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In Amerika auf Wildes Tour im Jahre 1882 gehaltene Vorlesung. Sie wurde angekündigt als Vorlesung über »Die praktische Anwendung der Grundsätze der ästhetischen Theorie auf die äußere und innere Ausstattung des Hauses nebst Bemerkungen über Kleidung und persönlichen Schmuck.« Der früheste Zeitpunkt, zu dem sie nachweislich gehalten worden ist, ist der 11. Mai 1882.
In meiner letzten Vorlesung habe ich Ihnen einen Ausschnitt aus der Geschichte der Kunst in England geboten. Ich suchte dem Einflusse der französischen Revolution auf ihre Entwicklung nachzugehen. Ich sagte einiges über die Dichtung Keats' und die präraffaelitische Schule. Aber ich möchte die Bewegung, welche ich die englische Renaissance genannt habe, nicht unter einem noch so hohen Palladium oder einem noch so verehrten Namen in Schutz nehmen. Ihre Wurzeln wird man in der Tat in längst vergangenen Dingen zu suchen haben und nicht, wie einige glauben möchten, in der Phantasie einiger junger Leute – obwohl ich keineswegs sicher bin, daß es etwas viel Besseres geben kann, als die Phantasie einiger junger Leute.
Als ich bei einer früheren Gelegenheit vor Ihnen erschien, hatte ich von amerikanischer Kunst nichts zu Gesicht bekommen, als die dorischen Säulen und die korinthischen Schornsteine, die man auf Ihrem Broadway und der Fifth Avenue sieht. Seitdem habe ich auf der Tour durch Ihr Land wohl fünfzig bis sechzig verschiedene Städte besucht. Was Ihrem Volke meines Erachtens nottut, ist nicht so sehr hohe, phantasiereiche Kunst als vielmehr diejenige, welche den zum täglichen Gebrauch bestimmten Hausrat adelt. Gewiß, der Dichter wird singen und der Künstler bilden, mag die Welt ihn loben oder tadeln. Er hat seine Welt für sich und hängt nicht von seinen Mitmenschen ab. Aber der Handwerker hat sich nach Ihrer Neigung und Ihren Ansichten zu richten. Er bedarf Ihrer Ermutigung, und er braucht eine schöne Umgebung. Ihr Volk liebt die Kunst, ehrt aber den Handwerker nicht hinreichend. Jene Millionäre freilich, die Europa zu ihrem Vergnügen plündern können, brauchen es sich nicht angelegen sein zu lassen, das Handwerk zu ermutigen; aber ich spreche von denen, deren Verlangen nach schönen Gegenständen größer ist als ihre Mittel. Ein überall wiederkehrender Übelstand scheint mir zu sein, daß Ihre Handwerker keinen Sinn für hohe Aufgaben haben. Sie dürfen nicht gleichgültig hiergegen sein, weil die Kunst nicht etwas ist, das Sie frei wählen oder aufgeben können. Sie ist vielmehr ein notwendiges Bedürfnis des menschlichen Lebens.
Und was bedeutet jener schöne Schmuck, den wir Kunst nennen? In erster Linie bedeutet er etwas Wertvolles für den Schaffenden und die Freude, die er bei der Gestaltung des Schönen notwendig empfindet. Das Kennzeichen aller guten Kunst ist nicht, daß etwas sorgfältig oder schön gestaltet ist, denn das läßt sich auch auf mechanischem Wege erreichen, sondern daß es mit dem Kopfe und dem Herzen des Schaffenden ausgeführt ist. Ich kann nicht oft genug betonen, daß schöne und verständige Entwürfe bei allem Schaffen notwendig sind. Ich ahnte nicht, bis ich in einige Ihrer einfacheren Städte kam, daß so viel schlechte Arbeit ausgeführt würde. Ich fand, wohin ich kam, schlechte, gräßlich gemusterte Tapeten vor, bunte Teppiche und jenen alten Sünder, das Roßhaarsofa, dessen dumme, gleichgültige Miene stets so etwas Niederdrückendes hat. Ich fand ausdruckslose Kronleuchter und fabrikmäßig hergestellte Möbel, durchweg aus Palisanderholz, welches unter der Last des allgegenwärtigen Interviewers gräßlich knarrte. Ich traf den kleinen eisernen Ofen an, den man stets mit mechanisch hergestelltem Zierat auszustatten beliebt und der etwas ebenso Verdrießliches darstellt wie ein Regentag oder irgendeine andere besonders scheußliche Einrichtung. Wo man außergewöhnlicher Verschwendung frönte, war er mit zwei Totenurnen geschmückt.
Man muß immer im Auge behalten, daß das, was von einem ehrlichen Arbeiter gut und sorgfältig nach einem verständigen Plane hergestellt ist, mit den Jahren noch an Schönheit und Wert gewinnt. Die alten Möbel, welche vor zweihundert Jahren von den »Pilgervätern« herübergebracht wurden und welche ich in Neu-England sah, sind heute noch gerade so gut und schön wie zur Zeit ihres ersten Eintreffens. Vor allem müssen Sie nun Künstler mit Handwerkern zusammenbringen. Handwerker können nicht leben, sicherlich nicht gedeihen, ohne eine solche Gemeinschaft. Trennen Sie diese beiden, so rauben Sie der Kunst jede geistige Triebkraft.
Sodann müssen Sie den Handwerker in eine schöne Umgebung hineinstellen. Der Künstler ist nicht von den äußeren Sinneseindrücken abhängig. Er hat seine Visionen und seine Traumwelt, von denen er zehrt. Aber der Handwerker braucht den Anblick gefälliger Formen, wenn er des Morgens an die Arbeit geht und des Abends heimkehrt. Und im Zusammenhange damit möchte ich versichern, daß edle und schöne Entwürfe nie das Ergebnis müßiger Einbildung oder ziellosen Dahinträumens sind. Sie ergeben sich nur aus der fortgesetzten Gewohnheit langer und reizvoller Beobachtung. Und doch lassen sich solche Dinge nicht lehren. Richtige Vorstellungen davon können nur diejenigen erlangen, die an den Anblick schöner und in wohltuenden Farben gehaltener Räume gewöhnt worden sind.
Eine der schwierigsten Aufgaben ist es für uns vielleicht, eine ansehnliche und gefällige menschliche Tracht zu wählen. Das Leben würde viel freudvoller sein, wenn wir uns an die Verwendung aller möglichen schönen Farben bei der Herstellung unserer Kleider gewöhnen wollten. Die Kleidung der Zukunft wird, glaube ich, reichlich vom Faltenwurf Gebrauch machen und in möglichst heiteren Farben gehalten sein. Gegenwärtig haben wir allen Adel der Tracht verloren und dadurch den modernen Bildhauer fast zugrunde gerichtet. Und wenn wir um uns blicken auf die Figuren, welche unsere Parks schmücken, so möchte man fast wünschen, wir hätten die edle Kunst ganz getötet. Und sehen wir den Frack des Gesellschaftszimmers in Bronze oder Weste und Rock in Marmor verewigt, so scheint uns der Tod doppelt schrecklich. Aber freilich, durchlaufen wir die Geschichte der Trachten, um nach einer Antwort auf die vorgelegten Fragen zu suchen, so finden wir weniges, das schön oder angemessen wäre. Eine der frühesten Formen ist die griechische Faltentracht, welche trefflich für junge Mädchen paßt. Und dann, meine ich, wird man uns ein wenig Begeisterung für die Tracht der Zeit Karls I. verstatten, welche in der Tat so schön ist, daß, trotzdem die Kavaliere sie erfanden, sie von den Puritanern nachgeahmt wurde. Und dann darf man nicht an der zu jener Zeit üblichen Tracht für die Kinder vorübergehen. Es war wirklich ein goldenes Zeitalter für die Kleinen. Ich glaube nicht, daß sie jemals so lieblich ausgesehen haben, wie auf den Bildern jener Zeit. Die Kleidung des letzten Jahrhunderts in England ist auch ausnehmend zierlich und anmutig. Es liegt nichts Absonderliches oder Seltsames darin, sondern sie ist voller Harmonie und Schönheit. Heutzutage, wo wir unter dem Eindringen der modernen Putzmacherin furchtbar gelitten haben, hören wir, wie Damen sich rühmen, daß sie ein Kleid nicht mehr als einmal tragen. In früheren Tagen, als die Kleider mit schönen Mustern verziert und mit ausgesuchter Stickerei gearbeitet waren, setzten die Damen ihren Stolz vielmehr darin, ein Gewand selbst zu verfertigen, es oft zu tragen und es ihren Töchtern einmal zu vererben, ein Verfahren, das sehr geschätzt werden würde von einem modernen Ehegatten, der die Rechnungen seiner Frau bezahlen muß.
Und wie soll man sich kleiden? Es gibt Leute, welche sagen, sie legten keinen besonderen Wert auf ihre Kleidung, sie sei nebensächlich. Ich muß leider erklären, daß ich das auch von Ihnen glaube. Auf allen meinen Reisen durch das Land waren die einzigen gut gekleideten Leute, die ich gesehen habe – und hierbei muß ich entschieden die höfliche Entrüstung der Stutzer aus der Fifth Avenue ablehnen – die Bergarbeiter aus dem Westen. Auf ihren breitkrempigen Hüten, welche die Gesichter gegen die Sonne beschatteten und gegen Regen schützten, und auf ihrem Mantel, welcher das bei weitem schönste Stück Drapierung darstellt, das je erdacht wurde, kann der Blick wohl mit Bewunderung verweilen. Auch ihre hohen Stiefel waren vernünftig und praktisch. Sie trugen nur, was bequem und daher schön war. Als ich sie ansah, mußte ich unwillkürlich mit Bedauern an die Zeit denken, wo die malerisch gekleideten Bergarbeiter nach Erwerbung eines Vermögens nach dem Osten gehen würden, um wieder alle Abscheulichkeiten der heutigen eleganten Tracht anzunehmen. So interessiert war ich wahrhaftig, daß ich einigen von ihnen das Versprechen abnahm, daß, wenn sie wieder im Gedränge der östlichen Zivilisation erschienen, sie auch weiterhin ihre gefällige Kleidung tragen würden. Aber sie werden das wohl schwerlich tun.
Was Amerika nun heute nottut, ist eine Schule für vernünftige Kunst. Schlechte Kunst ist um vieles schlimmer als überhaupt keine Kunst. Sie müssen Ihren Handwerkern Proben guter Arbeit zeigen, so daß sie schließlich wissen, was einfach, wahr und schön ist. Zu dem Zweck möchte ich, daß Sie diesen Schulen ein Museum angliederten – nicht eines jener furchtbaren modernen Institute, wo eine ausgestopfte und sehr staubige Giraffe und ein oder zwei Kästen mit Fossilien zu sehen sind, sondern eine Stätte, wo Beispiele der Kunstdekoration, aus verschiedenen Zeiten und Ländern, gesammelt sind. Solch eine Stätte ist das South Kensington Museum in London, auf welches wir größere Hoffnungen für die Zukunft setzen als auf irgend etwas anderes. Dorthin gehe ich jeden Sonnabend abend, wo das Museum länger geöffnet ist als gewöhnlich, um mir den Handwerker, den Holzarbeiter, den Glasbläser und den Metallarbeiter anzusehen. Und hier ist es auch, wo der feingebildete Mann mit dem Handwerker, der zu seiner Freude beiträgt, in nahe Berührung kommt. Er erfährt so mehr von dem Adel des Handwerkers, und der Handwerker, welcher die Wertschätzung fühlt, wird sich so mehr des Adels seiner Arbeit bewußt.
Sie haben zu viele weiße Wände! Mehr Farbe ist nötig! Sie sollten solche Männer wie Whistler in Ihrer Mitte haben, die Sie die Schönheit und Freude der Farbe lehrten. Nehmen Sie Whistlers »Symphonie in Weiß«, unter der Sie sich zweifelsohne etwas ganz Seltsames vorgestellt haben. Es ist nichts der Art. Stellen Sie sich einen kühlen, grauen, hier und da weiß bewölkten Himmel vor, eine graue See und drei wunderbar schöne weiß gekleidete Gestalten, welche sich über das Wasser herabneigen und weiße Blüten aus ihren Fingern gleiten lassen. Hier werden Sie durch keinen umständlichen geistigen Plan verwirrt und durch keine Metaphysik, von der wir in der Kunst gerade genug gehabt haben. Aber wenn die einfache und bloße Farbe den richtigen Grundton anschlägt, ist die ganze Idee klar. Ich betrachte Whistlers berühmtes Pfauenzimmer als das Schönste in bezug auf Färbung und Kunstdekoration, was die Welt gekannt hat, seit Correggio jenes wundervolle Zimmer in Italien gemalt hat, wo die kleinen Kinder auf den Mauern tanzen. Whistler hat, kurz bevor ich fortkam, ein anderes Zimmer fertiggestellt, ein Frühstückszimmer in Blau und Gelb. Die Decke war in lichtem Blau, die Kunsttischlerarbeit und die Möbel waren aus gelbem Holz, die Fenstervorhänge weiß und gelb durchwirkt, und wenn die Tafel zum Frühstück mit zierlichem, blauem Porzellan gedeckt wurde, so kann man sich nichts so Schlichtes und zugleich so Freudiges vorstellen.
Der Mangel, welchen ich an den meisten Ihrer Räume beobachtet habe, ist das augenscheinliche Fehlen eines bestimmten Planes für die Farbengebung. Es ist nicht alles auf einen Grundton abgestimmt, wie es sein sollte. Die Gemächer sind gedrängt voll von niedlichen Dingen, die aber keine Beziehung zueinander haben. Und dann müssen Ihre Künstler das, was zu einfacherem Gebrauche dient, verschönern. In Ihren Kunstschulen habe ich keinen Versuch gefunden, solche Geräte wie Gefäße für Wasser zu verzieren. Ich kenne nichts Häßlicheres als den üblichen Wasserkrug. Ein Museum könnte mit den verschiedenen Arten von Wassergefäßen gefüllt werden, welche in heißen Ländern im Gebrauch sind. Und doch lassen wir uns auch weiterhin den häßlichen Krug mit dem Griff bloß auf einer Seite gefallen. Ich sehe nicht den tieferen Sinn davon, daß man Tafelgeschirr mit Sonnenuntergängen und Suppenteller mit Mondscheinszenen ausschmückt. Ich glaube nicht, daß es den Genuß der Ente irgendwie erhöht, wenn man sie aus solchen Herrlichkeiten herausnimmt. Auch wollen wir keinen Suppenteller, dessen Boden in die Ferne zu schwinden scheint. Man fühlt sich in einer solchen Lage weder sicher noch behaglich. Ich habe tatsächlich in den Kunstschulen des Landes nicht gefunden, daß der Unterschied zwischen dekorativer und schöpferischer Kunst klargemacht wurde.
Die Grundbedingungen der Kunst sollen einfach sein. Beträchtlich mehr hängt vom Herzen ab als vom Kopf. Die richtige Wertschätzung der Kunst ist nicht durch einen sorgsam ausgearbeiteten Studienplan sichergestellt. Die Kunst erfordert vor allem eine gute, gesunde Atmosphäre. Die künstlerischen Motive finden sich noch ebenso in unserer nächsten Umgebung wie einst in der Alten. Und die Gegenstände sind von dem ernsten Bildhauer und dem Maler noch genau so leicht zu finden. Nichts ist malerischer und anmutiger als ein Mann bei der Arbeit. Der Künstler, welcher zum Spielplatz der Kinder geht, sie bei ihrem Spiel beobachtet und den Knaben sich bücken sieht, um seinen Schuh zuzubinden, wird noch immer dieselben Gegenstände finden, welche die Aufmerksamkeit der alten Griechen erregten, und solche Beobachtungen und die daraus hervorgehenden bildlichen Darstellungen werden sehr dazu beitragen, den törichten Eindruck zu berichtigen, daß geistige und körperliche Schönheit stets getrennt seien.
Ihnen vielleicht mehr als irgendeinem anderen Lande hat die Natur in großmütiger Weise Material für Künstler geliefert. Sie haben Marmorbrüche, wo das Gestein hinsichtlich der Färbung schöner ist als irgendeines, das die Griechen je zu ihrer schönen Kunst besaßen, und dennoch stehe ich Tag für Tag vor dem großen Bauwerk eines albernen Menschen, der das schöne Material gebraucht hat, als ob es nicht fast über die Maßen kostbar wäre. Marmor sollte ausschließlich von feinen Arbeitern verarbeitet werden. Nichts hinterließ bei mir auf meiner Reise durch das Land ein größeres Gefühl der Leere als das völlige Fehlen von Schnitzwerk an Ihren Häusern. Schnitzwerk ist die einfachste der dekorativen Künste. In der Schweiz verschönert schon der kleine barfüßige Knabe die Vorhalle von seines Vaters Haus durch Proben der Kunstfertigkeit in dieser Richtung. Warum sollten denn amerikanische Jungen nicht beträchtlich mehr und Besseres leisten als Schweizer Jungen?
Es gibt meiner Meinung nach nichts Roheres hinsichtlich der Auffassung und Gemeineres hinsichtlich der Ausführung als die moderne Juwelierkunst. Das ist etwas, das sich leicht beheben läßt. Etwas Besseres sollte aus dem schönen Golde hergestellt werden, welches in Ihren Bergschluchten angehäuft und die Flußbetten entlang verstreut ist. Als ich in Leadville war und darüber nachdachte, daß all das glänzende Silber, welches ich aus den Minen kommen sah, zu häßlichen Dollars verarbeitet würde, stimmte mich das traurig. Es sollte zu etwas Dauerndem gestaltet werden. Die goldenen Tore zu Florenz sind heute noch ebenso schön wie zu der Zeit, als Michel Angelo sie sah.
Wir sollten mehr vom Handwerker sehen als es der Fall ist. Wir sollten nicht damit zufrieden sein, den Händler zwischen uns zu haben – den Händler, der nichts versteht von dem, was er verkauft, außer daß er beträchtlich zu viel dafür fordert. Und die Beobachtung des Handwerkers wird uns jene höchst wichtige Lehre beibringen, daß jede vernünftige Arbeit edel ist.
Ich habe in meiner letzten Vorlesung gesagt, daß die Kunst eine neue Verbrüderung unter den Menschen herbeiführen würde, indem sie eine Weltsprache herstellt. Ich sagte, daß unter ihren wohltätigen Einflüssen der Krieg vielleicht verschwinden würde. Wenn ich dies bedenke, welchen Platz kann ich der Kunst dann in unserer Erziehung anweisen? Wenn Kinder unter lauter schönen und lieblichen Dingen aufwachsen, werden sie mehr und mehr die Schönheit lieben und die Häßlichkeit verabscheuen lernen, ehe sie den Grund dafür kennen. Wenn Sie in ein Haus gehen, in dem alles roh ist, finden Sie abgebröckelte, zerbrochene und unansehnliche Sachen. Niemand befleißigt sich irgendwelcher Sorgfalt. Wenn alles ausgesucht und fein ist, eignet man sich Vornehmheit und verfeinerte Lebensart unbewußt an. Als ich in San Franzisko war, besuchte ich oft das Chinesenviertel. Dort sah ich gewöhnlich einem großen, plumpen chinesischen Arbeiter beim Graben zu und sah ihn täglich seinen Tee aus einer kleinen Tasse trinken, die so fein war wie ein Blütenblatt, während in allen großen Hotels des Landes, wo man Tausende von Dollars für große vergoldete Spiegel und prunkhafte Säulen vergeudet hat, mir der Kaffee oder die Schokolade in 1¼ Zoll dicken Tassen verabreicht wurde. Ich glaube, daß ich Anspruch auf etwas Hübscheres gehabt habe.
Die Kunstsysteme der Vergangenheit sind von Philosophen erdacht worden, welche die menschlichen Wesen als Hemmnisse ansahen. Sie haben versucht, den Geist der Knaben zu erziehen, bevor sie welchen hatten. Wieviel besser würde es in diesen frühen Jahren sein, die Kinder zu lehren, ihre Hände in vernünftigem Dienste der Menschheit zu gebrauchen! Ich wünschte, daß mit jeder Schule eine Werkstatt verbunden wäre und daß eine Stunde täglich dem Unterricht in einfachen dekorativen Künsten gewidmet würde. Es wäre eine goldene Stunde für die Kinder! Und Sie würden bald einen Stamm von Handwerkern gewinnen, der das Aussehen Ihres Landes umgestalten würde. Ich habe nur eine solche Schule in den Vereinigten Staaten gesehen, das war in Philadelphia, und zwar eine Gründung meines Freundes Leyland. Ich habe mich dort gestern aufgehalten und etwas von der Arbeit heute nachmittag hier mitgebracht, um es Ihnen zu zeigen. Hier sind zwei Scheiben aus gehämmertem Messing: Die Zeichnungen auf ihnen sind schön, die Ausarbeitung ist einfach, und das Gesamtergebnis ist zufriedenstellend. Die Arbeit ist von einem kleinen zwölfjährigen Knaben ausgeführt. Dies hier ist eine hölzerne Schale, welche von einem kleinen dreizehnjährigen Mädchen verziert ist. Die Zeichnung ist anmutig und die Farbengebung zart und hübsch. Hier sehen Sie eine schöne Holzschnitzerei, welche ein kleiner neunjähriger Knabe fertiggestellt hat. Bei solch einer Arbeit wie dieser lernen die Kinder Ehrlichkeit in der Kunst. Sie lernen den Lügner in der Kunst verabscheuen – den Mann, der Holz so bemalt, daß es wie Eisen aussieht, oder Eisen so, daß es wie Stein anmutet. Es ist eine praktische Schule der Moral. Keinen besseren Weg gibt es, die Natur lieben zu lernen, als die Kunst zu verstehen! Das macht jede Blume des Feldes in unseren Augen wertvoller! Und der Knabe, welcher das Schöne sieht, das aus einem fliegenden Vogel wird, wenn er auf Holz oder Leinwand übertragen ist, wird wahrscheinlich nicht den üblichen Stein werfen. Wir müssen dem Leben noch etwas Geistiges hinzufügen! Nichts ist so unedel, daß die Kunst es nicht heiligen kann!