Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Schwerweiler Anna

Zu Schwerweiler in der Krone wachsen die schönsten Geranien. Wie das satte Rot in den Kirchenfenstern brennen sie mit ihren Blüten in den Sommertag hinaus.

Zu Schwerweiler in der Krone wuchs zu meinen Zeiten auch das schönste Mädchen.

Die brauchte gar kein Spiegelein an der Wand; die wußte auch so, daß sie weitaus die Schönste im ganzen Sundgau war, und das will doch etwas heißen; denn was das Mädchenvolk angeht, ist bei uns eine anschauenswerte Nation zu Hause.

Nun, die Anna Kirs und ihre Schönheit waren landberühmt. Auf fünfzehn Kilometer im Umkreis und sogar noch darüber hinaus wirkte ihr Magnet in die Ortschaften, und auch mich konnte man jeden Abend unter dem Gastvolk sehen, das in der übervollen Wirtsstube saß. Kaum war die Seidenfärberei aus, abends um sieben, wenn die Sirene pfiff, saß ich schon auf meinem Rad und sauste die Landstraße nach Schwerweiler herunter, daß der Schotter spritzte und die Neuweger Hunde in Aufruhr kamen.

In der Krone aber, sobald ich an der zirbelholzgetäfelten Wand saß, hatte sich mein aufgeregtes Wesen gelegt. Da lag ich so geruhsam vor Anker, wie eines der breiten, schweren Kohlenschiffe im Hüninger Kanalhafen und saß hinter dem Schoppen Rixheimer, den mir die Anna gebracht hatte. Es war jedesmal das Gleiche. Die ersten Minuten war ich so verlegen, daß ich das Mädchen kaum anzuschauen wagte. Ich brauchte es auch gar nicht. Mir genügte das Wissen um ihre Gegenwart. Schon das machte mich glücklich, daß sie überhaupt da war. Inzwischen betrachtete ich ihre Mutter, die am Fenster gegen die Straße saß und die, so lange ich sie kannte, immer an denselben Strümpfen strickte. Die änderten sich scheinbar nie, es waren immer grauwollne.

Die Alte hatte eine riesengroße Hornbrille auf mit dicken Gläsern, über die hinweg sie manchmal einen Blick über die Gäste warf. Ehrlich gesagt, schön sah die Wirtin nicht aus, eher so, wie man sich als Kind des Teufels Großmutter vorstellt, nur noch eine Portion dicker. Wenn sie redete, klang es wie ein verklemmter Steinkohlenbaß, und außerdem war sie vom Vollmond mit einem regelrechten Schnurrbart und mit einer Garnitur steifhaariger Warzen gesegnet. So viel ist sicher, ihret- oder gar ihres sauren Rixheimers wegen wäre gewiß kein Mannsbild in die Krone gekommen. Aber die Alten, die's wissen konnten, sagten, ja, die Frau Kirs sei in ihrer Jugend ebenfalls eine Schönheit gewesen, noch schöner vielleicht als die Anna, und es sei ihretwegen gar manches Paar Schuhsohlen durchgelaufen worden. Jedenfalls mußte das schon unendlich lang hergewesen sein, denn von all ihrer Schönheit war nicht einmal ein Nachglanz zurückgeblieben, alles hatte die Alte an die Tochter abgeben müssen, und das war gut so. Was brauchten die alten Herrschaften noch schön zu sein? Die haben ja ihr Sach gehabt! Jetzt sind wir daran, wir, die Jungen!

»Anna, noch einen Schoppen!«

Flink brachte sie ihn. Und alle die andern in der Gaststube, die zusahen, waren neidisch darüber, daß sie ein Übriges tat und mir das Glas vollschenkte.

Den Schwerweiler Jungburschen waren meine Abendfahrten in ihr Dorf schon lange ein Dorn im Auge. An einem Sonntagabend, als ich die Karbidlampe angezündet hatte und gerade auf mein Rad steigen wollte, stellten sie mich. »He«, sagten sie, »was hast du ausgerechnet hier in Schwerweiler zu suchen? Bleib künftig in deinem Fabriknest, sonst werden wir dir eines Tages ganz mächtig den Turlips polieren!«

Ich sagte: »Laßt mich gefälligst in Ruh. Wenn ihr aber wollt, will ich den üblichen Einstand zahlen!«

»Ja«, höhnten sie, »das gefiele dir wohl, einen Einstand zahlen und der Anna Kirs um den Unterrock streichen, und uns das Mädel am End gar noch wegschleppen in dein verdammtes Burgliber hinein, hä, das gefiele dir wohl, wir können's uns denken. Aber merk dir's, Seidenfärber, das mit der Anna Kirs läßt sich mit einem Einstandsgeld nicht abtun. Eine Woche hast du Zeit zum Überlegen. So lang magst du noch herkommen. Länger aber keinen Tag und keine Stunde, sonst treten wir dich tot, wie einen Roßbollenkäfer!«

Ich sagte: »Wenn's weiter nichts ist, dann möchte ich auch dabei sein beim Käfertottreten!« Damit stieg ich auf's Rad und unser Gespräch war beendet.

Ehrlich gesagt, ganz wohl war's mir beim Heimfahren nicht. Ich mußte immer an den Belforter denken, der wegen einer ähnlichen Schurzgeschichte vom Theodor Zink dreiviertel tot geschlagen worden war, und auch die Narben und geflickten Stellen, die ich seinerzeit des Buschwiller Bäsleins wegen bekommen hatte, meldeten sich wieder.

Hinter Bartenen kam ein dämpfiger Nebel über die Wiesen an der Straße her, und mit dem Nebel kroch mir eine Gänsehaut über den Rücken. Aber, ach was! Sollte ich mich von den Schwerweilern durch Redensarten ins Boxhorn jagen lassen? Und ich trat wie toll in die Pedale und ließ mein Rad dermaßen sausen, daß nicht nur die Neuweger Hunde aufgescheucht bellten, sondern sogar die überm Rhein drüben in den badischen Ortschaften.

Am Abend danach sagte die schöne Anna, als sie mir den zweiten Schoppen brachte und ich langsam das Geld zum Zahlen herausnahm: »Hört Ihr, Seidenfärber, Ihr dürft nicht mehr hierher kommen meinetwegen! Die Hiesigen schlagen Euch sonst das Kreuz ab!«

Aber Annas Warnung, so wohl sie mir auf die eine Art tat, machte mich störrig und widerspenstig. »Ach was«, sagte ich so laut, daß man es durch die ganze Wirtschaft hören konnte, und schwippte dabei wegwerfend mit den Fingern, »ach was, die Hiesigen haben trotz ihren großen Mäulern bis heute noch keinen gefressen! Die ihnen den Hals herunter sind, leben noch alle!« Es war totenstill nach diesem Satz.

Zwei Wochen hindurch setzte ich meine Abendfahrten fort, als ob nichts wäre. Zwar war ich so klug, nicht mehr auf der Hauptstraße zu kommen und zu gehen, sondern auf Umwegen. Außerdem hatte ich mir einen zünftigen Schlagring angeschafft.

Aber trotz dem Schlagring und trotz aller Vorsicht packte es mich eines Nachts doch. Da fuhr ich gegen zwölf in der Gegend der alten Ziegelei, als etwas Schwarzes, Ungeheures durch die Luft auf mich zukam. Ich sah's für den Bruchteil einer Sekunde lang, erkannte es als Gefahr und wollte noch den Kopf wegbiegen.

Zu spät!

Da hatte es mich schon! Schlag, Aufkrach, der Himmel fällt ein! Aus!

Im Spital bin ich erwacht.

Da lag ich nun, dick verbunden, und mein Hinterkopf summte, wie ein Dampfhahnen in der Färberei, der undicht ist. Bewegen konnte ich mich nicht. Reden und Fragen auch nicht.

Am Mittag, als der Doktor zur zweiten Visite kam, meinte er: »Ihr habt Glück gehabt, junger Mann. Euer Schädel ist besseres Fabrikat, als der landesübliche Durchschnitt. Aber Euer schönes Fahrrad ist ganz hin. Nicht mehr zu brauchen. Hoffentlich seid Dir jetzt um die hundertzehn Mark gescheiter, die es gekostet hat, und lauft nicht mehr jedem fremden Gerüchlein nach, mag's auch von der Anna Kirs kommen. Guckt doch die Mutter an! Glaubt Dir etwa, bei der Jungen halte die Schönheit ewig? Laßt sie erst mal ein Kind kriegen oder zwei, dann fällt all die Pracht ab und ein paar Jährlein weiter, dann ist sie genau wie die Alte!«

Ich verwünschte innerlich den Doktor und hielt seine Worte für pure Gotteslästerei. Erwidern konnte ich aber keinen Ton wegen meiner vielen Bandagen.

Nach drei Wochen konnte ich endlich heraus aus dem Verband. Aber mit der letzten Gipsbinde, die mir abgerissen wurde, war auch die Liebe zur der schönen Kronenwirtstochter dahin.

Seit dieser Zeit bin ich wenig mehr in die Schwerweiler Gegend gekommen.

Einmal aber doch, viele, viele Jahre später, als ich in Schwerweiler einen Aufenthalt hatte, ging ich in die Krone und bestellte mir wie in alten Zeiten einen Schoppen Rixheimer.

Außer mir war kein Gast da; nur die Fliegen summten in schier unglaublicher Zahl um ein klebriges Band, das von der mittleren Lampe herabhing.

Schwerfällig stand die Wirtin vom Fenster auf, an dem sie gesessen hatte, Strümpfe strickend, grauwollne, die gleichen wie damals. Sie schob die Brille in die Stirn, um besser nach mir hinsehen zu können.

Ich erschrak. War das die alte Frau Kirs? Nein, die konnte es nicht sein, die war ja längst gestorben. Was ich da vor mir sah, war die schöne Anna von ehemals, deretwegen mir ein Stein aus der Schwerweiler Ziegelei so nachdrücklich und merkbar ans Hinterhaupt gerieben worden war.

Ihre Schlankheit war verloren. Ganz rund war die Anna geworden. Der lebenskundige Doktor hatte recht behalten mit seiner Prophezeiung; die Anna war völlig der Mutter nachgeartet. Auch die Warzen waren schon da, die drei steifhaarigen!

Stampfend kam sie aus dem Keller und schob mir den Wein hin. Es war der gleiche säuerliche Rixheimer von damals. Der hatte sich nicht geändert.

Eine volle Viertelstunde brauchte ich, bis ich wenigstens die Anstandsschlucke drunten hatte, denn ich konnte den Wein doch nicht ungetrunken stehen lassen.

Die Wirtin wollte von ihrem Fensterplatz aus ein Gespräch mit mir anfangen. Es fror aber schon ab, noch ehe wir recht das schöne Wetter hinter uns hatten.

Bevor ich zahlte und ging, zog ich den Tschäpper noch tiefer ins Gesicht.

Knarrend entließ mich die Tür in die Freiheit.

Ich schnaufte die frische Luft unter den Platanen wie ein Geschenk und dankte Gott, daß mich das schönste Mädchen meiner Jugend nicht mehr erkannt hatte.


 << zurück weiter >>