Traute nicht, weil Er doch gestern noch so fest resolvieret war, dem alten Jasmund und seinem Dräuen nicht zu weichen.«

»Aha, von daher weht der Wind!« lachte Pastor Südekum. »Hab' ich mir's doch gleich gedacht. Wenn mein Mägdlein trüb dreinblicket, ist allemal ein Jasmundischer dran schuld. Aber ich sage dir gleich, Kind, ich bin heute just ebenso fest resolvieret, nicht zu weichen, wie ich es gestern war. Hat sich nun auch der Fritz um die hochnotpeinliche Hasenaffäre angenommen?«

Lottchen nickte betrübt. »Jawohl, das hat er. Er ist expré aufs Eis gekommen, um mich zu verwarnen. Denk dir bloß, Vadding, der Alte hat sich verschworen, heut noch aufs Amt zu gehen und dir wegen Wilddieberei die Klage anzuhängen.« In ihrer Herzensnot vergaß sie die steife Förmlichkeit der Anrede, fand das kindliche Du und reichlich Tränen obendrein, mit denen sie ihm um den Hals fiel.

Der Pastor fuhr erschrocken zurück. »Ich habe wohl nicht recht gehört: Wilddieberei? Ist das wirklich wahr? Der alte Narr will mich zum Wilddieb machen?« Und als das Lottchen unter Tränen nickte, sprang er auf, schob es sanft beiseite und machte einen erregten Gang im Zimmer hin und her. »Ei, so soll doch dieser und jener ...!« Er stampfte zornig auf die Dielen und schüttelte eine geballte Faust nach der Richtung hin, in der die Försterei lag. »Ich glaube, der Mann ist gar des Teufels mit seinem elenden Hasen!«

»Wollen wir ihn doch in Gottes Namen zurückgeben,« flehte Lotte, ihre Tränen hinunterwürgend. »Ein feister Kalkuhn Puter tut's auch zum Neujahrsbraten. Wir haben ihn doch darauf hin gemästet. Sei Er nicht eigensinnig, lieber Vater.«

»So, und wenn ich nicht eigensinnig bin, was bin ich alsdann?« brauste der Pfarrer zornig auf. »Willst du mich mit deiner Angst zur Memme machen? Oho! Haben die Jasmundischen einen harten Kopf, so haben die Südekumschen einen härteren. Das soll ihm nicht geschenkt sein, dem Herrn Förster, daß er seinen Pfarrer zum Wilddieb machen will! Ich gehe auch aufs Amt und zwar stante pede

Und ohne daran zu denken, daß er sein gewohntes Mittagschläfchen darum aufgeben mußte, schritt Erasmus Südekum zur Tür hinaus, warf den schweren Radmantel um, stülpte seinen Filz auf und stürmte davon, ohne sich nach dem Töchterlein nur noch einmal umzusehen.

Das Amtshaus lag innerhalb des Gutsbezirkes, jedoch an der Landstraße, während das Herrenhaus etwa dreihundert Schritt seitwärts der Landstraße von einem die Gegend beherrschenden sanften Hügel herab und von einem uralten Buchenhain im Rücken beschattet, gar stattlich ins Land grüßte. Das Amtshaus war ein schmuckloses, aber reichlich weitläufiges, einstöckiges Fachwerkgebäude. Und der derzeitige Amtsverweser hütete sich wohl, eigenes Geld auf die äußere Ausschmückung seiner Behausung zu verwenden. Jobst Rasmussen war nichts weniger denn ein studierter Kameralist. Er hatte seine Laufbahn als einfacher Gerichtsschreiber begonnen, war später auf Empfehlung zum Herrn von Fersen für die Besorgung des Rechnungswesens gekommen und hatte nicht lange danach das gute Glück gehabt, die einzige Tochter eines wohlhabenden Bauern heimzuführen, worauf ihn der Gutsherr zu seinem Amtmann ernannt hatte. Da er nun außer seinen Sporteln, Deputaten und sonstigen Emolumenten auch noch aus dem selbstbewirtschafteten Anwesen seiner Frau ein gutes Stück Bargeld herauszog, so war er mit den Jahren in recht erfreuliche Umstände gekommen und hatte sich an den saftigen Schweinebraten und fetten Pökelbrüsten ein stattliches Wänstlein angemästet. Weswegen er den Bauern und dem gemeinen Volk wohl Respekt einflößen konnte und auch sein eigenes, behagliches Genügen fand.

Auf das Schellen des Pfarrers öffnete alsbald eine derbe Magd die Haustür und geleitete den Hochwürdigen ohne Umstände in das Wohnzimmer zu ebener Erde, allwo er die Amtmännin mit ihren Kindern bereits um den Kaffeetisch versammelt fand. Der Mathis sprang auf und machte seinen Knickerling, und auch Jungfer Beate und die beiden kleineren Geschwister erhoben sich zur Begrüßung von den Stühlen. Madame Rasmussen aber, die in einer frisch getollten weißen Haube auf dem Sofa thronte, setzte ihre reichliche Leibesfülle nicht gern in überflüssige Bewegung. Sie winkte nur mit der Hand und rief dem Eintretenden entgegen: »Je süh, Dero Hochwürden erweist uns auch einmal die Ehre. Merci, merci der Gnade. Setzen Sie sich, Hochwürden, und lassen Sie sich ein Schäleken Koffee in unsrer Gesellschaft schmecken. Es ist auch noch vom Fest her Kuchen genug zum Stippen vorhanden.«

»Ich muß mich der Gunst bedanken, Frau Amtmännin,« versetzte der Pastor zerstreut. »Ich komme nur in Geschäften zu Ihrem Eheherrn. Kann ich den Amtmann auf einen Augenblick sprechen?«

»Je, ich weiß nicht,« sagte die kleine dicke Frau, indem sie ihren Blick ratsuchend bei ihren Kindern herumschickte. »Der Amtmann tut sein Mittagschläfchen, und da läßt er sich nicht gern in stören. Haben es denn der Herr Pastor so eilig?«

»Ja, das habe ich wohl,« erwiderte jener; »ich habe auch meinen Mittagschlaf um dieser Sache willen aufgegeben.«

»Ach, denn weiß ich auch wohl, was es ist,« rief die Amtmännin ganz vergnügt. »Wir haben natürlich auch schon von dem Bibelhasen gehört. Haben Herr Pastor das Corps delixi wohl gleich mitgebracht?«

»Nein, das habe ich keineswegs getan,« gab der Pfarrer grimmig zurück, indem er seine funkelnden Augen starr auf Mamsell Beate richtete, die bei den Worten ihrer Mutter in ein kindisches Kichern ausgebrochen war. »Ich muß nun wirklich bitten, den Herrn Amtmann wecken zu lassen, da ich dienstlich mit ihm zu reden habe.«

Es wurde nun der Mathis abgesandt, um das gefährliche Wagestück, den Vater in seinem Schlummer zu stören, zu unternehmen. Und unterweilen erkundigte sich Mamsell Beate mit immer noch lachenden Mienen, trotz des verweisenden Ernstes des Pfarrers, nach dem Zustande von Mamsell Lottchens Knieen.

»Dank der Nachfrage, denen Knieen geht's gut,« erwiderte der Pastor mürrisch. Und dann faßte er die grienende Mamsell abermals scharf ins Auge und fuhr fort: »Da hat Sie wohl auf dem Eise auch die Geschichte von dem Bibelhasen vernommen? Hat Ihr der junge Jasmund wohl auch erzählt, daß mich sein Herr Vater wegen Wilddieberei verklagen will?«

Beate spitzte die Ohren. »Der junge Jasmund? Ei keineswegs, Herr Pastor. Das muß er denn wohl Seiner Jungfer Tochter insgeheim ausgerichtet haben. Denn vor unsern Ohren war von dergleichen nicht die Rede. Wir haben die Neuigkeit von unserm Vater empfangen, sobald der Förster heute früh bei ihm gewesen war.«

»So so,« sagte der Pfarrer. »Dann wird wohl bald die ganze Gemeinde Bescheid wissen um den sogenannten Bibelhasen und was drum und dran hängt. Morgen um diese Zeit – das kann Sie gleich dazu berichten, Mamsell – wird dieser leckere Braten in der Pfarre bereits verspeist sein.«

»Na, denn wünsch' ich guten Appetit,« sagte die Rasmussin spitzig. Die Mamsell Tochter aber sagte nichts mehr, und die jüngeren Kinder grienten dumm vor sich hin.

Da kam der Mathis zurück und meldete, daß sein Vater den Herrn Pastor erwarte.

Der Eintritt des Hochwürdigen unterbrach einen bedeutenden Gähner des dicken Amtmanns. Er rappelte sich aber alsbald von seinem Kanapee empor und blinzelte mit den verschlafenen Äuglein den Pfarrer an.

»Sie müssen mich schon exküsieren, Amtmann, daß ich Sie in Ihrem Schlummer gestört habe. Aber es ist mir berichtet worden, daß Förster Jasmund mich bei Ihnen wegen Wilddieberei denunzieret hat, und es läßt mir keine Ruhe, zu erfahren, ob dem wirklich so seie.«

»Tjä,« sagte der Amtmann bloß. Und dann zog er gar wichtig seine spärlichen Brauen in die Stirn hinauf, kratzte sich am Hinterkopf, langte umständlich aus seinem Rockschoß die Tabatiere hervor und streckte sie geöffnet dem geistlichen Herrn mit einem freundlichen: »Prieschen gefällig?« entgegen.

»Sie wissen doch, daß ich nicht schnupfe,« versetzte jener unwillig. »Also ich bitte: wie verhält sich die Sache?«

Der Amtmann seufzte, schüttelte den dicken Kahlkopf und sagte endlich, behaglich lächelnd: »Tjä, das soll woll so sein. Förster Jasmund war allerdings bei mir und hat mir ex officio vermeldet, daß Dero Hochwürden ... er hat woll so was gesagt von Wilddieberei; aber ich habe gemeint, wir könnten es wohl bei Jagdfrevel bewenden lassen. Das ist ja dasselbe und macht sich ein büschen besser. Nu sein Sie mal deswegen nicht bange, mein lieber Herr Pastor. Geben Sie man das Häseken ruhig wieder heraus – was liegt Ihnen dran?«

»Mir liegt dran, dem Förster zu beweisen, daß ich sein Hansnarr nicht bin,« knirschte der Pastor Südekum grimmig. »Will er aus solch elendem Anlaß ein Hühnchen mit mir pflücken, gut – so soll er seinen Mann gefunden haben. Die Schnauzerei von so einem alten Eisenfresser macht mir noch lange nicht bange, wenn er gleich sieben Jahre gegen die Russen, Österreicher und Franzosen in der Bataille gestanden ist. Ich bin währenden Amtes öftermalen mit dem Teufel in der Bataille gestanden und fürchte keinen Korporalstock nicht.«

Da lief ein hämisches Schmunzeln über die groben Züge des Amtmanns. »Das mag ja denn woll gerne sein,« sagte er langsam und bedächtig, »aber die Klage ist nu doch mal anhängig gemacht, und Hochwürden haben sich wider das Gesetz verfehlet. Ja, ich kann da nicht helfen; Sie sind im Unrecht, Herr Pastor. Wenn Sie den Hasen nicht herausrücken, denn müssen Sie die Buße zahlen.«

»Ich werde weder das eine noch das andre tun,« versetzte der Pfarrer, »ich werde mich an den Junker selber wenden, ob der es wohl gut heißen mag, daß sein Pfarrer wegen einer Lappalie von so einem groben Gesellen schikanieret werde.«

Der Amtmann zog die Schultern hoch und lächelte noch vergnügter. »Da dürften Sie am Ende allbereits zu spät kommen, Herr Pastor, weilen nämlich Förster Jasmund allbereits auch schon bei unserm gnädigen Junker gewesen ist. Ich habe ja zum Guten geredet, aber er hat nicht auf mich hören wollen und ist gleich zum Junker hin. Letztlich ist es ja doch des gnädigen Junkers sein Hase gewesen, so Dero Hochwürden erschlagen haben; wenn ihm der Junker wohl will, wird er ihm sicherlich die Buße erlassen. Und wenn nicht – nu, so zahlen Sie eben.«

»Eher sollet ihr mich aus dem Amte jagen, denn daß ich für den Hasen Buße zahle,« rief der Pastor schier außer sich. »Ihr Diener, Amtmann, und Dank der Wohlmeinung. Ich gehe zum Junker.« Er nickte kurz mit dem Kopfe, wandte sich rasch um und verließ mit eiligen Schritten das Amtshaus.

Droben im Schloß, wie die Leute in ihrer Höflichkeit den großen Klumpen Mauerwerk betitelten, brauchte der Pfarrer nicht lange zu antichambrieren. Der Diener geleitete ihn nach geschehener Anmeldung alsbald zum gnädigen Herrn, der in seiner großen Stube am bullernden Ofen hockte und seines Zipperleins pflegte.

»Exküsier Er mich, Hochwürden,« schrie der Junker, sobald die Begrüßung erledigt war, »wenn ich mir keine Paruck aufsetze. Ich täte sie doch an die Wand schmeißen, sobald das sakramentische Reißen und Beißen wieder anhebet. Wenn ich noch Haare auf dem Schädel hätte, möchte ich mir die auch ausreißen. Autsch – jetzo hat's mich wieder! Uhuhu – daß dich die Pestilenz, du höllische Feuerzange! Sieht Er's, Pastor, das kommt vom Suff.«

»Hab' ich Dero Gnaden oft genug fürgestellt,« sagte der Pfarrer ruhig.

Da schrie der Junker auf vor Schmerz und krümmte sein linkes Bein in die Höhe, daß die Kniee fast an das tabakbefleckte Jabot rührten, und dann brüllte er im rechten Kasernenhofton seinen Pfarrer an: »Von Ihm will ich's aber nicht hören. Er hat mir gar nichts zu sagen. Er ist ein scheinheiliger Duckmäuser. Verweigert's, ein Buddelchen mit mir auszustechen oder ein Jeuchen mit mir zu machen und erlaubt sich, von der Kanzel herab auf mein sündhaftes Leben anzuspielen. Er ist mein Feind, Pastor. Kommt Er jetzo, sich an meinen Schmerzen zu ergötzen? Er gönnt mir wohl den Vorgeschmack der Hölle?«

»Da irren Dero Gnaden, wenn Sie meinen, ich seie Dero Feind,« versetzte der Pfarrer ernsthaft. »Dero Gnaden sollten mich stets bereit finden, Ihnen in Ehren Gesellschaft zu leisten und nach meinen Kräften zum Guten zu raten; aber Dero Gnaden wünschen sich einen Saufkumpan und untertänigen Zotenbelacher – und solches ist nicht meines Amtes. Ich weiß wohl, daß Amtsbrüder vorhanden seind, so sich von ihrer gnädigen Herrschaft vor Hofnarren gebrauchen lassen. Dazu ist sich Erasmus Südekum aber in aller Bescheidenheit doch zu gut.«

»Ei süh,« lachte der Junker, »die Bescheidenheit ist mir eine neue Tugend an Ihme! Da kommt Er jetzo wohl auch zu mir, um sich in aller Bescheidenheit von wegen der Tötung meines Hasen zu exküsieren?«

Der Pfarrer verbeugte sich leicht. »Allerdings komme ich wegen des Hasen; aber nicht sowohl, um mich dessen zu exküsieren, denn vielmehr um mich über den Förster Jasmund zu beschweren, der mich in Anbetracht dieses Hasen einen Wilddieb geheißen hat.«

»Was ist das?« rief der Junker. Er zog die Lippen auseinander, daß man alle seine annoch gesunden, wenngleich vom Tabaksqualm vergilbten Zähne sehen konnte. Wie er da so hockte in seinem gewaltigen Ledersessel, das umwickelte Bein auf die Ofenbank gelegt, unrasiert, den Schnauzer gesträubt gleich wie bei einem Kater, ohne Perücke und zähnefletschend wie ein Pavian, da konnte einen entweder ein Schrecken oder ein Lachen anwandeln, eine so wunderliche Figur gab der erstaunte Junker ab.

Dem Pfarrer war aber in diesem Augenblicke weder zum Lachen noch zum Erschrecken zu Mute. Er hielt den durchbohrenden Blick der grauen Äuglein ruhig aus, richtete sich empor und sprach voll Würde also: »Jawoll, Dero Gnaden, ich bin hier als Kläger, nicht als Beklagter. Wollen Sie mit mir nach dem Buchstaben handeln, so mögen Sie es tun. Dann will ich zusehen, wo ich mein Recht erhalte, und wenn ich bis ans Kammergericht, ja bis an den König selber gehen müßte. Vorher vermeine ich jedoch, Dero Gnaden sollten wohl der Mann sein, so in dieser Sache aus eigenem Verstande eine gerechte Meinung finden müßte. Besagter Hase ist dicht bei dem Grabe meiner Frau aufgesprungen, auf dem Grund und Boden, den ich wohl mit Recht als meinen eigenen ansehen darf, dieweil ich selbst in kurzem alldort von meinem Erdenwallen auszuruhen gedenke. Ich habe der Kreatur das Wort Gottes an den Kopf geworfen, dieweil es mich just in meinen Gedanken störte und ich über seine hänselnde Gebärde ergrimmete. Und als die Tat geschehen und das Häseken verendet war, da wurde ich fröhlich in meinem Gemüte und trug die gute Gabe Gottes, ohne einige böse Hintergedanken wider Dero Gnaden, in meine Küche. Ich sollte meinen, solch Geschehnis sehe sich doch anders an, als wenn ein diebischer Bauernkerl auf Dero Feldern auf Raub ausziehet. Den Wert des Wildbrets will ich Dero Gnaden gern ersetzen, aber dann muß ich auch Dero Gnaden Wort als Edelmann mit von hinnen nehmen, daß Sie dem Förster sein böses Maul verbieten und ihm anbefehlen, sich wegen des Wilddiebs bei mir zu entschuldigen.«

»I den Deubel werde ich tun,« rief der Junker, indem er sich schier vergnügt auf den Schenkel schlug. »Was Er mir da alles weismachen will, Hochwürden! Ich vermag Ihm da nicht zu replizieren. Er redet nach der Kunst, wie wenn Er auf der Kanzel stünde. Da komm' ich nicht mit. Ich weiß nur so viel, daß das alles Fickfackereien seind. Wir pommerschen Edelleute haben uns Anno dreiundsechzig gegen Seiner Majestät des Königs Begehren, die Hörigkeit und Erbpacht aufzugeben, wohl gewehret, mit der Wirkung, daß allens beim alten geblieben ist. Sonach gibt's auch allhier in Puhlendorp kein Gemeindeland und kein Pfarrland. So es mir also gefällt, kann ich heute Seine Kirche samt der Pfarre ans andre Ende des Dorfes setzen und auf dem Gottesacker die neumodischen Kartoffeln pflanzen lassen – woraus zu schließen, daß der Hase, so auf dem Gottesacker hüpfet, justament so gut ein herrschaftlicher Hase seie, wie jeder andre Hase in meinem Feld- und Waldrevier. Hat Er das wohl erfaßt?«

Der Pfarrer holte sein Schnupftuch hervor und tupfte sich die großen Tropfen von der Stirn, denn es herrschte eine entsetzliche Hitze in dem Gemache. Es drohte ihm schwindlich zu werden. Und die zahllosen Hirsch- und Rehgeweihe, damit des Junkers Stube an allen vier Wänden geziert war, begannen vor seinen Augen wie ebensoviel gezückte Spieße wider ihn zu manövrieren. Und wie der Junker den Pfarrer also pusten hörte und schwanken sah, wandelte ihn ein schadenfrohes Mitleid an. Er hieß ihn sich setzen und bot ihm ein Glas Wein zur Stärkung an.

»Ich danke Dero Gnaden,« sagte der Pfarrer, sich zusammenraffend, »eine Stärkung scheint mir kaum mehr vonnöten und mein Geschäft bei Ihnen erledigt.«

»Sei Er doch kein Narr, Pastor,« schalt der Junker gutmütig. »Was muß Er denn durchaus mit dem Kopfe durch die Wand? Es stehen doch Türen genug offen, wo Er aufrecht hindurchgehen kann. Der Förster hat Ihn auf den rechten Weg gewiesen, und erst nachdem Ihr Euch Eurer Schuldigkeit geweigert, hat er seine Pflicht getan und Eure Verfehlung zur Anzeige gebracht. Nun verlanget Ihr, ich soll derowegen dem Biedermann den Schweinehund blasen? Geb Er den Hasen heraus und zahl Er die Buße, so ist die Sache abgetan, und Er hat Seinen Frieden.«

»So, ist das Dero Gnaden Meinung?« erwiderte der Pfarrer mit schwerem Atem, also, daß ihm die Stimme erbebte. »Ich soll in der Gemeinde, allwo ich etliche zwanzig Jahre die reine Lehre geprediget, ein ehrbar Leben geführet und in Ehren grau geworden bin, als ein bestrafter Wilddieb einhergehen und die Bauernlümmel und Menscher mit Fingern auf mich deuten lassen? Das heißen Sie, Herr von Fersen, meinen Frieden finden?«

»Ich glaube gar, jetzt will Er mir den Text lesen, daß ich Ihm ein Unrecht tue!« fuhr der Junker geärgert auf. »Es ist Seine eigene Schuld allein. Warum kann Er sich nicht besser stellen mit den Leuten? Mir wäre Er oft ein willkommener Gast gewesen in meiner Gottverlassenheit, die ich als halber Krüppel ohne Weib, noch Kind, noch Kegel Winter und Sommer hier aushalten muß. Und warum muß Er's gerade mit dem Förster verderben? Ich höre doch, daß des Försters Fritze mit Seiner Mamsell Tochter schöntuet. Die Mamsell soll ihm doch gleicherweise gewogen sein. Will Er sich zum vorhinein die Schwägerschaft verderben?«

»Ich habe mir den jungen Jasmund nicht zum Eidam erwählt und denke auch nicht daran, ihm mein Mädchen zu geben,« versetzte der Pfarrer kurz angebunden.

»Sososo, i kiek mal an!« lachte der Junker, indem er den Pfarrer mit einem lauernden Blicke streifte. »Ich hätte vermeint, Ihr wäret dem Alten gram, weil er vor seinen Jungen andre Pläne hat; denn das kann ich Ihm man sagen: Förster Jasmund hat andre Pläne. Wenn Er also in diesem Punkto mit meinem ollen Jasmund eines Sinnes ist, so sehe ich nicht ein, warum ihr euch nicht über den elenden Hasen miteinander benehmen könntet. Er will Seinen harten Kopf durchsetzen und sich über das Gesetz stellen; aber das wird Ihm ...«

»Ich will nur respektieret werden als was ich bin,« unterbrach ihn der Pfarrer, unfähig, seinen Zorn zu meistern. »Ich will mich nicht retirieren vor der Drohung eines rohen Korporals, der nur sein Mütchen an mir kühlen will.«

Der Junker lächelte schlau. »Ich weiß wohl, wo Er hinaus will, Pfarrer – der olle Jasmund hat mir's schon gesteckt. Er meint, der Förster könnte es Ihm nicht vergessen, daß Er wider unsers Königs Freigeisterei geprediget hat. Ich will Ihm man sagen, da hat Er wider mich auch gepredigt, sintemalen ich auch ein Voltairianer bin. Jawohl, kiek Er mich man groß an!«

Das tat nun Erasmus Südekum allerdings. Und er mußte fast lächeln bei der Vorstellung des guten Junkers als Voltairianer, der in seinem Leben sicher keine zehn Bücher, am wenigsten aber philosophische gelesen hatte. Er hob nur die Achseln und sagte leise und ungeduldig: »Seine Majestät seind ein großer Geist, einer der erleuchtetsten unsres Jahrhunderts, und es ist wohl vonnöten für einen Diener des Wortes Gottes, sich mit solchen Geistern auseinanderzusetzen; Dero Gnaden jedoch haben weder das Wort Gottes noch den Voltaire vor Augen und im Herzen, sondern lediglich, was Ihnen Ihrem Stande ziemlich und nach der Mode zu sein dünket. Aber ich wüßte nicht, was solches mit unserm bestrittenen Hasen zu tun hätte.«

Der Junker bekam einen sehr roten Kopf, zeigte seinem Pfarrer abermals die Zähne und sagte, indem er sich mit einer Schmerzensgrimasse an sein böses Bein griff: »Es hat allerdings mit Seinem Hasen zu tun, weil man einem guten, friedlichen Gesellen gerne durch die Finger siehet, einem Kampfhahn aber und scharfen Maule am liebsten mit gleicher Münze dienet. Laß Er sich das gesagt sein.«

»Dero gehorsamster Diener,« sagte der Pfarrer, machte seinen Bückling kurz ab und wandte sich eilend hinweg.


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