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Köln, im September.
Durch Raimund wirst Du meine Erlebnisse vom vergangenen Monat erfahren haben. Sie werden Dich, wie ich hoffe, ergreifen, aber nicht ungerecht stimmen gegen Welt und Menschen. Um zu erkennen, wie unerforschlich die Weisheit der Vorsehung ist, muß man Kleines und Großes zusammenfassen, die Lücken ausfüllen mit Ergänzungen, die erst oft die Zukunft spendet, und so weit dies Menschen erreichbar ist, von so humaner Gesinnung sein, wie Gott selbst. Oft wünschte ich mir eine Professur der Weltgeschichte, um den Wißbegierigen nachzuweisen, was eigentlich heilig und profan sei in Zeit und Ewigkeit. Ich würde aber schwerlich lange dabei aushalten, denn ich fürchte, die Masse bleibt nach wie vor roh und unbildsam, und handhabt immer nur das zunächst Liegende als Elle, um der werdenden Geschichte eine taugliche Hanswurstjacke damit anzumessen. –
Seit einem Monate bin ich wieder hier. Gleichmuth's Manuscript ist der Schlüssel geworden zu einem Gewölbe, in dessen Innerm man Todte lebendig werden sieht. Dieses Spuken des Vergangenen am hellen Tage mit seinen neuen Reizen ist das wahrhaftige Weltgericht. In Bardeloh's Hause wird nun bald ein solches Tribunal seine Sitzungen halten, und es müßte eine Lust und ein Grauen zugleich sein, diesen beizuwohnen. Ein solches Parlament müßte sich dann nirgends mehr auf Erden finden.
Sie sind nun alle beisammen, die Zufall oder Schicksal oder der Geist der Vorsehung in seiner Voraussicht zusammenberufen hat, um wirksam zu sein bei der Ausgleichung moderner Wirren. Es ist eine seltsame Gesellschaft, in der sich eigentlich drei Könige bewegen, Bardeloh, Mardochai, Gleichmuth. Die übrigen drei sind Vasallen, von denen Friedrich noch immer die Schleppe des Juden trägt, der tolle Mönch sicher dem Pastor zufallen wird und Casimir in glücklich ruhigeren Momenten Bardeloh's Meinung unterstützen dürfte. Von mir selbst kann ich nicht sprechen, denn ich stehe am Ende doch allein, so sehr ich getragen werde vom Schicksal Aller. Mein minder großes Unglück berechtigt mich vielleicht, bei geeigneter Zeit noch am sichersten das Ziel zu erreichen, nach dem die Andern in leidenschaftlicher Angst streben.
Um nicht zu Fremdartiges unter einander zu mischen, muß ich auf meine Rückkehr von der Reise nach Bonn zurückkommen. Casimir begleitete mich und Richard nach Köln. Mein Herz schwoll über vor Wehmuth und stolzen Gedanken. Gleichmuth's Lebensgeschichte hatte zu tiefe Wunden in mein Gemüth geschlagen. Seine letzten Seufzer schrieen noch immer laut auf in mir, und ungeachtet mich der grelle Farbenton des ganzen Gemäldes als Mensch von dem entschieden zurückstieß, der unter dem Formellen die Natürlichkeit begraben hat, so mußte ich doch die Wahrheit anerkennen, die in der Tiefe dieser Geständnisse laut aufschrie zum Himmel um Gerechtigkeit. Mein Entschluß wurzelte immer fester, Amerika blieb der Endpunkt meiner Wünsche. Von dort herüber muß, dünkt mich, dem kranken Europa die heilende Medicin gereicht werden. Die Aerzte aber müssen Europäer sein und auswandern, um nicht zu früh zu sterben den Märtyrertod der neuen Erlösung. Denn dieser möchte jetzt nicht retten und sühnen, wie jener! Nur das Leben kann eine Besiegelung sein für die Unfehlbarkeit und Wahrheit der neuen Weltbestrebungen. Hierin liegt ein hoher Trost; denn wir mögen daraus erkennen, wie nahe die Zeit ist, wo die Gesammterlösung für vollendet betrachtet werden kann.
Bardeloh war darauf bedacht, Casimir, dieses Phänomen unter den jetzt lebenden Menschen unbemerkt in sein Haus zu führen. Diese Vorsicht war nothwendig, denn eine unzeitige Begegnung mit Eduard hätte zu den unerhörtesten Scenen Veranlassung geben können. Es war tiefe Nacht, als wir unbemerkt das Haus betraten. Casimir brütete dumpf über seinen colossalen Einfällen, von denen sich zuweilen einzelne Brocken ablösten, und wie Mauertrümmer eines einst majestätischen Baues in die heimliche Stille der Nacht hinabrollten. Als er die glänzende Einrichtung in Bardeloh's Hause bemerkte, blieb er auf der Treppe stehen.
»Bei Dir riecht's königlich,« sagte er. »Das gefällt mir zwar, ich liebe es aber nicht, denn es ist Zwang dabei nöthig. Glanz und Dreck, wie in Polen, das wäre so mein Geschmack.«
»Du sollst's haben, wie Dir's behagt,« versetzte Bardeloh. »Befiehl und es geschieht.«
»Du gehst trächtig mit Complimenten, spür' ich; da sieh nur zu, daß Dir die Hagelsaat meiner Wortschlachten nicht den Schlachtplan verdirbt. Wo ist mein Stall? Ein König, voll Kraft wie ich, darf nur in einem Stalle wohnen.«
Bardeloh wieß ihm ein Zimmer an, das nur durch eine dünne Wand geschieden ward von seinem eigenen Kabinet. Auf der entgegengesetzten Seite lag Eduard's Gefängniß.
»Zu nobel für einen Poeten,« sprach Casimir, als er eintrat. »Was soll nun ein Kerl von meinem Kaliber anfangen mit diesem Gepolster, das Ihr moslemitischen Gefühlsstümper Ottomanen nennt? Gebt mir einen Strohsack, damit eine solide Seele sich die unbequemen Gedanken darauf zurecht legen kann. Wer auf solchen vermaledeiten Polstern seine Knochen herumwirft, verliert alle Originalität des Gefühls. Die immenseste Größe liebt das Einfache, und ich zum Beispiel, an dem doch zwei Jahre lang gearbeitet worden ist, bin ein Freund der Lumpen. Fort also mit diesen Venuscommoditäten! Ich kenne das Alles und habe die Natur doch auf Stroh und bloßer Erde immer am schönsten gefunden in ihrer Nacktheit. –«
Der seltsame Mensch gab sich nicht eher zufrieden, als bis Bardeloh durch einige Diener die Bequemlichkeiten eines civilisirten Lebens hatte entfernen und an deren Stelle einen rohen Tisch, ein paar Schemel und einen Strohsack bringen lassen. Sobald dies geschehen war, riß Casimir das Fenster auf, daß die Scheiben in Stücke brachen und warf sich auf den Strohsack. »So ist's recht,« sagte er. »Nun will ich sehen, wer zuerst die Augen zudecken wird, ich, oder der Himmel mit seinen Wolkenwimpern!« Er zeigte nach dem gestirnten Himmel, stützte sein zerwühltes Gesicht auf die Hand, und starrte unverwandt hinauf in den flimmernden Sternenbrand.
»Packt Euch,« rief er uns zu, die wir dieser neuen Art sich einzuquartieren mit einigem Staunen zugesehen hatten, »oder denkt ihr, ein Kerl, wie ich, hat alle Minuten Zeit, sich mit englischer Bastardrace abzugeben? Ich bin ein Deutscher, wißt's, Einer von denen, die an keiner Grobheit ersticken. Prosit! Sobald Ihr Menschen sein werdet, bin ich bereit, Euch eine Audienz zu bewilligen. –«
Der Morgen brachte einmal eine reine Heiterkeit in unsern kleinen Zirkel. Rosalie war glücklich, den geliebten Gatten wieder zu sehen, Felix hatte viel zu erzählen, brachte mir tausend Grüße von Auguste, die er besucht hatte, und biß mir fast die Augenlider ab. »Ja das muß sein,« sagte der schöne Knabe, »Auguste hat mir's befohlen, Dich so lange zu küssen und zu beißen, bis Du ganz boshaft wirst, weil Du dann erst recht liebevoll werden sollst.« Ich hatte jetzt nichts mehr gegen seine zähneknirschenden Zärtlichkeiten einzuwenden. –
Bardeloh unterrichtete seine Frau von den jüngsten Erlebnissen, so weit sie diese wissen durfte, und suchte ihr den Character Casimir's mit möglichster Schonung zu entwerfen. Diese war nöthig, denn ich bin überzeugt, kein Weib hätte Casimir in seiner barocken Genialität mehr um sich geduldet. Ein weibliches Gemüth schätzt das Seltsame und Pikante am Manne, wenn es umgeben ist mit einem idealischen Duft und getragen wird von der Schwärmerei der Lebensansicht. Ein so ungenirtes Herabfallen aber in die fast schmutzige Barbarei verwundet die Anmuth und erzeugt eher Abscheu, als Duldung.
Noch an demselben Tage besuchte ich Gleichmuth. Das verhängnißvolle Manuscript trug ich bei mir. Jetzt erst konnte ich diesen Mann des Jammers mit wahrhaftem Mitgefühl betrachten. Ich fand ihn an seinem Pult, beschäftigt mit den Vorarbeiten zu einer Geschichte der Heiligen. Helyot's Geschichte der Klöster- und Ritterorden lag vor ihm aufgeschlagen. Er las emsig in der Lebensgeschichte des heiligen Franz von Assisi und prüfte die Schlüsse, welche die Consequenz der Heiligkeit aus den ersten angeblichen Würden zu entwickeln sich berufen fühlte. Freundlich kam mir der unglückliche Mensch entgegen. Seine Hand war kalt, sein Schritt unsicher. Ich fragte, ob er krank sei?
»Nein,« versetzte er, »nur etwas aufgeregt. Sie müssen wissen, daß ich der Praxis nunmehr ganz entsagt habe. Von heut an werde ich gar nicht mehr predigen, was ich auch früher immer nur hier als Gast, ich möchte sagen, aus einer Liebhaberei, die Reue in mir fühlbar zu machen, gethan habe. – Ja,« fuhr er fort, »Sie staunen, ich aber freue mich des Entschlusses. Ich habe mich selbst des Priesterrockes entledigt, den ich zu tragen nicht mehr würdig bin. Ich werde ferner nur als Theoretiker zu wirken suchen und hoffe dabei auf weit größern Erfolg. Hier liegt die Geschichte der Heiligen vor mir – ein Lächeln überflog sein Gesicht – und wahrlich, wollte ich mich zurückversetzen in das sechszehnte Jahrhundert, ich würde nicht der Kleinste geworden sein unter ihnen. Sobald der Geist sich rächt an der Natur, bäumt diese empor und gebiert monströse Formen. Die Heiligkeit ist oft nur ein gewaltiger Ueberwuchs der Natur, der an das Erhabene streift. Nun sagen Sie selbst, ob ich dann nicht der Mann dazu wäre, eine recht pikante Secte neuer Heiligen zu stiften?«
Als Antwort überreichte ich ihm das Manuscript. »Sehr gut,« sagte der ehemalige Pastor. »Diese Wendung ist fein und macht der europäischen Etikette Ehre. Aber behalten Sie dies Testament eines Herzens, das menschlich genug war, um glühend zu sündigen, und nicht so ganz verlassen von der Göttlichkeit der Natur, um im Sündigen unterzugehen. – Ich weiß, was es sagen will, Lehrer zu sein, wenn man sich verworfen fühlt, aber immer noch reiner, als der Gesammtinhalt von schielenden Worten, die unserer Befleckung Mutter sind. Was Sie beschließen über Ihre Zukunft, darf ich nicht erfragen. Möge sich aber Ihr Leben auch gestalten, wie es immer wolle, dies Manuscript halten Sie werth, nicht heilig! Seine Benutzung kann ihm vielleicht erst später Anspruch auf Heiligsprechung verschaffen.«
Unser Gespräch stieg nun in die Tiefen religiöser Anschauungen und berührte Manches, was keiner Mittheilung unterliegen kann. Sehr richtig bemerkte Gleichmuth, daß ein Befreien Europa's, solle es dauernd sein, nur durch eine neue Reformation möglich werden könne. »Denn,« sagte er, »Politik und Kirchenthum sind in der Gegenwart so fest durch ihre Auswüchse in einander verschlungen, daß sie das wahre religiöse, wie politische Leben durch die Wechselwirkung ihres Zwanges niederhalten. Darin liegt die Gedrücktheit aller europäischen Völker, die vielleicht auf den Mächtigen noch schwerer lastet, als auf den Bürgern. Ich klage nicht die Gewalt an, sondern die Verhältnisse, die sie bedingen, und nur in so fern die Macht zu bequem, oder zu furchtsam ist, sich selbst einmal geistig zu entthronen, ist sie verbrecherisch. Wollte man so kühn und frei sein, recht vollkräftig die Dämme zu durchstechen, so würde eine frische Lebensfluth durch den kranken Erdtheil pulsiren, und es wäre gerettet die Religion, die Gesellschaft und der Staat! So aber feilt einer am andern und jeder an sich, und das Elend wächst nur mit der Verzweifelung. Darum wird der Verzweifeltste einmal in der Geschichte des künftigen Europa der Tugendhafteste genannt werden.«
Diese Reden führten uns wieder auf den Inhalt des Manuscriptes, auf die Personen, die eine so entsetzliche Rolle darin spielen, und ich eröffnete endlich dem Pastor, daß sämmtliche Charactere noch am Leben seien und zwar an Einem Orte mit ihm und mir.
Gleichmuths Angesicht überzog sich mit der Farbe des Todes. »Es ist nicht möglich, Sie irren sich,« sagte er. »Dieser Casimir kann nicht mehr leben und noch weniger Eduard. Die Uebrigen kenne ich, und es läuft nicht gegen die Natur, daß sie noch das Licht der Sonne schauen und trinken.«
Die Aufregung und Abspannung des siechen Mannes hielt mich ab, ihm noch mehr zu entdecken. Ich schied von ihm und bat ihn um einen baldigen Besuch. Er sagte ihn auf den dritten Tag zu. »Nun, dann sollen Sie überzeugt werden,« sprach ich und verließ ihn in einer Unruhe, wie ich sie einem durch's Leben gehetzten Menschen kaum zugetraut hätte. –
Bei meiner Zuhausekunft fand ich ein Briefchen von Auguste. Sie hatte meine Ankunft erfahren und schrieb mir:
»Ich bin sehr böse, weil Du sehr garstig bist. Schon ist ein ganzer Tag vergangen und noch habe ich von Dir nicht einmal selbst erfahren, daß Du wieder zurückgekehrt bist von Deiner Entdeckungsreise. Zürnen sollte ich Dir, doch verzeihen will ich, Du sollst nicht Ursache haben, mich zu großer Schwächen anzuklagen.
»Aber was ist denn das? Was habt Ihr denn wieder für neue Narrenzufuhr angeschafft? Ist's doch, als sei Bardeloh's Haus ein Sammelplatz für alle Tolle in ganz Deutschland! Hatten wir denn nicht schon übergenug solch Gelichter? Genügst Du Dir nicht selbst? Denn, sei nicht bös, mein geliebter Freund, aber Du hast eine recht ehrliche Anlage zu einem Narren, die nur ausgebildet werden darf, um sich auszuzeichnen in der Welt.
»Die Zeit ist mir sehr lang geworden, holder Freund! Es ist sehr leicht Befehle zu geben, sie aber selbst halten, finde ich, bleibt eine entsetzliche Aufgabe. Sigismund, ich könnte martialische Dinge thun, wenn ich ein Gesetzgeber wäre. Oder seid Ihr Männer etwa ruhiger, als wir Mädchen? Manchmal mag's so scheinen, doch Du – nun Du bist eben auch ein Schalk, wie Alle. Hätte ich Dich nur hier, wie wollt' ich Dir die Locken zerzausen und Dich strafen für Dein impertinentes Wartenlassen durch eine Lavine von Küssen.
»Es muß anders werden mit uns, ich ertrage dies Leben nicht mehr! Bardeloh ist zu entsetzlich ruhig, und Rosalie, das arme Weib, grämt sich im Dulden zu Tode. Warum mußte diese Frau gerade an diesen Mann verfallen? Oft hat es den Anschein, es freue sich der schadenfrohe Zufall, die fremdartigsten, geistig verschiedensten Personen zusammenzuknüpfen durch einen Blick, einen Moment, um sie an diesem Funken langsam hinschmelzen zu lassen auf der Folterbank eines ewigen Schweigens. Das ist gräßlich, das ist lieblos, das ist europäisch, wie ich fühle. Nur hierin hat Bardeloh recht und Du oben drein. Aber ich bitte mir aus, mich nicht etwa auf gleiche Weise zu behandeln! Sigismund, Du kämst dabei ganz in das Hintertreffen! Mein Arm ist stark, meine Hand sehr elastisch, meine Lippe verführerisch – aber sie verbirgt sehr spitze Zähne. Diese fürchte, mein Theurer, und noch mehr die Angst meines Herzens. – Garstiger, warum kannst Du mich auch so lange warten lassen!
»Bitte, Sigismund, heute Abend – darf ich glücklich sein im Hoffen? – Klapperbein flicht heut keine Körbe. Er ist nach Mühlheim gefahren und wird uns nicht stören. Weißt Du schon die Geschichte mit Lucie? Das kommt Alles her von dem unseligen Kopfhängen. Wenn wird wol die Zeit vom Himmel herabfallen, in der es erlaubt ist, heiter zu sein ohne Entschuldigungsgründe?
»Wenn Du recht liebenswürdig bist, habe ich Dir etwas Großes zu schenken. Nun rathe! – Du räthst es aber doch nicht. – So lockt man hungrige Vögel.«
Deine Auguste.
Ich war sehr glücklich, Ferdinand, glücklicher als ich je gewesen in meinem ganzen Leben. Die wenigen Tage schienen das reizende Kind mit neuem Glanz übergossen zu haben. Diese hohe Gestalt war werth, die Königin eines Nichteuropäers zu sein. Ich war so frei, mich in dem Stolze meiner Hoffnungen als weit verschlagen aus Europa zu betrachten, und sog vom Munde der Geliebten die Kraft für ein hundertjähriges Wirken. Und Auguste hatte mir etwas Großes zu schenken und schenkte mir es. Und ich war ein Gott in ihrem Arm und der Himmel war mir zu dunkel, die Sonne zu kalt. Liebe, Ferdinand, denn Liebe erlös't! Daß wir so tief gesunken sind, daran ist nur der Verlust der wahrhaftigen Liebe in unserm Europa schuld. Der Poesie der Zukunft muß es vorbehalten sein, diese wiederzugeben dem Leben. Auguste hat Recht, wie jedes Weib, das frei und rein ist in seiner unschuldigen Weltanschauung. Ehe man nicht allgemein erkannt hat, daß ohne ein unbedingtes Hingeben an die Natur der Liebe all unser Emancipationsbestreben blos eine Experimentalphysik der Weltgeschichte ist, darf keiner auf einen glücklichen Ausgang hoffen. Die Hoffnung ist überhaupt todt und farblos, nur die Liebe macht stark, ruft auf zur Handlung und schiebt der Zukunft das Polster der Freiheit unter das träumende Haupt. Rege die Hand, Ferdinand, damit Du Theil haben kannst an dem Freudenruf, der sich erheben wird beim ersten Aufblick des heiligen, lang verschlossenen Auges der Träumenden! –
Ende September.
Gestern erhielt ich Deinen Brief, für den ich Dir eben so herzlich danke, als Dich beglückwünsche. Ich gestehe gern, daß ich Dich für weniger unparteiisch gehalten habe, als Du Dich jetzt zeigst. Es liegt aber grade in diesem Hingerissenwerden zu lauter Anerkennung der Wahrheit das größte Bedürfniß unserer Zeit. Darum gebe ich Dir vollkommen recht, wenn Du sagst: »Der Irrthum Gleichmuth's würde, allein und aus dem Zusammenhange gerissen mit den Freveln seines Jahrhunderts, die unerhörteste Gotteslästerung sein, die je gewagt worden ist. Ein feiger Lügenknecht oder ein bornirter Moralist, dem es nie um den Zusammenhang, sondern immer nur um die Thatsache zu thun ist, würde deshalb das Anathema aussprechen über einen solchen Menschen. Ich gestehe, daß mein eignes Bewußtsein mich kaum freisprechen möchte von einem ähnlichen, harten Urtheil, aber ich bin nicht so verwimmert in den Gebrechen meines Standes, daß ich nicht herauslesen könnte, wo hier der Grund zur Schuld und wo die Nothwendigkeit der entsetzlichen Sünde liegt. Nur dies spricht Gleichmuth frei. Er steht da als ein Mittel der Ausgleichung; denn er sündigt für die Sühne der Zukunft und Vergangenheit. Und so nehmen seine Geständnisse durchaus den Rang einer hohen moralischen Lehre ein. In ihnen enthüllen sich leicht und natürlich die Sünden eines Jahrhunderts, das sich im Streben zu leichtsinnig abzuwenden beginnt vom Geiste Christi, weil leider die Masse seiner Stellvertreter keinen Begriff mehr von ihm hat.«
So, lieber Ferdinand, drücke ich Dir von Herzen die Hand. Ich erkenne, daß die Hoffnung noch nicht aufgegeben werden darf. Brächte man nun nur alle oder doch die meisten Deiner Genossen zu derselben Ansicht, so würde Alles gewonnen. Aenderung dieser oder jener Lehre, ein größeres Freigeben des Denkens in religiösen Dingen, und vor Allem ein Anerkennen der Entdeckungen des unparteiisch prüfenden Laien, ist Erhebung und ewige Befestigung des Christenthums.
Nach diesem Beweise Deiner innigsten Theilnahme an meinen Begegnissen theile ich Dir von Neuem mit, was sich hier gestaltet. Das Individuelle nimmt die Form einer Welt an. Zufall und Zusammentreffen von Umständen lassen grade auf meinem Lebenswege eine Formgebung zu, die anderwärts sehr wahrscheinlich eben so entschieden herausgetreten sein würde.
Des blöden Friedrich's Figur tauchte bisher nur in unsichern Umrissen aus dem trüben Chaos auf, das sich um mich her bewegte. Erst Gleichmuth's Manuscript stellte diesen Menschen entschiedener hin, ohne mich doch ihm selbst näher zu bringen. Ich hatte mir vorgenommen, dem Zufalle das Weitere zu überlassen, da grade diese Person mich am wenigsten fesseln konnte. Denn das Passive, selbst wenn es durch die Folgerichtigkeit des Nichtsthuns sich zum Handeln erhebt, hat mich niemals angezogen.
In diesen Tagen nun, durch Auguste's scheue Eröffnungen über Luciens mißliche Lage dazu bewogen, besuchte ich das heitere Mädchen. Von Luciens Vormunde habe ich wol schon einmal gesprochen und seines bigotten Pietismus gedacht. Ich traf den reichen Steinhuder ganz allein. Rechnungsbücher lagen vor ihm, Gebetbücher, Hauspostillen und was sonst noch zur Oekonomie eines Privatfrommen gehört, auf allen Tischen und Stühlen. Abgeschmackte Bilder, die eine Parodie auf die Kunst zu sein schienen, hingen in den prachtvollsten goldenen Rahmen an den Wänden und verunzierten das Zimmer. Diese Verzerrung des Schmerzes und heiliger Andacht zur Carikatur bildete eine stumme Farce, die nur ein so befangener Pietist erbauend finden kann. Jeder wahre Mensch sieht auf den ersten Blick, daß eine solche genothzüchtigte Kunst Product der Unsittlichkeit des pietistischen Lebens ist. Aber das Volk spürt den Teufel nie!
Steinhuder empfing mich mit einer salbungsvollen Anrede, die ich möglichst abzukürzen suchte. Lucie, im Nebenzimmer beschäftigt, hatte kaum meine Stimme erkannt, als sie in leidenschaftlicher Aufregung die Thür aufriß und laut rufend: »Retten Sie mich! Retten Sie mich!« an meine Brust sank. Ich war überrascht, in Verlegenheit. Ihr warmer Athem berührte mir Lippen, Wange und Stirn. Heftig umschlang sie mich mit den vollen Armen. Ich mußte sie zum Sopha führen.
Noch hatte ich nicht Zeit gehabt, nach der Ursache dieser Scene zu fragen, als Steinhuder bereits geharnischt mit Sprüchen und Verdammungsworten auf mich und das arme Mädchen anrückte. Gott weiß, was er Alles salbaderte, Sinn und Unsinn durch einander, wie's ihm einfiel; erinnern kann ich mich nur noch, daß seine ganze Rede aus Bibelsprüchen zusammengesetzt war. Denn diese geistlosen Menschen glauben jeden Andern damit aus dem Felde schlagen zu können, und bedenken gar nicht, daß der kräftige Mensch nie sich hingibt an eine Autorität, käme sie auch unmittelbar aus dem Munde des geistvollsten Stellvertreters.
Luciens Ermattung dauerte nicht lange. Der fromme Unsinn ihres Vormund's regte ihren Unwillen auf. »Schweigen Sie,« rief sie erzürnt aus und stampfte mit dem zierlichen Füßchen heftig auf den Boden. »Sie sind ein gemeiner Mensch und so albern wie Ihre Traktätchen und neumodischen Heiligen. Ich mag keinen Narren und keinen Frommen zum Manne! Ich will einen Gottlosen, Ihnen zum Trotz, mein Herr Vormund.«
»Daß Dir die Zunge verdorrete!« rief Steinhuder. »Wer sich dem Vater widersetzet, und der Mutter spottet, den werden die Raben am Bache aushacken und –«
»Genug, genug!« fiel Lucie ein. »Bleiben Sie mir vom Leibe mit Ihrem alttestamentlichen Zeter; er rührt mich eben so wenig als Ihr Augenverdrehen. Und kurz und gut, ich will nicht! – Oskar ist mein Geliebter!«
»Oskar ist Einer von denen,« predigte Steinhuder, »die da sitzen bei den Spöttern! Seine Seele wird brennen in dem Pfuhl, wo nicht aufhöret Heulen und Zähnklappen. Denn verdammt ist, wer nicht achtet des Alters und Spott trägt auf seiner Zungenspitz.«
»Sie fallen aus der Rolle, gestrenger Herr Vormund. Ihr Gedächtniß wird löchericht, die besten Bissen, womit Sie Ihre Heiligkeit nähren, fallen durch.«
»Du bist anvertraut meinen Händen, Deine Seele ist befohlen worden meinem Gewissen,« fuhr der Kaufmann fort. »Ich will wachen über Dich, wie die Henne über ihre Küchlein und der Esel über seine Füllen. Darum befehle ich Dir zu gehorchen und abzulassen von dem Scheusal, das einherschleicht, wie ein Engel in Lichtgestalt und doch ist ein Teufel, gehüllt im Pelz der Unschuld. Oskar nennet sich dieses Ungethüm, sein wahrer Name aber ist Legion, das heißt: Teufel ohne Zahl!«
Mir ward drehend. Lucie tobte vor Ungeduld und Zorn gegen sich selbst. Unter ihren Händen lockerte sich das Haar und wiegte sich entfesselt in glänzend schwarzen Locken ohne Zwang auf den Schultern. An der Wand hing eine Reitgerte. Schnell riß sie Lucie herunter, schlug nach dem Spiegel, der ihr ein zornglühendes Gesicht entgegenhielt und klirrend stürzten die Stücke zu Boden.
Da ward die Thür geöffnet und wunderbar sanfte Töne zogen, wie um Frieden bittend, durch das Zimmer.
Auf der Schwelle stand Friedrich mit seiner dämonischen Geige. Das leere Lächeln des Blödsinns dehnte sich gemächlich aus auf seinen markirten, aber geistlos verworrenen Zügen, der zergriffene Filzhut hing nur lose auf dem ungeordneten Haar und der Mensch selbst schien bei seinem Spiel ohne alle Theilnahme zu sein.
Lucie sank schwer aufathmend in's Sopha, Steinhuder aber ging dem Geiger entgegen und führte ihn freundlich herein.
»So recht, spiele was, Friedrich,« redete er den Blöden an. »Es ist zwar keine Gitith des frommen David, die da vertrieb den bösen Geist vom Haupte Sauls, aber eine Geige ist doch ein Saiteninstrument, welches das Herz erquickt, und die Seele still und hungrig macht nach himmlischem Manna. Komm, spiele Deiner Braut einen Psalm vor, ich will Dich begleiten mit Lispeln und Lallen. Denn Harfenspiel und Psalmgesang gefallen Gott wol.«
Friedrich ließ sich geduldig zu Lucien führen, die ihrerseits ein paar Stühle vor das Sopha schob und sich so gegen einen etwaigen Angriff bestens vertheidigte. Ein Blick ihres schönen Auges rief mich zum Beistande auf. – Kannst Du es glauben, Ferdinand, daß der Pietist diesen blödsinnigen Friedrich alles Ernstes Lucien zum Gatten bestimmt hat? Man könnte lachen über einen solchen Einfall, wäre die Erscheinung nur nicht so betrübend. Diese flach getretene Frömmigkeit erröthet vor nichts mehr. Sie hält für unmittelbare göttliche Eingebung, was scheinbar ihr heilloses Treiben zu fördern verspricht, und es gibt nichts so Abgeschmacktes auf Erden, das ein rechter eingefleischter oder eingeseelter Pietist nicht auszuführen im Stande wäre.
Der blöde Spieler machte dem reichen Steinhuder eine tiefe Referenz. Sinnlichkeit lag nicht in seinen Mienen. Das Auge war gebadet in jener düstern Nebelwelle, die eine sichere Verkündigerin ist des gefangenen Gedankens. Und dennoch funkelte eine Begeisterungsflamme aus diesem getrübten Himmel, wie Meteorgeflimmer, wie unsicheres Umherwanken eines Nordscheines. Es war der letzte Rest der Göttlichkeit, der sich in das trübe Auge rettete, wenn der Ton die Trauerklage in der besaiteten Violine weckt. Friedrich spielte – keine Psalmen, keine Kirchenlieder – nein, Dithyramben, die den Wahnsinn apotheosirten und dem Irrthum nutzloser Werkheiligkeit den Staupbesen gaben. Nackt und blos unter dem gellenden Gelächter des vergnüglichen Pöbels peitschten die Töne aus Friedrich's Geige die seichte Tugendhaftigkeit durch die Welt, bis sie keuchend niederstürzte und die Menge achtlos über sie hinschritt. –
Ich weiß nicht, ob Friedrich auch nur dunkel eine Ahnung hatte von dem Geiste seines Spieles, doch zweifele ich daran. Und dies ist das Unerforschliche in der menschlichen Seele, daß sie, gemisbraucht und abgestumpft in ihrer vollen Thätigkeit, doch gern das tiefste Vermögen, womit sie begabt von Natur war, auch noch beim Versinken in das Gemeine allein in einen sichern Winkel zu flüchten sucht. Dort baut sie sich an, bildet heimlich und unbewußt an der eigenen Göttlichkeit und wird nicht selten zum Rächer an dem, was die Veranlassung gab zu ihrem Ruin. Thörichte, geistig schwache, verrückte Musiker sind eine gewöhnliche Erscheinung. Es ist dies nichts Zufälliges, sondern eine nothwendige Folge der geistigen Construction eines durchaus musikalischen Menschen. Friedrich nun, glaub' ich, hat nur das ihm ganz und allein Ursprüngliche in den Hintergrund seines Daseins geflüchtet, als Zufälle und Lebensverwickelungen ihm den hellen allgemeinen Glanz des Geistes verhüllten. Der Blödsinn ward zur Ironie in seinem musikalischen Menschen, und wenn dieser geschiedene Gott, der wie auf einem lichten Sterne lebt in der Nacht des übrigen Daseins, sich erhebt; dann weint er die Trauer um den übrigen verlornen Menschen hinaus in die Welt, und scherzt und kos't in tollen Bajazzosprüngen um seinen eigenen Leichnam, ihn bekränzend mit Küssen und Rosen. –
Während des Spiels kam Oskar. Friedrich, ohne sein stereotypes Lächeln zu verändern, drehte sich tanzend mit den knarrenden Theerstiefeln auf der gebohnten Diele. Lucie lag, einen türkischen Schawl über das Gesicht gezogen, auf dem Sopha. Steinhuder mit salbungsvollem Blick und gefalteten Händen brummte den 109. Psalm, dessen Inhalt zu Friedrich's Musik paßte, wie ein Faunentanz zu der Arie »Wie sie so sanft ruhn.« – Käme nun Einer und veranstaltete einen solchen burschikosen Gottesdienst, so schrien alle Heiligen »Wehe!« – schleicht sich aber der Schalksnarr der Weltgeschichte hinter die Perücke der Kopfhänger und treibt allerlei seltsame Dinge, so verbietet sich das Zetern von selbst. In solchen Conflicten erblickt man die Gerechtigkeitspflege der Vorsehung, die gern im furchtbarsten Ernste eine spaßhafte Miene annimmt. Möchten doch unsere modernen Dichter dies der Weltpoesie ablauschen, die im Leben offen zu Tage liegt, und deren lebendiger Commentar die fortschreitende Menschheit selbst ist!
Eine kleine Weile sah und hörte Oskar dem tollen Treiben ruhig zu, als dem Gesinge und Getanze aber kein Ende ward, trat er entschlossen zu Steinhuder'n, schlug ihn derb auf die Schulter und sprach: »Treiben Sie keinen Götzendienst und schicken Sie augenblicklich diesen blödsinnigen Geiger fort, oder ich zeige Sie der geistlichen Behörde an.«
Dies half. Steinhuder'n blieb erschrocken der Mund offen, und Friedrich spielte sich tanzend selbst zur Thür hinaus, während er mit unaussprechlicher Vergnüglichkeit hohl in sich hineinlachte. Ich hörte ihn noch auf Treppe, Flur und Straße spielen, und glaube gewiß, er hat die Geige gestrichen bis in seine Wohnung am Hafen.
Lucie, von dem unheimlichen Liebhaber befreit, gab sich jetzt in der ganzen Natürlichkeit ihres Wesens an Oskar hin. Steinhuder aber begann abermals die Litanei seiner Secte abzusingen, schwor beim Wunderthier in der Offenbarung St. Johannis, daß Friedrich Luciens Gatte werden solle und Oskar, als ein ketzerisch gesinnter Freigeist, nie seine Mündel heirathen dürfe. Ermattet von Zorn und Aerger verließ er endlich das Zimmer, und als Lucie alle nur erdenklichen Zärtlichkeiten an Oskar verschwendet hatte, befahl sie ihm kurz und bestimmt, jetzt solle er sich packen.
Diese Launenhaftigkeit ist bei Lucie so hinreißend liebenswürdig, daß sich niemand davon beleidigt fühlt. Ohne dieselbe würde das Mädchen matt, gewöhnlich erscheinen, und nichts Entsetzlicheres für einen Mann von Geist, als eine gewöhnliche Frau! Die Gewöhnlichkeit allein ist in der Liebe unsittlich, denn jede ächte Liebe wird als Kind eines genialen Gedankens geboren. Genialität verträgt immer nur die selbst bestimmte Schranke, wie die Gewöhnlichkeit sich, um leben zu können, anschmiegen muß an die von fremder Hand gezogene. Darum liegt das Moralische und Unmoralische von beiden gerade auf der entgegengesetzten Seite. Natürlich! Von Gott fordert man, was dem Menschen verboten wird, und das Geniale ist das Göttliche im Menschen. –
Oskar und ich mußten dem grillenhaften Mädchen nachgeben. Als ich ihre Hand küssen wollte, schlug sie mir eine sanfte Ohrfeige. »Wohl etwa für den tapfern ritterlichen Beistand, den Sie mir geleistet haben während der frommen Bänkelsängerei?« sagte sie. »Wenn Sie wieder kommen, sein Sie anfangs kühner, dann werde ich beim Abschiede zärtlicher sein.« Die Hand war zu weich und warm, ich konnte dem bösen Kinde nicht zürnen, und an der Thür erhaschte ich doch einen Kuß. Zum Fenster herab warf sie eine ganz frisch aufgeblühte Lilie mir in's Gesicht und wollte sich ganz außer Athem lachen, als mir der Blumenstaub in's Auge flog, und mich am Sehen und Gehen eine Zeit lang verhinderte. –
Der farbige Herbstabend war mild und warm. Wir lustwandelten durch die Straßen in's Freie hinaus, durch Laubgänge dem Rheine zu. Von Holland herauf war ein Dampfboot angekommen. Der schwarze Rauch zog in dicken Wolkenwirbeln über den Strom hin. Es war mit Passagieren überfüllt, die sich am Zoll drängten und stießen. Unter den Ankömmlingen befanden sich ein paar Mohren, wie es schien, Diener reicher Amerikaner, deren das Schiff Einige in das alte Europa herübergetragen hatte. Wir erkannten sie schon von Ferne an ihrer Tracht, nach der sie Pflanzer vom Mississippi oder irgend einem Nebenflusse dieses Stromes sein mochten. Ehe wir noch den Hafen erreichen konnten, hatten sich die Fremden bereits in die Hotels zerstreut. Die Matrosen erhoben ihren eintönigen, melancholischen Gesang und wogen die Waarenballen aus dem Schiffsraume herauf. Ich stellte mich mit Oskar auf die Brücke und sah dem geschäftigen Treiben in stillem Behagen zu. Als es dunkler wurde, ließ sich Friedrich's Geige wieder hören, die Hafenarbeiter, Schifferknechte und Matrosen begrüßten die willkommenen Töne mit einem Freudenruf, den Friedrich durch jenes unnachahmliche Gelächter beantwortete, vor dem die Majestät des Geistes selbst in ihrer erhabensten Sicherheit noch erschrickt. Der unglückliche Mensch saß wieder auf dem Krahnbalken, baumelte mit den Beinen und spielte Melodieen, als wolle er alles Herzeleid der ganzen Welt darin aufgehen lassen.
»Wie sind Sie doch mit diesem Thörichten in nebenbuhlerische Conflicte gerathen?« fragte ich meinen Begleiter, den des Blödsinnigen Geigenspiel sichtbar ergriff.
»Das möchte sich schwer beantworten lassen,« versetzte Oskar. Sie kennen den alten Steinhuder und sein pietistisches Närgeln und Kopfhängen. Solche Menschen, selbst halb blödsinnig, haben oft wunderliche Grillen. Steinhuder war mir nie gewogen, weil ich ihm zu freisinnig, zu menschlich, zu modern bin, und sobald er meine Neigung zu Lucie entdeckte, begann er zu intriguiren. Nun muß der Zufall mich noch arm machen, um dem Jämmerlichen eine Stütze für seine Pläne zu geben. Friedrich schien ihm der geeignetste Mensch für seine Mündel. Er läßt sich leiten, zu Allem gebrauchen und so erwählte sich der pietistische Geizhals ihn zum Mann für Lucie.«
»Um des Himmels Willen,« rief ich aus, »besitzt denn Friedrich Vermögen!«
»Er ist arm wie eine Kirchenmaus. Das bringt der Pietist jedoch bei seinen sonstigen geistigen Vorzügen, wie er den dummen Glauben des Blödsinnigen nennt, nicht in Anschlag. Wäre ich dem geistigen Narrenthum so verwandt, wie Friedrich, so zweifelte ich gar nicht an meinem Glück.«
»Man könnte vor Lachen sterben,« sprach ich, »wenn eine solche Erscheinung nicht gar zu niederschlagend wäre und die Versunkenheit des Zeitalters wieder von einer neuen Seite dem umsichtigen Geiste näher brächte.«
»Ja wahrlich!« seufzte Oskar, »und gebe der Himmel, daß der Alte Vernunft annimmt, denn bei Gott, erlaubt sich der blöde Narr, in dem bei aller Dummheit zuweilen doch eine gesunde Sinnlichkeit die geistige Schwäche aufhebt, nur eine einzige Freiheit, so ist er meiner gewissesten Rache verfallen!«
»Keine Uebereilung,« bat ich den Heftigen. »Friedrich kann Ihnen nicht gefährlich werden.«
»Doch, doch!« betheuerte dumpf der Liebende. »Wüßten Sie, was ihn thöricht gemacht hat, Sie würden meine Unruhe mit mir theilen.«
»Erzählen Sie,« bat ich, indem mein Gedächtniß Alles wiederholte, was ich jüngst in Gleichmuth's Biographie über diesen noch so räthselhaften Menschen erfahren hatte. »Sagen Sie mir,« fuhr ich fort, »was Sie von Friedrich's Schicksalen wissen, vielleicht steht es dann auch in meiner Macht, Ihnen Aufschlüsse zu geben und zu Ihrer Beruhigung beizutragen.«
»Guten Abend!« sprach dicht neben uns eine sonore Männerstimme. Die hohe, dunkle Gestalt des Juden im faltigen Kaftan strich wie ein Schatten in der Dämmerung an uns vorüber. Mardochai ging dem Krahne zu, neben dem viele mit dem Dampfboot angekommene Kisten und Ballen standen.
»Kennen Sie diesen?« fragte Oskar.
»Ich glaube genauer, als Sie, und tiefer, als er selbst es ahnt.«
»Dann wenden Sie sich an ihn. Er allein kann die Hülle von Friedrich's blödem Leben ziehen, wenn er Lust dazu hat.«
»Halten wir uns in seiner Nähe, bis er jene Ballen gezeichnet und in Sicherheit gebracht hat. Es sind neue Handelsartikel vielleicht aus beiden Indien und Gott weiß, woher sonst noch! Sobald er seine Geschäfte beendigt hat, folgen wir ihm auf dem Fuße nach seiner Wohnung. Ich hoffe er wird aufrichtig sein. Mardochai ist kein gewöhnlicher Jude.«
Ich wußte das Letztere genau genug und wartete mit Ungeduld auf das Ende der Besichtigung, die der Jude den Kisten und Ballen mit ungemeiner Sorgfalt zu Theil werden ließ. Die Nacht brach darüber ein, der Strom ward stiller, nur wenige Kähne gaukelten mit ihren weißen Segeln noch über die bewegte Fläche, aus der die Sternbilder dunkel heraufleuchteten. Glockengeläut scholl von Mühlheim her und ward durch den Abendwind verweht. Nur die Klänge aus Friedrich's Geige schluchzten immer lauter, greller, ungestümer, und brachten die Wirkung einer Musik hervor, deren Entstehung sich nicht enträthseln läßt. Dieses Spiel übte eine eben so dämonische Gewalt aus über die gesundesten Sinne, wie etwa ein gespenstisches Heranflattern körperloser Schatten, die ein räthselhaftes Leben in sich tragen.
Mardochai, den orientalischen Kaftan enger um sich zusammenschlagend, trat jetzt den Rückweg an. Er gab mehreren Knechten Befehl, einige der Ballen sogleich in seine Wohnung zu schleifen. Als er uns noch immer an der vorigen Stelle antraf, schien er betroffen zu sein, blieb stehen, grüßte nach orientalischer Weise und sprach: »Die Nacht wird erquickend, da die Jugend sich ihr so lange aussetzt.«
»Ist dies eine so seltene Erscheinung?« entgegnete ich.
»Heut zu Tage gewiß,« erwiederte der Jude. »Wer kann auch wissen, mit welchen Stoffen die Nachtluft geschwängert ist? Vorsicht kann nie schaden, mit Vorsicht läßt sich selbst der Teufel täuschen.«
Er schritt an uns vorüber, da wir ihm aber folgten, mäßigte er die Schnelligkeit seines Ganges und war bemüht ein gleichgiltiges Gespräch anzuknüpfen. Grade diese Vorsicht aber machte ihn, vielleicht zum ersten Male, unvorsichtig und brachte uns schnell dem Ziele näher, das wir erreichen wollten. Friedrich geigte noch immer und zwar in so grauenhaft-barocken Tönen, daß sie Mark und Bein, wie galvanische Schläge, durchschütterten. Auch Mardochai mußte so etwas fühlen, er seufzte einigemal tief und sprach endlich: »Der Mensch dort, wer er auch immer sein mag, spielt wie eine vor Gram und Gewissensbissen toll gewordene Seele!«
»Sollten Ihnen diese Melodien so neu, ihr Schöpfer so ganz unbekannt sein?« versetzte ich, gleich ihm die Arme kreuzend und ruhig neben ihm herschreitend.
Mardochai ward zwar durch diese Frage überrascht, wußte dies aber geschickt zu verheimlichen. »Sie wohnen bei dem Particulier Bardeloh?« fragte er mich.
»Seit länger als zwei Monaten. Auch lernte ich während meines Aufenthalts einen gewissen Gleichmuth kennen, mit dem ich genauer bekannt zu werden Gelegenheit hatte. Dieser starke Mensch, der dem Geiste eines noch Stärkeren vor etwa zehn Jahren erlag, hat mir Ereignisse mitgetheilt, die geeignet wären, Himmel und Erde in Trümmer zu schlagen. Ein jüdischer Arzt war dabei im Spiele, ein Virtuos auf der Violine that zugleich mit einem barocken Dichtergenie Bajazzodienste, und jener Virtuos, glaub' ich, ist eine und dieselbe Person mit dem Spieler, dessen wahnwitzige Melodien in dunkler Nacht ihre Silenensprünge machen.«
Mardochai war stehen geblieben. Die Kärner und Träger schleppten die Ballen an uns vorüber. »Schafft sie in mein Haus,« rief er ihnen zu, »ich komme sogleich nach, den Lohn wird Euch meine Tochter auszahlen.«
Seine Tochter! Diese Entdeckung überraschte mich. Als die Träger uns aus dem Gesicht waren, wandte er sich zu mir und fuhr fort: »Haben Sie über eine Stunde in Ihrer Zeit frei zu gebieten?«
»Ich bin Herr meiner Zeit, wie meines Lebens.«
»Dann begleiten Sie mich in mein Haus, falls Ihnen die Wohnung eines Juden nicht zu gering ist. Es dürfte nöthig sein, dem, was Sie erfahren haben, noch einige Worte der Erläuterung beizufügen.«
»Kann uns ein Dritter begleiten?« fragte ich den Rächer des Judenthums.
»Wenn er Mann genug ist, um nicht zu erröthen vor einem nackten Geheimniß.«
Oskar begleitete mich und den Juden, dessen Haus wir in wenig Minuten erreichten. Dunkle Gänge waren überfüllt mit Waarenballen, Kisten und Kasten. Ueberall herrschte Ordnung, aber auch eine öde fröstelnerregende Todtenstille. Ein geräumiges Gemach nahm uns auf, ausgeschmückt mit allen Luxusgegenständen modernen Lebens. Lange, niedrige Ottomanen zogen sich an den Wänden hin, mit purpurrothem Sammet überspannt, persische Teppiche bedeckten den Fußboden. Tische und Stühle waren vom feinsten Mahagony mit schwarzem Ebenholz zierlich ausgelegt. Auf einem derselben vor der Ottomane standen zwei Armleuchter von gediegenem Silber, auf denen weiße Wachskerzen brannten. Das Zimmer war leer, durchduftet von einem angenehm reizenden und das Gemüth erheiternden Wohlgeruche.
Mardochai legte sich nach orientalischer Sitte auf die schwellend weichen Kissen und lud uns ein, ihm zu folgen. »Ich lebe nach den Vorschriften meiner Väter,« sagte er, »und erfreue mich so an dem künstlich geschaffenen Vaterlande der Verheißungen, die der Gott Abraham's seinen Nachkommen gegeben. Dieses Morgenland, das mich hier umgibt, läßt manche andere Annehmlichkeiten vergessen. Unsere Nationalität ist hartnäckig und der Einzelne kann sich ihr nicht ganz entziehen, wenn er nicht laut als Apostat geschmäht sein will.« Er schellte, eine fein gefugte Thür öffnete sich und ein Mädchen von höchstens fünfzehn Jahren, ächt orientalisch gekleidet, von den edelsten Formen, trat ein, sich vor dem Juden tief verbeugend.
»Sara,« sprach Mardochai, »bringe unsern Gästen Wasser und besorge das Nachtessen.« – Die schöne Jüdin verließ das Zimmer und kehrte sogleich wieder zurück mit einem glänzenden silbernen Waschbecken und feinen Linnen. Sie bot zuerst ihrem Vater das Becken, dieser wies sie jedoch zurück und mir zu. Obwol ein Feind aller Ceremonien konnte ich doch der reizenden Jüdin den Dienst nicht abschlagen. Ich tauchte die Hand in die krystallene Welle, aus der in zitternder Bewegung Sara's schönes Profil mich ansah. Nach der Ablution dankte ich dem holden Wesen, das in glücklicher Kindlichkeit die ganze Fülle seiner Schönheit meinem prüfenden Auge preis gab. Sara trug ganz die Züge ihres furchtbaren Vaters, nur gemildert durch des Weibes anmuthvolle Grazie und die schuldlose Sanftmuth ihres Alters. Das schwärzeste Haar quoll unter dem blau- und weißseidenen Turban hervor, und legte sich weich und schmeichelnd an den alabasterweißen Nacken. Ohrringe von orientalischen Perlen, eine unheimliche Flamme in sich tragend, schaukelten hin und wieder, wenn sie den Kopf bewegte. Das große, schwarze Auge beschatteten die längsten und zartesten Wimpern, die ich je gesehen hatte, und das feine Lid hob und senkte sich wie eine Wolkenflocke um den Glanz eines schönen Sternes. Gelbe Stiefeln schmiegten sich an den kleinen Fuß und das feine Knöchel, dessen Zartheit durch das weite Beinkleid noch mehr bemerkbar ward, das unter dem reichen Ueberwurf hervorlauschte.
»Hast Du die Lastträger abgelöhnt?« fragte Mardochai, eine lange türkische Pfeife, die neben der Ottomane lehnte, anbrennend.
»Ich bin gehorsam gewesen Deinen Befehlen,« antwortete Sara und verschwand, wie sie gekommen, in der Thür. Ich glaubte in ein Mährchen aus tausend und eine Nacht versetzt zu sein, und hätte bald den Zweck vergessen, der mich in Mardochai's Zauberhöhle führte.
»Während Sara für unsern Körper Sorge trägt,« begann Mardochai, »wollen wir selbst unser geistiges Heil bedenken.« – Er blies weiße Rauchwolken aus seiner Pfeife und legte sich bequem wie ein türkischer Bassa in die Kissen. »Wenn Sie längere Zeit mit Gleichmuth verkehrt haben,« fuhr er fort, »so werden Ihnen auch die frühern Schicksale Friedrich's nicht unbekannt geblieben sein. Vieles freilich weiß Gleichmuth selbst nicht, und ich, der sich nur gezwungen, aus Noth, Politik, Vorsicht, oder wie Sie's sonst nennen mögen, in die Angelegenheiten Fremder mischt, fühle mich jetzt gedrungen, über Friedrich's Zustand ein Wort zu sprechen, um sehr nahe liegenden Verläumdungen vorzubeugen.
»Wir lebten vor vielen Jahren in Bonn zusammen, ich als Arzt, Friedrich als Musiker. Gleichmuth, ein Mensch voll Leidenschaft, aber von dem launenhaften Zufall bestimmt, Theolog zu werden, schloß sich eng an uns an. Andere kamen dazu und es bildete sich ein kleiner Kreis, der originell genug war und sobald wol nicht wieder in dieser widerstrebenden Curiosität zusammentreten möchte. Es ward Manches probirt, was der Gemeinheit frevelhaft erscheinen könnte. Wir studirten das Leben der Nationen, den Geist der Religionen und den Ungeist der Culte. Dabei wurden denn Entdeckungen gemacht, die nicht zu den gewöhnlichen gehörten. Auch ohne Streit und heftiges Widersprechen ging es nicht ab. Mancher schied aus, um die besprochene Theorie in die Praxis zu übersetzen, ja ein Narr war so begeistert von den witzigen Einfällen, womit einige gutmüthige Schwachköpfe vor vielen hundert Jahren einmal die Weltgeschichte ergötzten, daß er augenblicklich beschloß, ein Märtyrer zu werden.
»Dies Alles gehört indeß wenig zu dem, was ich Ihnen mitzutheilen habe. Eng an mich und Gleichmuth drängte sich Friedrich und ein gewisser Casimir, der seit langer Zeit verschollen ist. Friedrich war mir nächst Gleichmuth der Interessanteste, nicht, weil seine geistige Kraft überwiegend der meinigen sich opponirte, sondern des unwiderstehlichen Hanges wegen nach tiefer religiöser Befriedigung. Es gehört zu meinen geheimen Inclinationen, dasjenige fördern zu helfen, was in irgend eines Menschen Natur sich durcharbeiten will, aber nicht genug eigne Kraft dazu besitzt. Hier trete ich gern mild helfend in's Mittel und suche durch Wort oder That die Schleußen der Natur zu öffnen, um in freiem Strome das Leben sich austummeln zu lassen. Denn Leidenschaft gehört zum wahrhaftigen Leben, und ein irdisches Dasein kann nur dann dem Himmel Bürger erziehen, wenn es sich in Genuß und That selbst zu begreifen sucht. Der Erdenmensch sollte im Stillen zu der Einsicht kommen, daß er in einem gewissen Sinne mächtiger sein könnte als Gott, weil er aufhören darf, in diesem Dasein zu leben, sobald es ihm gefällt, Gott aber gebunden wird an Seine Existenz durch den errungenen Sieg der Unsterblichkeit. In dieser schaffenden Schranke aufgefaßt, könnte man, als Skeptiker, Gott wol den Diener seiner eigenen Unsterblichkeit nennen. Eben darum aber, weil Gott als ein Unsterblicher fertig ist, braucht man ihn nicht zu fürchten. Nur das Werdende bringt Gefahr, ist aufgelegt zu Revolutionen und muß daher unterstützt werden im Entfalten, nicht im Vollenden.
»Nach diesem Grundsatze, der bloß ein Ergebniß meiner naturhistorischen Studien war, indem ich diese nicht als todte Sache, sondern als ein großes Leben behandelte, dessen Seelenregungen ich belauschen wollte am Tact ihres Pulses, am Tritt und Klang ihres ewigen Schaffens, suchte ich auch das Leben Anderer psychisch zu durchfühlen. Ich trieb angewandte Psychologie, wie man angewandte Mathematik lehrt. Die Menschheit war das große Rechenexempel, an dem ich den Witz der Schöpfung oft zu Tode zu hetzen Lust verspürte, und der Mensch selbst diente mir zum Magister Matheseos.
»Nun fanden sich grade in Gleichmuth und Friedrich zwei Individuen zusammen, die in ihrer natürlichen Opposition meine Experimentirlust reizten. Beide wurden getragen von schwärmerischer Leidenschaftlichkeit. Sie beherbergten viel europäische Poesie in sich, die aber in Keinem zu rechter Reife gedeihen konnte. Das erbarmte mich. Tyrannisch in die Brust eines Andern zu greifen und ihm zu sagen: das steckt in Dir, Mensch! diese Verfahrungsart liebe ich nicht. Semiotik war von jeher mit Eifer von mir betrieben worden, und psychische Semiotik blieb nun gar meine specielle Liebhaberei. Ich spürte bald, woran es beiden gebrach. Sie hatten sich mit der Vorsehung schon in der Wiege überworfen. Das mußte ausgeglichen und wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Ich that, was mir – als Arzt – oblag, und Beide gestanden mir, daß sie sich wol befänden bei den diätetischen Verhaltungsregeln, die ich ihnen anrieth, und die, bei Moses und den Propheten! nicht gar sehr streng waren. Gleichmuth kam früher zum Ziele, als Friedrich, und da ich voraussetzen kann, daß sie ziemlich genau bekannt sind mit Gleichmuth's Lebensbekehrung, so halte ich mich hier blos an Friedrich und sein Schicksal.«
Sara's Eintritt unterbrach hier Mardochai's Erzählung und gab mir Raum, die Gefühle wieder in wolgezogene Ordnung zu stellen. Denn Du wirst es natürlich finden, daß jede unverdorbene Faser meines tiefsten Menschen in aufrührerische Bewegung gerieth bei der Erzählung dieses göttlich-dämonischen Juden. Es gehörte diese Schlauheit, diese Ruhe, diese fein nüancirte Ueberredungskunst dazu, um einen zwar leidenschaftlichen, aber geistig so hell sehenden Menschen, wie Gleichmuth ist, so consequent zu bethören. Mardochai ist wahrlich ein Gott in der Rache, und gibt es Belohnungen, Kronen für solche Thaten, so müssen sie alle dieses Juden Scheitel einst schmücken. Als Sara den Tisch gedeckt und sich wieder entfernt hatte, fuhr unser Gastfreund fort:
»Friedrich betrieb, wie schon gesagt, die Musik, und zwar mit Talent und Glück. Musikalische Naturen sind immer in einem gewissen Sinne von schwärmerischer Gemüthsart, und wird dies nicht immer sichtbar, so liegt es blos an der Nichterweckung der Schwärmerei. Sie schläft in jedem Musiker, und es sollte mir, wollte ich meine Experimentirübungen fortsetzen, nicht gar schwer fallen, Diesen und Jenen zu einem vollendeten Schwärmer zu erziehen. Ein Musiker ist selten ungläubig, meist abergläubig, zuweilen auch Beides. Nichts leichter nun für einen psychisch gewandten Arzt, als den Unglauben durch langsames Aufrollen des Aberglaubens zu erdrücken. Friedrich glaubte an nichts, als an die Göttlichkeit der Musik, doch konnte er meinen tieferen Blick nicht täuschen. Ich bemerkte, daß die Göttlichkeit seiner eigenen Musik in der Mystik religiöser Ahnungen ruhe. Dies war mir genug; ich wartete nur auf die günstige Stunde, um ihn dies selbst fühlen zu lassen.
»Sie kam, als unerwartet ein katholischer Jüngling aus unserm Kreise schied, um Mönch zu werden. Friedrich erstaunte, war tief ergriffen und schrieb auf der Stelle eine Messe, in der eine unendliche Mystik die wehmüthige Ahnung seiner eigenen Seele an meinen klaren Verstand verrieth. Als er mir diese Töne vorspielte auf seiner Violine, mit jener Begeisterung künstlerischen Aufgehens in der eigenen Schöpfung, klopfte ich dem Virtuosen auf die Schulter und sagte: ›Friedrich, das ist Dein Fach! Du mußt ein christlicher Componist werden. Schreibe, wenn ich Dir rathen darf, Messen, Cantaten – schreibe musikalische Seelenmessen; doch laß immerhin ein wenig frivoles Weltgetümmel hineinschreien in Deine Melodien. Das wird Dich erst recht belehren, wie Du so ganz zur Kirchenmusik geboren bist.‹
»Friedrich's Auge glänzte in Begeisterung, er sah lange Zeit prüfend in das meinige, sank dann an meine Brust und rief aus: ›Du hast immer Recht, Mardochai, man muß Dir gehorchen, ohne es zu wollen. So waltet Gott über seiner Schöpfung, und bedürfte er eines Stellvertreters, Du könntest ihm vorgeschlagen werden. Schade daß Du ein Jude bist!‹ – Es war Schade, ich muß Friedrichen noch jetzt Recht geben, aber es war auch gut. Der Jude eben befähigte mich, der Versuchung zu entgehen, die mir Friedrich's zu wolwollende Güte zudachte.
»Zu jener Zeit lebte ein wolhabender, aber schwachköpfiger Mann in der Nähe Bonn's, der zuweilen auch mich besuchte. Dieser Mann, schon bejahrt, ward von der jüngeren Männerwelt seiner religiösen Einbildungen wegen gewöhnlich nur der ›veilchenblaue Engelhüter‹ genannt; denn er behauptete mit unerschütterlicher Festigkeit, alle Engel trügen im Himmel veilchenblaue Roben mit rosarothen Bändern, und ein ehrwürdiger Greis in weißen Strümpfen mit gelben Zwickeln führe sie früh und abends durch den Himmel spaziren. Es war mir nun zwar ziemlich gleichgiltig, was der Mann von sich hielt und den Amusements in seinem Himmel, nur durch Friedrich's Aufmerken ward er mir interessant und sogar bedeutsam. Sie wissen, Christus ritt unter dem Jauchzen des Volkes, von Palmzweigen umweht, über ausgebreitete Teppiche auf einer Eselin in Jerusalem ein, um ein paar Tage später gekreuzigt zu werden von meinen harthörigen Vorfahren, warum sollte denn nicht ein moderner Virtuos an der Hand eines Pietisten dem Ziele seines Lebens entgegengehen?
»Jener Mann hieß Steinhuder und hatte Geld die Fülle.«
»Steinhuder!« rief ich und Oskar zu gleicher Zeit.
»Sie haben richtig gehört,« fuhr Mardochai ruhig fort. »Der Mann ging und kam; ich vermochte Friedrichen, sich mit ihm zu unterhalten – denn Steinhuder sprach nur himmlische Dinge, und diese auch in himmlischer Weise. Bald fand Friedrich Gefallen an diesem Umgang, wie ich bestimmt glaube, weil er durch jene mystisch-dunklen Gespräche eine Begeisterung in sich aufflammen sah, die seine musikalisch schöpferische Natur zu bisher ihm unbekannten Tongebilden hintrieb. Musik will an andern Gegenständen groß gezogen werden, als die Poesie. Ein in Knechtschaft ergebenes Gemüth wird musikalisch Größeres schaffen, als die Freiheitsbegeisterung eines radikalen Republikaners.
»Von jetzt an componirte Friedrich die herrnhutisch mystischen Lieder des Grafen von Zinzendorf, das Monstrum aller religiösen Geschmacklosigkeit, die lächerlich-ekelhafte ›Wundenlitanei‹ und andere in ihrer Manie heilig sein zu wollen profan und frivol gewordene Gesänge, z. B. ›den Seelenbräutigam‹. Gewissenhaft theilte er mir diese Compositionen mit, und ich lobte oder tadelte seine Producte, je nachdem ich es nöthig fand. Dabei unterließ ich nie, den Virtuosen consequent fortzustoßen auf seinem Pfade, der ihm angewiesen war von der Vorsehung oder – wenn Sie wollen – von dem Zorne des Himmels. Friedrich gehorchte. Sein Gemüth erschloß sich in jener Thränenfluth, die eine misverstandene Sentimentalität in überreicher Fülle über die Erde ausgießt. Er besuchte die Versammlungen der Frommen, bei denen der reiche Steinhuder präsidirte. Die Gesangstücke wurden von Friedrichen componirt, genial-barock, mystisch-verrückt, aber mir zu unendlicher Freude! – Bleiben Sie ruhig, meine Herren, das Ende wird Ihnen die Gerechtigkeit meiner Freude schon erklären.
»Während dieses allmähligen Uebertretens zum Pietismus von Seiten Friedrich's ward Gleichmuth durch ein Hineinstürzen und leidenschaftliches Durchtoben seiner Lebensphasen der Vollendung entgegengerissen. Ich konnte nur mattherzig wirkend eingreifen, um ihn zu verhindern an gänzlichem Abschluß. Dazu bedurfte ich einer kleinen Charlatanerie. Friedrich mußte thätig dabei sein, bereute aber später seine Theilnahme und legte nun seine schmerzerfüllte Seele in einen Zuckerguß von pietistischer Frömmelei zur Ruhe. Ich hätte hier abermals hindernd eingreifen können, aber ich wollte nicht. Dieser Lebenslauf war Friedrich's psychische Bestimmung. Nur zur Rundung mußte ich noch Hand anlegen, und so weit meine Kräfte reichten, war ich nicht müßig. Steinhuder ward meinem Geiste zinsbar durch seinen Ungeist. Ich pfändete ihn aus, wenn er mit Friedrich nicht gebahrte, wie seine Natur es verlangte, und – Steinhuder fürchtete in mir – den Juden. –
»So kleidete sich Friedrich immer tiefer ein in die Harlekinsjacke einer Frömmelei, die halb aus protestantischen Dogmenflittern, halb aus katholischer Mystik zusammengesetzt war. Sein Gemüth sank zusammen, wie ein übergangener Mehlteig auf einem heißen Ofen, er ward etwas beschränkt, schwerfällig von Begriffen, aber eminent und erhaben in Stegreifcompositionen auf der Violine. Als er ein vollendeter Dummkopf geworden, als seine Seele brach lag auf dem Acker der Weisheit und stiller Forschung; da befahl ich Steinhuder'n, er solle diesen durch seine potenzirte Religiosität verpfuschten Bürger der Erde ernähren, und ich ließ mir von ihm einige tausend harte Thaler geben, um mit ihrer Hilfe für die Erlösung Israels zu arbeiten nach meiner Weise.
»So ward Friedrich blödsinnig. Heilig allein und göttlich unverfälscht blieb in ihm nur die Musik. Unbewußt schafft jetzt der Genius derselben in wilden Improvisationen, was kein Sectengeist tödten, aber wol zu sündhafter Aufreizung anspornen kann. Friedrich spielt die originellsten Parodien auf die mystische Composition seiner Wundenlitanei, und ich sporne ihn an zu immer heller aufjauchzendem Frevelspiel, weil anders für Euch und mich keine Rettung ist.«
Hier wurde der kalte Erzähler durch den Eintritt eines Dieners, der die Abendmahlzeit auftrug, unterbrochen. Sara folgte, Mardochai ließ das Thema fallen, änderte seine ganze Redeweise und ward der heiterste Wirth. Er erzählte artige Scherze aus seinem Leben als Handelsmann, Verwechselungen und Täuschungen, wie sie ihm wiederholt auf Reisen begegnet waren. Ein feiner Humor, der nur leise, aber doch treffend die bedeutendsten Fragen der Zeit berührte, würzte das Mahl. Der Ernst schien aus des Juden Gesicht völlig gewichen zu sein, und wer ihn zum ersten Male in solcher Umgebung gesehen hätte, würde ihn eher für einen sanguinisch vergnüglichen Lebemann gehalten, als jenen vernichtenden Feind des gäng und geben christlichen Denkens in ihm entdeckt haben.
Mit seiner schönen Tochter scherzte und neckte er sich mit liebenswürdiger Schalkhaftigkeit. Und Sara war auch in der That so zurückhaltend launig, so lockend verführerisch, daß wol selbst ein Vater, der so hohe Zwecke in seinem Handeln verfolgte, wie Mardochai, von dem Liebreiz des schönen Geschöpfes hingerissen und dem tödtenden Ernst des täglichen Strebens entzogen werden konnte.
Es wunderte mich, daß die Speisen streng nach den Vorschriften des Mosaismus bereitet waren. Aus Gleichmuth's Lebensgeschichte hätte ich in Mardochai eher einen Verächter so nichts sagender Regeln gesucht. Der Jude mußte, gewöhnt an ein schlaues Durchforschen aller Begegnenden, etwas Aehnliches in mir argwöhnen, denn schnell sich zu mir wendend, sprach er: »Sie wundern sich wahrscheinlich, daß ich streng an dem Gesetz meiner Väter halte und es doch keineswegs verachte, in Dingen des Luxus der neuesten Zeit große Opfer zu bringen. Es ist dies nöthig, weil wir in Europa sind. Der Ekel an dem, was anbrüchig ist in dieser Zeit und Welt, treibt uns wider Willen entweder zu gänzlicher Entsagung oder zu einer scheinbaren Verehrung. Da jene oft zweckwidrig bleibt, so hält man sich an diese. Ich befolge das Gesetz meiner Väter, nicht weil ich es für untrüglich halte, sondern dem Zwecke zu Liebe, den ich damit verknüpfe, und dieser ist groß und heilig! – Aber wozu solch' Geschwätz? – Lassen Sie sich's wol schmecken bei einem Juden, und Du Sara, unterhalte die Herren mit Deinen Künsten.«
Sara stand lächelnd auf. Mit einer graziösen Verbeugung, noch gehoben durch die naive Verschämtheit, die sie begleitete, schlüpfte das reizende Kind fort und verschwand hinter einem Vorhang von schwerer grüner Seide. Bald darauf rauschte die Hülle zurück, Sara ruhte nach orientalischer Sitte in der anmuthigsten Stellung auf einem Divan von himmelblauem Sammet, über dem eine weiße Marmorbüste aus der Wand ragte. Sie schien mir Aehnlichkeit mit Moses zu haben, wie er gewöhnlich abgebildet wird. Von oben herab fiel ein blendendes Licht auf die schöne Gestalt. Sara hielt eine Zither im Arm, und spielte und sang mit gleicher Geschicklichkeit ein sanftes Lied. Als sie geendigt, sprach Mardochai: »Nicht diese melancholischen Klänge unsern werthen Gästen! Etwas Heiteres, Lustiges, und zeige, daß Du auch geübt bist in der Kunst, den Körper melodisch zu bewegen, wenn Harmonieen die Luft in den vollsten Schwingungen erbeben machen.« Die schöne Jüdin schlug scherzhaftere Klänge an, ihr schlanker und doch üppig gerundeter Körper erhob sich, je mehr die Töne anschwollen, zu Lust und Scherz. Bald jubelte eine ausgelassene Freude aus den Saiten der Zither, und Sara schwebte mit Sylphidenleichtigkeit nach dem Tact des Spieles in dem schimmernden Boudoir, wie eine körperlose Erscheinung umher. Auf einen Wink Mardochai's fiel der Vorhang wieder zusammen und das überraschende Intermezzo war vorüber. Sara kam wieder zur Tafel. Sie reichte eingemachte Früchte umher. Das Echauffement hatte ihre Schönheit mehr gehoben. Ich suchte ihren Blick aufzufangen, Sara unternahm ein ähnliches Manöver, und das kurze Vorpostengefecht, das sich bei diesem Wollen und Nichtsollen zwischen unsern recognoscirenden Blicken entspann, war ganz dazu geeignet, uns beide in eine bedenklich glückliche Lage zu versetzen. Sara hatte alle Leidenschaftlichkeit geerbt von ihrem Vater, und nur die empfindliche Eitelkeit ihres Geschlechtes von der Natur noch mit in den Kauf bekommen. Sie erröthete, begann zu zittern und verschüttete die Süßigkeiten, als sie mir die geschliffene Krystallschale reichen wollte und zufällig dabei meine Hand berührte.
»Du kannst uns nun verlassen, Sara,« sprach Mardochai, dessen Blicke basiliskenartig Alles durchspähten. Sara gehorchte, sie schied mit einer Verbeugung, die schönen Hände auf dem Busen kreuzend. Ich folgte ihr mit den Augen. An der Thür wandte sie sich, Mardochai sprach mit Oskar, schnell warf mir das schöne Kind des Morgenlandes ein paar Kußhändchen zu und schlüpfte geräuschlos in das anstoßende Gemach. Da stand Mardochai auf und sprach laut zu Oskar. »Kommen Sie und überzeugen Sie sich, wie elend sich ein Jude behelfen muß, um sein Leben zu fristen, weil Ihr Christen immer noch kein Gehör habt für eine gänzliche Emancipation des unglücklichen Volkes.«
Mardochai ergriff einen der silbernen Armleuchter und führte uns durch lange, schmale Gänge und Gewölbe in ein Hinterzimmer. Hier standen die neu angekommenen Kisten. Die Fenster waren dicht verschlossen, so daß kein Lichtstrahl hereinfallen konnte in dieses verborgene Gemach. Rings an den Wänden hingen eine Unzahl zierlich geschnitzter Kreuze und elfenbeinerner Kruzifixe. Auch lange Tafeln waren damit bedeckt, Heiligenbilder, wie sie noch immer in katholischen Ländern von den niedern Volksklassen gern gekauft werden, lagen in hohen Stößen aufgeschichtet am Boden. Viele waren schlecht auf ganz gemeines Fensterglas gemalt, andere roh in Cedernholz geschnitzt. Doch gab es auch Arbeiten von sauberster Feinheit, die wahrhaftigen Kunstwerth hatten.
Des Juden Gestalt schien sich zu heben, sobald die Thür hinter uns in's Schloß gefallen war. Er zündete mehrere Wandleuchter an, die ich ihrer Form nach für Türkenköpfe mit Turbanen umwunden hielt und den Wachskerzen zu Dillen dienten. Als nun ein magischer Lichtglanz das Zimmer erfüllte, schritt der Jude wie ein zürnender Gott durch die Reihen der Kisten und Ballen, die theils offen, theils verschlossen, den Raum des Gemaches erfüllten.
»Mit solchem elenden Schacher muß sich ein verachteter Jude behelfen,« sagte Mardochai, seine hohe Gestalt stolz aufrichtend in dem schimmernden, weißen Seidentalar, den er vor der Mahlzeit angelegt hatte. Er stand da gleich einem Hohenpriester Israels zur Zeit seines Glanzes. »Ich will doch sehen, was mir da meine Handelsfreunde zugesendet haben.«
Ein kleiner Hammer öffnete eine der Kisten mit wenig Schlägen. Wohlriechende Körner rollten am Boden. Der Duft frischer Myrrhen erfüllte das Zimmer mit süßem, betäubendem Aroma.
»Wohl bedient,« sagte Mardochai, die Körner sammelnd und sie behutsam in eine silberne Schale legend. »Man muß vorsichtig mit so edlem Gut umgehen, denn wer kann wissen, ob nicht jedes dieser verdampfenden Körner eine Seele mehr hinaufkräuseln hilft zum Himmel, der minder casuistisch gesinnt ist, als die Erde.«
Die dunklen Worte lagen wie Blei auf mir, meine Zunge war gebunden, Oskar lehnte, einer Marmorgestalt gleich, an der Thür.
»Sie glauben nicht,« fuhr Mardochai fort, indem er eine zweite Kiste besichtigte, »wie gesucht meine Artikel sind. ›Der wunderliche Jude, der alle Jahre eine Reise durch Deutschland und Frankreich macht,‹ sagt man fern und nah, ›hat doch eine recht lobenswerthe Anhänglichkeit an Alles, was nur irgend dem kirchlichen Leben förderlich sein kann. Ein Wort schon genügt, und man wird versorgt, nicht direct, aber doch immer durch seine Verwendung. Der gute Mann muß recht unglücklich sein, daß ein jüdisches Kleid seine Glieder umfließt. Sein Blick ist so sanft melancholisch, sein Gesicht so bleich. Und doch bleibt er immer derselbe, immer ruhig, heiter, gefällig, ohne gehorsamst zu danken oder den Hut zu ziehen.‹ – So, meine Herren, spricht man von mir, und, ich meine, mit einigem Recht. Denn das Bischen Wohlstand, was ich mir zusammengehandelt, verdanke ich blos dem Geschäft, auf das mich ein glücklicher Gedanke führte. Ohne übrigens Rücksicht zu nehmen auf den reellen Profit, sehe ich darin auch einen ideellen. Das Christenthum profitirt von dem Judenthum ein Stück geistiger Force, und das Judenthum vom Christenthum mehr klingenden Halt. So bildet sich zwischen beiden eine recht lustige Harmonie aus, die gar nicht zu verachten ist. Ein spekulativer Kerl geht nie zu Grunde, wär's auch nur ein armer jüdischer Arzt, der als Mann der Wissenschaft nicht bestehen konnte, weil er seinen Appetit nicht ganz emancipiren wollte und der Humor ihm deshalb Bauchgrimmen verursachte. Der Zufall ist witzig, meine Herren, und mich hat mein Nichtappetit wolhabend gemacht, doch bei Gott, nicht zu meinem eigenen Nutzen! Es gilt, Größeres zu vollbringen.«
Den Hammerschlägen hatte sich die Kiste geöffnet. Eine feine Substanz, von durchsichtiger Weiße, fiel über die Ränder heraus. »Halt,« sprach Mardochai und sein Gesicht zuckte zusammen in einer Mischung diabolischer Schadenfreude und schluchzender Wehmuth, »Halt! daß nichts verloren geht von dieser gebleichten Körperlichkeit.«
Ich riß die Augen weit auf, Mardochai's Blick begegnete dem meinigen, sein Auge glänzte und glühte, er griff mit der ringgeschmückten Hand in die feine Substanz und bestreute mir mit dem Mehlstaube das Haupthaar. »So,« sagte er, »ich sollte meinen, eine Decke solchen Staubes müßte für jeden etwaigen revolutionären Gedanken ein undurchdringlicher Panzer sein.« – »Ich für mein Theil,« fuhr er fort, »habe dabei nur gelernt, wie leicht es ist, mildthätig zu werden, wenn der Geist der Speculation gewaltiger ist, als das Gewissen, oder der stille Groll eines tief verwundeten Volksherzens heftiger klopft, als das Rauschen der Gerechtigkeit, deren Zähne beim Kusse sich verbissen haben in die tönende Schaale! Mardochai, meine Herren, möchte gern Mensch sein, und das fällt ihm schwer! Darum wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.« –
Unter den letzten Worten hatte er eine verborgene Thür geöffnet. Die kühle Nachtluft wehte herein. Auf den Köpfen, die sich wie jammernd hervorbäumten aus dem Wandgetäfel, und deren Turbane ich jetzt erst für Dornenkronen erkannte, flammten die hellen Kerzen. Das Wachs rann herab über sie und bohrte sich ein in die Augenhöhlen des größten Propheten. – Mein Herz schwoll auf in furchtbarem Zorn. Ich erhob die Hand, um einen heftigen Schlag gegen den Entsetzlichen zu führen, allein Mardochai war gefaßt auf Alles. Ein rasch geführter Stoß mit dem Hammer lähmte meinen Arm, der Luftzug blies die Kerzen aus, nur der weißseidene Talar des Juden flatterte gespenstisch in der dunklen Kammer. Er stieß uns hinaus in's Freie und rasselnd schlug die Thüre hinter uns zu. Ich glaubte ein dämonisches Gelächter zu hören, dann ein tiefes wehklagendes Schluchzen. Doch hatte ich mich wahrscheinlich geirrt. Der Nachtwind murrte um die Giebel und das Schluchzen hallte herüber vom nahen Rhein, dessen eilende Wellen sich an den Kielen der Schiffe brachen.
Die halbe Nacht irrte ich mit Oskar, dessen ganze Seelenkraft gebrochen war, in der Stadt, am Ufer des Stromes und den einsamen Spaziergängen umher. – Ja ich seh' es, daß Gleichmuth in seinen Ahnungen mit Friedrich nahe zum Ziele getroffen hat. Mardochai ist ein Teufel unter den Göttern und ein Gott unter den Teufeln. Wer aber mag den ersten Stein aufheben gegen ihn und wer es wagen, zu sprechen: Du allein bist der Verworfene? Mardochai ist so gut, wie wir Alle, ein Kind der Nothwendigkeit. So gut es Christen gibt, die sich abwenden möchten vom Dienst, den Worte gebieten, weil blos ein finsterer Schatten den Ort bezeichnet, wo einst der wahrhaft hehre Tempel der Heiligung sich zum Himmel erhob, warum sollten sich nicht eben so gut Juden finden dürfen, die im Herzen ledig und baar ihres Mosaismus, blos durch die Schmach der Gegenwart noch zu erheucheltem Festhalten an das Gesetz gezwungen werden? Starre Juden sind schon fertige christliche Proselyten. Wollten wir nur das unglückliche Volk emancipiren, so pfropften wir frische Reiser auf den welkenden Baum der Religiosität, und ein neuer, reinheiliger Geist würde die absterbende Masse wieder beseelen. Aber die solide Bequemlichkeit der Privilegirten mag nichts davon wissen. Und hätte Pilatus hundert Leben, und könnte mit tausend Stimmen fragen, er würde laufen müssen durch die ganze Welt bis zum jüngsten Tage ohne Antwort zu erhalten auf seine Frage: »Was ist Wahrheit?«
Es ergeht mir, wie Jedem mit diesem Juden. Ich hasse ihn grimmig und liebe ihn doch mit erschütternder Wehmuth. Ein Mensch wie Mardochai kann nicht Jude sein und darf nicht Christ werden. Er hat zu viel Göttliches neben dem Dämonischen in sich. Das bloße Menschenthum aber kann nicht genügen, weil es den heiligen Glanz verloren hat im Umhertoben der Geschichte. Es trägt nur noch den Kampfrock, bespritzt mit Blut und Staub, zerfetzt vom Getümmel der Schlacht. Das Menschenthum wird erst dann an die Stelle des Christenthums treten dürfen, wenn dieses zurückgekehrt ist zu seiner ursprünglichen Reinheit und in seine Lehren die Sätze aufgenommen hat, die ein zweitausendjähriger Fortschritt der Geschichte unbeachtet in das Gedenkbuch des Himmels eintrug. –
Ob dies möglich ist auf europäischem Boden wie er jetzt sich gestaltet hat? – Nein, Ferdinand! Glaube an Gott, an Christum, Glaube an die Allmacht der Liebe und Erlösung, an diesen Wahn aber glaube nicht! Europa wird durch den Schmerz, den es fühlt über seine verlorene Ewigkeit und Freiheit, beitragen zur Schöpfung einer neuen, aber nur der Schleppenträger dieser Freiheit und Religion wird es sein, nicht ihr eigenster Besitzer. Und diese Freiheit ist die Freiheit von Leben und Gedanken, und diese Religion nennt sich die Religion der Humanität! Sie beide aber bringt nicht die Morgenröthe, sondern nur der duftige, warme Glanz des Westens, der die Lippe der Atlantis bewegt und tönen macht das noch ungeahnte Lied einer freien Religion und einer religiösen Freiheit – vielleicht aber auch ein neuer Stern, der mit hellem Licht bestrahlt die Trümmer der alten Burg Zion im Lande Palästina! –