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Am andern Morgen war das erste, daß die reitenden Boten mit der Absage an den Rat zu Halberstadt und den nötigen Befehlen an die Burgen und festen Häuser abgefertigt wurden. Bock hatte es beim Grafen durchgesetzt, daß unter anderen auch die fünf Dienstfähigen der bösen Sieben – der sechste, Rupfer, lag noch an seinen Wundern darnieder, hoffte jedoch aufzukommen – damit betraut wurden. Ehe sie abritten, nahm sie Bock beiseite und gab ihnen noch einen besonderen Auftrag, von dem der Graf nichts wußte, den sie aber mit einem vergnügten Grinsen aufnahmen und zu Bocks Zufriedenheit auszuführen versprachen, wenn ihnen das Glück dabei ein wenig zur Hand ginge.
Dann begannen die Zurüstungen zu dem Kampfe mit der Stadt Quedlinburg. Waffen aller Art, Sturmleitern, Sturmböcke, Wurfmaschinen, Schleudern und Geschosse, Pechkränze und unzählige Bündel Pfeile wurden aus den Rüsthäusern hervorgeholt, haufenweise auf dem Burghofe niedergelegt, geordnet und verpackt.
Graf Albrecht, Siegfried, Bock und der Waffenmeister Klinkhard hatten alle Hände voll zu tun, und Albrecht fand nicht Zeit, sich um Oda zu kümmern, die selber beschäftigt war, sich mit Eilika zum Abzug zu rüsten. Er fand auch nicht Zeit, Siegfried über sein verändertes Wesen zur Rede zu stellen, der gar nicht wie sonst bei den Vorbereitungen zu einem Kampfe fröhlich und guter Dinge, sondern ernst und in sich gekehrt war. Albrecht bemerkte es in seiner Vielgeschäftigkeit kaum, und das, was er davon bemerkte, schob er auf eine noch dauernde Empfindlichkeit Siegfrieds über das gestrige sich um Oda drehende Gespräch der übermütigen Zecher. Damit griff er auch nicht fehl. Tiefer, schrecklicher noch als den älteren Bruder hatte Dietrichs von Hohnstein unbesonnenes Wort von dem ›einander im Wege sein‹ den jüngeren getroffen, der seit der Entdeckung von Odas Liebe zu Albrecht nur noch den einen Gedanken hatte, nur an der einen Frage würgte: liebt Albrecht auch sie?
Die Unterhaltung der Gäste war dem Grafen Poppo und Günther überlassen, und obwohl die Herren doch sämtlich in den letzten Tagen genug geritten und gestritten und dazu auch in den kommenden vollauf Gelegenheit hatten, konnten sie doch nicht stillsitzen, stiegen zu Pferde, tummelten sich lustig in der Reitbahn und brachen lachend ein paar Speere gegeneinander.
Während Eilika ihrer Herrin beim Einpacken half, seufzte sie ein über das andere Mal so laut, daß Oda endlich frug: »Was hast du Eilika? Wird es dir so schwer, von hier zu scheiden?«
»Ach ja, gnädiges Fräulein!« antwortete die Zofe, »es war doch hübsch hier, und wer weiß, ob wir hier einmal wieder herkommen werden. Ihr wollt es ja nicht.«
»Wir kommen nun dahin, Eilika, wohin wir eigentlich wollten,« sprach Oda. »Du mußt denken, wir hätten nur einen kleinen Umweg gemacht, wie sich der höfliche Ritter Bock ausdrückte, als er uns vor Quedlinburg bei der Bockshornschanze gefangennahm.«
»Ja, ja, aber es war doch gar zu hübsch hier,« sagte Eilika noch einmal. »Was haben wir hier nicht alles erlebt! und was hätten wir nicht noch erleben können, wenn Ihr gewollt hättet! Dann brauchten wir jetzt nicht fort von hier.«
Oda mußte trotz des tiefen Wehs im eigenen Herzen doch über Eilika, die gern noch etwas anderes hier erleben wollte, unwillkürlich lächeln.
»Eilika,« sagte sie, »dir macht wohl der tapfere Ritter den Abschied schwer? Aber der hat ja, wie mir scheint, auch nicht gewollt.«
»Der hat nur auf Euch gewartet, daß Ihr uns mit gutem Beispiel voranginget,« erwiderte Eilika fast schmollend. »Er sieht sowenig wie ich einen vernünftigen Grund, warum Ihr nicht eine Gräfin von Regenstein werden wollt, denn es liegt doch nur an Euch, gnädiges Fräulein.«
»Fange davon nicht wieder an!« gebot Oda, sogleich wieder sehr ernst werdend und sich abwendend.
Eilika seufzte wieder zum Steinerbarmen, und schweigend fuhr sie im Zusammenlegen der Gewänder fort.
»Wie denkt Ihr Euch denn unser Leben bei der Äbtissin, gnädiges Fräulein?« fing sie nach einer Weile wieder an. »Das wird gewiß ein wahres Klosterleben werden.«
»Sahen die beiden Damen etwa so klösterlich aus, die vor vierzehn Tagen hier waren?« frug Oda.
»Nein! da habt Ihr recht, das müßte man lügen!« lachte Eilika. »Und dann der Herr Stiftsschreiber Florencius – –«
»Nun?«
»Der wohnt auch auf dem Schlosse und ist viel unterhaltender und lustiger als der Ritter Bock.«
»So! den scheinst du dir also schon zu deinem Troste ausersehen zu haben.«
»Lieber Gott, gnädiges Fräulein, unsereins will doch auch seinen Spaß haben.«
»Nun, wenn du dich schon auf deinen Spaß mit dem Stiftsschreiber Florencius freust, so jammere wenigstens nicht über deinen Abschied vom Regenstein, als solltest du statt in das Schloß der Äbtissin gegenüber in das Marienkloster auf dem Münzenberge,« verwies Oda ihre leichtfertige Zofe.
Darauf schwieg diese.
Oda tat sich Zwang an, als sie beim Einpacken mit Eilika scherzte, um sich über die Traurigkeit ihres letzten Tages auf dem Regenstein hinwegzutäuschen. Ihr war das Herz unendlich schwer. Eilika hatte recht: was hatte sie hier nicht alles erlebt! Als Gefangene eingebracht, hatte sie hier beinahe fünf Monate wie die Herrin gehaust, sich in der Gegenwart zufrieden und glücklich gefühlt und kaum an die Zukunft gedacht, die nun auf einmal, nachdem der schöne Traum verflogen, wieder in ihre grausamen Rechte trat. Der Mann, der große Graf, der weit über seinen Gau hinaus geachtete und gefürchtete Held, zu dem sie seit Jahren schon in schwärmerischer Bewunderung aus der Ferne emporgeschaut hatte, der war ihr Beschützer geworden, dem gerade hatte das Schicksal sie so nahe gebracht, daß sie ihn mit der vollen Glut erste Liebe umfaßt hielt und der, der entschwand nun ihren sehnsüchtigen Blicken im wilden Kriegsgetümmel, und wenn sie ihn wiedersah, so war es vielleicht, weil er kam, um vor ihren sehenden Augen eine andere in seine Arme zu schließen, sich die schöne stolze Domina zu holen, bei deren Vermählung mit ihm in der alten, hochragenden Stiftskirche sie vielleicht eine brennende Kerze tragen durfte. So schied sie von der hohen Felsenburg und den beiden Grafen, von denen der eine, der Geliebte, sie ruhig ziehen ließ, sie fortschickte, und der andere nun wiederum ihr mit dem Gram und Groll verschmähter Liebe nachschaute. Was blieb ihr? Nichts, als die Erinnerung. Und um sich von dieser so viel wieder möglich in die Verbannung hinüberzuretten, beschloß sie, noch einmal zu der Felsbank hinaufzusteigen und sich die Augen und die Seele noch einmal mit dem Bilde zu füllen, das sie so oft mit Entzücken von dort oben betrachtet hatte und nun wohl niemals wiedersehen würde. Heute war sie auch sicher, daß der eine, der Geliebte, sie dort nicht überraschen würde; er hatte ja heut überhaupt kaum einen Blick für sie. –
Von Graf Albrechts ernsten Lippen kam heute Befehl auf Befehl, und mit einer Schärfe, die den Gehorchenden Schwingen an die Sohlen band. Am Nachmittage, als die Vorbereitungen zum Abmarsch beendet waren, frug er seinen getreuen Paladin: »Sind die Boten alle zurück?«
»Alle noch nicht,« erwiderte Bock; »drei fehlen noch.«
»Wer hat die Absage nach Halberstadt gebracht?«
»Nothnagel; aber er ist noch nicht zurück.«
»Hm! sollten sie ihn gefangen haben?«
»Schwerlich, und lebendig gewiß nicht,« sagte Bock.
Der Meinung war auch der Graf, denn er kannte seine Leute, und ohne weitere Sorge um Nothnagel ging er jetzt in den Marstall, um sich von dem tadellosen Hufbeschlag der Rosse zu überzeugen. Bock begab sich in seine Felskemenate, wo er noch dieses und jenes für sich selber zu schaffen hatte.
Am Abend trafen die bis jetzt Ausgebliebenen alle drei zusammen ein. Bock kam dazu, als sie eben von den Gäulen stiegen.
»Besorgt!« sagte Nothnagel zu ihm, »ich habe den Brief am Johannistor abgegeben.«
»Was sagten sie?«
»Wir sollten nur kommen, wenn wir Hiebe haben wollten.«
»Daß dich der Bock stößt! Wir wollen sie räuchern wie den Schinken im Schornstein! – Und das andere?« frug Bock weiter.
»Auch besorgt! Er baumelt,« erwiderte Nothnagel.
»An einer Weide,« sagte Hasenbart.
»Und unter ihm fließt die Holtemme,« schloß Springwolf, und dann lachten sie alle drei wie die Kobolde.
Bock meldete nun dem Grafen: »Der Brief ist besorgt, Herr Graf. Die drei letzten sind herein.«
»Wo haben die Kerls so lange gesteckt?« frug Albrecht.
Bock wollte nicht recht mit der Sprache heraus. »Laßt nur, Herr Graf,« sagte er; »sie haben ihre Schuldigkeit getan.«
»Das dank' ihnen der Teufel!« brauste der Graf. »Wo waren sie?«
»Sie hatten noch eine kleine Bestellung von mir auszurichten an – an einen alten Freund,« erwiderte Bock.
»An wen? – Bock, an wen?« drängte der Graf.
»An Hinze Habernack.«
Da hob Albrecht den Finger und sagte: »Bock, Bock! ich will nicht wissen, was geschehen ist, aber was Frommes war's wohl nicht.«
»Herr Graf,« antwortete Bock mit fester Stimme, »das nehm' ich auf mich!«
Aber er ging nicht, und Albrecht sah ihm an, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte.
»Was hast du noch?« frug er.
»Herr Graf, der Tempelherr rumort heut abend mit Gewalt,« sagte Bock leise.
»Schon wieder?« sprach Albrecht betroffen. »Hat es außer dir noch jemand gehört?«
»Ich glaube nicht.«
»So schweige still davon und sorge, daß niemand da um das Verließ herumschleicht. Sie nehmen's sonst für eine böse Ahnung, und das taugt nichts, wenn man den Harnisch antun will. Verstehst du?«
Bock nickte und wandte seine Schritte nach dem dunklen Schachte. Dort saß er noch lange auf einer vorspringenden Klippe und hielt Wache, daß sich niemand dem verrufenen Orte näherte. Er selber aber horchte mit trüben Gedanken auf das unterirdische Getön, das bald wie ein ununterbrochenes Rauschen und Rieseln, bald in kurzen, regelmäßigen Absätzen wie ein lauter Tropfenfall klang. Es war eine düstere Nacht; kein Stern blickte tröstlich auf den Einsamen hernieder, und um die Kanten und Ecken des hohen Felsenbaues strich leise klagend ein herbstlicher Wind. –
Das vereinigte Heer, das mit seinem Troß von Sturmgerät am nächsten Morgen auf der Straße nach Quedlinburg dahinzog, bot ein jedes kriegerische Herz erfreuendes Schauspiel. Speerfähnlein flatterten, Stahlhauben und Blechschienen blitzten, Waffen klirrten, Ketten und Eisenringe rasselten an den Panzern, Riemenzeug knarrte und Schnauben und Hufschlag tönte. Die Reisigen und Knechte zu Fuß und zu Roß sangen und trieben allerlei Schimpf und neckischen Mutwillen, denn sie freuten sich aufs Stürmen, auf Brennen und Sengen und hofften auf Plünderung und gute Beute. Die acht Grafen ritten voran, Oda in ihrer Mitte.
»Ihr seid gewiß die erste Kapitularin, Gräfin Oda, die mit einem Heereszuge auf das Schloß der Äbtissin geleitet wird,« sagte Graf Heinrich von Stolberg.
»Wollt Ihr denn alle mit hinauf, Herr Graf?« lächelte Oda.
»O nein,« erwiderte er, »wir schwenken unter dem Schlosse rechts ab und reiten –«
»Dem Schrecken wollen wir unserer gnädigen Frau ersparen, ihr Schloß von Kriegsvolk erlaufen zu sehen,« fiel Albrecht dem Grafen Heinrich in die Rede, weil er fürchtete, dieser möchte Oda sagen, daß der Zug der drei verbündeten Grafen gegen ihren Bruder nach dem Falkenstein ging.
»Ich würde der lieben Gräfin Eure böse Sieben als Ehrengeleit mitgeben, Albrecht,« lachte der in seinen Scherzen selten glückliche Graf Dietrich von Hohnstein.
Albrecht warf ihm einen mißbilligenden Blick zu und sagte: »Siegfried wird Gräfin Oda er Domina zuführen.«
Siegfried und Oda hörten es beide nicht gern, aber keiner von beiden wagte dagegen Einspruch zu erheben, um den anden nicht zu verletzen.
Zu Eilika, die mit zwei von Knechten geführten Packpferden hinter den Grafen und ihrer Herrin ritt, kam Bock heran getrabt und sprach: »Kennt Ihr den Weg wieder, liebe Jungfer Eilika, den wir schon einmal zusammen ritten?«
»Ich habe auf den Weg nicht geachtet, ich hatte nur Augen für Euch, Herr Ritter,« erwiderte der lose Schalk.
»Es ist mir nicht entgangen,« sprach er geschmeichelt und selbstbewußt, »und ich hoffe, bald wieder hier an Eurer Seite zu reiten. Unterdessen gehabt Euch wohl, liebwerteste Jungfrau, und vergeßt mich nicht! Ich muß bei unseren Leuten bleiben.«
Sie nickte ihm freundlich zu, und er lenkte seinen Schecken seitab.
Als die Verbündeten der Stadt nahe kamen, erklang die Sturmglocke, und bald sahen sie Kopf an Kopf über die Brustwehr ragen. Die Tore waren geschlossen, die Brücken aufgezogen. Der Rat war auf eine Fehde mit den Regensteinern auch ohne Absage gefaßt und hatte Wachen ausgestellt, um vom Anrücken des Feindes zur rechten Zeit Kunde zu erhalten. Nun drängten sich Reisige, Bürger, Frauen und Kinder auf den Mauern, um ihn zu sehen und seine Stärke zu prüfen; aber bald verschwanden die nicht Wehrhaften den Blicken der Angreifer.
Am Münzenberge, ein paar Pfeilschüsse vor dem Hohen Tore machte Graf Albrecht halt, und die Grafen von Mansfeld, Stolberg und Hohnstein verabschiedeten sich von den Regensteinern und der Gräfin Oda. Sie versprachen sich gegenseitig Botschaft über den guten Fortgang ihrer Unternehmungen zu senden, und Graf von Stolberg sagte noch zu Oda: »Grüßt mir meine Base dort oben auf dem Schlosse, die Gräfin Luitgard; ich glaube, sie ist Thesauraria im Kapitel.« Dann zogen sie mit ihrem Volk ihres Weges weiter.
Graf Albrecht verteilte nun seine Mannschaft unter den Befehlen seiner Brüder an verschiedene Stellen zur Belagerung der Stadt. Zur völligen Umschließung derselben reichten seine Streitkräfte nicht aus, wenn er sie nicht zu weit auseinanderziehen wollte; auch gedachte er in überraschender Weise bald an diesem, bald an jenem Tore zu stürmen.
Zu Oda sprach er, ihr die Hand reichend: »Gott grüße Euch, Gräfin Oda! Ihr könnt von dort oben sehen, was wir hier unten schaffen; sobald ich hier einmal los kann, komme ich hinauf und besuche Euch. Sagt das der Domina! Auf Wiedersehen!«
»Gott schütze Euch, Herr Graf!« erwiderte sie mit einem langen Blicke. Dann ritt sie mit Siegfried ab. Eilika und zwei gepanzerte Reisige als Geleit, nebst zwei Knechten mit ihren Packpferden folgten ihr in kurzer Entfernung.
Als sie den steilen Schloßberg hinanritten, der außerhalb der städtischen Ringmauern lag, sprach Siegfried: »Gräfin Oda, laßt uns hier Abschied voneinander nehmen, wo uns niemand hört. Gott weiß es, und Ihr wißt es wohl auch, daß ich Euch geliebt habe, mehr, o viel mehr, als ich Euch sagen kann. Ich habe eine Zeitlang in der seligsten Hoffnung gelebt; aber es war nur ein Traum. Ihr liebt meinen Bruder, und ich glaube, er liebt Euch wieder, aber ich weiß es nicht. Wenn er Euch seine Hand bietet, so nehmet sie und werdet glücklich mit ihm, und wenn Ihr dann mit ihm auf dem Regensteine sitzet, so denket mein –«. Die Stimme wollte ihm versagen, er mußte sich sammeln.
Sie hatte ihn mit peinlichen Gefühlen angehört und sagte nun: »Graf Siegfried, ich danke Euch für alle Eure Liebe, die Ihr mir erwiesen habt. Mein Schicksal steht in Gottes Hand; aber wenn es uns beide wieder zusammenführen sollte, wo und wie das auch geschehen mag, – laßt uns Freunde, gute, treue Freunde bleiben, Siegfried, wie wir es in so vielen fröhlichen Stunden auf dem Regenstein waren.«
Sie streckte ihm ihre Hand hinüber; aber er nahm sie nicht. Er schüttelte das Haupt und sprach: »Wir sehen uns nicht wieder, Gräfin Oda. Ich fühle es, daß dies ein Abschied für ewig ist, und ich bin's zufrieden, denn ich kann nicht leben ohne Euch. Ich habe nur noch einen Wunsch: macht Albrecht glücklich! – darauf gebt mir die Hand!«
Sie verstand den Sinn seiner Worte nicht, wie er ihn meinte, und erwiderte daher ruhig: »Warum sollten wir uns nicht wiedersehen können, Graf Siegfried? Laßt ein wenig Zeit vergehen; Euch wird das Glück auch noch aus anderen Augen lächeln. Kann ich Eurem edlen Bruder hier auf dem Schlosse bei der Äbtissin irgendwie dienlich und behilflich sein, so soll es mit Freuden geschehen; jeden Wunsch werde ich ihm erfüllen, – hier, meine Hand darauf!«
Da nahm er ihre Hand und schüttelte sie leise und ließ sie erst nach einem langen Drucke wieder los. »So! nun still davon!« sprach er, »wir sind oben. Zeigt der Äbtissin ein freundlich Gesicht, und ich rate Euch, laßt sie nicht merken, wen Ihr liebt; es ist um Albrechts willen.«
Man hatte sie kommen sehen. Florencius empfing sie auf dem Schloßhofe und führte sie die Treppen hinauf. Oben kamen ihnen die Äbtissin und die Kanonissin entgegen und hießen Oda willkommen. Als Jutta sah, daß Siegfried ihr Oda zuführte, war sie zufrieden, denn sie dachte: Der Bräutigam gibt seine Braut in sicheren Schutz, bis der Krieg zu Ende ist und er sie heimführen kann. Dennoch frug sie: »Und Graf Albrecht? Hatte er nicht Zeit heraufzukommen?«
»Nein, gnädige Frau,« entgegnete Siegfried, »heute war es ihm nicht möglich; aber er sendet Euch Gruß über Grüße.«
»Und sobald er kann, will er kommen,« fügte Oda hinzu.
»Wisset, Graf Siegfried, daß auch Ihr allezeit bei uns willkommen seid,« sprach die Äbtissin.
»Ich danke Euch, gnädige Domina!« erwiderte er.
Die Gräfinnen Jutta und Adelheid wandten sich etwas zur Seite und sprachen leise miteinander, um den Abschied der Liebenden, wie sie glaubten, nicht zu stören. Aber der war sehr kurz.
»Lebt wohl, liebe, liebe Oda!« sagte Siegfried mit dem Aufgebot aller Kraft.
»Lebt wohl, Siegfried!» gab sie ihm bang zurück.
Noch ein Händedruck, noch ein langer, tiefer, wehevoller Blick zwischen dem blonden Siegfried und seiner bleichen Lilie, dann eine stumme Verbeugung vor den zwei Damen, – und mit festen, klirrenden Schritten ging er dahin.
Jutta und Adelheid nahmen Oda Arm in Arm in ihre Mitte, und die Äbtissin sprach: »Kommt, liebe Oda, daß wir Euch Euer Wohngemach zeigen; von Euren Fenstern seht Ihr den Regenstein. Nachher rufe ich unsere Schwestern vom Kapitel zusammen; sie erwarten Euch alle mit Sehnsucht.«
»Und auch ein wenig mit Neugier,« fügte die Kanonissin lächelnd hinzu.
Siegfried ritt, von den Reisigen gefolgt, langsam hinab und zu Albrechts Lagerplatz. Als er aber den Bruder von weitem halten sah, gab er seinem Rosse die Sporen und sprengte im Galopp auf ihn zu. Wie er das Schwert zog und über dem Haupte schwang, daß es im Sonnenscheine blitzte, und wie er in blinkender Rüstung, mit leuchtenden Augen und flatternden Locken daherflog, sah er aus wie der Ritter Sankt Georg, der zum Siege stürmt.
»Albrecht, da bin ich!« rief er mit lauter, seltsam erregter Stimme, »nun stelle mich hin, wo der Kampf am heißesten wird!«