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Köln, den 6. November.
Die Hoffnung ist nicht ein bloßer Ersatz für ein glückliches Sein, sondern das einzige und wahrhaftige Glück. Ich habe dies früher bestritten, eifrig, leidenschaftlich, hartnäckig, wie es meinem Naturell angemessen war. Seit ich aber so tief untergesunken bin in der Trauer über das Nichtdasein des Ersehnten, fühle ich, wie nur die Hoffnung glücklich machen kann. Es wird mir wunderselig, wenn ich der Zukunft gedenke, die ich jetzt nur noch jenseits des Oceans suchen kann unter Cypressenwaldungen, im Schatten tausendjähriger Eichen, umweht vom lebendigen Gelock des wunderbaren Tillandsea. In dieser Freiheit der Sehnsucht lösen sich auch die Ketten, an denen mein heißes Herz angstvoll klopft und vergeblich der Freiheit wartet in reinem Glanze. Ich kenne kein Elend mehr auf Erden, die verworrene Societät, die unsern natürlichen Menschen erdrückt hat unter frivolen, heuchlerischen Küssen, streicht unbeachtet an mir vorüber. Das politische Unwesen, eben so mannigfach zerrissen, wie die Secten, wodurch man Gott zu verehren wähnt, läßt mich kalt, weil ich in der Hoffnung bereits ein Bürger bin jenes unbekannten Landes, dessen Bestimmung die Erlösung der profanen Welt ist. Nimm auch Theil an dieser Hoffnung, Raimund, so zählt die unglückliche Welt einen Glücklichen mehr!
Und, Gottlob, die Stunden eilen vorüber in der räthselhaften Schnelligkeit, womit der Dampf die Zeit beschwingt hat. Nicht glaube ich mehr ein Jahr lang die Last des alten Joches zu tragen, das Europa's Glieder zermalmt. Es stoßen sich die Begebenheiten, wider Willen drängt Alles dem Ausgange zu, ich muß scheiden, sei's freiwillig oder als gezwungener Flüchtling; denn anders seh' ich nur Tod für mich und die, an deren Geschick auch das meinige von jetzt an eng geknüpft ist.
Vor zwei Tagen unternahm ich eine Spazierfahrt nach Düsseldorf, um Auguste, Lucie und Oskar zu zerstreuen. Diese armen Menschen träumen auch so hin im Nichtsthun, weil eben Alles erschlaffen muß in dieser Flachheit der Gesinnung. Auguste wird zwar weniger bedrängt von der allgemeinen Noth der Ueberfeinerung. Sie ist frei, vermögend, liebt und liebt glücklich, nicht weil sie mich liebt, sondern weil sie mit feinem Sinn den Geist der Liebe zu erfassen weiß. Nur, daß sie mich umstrickt sieht von den Verhältnissen, macht sie unruhig. Mit Freuden ging sie ein in meinen Vorschlag, Amerika zu besuchen. Es soll einstweilen blos eine Probefahrt werden, keine völlige Uebersiedelung, wiewol ich eine Rückkehr nicht ahne.
Gedrückter lebt Lucie, deren Unglück noch gesteigert wird durch ihre zügellose Heftigkeit. Ihr Vormund und Onkel Steinhuder hat nicht angestanden, Oskarn geheimer Verbindungen verdächtig zu machen. Der Zufall will es, daß Oskar aus jugendlichem Frohsinn früher einer erlaubten Verbindung angehörte und als Mitglied derselben mit der Burschenschaft correspondirte. Sein späteres Leben, das sich ungebundener auf Freiheitsgedanken in eine ideale Welt emporschwang, harmonirte zum Theil mit jenen chimärischen Plänen. Oskar schrieb, ließ drucken und sprach scharf über die Mißlichkeit unserer politischen Lage. Er stand mit französischen Propagandisten in Briefwechsel, flüchtige Deutsche in Paris ergriffen mit Eifer die Gelegenheit und suchten durch ihn auf ihre Landsleute zu wirken. In der letzten Zeit erregte der häufige Briefwechsel mit Paris die Aufmerksamkeit der Behörden. Oskar's Amtlosigkeit und sein starrer Sinn trugen noch mehr zur Verdächtigung bei. Es ward eine Haussuchung angeordnet und seine Papiere in Beschlag genommen. Gleich nachher ergab es sich, daß Steinhuder durch Lucie's Aeußerungen veranlaßt den ganzen schlimmen Handel angestiftet hatte. Oskar war außer sich, er vergriff sich thätlich an dem Kaufmann und kam noch in der fürchterlichsten Aufregung zu Bardeloh und mir, um wenigstens für den Augenblick einer precären Sicherheit gewiß zu sein.
Dieser Handel ist schlimmer, als er scheint. Du weißt es, wie man jetzt ängstlich darauf bedacht ist, jedem den Eintritt in den Staatsdienst zu verschließen, der auch nur einmal als Knabe im Gedanken gegen die Legitimität einer Einrichtung gesündigt hat. Diese unselige Maxime, den Staat innerlich zu sichern gegen äußere Angriffe, setzt jetzt oft die besten Köpfe außer Thätigkeit. Mangel und Armuth, beleidigtes Ehrgefühl, die geschmähte Menschlichkeit empören sich und der Staat gibt auf diese Weise, ohne daß er es will und ahnt, wol gar Anlaß zu Unruhen.
So stehen die Sachen überall, im In- und Auslande. Nie sind eine solche Menge fähiger Köpfe außer Connex gesetzt worden mit der Bedürftigkeit des Zeitlebens, als heut zu Tage. Mein eigener Kreis von Bekannten ist zwar nur klein, aber doch ausgedehnt genug, um zu erkennen, woran der Staat krank liegt. –
Der erste Sturm nun ging freilich vorüber, denn ob auch die Behörden Oskar's Versteck ahnen mochten, Bardeloh's Name, sein unheimliches Wesen erregen noch immer eine wunderbare Scheu. Und wahrlich, Bardeloh würde in seinem Hause gewiß keine Haussuchung geduldet haben!
Am unglücklichsten war Lucie gestellt. In ihrer Heftigkeit vergaß sie Alles, überhäufte Steinhudern mit Schmähungen und verwundete den unglücklichen Friedrich gefährlich mit einem Messer, als ihr Onkel abermals den jämmerlichen Menschen ihr als Bräutigam vorstellte. In der Angst entrann sie und stürzte, kaum ordentlich gekleidet, zu Rosalie in's Zimmer, als ich eben der besonnenen Frau einige Stellen aus Thomas Paine vorlas. Schnell ward der Entschluß gefaßt, das Geschehene wenigstens vorläufig durch Entfernung der Betheiligten vergessen zu machen. Ich eilte zu Burton, der, wie ich seitdem von ihm erfuhr, Kapitain in Diensten der freien Staaten ist, und bat ihn, die Führung eines kleinen Segelkahns zu übernehmen. Denn mit dem Dampfboot abzureisen, war nicht räthlich; Burton verstand sich gern dazu und noch an demselben Tage spät Abends hatten wir uns unterhalb Deuz eingeschifft. Obwol der Amerikaner das Strombett nicht kannte, hat ihm lange Erfahrung doch einen so richtigen Blick erworben, daß wir ohne den geringsten Anstoß einige Meilen den Strom hinabschifften, und hier das am andern Morgen ankommende Dampfboot erwarteten. Dieser Umstand verhinderte ein Zusammentreffen mit Bardeloh, um diesen für unsern Plan zu stimmen. Auf der andern Seite war damit aber auch wieder eine sehr bedeutende Förderung verbunden. Die Wasserfahrt gab mir hinlängliche Gelegenheit, mich mit Burton zu besprechen, jedes Für und Wider reiflich zu überlegen und meinen gefaßten Entschluß zu befestigen. –
Wir waren erst einige Stunden in Düsseldorf und trieben uns am Ufer des Stromes unter dem geschäftigen Leben herum, als eine Menge Auswanderer nach Amerika ankamen. Es waren meist arme Leute, zum Theil schon hoch in die Jahre. Kummer und Gram, das Brandmahl, welches die Armuth ihren Kindern eindrückt, prangte mit seinem blassen Todtenfahl auf den Gesichtern derselben. Burton mischte sich unter sie, fragte, in welchem Staat sie sich niederzulassen gedächten, welche Mittel ihnen zu Gebote ständen und Anderes. Die Antworten fielen sehr dürftig aus. Nur Wenige konnten mit Mühe die Ueberfahrtskosten bestreiten. Die ganze Gesellschaft hatte in Rotterdam ein Schiff gemiethet, das sie der neuen Welt entgegen führen sollte. Burton kannte das Fahrzeug, es war leck, im höchsten Grade gebrechlich und nur beim unwahrscheinlichsten Glück, noch dazu so spät im Jahre, eine günstige Fahrt denkbar.
»Es ist entsetzlich,« sprach der Amerikaner, »mit welchem Leichtsinn man die Auswanderer den Launen des Meeres übergibt. Die sittenlose Speculation der Rheder verdiente mit Todesstrafe belegt zu werden, und übten die Behörden immer mit mildem Sinn und nach dem Buchstaben die Gerechtigkeit aus, so müßten sie darauf sehen, denjenigen ihrer Unterthanen, die Noth und Unglück aus dem geliebten Mutterlande vertreiben, auch ein sicheres Geleit über das Meer zu geben. Man glaubt es kaum, wie viele Tausende elend zu Grunde gehen! Der Leichtsinn nimmt mächtig sehr überhand, alle Jahre steigt die Zahl der unglücklichen Opfer, die durch die Sorglosigkeit egoistischer Speculanten entweder den Wellen oder dem Hunger Preis gegeben werden. Diese Armen hier werden ein gewisser Raub des Elementes, wenn sie sich jenem Fahrzeug anvertrauen. Allein es soll nicht geschehen! Ich kenne den Besitzer, ich werde ihm schreiben und über ein anderes Schiff disponiren, das fest und ein Schnellsegler ist. Den Armen soll geholfen werden. Es sind mächtig brave Leute. Solcher Menschen bedarf Amerika. Ihre Nachkommen werden dereinst Europa wieder segnen helfen.« –
Die edle Uneigennützigkeit des Amerikaners erwarb ihm meine höchste Achtung. Ich zweifle gar nicht, daß ein so kräftig gesunder Sinn nicht Allgemeingut der Nordamerikaner ist, in ihm aber spricht sich die unerschütterliche Tugendhaftigkeit eines wahrhaftigen Republikaners aus, das heißt eines Menschen, der frei ist in politischer, socialer und religiöser Beziehung; und solche Menschen kennt nur Amerika. –
Burton zauderte nicht. Er ließ sich den Anführer der Gesellschaft vorstellen. Es war ein Greis von beinahe siebenzig Jahren. Er hatte sein kleines Gütchen verkauft in Würtemberg und mit seinen Kindern und Enkeln, einer Seelenzahl von einigen Dreißig, den Entschluß gefaßt, nach Amerika zu gehen. Land hatte er noch nicht gekauft, nur vorläufig sich am Delaware bei einem früheren Auswanderer auf zwei Monate ein Unterkommen ausbedungen. Der Mann hieß Tannenstädt.
»Mir wird's freilich schwer,« sagte der Greis, »mein liebes Deutschland zu verlassen. Was kann's aber helfen? Die Zukunft ist so düster, daß ich fürchten muß, meine Kinder und Kindeskinder verwünschen mich noch im Grabe, wenn sie einst bettelnd von Thür zu Thür schleichen. Es ist nicht mehr möglich, als ehrlicher Mann durch die Welt zu kommen in jetziger Zeit. Alles bricht zusammen, die Armuth macht widerspenstig und irreligiös. Wir sind nicht gewohnt, herrlich zu leben und in Freuden, nur das liebe tägliche Brod verlangen wir, und ein stilles sicheres Plätzchen für den arbeitsmüden Leib. Nun, was mich anlangt, so bringe ich mich wol durch. Was aber soll aus meinen Kindern werden? Ich seh's ein, daß wir uns nur Elend erwarten. Nun, sagt' ich da, in Gottes Namen, Kinder, gehen wir hinüber nach Amerika. Ein Plätzchen für mich zur ewigen Ruhe wird sich in dem weiten Lande wol finden, und Ihr habt die gewisse Aussicht, eine schöne Zukunft zu erleben. Auch plagen wird man Euch nicht mehr mit überflüssigen Abgaben. Damm auf und davon! Der Deutsche Gott ist auch Amerika's Vater.«
Also auch in den niedern Ständen ist das Gefühl heimisch geworden, daß in der bloßen Ausdauer, und werde sie getragen von der edelsten Tugendhaftigkeit, keine Erlösung mehr zu hoffen ist. Der arme Bauer und Bürger ist eben so europamüde, als der gebildete Weltmann. Nur daß bei jenen der geistige Ekel nicht so überschwenglich zu Tage liegt und in Ironie und Hohn sich ausgeifert. Diesen bedauernswerthen Vorzug hat bis jetzt blos der feine Weltmann, weil er eine größere Last der Sünden in sich beherbergt, als das schlichte Kind der Natur.
Burton war gerührt von der Ehrlichkeit des Alten. Er schrieb einige Briefe an amerikanische Kaufleute und gab sie dem Greise mit dem Bedeuten, sie ja wol zu verwahren, und käme er glücklich an mit den Seinigen auf dem nordamerikanischen Festlande, sie in Washington an das bezeichnete Handelshaus abzuliefern. Den Vorschriften, welche darauf an ihn ergehen würden, solle er unbedingt vertrauen. Sie würden ihm eine heitere Zukunft und herzliche Theilnahme sichern.
Gerührt dankte der Greis mit seinen Kindern dem Amerikaner. Alle küßten Burton die Hand, und ehe noch der Abend herankam, war das Schiff in der Ferne unsern Augen entschwunden. Meine Sehnsucht hing sich als Wimpel an seine schwanken Maste und brachte die ersten wärmsten Schläge meines stürmischen Herzens dem Lande der Hoffnung, dem Erdtheil der Erlösung.
»Diese guten Menschen werden dennoch mächtig zu leiden haben in meinem Vaterlande,« sagte Burton. »Sie sind zu sehr gewöhnt an den Bückling des Gehorsams. Das Gespenst einer überlieferten Gewalt hockt auf ihren Schultern, der Schatten des gebrochenen Joches, das so lange als Schmuck enger Gebundenheit sie begleitete, legt sich noch immer um den der Freiheit ungewohnten Nacken. Das müssen sie verlernen, wollen sie geachtet sein von meinen Landsleuten. Der Deutsche ist der beste der Ansiedler, aber der am wenigsten geachtete von dem Amerikaner, weil er zu fest an seinen alten Gewohnheiten hängt. Doch wird sich auch dies verlieren, denn wir Amerikaner sind mächtig derbe Menschen.«
Wohl hatte Burton recht, mein eigenes Gefühl sagte mir dies, und so wenig ich selbst ein Freund bin des überlebten Alten, diese Untugend deutscher Tugendhaftigkeit wird auch mich nicht sogleich verlassen wollen. Doch Hoffnung, Hoffnung ist mein Glück und dieses Glück steht so fest, als das Firmament.
Um Mitternacht.
So eben komme ich von einer langen Unterredung mit Burton. Ich habe meine Zukunft erbaut an dem großen Weltherzen dieses Menschen, der frei ist und glücklich, und doch theilnehmend und empfänglich für den Schmerz Anderer. Burton will mit Bardeloh sprechen; er ist nicht abgeneigt, selbst den wahnsinnigen Mönch nach Amerika überzusiedeln. »Die Seeluft,« sagte er, »kann ihn heilen, und wo nicht, die Unbegreifbarkeit der großartigen Natur meines Vaterlandes.«
Darüber kann ich nicht entscheiden, die gesunde Vernunft aber findet nichts Unwahrscheinliches in einer solchen Behauptung. Auch Casimir und Friedrich, dessen Geschichte, soweit ich sie selbst kenne, der Amerikaner von mir erfuhr, werden uns begleiten. Eine mir selbst unbegreifliche Anhänglichkeit an Mardochai ließ mich auch diesen vorschlagen. Burton stutzte, und zum ersten Male glaubte ich eine nicht ganz menschliche Regung in ihm zu entdecken.
»Sigismund,« erwiederte er nach kurzem Schweigen, »bestehen Sie darauf, so will ich Ihnen nicht zuwider sein, etwas aber gebe ich Ihnen zu bedenken. So wie Sie mir diesen außerordentlichen Mann geschildert haben, fürchte ich entweder, daß er den Antrag höhnisch ausschlägt oder, nimmt er ihn an, die Ruhe stört, die Gesellschaft in Gram und Angst des Kummers und alter, bitterer Erinnerungen niederdrückt. Wofür auch Mardochai immer gehandelt haben mag, er hat mächtig gesündigt an dem Einzelnen, um das Ganze zu sühnen. Können wir wissen, ob den tiefwurzelnden Haß des Sturmes Toben und die leuchtende Geisterflamme des Oceans in ihm auszubrennen im Stande sind? Ein nationaler Haß scheint mir unaustilgbar zu sein, ein persönlicher läßt sich versöhnen. Bei Mardochai haben sich beide so seltsam verzweigt, daß nur der Tod sühnend dazwischen treten kann. Darum, Sigismund, rathe ich nicht nur, den Juden zurückzulassen, sondern ihm auch unsern ganzen Plan zu verschweigen. Ohnedies ist ja Ihr Freund Bardeloh noch erst dafür zu gewinnen, was, dünkt mich, eine mächtig schwierige Aufgabe sein wird.«
Ein ruhiges Ueberlegen der Verhältnisse und des geistigen Zusammenhanges dieser seltsamen Lebensverwickelungen, mußte Burton Recht geben. Ich bin entschlossen, gegen Mardochai ein Geheimniß daraus zu machen. Nun meldet sich aber ein eigenes Mitgefühl in mir, das mich bedauern läßt, auch Sara, dies liebliche Geschöpf, der hiesigen Sumpfluft zum Opfer fallen zu lassen. Es ist nicht Liebe, was ich empfinde, mein Herz gehört ganz nur der Göttin meines Lebens, Auguste, zu eigen. Die Unschuld allein besticht mich, die Hilfsbedürftigkeit des Weibes, die sich unmöglich an Mardochai's starker Hand kräftig fühlen kann. Und wer soll Sara retten, wenn der Zug des Geschickes uns fortreißt über die unermeßlichen Meere? Wird Sara Christin werden, wird sie Jüdin bleiben und einem Gatten die Hand reichen, der wol die Aeußerlichkeit von dem Streben Mardochai's begreift, aber nicht hineinsehen kann in den Abgrund dieser speculirenden Seele? Hier bin ich mir unklar und weiß noch nicht, was ich thun oder lassen soll. Indeß vertraue ich abermals der Hoffnung und Auguste's schwesterlicher Liebe. Vielleicht weiß das Gemüth des Weibes in seiner Unmittelbarkeit eher einen Rath, als der berechnende Verstand des Mannes. –
Oskar und Lucie glühen verlangend nach Amerika's Freiheit. Beide wollen nicht wieder zurück nach Europa, sie gehen mit dem festen Entschluß zu Schiffe, sich jenseits des Weltmeeres ein neues, schöneres Vaterland zu suchen. Jetzt, wo das Unglück schnell und unvorgesehen Oskar's Seele berührt hat, steht der kräftige Mann in ihm auf. Es ist unglaublich, wie rasch das Unglück den innern Menschen hintreibt zu einer schönen Reife. Bisher fand ich in Oskar nur den verliebten Jüngling, der hinschwankte zwischen Leidenschaft und einem unstäten Wollen und Suchen. War auch sein Sinn gerichtet auf das Höhere und Zukünftige, was verborgen nur zuweilen die prophetischen Augen aufschlägt im tobenden Geräusch des Tages, so fehlte es ihm doch an jener Elasticität eines unternehmenden Geistes, die allein im Stande ist, die fesselnde Schmeichelei des Jahrhunderts an den Pranger zu stellen. Dies ist mit einem Male verschwunden, seit die Willkür der Macht seinen persönlichen Willen berührt hat. Und daraus, lieber Raimund, leite ich einen neuen Beweis her für die europäische Entsittlichung. Wir sind klug genug zu begreifen, daß wir hinsiechen im Nichtsthun, in der Lauigkeit unseres Herzens, aber die Tugend ist viel zu lumpig geworden unter den gewaltsamen Stößen, als daß sie für die Allgemeinheit sich in Kampf und Tod stürzen könnte. Erst, wenn der Egoismus berührt wird mit unheiligem Finger, dann weckt die kleine Beleidigung das Sittlichkeitsgefühl auf, und die Unmoralität muß so generös sein, der Tugend die Schleppe aufzuheben und ein Uebriges zu thun für die Weltgeschichte. Bilde Dir ja nicht ein, Raimund, daß unser Kosmopolitismus ein Verdienst sei unserer Ehrlichkeit; bei Leibe! Es ist nur das Gewinsel des Geprügelten, der im Schmerz große Heldenthaten verspricht. O, pfui dieser Tugend! Aber wir dürfen eigentlich nicht murren; denn eine niedergehaltene Kraft lehrt erkennen, wie stark sie werden kann, wenn der Absolutismus derselben wieder Geltung gewinnt.
Wir haben beschlossen, Oskar soll sich in der Nähe von Düsseldorf bis zu unserer Abreise aufhalten, die im Mai des künftigen Jahres angesetzt ist. Lucie bleibt bei einer Verwandten Auguste's. Beide Mädchen sind hier sicherer und in einer ihrem Geschlecht angemessenern Stellung. Oskar hat sich vorgenommen, eine sehr freie Darstellung des Rechtszustandes in Deutschland auszuarbeiten und noch vor seiner Auswanderung in Druck zu geben. Ich rieth ihm ab, da ich es weder für zweckmäßig noch edel halte. Allein wer mag dem beleidigten Zorne widerstehen! Oskar beharrt darauf und so mag er immerhin seinen Ingrimm noch aussprudeln. Auch dies kann Europa's Genesung oder schnelleren Tod herbeiführen, wo dann ja eine Wiedergeburt nicht so gar fern sein wird. Es ist merkwürdig, wie seit langer Zeit schon die Unmoralitat an sich als ein Heilmittel aufgegriffen wird für die krankhaften Zustände. So wird der Vergiftete nur durch Gift gerettet!
Oskar's Arbeit dürfte viel Gutes enthalten. Sein Sinn ist klar, er besitzt eine scharfe Combinationsgabe, die Wuth macht ihn bitter, lange erduldetes Unrecht gebiert jenen schneidenden Witz der Ironie, der vorzugsweise leider eine Geburt unserer Zeit genannt werden muß!
Auguste will nicht wieder zurück nach Köln. Mich schmerzt dies tief, doch kann ich mich durch die Aussicht beruhigen, öfters einmal mit dem Dampfboote den Rhein hinabzuschwimmen. Ein lebhafter Briefwechsel wird ohnedies unsere Herzen immer in engster Verbindung erhalten. – Einige Tage werde ich noch hier bleiben, um einleitende Briefe nach Amerika zu schreiben. Von Köln aus erhältst Du ebenfalls einige an meinen Geschäftsführer. Ich trage ihm auf, mein kleines Besitzthum im Gebirge zu veräußern. Die Kaufsumme mag aber darauf stehen bleiben. Von Amerika aus gebe ich Dir oder Ferdinand dann bestimmtere Verhaltungsregeln.
Beobachte ein tiefes Stillschweigen gegen meine Geschwister und den Vater. Sie sollen nichts erfahren von meinem Vorhaben; es würde ihnen die Ruhe rauben. Abschied mag ich nicht nehmen, um die Sentimentalität unserer Nation nicht auch in mir wieder aufleben zu lassen. Die Trennung ist unerläßlich. Außerdem kennst Du ja meine Lage und Stellung zu den Meinigen. Das Herz gehört ihnen, mein Geist und Streben der Welt. Hier muß geschieden werden streng und unerbittlich, sonst frevele ich an beiden. Freilich werden dies weder Vater noch Geschwister begreifen. Ihr Gott ist nicht der meinige, ihre Hoffnung mein Sterbegeläut. Das ist hart, ich fühl' es, aber es ist europäisch, und dies tröstet mich wieder. –
So bald ich zu Schiffe steige in Rotterdam, sende ich einen Brief ab mit meinen wärmsten Grüßen. Was mein Herz dabei fühlen wird, mag ich mir selbst nicht gestehen. Hoffnung und Liebe begleiten mich, und sollen diesen beiden Engeln des Lebens nicht alle übrigen weichen? –
Dies einstweilen Dir, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen. Ich fürchte nur den Winter, mehr aber Bardeloh's Gram und Mardochai's diabolische Spionirkunst. Erräth er unsern Plan, so läßt sich immer nichts Bestimmtes sagen über unsern Ausgang.
Gute Nacht! Burton tritt ein, um mich zu einem Spazirgange abzuholen. So spät in der Nacht spazirengehen? Ja, Raimund. Ein wunderherrliches Nordlicht überstreut den nächtlichen Himmel wie mit blühenden Rosen. Ich habe es noch selten so gesehen, dem Amerikaner ist die Erscheinung fast ganz neu. »Europa hat auch seine mächtig süßen Reize,« sagte er, »aber Amerika's Freiheit überstrahlt doch alle, und die Flagge mit ihren sechsundzwanzig Sternen, sollte sie nicht eben so schön anzusehen sein, als das Mitleid des Himmels, das er herabflattern läßt in verheißendem Glanz über das überwachte, lebensschlaffe Europa? Nord-Amerika for ever!«
So spricht ein freier Mann, darum schweige ich. Denn noch lebt kein Europäer, der sich ganz frei und groß fühlen könnte, wenn ein Sohn Amerika's das thatenfrische Auge aufblitzen läßt in den feuerflammenden Himmel. –