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Den 29. Januar 18–
Du erhältst in der Beilage die nöthigen Briefe, um meine Angelegenheiten zu ordnen. Aengstige Dich nicht, Lieber! Es ist nothwendig, daß man streng wird gegen sich selbst. Den Brief an meinen Vater gibst Du erst ab, wenn Du definitiv den letzten von mir erhalten haben wirst. In einem Vierteljahre ist auch dies geschehen. Dann zeige Dich würdig Deiner Stellung und mache Deinem Amte Ehre, wenn es nöthig sein sollte! Mein Vater wird des Trostes bedürfen. Mich schmerzt schon jetzt sein Kummer, aber ich kann nicht anders. Dieser Gram ist unerläßlich und muß sich noch hunderttausend Mal wiederholen, wenn Europa gerettet werden soll. Die übrigen kleinen Zettel gib nach ihren verschiedenen Adressen ab. Du kannst Dir Zeit nehmen, da es nicht eilt.
Gestern ist Burton zurückgekommen von Paris. So wenig Muthlosigkeit in dem Charakter eines ächten Amerikaners liegt, so niedergeschlagen erschien mir doch dieser freie, starke Mann. Dies erst kann uns lehren, wie gewaltsam die Schwäche eines Erdtheils auch den Tüchtigsten zu erlahmen im Stande ist. Ich hatte mich über den Grund von Burton's Mismuth nicht geirrt. Ein Gespräch, das ich heut morgen mit ihm hielt, bewies mir dies. Seine Worte bestätigten jede Zeile seines Briefes.
»Machen Sie sich bereit,« sagte er zu mir, »denn wir müssen reisen, sobald als möglich. Hier breche ich in mir selbst zusammen, weil Alles gehemmt ist. Ihr habt ja nicht den Willen, glücklich zu werden. Wie könnt Ihr da leben und wirken! Nichts wundert mich mehr, als die Zähigkeit, wodurch Ihr das fröhliche Schaffen einer freien Natur manchmal klug genug zu ersetzen wißt. Für mich taugt dies nichts, auch Sie werden ohnmächtig dabei, oder zum Schurken. Sammeln Sie also, was Sie bedürfen. Wer uns begleiten will, schließe vorläufig ab mit der alten Welt. Ich habe nach Rotterdam geschrieben, wo man mir die Führung eines Schiffes anvertrauen wird. Ich erwarte nur bestimmte Antwort, um alsdann sogleich in See zu stechen.«
Unverzüglich setzte ich Auguste davon in Kenntniß. Meine eigenen Angelegenheiten sind bereits ziemlich in Ordnung gebracht. Am meisten Kummer verursacht mir Rosaliens Trauer über die Hartnäckigkeit Bardeloh's. Nochmals haben wir alle vereint ihn gebeten, er solle sich losreißen von seinem Vaterlande, das ihm ja doch nichts gibt, als Qualen und Schmerzen, aber dieser Mann hat ein Herz von kaltem Marmor, oder geht noch mit etwas Großem schwanger in seinem düstern Geiste. Bald werde ich fast daran glauben, wenn ich seine abgerissen hingeworfenen Worte zusammenstelle, sein geschäftiges, aber geheimes Thun betrachte und des häufigen Verkehrs mit dem Juden gedenke. Casimir will thun, was ihm einfallen wird, Eduard kann nicht ohne Bardeloh's Einwilligung fortgebracht werden, und Friedrich ist so eng an Mardochai gekettet, daß es grausam wäre, ihn aus dem gewohnten Kreise herauszureißen. So muß ich beinahe völlig unthätig dem Zufall Alles anheim stellen.
Die Aufmerksamkeit der Bewohner richtet sich jetzt übrigens ausschließlich auf den nahe bevorstehenden Carneval. Bardeloh hat, wie gewöhnlich, bei den Anordnungen der Festlichkeiten eine Charge und betreibt diese Spielereien mit einer seltsamen Ernsthaftigkeit. Mehre angesehene Männer kommen zu ihm, um sich über Dies und Jenes zu besprechen, Bardeloh gibt Rath, thut Vorschläge und befiehlt doch eigentlich, wie immer. Seiner besondern Aufsicht ist der große Saal in dem alterthümlichen Kaufhause anvertraut, der Dir gewiß bekannte Gürzenich. Letzthin forderte mich Richard auf, ihn dahin zu begleiten. Auch Felix durfte mitgehen. Der Saal ist nichts weniger, als schön, aber geräumig und interessant durch seine Bauart. Die Säulen, auf denen das mächtige Gewölbe ruht, stellen Champagnergläser vor, aus denen statt des Schaumes wunderliche Carikaturen hervorquellen. Bardeloh läßt nun Alles geschmackvoll drappiren, die ringsum laufende Galerie mit Devisen lustig verzieren, die in Räthselform abgefaßt sind. Ueber den Inhalt hat er mir noch nichts gesagt, gewiß aber ist er nicht ohne tiefere Bedeutung. Sein höhnisches Lächeln verrieth es mir.
Das Fest in diesem Saale, der wol einige tausend Menschen faßt, soll großartig sein und einem wahrhaftigen Volksfeste nahe kommen. Der Carnevalsjubel schließt allemal in dieser alterthümlichen Halle, und da es jeder Maske erlaubt ist, zu treiben, wozu Lust und Laune sie aufreizen, so mangelt es selten an freien Scherzen, zu denen das so beengte Leben sonst sich nicht oft erheben kann.
Ein großer Maskenzug soll das Fest eröffnen, und wie ich höre, ist für dieses Jahr Bardeloh's geräumige Wohnung zum Sammelplatz bestimmt worden. Daraus kann ich mir die vielen Maskenanzüge erklären, aber noch nicht das Heimlichthun meines Gastfreundes, der mir immer vorkommt, als handele es sich noch um etwas ganz Besonderes. Mein Gott, was läßt sich denn viel aus einer Maskerade bilden, und noch dazu bei uns, in unserm lieben Deutschland! Nun, Gott besser's!
Ein paar Tage vor dem Carneval soll eine große Feierlichkeit, ich glaube eine Firmelung, im Dome gehalten werden. Auf diese kirchliche Feier freue ich mich mehr, als auf den Fastnachtsspectakel. Wohl erinnere ich mich, früher einmal als Knabe einer Firmelung beigewohnt zu haben, aber damals wußte ich weder den tieferen Sinn dieses Sacraments zu erfassen, noch den Gedanken eine Richtung in die Zukunft der Geschichte zu geben. Beides wird diesmal nicht schwer sein, um so mehr, als es wol der letzte Act kirchlicher Weihe sein möchte, dem ich in Europa beiwohne. – Wie sonderbar mir doch bei dem Gedanken an die nahe Abreise mein ganzes bisheriges Leben erscheint! Mir ist nicht anders, als finge ich jetzt erst an, in die Welt zu schauen und den Tag zu begreifen mit seinen tausend widersprechenden Wünschen. Scheiden ist schwer, ich fühl' es, und für einen Deutschen immer ein halbes Sterben. Aber die Hoffnung hält mich aufrecht, und aus dem Saum der Zukunft, der kaum erkennbar hereinflattert in die Gegenwart, bilde ich für den neuen Körper meines unbekannten Lebens auch ein ihm angemessenes Kleid zurecht. Ich will glücklich sein, wenn ich das Unglück meines armen Mutterlandes unbehindert werde erzählen können den Völkern der Zukunft! –
Den 31. Januar.
Ein unerwarteter Zufall hat mich tief bewegt. Aus ihm kann ich lernen, wie oft wir die Handlungen der Menschen falsch beurteilen, weil uns die Beweggründe derselben nicht bekannt sind. In Ländern, wo die Einfachheit allgemeine Sitte ist, geschieht dies freilich weniger, aber bei uns, die wir ja fast einzig und allein nur im Künstlichen noch bestehen können, ereignet sich ein so bedauernswerther Fall fast täglich. Darum fort, fort! Ich will nicht verschmachten in erkältender Dämmerung, in der Atmosphäre eines gesinnungslosen Geräusches, das man fälschlich für Leben hält! –
Träumerisch, wie dies oft einem europäischen Menschen geschieht, war ich hinausgegangen am Rhein. Der Wind wehte scharf von Holland herauf, Schneeflocken schwankten zitternd und glänzend in der Luft. Der Rhein trieb einzelne dünne Eisschollen, zum ersten Male in diesem Winter. Mein Geist war in Amerika, die Zukunft bog sich herein in meine Brust und steckte einen schönen, warmen Lebenshimmel über dem zusammenbrechenden alten auf. Ich hatte die Rheinbrücke überschritten und mich in den kahlen Alleen von Bellevue verloren. Vor mir sah ich auf einer der höher gelegenen Terrassen eine dunkle Gestalt hin und her schwanken. Ich hielt es für Täuschung und kümmerte mich nicht weiter darum. Die nächsten Tage ängstigten mich, Bardeloh's geheimes Walten ergriff wie Fieberhitze mein ganzes Wesen, ich glühte, fing an murmelnd zu phantasiren und fühlte mich recht elend. Da hörte ich einen tief gezogenen Seufzer in meiner Nähe. Die Dunkelheit ist geneigt, durch jeden ungewohnten Laut unser Nervensystem in eine zitternde Bewegung zu versetzen. Meine Gedanken flohen wie schüchterne Rehe in das Dunkel ihrer Wohnstätte, ich lauschte aufmerksam und gewahrte, den Rücken mir zugekehrt, auf einer Bank der obersten Terrasse einen Mann sitzen. Gestalt, Haltung und Kleid ließen mich Mardochai erkennen. Die Wolken enthüllten auf einige Zeit die wankende Sichel des Mondes, ein heller Strahl fiel auf des Juden bleiches Gesicht – ich glaubte eine tiefe Bewegung darauf zu lesen.
Neugier und eine Art Theilnahme, die fast an Freundschaft grenzte, so wenig ich mir dies selbst gestehen mochte, trieben mich an, dem Räthselhaften näher zu treten. Eine Zeit lang bemerkte er mich nicht – dumpf vor sich hin murmelte er Worte, und Seufzer, die mir gleich unerklärbar blieben, stiegen schwer aus der beengten Brust. Ein Geräusch, das ich absichtlich machte, verkündigte ihm meine Anwesenheit.
»So allein?« fragte er, die Maske der Gleichgiltigkeit mit gewohnter Verstellungskunst seinen Mienen anlegend.
»Allein, wie Sie,« versetzte ich. »Unruhe macht menschenscheu, Unglück träumerisch. Deutschland ist so träumerisch geworden, weil es so lange nach dem Glücke rang.«
»Das ist eine sehr trügerische Psychologie der Länder, die Sie da zum Besten geben,« erwiederte Mardochai, stand auf und ergriff meinen Arm. »Wäre Völkerunglück wirklich geeignet, Träume zu erzeugen, so müßte mein Volk am meisten daran leiden. Und das werden Sie doch wol nicht behaupten wollen?«
»Ich würde es, hielt Ihr Volk die Rache, der Haß und andere Leidenschaften nicht von dem träumerischen Wesen zurück. Ich habe auch schon träumerische Israeliten gekannt.«
»Sie wollen mich foppen,« sagte Mardochai, »ich verstehe. Begleiten Sie mich; grade heut könnte es gut sein, wenn wir uns etwas tiefer gegenseitig in's Herz blickten. Es ist schade, daß Sie Christ sind.«
»Nicht mehr, als daß Sie Jude bleiben,« entgegnete ich und drückte krampfhaft die Hand meines Begleiters.
»Auch möglich, sehr möglich! Doch können Sie jetzt eben die Sonne scheinen lassen?«
»Warum?«
»Nun, stände dies in Ihrer Macht, so würde ich wol auch ein Christ sein dürfen.«
Der ganze Starrsinn dieses grübelnden Mannes sprach sich in dieser Antwort aus. Wir gingen schweigend nebeneinander her über die Brücke nach Köln hinüber. Am Rheinberge wollte ich mich von dem Juden trennen.
»Sind Sie so eilig?« fragte er mich mit einer Stimme, die fast liebevoll bewegt klang. – Ich zauderte einen Augenblick, meine Hand ruhte in der seinen. Mardochai ging fort und zog mich fast willenlos mit sich. »Begleiten Sie mich in mein Haus,« sprach er in demselben Tone, »es wäre mir peinlich, wenn grade Sie einen falschen Begriff von mir festhielten. Ich bin nicht Alles, was ich scheine.«
Ohne zu antworten, folgte ich der Einladung. Mardochai führte mich in das längst bekannte Zimmer. Sara war nirgends zu sehen, überall tiefe Stille. Der Prunk war verschwunden, an die Stelle des orientalischen Luxus war abendländische Nüchternheit getreten. Es befanden sich Kisten und Ballen auch in diesem Zimmer, mit einer unzähligen Menge von Kleinodien bedeckt, wie die katholische Kirchenandacht sie um wenige Kreuzer an allen Straßenecken und sehr oft auch in den Hallen ihrer Tempel selbst verkauft.
Dieser Anblick weckte meinen Stolz, mein Selbstvertrauen. Ich stieß unwillig die Hand des Juden von mir und blieb mit finstrer Stirn unter dem Krame stehen.
»Nun ja,« sagte Mardochai achselzuckend und seufzend, indem er auf einem einfachen Sessel Platz nahm und mir ein gleiches Möbel zurecht stellte, »so seid Ihr Christen alle, und doch verlangt Ihr, es solle besser werden! Die alten Versündigungen, die wir uns gegenseitig nicht vorzuwerfen, sondern zu verzeihen haben, sollen vergeben und vergessen sein!«
»Juda's Stamm will es nicht,« fiel ich ein, »selbst wenn die Christen große Opfer dafür bringen.«
»Mich wundert's, ein solches Wort aus Ihrem Munde zu hören,« gegenredete Mardochai, »nicht weil mir diese Bemerkung neu ist, sondern weil Sie ein Heuchler sind. Ihr Herz schlägt anders, als Ihre Zunge. Jenes tönt Nachtigallmelodieen und diese zwitschert wie ein dummer Staar.«
»Mein Herr,« fiel ich entrüstet dem Juden in's Wort, »Sie erlauben sich Redensarten, die –«
»Ihnen das Blut zu Kopfe steigen lassen,« ergänzte Mardochai. »Sehr richtig, und das bezwecke ich grade. Bald werde ich mir noch ganz andere Dinge erlauben, damit Ihren Brüdern Zorn und Schamröthe zugleich das Blut in's Gesicht jagen. Anders kann man nicht mehr Eindruck machen und Gutes stiften. – Indessen lassen wir das. Ich will Ihnen nur einige Neuigkeiten theils zeigen, theils erzählen.«
Ein Wandschrank öffnete sich unter dem Druck seiner Hand. Mardochai nahm die silbergestickte, feine und weißschimmernde Thalis aus der Vertiefung, wickelte sie auf und ließ einige Papierrollen daraus zu Boden fallen. »Betrachten Sie diese Schriften,« sagte er ruhig zu mir, indem er das Zeichen der Andacht leise mit den Lippen berührte und sorgfältig wieder im Schranke verwahrte.
Aufmerksam betrachtete ich die Rollen. Es waren mit vielem Geist und Scharfsinn verfaßte Petitionen an verschiedene Regierungen, in denen auf eine eben so einfache, als bescheidene Art und Weise die Gründe für die Nothwendigkeit einer baldigen Emancipation der Juden aus einander gesetzt wurden. Diesen beigefügt waren die abschlägigen Antworten darauf. »Und wozu zeigen Sie mir diese Schriften?« fragte ich. »Es ist allgemein bekannt, daß nicht allein die Regierungen, sondern auch die Völker auf diese Vorschläge nicht eingehen können.«
»Sagen Sie lieber: nicht eingehen wollen,« erwiederte Mardochai. »Allein davon abgesehen,« fuhr er fort, »was, glauben Sie, muß ein Volk thun, das ohne Vaterland, ohne Staatsverfassung, zerstreut auf der ganzen Erde umherirrt, und dem es nicht nur Sache der Existenz, sondern auch des Herzens ist, sich ein Vaterland zu erringen, wenn ihm jeder Weg vermauert wird, der es zu einem solchen Besitzthum führen könnte?«
»Die Antwort ist sehr einfach,« sprach ich, obwol mit Zagen und nicht aus voller Ueberzeugung, »dieser Stamm muß Theil der Völker werden durch den Uebertritt zur Religion dieser Völker.«
»Wären Sie nicht zu verständig, um die Albernheit Ihrer Behauptung selbst einzusehen, so würde ich Sie thöricht schimpfen,« versetzte mit Lächeln der Jude. »Angenommen indeß, Ihre Aeußerung sei Ihnen auch Ueberzeugung, so vernehmen Sie meine Erwiederung darauf.« – Mardochai rollte die Papiere wieder zusammen und legte sie vor sich auf eine der Kisten.
»Ihr Christen werft den Brüdern meines Stammes vor, sie hingen zu fest und innig an einander, um ihnen durch eine Gestattung gleicher bürgerlicher Rechte einen Vortheil zu gewähren über die minder einige Brüderschaft der Christen. Diese Folgerung ist richtig, doch wahrlich nicht eben sehr ehrenwerth für Euch. Spüren wir nun dem Grunde dieser Erscheinung nach, ganz unbefangen, ohne Bitterkeit. – Der Jude ist seit Jahrhunderten gedrückt, gepeinigt, gehöhnt worden von den Christen und hatte dieser gräßlichen Qual nichts entgegenzusetzen, als den Stolz der Ausdauer, den Muth einer erheuchelten Demuth, geschminkt mit dem Herzblut des furchtbarsten Hasses. Consequenz ward des Juden Religion, das Bewußtsein, listiger zu sein als menschlich, entwürdigte ihn öffentlich vor dem Auge der Welt, ehrte ihn aber doch in der Tiefe seiner Seele. Der Adel einer Rache, deren Ausführung abzweckt auf Befreiung aus den himmelschreiendsten geistigen Fesseln, wird nur von großen Herzen gefühlt, von tiefen Geistern begriffen. Die Juden erduldeten Alles, um damit jene Sünde abzubüßen, die sie meinethalben begangen haben mögen durch die Kreuzigung des Gottmenschen. Ich will und mag darüber nicht sprechen, es sind achtzehnhundert Jahre vergangen, und gäbe es einen Gott, der so lange strafen könnte – wahrlich, so wie ich dies mein Kleid hier zerreiße, so vernichtete ich den Gedanken in mir an diesen Gott! Mit den Seelenschmerzen eines Volks darf auch ein durch Irrthum einmal verhöhnter Gott nicht Wucher treiben! –
»Sagen Sie nicht etwa, die Christen hätten den Juden irgend etwas geschenkt für jenen Frevel an ihrem Gott. Die Juden haben hohe Zinsen dafür gezahlt. Die Zeiten, sagt man, sind milder geworden, der Haß ist verjährt, die Gerechtigkeit der Weltgeschichte verlangt eine Ausgleichung. Sehr wol, ich bin es zufrieden. Die Edelsten von Euch sind geneigt, den Juden zu gestatten, was der Mensch fordern muß, wenn er sich selbst als Mensch achten will, aber Millionen schreien Wehe! wie ehemals der Wahnsinnige auf den Mauern Jerusalems. Woher erschallt dieses entsetzliche Wehe? Aus der ledernen Kehle eurer Geldbeutel! – O, erschrecken Sie nicht, ich will blos verständlich sprechen! Der verachtete Stamm Juda's bittet um Ertheilung der Menschenrechte, in soweit diese von den Christen selbst besessen werden. Er stellt diese Bitte im Gefühl seines religiösen Schmerzes, nicht aus Eigennutz. Die Christen aber bringen nicht jene Wehmuth in Anschlag; sie berechnen nur den Zinsfuß, betrachten die Börsenlisten und vergleichen genau den Stand der Metallique's, der Staatsschuldenscheine, des goldenen Kalbes, um das die Welt in wilden Sprüngen tanzt. – Sein Sie gerecht, Sigismund, und urtheilen Sie selbst, wer hier edler verfährt! – Ich will meine Stammesbrüder nicht vertheidigen. Es ist ein schmutziges, feiges, oft nichtswürdiges Gesindel, aber nach der Ursache dieser Erniedrigung spähe ich gern umher, und ich finde sie in den Verwünschungen, die man über Israel's Kinder aussprach.
»Gehen Sie noch einen Schritt weiter mit mir. Viele von Ihnen fühlen, daß es grausam ist, den Edlen unsers Stammes eine Emancipation gänzlich abzuschlagen. Man will mild sein und läßt Gnade für Recht ergehen, etwa wie der gerechte Fürst einen zum Tode Verurtheilten mit lebenslänglichem Kerker beschenkt – man schlägt vor, uns zum Theil zu emancipiren! – Ich hätte ein solch nüchternes, unedles Spiel den christlichen Völkern nicht zugetraut. Diese Gnade ist entsetzlicher, als die grausamste Ungerechtigkeit! – Andere sagen: werdet Christen und Ihr seid gleich den Geringsten unter uns! Wiederum sehr wahr; doch bedenkt man nicht, daß eine Religion, die sich so lange aus ihren Schmerzen Trost gesogen hat, etwas Hochheiliges in sich bewahren muß, wenn man auch nicht Rücksicht nehmen wollte auf die Lieblosigkeit einer derartigen Forderung, noch dazu von Völkern, deren ganzer Glaube nur auf Liebe gegründet sein soll.«
Mardochai schien ergriffen, er legte die Hand an seine Stirn und verdeckte eine kleine Weile sein Gesicht mit dem dunklen Talar. Ich betrachtete den trauernden und doch so stolzen Mann, Mitleid und Furcht bewegten mich gleich stark.
»Warum aber,« fiel ich ein, »warum wollen Sie nicht, eingedenk Ihres ersten Frevels, auch einen entgegenkommenden Schritt thun? Können Sie nicht Beruhigung und Trost finden selbst für tausendjährigen Kummer in der Religion der Liebe?«
Langsam enthüllte Mardochai sein Antlitz. Das schwarze Gewand sank nieder, wie Lavaasche, unter der hervorleuchtet der glühende Kegel eines feuerflammenden Gebirges. Mardochai's Antlitz schien Funken zu sprühen, noch nie hatte ich die erhabene Herrlichkeit des Zornes in so göttlicher Schönheit bewundern können.
»Und Sie wagen es, ein solches Wort auszusprechen?« flüsterte mit zornbewegter Zunge der geheimnißvolle Jude. »Sigismund,« fuhr er fort und stand auf, »seht, das ist es, was mich von Euch und Eurer Religion zurückschreckt. Wäret Ihr Christen so einig, so ganz, so im Hasse verbunden, so liebebegeistert einig, Ihr könntet nie eine ähnliche Frage thun! Aber Ihr prahlt mehr mit dem hohen Geschenk des erbarmenden Gottes, als Ihr es achtet. Ihr pocht auf Euer Vorrecht, das Ihr ohne Mühe gewonnen habt durch den Zufall der Geburt, wir Juden aber lieben und ehren unsern Glauben, obwol er nur Schmach und Verachtung über uns gebracht! Wer ist der Größere?«
»Stolz und Hartnäckigkeit ist nicht Größe,« fiel ich beschämt ein, ohne es merken zu lassen.
»Freilich nicht,« sagte Mardochai, »dennoch finde ich mehr Adel in diesem Stolz, der sich stützt auf Glaubensmysterien, als in jener kleinlichen Neckerei, die wie ein ungezogenes Kind blos den Willen behalten will, ohne auf die Heiligkeit der Weigerung zu achten, die uns abhält, Gebrauch zu machen von den gethanen Vorschlägen.«
»Mardochai,« unterbrach ich den Redenden, »ich weiß Ihre Gründe zu ehren, darum verlange ich auch von Ihnen Gerechtigkeit. Ihre Glaubensgenossen sind größtentheils eben so blöd und kurzsichtig, als die meinigen, nur den pecuniären Gewinn mögen sie schlauer zu handhaben verstehen. Der gemeine Jude ist hartnäckig aus Gemeinheit, und wol auch tief wurzelndem Hasse, wie der gemeine Christ. Es können also bei der Emancipationsfrage nur die Edlen zu Rathe gezogen werden. Nun denn, so verlange ich von dem hochgebildeten Juden, daß er Christ werde, um dadurch die Emancipation factisch befördern zu helfen und seine minder gebildeten Glaubensbrüder zu ähnlichen Schritten zu veranlassen.«
Du wirst den Kopf schütteln über diese Worte, die Du mit meinen sonstigen Ansichten wol schwerlich in Einklang bringen möchtest. Und daran thust Du recht. Ich war nicht ehrlich, während ich so sprach, aber ich wollte den Juden zwingen, sich ganz vor mir zu enthüllen, und ihn durch Opposition zu Geständnissen bewegen, die sonst wol schwerlich über seine Lippen gekommen wären. Meine Absicht wurde zum größten Theile erreicht.
»Auf diesen Vorschlag,« sprach Mardochai, »sage ich blos, daß ich ihn unmoralisch finde und deshalb verwerflich. Der Führer darf seine ihm anvertraute Heerde nicht verlassen. Das wissen Sie eben so gut, als ich. Unsere Glaubensbrüder würden uns nicht folgen, sondern uns blos strafen mit Verachtung. Ihre Hartnäckigkeit aber würde wachsen und die Fessel der Satzungen alle Herrlichkeit, allen tieferen Geist in ihnen vollends erdrücken. Die Sache ließe sich einfacher lösen und naturgemäßer. Wollt Ihr Christen uns wirklich betrachten als einen Volksstamm, der Euch nachsteht an innerer Civilisation, gut, thut es! Doch zeigt Euch dabei als liebende Christen, und seid als solche Menschen! Drückt dem Philisterthum, der Kleinigkeitssucht, der Pedanterei, die Augen zu, setzt Euch selbst der Gefahr aus, reell übervortheilt zu werden von der Schlauheit unseres Stammes, die Folge einer in Schmutz entstandenen Entsittlichung ist. Es wird Euch Ehre bringen und Früchte. Emancipirt uns und Ihr macht alle Juden dadurch allein schon reif zum Christenthume. Indem Ihr den Juden gleiche Interessen einflößt mit Euch, kettet Ihr sie an Euch, der Haß verliert sich, schlägt um in Liebe, die Macht der Satzung fällt, weil sie keinen Haltpunkt mehr hat in der früheren Abgeschlossenheit, und wenige Jahrhunderte werden genügen, die Juden zur Taufe eilen zu sehen, jetzt nicht mehr aus weltlichen Rücksichten und blos zum Schein, sondern aus innerm Herzensdrange! – Und warum ist man nicht darauf eingegangen? Warum hat Niemand den Schmerz empfinden wollen, den ich als ein Kind dieses unglücklichen Volkes fühle und auszusprechen wagte, um es zu retten? Glaubt man uns durch die Verweigerung einer nur menschlichen Forderung zu zwingen? O, der Schmerz ist allmächtig, wie die Rache! Er ist das Samenkorn der Rache, das aufschießt aus ihm und noch grauenhafte Früchte tragen wird! – Sigismund, ich that Alles für mein Volk; ich war ruhig, ich war ein Knecht, ich bat, ich flehte, ich kroch mit zitternder, angstgebrochener Lippe von Thron zu Thron und berührte den Purpursaum der Majestät, das Hoffnungsroth für mein Volk – aber ich fand kein Gehör, keine Erwiederung meines bittenden Schmerzes! – Da ging ich heim in meine Kammer und zog zu Rathe den Geist, der sich nährte im Giftschaum jener Leiden, die Jahrtausende lang der Uebermuth der Christen über uns verhängte. Ich ging zu Rathe, sage ich, mit Blut und Fluch und Tod, mit den Seufzern, begraben in den Höhlen der Folterkammern, verpuppt im trüben Gespinnst, das sich ansetzt an den ekelfeuchten Wänden der Kerker. In diesen Nestern, wo der Schmerz meines Stammes vergeblich sich versteckte, fand ich die Nothwendigkeit, gewaltsame Schritte zu thun, um Gerechtigkeit zu erlangen noch während meines Lebens. Fünfzehn Jahre und drüber blätterte ich in den Anhängseln der Weltgeschichte herum, um mir Gewißheit zu verschaffen über das, was wir gelitten haben. Mein Muth wuchs mit meinem Zorne. Ich ward zum Lästerer für das Heil meiner Brüder; ich sündigte furchtbar vor dem Herrn, ich ward ein Verworfener für die zukünftige Emancipation der Juden.« –
Mardochai hatte die letzten Sätze mit strafendem Prophetenfeuer gesprochen. Jetzt schien eine Wehmuth über ihn zu kommen, vor der sich selbst der Stolz und die Kraft seiner irdischen Bestimmung auf kurze Momente zurückziehen mußte. Gesammelt erfaßte er meine Hand.
»Letzthin,« fuhr er fort, »führte ich Sie mit Ihrem damaligen Begleiter in ein Gemach, wo Liebe und Haß sich stritten um den Vorrang. Damals haben Sie mir geflucht, ich weiß es; jetzt erinnere ich Sie nochmals daran und frage zugleich, ob Sie nunmehr Gleichmuth's, Casimir's, Friedrich's Lebenswege begreifen?« –
Er schwieg, sein dunkles Auge ruhte forschend auf mir, mit der weißen Hand spielte er mit dem schimmernden lang herabwallenden Barte. »Entsetzlicher!« rief ich aus, »Deine Sünden waren gräßlicher als Deine edlen Absichten, durch die jene hervorgerufen wurden.«
»Das ist ein Irrthum,« versetzte Mardochai, »und ich glaube nicht daran. Wären Sie ein Jude, hätten Sie, wie ich, sich bemüht um das Recht, Mensch sein zu dürfen bei dem Bewußtsein, es mehr als hunderttausend Andere zu verdienen, und hätte mit der Bitte sich jede erdenkliche That schüchtern, aber doch sicher vereinigt; so würden Sie nach jeder neuen zerschlagenen Hoffnung auch wie ich rachedüster umhergeschlichen sein auf dieser Erde. Ich nährte meinen gerechten Ingrimm mit altem Schmerzensweine. Ich trank zu viel davon, ich ward halb wüthend, und in dieser Halbraserei des zürnenden, gemißhandelten Menschen that ich, was Sie wissen! – In meiner Rache wirkte ich liebend für die Zukunft meiner Brüder. Ich schacherte mit des Christenthums Geist für die Befreiung Juda's aus seiner Sklaverei. Meine Rache verschaffte mir die Mittel und meine Liebe weiß sie zu nützen für einen Zweck, den nur die Zukunft der Geschichte begreifen wird!« –
»Mardochai,« rief ich aus, als die Scheu vor dem Geständnisse ihn in sich selbst erbeben machte, »Mardochai, hören Sie auf, der richtenden Geschichte vorzugreifen! Es ist schon zu viel gefrevelt worden, und nimmer kann der Friede ihre Schritte begleiten!«
»Friede!« wiederholte grollend der Jude. » Den suche ich nicht, den mag ich auch nicht. Mein Amt ist die Vorbereitung der Erlösung meiner verachteten Brüder. Darum ward ich ein gemeiner Schacherjude und verkehrte mit dem Auswurf der Menschheit, ohne nach ihrem Bekenntniß zu fragen. Erst, wenn ich errungen habe, was ich bezwecke, will ich rasten, und das Uebrige der Langsamkeit des Ewigen überlassen.«
»Ich sollte meinen, Sie wären längst am Ziele,« versetzte ich, weil ich noch ein Geheimniß enthüllen zu können glaubte.
»Noch nicht, doch bald.«
»Lassen Sie ab! rief ich halb bittend, halb befehlend, und erfaßte Mardochai's beide Hände. »Genüge es Ihnen, daß Sie zwei Christen elend gemacht haben durch Ihre Rache und einen bewegen, Sie zu bitten, wie ich.«
»Sie sind kein Christ im Sinne jener,« sagte er kalt und entzog mir seine Hände. »Ueberdies lasse ich mich nie von Andern bestimmen.« – Wir standen uns wie zwei Todfeinde gegenüber, die beide die Tapferkeit, den Muth, den Stolz der Gesinnung im Andern achten.
»Finden Sie Befriedigung in Ihrem Cultus?« fragte dumpf Mardochai.
»Mein Leben gibt Ihnen Antwort.«
»Warum sagen Sie sich nicht los von der Gemeinschaft, offen, entschieden?«
»Die Gründe liegen in Ihrem eigenen Festhalten an Moses Lehre.«
»Nur zum Theil,« sagte der Jude, »denn unser Bekenntniß ist schön in seinen Irrthümern, das Ihrige aber sollte ganz davon frei sein. Sie alle fühlen dies, wagen aber kein Wort darüber auszusprechen. Die Feigheit macht Sie zu Tyrannen, ungerecht, sclavisch, gotteslästerlich, irreligiös, zu Feinden der Freiheit des Gedankens, zum Henker desselben Gottes, den Sie anzubeten vorgeben! Wie glauben Sie diesem grauenhaften Unfuge steuern zu können?«
Ich zuckte die Achseln. »Hoffnung, die Zukunft, – Geduld. –«
»Nein,« schrie Mardochai mit einer Stimme, die noch jetzt in meiner tiefsten Seele fortwimmert, »nur eine That kann helfen und zwar – eine recht grauenhafte! Euch muß man höhnen! Gott muß sich von Euch abwenden, die Wolken müssen wie ein sprudelnder Giftschaum des empörten Himmels über Eure Häupter hinstreifen, sonst seid Ihr nicht zu retten! Hohn aber wird Euch wieder aufrütteln und lehren, daß Ihr nichts besitzt, als die schalste, dümmste Ergebenheit. Was ist das hier?«
Mardochai hatte eine Schnur ergriffen, die jenen Vorhang zusammenhielt, hinter dem ich zuerst Sara in den reizendsten Stellungen einer Odaliske, nur umflossen vom Zauber der Unschuld, erblickt hatte. Der Vorhang fiel auseinander. Die Maske eines lebensgroßen Christuskopfes mit wunderbarer Geschicklichkeit auf in Wachs getränkte Seide gemalt, ward sichtbar. Sie verdeckte die Büste, die ich schon früher bemerkt hatte, und ward von starken, seidenen Schnüren an derselben festgehalten. Erstaunt sah ich den Juden an. »Was soll Ihnen dies?« fragte ich.
»Mich aufrecht halten und Euch Christen zu der Ueberzeugung bringen, daß ihr wirklich sehr mühselig seid und an dieser Krankheit hinsiechen werdet, könnt Ihr Schein von Wahrheit nicht unterscheiden.«
Der Vorhang fiel wieder zusammen, ich sank auf den Stuhl zurück und verdeckte mein Gesicht. Ich war nicht im Stande, Mardochai's Worte zu deuten. Der Jude überließ mich meinen schmerzlichen Gedanken, ich hörte ihn langsam auf und nieder durch das Zimmer schreiten. Draußen an der Thür vernahm ich ein Schlürfen, als entferne sich Jemand behutsam. Auch ein gewaltsam unterdrücktes Lachen glaubte ich zu hören. Der Jude achtete nicht darauf. –
Es mochte wol eine Viertelstunde vergangen sein, die uns beiderseits mit dem Belauschen unserer verborgensten Gedanken beschäftigte, als Mardochai's Hand sich kalt an meine Stirn legte. Unwillkürlich fuhr ich zusammen. »Gehen Sie,« redete er mich an, »unser gegenwärtiges Zusammensein muß Ihnen genügen können, um mich zu begreifen. Sie haben die Wahrheit gehört, es drängen sich keine schwülstigen Geheimnisse mehr zwischen unsere Herzen. Was auch noch geschehen mag, bevor Sie Europa fliehen wollen, ich hoffe von Ihnen auf eine gerechte Beurtheilung. Die Zeit ist unsere Mutter; da sie aber klirrend in hundert Ketten einhergeht, so rasseln auch wir mit diesem Geschmeide. Wer sich am wildesten schüttelt, der ist der lustigste Gaukler. – Das bedenken Sie, dann entgehen Sie der Misdeutung Ihres eigenen Herzens.«
Als ich, überwältigt von dem außerordentlichen Gemisch von Edelmuth, Hochsinn und zügelloser Rachsucht in diesem Charakter den Juden verließ, sah ich von der Hausthür eine Gestalt hinweg schlüpfen und mit schnellen Schritten in den Straßen der Stadt verschwinden. Ich hielt den Schatten für Friedrich und hatte kein Arg. In Bardeloh's Hause war Alles ruhig, mein Gastfreund schien noch beschäftigt. Erschüttert, von den widersprechendsten Gedanken geängstigt, verlebte ich die Nacht und war froh, als die späte Morgensonne wieder Licht in das Dunkel meiner Seele goß.
Wider alles Erwarten überraschte mich am frühen Morgen Casimir durch einen Besuch. Diese Ehre war mir noch nie wiederfahren. Es mußte eine eigene Bewandniß haben, wenn Casimir sich die Mühe nahm, irgend Jemand ohne zehnmalige Aufforderung zu besuchen. Er sah überwacht, zerrissen aus. Seine Augen glühten und waren entzündet. Ohne Complimente trat er vor mich hin und sprach:
»Was thut ein Mensch, wenn ihn ein toller Hund gebissen hat?«
»So viel ich gehört habe, soll er meistentheils in die Hundswuth verfallen.«
»Das heißt kurz und bündig, dieser Gottheitsharnisch, Kopf genannt, findet es billig, sein Inneres mit Bestialitäten auszustopfen, und das Blut kochen und glühen zu lassen, bis der ganze Plunder zum Vieh wird. Rasen und Toben sind keine menschenwidrigen Dinge.«
»Man erlebt's wenigstens oft genug,« warf ich ein, verwundert über dieses Gesprächsthema.
»Das Beißen ist einem hundstollen Menschen doch auch erlaubt?« fragte Casimir.
»Wenn einer die Jacke der Vernunftlosigkeit anzieht, lieber Casimir,« versetzte ich, »so finde ich es sehr praktisch, daß er consequent die Rolle durchführt, die er nun einmal übernommen hat.«
»So denk' ich auch, und das ist gut! Wie denn aber, kann ein hundstoller Kerl nicht auch beißen, zerknirschen und zermalmen, wen er will? Oder darf er sich just nur an das bissige Beest wenden, dem er die Toll-Virtuosität zu verdanken hat?«
Mich begann diese hundstolle Verhandlung zu ergötzen. »Casimir,« sagte ich, »meines Erachtens darf sich ein genialer Rasender ganz und gar nicht geniren, ich wenigstens würde mich jedem Gelüst hingeben, und zerbeißen, zermalmen und zerknirschen, was mir eben in den Weg käme. Das finde ich gentil gehandelt von einem Tollen. Ich halte ein solches Gebahren für das vollendetste Dandyleben eines Hundstollen.«
»Gut,« erwiederte Casimir, »das wollte ich nur wissen. Nun wundere Dich aber nicht, wenn die Tollwuth recht bald ganz genialiter sich gebehrden wird. Ich bin hundstoll und habe sehr viel zu zerbeißen. Fleisch und Knochen, Haut und Haar. 's wird sich ein höllisches Gequick erheben. – Kerl mit den genialen Ohren, Du solltest mein Obersattelmeister werden bei dem Ritte, den ich mir jetzt eben bestellt habe, wäre die Natur nicht eifersüchtig.«
Lachend verließ er mich nach diesem unverständlichen Kauderwelsch, in das ich jetzt noch keinen Sinn zu bringen weiß. Es muß ihm irgend etwas Bitteres begegnet sein, der Himmel mag wissen, durch welchen Zufall! Uebrigens zeigt er sich seit dieser Stunde ernsthafter und gemessener als früher. Er bleibt auf seinem »königlichen Götterstalle,« wie er sein Zimmer nennt, arbeitet nach seiner Weise fleißig und geht nur Abends auf wenige Minuten aus, um dreimal um den Dom zu laufen. Dies thut er meist im Schlafrocke, ohne sich im geringsten zu geniren, ohne Hut, oft auch ohne Stiefel oder Schuhe. Die Nacht über schreibt er wieder, oder spielt das Geschriebene, es laut declamirend, sich selber vor. Bardeloh sagte mir erst heute, daß er höre, wie er sich seines Talentes freue. »Einen Mimen wie mich,« hat er letzthin gesprochen, »knetete noch keine Zeit zurecht. Ich würde Deutschlands Bühne retten, wollte man mich nur spielen lassen, wie der Geist meiner Arbeiten es mit sich bringt.«
Darin will ich ihm Recht geben, der Geist seiner Arbeiten bringt es aber mit sich, daß ein Schauspieler von gewöhnlichem Talent eben gar nichts mit einer solchen Rolle anzufangen weiß. –
Lege nun auch diese neuen Mittheilungen liebend zu den frühern. Bald wird sich die Reihe derselben schließen und Du alsdann zurücksinken in den alten Frieden, der Dich beschirmte, ehe die Leidenschaftlichkeit meiner Natur den schimmernden Nebelschleier zerriß. Mein nächster Brief soll wieder Deinem Bruder angehören; ich selbst bin begierig, wie der Stoff dazu sich gestalten wird, ob glückverheißend oder unglückdrohend. Diesen Kuß Deinem Herzen, das ich zu schätzen weiß, selbst wenn seine Schläge nicht die Pulse des meinigen zu zählen vermögen. Ich bitte nur um stille Duldung, eine laute würde ich zurückweisen, weil ich selbst öffentlich nichts weniger als mild und nachgiebig auftreten mag. –