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(1865.)
O süßer Traum im Jugendthal,
In glückverklärten Räumen,
O wär's vergönnt mir, noch einmal
Als Kind Dich still zu träumen!
Wo ist des Vaters treue Hand,
Wo sind der Engel Schaaren,
Die liebend mir der Herr gesandt,
Vor Unheil mich zu wahren?
Wo ist der Vöglein süßer Sang,
Des Bächleins muntres Kosen,
Der Blüthenbusch am Waldeshang,
Die Lilien und Rosen?
Wo ist das liebe Vaterhaus,
Wo sind die grünen Auen;
Der Knaben muthig Ringen draus,
Der Mägdlein stilles Schauen?
Der Vater schläft so kalt und bleich
Den ew'gen Schlaf der Frommen,
Und hat hinauf in's Himmelreich
Die Engel mitgenommen.
Gewandert sind in's fremde Land
Die fröhlichen Genossen,
Im Vaterhaus hat fremde Hand
Mir längst die Thür verschlossen.
Die Rosen blühen immerfort,
Die Vogel singen wieder,
Doch ach! mein Herz, es ist verdorrt
Und taub für alle Lieder!
Nun will ich in die weite Welt
Mit frischer Wonne eilen,
Und draus in Wald und Flur und Feld
Die alten Wunden heilen.
Wohl seh ich keinen nassen Blick,
Um mich sein stilles Sehnen,
Ich laß kein trauernd Lieb zurück,
Das meiner denkt mit Thränen;
Ein Wirth ist nirgends mir bestellt,
Der mich willkommen heiße,
Doch ist die frohe Brust geschwellt,
Von mancher schönen Weise.
Will mit den Vöglein weit und breit
Nun singen um die Wette,
Ach wenn ich doch zur Frühlingszeit
Nur hundert Kehlen hätte!
Wie prangt die Welt in Pracht und Prunk,
Das ist ein fröhlich Wandern –
Beim Einen bitt' ich einen Trunk
Und Obdach bei dem Andern!
Die Sorgen hatten sich einquartirt
Und wollten bei mir bleiben,
Und was ich gegen sie probirt,
Das konnte sie nicht vertreiben.
Ich grübelt' und studirte sehr
In manchen trüben Tagen,
Doch kamen täglich immer mehr
Und ließen sich nicht verjagen.
Da bin ich endlich in den Wald
Recht tief hinein gezogen;
Hei, wie sind da die Sorgen bald
Zerstoben und verflogen!
Wie wird mir hell und froh die Brust,
Hier in den dunkeln Tannen –
Nun kommt ihr Sorgen, habt ihr Lust,
Ich weiß euch jetzt zu bannen!
Goldne Sonne! Deine Strahlen
Sendest Du durch ew'ge Zeiten,
Wirkend, weckend, wärmend Alles,
In den allerfernsten Weiten.
Doch Dein Himmelslicht zu fassen,
Gibt es gar verschiedne Weisen:
Anders in den fernen Polen,
Anders in den Wendekreisen.
Also Gottesliebe, reine,
Gibst Du Deine Gluth von oben;
Doch im Eise wohnt der Eine
Und der Andre in den Tropen.
Die Nacht bricht ein, unheimlich schwer,
Gebärend trüb ein dunkles Wetter,
Der Sturmwind scheuchet vor sich her
Die trock'nen, abgeriss'nen Blätter.
Und immer dunkler steigt's hervor,
Wie schwarze Wogen tief im Westen, –
Ein Blitz zerreißt den dichten Flor,
Ein Knall durchdröhnt des Himmels Vesten.
Nicht wagt ein Thier in diesen Graus
Geängstigt scheu hineinzutreten –
Es sucht der Mensch sein wirthlich Haus,
Um still die Allmacht anzubeten.
Mich aber jagt ein stummer Drang
Durch Wald und Flur mit trübem Sinnen,
Ich trage ja mein Leben lang
Den ärgsten Sturm im Herzen drinnen.
Tiefe Stille, heil'ger Frieden
Hält nun Wald und Flur befangen,
Und am nächt'gen Firmamente
Ist der Mond heraufgegangen.
Zartgewebte Abendwölkchen
Seinen Silberrand umspielen,
Ob nicht etwa seine Strahlen
Sich in ihnen möchten kühlen;
Und der Felsen schroffe Spitzen,
Ragend aus dem Forst, dem alten,
Bilden in dem Zauberlichte
Nächtig kühne Truggestalten.
Abendwinde, leise lispelnd,
Küssen sanft die jungen Blüthen,
Daß ihr Hauch nicht etwa störe
Diesen heil'gen Waldesfrieden.
In den alten Wettereichen
Ist's ein wundersam Gebahren,
Sie erzählen sich die Märchen,
Einst gehört vor tausend Jahren.
Flimmernd spiegeln sich die Sterne
In des Weihers nahen Fluthen,
Glänzend hell wie Edelsteine,
Die in seinem Grunde ruhten.
Es stieg die Morgensonne
Heraus aus gold'nen Thoren,
Und hat zu neuer Wonne
Den neuen Tag geboren.
Die Schatten all, die dunkeln,
Im Aethermeer verschwanden,
Auf Au und Wiesen funkeln
Des Thaues Diamanten.
Die Vögel in den Lüften
Mit frischem Sang sich wiegen,
Und ich, aus Thal und Klüften,
Bin auf zur Höh' gestiegen.
Da steh'n im Morgenschimmer
Des Schlosses ries'ge Mauern,
Die als verfall'ne Trümmer
Um früh're Größe trauern.
Und tief zu meinen Füßen
In weit gezognen Räumen,
Viel Städt' und Dörfer grüßen
Aus fruchtbar üpp'gen Bäumen.
Wie frisch die Segel schwellen
Des Schiffleins auf dem Strome,
In dessen grünen Wellen
Sich spiegeln alte Dome;
Sie sah'n durch manch Jahrhundert
Den Strom vorübergleiten,
Und blicken nun verwundert
In unsre bösen Zeiten.
Ihr deutschen Heldenahnen,
Ihr kräftigen Gestalten,
O wollet uns ermahnen
In Treue festzuhalten!
So blick ich still versunken
In diese Lenzgefilde,
Mein Herz ist wehmuthtrunken
Von diesem Wunderbilde;
Mir ist's wie Gluth der Sonne
Im Herzen nun geblieben –
Wie will mit glüh'nder Wonne
Dich Vaterland ich lieben!
Wie lebte auf dem Bärbelstein
Der Ritter ohne Sorgen,
Er war ja auf dem Felsen sein
Vor jedem Feind geborgen.
Wenn ihn die Morgensonne weckt
Durchstreift er seine Grenzen,
Er brauchte kein Reformprojekt
Und keine Conferenzen.
Die Hirsch' und Rehe schoß er frei
Und hatte keine Schulden,
Und zahlte für die Jägdlerei
Nicht einen einz'gen Gulden.
Sobald der Braten ihm gebricht,
Dann schoß er einen neuen,
Trichinen staken auch noch nicht
In seinen deutschen Säuen.
Und wenn er Abends heimwärts schlich,
Da kam sein Lieb gegangen,
Die küßte er gar wunniglich
Auf ihre rothen Wangen.
Und unterm Schloß im Felsenloch,
Im allertiefsten Orte,
Da lag vom Kästenbuscher noch
Die allerbeste Sorte.
Das war ein schönes Trinkgelag
In hoher Erkerkammer,
Man hatte an dem andern Tag
Nicht einmal Katzenjammer.
So ging es auf dem Bärbelstein
In alten deutschen Tagen,
Nun schaut er trüb in's Land hinein
Zertrümmert und zerschlagen.
Nun lieg' ich da, bei einem Strauch
Am Thurm im grünen Rasen,
Und werde von dem Wasgauhauch
Gar weidlich ausgeblasen.
Das war der stolze Fleckenstein,
Den meine Blicke schauten,
Was mußten das für Recken sein,
Die solche Burg erbauten!
Viel Gänge birgt das Felsenhaus,
Das wetterfeste, harte,
Hoch oben blickt in's Land hinaus
Des Schlosses kühne Warte.
So hängt sich steil am Simse fest
Der Mörtelbau der Schwalben,
So baut der stolze Aar sein Nest
Im Felsengrat der Alpen.
Das war ein thatenreich Geschlecht
In alten deutschen Tagen,
Das sich für Ehr' und Ruhm und Recht
Gar ritterlich geschlagen.
O großes deutsches Vaterland,
Das manchen Held geboren,
Wie hast du doch an fremde Hand
Viel Herrliches verloren!
Es führt ein Weg zur Trümmerhöh',
Ein steiler, ungebahnter;
Da hört' ich plötzlich:
Nom de Dieu!
Et puis! – comment descendre!
Und ein französischer Gendarm
Stand oben an der Leiter,
Mir ward's im deutschen Herzen warm
Und ruhig ging ich weiter.
Ich lag am alten Wasenstein
Im weichen Moos im Grünen,
Der Morgensonne gold'ner Schein
Bestrahlte die Ruinen.
Wo kühn der Fels herniederschaut,
Umdornt von Brombeerhecken,
Da ist die stolze Burg gebaut
Der alten deutschen Recken.
Und an dem ries'gen Mauerrest,
Zerklüftet und zerspalten,
Da klammert sich der Epheu fest
Und will die Trümmer halten.
So rankt sich aus der Heldenzeit
Herein in unsere Tage
Von deutscher Kraft und deutschem Streit
Die ewig frische Sage.
Der Falke seine Kreise zieht,
Und späht um Raub herunter,
Ich aber las das alte Lied
Der Helden der Burgunder:
Wie sie den Walther hier gesucht,
Sein süßes Lieb bedrohten,
Und wie sie fielen in der Schlucht,
Vom Königssohn der Gothen.
Wie er mit starker Heldenhand
Die Feinde all' erschlagen,
Daneben aber zürnend stand
Der alte grimme Hagen. –
Und wie ich so im Blätterdach
Von alten Sagen träume,
Da wurden um mich allgemach
Lebendig all' die Räume.
Im Erker lehnt ein stolzes Kind
Und blickt in's Thal hernieder,
In ihren Locken spielt der Wind
Und lauscht auf ihre Lieder.
Im Hofe unten dröhnt der Schritt
Der Ritter und der Knappen,
Sie satteln nun zum Siegesritt
Die kampfesmuth'gen Rappen.
Da naht ein Held mit Schild und Sporn
Und blanken scharfen Waffen,
Er sprach zu mir in derbem Zorn:
»Was hast du hier zu schaffen?
Das ist ein altes Heldenschloß
Aus einer Zeit der Thaten,
Das euer Diplomatentroß
An euern Feind verrathen.
Was hilft Dich am Gemäuer hier
Dein stummes deutsches Träumen,
Wenn wälsche Steine hinter dir
Den deutschen Wald besäumen?
Wenn Ihr die deutsche Kraft zerstört
In schnödem Bruderkriege,
Und abermal, von Haß bethört,
Verloren seid im Siege?
Ihr gabt dem Feind den Wasenstein,
Den deutsches Lied besungen,
Bald holt er auch im alten Rhein
Den Hort der Nibelungen.
Geh fort von hier, und wie Ein Mann
Mögt dem Verrath ihr wehren,
Erst wenn ihr eine That gethan,
Dann magst du wiederkehren!«
So sprach der Held und trat in's Thor,
Umstrahlt von hehrem Schimmer,
Ich fuhr im Traume rasch empor
Und starrte auf die Trümmer.
Es ragt der Thurm auf steiler Höh',
Vom Sonnenlicht beschienen,
Ich aber schlich mit stillem Weh
Mich fort aus den Ruinen.