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Erster Akt

Marktplatz in Padua. Mittag. Im Hintergrund der Dom in romanischem Stil aus schwarzem und weißem Marmor. Eine marmorne Freitreppe führt zum Portal des Doms. Am Fuß der Treppe zwei mächtige Steinlöwen. Die Häuser zu beiden Seiten der Bühne haben bunte Schirmdächer vor den Fenstern und werden von steinernen Arkaden eingefaßt. Rechts ist der Springbrunnen, einen Meergott in grüner Bronze darstellend, der auf seinem Ruhelager das Horn bläst. Um den Springbrunnen eine Steinbank. Die Glocken des Doms läuten, und die Bürger, Männer, Frauen und Kinder, strömen hinein.

Guido Ferranti und Ascanio Cristofano.

Ascanio. So wahr ich atme, Guido, ich tue keinen Schritt weiter; sonst geht mir der Atem aus – zum Fluchen. So ein vermaledeites Irrlichtelieren!

( Setzt sich auf die Brunnenbank.)

Guido. Hier muß es sein. ( Er spricht einen Vorübergehenden an und zieht die Mütze.) Verzeiht, Herr, ist dies der Marktplatz und das die Kirche Santa Croce? ( Bürger nickt.) Habt Dank!

Ascanio. Nun?

Guido. Ja, hier ist's.

Ascanio. Ich wünschte, es wäre wo anders, denn ich sehe keine Schenke.

Guido. ( nimmt einen Brief aus der Tasche und liest). Zeit: Mittag; Stadt: Padua; Ort: Markt; Tag: St. Philippi.

Ascanio. Und der Mann? Woran sollen wir den erkennen?

Guido. ( fährt fort zu lesen). »Ich werde einen violetten Mantel tragen, auf dessen Schulter ein Silberfalke eingestickt ist« – ein schmuckes Kleid, Ascanio.

Ascanio. Mir ist mein Lederwams lieber. Und du glaubst, er wird dir von deinem Vater erzählen?

Guido. Gewiß. Weißt du nicht mehr, es ist kaum einen Monat her, ich war gerade im Weinberg, an der Ecke nach der Straße zu, wo die Ziegen immer hereinkommen, da ritt ein Mann des Wegs daher und fragte mich, ob ich Guido heiße. Er gab mir diesen Brief mit der Unterschrift: »Deines Vaters Freund«. Darin ward ich auf heute hierher bestellt, wenn ich das Geheimnis meiner Geburt erfahren wolle. Ich habe stets den alten Pietro für meinen Oheim gehalten, aber darin stand, dem sei nicht so, ich sei nur als Kind seiner Obhut anvertraut worden von einem, den er nie wiedergesehen.

Ascanio. Du weißt also nicht, wer dein Vater ist?

Guido. Nein.

Ascanio. Hast nicht einmal eine Erinnerung an ihn?

Guido. Keine, Ascanio, keine.

Ascanio. ( lachend). Dann kannst du auch nicht so oft einen Backenstreich von ihm bekommen haben, wie ich von meinem Vater.

Guido. ( lächelnd). Und dabei hast du's natürlich nie verdient.

Ascanio. Nie, das war ja eben die Gemeinheit; nicht einmal das Bewußtsein einer Schuld hat mir die Brust geschwellt. – Welche Stunde hat er festgesetzt?

Guido. Mittag. ( Domuhr schlägt.)

Ascanio. So viel ist's jetzt, und dein Mann ist noch nicht da. Ich glaube nicht an ihn, Guido; es wird wohl ein Dirnlein sein, das ein Aug' auf dich geworfen hat. Ich bin dir von Perugia nach Padua gefolgt – so wahr ich lebe, nun sollst du mir in den nächsten Weinschank folgen. ( Steht auf.) Bei den großen Göttern des Magens, Guido, ich bin jetzt wild aufs Essen wie 'ne Witwe auf 'nen Mann, müde vom Laufen, wie 'ne Jungfer der Tugendlehren müd ist, und trocken wie 'ne Kirchenpredigt. Komm, Guido, du stehst da und starrst ins Nichts, wie der Blöde, der in seinen Schädel gucken möchte. Dein Mann kommt doch nicht.

Guido. Ich fürchte, du hast recht. Ha! ( Als er sich eben mit Ascanio zum Gehen anschickt, erscheint Graf Moranzone in einem violetten Mantel, auf dessen Schulter ein Silberfalke eingestickt ist. Er schreitet über die Bühne bis zum Dom, und als er ihn betreten will, läuft Guido die Stufen hinauf und faßt den Grafen an.)

Moranzone.

Guido Ferranti, pünktlich trafst du ein.

Guido.

So lebt mein Vater?

Moranzone.

Ja, er lebt – in dir.
Du gleichst ihm in den Zügen des Gesichts,
in Haltung, Gang und äußerer Erscheinung;
ich hoff', du gleichst ihm auch an edlem Mut.

Guido.

Von meinem Vater sprecht! Für den Moment
hab' einzig ich gelebt.

Moranzone.

Laß uns allein sein.

Guido.

Dies ist mein treuster Freund, der mir aus Liebe
bis Padua gefolgt ist; es gibt kein
Geheimnis, das wir brüderlich nicht teilen.

Moranzone.

Du sollst ihm ein Geheimnis nicht vertraun.
Drum heiß ihn gehn.

Guido.

( zu Ascanio).
In einer Stunde sei
zurück. Er weiß nicht, daß auf dieser Welt
den fehlerlosen Spiegel unsrer Liebe
nichts trüben kann. Auf eine Stunde also!

Ascanio.

Sprich nicht mit ihm, er hat den bösen Blick.

Guido.

( lachend).
Nein, nein, ich zweifle nicht, er will mir sagen,
daß ich ein großer Herr bin in Italien
und unser langer Freudentage harren.
Auf eine Stunde, liebster Freund!
( Ascanio ab.)
Erzählt
mir jetzt von meinem Vater!
( Setzt sich auf die Steinbank.)
War er groß?
Des bin ich sicher, er saß hoch zu Roß.
Sein Haar war schwarz? Vielleicht ein rötlich Gold,
wie Feuer glänzt? War seine Stimme leise?
Die tapfern Helden haben ja bisweilen
der Stimme leisen Klang. Glich sie des Kriegs
Drommete, die der Feinde Reihen sprengt?
Ritt er allein aus oder folgten ihm
der Knappen Schar und wackre Reisige?
Denn oft ist mir, als ob in meinen Adern
das Blut von Königen pulst. War er ein König?

Moranzone.

Der königlichste war er aller Männer.

Guido.

( stolz).
So ragte, da Ihr ihn zuletzt erschaut,
mein edler Vater hoch ob andern Menschen?

Moranzone.

Er ragte hoch ob aller Menschen Häuptern –
( geht zu Guido und legt seine Hand auf dessen Schulter)
auf dem Schafott, wo seines Nackens harrte
des Henkers Beil.

Guido.

( aufspringend).
Wer bist du, Schreckensmann,
der gleich dem Raben, dem gespenstischen Kauz
mit dieser Unglückspost vom Grabe kommt?

Moranzone.

Man kennt mich hier als Grafen Moranzone,
als Herren eines öden Felsenschlosses
mit ein paar Äckern unwirtbaren Lands
und karger Dienerschaft; doch war ich einer
von Parmas Edelsten, ja mehr als das:
war deines Vaters Freund.

Guido.

( ihn bei der Hand fassend).
Von ihm erzählt mir!

Moranzone.

Du bist Lorenzos Sohn, des großen Herzogs,
des Fahn' auf manchem heißen Schlachtfeld wehte
im Kampfe wider Sarazenenketzer.
Er war der Fürst von Parma und der Herzog
des ganzen schönen Reichs der Lombardei
bis nach Florenz: ja selbst Florenz war ihm
tributverpflichtet –

Guido.

Kommt auf seinen Tod!

Moranzone.

Du hörst's noch früh genug. Er lag im Krieg –
o edler Kriegesleu, der in Italien
Unbilden niemals dulden wollte – er führte
der Ritterschaft erles'ne Blüte gegen
den Herrn von Rimini, den Ehebrecher
Giovanni Malatesta – den Gott strafe! –
und ward von ihm in schnöden Hinterhalt
gelockt, in Sklavenketten eingeschnürt
und wie ein Schuft, wie ein gemeiner Knecht
auf öffentlichem Richtplatz hingeschlachtet.

Guido.

( seinen Dolch packend).
Und Malatesta lebt?

Moranzone.

Nein, er ist tot.

Guido.

Ihr sagtet tot? O allzu flinker Tod,
hättest du nur kurze Frist auf mich gewartet,
dein Amt hätt' ich versehn.

Moranzone.

( sein Handgelenk umspannend).
Du kannst es noch!
Der Mann, der ihn verkauft, ist noch am Leben.

Guido.

Verkauft? mein Vater ward verkauft?

Moranzone.

Verschachert
wie ein Stück Vieh, um hohen Preis verraten,
vertauscht, verhandelt auf geheimem Markte
von dem, der ihm als Freundes Vorbild galt,
dem er vertraut, den er ins Herz geschlossen,
durch seiner Güte Band an sich geknüpft. –
Wer Freundlichkeit auf dieser Erde sät,
der erntet nichts als Undank.

Guido.

Und er lebt,
der ihn verkauft?

Moranzone.

Ich will dich zu ihm führen.

Guido.

So lebst du, Judas? Nun, ich mach' die Welt
zu deinem Töpfersacker, kauf ihn gleich,
denn hängen mußt du dort.

Moranzone.

Du sagtest: Judas?
Ja, Judas im Verrat, doch er war schlauer
als Judas war, denn dreißig Silberlinge
erschienen ihm ein zu geringer Preis.

Guido.

Wieviel ward ihm für meines Vaters Haupt?

Moranzone.

Wieviel? Ei, Städte, Lehen, Fürstentümer,
Weinberge, Ländereien.

Guido.

Wovon er nur
sechs Fuß behalten soll, um drin zu faulen.
Wo ist er, der verdammte Bube, wo?
Zeigt mir den Mann, und käm er stahlgepanzert
vom Kopf zur Zeh, geharnischt und geschient,
ja selbst von tausend Reisigen beschützt, –
durch ihrer Speere Wall will ich ihn treffen
und seines schwarzen Herzbluts letzten Tropfen
von meiner Klinge sickern sehn. Den Mann,
ich mach' ihn kalt.

Moranzone.

( gelassen).
Das nennst du Rache, Narr?
Der Tod ist unser aller Erdenlos,
und kommt er jählings, ist er noch Gewinn.
Dein Vater ward verkauft – das sei dein Stichwort:
Verkaufe den Verkäufer deinerseits!
Du sollst bei Hofe dienen, sollst mit ihm
von einem Brot, an einer Tafel essen –

Guido.

O bittres Brot!

Moranzone.

Dein Gaumen ist zu zart,
die Rache wird's dir süßen. Abends sollst du
sein Trinkgenosse beim Gelage sein,
sein Busenfreund, daß er sich an dich schmiegt,
dich liebt und alle Ränke dir vertraut.
Heißt er dich guter Dinge sein, so lache;
beliebt's ihm, ernster Stimmung nachzuhängen,
leg Trauerflore an. Ist reif die Zeit –
( Guido umkrallt sein Schwert.)
Nein, nein, ich trau' dir nicht; dein heißes Blut,
dein ungezügelt Wesen, deine Jugend,
sie warten nicht auf diese Rache, sondern
zerschellen an deinem Groll.

Guido.

Ihr kennt mich nicht.
Nennt mir den Mann, ich will in allen Stücken
dem Rate folgen.

Moranzone.

Wenn die Zeit erfüllt,
das Opfer eingelullt, die Stunde günstig,
dann will ich heimlich dir durch raschen Boten
ein Zeichen senden.

Guido.

Sprecht, wie soll er sterben?

Moranzone.

Du sollst in jener Nacht sein Schlafgemach
erklimmen – merk' es wohl!

Guido.

Seid unbesorgt!

Moranzone.

Zwar weiß ich nicht, ob Schuldbeladne schlafen,
doch wenn er schläft, so weck' ihn ja zuerst
und pack' ihn bei der Gurgel – siehst du, so!
Und hast du ihm gesagt, wes Bluts du bist,
wer dich erzeugt und was der Rache Sinn,
dann laß ihn, betet er, um Gnade beten.
Laß ihn dir Schätze bieten für sein Leben,
und wenn er alles Goldes sich entäußert,
sag' ihm: »ich brauch nicht Geld, ich kenn nicht Gnade«
und tue stracks, was deine Pflicht. Jetzt schwöre,
daß du ihn nicht ermordest, bis ich's heische,
sonst kehr' ich wieder heim und lasse dich
unwissend, deinen Vater ungerächt.

Guido.

Ich schwör' es Euch bei meines Vaters Banner –

Moranzone.

Der Henker hat's auf offnem Markt zerfetzt.

Guido.

Bei meines Vaters Grab –

Moranzone.

Bei welchem Grab?
Im Grabe ruht dein edler Vater nicht.
Sein Staub ward in die Luft zerstreut, vom Winde
ward seine Asche durch die Stadt gewirbelt
wie Spreu, die Bettlern in die Augen sticht.
Sein Haupt ward vorm Gefängnis aufgespießt,
zum Spott mit einer Krone aus Papier
geschmückt, damit der unverschämte Pöbel
dran seine Zunge wetze.

Guido.

War es so?
Bei meines Vaters makellosem Namen,
bei seines Todes schändlich-grauser Art,
bei seines Freundes niederträchtigem Frevel –
die sind doch übrig – dabei schwör' ich also,
ich werde Hand nicht an sein Leben legen,
bis Ihr's befehlt, dann – schütz, Gott seine Seele,
denn sterben soll er, wie kein Hund verreckt.
Und jetzt das Zeichen?

Moranzone.

Dieser Dolch, mein Sohn,
des Vaters Dolch.

Guido.

O laßt mich ihn betrachten!
Jetzt fällt mir ein, mein angeblicher Oheim,
der gute Alte, sprach von einem Mantel –
als Säugling war ich drin verpackt – worauf
in Gold zwei solche Pardel eingewirkt;
in Stahl mag ich sie lieber, so wie diese,
sie taugen eh'r dem Zwecke. Sagt mir, Herr,
habt Ihr von meinem Vater keinen Auftrag?

Moranzone.

Du sahest deinen Vater nie, mein Sohn …
Als ihn sein falscher Freund verraten hatte,
entkam nur ich von allen seinen Edeln,
der Herzogin in Parma es zu künden.

Guido.

Sprecht mir von meiner Mutter!

Moranzone.

Deine Mutter –
an Reinheit stand sie keiner Heiligen nach –
verfiel bei dieser Nachricht einer Ohnmacht,
ward vor der Zeit von Kindeswehn ergriffen –
sie war seit sieben Monden erst vermählt –
und brachte dich verfrüht zur Welt. Alsdann
flog himmelwärts die Seele, deinen Vater
am Tor des Paradieses zu empfahn.

Guido.

Die Mutter tot, der Vater feilgeboten!
Mir ist, als stünd' ich auf umringtem Wall
und Bot' um Bote nahte sich und brächte
mir Hiobspost: laßt mich zu Atem kommen,
mein Ohr ist müd.

Moranzone.

Da deine Mutter starb,
sprengt' ich aus Furcht vor Feinden das Gerücht aus,
auch du seist tot; dann schafft' ich dich beiseite
und brachte dich zu einem treuen Dienstmann,
der bei Perugia wohnt; du kennst den Rest.

Guido.

Saht Ihr den Vater später noch?

Moranzone.

Ja, einmal:
in eines Winzers dürftigem Gewande
schlich ich nach Rimini.

Guido.

( seine Hand ergreifend).
O hehres Herz!

Moranzone.

Für Geld ist alles feil in Rimini –
Ich kaufte seine Wärter! Als dein Vater
vernahm, daß ihm ein Sohn geboren war,
da strahlte hell sein Antlitz unterm Helme
wie ferner Feuerschein auf hoher See.
Er faßte meine Hände und beschwor mich,
dich seiner würdig zu erziehn – ich tat's.
Nun ahnde seinen Tod am falschen Freund!

Guido.

Statt meines Vaters dank ich Euch dafür …
Den Namen jetzt?

Moranzone.

Wie du mich an ihn mahnst,
in jeglicher Gebärde gleichst du ihm.

Guido.

Des Schurken Nam'!

Moranzone.

Du sollst ihn gleich erfahren:
der Herzog ist schon auf dem Weg hierher
samt seinem Hof.

Guido.

Was soll das? Seinen Namen!

Moranzone.

Dünkt dich nicht, daß sie eine wackre Schar
von ehrenwerten, wohlgestalten Herren?

Guido.

Den Namen, Graf!

( Der Herzog von Padua erscheint mit Graf Bardi, Maffio Petrucci und
anderen Herren seines Hofes.
)

Moranzone.

( schnell).
Der Mann, vor dem ich kniee,
ist deines Vaters Mörder. Nun merk' auf!

Guido
( nach dem Dolche fahrend).
Der Herzog!

Moranzone.

Laß die Finger von dem Stahl!
Vergissest du so bald? –
( Kniet vor dem Herzog.)
Mein hoher Herr!

Herzog.

Graf Moranzone, seid gegrüßt; 's ist lange,
daß wir Euch nicht in Padua gesehn.
Wir jagten gestern unweit Eurem Schloß –
Ihr nennt's doch Schloß? dies frost'ge Haus, in dem
Ihr überm Rosenkranze murmelnd sitzt
und beichtet, wie ein guter alter Mann.
Ich werd' wohl nie ein guter alter Mann,
Gott würde müd bei meiner Sünden Beichte.
( Erblickt Guido und fährt zurück.)
Wer ist das?

Moranzone.

Meiner Schwester Sohn, Eu'r Gnaden.
Zum waffenfähigen Alter jetzt gereift,
möcht' er für einige Zeit bei Hofe weilen.

Herzog.

( noch immer Guido anschauend).
Wie nennt er sich?

Moranzone.

Guido Ferranti, Herr.

Herzog.

Aus welcher Stadt?

Moranzone.

Er stammt aus Mantua.

Herzog.

( auf Guido zukommend).
Du hast die Augen eines, den ich kannte,
doch er starb kinderlos … Du willst mir dienen:
Soldaten braucht es – bist du ehrbar, Fant?
Dann treib mit deiner Ehrbarkeit nicht Wucher,
behalte sie für dich; in Padua
gilt Ehrbarkeit für Prahlerei, drum ist
sie aus der Mode. Sieh nur diese Herr'n,
nach Ambra duften sie und Wohlgerüchen …

Bardi.

( beiseite).
Der gift'ge Pfeil zielt offenbar auf uns.

Herzog.

Jeder, den du da siehst, hat seinen Preis,
wenn – um gerecht zu sein – etwelche auch
von ihnen teuer sind.

Bardi.

( beiseite).
Ich ahnt' es ja.

Herzog.

Drum sei nicht ehrbar. Ungewöhnlichkeit
ist keine fördernswerte Eigenschaft,
wiewohl in unsrer schalen, faden Zeit
das Ungewöhnliche, was einer tun kann,
Verstand zu haben ist, weil ihn der Pöbel
dann höhnt. Verachte diesen so wie ich!
Sein Lob ist Schaum, und seine wind'ge Gunst
schätz' so ich ein: Beliebtheit bei dem Volke
ist die Beleid'gung, die ich nie erfuhr.

Maffio.

( beiseite).
Ihm fehlt es nicht an Haß, bedarf er des.

Herzog.

Sei klug: in deinen Händeln mit der Welt
bezähme deinen Eifer! Denke zweimal!
Die erste Eingebung ist meistens gut.

Guido.

( beiseite).
Auf seinem Mund sitzt eine Kröte, die
ihr Gift von dort verspritzt.

Herzog.

Sorg' dir für Feinde,
sonst denkt die Welt nicht sonderlich von dir,
das ist ihr ein Beweis von Macht. Doch zeige
der Freundschaft Larve lächelnd jedermann,
bis du ihn sicher mit der Hand umspannst.
Zermalm' ihn dann!

Guido.

( beiseite).
O kluger Philosoph!
Du gräbst dir selber eine tiefe Grube.

Moranzone.

( zu Guido).
Merkst du auf seine Worte?

Guido.

Nur zu gut!

Herzog.

Auch sei nicht zu gewissenhaft; die Hand,
die rein, doch leer ist, beut ein kläglich Schauspiel.
Willst du des Lebens Löwenanteil haben,
trag eine Fuchshaut: passen wird sie dir,
es ist ein Rock, der jedem Manne paßt,
dem Fetten wie dem Magern, Groß wie Klein;
wer solchen Rock dir macht, der ist ein Schneider,
dem's nie an Kunden mangeln wird.

Guido.

Eu'r Gnaden,
ich will's gedenken.

Herzog.

Schön, mein Junge, schön!
Ich mag nicht seichte Narren um mich haben,
die Lebensgold mit filz'gen Skrupeln wägen
und wankend, schwankend scheitern: Mißerfolg
ist mir von allen Lastern einzig fremd.
Laß Männer um mich sein. Und das Gewissen
ist nur ein Name, den die Feigheit sich,
die fahnenflücht'ge, auf den Schild gekritzelt.
Hast du verstanden, Fant?

Guido.

Ja, Euer Gnaden,
in allem will ich Eurem Kanon folgen.

Maffio.

Ich fand Eu'r Gnaden nie zum Pred'gen so
gestimmt: auf seinen Lorbeer hab' ein Auge
der Kardinal.

Herzog.

Mein Evangelium
wird von der Welt befolgt, seins wird beschwatzt.
Ich halte wenig von dem Kardinal,
mag er ein frommer Kirchenmann auch sein,
und leugne seine Langweil nicht. Wohlan,
wir zählen dich von heut zu unserm Hofstaat.
( Er hält Guido die Hand zum Kusse hin. Guido fährt entsetzt zurück,
kniet aber auf eine Bewegung des Grafen Moranzone nieder und küßt
die Hand.
)
Du sollst fortan so ausgerüstet sein,
wie's unserm Hofe, deiner Ehre ziemt.

Guido.

Ich dank Eu'r Gnaden herzlich.

Herzog.

Noch einmal:
wie war dein Nam«?

Guido.

Guido Ferranti, Herr.

Herzog.

Aus Mantua? Habt acht auf eure Weiber,
kommt so ein schmucker Held nach Padua.
Ihr lacht mit Fug, Graf Bardi, denn ich weiß,
wie aufgeräumt ein Mann ist, dem am Herd
ein reizlos Weib sitzt.

Maffio.

Mit Verlaub, Eu'r Gnaden,
die Fraun von Padua sind verdachtgefeit.

Herzog.

Sind alle häßlich!? Kommt! Der Kardinal
hält lange unsre fromme Gattin auf;
man sollte Predigt ihm und Bart beschneiden.
Wollt Ihr uns folgen, Graf? Hört einen Text
aus Hieronymus mit an!

Moranzone.

( mit Verbeugung).
Herr, leider –

Herzog.

( ihn unterbrechend).
Die Ausflucht spart, wollt Ihr die Messe missen.
Nun kommt.

( Mit seinem Gefolge ab in den Dom.)

Guido.

( nach einer Pause).
Mein Vater war des Herzogs Opfer,
und ich küßt' ihm die Hand.

Moranzone.

Tu's oft in Zukunft!

Guido.

Muß ich?

Moranzone.

Ja! du hast einen Eid geschworen.

Guido.

Der Eid versteinert mich.

Moranzone.

Lebewohl, mein Sohn,
du siehst mich nicht, bevor die Zeit erfüllt.

Guido.

Ich fleh' Euch an, kommt bald.

Moranzone.

Ich bin zur Stelle,
wenn's Zeit ist: sei gerüstet.

Guido.

Fürchtet nichts.

Moranzone.

Da kommt dein Freund. Verbanne ihn aus Padua
und deinem Herzen.

Guido.

Ja, aus Padua;
aus meinem Herzen: nein.

Moranzone.

Doch, ebenso.
Ich weiche nicht von dir, bis du's getan.

Guido.

Ihr gönnt mir keinen Freund?

Moranzone.

Die Rache sei's!
Kein anderer tut dir not.

Guido.

Wohlan, es sei!

( Ascanio Cristofano tritt auf.)

Ascanio.

Guido, ich bin dir in allem zuvorgekommen: ich hab' eine Flasche Wein getrunken, eine Pastete gegessen und die Kellnerin geküßt. Du siehst ja schwermütig aus, wie ein Schulbube, der sich keine Äpfel kaufen, oder wie ein Kannegießer, der seine Stimme nicht verkaufen kann. Was gibt es Neues, Guido?

Guido.

Ascanio, wir beide müssen Abschied nehmen.

Ascanio.

Das wäre freilich neu, doch ist's nicht wahr.

Guido.

Zu wahr, Ascanio, du mußt jetzt scheiden
und darfst mein Angesicht nie wiedersehn.

Ascanio.

Nein, nein; du kennst mich wirklich nicht, mein Guido:
Bin ich auch eines niedern Pächters Sohn,
im Brauch der höfischen Sitte schlecht bewandert,
so kann ich doch, bist du von edler Herkunft,
dein Dienstmann sein. Ich will dich treuer hegen,
als es ein Mietling tut.

Guido.

( seine Hand ergreifend).
Ascanio!
( Sieht Moranzones dräuenden Blick und läßt Ascanios Hand sinken.)
Es kann nicht sein.

Ascanio.

Wie, steht es so mit dir?
Ich dachte, Freundestreu der alten Welt
sei noch nicht tot, noch fände römisches Vorbild
sogar in unsrer flach-gemeinen Zeit
ihr würdig Seitenstück: bei dieser Liebe,
die ruhig rauscht, der See im Sommer gleich,
welch Schicksal dir auch zugefallen sei:
darf ich's nicht teilen?

Guido.

Teilen?

Ascanio.

Ja!

Guido.

Nein, nein.

Ascanio.

Ist eine Erbschaft dir anheimgefallen,
ein Schloß mit Türmen oder Gold zuhauf?

Guido.

( bitter).
Ja, meine Erbschaft hab' ich angetreten.
O blutiges Vermächtnis, grauses Los!
Ich muß es wie ein Geizhals ängstlich hüten
und wahren für mich selbst. Drum bitt' ich dich,
verlaß mich jetzt.

Ascanio.

Was, sollen wir nie mehr
beisammen sitzen Hand in Hand wie einst,
so in ein altes Ritterbuch vertieft,
daß Lock' an Locke lehnte, sollen wir
uns nie mehr aus der Schule stehlen und
im Herbst dem Jäger durch die Wälder folgen,
die Falken sehn, wie sie den Fußriem' lösen,
wenn Lampe aus dem Dickicht bricht?

Guido.

Nie mehr!

Ascanio.

Muß ich dich lassen ohn' ein liebes Wort?

Guido.

Verlaß mich, möge dir die Liebe folgen.

Ascanio.

Unritterlich, unedel handelst du.

Guido.

Unritterlich, unedel – wenn du willst …
Wozu unnötig Worte noch vergeuden!
Fahr wohl!

Ascanio.

Hast du kein Wort des Grußes, Guido?

Guido.

Nein. Wie ein Traum liegt alles hinter mir.
Heut hebt mein Dasein an. Leb wohl!

Ascanio.

Leb wohl!

( Langsam ab.)

Guido.

Nun, seid Ihr jetzt zufrieden? Saht Ihr nicht,
wie meinen Freund, den trautesten Gefährten,
ich von mir stieß gleich einem Küchenjungen?
Oh, daß ich's tat! – Seid Ihr jetzt nicht zufrieden?

Moranzone.

Ich bin es. Nun führt mich mein Weg zurück
auf meine öde Feste im Gebirg.
Denk an das Zeichen: deines Vaters Dolch,
und, schick' ich ihn dir zu, vollführ' die Tat!

Guido.

Des seid versichert!
( Graf Moranzone ab.)
O du ew'ger Himmel,
blieb noch ein Rest Natur in meiner Seele,
holdselig Mitleid, süße Freundlichkeit, –
laß ihn verblühn, verbrennen und zernicht' ihn,
denn, tust du's nicht, muß ich das Mitleid selbst
mit scharfem Stahl aus meinem Herzen schneiden,
muß ich Erbarmen nachts im Schlaf erdrosseln,
daß es nicht spreche. Rache heißt die Losung!
Sei du mein Schlafgenoß, mein Kamerad,
setz' dich zu mir, reit auf die Jagd mit mir,
wenn ich ermattet, sing mir schöne Lieder,
bin frohgelaunt ich, treibe Scherz mit mir,
und wenn ich träume, raune mir ins Ohr
die Grauenskunde von des Vaters Mord –
Ich sagte Mord?
( Zieht seinen Dolch.)
So hör' mich, Schreckensgott!
O Gott, der jeden Meineid du bestrafst,
laß Engel diesen Schwur in Flammen buchen,
daß fortan, bis ich meines Vaters Mord
mit Blut gesühnt, ich feierlich entsage
den edeln Banden ehrenvoller Freundschaft,
den edlen Freunden der Geselligkeit,
dem Seelenbund und treuer Dankbarkeit,
ja mehr! von dieser Stunde an entsagt ich
der Frauen Minne wie dem hohlen Tand,
der Schönheit heißt –

( Die Orgel erbraust im Dom. Unter silbergewebtem Baldachin, die vier scharlachgekleidete Pagen tragen, kommt die Herzogin von Padua die Stufen herab; als sie vorüberschreitet, begegnen sich ihre Blicke einen Moment, und als sie die Bühne verläßt, sieht sie sich nach Guido um; ihm fällt der Dolch aus der Hand.)

Sagt, wer ist das?

Ein Bürger.

Die Herzogin von Padua!


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