Heinrich Wölfflin
Die Kunst Albrecht Dürers
Heinrich Wölfflin

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Anhang

Erste Anmerkung

In Sachen der Basler Terenzzeichnungen und was damit zusammenhängt, gibt es noch immer zwei Meinungen. Nachdem R. Kautsch in seiner Ausgabe des Ritters vom Thurn (1993) wohl im Namen der Mehrheit sein Urteil dahin abgegeben hatte, die Basler Illustrationen enthielten nichts, was Dürer als Autor anzunehmen zwinge, ist neuerdings in Montagu Peartree ein Kritiker aufgestanden, der zuerst im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen (1904) und nachher im VII. Bande der Dürer Society die Attribution an Dürer als die wahrscheinlichste Wahrheit verteidigte, ohne freilich die Frage für geschlossen zu erklären. Er benützt als Zwischenglied die Zeichnung eines Liebespaares in der Kunsthalle zu Hamburg, die Lippmann seinerzeit von der Aufnahme in sein Korpus ausgeschlossen hatte.

Was mich den Terenzzeichnungen gegenüber ablehnend stimmt, ist zunächst die ermüdende Gleichförmigkeit der Anlage. So gar keine Einfälle, wie man eine Situation als Bild interessant machen könne! Immer wieder dieselbe Hauptsilhouette! Sollte das Vorschrift gewesen sein? Möglich. Aber würde sich die Vorschrift auch darauf erstreckt haben, alles in lockerem Nebeneinander zu halten. Wir sind vom jungen Dürer ganz anderes gewöhnt und man braucht schließlich nichts als den Hieronymusschnitt zu vergleichen mit seinem gedrängten Reichtum, um das Fremdartige der Erscheinung zu spüren, wie diese Zeichnungen weit und luftig, aber auch leer wirken. Und so die Linien: gefällig, klar, zierlich und egal, in gleichen Intervallen und mit geringem Richtungswechsel geführt, während Dürer doch mit seinem Strich ganz anders sich quält, sich und den Holzschneider. Natürlich kann man freie Zeichnungen nicht unmittelbar mit Zeichnungen auf dem Holzstock vergleichen, aber wir haben ja im Hieronymus seine Holzschnittmanier. Es ist im Grunde schon dieselbe wie in der Apokalypse und die bloße Modellierung des Gefälts, wo die Linie in immer neuer Wendung der Form gerecht zu werden versucht, scheint mir einen prinzipiellen Gegensatz anzudeuten. Der Terenzzeichner geht mehr auf ruhig ausgebreitete Tonfolien, die malerisch wirken, Dürer mehr auf die zeichnerische Durchbildung der plastischen Form. Der Terenzzeichner hat hübsche, flüssige, sogar ganz modern-italienisierende Motive, aber von Dürers Vertiefung in die organische Bildung sehe ich wenig Spuren.

312 Das gilt im wesentlichen auch von den verwandten Zeichnungen im »Ritter vom Thurn« und im »Narrenschiff«. Sie sind ungleichartiger, aber in ihren guten Teilen viel interessanter als irgend etwas aus der Terenzfolge. Manches streift so hart an Dürer heran, daß man seine unmittelbare Nähe zu spüren glaubt, als hätte er dem Zeichner bei der Arbeit über die Schulter gesehen. Und warum auch nicht? Meinetwegen mag er ihm sogar einmal den Stift aus der Hand genommen haben, aber die Gründe sind meines Erachtens noch nicht gefunden, die den Zeichner mit Dürer gleichzusetzen erlaubten.


Zweite Anmerkung

Die Landschaften, die sich auf die Brennerstraße beziehen und eine wenig homogene Gruppe bilden, sind bisher meistens als Ganzes zusammengenommen und entweder in die Zeit der ersten oder der zweiten italienischen Reise gesetzt worden. Es sind außer der im Text genannten Gesamtansicht von Trient (L. 109) noch das Schloß von Trient (L. 90), die »Venediger Klausen« (L. 303), »Welschberg« (L. 392), Innsbruck (L. 451), und auch die zwei Ansichten eines Schloßhofes (L. 452, 453) mögen, wie Händke es wahrscheinlich macht,Händke, Chronologie der Landschaften Dürers, 1899. der dortigen Gegend entnommen sein; ebenso das Felsschloß am Wasser (L. 108), das schon in der farbigen Erscheinung mit dem großen Trientinerbild zusammengeht.

Allegorie des Glücks (Windsor)

In der Datierungsfrage spielt nun die rätselhafte Zeichnung von Windsor mit der Jahreszahl 1516 (L. 389) eine wichtige Rolle.Die Darstellung wird gedeutet als eine Allegorie des Glückes. Vgl. Giehlow, Jahrbuch der Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 1899, S. 61, 67, Anm. 3. Die vordere Randfigur vergleicht sich im Profil des Kopfes mit der italienischen Spielkarte L. 218. Die hinteren Figuren sind kopiert nach einem Niello des Peregrini (Dutuit 693). Sie enthält, wie man längst bemerkt hat, die Vedute des Antoniusstiches von 1519. Händke zeigte, daß das Stadtbild aus Elementen der Trientiner und Innsbrucker Zeichnungen sich zusammensetzt und schloß nun, da das Datum »1516« sicher falsch sei und schon von Lippmann durch »1500« ersetzt wurde: die Naturaufnahmen von der Brennerstraße müßten auf der ersten italienischen Tour entstanden sein, sonst könnte man ja nicht um 1500 schon ihre Spuren finden. – An der Unhaltbarkeit der Datierung auf 1516 ist nicht zu zweifeln; ich vermute, daß die stoffliche Verwandtschaft mit der so bezeichneten Zeichnung nackter Frauen in Chatsworth (L. 398) den Irrtum veranlaßt hat; aber mit dem Vorrücken auf 1500 ist es auch nicht getan, so alt ist die Zeichnung nicht. Sie gleicht in der Technik 313 der Frauenfigur in London (L. 225), die zwar laut Beischrift 1500 entstanden sein soll, aber wie man weiß, erst um 1504 denkbar ist (s. oben im Kapitel »Die frühen Stiche«). Lippmann, der an dem Recht des inschriftlichen Datums noch nicht zweifelte, ist wahrscheinlich gerade durch diese Analogie bestimmt worden, die Windsor-Zeichnung so früh zu setzen. Man kann aber nach der bloßen Linienführung urteilen, daß für solche Blätter erst in der Zeit von 1503/5 Raum ist. Es ist die Technik der kleinen, runden Modellierungsstriche, in der z. B. bei gleich geringer Ausführlichkeit der Apoll der Sammlung Poynter (L. 179) gezeichnet ist. Das Ganze entfernt sich in dem Verhältnis von Figur und Landschaft noch nicht allzuweit von dem Eustachiusstich. Mit anderen Worten: wir kommen sehr nahe an den Termin der zweiten italienischen Reise heran und es ist um so weniger Grund vorhanden, diesem Termin auszuweichen, als die Stadtvedute der Zeichnung in ihren charakteristischen Momenten auf dem Rosenkranzbild von 1506 sich wiederholt. Ich meine also, für die Datierung der Brennerzeichnungen sei das Blatt von Windsor nicht beweisend zu verwenden.

Das ganze Kapitel der frühen Dürerschen Landschaftschronologie ist noch ungeklärt.


Dritte Anmerkung

Daß die Bekanntschaft mit Jacobo de' Barbari ein bedeutendes Erlebnis für Dürer gewesen ist, steht außer Zweifel. Und wenn er auch in den venezianischen Briefen die Überschätzung des Welschen in Nürnberg bespottet, so versagt er ihm doch zu anderer Zeit nicht den Ruhm eines »guten, lieblichen Malers«. Die Anregung zum Konstruieren der Figur erfolgte nach Ausweis unseres Materials nicht vor 1500, dem Moment, wo Barbari nach Nürnberg kam. Natürlich wird man eine sonstige Wechselwirkung ebenfalls erst von diesem Zeitpunkt an zu 314 suchen geneigt sein. Was in den Stichen vor 1509 auf Barbari hinzuweisen scheint, muß dann anders erklärt werden. Und wirklich, es ist nicht nötig, für die italienische Pose der einen von den vier Hexen (1497) die Gevatterschaft Barbaris anzurufen: der Sebastian an der Säule, den ich von Cima ableite, tut es auch. Und die Venus im Traum des Doktors schließt sich wieder so eng an diese Hexe an, daß sie des Vorbildes nicht bedarf, das man ihr in Barbaris Venus (K. 12) hat geben wollen. Sie unterscheidet sich sogar sehr charakteristisch von dieser Frau in der Art des Stehens: beide Füße haften mit ganzer Sohle am Boden und stehen in weitem Winkel auseinander. Erst um 1503/4, als Dürer auch sonst Spuren Barbaris zeigt, kennt er jenes feinere Stehen mit wenig divergierenden Achsen und mit der Hebung des einen Fußes (vgl. die Zeichnung aus den Uffizien im Kapitel »Die frühen Stiche«), wie es Barbari von Anfang an hat. Eben deswegen läßt sich auch ein notorischer Frühstich Barbaris wie seine liegende Viktoria (K. 27), wo die Ähnlichkeit des Motivs mit Dürers Frau im »Meerwunder« in die Augen springt, nicht ohne weiteres als Vorbild für Dürer in Anspruch nehmen. Das »Meerwunder« ist sicher vor 1500 entstanden, denn es ist älter als die Eifersucht und diese ist älter als der »1500« datierte Herkules des Germanischen Museums. Wen es von vornherein unwahrscheinlich dünkt, daß ein Italiener den Deutschen hier kopiert haben sollte, dem wäre zu sagen, daß es gerade dieser Figur gegenüber ja in der Tat geschah (s. oben die Anmerkung im Kapitel »Die frühen Stiche«). Entscheidend wäre die Beweisführung L. Justis (Repertorium XXI, 346 ff. und 439 ff.), daß Barbari nicht Vorbild gewesen sein könne, weil seine Kupferstichtechnik durch die Dürersche von 1503 erst bedingt sei. Allein ich muß zugestehen, auch seine Darlegung läßt dem Gegner noch manchen Einwand offen. Es gibt vereinzelte Übereinstimmungen zwischen dem Stichwerk Barbaris und dem jungen Dürer vor 1500, die sich nur mühsam auf der Basis einer Priorität Dürers oder etwa durch die Annahme eines gemeinsamen Modells erklären lassen.Auf einzelnes hat Händke (Jahrb. der preuß. Kunstsammlgn. 1898) hingewiesen, z. B. auf die Zeichnung des Rückens der linksstehenden Hexe – Barbari K. 26, Palmenträgerin. Die Wendung der rechtsstehenden würde mit Barbaris großem Einzelkopf K. 30 erklärt werden können, ebenfalls einem frühen Stich. Die Draperien von K. 25 (Priapopfer) gehen nahe zusammen mit den Draperien des Windengel in der Apokalypse. Vgl. auch die Anmerkung dazu oben im Kapitel »Die Apokalypse«. Die Entscheidung mag nun aber fallen wie sie wolle, für Dürers Geschichte bedingt es keine Verschiebung, insofern dann eben nur ein bestimmter Name an Stelle eines unbestimmten tritt.

Die Eigentümlichkeit Barbaris liegt in seiner fließenden, bis zur Schlaffheit weichen Linie. Wie er den Umriß der Figur in flacher Wölbung führt, die Arme eng am Körper hält, um den Schwung nicht zu unterbrechen, wie er bei 315 enggeschlossenen Knieen das Stehen weich macht, den Körper schlank und schwank proportioniert und mit derselben schwanken Linie die Modellierung ausführt, das kommt alles bei ihm einheitlich aus dem Temperament und bedeutet einen grundsätzlichen Gegensatz zu Dürers Art. Er steigert diesen Stil bis ins Übertriebene, und um 1503/4 ist es ganz deutlich, daß Dürer sich von seiner Sphäre angezogen fühlte. Die Linie der grünen Passion ist getränkt von dieser welschen Süßigkeit, und unter den Stichen hat die kleine Diana neben dem bogenschießenden Apoll – um anderes zu übergehen – ganz das Languissante der Barbari'schen Frauen.

J. de' Barbari, Apollo und Diana

Dieser Stich ist von jeher im Mittelpunkt der Erörterungen gestanden, wo von dem Verhältnis Dürers zu Barbari die Rede war. Die eigentümliche Kombination (stehender Mann mit sitzender weiblicher Begleitung) kommt beiderseits vor: mit der Frau als Rückenakt bei Barbari K. 14 und bei Dürer in der Zeichnung L. 233; mit Diana in Vorderansicht nur bei Dürer auf dem genannten Stich (B. 68), der dadurch nach der weiblichen Seite außer direkte Vergleichung tritt, in der Figur des Bogenschützen dafür um so mehr Ähnlichkeit mit Barbari aufweist (vgl. Abb. im Kapitel »Die frühen Stiche«). Ich erkläre mir das Verhältnis so: Dürers Zeichnung, die ein Vorstudium des Stiches von Adam und Eva gewesen ist, macht den Anfang. Sie enthält noch nicht, was Barbari hat und was Dürer beim Stich auch aufnimmt: die weite Stellung der Beine bei Apoll und die Wendung des Kopfes im Sinne des Kontraposts, das letztere ein Motiv, das Dürer zwar für seinen Bogenschützen nicht brauchen konnte, dafür im Adam des Stichs (1504) verwendete. Es ist möglich, daß Barbari hierfür Muster war. Über den Qualitätsunterschied der zwei Bogenschützen brauchen wir kein 316 Wort zu verlieren. Die Verkürzung des rechten Fußes ist eine fast vollkommen übereinstimmende und die verschiedene Durchbildung der Form darum um so besser zu kontrollieren. Wie das Verhältnis von Nehmen und Geben bei der Satyrfamilie liegt (Dürer B. 69 und Barbari K. 19) ist mir unklar. Für die Volksfiguren (Dürer B. 85 und Barbari K. 16, 17) könnte der Meister des Hausbuchs als gemeinsame Quelle in Betracht kommen. Verwandt sind auch Barbaris »Kleopatra« (K. 28) und Dürers Frau des Chrysostomus (B. 63) und die vergleichende Analyse des verschieden behandelten Motivs möchte hier sogar reizvoller sein als irgendwo sonst.


Vierte Anmerkung

Die Erasmusstelle ist meines Wissens zuerst von Herman Grimm ans Licht gehoben, dann öfter angeführt und von Robert Vischer in extenso als Motto zu seinem Düreraufsatz abgedruckt worden. Obwohl sie lauter Zutreffendes enthält, verliert sie doch an Wert, wenn man weiß, daß sie ganz aus Plinius-Reminiszenzen zusammengesetzt ist. F. Studniczka weist mir die vorbildlichen Stellen nach, von dem Erstaunen über die Ausdrucksfähigkeit einer bloßen Schwarz-Weiß-Malerei (monochromata) bis zum Lobe Dürers als Maler von Lichterscheinungen: quin ille pingit et quae pingi non possunt, ignem, radios, tonitrua, fulgetra, fulgura etc., wo einfach wiederholt ist, was Plinius 35, 96 von Apelles sagt: pinxit et quae pingi non possunt, tonitrua, fulgetra, fulgura. Nur für die schwierige Stelle: ex situ rei unius non unam speciem sese oculis offerentem (exprimit) scheint Plinius keine Analogie zu enthalten. Die Schwierigkeit liegt darin, daß man nicht weiß, was sich Erasmus als Gegensatz zu der una species gedacht hat. Species ist jedenfalls die malerische Erscheinung und der Sinn des Satzes wird doch wohl der sein, daß Dürer mit der zufällig gegebenen Ansicht des Gegenstandes sich nicht begnügt habe, sondern uns ein erschöpfendes Bild des Gegenstandes gebe. Damit wäre etwas sehr Bedeutsames über Dürers Kunst gesagt und es ist möglich, daß hier Worte nachklingen, die der Maler selbst im Gespräch mit dem Humanisten über seine künstlerischen Grundsätze gebraucht hatten

 

 


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