Julius Wolff
Der Raubgraf
Julius Wolff

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Achtzehntes Kapitel.

Es war noch ziemlich früh am Tage, als der Dompropst Jordan von Donfuß das Gemach des Bischofs Albrecht von Halberstadt betrat und auf dessen verwunderte Frage nach der Veranlassung seines unerwarteten Erscheinens erwiderte: »Eine Botschaft, hochwürdigster Herr, von der uns über Nacht wohl beiden nichts geträumt hat. Die Äbtissin von Quedlinburg kommt heute nachmittag zu Euch auf Besuch.«

»Äbtissin Jutta zu mir?« lächelte der Bischof ungläubig. »Jordanus, welche lustigen Zecher in Herbord Moors gebenedeitem Keller haben Euch das Märlein erzählt?«

»In meinem Alter glaubt man kein Märlein mehr, hochwürdigster Herr,« sprach der Dompropst, »wenn ich auch wirklich von Herbord Moor die Kunde habe. Der Stiftshauptmann hat seinem Freunde die Nachricht gesandt; ich habe den Zettel mit diesen meinen Augen gelesen. Die Äbtissin Jutta kommt, kommt zu Euch, heute noch!«

Der Bischof erhob sich. »Jordanus! steht der Dom noch?«

»So ähnlich frug ich auch, als ich die Botschaft vernommen,« nickte der Propst.

»Was mag sie wollen?« sprach der Bischof halb zu sich selber, während er grübelnd auf und nieder schritt. »Hat sie sich mit dem Regensteiner gezankt? oder kommt sie, um für ihn zum Frieden mit mir zu verhandeln?«

»Letzteres gewiß nicht mit seinem Wissen und Willen,« erwiderte der Propst. »Und – wollt Ihr mit einen Rat verstatten, hochwürdigster Herr? – Sagt Ihr nicht, daß Ihr dem Grafen mit dem Banne gedroht habt.«

»Ich verstehe, Jordanus!« sprach der Bischof verdrießlich. »Das war ein Fehler, ein großer Fehler.«

Der Dompropst bewegte langsam das Haupt und hob deutend den Finger. »Man soll nicht mit etwas drohen, was man nicht ausführen will oder kann,« sagte er mit einem strafenden Blicke.

»Ja, ja, Ihr habt recht; ich war zu rasch damit,« entgegnete der Bischof. »Könnt' ich nur raten, was die unberechenbare Domina von mir will!« fuhr er nachdenklich fort. »Auf höfliche Einladung bleibt sie aus, und wenn man gar nicht an sie denkt, so ist sie da.«

»Sie darf nicht wissen, daß uns der Stiftshauptmann ihren Besuch heimlich gemeldet hat,« bemerkte der Propst. »Wenn sie Euch aber um etwas bittet, so könnt Ihr fordern, und sie muß zahlen, was Ihr verlangt.«

»Was ich verlange!« wiederholte der Bischof mit einem Aufblitzen seiner Augen. »So mag sie kommen, Jordanus!«

»Und wenn sie wieder geht, hochwürdigster Herr,« sagte der Propst, »so laßt sie nicht unbefriedigt über diese Schwelle schreiten.«

Über des Bischofs Gesicht flog ein eigentümliches Lächeln, aber er schwieg. Der Dompropst verbeugte sich und ging langsam hinaus.

»Der Alte hat recht: man soll nicht vergebens drohen,« sprach der Bischof, als er allein war, »man soll auch nicht vergebens fordern. – Was ist zu wagen? In ihrem stolzen Körper tobt ein heißes Blut. Fortes fortuna juvat

Zwei Stunden nach Mittag ritt der Zug der Äbtissin durch die in Reihen aufgestellten Leibwachen des Bischofs in die düstere, weitläufige Burg und über den von hohen Mauern eingefaßten Schloßhof. Herr Willekin von Herrkestorf half seiner gnädigen Frau von ihrem prächtig geschirrten Pferde, und zwei Kleriker empfingen sie an der Schwelle des Palastes und geleiteten sie über Treppen und durch säulengetragene Hallen zu dem gewölbten Gange. Dort kam ihr der Bischof selber entgegen, reichte ihr die Hand und führte sie in dasselbe Gemach, in welchem er die Unterredung mit dem Stiftshauptmann hatte, als ihm dieser ihre Absage auf seine Einladung zur Inthronisation überbrachte.

Schon auf dem Ritt nach Halberstadt war die Äbtissin immer ernster und stiller geworden und hatte auf die absichtlich lebhafte und erheiternde Unterhaltung des Stiftshauptmanns, der die schwachmütige Stimmung der Herrin bemerkend und eine Willensänderung fürchtend, sie dadurch von ihren Zweifeln ablenken wollte, immer einsilbiger und zerstreuter geantwortet.

Die alte Bischofsstadt war mit hohen Wällen und sumpfigen Gräben, mit zinnengekrönten Mauern und Brustwehren, mit gewaltigen Tor-, Mauer- und vorspringenden Ecktürmen noch stärker befestigt als Quedlinburg und sah, weil landschaftlich nicht so schön gelegen, finsterer und trotziger aus als dieses. Abschreckend drohend wie ein bis an die Zähne Bewaffneter starrte sie mit ihrem zackigen Steinpanzer den Nahenden entgegen, und noch vor dem Kühlinger Tore wäre die Äbtissin gern umgekehrt, hätte sie nicht den Ratsherren in Quedlinburg ihr fürstlich Wort gegeben, den Bischof um seine Meinung anzugehen.

Als sie nun an seiner Hand den langen, dämmerigen Gang dahinschritt, wurde ihr bang ums Herz und bleischwer in den Gliedern. Ihr war, als führte das Verhängnis sie einen dunklen Weg, an dessen Ende sie einen Schritt tun wollte, den sie nie wieder rückgängig machen konnte. Sie mußte sich alles Leid, das ihr Graf Albrecht schon angetan und dessen sie in Bezug auf Oda noch von ihm gewärtig war, in das Gedächtnis zurückrufen, um in dem Vorhaben ihres Grolles gegen ihn Standhaftigkeit und Mut zu behalten. Erst als sie mit dem Bischof in das helle Tageslicht des reich ausgestatteten Gemaches trat, erlangte sie ihre Willenskraft und die Beharrlichkeit des einmal gefaßten Entschlusses zurück.

Der Bischof schloß die Tür und ließ einen schweren Vorhand darüberfallen, daß außerhalb kein Lauscher ein hier gesprochenes Wort vernehmen konnte. Bischof und Äbtissin blieben allein.

Auf dem Tische zwischen den bequemen Faltestühlen und vor der polsterbelegten Sitzbank stand eine goldene Kanne mit ungarischem Wein und zwei zierliche Becher, silberne Schüsseln mit Marzipan und anderem Backwerk und zwei große Schalen voll der herrlichsten Rosen, die das Gemach mit ihrem Duft erfüllten.

»Habt Ihr mich erwartet, hochwürdigster Herr?« frug die Äbtissin, von den Anstalten zu ihrem Empfange überrascht.

»Tag für Tag, meine gnädige Frau!« erwiderte der Bischof, »und so bestimmt wie die leuchtende Sonne nach den Schatten der Nacht.«

Er hatte sie zu der Polsterbank geleitet und nahm ihr gegenüber auf einem Sessel Platz. Sie hatte den Mantel abgelegt, und ihre recht weltliche Tracht war dazu angetan, die volle Schönheit ihres Wuchses in der glänzendsten Weise hervorzuheben. Sie trug ein anschließendes hellblaues Kleid, dessen mit weißer Seide gefütterte Ärmel, vom Ellenbogen an offen, bis zur Erde hinabhingen. Die engen, bis zum Handgelenk reichenden Ärmel des Untergewandes waren bernsteinfarben. Auf der Brust hing das Abtskreuz an der Goldschnur um den schimmernden Nacken; über den Hüften umschloß ein kostbarer Gürtel den Leib, und in dem dunklen Haare blitzte ein Diadem von Edelsteinen. Es entging ihr nicht, mit welchem Entzücken des Bischofs Augen auf ihr ruhten.

»Wenn Ihr mich so bestimmt erwartet habt,« sprach die Äbtissin, ihr Erstaunen über des Bischofs Versicherung nicht verbergend, »so wißt Ihr auch wohl, weshalb ich komme?«

»Wenn ich's auch weiß oder vermute, gnädigste Domina,« erwiderte er klug, »so höre ich's doch gern mit Euren Worten aus Eurem eigenen schönen Munde.«

»Der Graf von Regenstein hat mich beleidigt, und ich bitte um Euren Rat, hochwürdigster Herr, wie ich ihn zwingen kann, meine Rechte zu achten,« sagte die Äbtissin mit einem leisen Beben in der Stimme.

Wie sehr auch der Bischof innerlich jubelte, keine Miene regte sich in seinem Antlitz; er neigte nur zustimmend das Haupt, als wüßte er schon alles. »Bisher, gnädige Frau, pflegtet Ihr mehr dem Rate Eures trotzigen Schirmvogtes zu folgen, als dem Eures einstigen Freundes vom Hofe Landgraf Friedrichs des Ernsthaften von Thüringen,« sagte er im Tone des Vorwurfs, fügte aber dann schmeichelnd hinzu: »Aber Ihr habt hoffentlich nicht vergessen, daß Ihr mit einem Blick aus Euren Augen über mich gebietet, wenn Ihr nur wollt. Ich dachte, Ihr stündet mit dem Grafen auf so traulichem Fuße, daß er Euch jede Rücksicht schuldet. Für alle Beweise der Huld und Liebe noch Undank zu ernten und Beleidigungen zu erdulden, wollte ich Euch hoch verdenken.«

»Der Graf ist der Schirmvogt des Stiftes,« sprach die Äbtissin etwas verlegen; »sonst hat er sich keiner Gunst und Huld von mir zu rühmen.«

»So sprach der Neid aus mir, vielschöne Domina!« lächelte der Bischof. »Doch wie meint Ihr, daß ich Euch gegen den Grafen helfen kann?«

»Nicht helfen, nur raten, hochwürdigster Bischof,« sagte Jutta. »Zunächst wegen der Lauenburg. Er hat sich ohne meinen Willen der Burg bemächtigt und sie unter den Befehl seines Bruders Siegfried gestellt, was ich mir nicht gefallen lassen will. Ich will keinen Regensteiner zum Burgvogt, am wenigsten Siegfried.«

»Am wenigsten Siegfried!« wiederholte der Bischof. »Hat Euch der auch beleidigt?«

»Nein, aber –,« sie stockte und wußte nicht weiter.

»Aber Ihr wollt ihn nicht auf der Lauenburg haben,« half ihr der Bischof.

»Ich sagte es Euch,« sprach sie ungeduldig. »Leuthold ist tot; ich wollte nun den Grafen Albrecht von Regenstein oder die Stadt Quedlinburg mit der Burg belehnen, aber –«

»Keinem von beiden würde ich sie geben,« fiel der Bischof rasch ein, »denn sie sind beide schon mächtiger, als uns lieb sein kann.«

»Aber ich würde gewisse Bedingungen an die Belehnung knüpfen,« fuhr die Äbtissin fort, ohne den Einwurf des Bischofs zu beachten.

»Und diese wären?« forschte er.

Die Äbtissin zögerte mit der Antwort und hielt den Blick auf ihre Füße gesenkt, die in kleinen, goldgestickten Schuhen unter dem Saume des Kleides hervorsahen. »Euch ist bekannt,« sprach sie, ohne die Wimpern zu erheben, »daß Albrecht die Gräfin Oda von Falkenstein, die als Konventualin in unser Stift treten wollte, immer noch auf dem Regenstein festhält. Meinen dringendsten Vorstellungen zum Trotz verweigert er mir ihre Auslieferung, und diese ist die Bedingung für die Belehnung mit der Lauenburg.«

»Wißt Ihr einen Grund, warum Graf Albrecht die Gräfin auf dem Regenstein festhält?« frug der Bischof.

Jetzt sah die Äbtissin ihn prüfend an, als überlegte sie, wieviel sie ihm von ihrem Wissen und Wünschen verraten dürfte. »Graf Albrecht hat mir vertraut,« sprach sie dann, »daß er ihre eheliche Verbindung mit seinem Bruder Siegfried erhoffte.«

»Und dann schickt er ihn fort und setzt ihn als Vogt auf die Lauenburg?« sagte der Bischof, »seltsam! höchst seltsam! Domina, glaubt Ihr an diesen Plan des Grafen Albrecht?«

»Nicht wahr? es ist nichts als ein Vorwand!« fuhr die Äbtissin heftig heraus, und ihre Augen glühten im Zorne.

»Ihr meint, er will durch die Gräfin nur die Grafschaft Falkenstein in seinen Besitz bringen?«

»Die Grafschaft mit der Gräfin!« rief Jutta erregt. »Und das dürft Ihr nicht dulden, hochwürdigster Herr! denn ich weiß, die Grafschaft ist Euch zugedacht und zugesagt.«

Der Bischof biß sich auf die Lippen, um ein lautes Frohlocken und selbst das sieghafte Lächeln zu unterdrücken, das ihn bei der eben gemachten Entdeckung anwandelte.

Die Äbtissin hatte sich ihm völlig verraten; Eifersucht auf Oda war es, was sie zu ihm trieb. Im Banne dieser Leidenschaft war sie seinem Einfluß, seiner Gewalt unterworfen und zu jedem Schritt gegen ihren Ungetreuen, des Bischofs eigenen Feind, fähig und bereit. So rechnete der Schlaue und dachte noch weiter. Ließ der Graf sie im Stiche, so hatte er selber freies Spiel, sich in ihre Gunst zu schleichen, nach der er mit heißer Begierde strebte. Nach dieser Richtung lag es in seinem Vorteil, daß Siegfried auf der Lauenburg und Oda auf dem Regenstein blieb, und daß sich Jutta von Albrecht vergessen glaubte. Aber die Grafschaft! mochte nun Albrecht oder Siegfried die Gräfin Oda freien, das Erbe der Gemahlin würde kein Regensteiner fremden Händen überlassen. Da war schwer raten. Habgier nach dem reichen Besitz, den ihm Graf Hoyer versprochen, und Sehnsucht nach der vollen Huld des blühenden Weibes, das ihm in verführerischer Schönheit hier gegenübersaß, kreuzten sich in der Brust des zugleich leidenschaftlichen und verschlagenen Mannes. Dazu kam seine Wut auf Albrecht, der ihm bei dem einen wie bei dem andern hindernd und gefahrdrohend im Wege stand.

Aber er sah in diesem Augenblick weder seinen Feind, den Grafen Albrecht, noch den Gegenstand seiner Habsucht, die Burg Falkenstein, er sah nur die wonnevoll schöne, liebeverlangende Jutta vor sich, die ihm in ihrer tiefen Erregtheit doppelt begehrenswert erschien, und die er in dem stürmischen Drange ihres Rachegelüstes, wie er wähnte, desto leichter zu gewinnen hoffte.

Nach einem längeren Schweigen begann er: »Ich sinne vergeblich, vielwerte Domina, wie ich Euch in diesem schwierigen Falle zu Eurem Rechte verhelfen könnte. Auch ich habe die Freilassung der Gräfin Oda im Namen ihres Bruders gefordert, allein umsonst. Mir scheint, die Jungfrau will den Regenstein nicht verlassen, denn sie hat dort volle Freiheit zu gehen, wann und wohin sie will, und kommt doch nicht zu Euch nach Quedlinburg. So wird denn Euer Verdacht nicht unbegründet sein, und der beste Rat, den ich Euch geben kann, ist der, Euch um eine Konventualin mehr oder weniger nicht zu grämen, Euer Leben und Eure blühende Jugend in Lust und Fröhlichkeit zu genießen und mit Eurer Huld und Schönheit Augen zu erfreuen und Herzen zu beglücken, die sie besser zu würdigen wissen, als Euer fischblütiger, mit Blindheit geschlagener Schirmvogt.«

Er hatte diese Worte mit Blicken begleitet, die eine Bewunderung ihrer Schönheit ausdrückten, und Jutta hatte ihn verstanden. Sie sah ihn mit glänzenden Augen und einem zauberischen Lächeln an, während sich ihre Brust mit einem tiefen Atemzuge hob.

»Ei Herzog Albrecht,« sprach sie, »Ihr seid auch im violetten Gewande immer noch der ritterlich höfliche Mann, der Ihr schon als stattlicher Junker im goldverzierten Wams des Edelknaben auf der Wartburg waret.«

»Das ist kein groß Verdienst, Gräfin Jutta,« erwiderte er verbindlich, »wenn man der schönsten Frau im heiligen Römischen Reiche gegenübersitzt und von ihrem holdseligen Liebreiz gebunden und gefangen ist. Kommt, einen Trunk auf die Erinnerung vergangener Tage! Der einstige Edelknabe bei der Landgräfin Mathilde, Eurer großmütigen Beschützerin, denkt noch so mancher trauten Stunde an der Seite eines dunkellockigen Edelfräuleins.«

Er füllte aus der Kanne die beiden Becher, stieß mit dem einen leise an den andern, den die Äbtissin nahm, und sagte: »Auf Eure unwiderstehlichen Augen, allergnädigste Äbtissin eines freiweltlichen Stiftes!«

»Und Euer freiweltliches Herz, hochwürdigster Herr und Hirt im Bistum Karls des Großen!» erwiderte sie schalkhaft.

»Lasset uns Frieden und Freundschaft halten, Vielliebe!« sprach er, »lasset uns unter dem Schleier des Geheimnisses ein Herz und eine Seele sein!«

»Ein kühner Gedanke, hochwürdigster Herr! Bischof und Äbtissin unter dem Schleier eines Geheimnisses!« lächelte sie, den Wein in kleinen Zügen langsam genießend.

»Was könnten wir zwei nicht miteinander wagen, wenn wir den Mut hätten, zu wollen!« erwiderte er, sie unverwandt betrachtend.

Sie nickte leise vor sich hin: »Den Mut und den Willen, ja! aber auch die Kraft?«

»Die Kraft? und so fragt Ihr in der grenzenlosen, berückenden Macht Eurer Schönheit?« sprach der Bischof die Becher wieder füllend und den seinen erhebend. »O Domina! diesem Weine möchte ich Euch vergleichen! stark und süß, voll Feuer und Geist, machet ihr beide jeden trunken, dem ihr nahekommt. Seht, mit dieser köstlichen Flut trinke ich einen Tropfen Eurer allmächtigen Seele!«

Sie sah ihn an, als wollte sie ihre Macht über ihn prüfen; dann leerte sie hastig ihren Becher.

»Recht so!« rief er, »da schlägt Flamme zu Flamme und brennt und berauscht, wie hier Rose neben Rose duftet.« Dabei ließ er seine Finger tastend über die weiche Fülle der Blumen gleiten.

Sie neigte ihr erglühendes Antlitz auf die andere der beiden Schalen und sagte bei geschlossenen Augen den Duft tief einatmend: »Rosen berauschen auch ohne Berührung.«

»Wenn ich aber Euch berühre, herrlichste Rose in Morgen- und Abendland, so fühle ich mich durch alle Himmel getragen!« sprach er ihre Hand ergreifend und an seine heißen Lippen führend.

»Bleibt nur auf Erden; zur Seligkeit seid Ihr noch nicht reif, hochwürdigster Freund!« sprach sie lächelnd mit einem Blick und einer schmiegsamen Bewegung ihres üppigen Körpers, die sinnverwirrend auf den Bischof wirkten.

»O, ich weiß und will nur eine Seligkeit!« rief er aus, »und die habt Ihr zu vergeben! – Gräfin Jutta, ein Wort von Euch, und Euer Wunsch und meiner ist erfüllt!«

»Was für ein Wunsch, Herzog Albrecht?«

»Den Grafen seine Schuld gegen Euch fühlen zu lassen.«

Sie seufzte leise. »Er hat mir nichts versprochen.«

»Aber Ihr seid schon längst im Gerede mit ihm,« erwiderte der Bischof, »und er rühmt sich Eurer Gunst.«

»Das ist nicht möglich! dazu hat er kein Recht!« rief sie errötend.

»Desto schlimmer!« sprach er. »Untreu übt er an Euch, läßt Euch hoffen und harren und denkt nicht daran, Euch zu seiner Herrin zu machen. Lockt es Euch, Jutta die Verschmähte zu heißen?«

Die Äbtissin wollte wütend auffahren, aber sein Blick hielt sie gebannt. In wildester Empörung saß sie nun da, zitternd, starr vor sich hinbrütend, während der Bischof lauernd beobachtete, wie sein Lügen und Hetzen bei ihr anschlug.

Dann schüttelte sie heftig das lockige Haupt und sagte bestimmt: »Es ist nicht möglich! Ihr tut ihm unrecht!«

»Ihr verteidigt ihn noch?« lachte der Bischof. »Nun, Ihr müßt es ja wissen, wie er über Euch denkt, Ihr und vielleicht – Gräfin Oda.«

»Oda!«

»Ja, Oda, die bei ihm auf dem Regenstein ist, der er von dort Euer Schluß zeigt und erzählt, mit welcher Glut Ihr ihn liebt!«

»O, wenn ich das wüßte!« knirschte die Äbtissin.

»Wie könnt Ihr noch zweifeln!« lächelte der Bischof. »Rache würd' ich nehmen statt darüber zu seufzen, und es kostet Euch ein Wort, so –«

»Wie wollt Ihr mich rächen?« frug sie rasch.

»Die Tat sei mein, aber auch der Lohn; und wie ich vor nichts zurückschrecken will, so dürft Ihr auch mir nichts versagen, welchen Preis ich auch von Euch fordere,« sprach er mit gedämpfter Stimme.

Sie sah ihn einen Augenblick an, als überlege sie den Sinn seiner Worte. Aber da graute ihr vor dem Ausdruck seines Gesichts, und mit einem Male sah sie den Abgrund, bis zu dessen Rand sie der Verführer gelockt hatte.

»Nein!« sprach sie, sich schnell erhebend, »so nicht! so nicht, Bischof Albrecht! das habe ich nicht gewollt, als ich Euren Rat erheischte.«

»Ich biete Euch meine Hilfe zu allem, was Ihr wollt,« drang er leidenschaftlich in sie. »Glaubet mir, der Graf ist uns beiden gefährlich; mit Euch treibt er nur sein Spiel. Kommt, schlaget ein zum Bunde mit mir! beide vereint vermögen wir alles wider ihn. Laßt ihn fahren, den Treulosen! vergeßt ihn, wie er Eurer vergißt! Hier schlägt ein Herz, über das Ihr zu gebieten habt zu jeglichem Tun! O Jutta! wir zwei könnten miteinander selig sein, – ich sag' es noch einmal – wenn Ihr den Mut hättet zu wollen.«

Sie wich erschrocken vor ihm zurück, und abwehrend die Hände gegen ihn ausstreckend, rief sie: »Nein! nein! den Bund schließe ich nicht mit Euch! lieber schütze ich selber den Grafen, aber vor Euch!«

»Aber vor mir?!« frug er mit durchdringendem Blick. »Weiset Ihr Euren treuesten, Euren einzigen Bundesgenossen zurück? Schmachtet Ihr lieber in den Fesseln des ungeschliffenen Raubgrafen statt mit dem Euch anbetenden Jugendfreunde des Lebens Lust und Freiheit zu genießen?«

»Ich schmachte in niemandes Fesseln, aber auch die Euren will ich nicht tragen,« erwiderte sie schroff.

»Ihr tragt Euch mit Hoffnungen, die nie in Erfüllung gehen,« sprach der Bischof entschieden. »Werft diese Ketten ab, ehe Ihr gebeugt und verzweifelnd einsehen müßt, daß Ihr verlassen und verraten seid.«

»Mich vor Euch zu beugen würde mir leichter werden, meint Ihr?«

»Wenn ich gewähre, wonach Ihr trachtet, wenn ich biete, was Euch glücklich macht, so kann ich auch fordern,« entgegnete der Bischof.

»Fordert, wo Ihr Aussicht auf Zahlung habt! ich bin Euch nichts schuldig!«

»Wer verlangt nach Rache, Ihr oder ich?« sprach er mit finsterer Stirn ihr gegenüberstehend.

»Ich nicht!« erwiderte sie heftig. »Ich kam zu Euch, vom Rate der Stadt bedrängt, die sich von der Schirmvogtei des Grafen Albrecht lossagen will und dabei auf Eure Unterstützung hofft.«

»Und darum kommt Ihr zu mir? seit wann tut Ihr denn Botengänge für Bürgermeister und Rat?« frug höhnend der Bischof.

»Ich denke, Ihr wußtet, warum ich kam? Habt mich ja von Tag zu Tag erwartet!«

»Aber nicht deswegen!« erwiderte er. »Was kümmert mich der Streit der Quedlinburger mit ihrem Schirmvogt? Mögen sie sehen, wie sie seiner ledig werden! Mir schien, Eure Euch vorenthaltene Konventualin, die junge Gräfin von Falkenstein, läge Euch vor allem am Herzen,« schloß er mit einem boshaften Lächeln.

»Auch darüber wollte ich Euren Rat erbitten, und nichts als Euren Rat!« sprach die Äbtissin errötend. »Aber erkaufen wollt' ich ihn nicht, Herr Bischof!« fügte sie trotzig hinzu.

»Nun wohl, so höret meinen Rat, hochwürdigste Domina!« antwortete der Bischof stolz und kühl, während ein Zug scharfen Spottes seinen Mund umspielte. »Laßt dem um Euren Schutz beneidenswerten Grafen Eure Burg, vielleicht nimmt er auch noch die Stadt dazu. Laßt ihm auch die Gräfin Oda, wenn Ihr sie ihm nicht nehmen könnt, und bleibt in Gebet und Buße eine fromme Äbtissin bis an Euer seliges Ende, zu dem Euch Gott in Gnaden verhelfen möge!«

»Ich danke Euch, hochwürdigster Herr, für Euren wohlmeinenden Rat, den ich von den geweihten Lippen eines so heiligen Mannes auch nicht anders hätte erwarten sollen!« sprach die Äbtissin in kaum zu beherrschender Wut, während sie den Mantel um die Schultern warf.

»Er steht Euch jederzeit zu Diensten, gnädige Frau!« sagte der Bischof mit schneidender Höflichkeit. »Wenn Ihr mich ruft, so komm' ich.«

»Ich werde es nicht vergessen, hochwürdigster Herr!« erwiderte sie beim Abgehen in demselben Tone, der aber wie eine Drohung klang.

Der Bischof hob mit eigener Hand den Vorhang, um ihr den Ausgang zu erleichtern.

»Immer noch wie damals Sonnenschein und Sturm dicht nebeneinander!« sprach er, als sich die Tür hinter der Zürnenden geschlossen hatte. »Nun, kein Baum fällt auf den ersten Hieb. Sie wird mich rufen, wenn sie mich braucht, und der Tag wird kommen! und dann – ›fordert, wo Ihr auf Zahlung hoffen könnt‹! sagte sie. O du zahlst noch, was ich fordere!« lachte er laut. – »Was schadet es, wenn sie Albrecht warnt? er weiß ja, wie ich ihn liebe,« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. »Daß die Quedlinburger jetzt mit ihm anbinden wollen, kommt mir sehr gelegen; hoffentlich ahnt Jutta mein Bündnis mit ihnen nicht. Aber Gräfin Oda! – ins Kloster mit ihr! kein Regensteiner darf sie gewinnen. Wir müssen unserm Freund Hoyer die Hölle ein wenig heißer machen.« –

Als die Äbtissin wieder im Sattel saß und mit ihrem Gefolge davonritt, sagte sie zum Stiftshauptmann: »Macht Euch keine Hoffnung auf die Lauenburg, Herr Willekin! Der Bischof hilft Euch nicht; er hat mir geraten, sie dem Grafen Albrecht als Lehen zu lassen.«

»Das hat Euch der Bischof geraten, gnädige Frau?« sprach der Stiftshauptmann höchst verwundert.

Sie antwortete nicht weiter, sondern trabte ein paar Pferdelängen voraus, um ungestört ihren Gedanken nachhängen zu können.

Nun lag der Schritt hinter ihr, den sie nicht rückgängig machen konnte. O hätte sie ihn doch nicht getan! hätte sie doch der warnenden Stimme ihres Innern gefolgt, die sie noch vor den Toren Halberstadts zur Umkehr bewegen wollte! Denn was hatte sie mit dem Wagnis erreicht? nicht das Geringste. Sie hatte dem Bischof mit ihrem augenblicklichen Groll zugleich ihre Leidenschaft zu Albrecht und ihre Eifersucht auf Oda verraten; das konnte der ruhelose Ränkeschmied benutzen, wie er wollte und es ihm zufällig in seine Pläne paßte. Auf der anderen Seite hatte sie die schmeichelnde Erfahrung gemacht, daß der Bischof mit seinem entzündbaren Herzen und begehrlichen Sinn immer noch in ihren Banden lag, und das konnte nun wiederum sie nach Belieben gegen ihn benutzen. Es hatte sie nicht einmal beleidigt, daß er Liebe von ihr gefordert, denn in ihrer beider Vergangenheit lagen Stunden und Tage, die ihm zwar noch kein Recht zu solchem Verlangen gaben, es aber auch nicht zu einem Verbrechen machten.

Daß sie nahe daran gewesen war, den Grafen an den Bischof zu verraten und gegen ihren eigenen Schirmvogt dessen Todfeind zu Hilfe zu rufen, wollte sie sich jetzt nicht mehr eingestehen. Sie hatte, so redete sie sich vor, nur ihr den Ratsherren gegebenes Wort der oberflächlichen Form nach eingelöst und weitergehende Absichten durchaus nicht gehabt. Wenn sie aber die geschmeidige, trügerische Sinnesart des in Listen bewanderten, zu allen Untaten fähigen Bischofs, der, um sie zu betören, vielleicht gar einen Liebestrank in den Wein gemischt hatte, mit dem derb zufahrenden, aber auch treu stichhaltenden Wesen des immer groß denkenden, immer offen handelnden Grafen verglich, so konnte sie sich eines Gefühls tiefer Beschämung nicht erwehren, daß sie jenen zu ihrem Berater und Richter über diesen gestellt hatte.

Ihr Zorn gegen den letzteren, den der Bischof so schändlich bei ihr verleumdet hatte, war verraucht, und in dem völligen Umschlag ihrer Stimmung war sie ihm dafür nach Urteil und Spruch ihres Herzens eine Genugtuung schuldig. Damit hatte sie nun einen Grund, der wenigstens vor ihr selber Albrechts Belehnung mit der Lauenburg rechtfertigte, zumal sie ihm dieselbe vor seiner Gewalttat ohnehin schon bestimmt hatte. Ihm diese Gewalttat und noch manches andere zu verzeihen und sogar mit Huld und Gnade zu vergelten, sollte nun ihre nächste Sühne sein.

Auf den Feldern wogten die Ähren, von einem sanften Winde bewegt, und ein sonniger Friede lag über der Landschaft. Zur Rechten der wieder heiter um sich Schauenden dehnte sich das Gebirge in dunkelgrünen oder bläulichen Farbentönen, wie sich näher oder ferner Täler und Berge durcheinander schoben oder zurückstehende Gipfel über die bewaldeten Vorberge in die Ebene herniederschauten. Dort lag das Schloß und die rings umwallte Stadt mit ihren Mauern und Türmen, und die Äbtissin kehrte mit weit leichterem Herzen dahin zurück, als sie davon ausgeritten war. Da der Bischof seine Einmischung in den Streit der Stadt mit dem Grafen versagt hatte, so hoffte sie, allein mit der Bürgerschaft zugunsten Albrechts fertig zu werden und überlegte sich, mit welchen Mitteln und Worten sie Rat und Bürgerschaft beschwichtigen und zu Frieden und Eintracht mit ihm bewegen wollte.

Plötzlich hielt sie ihren Zelter an und wandte sich an das absichtlich etwas zurückbleibende Gefolge mit der Frage: »Wer sind die Reiter da drüben?«

»Graf Siegfried von Regenstein und Bock von Schlanstedt mit drei Knechten«, erwiderte Herr Willekin von Herrkestorf.

»Graf Siegfried? Ihr irrt Euch wohl, Herr Stiftshauptmann!« sprach die Äbtissin. »Was hätte der hier zu schaffen?«

»Ich irre mich nicht, gnädige Frau«, entgegnete der Stiftshauptmann.

»Nein, nein,« riefen nun auch die geleitenden Stadtknechte, »es ist Graf Siegfried und Ritter Bock mit Dreien von den bösen Sieben.«

Jetzt überzeugte sich Jutta mit eigenen Augen, daß die Ihrigen recht hatten, und auch sie mußte von den Reitern, die noch in ziemlicher Entfernung rechts auf einem anderen Wege daher kamen, erkannt sein, denn eben setzte der jüngste der Regensteiner sein Pferd aus dem Schritt in den Galopp und sprengte auf die Äbtissin zu. Dieser war die Begegnung mit Siegfried durchaus nicht angenehm, doch hier auf freiem Felde konnte sie ihr nicht ausweichen. Erst als der Graf heran war, blieb sie halten, seiner Anrede gewärtig. Siegfried grüßte sie ritterlich und rief froh bewegt: »Der seines Amtes entsetzte Burgvogt sagt der gnädigen Frau den innigsten Dank für seine Ablösung!«

»Ich verstehe Euch nicht, Herr Graf«, erwiderte Jutta erstaunt.

»O gebt es nur zu, gnädige Frau! ich weiß es ja«, lachte der Jüngling. »Nur auf Euren Wunsch hat Albrecht einen anderen Vogt auf die Lauenburg geschickt und mich nach dem Regenstein zurückberufen.«

»Wer hat Euch das gesagt?« frug Jutta freudig überrascht.

»Wer mir das gesagt hat?« wiederholte Siegfried. »Ei, gnädigste Frau, mein Bruder selber hat es mir durch den Ritter Bock so bestellen lassen, und eine größere Freude konntet Ihr mir nicht machen, als mich von der Lauenburg los sein zu wollen.«

»Und Ihr glaubt, daß mein Wunsch, – den Ihr verzeihen werdet, Graf Siegfried! – mein Wunsch allein den Graf Albrecht bestimmt hat, Euch zurückzurufen?« frug sie immer noch ungläubig.

»Ohne alle Zweifel, gnädigste Domina!« sprach Siegfried, »aber –«; er lenkte sein Pferd näher an sie heran und sagte dann etwas leiser: »Albrecht scheint allerdings noch einen anderen Grund dabei zu haben. Wie sag ich's nur?« fuhr er verlegen und zögernd fort. »Ihr wißt, gnädige Frau, die Gräfin Oda ist auf dem Regenstein, und Albrecht wünscht, daß ich – daß ich in freundschaftlichem Verkehr mit ihr bleibe und ihr stetig Gesellschaft leiste; er hat mich selber zu ihrem Ritter gemacht, und der soll ich nun auch bleiben, soll mich um ihre Gunst bemühen, und – gnädige Frau, ich tue das sehr gern«, schloß er errötend.

Jutta traute ihren Ohren nicht; aber sie fühlte ihr Herz klopfen. Kaum brachte sie vor tiefer Erregung die Frage heraus: »Hat Euch das auch Graf Albrecht sagen lassen?«

»Jawohl!« antwortete Siegfried, »nur ein wenig verblümt und verschnörkelt kam es von des biederen Ritter Bocks ungewandten Lippen. Der hat mir noch mehr gesagt, fast zu viel und zu Schönes, um es alles glauben zu können«, plauderte Siegfried in der überquellenden Freude seines Herzens.

»Dann macht nur, daß Ihr heim kommt!« lächelte die Äbtissin, selbst in hellem Jubel über das Gehörte. »Und, Graf Siegfried,« setzte sie, ihm die Hand reichend hinzu, »sagt Eurem Bruder Gruß und alles Liebs genug von mir!«

Sie wußte kaum, was sie sprach, hörte auch nicht auf des jungen Grafen Dank, sondern gab ihrem Pferde einen Druck und sauste dahin, daß Mantel und Locken flogen.

Der Stiftshauptmann aber schüttelte, nichts von alledem begreifend, sein graues Haupt und suchte der Herrin in scharfem Galopp zu folgen. Die gepanzerten Stadtknechte rasselten auf ihren schweren Gäulen staubwirbelnd hinter ihm her.

Auf dem Schloßhofe angekommen, sprang die Äbtissin ohne Hilfe vom dampfenden Pferde, flog die Treppe hinauf und stürmte durch die Vorhallen in ihr einsames Zimmer, dessen Tür sie schnell hinter sich verriegelte.


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