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Es war des Nachmittags um Zwei und Erasmus Südekum war in seinem Sorgenstuhl über der Lektüre eines Geschichtswerkes ein wenig eingenickt, als der blecherne Klang der Hausglocke einen scharfen Widerhall an den kahlen Steinwänden des Vorplatzes erweckte. Der Pastor fuhr erschreckt aus einem angenehmen Traum empor und reckte das Ohr nach der Seite der Haustür, um zu vernehmen, was solche Störung zu dieser beschaulichen Verdauungsstunde verursachen mochte. Da vernahm er alsbald eine tiefe, knarrende Männerstimme und, ihr Antwort gebend, die berlinische Melodie der alten Karsunken.
»Holla, was gibt's denn da!« brummte der Pastor vor sich hin, indem er sich aus seinem Stuhl emporraffte, denn er hatte die Stimme des alten Försters Jasmund wohl erkannt. So ging er denn zur Tür und rief hinaus: »Nur herein, Herr Förster, Er findet mich zu Hause. Wenn Er ein Anliegen hat, melde Er mir's nur direkt, wenn's beliebt.«
Der alte Jasmund, ein gar gewaltiges Mannsgestell, das nicht viel unter sechs Fuß die Länge messen mochte und seinen eisgrauen Kopf noch gar aufrecht zwischen den breiten Schultern trug, stampfte breitbeinig in seinen hohen Röhrenstiefeln daher, nahm die Pelzkappe herunter und klopfte mit einer kurzen, unwirschen Verbeugung an den Türflügel an, den Erasmus Südekum für ihn geöffnet hielt.
»Also mit Permischon, ich bin so frei,« sagte der Förster eintretend.
Der Pfarrer drückte die Tür hinter ihm ins Schloß, richtete sich würdevoll empor und fragte den Mann, groß zu ihm aufschauend, nach seinem Begehren.
»Hochwürden haben da einen Hasen vor dem Küchenfenster zu hängen,« erwiderte jener, seine buschigen Augenbrauen im Takt seiner bedächtigen Rede hebend und senkend. »Ich weiß auch, wie Hochwürden zu dem Hasen gekommen seind. Das ganze Dorf weiß es bereits, dieweil Hochwürden selber ein Rühmens davon gemacht haben. Und Euere Köchin Karsunken hat es mir frei bestätigt.«
»Ganz wohl, Herr Förster,« versetzte der Pfarrer ruhig. »Und was folgt daraus?«
»Daraus folgt, daß Hochwürden den Hasen an mich abzuliefern haben, weil alles Wild hier Eigentum der gnädigen Herrschaft ist. Hochwürden haben den Wildbann gebrochen.«
Der Pfarrer schüttelte lächelnd den Kopf. »Aber, Herr Förster, das kann doch wohl Sein Ernst nicht sein? Er will sich ein Späßchen mit mir machen. Akkommodier Er sich doch, wenn's beliebt. Ein Branntewein wird Ihm auch behagen, ehvor Er wieder in die Kälte hinausgeht. Ei, so setz Er sich doch. Wir wollen den Kasum als friedliche Landsleute und getreue Nachbarn verhandeln.«
»Ich muß mich der Ehre bedanken,« knurrte Herr Jasmund, seine Brauen noch finsterer zückend. »Und den Branntewein kann ich auch nicht akzeptieren, weilen ich hier als Amtsperson vor Ihm stehe, Herr Pastor. Ich darf keinen Jagdfrevel nicht dulden, noch keinen Unterscheid machen zwischen einem Bauren, so sich gegen das Gesetz verfehlet, und Euer Hochwürden. Gebt mir also den Hasen freiwillig heraus, so will ich die Sache weiters nicht anhängig machen und das Wildbret stillschweigend der gnädigen Herrschaft einliefern.«
»Ei süh!« rief der Pfarrer, immer noch gut gelaunt, »der Herr Förster vergönnet mir mein Jagdglück nicht, zumal ich ihm ohne eine weidgerechte Waffe ins Handwerk gepfuscht habe. – Nu, nu, lieber Jasmund, was guckt Er mich so bedrohlich an? Wenn ich Seinen Wald- und Feldhasen mit Arglist nachstellete gleich den Bauern, so es auf Raub absehen oder um ihr Mütchen wider die Gutsherrschaft zu kühlen, da hätte Er ein gutes Recht, Seinen Pastor zu koramieren; ich aber habe weiter nichts getan, denn auf meinem Grund und Boden mein Hausrecht gewahret. Kirche und Kirchhof sind mein Gebiet. Wenn ich einen Hund auf dem Gottesacker betreffe, der an den Gräbern scharret oder deren Blumenschmuck beschädiget, so greife ich auch einen Stein auf oder was mir zur Hand kommt und verjage den Übeltäter. Die herrschaftlichen Hasen finden auch irgendwo anders ihre Nahrung. Sie brauchen ihre Leckermäuler nicht auf den Gräbern unsrer teuren Verewigten spazieren zu führen. Ich habe nur die geistliche Polizei ausgeübt; daß das Tierlein dabei sein Leben lassen sollte, lag nicht in meiner Absicht. Nun es aber der Zufall einmal gefüget, daß das Wort Gottes ihn zu Tode getroffen hat, will ich auch den Braten als gute Gabe Gottes dankbar hinnehmen. Ich meine, Er wird wider diese Auslegung nichts einzuwenden wissen.«
»Hochwürden seind mit Ihrer Meinung schief gewickelt,« versetzte der Förster patzig. »Von Gesetzes wegen gibt es kein Jagdrecht der geistlichen Herren. Und wenn Ihm der Hase durchs offene Fenster direktemang in den Bratspieß gesprungen wäre, so hätte der Herr Pastor dennoch kein Recht, ihn für sich zu braten, es seie denn mit Permischon der gnädigen Herrschaft. Es bestehet auch kein Unterscheid zwischen der Bibel und einer Mistgabel, insofern sie zur Tötung eines Wildes mißbraucht werden. Das Wild ist erschaffen zum Vorteil und zur Lustbarkeit derer Könige und hohen Herren, und nur von solchen kann es dem gemeinen Bürger oder Bauren gegen Entgelt oder als Geschenk gnädigst überlassen werden.«
Nunmehr wurde aber der Pfarrer doch ungeduldig und rief aufbrausend: »Herr Förster, mir scheint, Er will mich schikanieren. Ich weiß, Er hat sich hoch verschworen, meine Kirche nicht mehr zu betreten, weil ich wider die französische Freigeisterei des Königs gepredigt habe, wie es meines Amtes ist als verordneter Hüter der reinen Lehre. Nun nimmt Er die Gelegenheit wahr, mir gleicherweise von Amts wegen den Text zu lesen. Sei es drum meinetwegen; aber nun laß Er es auch damit genug sein und kümmere Er sich nicht weiter um meine Küchenangelegenheiten.«
»Hochwürden weigern sich also, den Hasen herauszugeben?«
»Jawoll, das tue ich!«
»Sohin muß ich das Vergehen meiner gnädigen Herrschaft melden.«
»Tut, was Ihr nicht lassen könnt!« versetzte der Pfarrer, indem er sich abwandte zum Zeichen, daß er die Unterredung als beendigt angesehen haben wollte. »Richte Er aber dem Herrn von Fersen auch gefälligst meine Begründung aus; Er soll sehen, der Junker wird Ihn auslachen.«
»Da kennen Hochwürden unsern Junker schlecht,« knurrte der alte Mann, sich stolz aufrichtend. »Ich habe wider die Russen, Österreicher und Franzosen im Felde gestanden. Mein gnädiger Junker hat auch für unsern König seine Haut zu Markte getragen, da kann von Auslachen keine Rede nicht sein. – Adjüs, Herr Pastor, Sein Diener!« Er nickte nur ganz kurz mit dem Kopfe, machte kehrt und stampfte zur Stube hinaus.
»Alter Querkopf!« lachte ihm der Pfarrer nach. Dann trat er ans Fenster und überzeugte sich, daß Herr Jasmund, ohne ein weiteres Wort mit den Frauensleuten im Hause zu verlieren, das Vorgärtchen durchschritt und alsdann die Richtung nach dem Gutshofe einschlug. Er nahm seine Lektüre wieder auf und gedachte darüber des Disputes zu vergessen; aber das wollte ihm so leicht nicht gelingen.