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XV.

Der Sommer verging und der Herbst.

Iduna hatte sich nicht gerührt aus dem alten verwitterten Haus. Es war ja alles nur ein Provisorium. Sie lebte nur im Gedanken an die Zukunft, von Woche zu Woche erwartete sie die Nachricht ihrer Scheidung. Die Ungeduld nagte an ihr wie eine Krankheit.

Die rein äußerlichen Bande, die sie noch an Delten fesselten, kamen ihr vor wie eine Treulosigkeit gegen Georg. Sie weinte manchmal des Nachts, wenn sie daran dachte, daß sie schon einem Mann angehört hatte. Dann versenkte sie sich in den Anblick der Sixtinischen Madonna, die über ihrem Bette hing, und sagte sich: Diese reine Jungfrau war ja doch die ehrsame Frau eines Zimmermeisters, und ihre Seele war nicht beschmutzt durch die Ehe mit einem gewöhnlichen Mann ... Aber wenn ihr die Stunden in ihrem kleinen Salon einfielen, dann war es, als erröte ihr ganzer Körper, und sie barg aufstöhnend ihren Kopf in die Kissen.

Sie war doch unrein, unrein, unwürdig des großen Wunders!

Sie betete stundenlang und kniete vor dem Madonnenbild, das Gesicht in Tränen gebadet ...

Sie schrieb Georg edle, schöne Briefe, ohne ein Wort der Leidenschaft, demütige und anbetende Worte, plötzlich von einem Grauen erfaßt vor jeder sinnlichen Regung, beinahe glücklich darüber, daß sie nur selten Nachricht von ihm bekam und immer nur Schilderungen fremder Länder und Menschen; keine verliebten Ausbrüche mehr wie früher.

Mit Lolo spielte sie manchmal. Aber dieses Spielen war eine Pflicht, die sie sich auferlegte. Wenn die Werner ihr einige Züge der Kleinen erzählte, einige Aussprüche überbrachte, dann lächelte Iduna ganz verträumt. Die Werner merkte sehr gut, daß die junge Frau nicht zuhörte, und zog dann das Kind ärgerlich mit sich fort aus dem Zimmer.

Wenn dann Iduna später schuldbewußt fragte, warum die Werner so böse fortgegangen, dann antwortete die Wärterin:

»Sie haben jetzt nur verliebte Dinge im Kopf, Frau Doktor, und Lolo kann zusehen, wie sie ohne ihre Mama fertig wird. Was wird denn erst sein, wenn Sie noch ein Kind bekommen, Frau Doktor, da wird Lolochen wohl ganz ausgesetzt werden?«

Eines Tages kam die Werner ganz bleich ins Zimmer. In der Hand hielt sie ein großes, versiegeltes Kuvert. Als es Iduna aufmachte, fiel ein großer gelber Bogen heraus, auf dem oben gedruckt stand: Im Namen des Königs!

»Frei,« schrie Iduna auf, »frei!«

Sie fiel der Werner um den Hals, sie lachte und weinte. Sie wollte telegraphieren; warf schon mit zitternder Hand auf das Papier: »Georg Stauff, Düsseldorf.« Dann sprang sie wieder auf.

»Nein, Werner, ich fahre selbst hin, ich will ihm die Nachricht selbst bringen. Jetzt kann ich's ja. Schnell ... packen Sie mir ein paar Sachen zusammen ... ich kann ja kaum atmen vor Glück, aber so eilen Sie doch, Werner ... rasch ... rasch ... Mein Leben fängt an, mein Leben fängt an ...«

Ein kleiner Koffer wurde rasch gepackt. Die Wirtschafterin brachte Iduna einen kleinen Imbiß, den sie kaum berührte. Alles an ihr zitterte und bebte vor Jubel und Glück.

Sie ging der Erfüllung, der Krönung ihres Lebens entgegen.

Während sie die Handschuhe überstreifte, kam die Werner mit einem Fetzen Papier in der Hand:

»Sehen Sie nur, Frau Doktor, was Lolochen ...«

»Ja, ja ...«

Iduna schob das Papier, ohne es anzusehen, in die Reisetasche.

»Wo ist das Kind, ich will ihm einen Kuß geben ... haben Sie einen Wagen holen lassen? Ich komme in drei Tagen ... ja, in drei Tagen spätestens, und dann fahren wir nach Berlin. Die Wirtschaft muß aufgelöst werden ... und die Vorbereitungen ...«

Sie küßte das Kind auf das schwarze, lockige Haar.

»Sei brav, Lolo ... Mama kommt bald und bringt dir was Schönes mit, was sehr Schönes.«

Sie küßte es noch einmal, wie in plötzlicher Reue über die lange Vernachlässigung.

Die Werner warf ihr einen Mantel um.

»Glückliche Reise, Frau Doktor.«

»Adieu, Werner, adieu, Christine ...«

Sie lief förmlich die Treppe hinunter. Dem Kutscher sagte sie: »rasch, rasch ...« Sie blickte sich nicht noch einmal um, um Lolos glattgedrücktes Näschen am Fenster zu sehen. Nur vorwärts, vorwärts ...

Und im Kupee saß sie aufrecht, mit den Füßen den Takt schlagend, mit den Fingerspitzen gegen die Scheibe trommelnd, wie wenn sie die Fahrt dadurch beschleunigen könnte, bei jeder Station vor Ungeduld vergehend ... Vorwärts, vorwärts ...

Sie konnte nicht denken, konnte sich nicht das Wiedersehen mit Georg ausmalen. Nur das wußte sie – der Augenblick, da sie sich in seine Arme werfen würde mit den Worten – »ich bin frei, ich gehöre dir« – dieser Augenblick würde einen neuen Menschen aus ihr machen ...

Sie zählte die Stunden, die Viertelstunden. Dann schlief sie ein, erschöpft, außer Atem, wie nach einem langen Lauf. Wirres Träumen, Auffahren – und dann nichts ... nichts als ein dumpfes, stumpfes, regungsloses Sitzen in der Ecke.

Endlich Düsseldorf!

Sie hatte sich nicht angemeldet. Sie wollte ihn überraschen, plötzlich vor ihm stehen, strahlend vor Glück, vor Liebe ... Sie machte auf dem Bahnhof ein wenig Toilette, ließ ihre Sachen beim Portier und nahm einen Wagen, der sie bis vor seine Wohnung führen sollte.

Er hatte ihr geschrieben, daß er jetzt meistens zu Hause Abendbrot esse, und wenn er ausgehe, erst um zehn Uhr seine Wohnung verließe. Jetzt war es gegen halb neun; sie war beinahe sicher, ihn zu treffen.

Sie drückte dem Kutscher, ohne zu fragen, ein Geldstück in die Hand und trat in den Flur eines hellerleuchteten, sehr eleganten Hauses.

Unten an der Treppe mußte sie erst Atem schöpfen, aber dann lief sie die Stufen hinauf, wie ein Kind, zwei Absätze überspringend, über den Saum ihres Kleides stolpernd, keuchend, mit offenem Mund.

Unter dem eleganten schwarzen Emailschild mit dem faksimilierten Namenszug eine elektrische Klingel, sie drückte darauf, fest und anhaltend.

Und dann hörte sie Schritte, weiche, träge Schritte, wie auf Filzschuhen. Die Tür ging auf. Im dunklen Rahmen stand eine junge Person, fast noch ein Kind. Eine kleine Lampe, die sie in der Hand hielt, beschien ein bleiches, abgehärmtes Gesicht, aus dem zwei fast übernatürlich große braune Augen hervorleuchteten. Ganz hellblondes, seidiges Haar lag wirr um die eingesunkenen Schläfen. Die schmalen Schultern waren ganz eingehüllt von einem großen grauen Tuch, das nur einen braunen fußfreien Rock sehen ließ.

»Herr Stauff ist nicht da,« sagte das Mädchen mit einer seltsam tonlosen Stimme und wollte gleich darauf die Tür ins Schloß fallen lassen; aber Iduna hielt sie mit einer Bewegung auf.

»Kommt er denn nicht bald nach Hause,« fragte sie, während das Herz ihr wie still stand vor unsäglicher Enttäuschung.

Das Mädchen zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht. Vielleicht kommt er in einer Stunde, vielleicht gar nicht, wenn Sie mir Ihren Namen nennen wollen ...«

»Ich bin von sehr weit hergekommen, ich bin die ... ich bin eine Verwandte ...«

Iduna wurde furchtbar rot unter ihrem Schleier.

»Ich bitte, liebes Fräulein, lassen Sie mich eine halbe Stunde auf Herrn Stauff warten ... ich bitte Sie, ja?« Ein Zug von Mißtrauen flog über das Gesicht des Mädchens, aber Idunas beinahe kindlich weicher Ton schien sie umzustimmen.

»Kommen Sie herein, meine Dame.«

Iduna ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen und folgte dem Mädchen durch das dunkle längliche Vorzimmer in ein großes Atelier, das durch Draperien und seidene chinesische Paravents gleichsam in zwei Räume geteilt war. Die eine Hälfte des Ateliers diente seiner eigentlichen Bestimmung, die andere war wie ein Boudoir hergerichtet und mit Teppichen, modernen Sesseln, Kissen, Fellen derart angefüllt, daß man kaum Platz hatte, sich darin zu bewegen.

Trotz der Größe des Raumes herrschte in ihm ein eigentümlicher Duft von Öl, frischem Holz und starkem Parfüm.

Das Mädchen stellte die Lampe auf den kleinen damenhaften Schreibtisch inmitten des Boudoirs und wies auf ein niederes Ruhebett.

»Wenn Sie hier warten wollen ...«

»Möchten Sie mir nicht die Bilder zeigen im Atelier,« fragte Iduna.

»Da muß ich erst Licht machen ...«

»Nein, machen Sie sich keine Mühe ... wenn Sie mir nur mit der Lampe leuchten wollen.«

Automatenhaft griff das Mädchen wieder nach der Lampe. Auf ihren Lippen lag jetzt ein leises, trauriges Lächeln.

»Sie sind eine Verwandte von ... ihm?«

Iduna zuckte zusammen. Von ihm ... das klang so seltsam.

Sie nickte, und ihre Stimme klang ganz merkwürdig laut, als sie antwortete:

»Aber ja, natürlich ... eine sehr nahe Verwandte.«

Wieder dasselbe traurige Lächeln. Nur daß es Iduna nicht sehen konnte, weil das Mädchen ihr langsam mit der Lampe voranschritt.

Apathisch, als ginge sie das alles gar nichts an, führte das Mädchen Iduna vor die Staffeleien. Es waren meist Porträts: junge, hübsche und nichtssagende Frauenköpfe, dann wieder ein kleiner Akt. In einer Ecke große Kartons: Entwürfe von der Nordlandsreise.

»Ah, das interessiert mich ...«

Iduna nahm jeden Karton einzeln in die Hand, jetzt nachträglich seine Reise verfolgend, wie beim Lesen seiner Briefe. Aber als sie den letzten Karton zur Hand nahm, entfuhr ihr ein leiser Ausruf. Statt einer Landschaft erblickte sie die wunderbar ebenmäßige kindliche Gestalt einer Psyche.

»Ist das reizend ...«

Plötzlich stutzte sie und sah das Mädchen an, das ganz unbeteiligt an dem hellen Lichte der Lampe vorbei in die Tiefe des Zimmers starrte.

»Aber das sind ja Sie ...«

Die eingefallenen Wangen des Mädchens wurden blaßrosa.

»Ja ... das war der erste Entwurf.«

Iduna verfärbte sich leicht.

»Sie sind also sein Modell?«

»Ja ... ich kam her als Modell, aber jetzt malt er nur Porträts ... die werden besser bezahlt. Und wenn er Modelle braucht für Akt, dann kommen andere. Ich bin nicht mehr hübsch genug.«

Sie sagte das ganz ruhig, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne ein Gefühl der Gêne vor Idunas Blicken, die sie zu entkleiden schienen.

»Ich bin müde,« sagte Iduna und griff nach der Stirne.

Und dann ging sie ins Boudoir. Das Mädchen stellte die Lampe wieder auf den Schreibtisch.

»Ich will Ihnen Tee machen.«

»O nein, ich brauche nichts, ich bin nur müde, sehr müde ... ich bin so lange gereist.«

Iduna lehnte den Kopf zurück im Sessel und schloß die Augen. Lautlos verschwand das Mädchen hinter den Schirmen.

Iduna öffnete die Augen und starrte in das Licht der Lampe. Sie fing die goldenen Strahlen mit blinzelnden Augen auf, und es schimmerte vor ihr in smaragdenem Grün und flammendem Rot, das sich zu leuchtendem Gelb und tiefem Braun abschattierte. In einem festlichen Farbenreigen schwelgte sie, und dieser Farbenreigen brachte ihr etwas zurück ... ein Bild aus längst vergangener Zeit ... eine Fliege, die sich in tollem Tanz summend und brummend an das milchweiße Lampenglas schlug am Abend ihres Hochzeitstages und dann verstummte, tot niederfiel ... Und das Märchen fiel ihr ein, das Märchen der Sehnsucht, das ihr Mann ihr erzählt und das sie an sich erlebt hatte in all den Jahren ...

Der Duft eines starken Parfüms legte sich ihr beängstigend um die Sinne, wie ein schweres Narkotikum.

Sie erhob sich und ging zum Schreibtisch.

Sie saß an seinem Schreibtisch, an dem Platz, an dem er selbst immer gesessen, um ihr zu schreiben ...

Hier auf dieser Mappe.

Mechanisch schlug sie die Mappe auf, beinahe liebkosend war die Berührung. Papiere lagen durcheinander, Rechnungen, kleine Skizzen, Briefe.

Und es schlug ihr aus den Blättern derselbe starke Duft entgegen, nur noch strenger, betäubender.

Sie wollte die Mappe zuklappen, aber die heftige Bewegung, die sie dabei machte, verschob die Blätter, so daß eine kleine, goldgeränderte Karte sichtbar wurde.

Und auf dieser Karte standen nur drei Zeilen in großer, eleganter englischer Schrift:

»Geliebter, sei vorsichtig. Mein Bild ist ein zu gefährliches Geschenk, nimm die Rosen, dunkelrote, wie die erste Blume, die du mir brachtest, als du von deiner Reise zurückkamst ... von deiner Reise aus dem weißen Lande ...«

Iduna las die Worte noch einmal durch und noch einmal, und dann las sie sie mechanisch immer wieder und immer wieder, bis ihr schwarz wurde vor den Augen und sie mit dem Kopf auf die Tischkante fiel.

Das Mädchen im grauen Umschlagtuch trat lautlos ein.

»Ich glaube, er wird heute nicht mehr kommen ...«

Da Iduna nicht antwortete, trat sie näher heran und tippte mit dem Finger leise auf Idunas Arm.

»Ja ... ja ... ich gehe schon ...«

Iduna lallte die Worte nur so hin. Sie machte die Mappe nicht zu. Sie war wie erstarrt.

Das Mädchen warf einen Blick auf die Karte, und zum drittenmal lächelte sie leise mit großen, traurigen Augen.

»Sie sind die Dame, die er heiraten will?«

Iduna legte die Hand auf die Brust und rang nach Worten, aber sie brachte keinen Ton über ihre wachsbleichen Lippen.

Das Mädchen fuhr sich mit dem Handrücken über die blasse, zartgeäderte Stirn. Und in traurig resigniertem Ton hub sie an.

»Er ist nicht schlecht ... wirklich nicht ... er ist nur sehr schön, und wo er hinkommt, da hängen sich die Frauen an ihn. Alle glauben, er ist anders als alle anderen, ich habe es auch geglaubt, aber er ist gar nicht anders, nicht besser und nicht schlechter ... er ist nur ein schöner Mann, aber die Frauen sind schlecht. Er ist auf die Reise gegangen, weil er fort mußte wegen einer Frau hier, und als er zurückkam, hat er dieser Frau da – sie zeigte auf die Karte – Blumen gebracht. Er hat sich nichts gedacht dabei, aber sie ist verrückt gewesen auf ihn, und dann – dann ist er eben wie jeder Mann. Es wird gut sein für ihn, wenn er heiratet.«

»Bitte, lassen Sie mich hinaus.«

Iduna stieß die Worte hervor, ohne das Mädchen anzusehen.

»Soll ich ihm was bestellen?«

Iduna antwortete ihr nicht.

Beim Öffnen der Tür sagte das Mädchen:

»Jetzt bin ich an seinem Unglück schuld.«

Sie machte Augen wie ein geprügelter Hund.

Iduna zog ihr Portemonnaie und ließ ein Geldstück auf die Erde fallen.

»Da!«

Sie schlüpfte zur Tür hinaus und hörte nur einen leisen schmerzlichen Aufschrei.

Das Geldstück rollte ihr klirrend einige Stufen nach.

Iduna verbrachte die Nacht im Wartesaal des Bahnhofes. Den ersten Frühzug benutzte sie, um nach Hause zu fahren.

Als die Werner Iduna am nächsten Nachmittag in das Haus wanken sah, schlang sie ihre beiden starken Arme um sie und trug sie beinahe hinauf bis in ihr Schlafzimmer.

Sie fragte nicht. Sie erriet alles.

»Werner, ich will schlafen. Morgen nach Berlin, gleich morgen.«

»Ja, es wird alles bereit sein.«

Die Werner packte mit Hilfe der Wirtschafterin die ganze Nacht. In der Frühe kam eine Depesche aus Düsseldorf:

»Treffe morgen abend ein. Georg.«

Iduna ließ antworten: »Frau Doktor abgereist, unbekannt wohin,« und Christine mußte zeichnen.

Iduna war totenblaß, aber ruhig und gefaßt.

Sie kramte selbst ihre Tasche aus, in der das Dokument enthalten war.

»Im Namen des Königs!« las sie.

So furchtbar feierlich klang das, und es war doch nichts geschehen. Aber gestern ... gestern ...

Sie kramte weiter. Ein zerknitterter Fetzen Papier fiel ihr in die Hand, und als sie hinsah, waren mit unbeholfenen Strichen die Konturen der Sixtinischen Madonna angedeutet.

»Was ist das?« fragte sie die Werner, die gerade die Koffer schloß.

»Das gab ich Ihnen doch mit, Frau Doktor, das hat Lolochen gezeichnet, als wir packten. Das Kind zeichnet den ganzen Tag, ich kann nicht Papier genug hergeben.«

»So ...«

Lolo kam reisefertig angezogen, eine Puppe im Arm, von der Wirtschafterin begleitet, ins Zimmer.

»Jetzt fahren wir mit der Maschine, und in Berlin wird Lolo in die Schule gehen und viele kleine Mädchen sehen. Lolo ist schon sehr groß ... so groß ...«

Iduna lehnte am Tisch, mit schlaff herabhängenden Armen. Sie sah das Kind auf sich zukommen, mit sicheren kleinen Schritten, das energische dunkle Gesichtchen keck emporgehoben, und plötzlich breitete sie beide Arme nach dem Kinde aus und riß es ungestüm an sich, als müsse sie es retten vor einer schrecklichen Gefahr.

»Bleib bei mir, klein Ding, bleib bei deiner Mama!«

Und wie sie das zappelnde, sich sträubende kleine Menschenkind an ihre Brust drückte, da packte sie die rasende Angst, es könnte ihr entgleiten, ihr abhanden kommen, wie alles ihr bisher im Leben abhanden gekommen war, noch bevor sie es recht besessen.


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