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Fünfter Akt

Ein Kerker im Staatsgefängnis zu Padua. Guido liegt (links) auf einer Pritsche; darauf ein Tisch mit einem Becher. Fünf Soldaten trinken und spielen Würfel auf einem Steintisch in der Ecke; einer von ihnen hat eine Laterne an seiner Hellebarde hängen. Eine Fackel steckt in der Mauer, Guido zu Häupten. Im Hintergrund zwei Gitterfenster, dazwischen (in der Mitte) die Tür, sie führen auf einen Gang. Die Bühne ist ziemlich dunkel.

Erster Soldat ( würfelnd). Sechs, schon wieder, lieber Pietro!

Zweiter Soldat. Teufel auch, Leutnant, ich spiele nicht mehr mit dir, sonst verlier' ich noch alles.

Dritter Soldat. Bis auf deinen Verstand, da brauchst du keine Angst zu haben.

Zweiter Soldat. Den kann er mir doch nicht nehmen.

Dritter Soldat. Nein, du hast keinen zu verschenken.

Die Soldaten. ( laut). Ha! Ha! Ha!

Erster Soldat. Pst, ihr weckt den Gefangenen auf, er schläft.

Zweiter Soldat. Was tut's? Er wird noch lange genug schlafen, wenn er erst beerdigt ist. Meiner Treu, er wäre froh, könnten wir ihn aufwecken, wenn er im Grabe liegt.

Dritter Soldat. O nein, denn wenn er dort aufwacht, ist der Jüngste Tag da.

Zweiter Soldat. Und dabei hat er so Schlimmes angestellt: denn ihr müßt wissen, einen von uns, die wir nur Fleisch und Blut sind, zu ermorden, geht gegen die Gebote; aber 'nen Herzog zu töten, das geht gegen die Gesetze.

Erster Soldat. Er war aber ein sehr verruchter Herr.

Zweiter Soldat. Dann hätte er ihn nicht anfassen sollen: denn wer sich mit Verruchten abgibt, der läuft Gefahr, von ihrer Verruchtheit besudelt zu werden.

Dritter Soldat. Allerdings. Wie alt ist der Gefangene?

Zweiter Soldat. Alt genug, um Dummheiten zu machen, und noch nicht alt genug, um vernünftig zu sein.

Erster Soldat. Dann kann er jedes Alter haben.

Zweiter Soldat. Wie's heißt, wollte ihn ja die Herzogin begnadigen.

Erster Soldat. Wirklich?

Zweiter Soldat. Ja, sie soll sich an den Oberrichter herangemacht haben, der aber wollte nicht.

Erster Soldat. Ich hätte mir gedacht, Pietro, die Herzogin kann alles.

Zweiter Soldat. Na ja, wie sie gebaut ist; ich kenne keine hübschere.

Soldaten. Ha! Ha! Ha!

Erster Soldat. Ich habe gemeint, unsre Herzogin könne alles ausrichten.

Zweiter Soldat. O nein, denn er wird jetzt seinen Richtern ausgeliefert, und die werden schon dafür sorgen, daß er hingerichtet wird, sie samt dem dicken Hugo, dem Henker. Ist aber der Kopf erst herunter, dann kann ihn die Herzogin begnadigen, wenn's ihr Spaß macht; dagegen gibt's kein Gesetz.

Erster Soldat. Ich glaube nicht daran, daß der dicke Hugo, wie du ihn nennst, zu guter Letzt noch sein Geschäft an ihm ausübt: dieser Guido ist aus adligem Hause, da kann er dem Gesetz nach zuerst Gift nehmen, wenn's ihm Vergnügen macht.

Dritter Soldat. Auf Ehre, Gift trinken ist ein schlecht Vergnügen.

Zweiter Soldat. Was für 'ne Sorte Gift ist's denn?

Erster Soldat. Na, Gift, das tötet.

Zweiter Soldat. Was ist das eigentlich für ein Ding, Gift?

Erster Soldat. Ein Getränk wie Wasser, nur nicht ganz so bekömmlich. Wenn du's mal schmecken willst, da steht welches im Becher.

Zweiter Soldat. Sapperlot, wenn's nicht bekömmlich ist, rühr' ich's nicht an.

Dritter Soldat. Wenn er's nun nicht austrinkt?

Erster Soldat. Dann wird man ihn umbringen.

Dritter Soldat. Und wenn er's trinkt?

Erster Soldat. Dann wird er sterben.

Zweiter Soldat. Wahl macht Qual. Hoffentlich wählt er gescheit.

( Es klopft an der Tür.)

Erster Soldat. Sieh' mal nach, wer da ist.

( Dritter Soldat geht hin und sieht durch das Guckloch.)

Dritter Soldat. Ein Frauenzimmer.

Erster Soldat. Ist sie nett?

Dritter Soldat. Ich kann's nicht sehen, Leutnant, sie hat 'ne Maske vor.

Erster Soldat. Nur ganz schöne oder ganz häßliche Frauenzimmer verbergen ihr Gesicht. Laßt sie herein! ( Der Soldat öffnet die Tür, die Herzogin in Maske und Mantel tritt herein.)

Beatrice. ( zum dritten Soldaten). Seid Ihr der wachthabende Offizier?

Erster Soldat. ( vortretend). Ich, gnädige Frau.

Beatrice. Ich habe mit dem Gefangenen allein zu sprechen.

Erster Soldat. Das ist leider unmöglich. ( Die Herzogin reicht ihm einen Ring, er betrachtet ihn und gibt ihn mit einer Verbeugung zurück, worauf er den Soldaten befiehlt): Tretet ab! ( Die andern Soldaten ab.)

Beatrice. Eure Leute sind ein wenig derb, Herr Offizier.

Erster Soldat. Sie meinen's nicht schlimm.

Beatrice. In ein paar Minuten werde ich wieder zurückkommen; wenn ich dann über den Korridor gehe, laßt sie nicht meine Maske lüften.

Erster Soldat. Ihr braucht nichts zu fürchten, gnädige Frau.

Beatrice. Ich habe besondere Gründe, wenn ich wünsche, daß man mein Gesicht nicht sieht.

Erster Soldat. Mit diesem Ring, gnädige Frau, könnt Ihr nach Belieben aus und ein gehen: es ist der Ring der Herzogin.

Beatrice. Laßt uns allein. ( Der Soldat ist im Begriff zu gehen.) Noch einen Augenblick. Für wieviel Uhr ist die Hinrichtung anberaumt?

Erster Soldat. Um zwölf Uhr, gnädige Frau, sollen wir ihn dem Befehl gemäß hinausführen, aber er wird wohl kaum auf uns warten; aller Wahrscheinlichkeit nach wird er dort von dem Gift einen Schluck tun. Die Männer haben Furcht vorm Henker.

Beatrice. Ist das Gift?

Erster Soldat. Ja, gnädige Frau, sehr starkes Gift.

Beatrice. Nun könnt Ihr gehen.

Erster Soldat. Sapperment, was für eine hübsche Hand! Wer sie wohl sein mag? Vielleicht eine Frau, die ihn geliebt hat. ( Ab.)

Beatrice.

( die Maske abnehmend).

Endlich!
Jetzt kann er fliehn in Mantel und in Maske,
wir sind fast gleich groß, niemand wird ihn kennen.
Mein Schicksal gilt mir wenig.
Wofern er mir nicht flucht, verläßt er mich,
ist alles gleich – ob er mir fluchen wird?
Er hat ein Recht dazu. Jetzt ist es elf,
sie kommen nicht vor zwölf: was wird man sagen,
wenn leer das Nest steht?
( Tritt an den Tisch heran.)
Das ist also Gift.
Wie sonderbar, daß hier in diesem Saft
der Schlüssel aller Lebensweisheit liegt!

( Hebt den Becher auf.)

Er riecht nach Mohn: wie gut ich mich erinnre,
als ich ein Kind war in Sizilien,
da pflückt' ich im Getreide Purpurmohn
und wand daraus ein Kränzchen; selbst mein Oheim,
der finstre Juan von Neapel, lachte.
Ich wußte nicht, daß Mohn des Lebens Quell
verstopfen, seine Pulse hemmen und
das Blut gefrieren kann, bis daß die Menschen
den armen Leib mit Haken holen kommen
und in die Grube werfen: ja, den Leib,
die Seele fährt zum Himmel oder Hölle.
Wohin wird meine gehn?

( Nimmt die Fackel aus der Mauer und tritt an das Ruhelager.)

Wie sanft er schläft,
gleich einem Knaben, der vom Spiel ermattet.
Ach, könnt' ich nur so friedlich schlafen, doch
ich träume.
( Sich über ihn neigend.)
Armer Knabe, küss' ich ihn?
Nein, meine Lippen würden ihn verbrennen,
den Liebesatten. Doch sein weißer Hals
entgeht dem Henker: dafür trug ich Sorge.
Noch heute nacht wird er aus Padua fliehn,
drob freu' ich mich. Ihr seid sehr klug, Herr Richter,
allein Ihr seid nicht halb so klug wie ich,
drob freu' ich mich. O Gott, wie ich ihn liebte,
und welcher blut'ge Kelch ist draus erblüht.
( Tritt wieder an den Tisch.)
Wie, trink' ich diesen Saft und ende so?
Wär's besser nicht zu warten, bis der Tod
zu mir ans Bett mit seinen Knappen käme,
mit Reue, Krankheit, Alter und mit Trübsal?
Ich weiß nicht, ob man viel zu leiden hat …
So jung noch soll ich schon zum Tode gehn,
doch muß es sein. Warum? Warum denn sterben?
Heut' nacht entflieht er, so daß auf mein Haupt
sein Blut nicht fällt. Nein, ich muß sterben, ich
bin schuldbeladen, deshalb muß ich sterben;
er liebt mich nicht, auch deshalb muß ich sterben;
ich stürbe glücklicher, wenn er mich küßte,
allein das tut er nicht. Ich kannt' ihn nicht,
dem Richter, glaubt' ich, würd' er mich verkaufen;
wir Frauen kennen unsre Liebsten nie,
bis daß sie uns verlassen.

( Die Glocke beginnt zu läuten.)

Ekle Glocke,
was schreist du wie ein Bluthund eh'rnen Mundes
nach diesem Leben, schweig! du schreist umsonst.
Er rührt sich – schnell!

( Ergreift den Becher.)

O Liebe, Liebe, Liebe,
nie dacht ich, so dir je Bescheid zu tun.

( Trinkt Gift und stellt den Becher hinter sich auf den Tisch. Das Geräusch erweckt Guido; er fährt auf, sieht aber nicht, was sie getan hat. Eine Minute lang herrscht Schweigen, sie blicken sich an.)

Ich komme nicht, um Gnade jetzt zu bitten,
ich weiß, ich stehe jenseits aller Gnade,
ein schuldbeladnes, ein verruchtes Weib.
Genug davon! Ich habe schon gebeichtet
den Richtern meiner Sünden Übermaß.
Sie schenkten mir ihr Ohr nicht. Einige sagten,
zu deiner Rettung hätt' ich dies erfunden,
da du mit mir im Bunde; andre sagten,
mit Mitleid spielten Frauen wie mit Männern;
noch andre, daß der Schmerz um meinen Gatten
mich des Verstands beraubt. Sie hörten mich
nicht an, und da ich's auf die Bibel schwur,
ward nach dem Arzt geschickt. Zehn gegen einen,
zehn sind's, dein Leben ist in ihrer Macht.
Man nennt mich Herzogin von Padua,
doch ob ich es noch bin, ich weiß es nicht.
Begnadigt hab' ich dich, und sie verwarfen's:
es sei Verrat, das hätt' ich sie gelehrt –
vielleicht ist's so. In einer Stunde sind
sie da und schleppen dich aus deiner Zelle
und binden dir die Hände auf den Rücken
und schleifen dich zum Block – ich überhol' sie.
Hier ist der Siegelring von Padua,
er wird dich sicher durch die Wache bringen,
nimm Mask' und Mantel hier; sie haben Auftrag,
nach nichts zu forschen. Bist du erst durchs Tor,
bieg ein nach links, und bei der zweiten Brücke
erwarten dich die Pferde – morgen bist
du in Venedig schon.
( Pause.)
Du willst nicht sprechen,
willst mir nicht einmal fluchen, eh du gehst?
Du hast ein Recht dazu.
Begreifst du nicht,
daß zwischen dir und dem Schafott des Henkers
kaum so viel Sand im Stundenglase rinnt,
als wie ein Kindchen rafft: hier ist der Ring,
die Hand ist rein, es klebt kein Blut daran.
Sei ohne Furcht! Willst du den Ring nicht nehmen?

Guido

( nimmt ihn und küßt ihn).

Gern, hohe Frau.

Beatrice.

Und Padua verlassen?

Guido.

Wie, Padua verlassen?

Beatrice.

Noch heut' nacht.

Guido.

Noch heute nacht?

Beatrice.

Dank' deinem Gott dafür.

Guido.

So darf ich leben? Nie schien mir das Leben
verlockend so wie jetzt.

Beatrice.

Was säumst du, Guido?
Hier ist der Mantel, an der Brück' ein Pferd,
am Fährhaus unten an der zweiten Brücke.
Warum weilst du noch hier? Vernimmt dein Ohr nicht
die Schreckensglocke, die mit jedem Schlage
dein junges Leben um Minuten kürzt?
Entflieh geschwind!

Guido.

Er kommt noch früh genug.

Beatrice.

Wer?

Guido

( ruhig).

Nun, der Henker!

Beatrice.

Nein, nein.

Guido.

Er allein
kann mich aus Padua bringen.

Beatrice.

Wie, du wagst,
wagst meine überladne Seele mit
zwei Toten zu beladen: einer genügt.
Denn wenn vor Gott ich Aug' in Auge stehe,
sollst du mir nicht mit einem Scharlachfaden
um deinen weißen Hals von hinten kommen
und mich verklagen, daß die Teufel selbst,
die in der Hölle heulen, Mitleid hätten.
Willst du noch härter als die Teufel sein,
die Gott verbannt?

Guido.

Ich warte, hohe Frau.

Beatrice.

Nein, nein, du kannst nicht. Siehst du denn nicht ein,
ich habe weniger Gewalt in Padua
als eine Dirne jetzt. Man wird dich töten.
Schon sah ich das Schafott auf freiem Platze,
schon drängte sich der Pöbel drum herum
mit grausen Witzen, mit Entsetzenslust,
als wär' es einer Mummenschanz Gerüst
und nicht des Todes Trauerthron. O Guido,
du mußt entfliehn.

Guido.

Ja, durch des Todes Hand,
durch deine nicht.

Beatrice.

Oh, du bist unbarmherzig,
so unbarmherzig jetzt wie stets. Nein, Guido,
du mußt hinweg.

Guido.

Ich bleibe, gnädige Frau.

Beatrice.

Du darfst nicht, Guido; denn so schrecklich wär's,
daß selbst die Sterne, staunend vor Bestürzung,
vom Himmel fielen, daß der Mond, gelähmt,
in seiner Bahn verfinstert und die Sonne
sich weigern würd', die Erde zu bescheinen,
die deinen Tod erblickt.

Guido.

Ich weiche nicht.

Beatrice

( die Hände ringend).

Du weißt ja nicht: sind erst die Richter da,
dann bin ich machtlos, dich vorm Beil zu schützen.
Als hätt' ich nicht genug bereits gefrevelt!
Ist eine Sünde nicht genug? Muß sie
noch eine zweite, schlimmre Sünde säugen
als das ursprüngliche Verbrechen? Gott,
verschließ der Sünde Mutterschoß, verdorr' ihn,
noch mehr Blut soll an meiner Hand nicht haften,
als jetzt schon.

Guido

( ihre Hand ergreifend).

Wie, bin ich so tief gesunken:
für dich zu sterben, wäre mir mißgönnt?

Beatrice.

( ihm die Hand entziehend).

Für mich? Mein Leben ist ein wertlos Ding,
das in den Straßenschlamm der Welt geworfen.
Du sollst für mich nicht sterben, sollst nicht, Guido,
ich bin ein schuldig Weib.

Guido.

Laß jene, die
nicht wissen, was Versuchung heißt, laß die,
so nicht im Glutenfeu'r der Leidenschaft
gleich uns gewandelt sind, und deren Leben
gelangweilt, farblos ist, kurzum laß alle,
sofern es solche gibt, die nicht geliebt,
mit Steinen nach uns werfen.

Beatrice.

Weh' mir, wehe!

Guido.

( ihr zu Füßen stürzend).

Du bist mein Lieb, bist meine höchste Wonne!
O gülden Haar, o Purpurmund, o Wangen,
geschaffen, Mannes Liebe anzulocken!
Verkörpert Bildnis der Holdseligkeit!
Dir huldigend, vergess' ich, was gewesen,
dir huldigend, streift meine Seele deine,
dir huldigend, fühl' ich mich einen Gott –
ob auch mein Leib zum Block des Henkers wandre,
so währt doch ewig meine Lieb'.

( Die Herzogin hält die Hände über das Gesicht, Guido zieht sie herab.)

Erhebe
die schleifenden Vorhänge deiner Augen,
daß ich hinein dir blicken kann und sagen:
ich liebe dich, nie mehr als da der Tod
die kalten Lippen zwischen uns gedrängt.
Ich liebe dich, Beatrice – deine Antwort?
Weh' mir, ich kann den Henker wohl ertragen,
doch nicht das Schweigen; sag', daß du mich liebst.
Dies Wort, und keinen Stachel hat der Tod mehr;
doch sagst du's nicht, sind fünfzigtausend Tode
dagegen eine Gnade. Du bist grausam,
du liebst mich nicht.

Beatrice.

Dazu hab' ich kein Recht.
Der Liebe Unschuldshände sind befleckt
mit schnöd' vergoßnem Blut – hier auf dem Boden
ist Blut, von mir verspritzt.

Guido.

Nicht, Lieb, von dir,
ein Teufel hat dich nur versucht.

Beatrice

( plötzlich aufstehend).

Nein, nein.
ein jeder ist sein eigner Teufel und
macht selbst die Welt zur Hölle.

Guido.

Dann versinke
zum Tartarus das Paradies! Denn jetzt
mach' ich zum Himmel diese Welt ein Weilchen.
Ich liebe dich, Beatrice.

Beatrice.

Sündverpestet,
bin ich nicht würdig deiner.

Guido.

Beim Erlöser,
mein war die Sünde, wenn es Sünde war.
Ich hab' in meinem Herzen Mord genährt,
das Mahl damit versüßt, den Wein gewürzt,
im Geist erschlug ich den verfluchten Herzog
wohl hundertmal am Tag. Wär' dieser Mann
nur halb so oft gestorben, wie ich's wünschte,
der Tod wär' immerdar durchs Haus gestapft,
der Mord hätt' nicht geruht.

Doch, du, Geliebte,
die den gepeitschten Hund voll Rührung ansah,
bei deren Anblick sich die Kindlein freuten,
weil Sonnenschein, wo du vorbeigingst, mitging,
du holder Engel göttlich-weißer Reinheit,
was war es, was man deine Sünde nennt?

Beatrice.

Was war es? Manchmal scheint es mir ein Traum
ein böser Traum, gesandt von bösem Gotte;
doch dann seh' ich den Leichnam in dem Sarg
und weiß, es ist kein Traum, weiß, meine Hand
ist rot von Blut, und meine arme Seele
hat auf der Fahrt nach einem Liebeshafen
für dieser tollen Erde wildes Tosen
am Fels der Sünde ihren Kahn zerschellt.
Was war es? fragst du – nur ein Mord, nichts sonst
als Mord, furchtbarer Mord.

Guido.

Nein, nein, nein, nein,
es war nur deiner Liebe Leidensblume,
sie brach im Augenblick zum Leben auf,
im Augenblick gebar sie blut'ge Frucht,
wie ich sie tausendmal im Geist gepflückt.
Mein Geist war voll von Mord, mein Arm war schwach;
dein Arm verübte Mord, dein Geist war rein.
Ich liebe dich deswegen, Beatrice;
wer Mitleid deiner Not versagt, der finde
im Himmel kein Erbarmen. Küsse mich, Süße!

( Versucht, sie zu küssen.)

Beatrice.

Nein, nein, dein Mund ist rein, befleckt der meine –
mein Buhle war der Mord, und Sünde schlief
in meinem Bette. Guido, liebst du mich,
entflieh, denn jeder Augenblick zernagt
dein Leben wie ein Wurm. Geliebter, flieh,
und wenn in spätrer Zeit du mein gedenkst,
so denke mein als einer, die dich mehr
geliebt denn alles auf der Welt; gedenk
als eines Weibes, Guido, meiner nur,
die ihrer Lieb' ihr Leben opfern wollte,
wobei sich ihre Lieb' erschlug. – Was ist's?
Der Glocke Läuten ist verstummt, die Treppe
herauf hör' ich Bewaffnete sich nahn.

Guido

( beiseite).

Das Zeichen für die Wache, mich zu holen.

Beatrice.

Warum hat's ausgeläutet?

Guido.

Mußt du's wissen?
Diesseit des Grabes endet hier mein Leben –
im Jenseits werden wir uns wiedersehn.

Beatrice.

Noch ist es nicht zu spät: entflieh von hinnen,
das Pferd steht an der Brücke, noch ist's Zeit.
Hinweg, hinweg, du darfst nicht länger säumen.

( Lärm der Soldaten auf dem Gang.)

Eine Stimme von außen.

Macht Platz dem Oberrichter Paduas!

( Durch das Gitterfenster sieht man den Oberrichter auf dem Gang vorübergehn, Fackelträger vor ihm her.)

Beatrice.

Es ist zu spät.

Eine Stimme von außen.

Macht Platz dem Henker!

Beatrice

( niederstürzend).

Oh!

( Der Henker mit dem Beil auf der Schulter, erscheint auf dem Gang, Lichter tragende Mönche hinter ihm.)

Guido.

Lebwohl, mein Lieb, ich trinke dieses Gift;
den Henker fürcht ich nicht, doch einsam will ich
nicht auf dem Blocke sterben.

Beatrice.

Oh!

Guido.

Nein, hier,
in deinen Armen hier, im Kuß – lebwohl!

( Geht zum Tisch und ergreift die Trinkschale.)

Wie, bist du leer?

( Wirft sie auf die Erde.)

O geiziger Kerkermeister,
du knauserst noch mit Gift.

Beatrice

( schwach).

Ihn trifft kein Vorwurf.

Guido.

O Gott, hast du's getrunken, Beatrice,
sag' mir, du tatst es nicht!

Beatrice.

Wollt ich's auch leugnen,
an meinem Herzen zehrt ein Feuer, das
bald sprechen wird.

Guido.

Verräterische Liebe,
was ließest du mir keinen Tropfen übrig?

Beatrice.

Nein, nein, es war nur Tod für mich darin.

Guido.

Laß mich das Gift von deinen Lippen naschen,
das dort vielleicht noch hängt.

Beatrice.

Du sollst nicht sterben,
du hast kein Blut vergossen, sollst nicht sterben,
ich habe Blut vergossen, ich muß sterben.
Steht nicht das Wort geschrieben: Blut um Blut?
Wer sagte das? ich weiß nicht.

Guido.

Wart' auf mich,
die Seelen wollen selbander gehn.

Beatrice.

Nein, lebe!
Es gibt noch viele Frauen auf der Welt,
zur Liebe, nicht zum Mord für dich bereit.

Guido.

Dich lieb' ich nur.

Beatrice.

Das ist kein Grund zum Sterben.

Guido.

Wenn wir gemeinsam sterben, warum können
wir nicht in einer Gruft gemeinsam ruhn?

Beatrice.

Das Grab ist nur ein enges Hochzeitsbett.

Guido.

Für uns genügt es.

Beatrice.

Sie werden es bedecken
mit starrem Leichentuch und bittern Kräutern,
denn Rosen sprießen, dünkt mich, nicht im Grabe,
und gibt es deren, sind sie alle welk,
seitdem der Herzog starb.

Guido.

Ach, Beatrice,
dein Mund trägt Rosen, die dem Tode trotzen.

Beatrice.

Wird nicht mein Mund, wenn wir im Grabe liegen,
zu Staub zerfallen, deiner Augen Glanz
zu blinden Höhlen schrumpfen und Gewürm,
der Hochzeit Gäst', an deinem Herzen zehren?

Guido.

Was tut's? Der Tod prallt an der Liebe ab –
und durch der Liebe ew'ge Majestät
sterb' ich mit dir.

Beatrice.

Allein das Grab ist schwarz,
die Grube schwarz, drum muß vorauf ich gehn,
die Kerzen anzuzünden, eh du kommst.
Nein, nein, ich will nicht sterben, will nicht sterben –
Geliebter, du bist stark, bist jung und tapfer!
Tritt vor mich, wenn der Todesengel naht,
und ring' mit ihm um mich!

( Stößt Guido vor sich her.)

Ich will dich küssen,
sobald du ihn besiegt. Hast du kein Mittel,
dem Gift, das in mir wühlt, Einhalt zu tun?
Gibt's in Italien keine Flüsse mehr?
Hol' einen Becher Wasser mir und lösche
dies Feu'r!

Guido.

O Gott!

Beatrice.

Warum verschwiegst du mir,
daß in Italien Dürre, daß kein Wasser,
nur Feuer ist?

Guido.

Geliebte!

Beatrice.

Schick' zum Arzt,
doch nicht zu dem, der meines Gatten Blut
gestillt. Hol' unverzüglich einen Arzt!
Es gibt für jedes Gift ein Gegengift,
er wird es uns um hohen Preis verkaufen.
Sag' ihm, für eine kurze Stunde Leben
sei Padua sein Lohn. Ich will nicht sterben.
Zu Tode bin ich krank. Berühr' mich nicht,
am Herzen nagt mir Gift. Ich wußte nicht,
daß Sterben solche Pein. Das Leben dacht' ich,
hätt' alles Herzeleid für sich genommen.
Es scheint, dem ist nicht so.

Guido.

Verdammte Sterne,
löscht eure Funzeln aus in Zähren und
heißt euern Herrn, den Mond, heut' nacht verbleichen.

Beatrice.

Was tun wir hier, Geliebter? Dieser Raum
ist ärmlich ausgeschmückt als Brautgemach.
Komm, laß uns schleunigst gehn. Wo sind die Pferde?
Wir sollten jetzt halbwegs Venedig sein.
Wie kalt die Nacht ist! Laß uns schneller reiten!
Sind dies nicht unsre Hochzeitsglocken, Guido?

( Die Mönche beginnen draußen ihre Gesänge.)

Musik! Sie könnte heitrer sein; doch Leid
ist jetzt die Mode – weshalb, weiß ich nicht.
Was weinst du? Lieben wir einander nicht?
Es braucht nichts weiter. Tod, was suchst du hier?
Zu dieser Tafel wardst du nicht geladen,
hinweg, du bist zu viel. Ich sage dir,
mit Wein trank ich dein Wohl und nicht mit Gift.
Man log dich an, dein Gift hätt' ich getrunken,
es ward wie meines Gatten Blut vergossen –
du kamst zu spät.

Guido.

Es ist nichts hier, mein Herz,
dies sind unwesenhafte Schemen.

Beatrice.

Tod,
was zauderst du – geh' in die obre Kammer,
das kalte Fleisch vom Leichenschmaus des Gatten
steht dort für dich, hier ist ein Hochzeitsfest.
Du bist am falschen Platz – es ist auch Sommer,
wir brauchen jetzt so starkes Feuer nicht,
du seng'st uns. Guido, laß den Totengräber
das Schaufeln dieses leeren Grabes enden.
Ich will da nicht beerdigt sein. Ich brenne,
verbrenne, schmelze durch die innre Glut;
kannst du nichts tun? Gib Wasser, gib mir Wasser,
sonst noch mehr Gift. – Der Schmerz ist jetzt vorüber;
wie wundersam, ich fühle keinen Schmerz.
Der Tod ist fort, wie bin ich froh darob,
mir schien, er wollt' uns trennen. Sag' mir, Guido,
tut es dir leid, daß du mich je gesehn?

Guido.

Was wär' mein Leben ohne dich gewesen!
In dieser stumpfen, leichten Welt starb mancher,
nach solchem Augenblick wie diesem spähend,
und fand ihn nicht.

Beatrice.

So tut es dir nicht leid?
Wie sonderbar!

Guido.

Hab' ich mich, Beatrice,
an Schönheit nicht geweidet? Das genügt
für eines Mannes Leben. Scherzen könnt ich;
bei manchem Feste war ich trauriger –
doch wer kann traurig sein bei solchem Feste,
wo Tod und Minne unsre Schenken sind?
Wir sind vereint in Lieb' und Tod.

Beatrice.

Ich ward
vor allen Frauen schuldig und dafür
vor allen Fraun bestraft. Was denkst du wohl –
es ist nicht möglich – kann die Liebe Blut
von meinen Händen wischen, Balsam träufeln
in meine Wunden, meine Schrammen heilen
und meine Scharlachsünden schneeweiß waschen?
Gesündigt hab' ich viel.

Guido.

Der sündigt nicht,
der es um Liebe tut.

Beatrice.

Gesündigt hab' ich,
und doch wird mir vielleicht verziehen werden.
Ich habe viel geliebt.

( Sie geben sich jetzt in diesem Akt den ersten Kuß. Plötzlich springt die Herzogin in fürchterlichem Todeskrampfe auf, reißt in der Agonie an ihrem Kleid und sinkt schließlich mit schmerzentstelltem, verzerrtem Gesicht tot in den Stuhl zurück. Guido nimmt den Dolch aus ihrem Gürtel, tötet sich damit, zieht, da er über ihre Knie fällt, an dem Mantel, der über der Lehne des Stuhles hängt, und bedeckt sie damit völlig. Kleine Pause. Dann hört man das Getrampel der Soldaten auf dem Gang, die Tür wird geöffnet, der Oberrichter, der Henker und die Wache treten herein und erblicken die schwarz verhüllte Gestalt und Guido, der quer über ihr liegt. Der Oberrichter stürzt nach vorn und zieht den Mantel von der Herzogin, deren Gesicht jetzt das marmorne Abbild des Friedens ist – ein Zeichen, daß ihr Gott verziehen hat.)

 


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