Christoph Martin Wieland
Lady Johanna Gray
Christoph Martin Wieland

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Vierter Aufzug.

Der Schauplatz ist ein Zimmer im Tower.


Erste Scene.

Lord Guilford. Lady Johanna.

Lord Guilford. Du schweigst, Johanna! hörest meinen Klagen
Verstummend zu, und ernste Stille ruht
In deinem Blick; nicht eine Thräne schleicht
Von deinen schönen Wangen. Fühlst du denn
Dein eignes Elend nicht? Du, deren Herz
So schnell, so zärtlich fremde Leiden fühlet!
Wie weintest du auf Edwards Leiche hin?
Und jetzt, da dich ein eisernes Geschick
Vom kaum bestiegnen Thron in diesen Abgrund
Von Jammer stürzt; da dein betäubtes Ohr
Noch von dem Siegsgeschrei der Feinde widerhallt,
Da ihre Wuth nach deinem Leben schnaubt,
Und dieser Pöbel selbst, der kürzlich dich gesegnet,
Mit Flüchen jetzt dein Todesurtheil spricht;
Da jedes nähernde Geräusch vielleicht
Der Fußtritt eines Todesboten ist,
Herrscht Seelenruh' und unbewölkte Stille
In deiner Brust, ergießt sich sichtbarlich
Durch dein Gesicht und bindet deine Zunge.

Lady Johanna. O Guilford! glaube nicht, ich fühle minder
Als du den ganzen Umfang unsers Jammers.
Wie könnt' ich Alles, was mir theuer ist,
Den besten Vater und die zärtlichste
Der Mütter, wie dich selbst, mein Guilford, dich!
Unglücklich sehn und unempfindlich bleiben?
O! was ich fühle – Aber soll ich noch
Durch Bilder meiner Pein dein Elend häufen?
Mein Mund ist stumm, mein Auge leer an Thränen!
Doch hier, hier, Guilford, bebt von namenlosen Leiden
Die bange Seel' und ächzt zum Himmel auf!

Lord Guilford. Durch diese düstre schreckenvolle Nacht,
Die uns so schnell den schönsten Tag entzog,
Durch dieses Kerkers Todesschatten selbst
Dringt noch ein Strahl von Hoffnung in mein Herz.
Du wirst nicht sterben, göttliche Johanna!
Nein, nein, der Himmel, der so liebenswürdig,
So würdig der Unsterblichkeit dich schuf,
Erschuf dich nicht, um in der ersten Blüthe
Zerstört zu werden! Nein! Er sandte nicht
So viel Vortrefflichkeit in dir herab,
Der Welt so schnell dich wieder zu entziehen –
Du wirst noch leben und den Menschen lange
Der schönsten Tugend schönstes Urbild seyn!
Und ich? In deinem Arm' ist mir das Leben
Ein Paradies, und selbst der Tod willkommen!

Lady Johanna. Wie gerne wünscht' ich deinen Hoffnungen
Des Himmels Beifall. Aber – ach! Geliebter,
Du schmeichelst dir zu viel. Die Zeit der süßen Träume,
Der unschuldsvollen, reizenden Bezaubrung
Der jugendlichen Liebe ist vorbei!
Die Hoffnung, die dir lächelt, ist ein Traum,
Ein eitler Traum, womit dein liebend Herz
Sich selber täuscht. Die Erde läßt uns nichts
Zu hoffen übrig. Komm, mein theurer Guilford,
Die Zeit erfordert ernstere Gedanken;
Nichts bleibt uns übrig, als uns zu gewöhnen,
Den Untergang der reizendsten Entwürfe
Von Glück und Liebe, jede süße Hoffnung
Im Keim' erstickt, des Lebens beste Freuden
Zerstört zu sehn! – Des Elends bangsten Scenen
Und Allem, was die menschliche Natur
Mit Angst erfüllt, was uns in jeder Ader
Das Blut erstarren, jede Nerve zucken macht,
Mit unbewegtem Auge ins Gesicht zu schauen,
Dieß, Guilford, ist's, was wir jetzt lernen müssen!

Lord Guilford. O, sage mir, du Heldin, sage mir,
Welch eine Kraft erhöht dein sanftes Herz
Zu dieser wundervollen Größe?

Lady Johanna. Der Glaube, Guilford, den die göttliche Religion
In unsrer Brust entzündet; das große Beispiel,
Das unser Meister gab; die frohe Zukunft,
Die er versprach; o, diese helle Aussicht
In jene grenzenlosen Seligkeiten
In Freuden, die kein Schmerz verbittert,
Kein Ende kürzt: dieß unterstützt den Muth
Der redlichen sich selbst bewußten Unschuld;
Dieß macht den Märtyrer der Flammen lächeln
Und hebt die Seele (ob der Leib von Staube
Sie gleich noch fesselt), über jede Schwachheit
Der irdischen Natur empor.

Lord Guilford. O! Du, vom Himmel mir zum Genius
Geschenkt, du sichtbars Ebenbild der Tugend,
Wie mächtig fühl' ich diesen Augenblick
Die Stärke deines Beispiels! – Welch ein Muth
Ergießt aus deinen seelenvollen Augen
Sich in mein Herz und schwellet meine Triebe!
O Tugend, o Religion der Christen,
Wie schön seyd ihr! Zu welcher Engelsgröße
Erhebet ihr den Sohn des Staubs, den Menschen!
Wie fühl' ich eure Schönheit! Wie entflieht
Vor eurem Glanz der Kummer und die Klage –

Lady Johanna. Mein Guilford, hörst du nichts? Mir war, ich hörte
Von fern die Stimme meines Vaters! – Ach!
Wie kann die kranke Phantasie sich täuschen! Ist er nicht
In Fesseln? – Himmel! welch ein Wunder!
Er ist es selbst!


Zweite Scene.

Der Herzog von Suffolk. Die Vorigen.

Lady Johanna.           O theurer Vater!
Sprich, welch ein Engel hat dich aus dem Kerker
Zu uns geführt?

Suffolk.                     Die Vorsicht, die dich liebt.
Die Schützerin der Unschuld, meine Tochter!
Die führet mich zu dir. Sie brach die Fesseln,
Schloß meinen Kerker auf und brachte mich zu dir.
Ein Strahl vom Himmel hat Mariens Herz
Für uns gerührt. Sie schenkte mir die Freiheit.
Und ein Gerüchte, welches mein Begegniß
Glaubwürdig macht, verspricht mir, meine Kinder,
Euch bald aus diesen grauenvollen Mauern
Erlöst zu sehn. Nur diese Hoffnung macht
Mir meine Freiheit werth.

Lord Guilford.                         Was sagt mein theurer Vater?
O Suffolk! Ehrenvoller Greis! Dein Antlitz
Ist meinem Blick das Antlitz eines Engels!
O Wunder! Darf ich's glauben? oder öffnet sich
Mein Herz zu schnell dem ungewissen Schimmer
Des bessern Glücks? – Ja, Vorsicht, uns geziemt
Von deiner Güte stets das Beste zu erwarten.

Suffolk. Ich hörte, Gardiner, der alte Bischof
Von Winchester, sey von der Königin
Zu dir geschickt, Johanna, ihren Willen
Dir anzukünden –

Lady Johanna.             Was seit Edwards Tode mir
Begegnet ist, füllt meine Seele
Mit Zweifel, Furcht und innerlicher Ahnung;
Der Himmel hat zu neuen Prüfungen
Vielleicht mich ausersehn, von ihm allein
Erwart' ich Kraft, die Probe wohl zu halten!

Lord Guilford. Laß, Theuerste, laß deines Vaters Freiheit,Es scheint allerdings, daß Maria Schonung beweisen wollte, und Johanna ward eigentlich durch die Unbesonnenheit ihres Vaters geopfert, der seine Freiheit zur Einmischung in den Aufruhr von Wiat und Carew benutzte. G.
Dieß unverhoffte Wunder jener Macht,
Die unsichtbar den Lauf der Dinge lenket,
Laß dieses mindstens dein zu ängstlich Herz
Mit frohern Ahnungen erheitern.
Noch können wir, Johanna, glücklich werden.
Noch kann mich deine Liebe glücklicher
Als der Besitz von tausend Kronen machen.
Ja! Himmel! Senke nur mein ruhmlos Leben
In dunkle Niedrigkeit; bestimme mich,
Nach harter Arbeit mit beschwitzten Händen
Mein Brod zu essen – laß mir diese nur,
Die beste Gabe, die ich von dir bitten,
Und deine Güte mir gewähren konnte!
An ihrer Seite wird mein frohes Leben
Auch in der ärmsten Hütte paradiesisch,
So wie des ersten neuerschaffnen Paares
In Edens schöner Einsamkeit, verfließen!

Suffolk. Ach Guilford! Ach Johanna! Wenn ich euch
Mit dieser schnellen Wiederkehr von Hoffnung
Nur nicht zu früh geschmeichelt habe! –
Ein Rückfall wäre tödtlich – Aber hier
Ist Gardiner bereits –


Dritte Scene.

Gardiner. Die Vorigen.

Gardiner. Ich komme nicht, Prinzessin, deine Wunden
Noch durch Verweise tiefer aufzureißen.
Du strebtest lüstern nach versagten Höhen;
Dein Fall ist deine Strafe! – Doch Maria,
Nach deren Krone du die kühne Hand
Verräthrisch ausgestreckt, sie, welcher die Geburt
Ein unverletzlich Recht zum Scepter gab,
Will jetzt durch Proben ihrer Großmuth zeigen,
Daß eine königliche Seele
Das reinste Blut von Yorks und Lancasters
Vereintem Stamm in ihrer Brust belebt.
Sie will durch ihre Tugenden allein
Sich würdiger als du des Thrones zeigen.
Sie gibt dein Leben, Lady, deine Freiheit,
Dein Glück und ihre Huld in deine Macht.
Du strebtest frevelhaft nach ihrem Throne;
Sie schenkt dir mehr als einen Thron, – das Leben!

Lady Johanna. Ihr würdet, Mylord, diese hohe Sprache
Nicht mit mir reden, wenn des Glückes Gunst
Mich an Mariens, sie an meine Stelle
Gesetzet hätte! – Doch ich spreche mich
Von meiner Schuld nicht frei; ich fordre keine Gnade.
Britanniens Gesetz verdammet mich.
Hier bin ich! willig, seine Heiligkeit
Mit meinem Blute zu versöhnen!
Mir ist genug, daß über uns im Himmel
Ein Richter ist, der mich nach meinem Herzen richtet!

Suffolk. Ach! Meine Tochter! Dieser edle Stolz
Der sich bewußten Tugend ist zwar schön,
Ist deiner werth – allein bedenke, daß die Rede
Von deinem Leben ist – Ach! denk' an deine Mutter,
– An Guilford, – denk' an deinen alten Vater!
Komm, folge, wirf mit uns dich zu den Füßen
Der Königin –

Gardiner.             Sie will den Anfang ihrer Herrschaft
Mit Wohlthun machen. Deine zarte Jugend,
Prinzessin, deine Schönheit, die Verdienste,
Die ein gerechter allgemeiner Ruhm
An dir bewundert, schmelzen ihre Seele
Zu sanftem Mitleid. Auch in deinen Adern
Fließt ihr verwandtes, königliches Blut.
Die Königin, die jetzo dir vergibt,
Hofft ihrer Liebe dich einst werth zu finden.
Dein frühes Alter war zu unerfahren,
Northumberlands Entwürfe durchzuschauen.
Du wardst getäuschet, Lady! Dein Vergehen
Verdient Verzeihung! Diese edle Unschuld,
Die dein Gesicht umlächelt, spricht für dich!
Maria will sich nur durch Großmuth rächen.
Laß keinen mißverstandnen Stolz die Wirkung
Der königlichen Gnade dir entziehen.
Die Fürstin will nicht, daß du für dein Leben
Ihr danken sollst! großmüthig stellt sie es
In deine eigne Macht!

Lord Guilford.                   O, lies in meinen Augen,
Johanna, was in diesem Augenblicke
Mein Herz dir sagt! – Ich finde keine Worte –

Lady Johanna. Wie kann mein Leben, Mylord, wie Ihr sprecht,
In meiner Willkür stehn? – Ich fasse noch
Den Sinn der räthselhaften Worte nicht.

Gardiner. So höre denn. Die erste große Sorge
Der frommen Königin, seit Edwards Tod
Sie auf den väterlichen Thron erhoben,
Ist, ihr verirrtes, ihr betrognes Volk
Dem mütterlichen Schooß der alten Kirche
Zurück zu geben. Sie erkennt anbetend
Den Finger Gottes in der plötzlichen Veränderung
Des Zustands unsers Reichs. – Der junge Fürst,
Der als ein Säugling mit der Muttermilch
Des Irrthums tödtlich Gift schon eingesogen,
Den Cranmers täuschende BeredsamkeitThomas Cranmer war es, auf dessen Rath Heinrich VIII. sich selbst, auch zum geistlichen, Oberhaupt Englands erklärte, und er wurde dafür von diesem zum Erzbischof von Canterbury erhoben. Vierzehn Jahre lang erhielt ihn seine erprobte Rechtschaffenheit und große Klugheit in Gunst bei diesem launenvollen Könige, ohne doch für den Protestantismus viel wirken zu können. Erst unter Eduard leitete er die Reformation planmäßig, und eben darum so still und ruhig, daß der Staat dadurch nicht erschüttert wurde. Er war der Einzige gewesen, der für die unglückliche Anna Boleyn bei Heinrich zu sprechen gewagt hatte, jedoch nur schüchtern, denn er war von Natur furchtsam. Dieß brachte unter Maria ihn auch dahin, daß er im Kerker seine Lehre abschwur. Kaum aber war es geschehen, so zeigte sich seine Seele in ihrer ganzen Größe, und er bewies den Muth eines Helden. Die Zurücknahme seiner Abschwörung führte ihn auf den Scheiterhaufen, den 14. Febr. 1556. G.
Und graues Ansehn und verstellte Heiligkeit –

Lady Johanna (vor sich).
O Gott! Gib mir Geduld! – Was muß mein Ohr erdulden!

Gardiner (fortfahrend).
Noch tiefer in den Labyrinth verstrickte,
Der in den Abgrund führt – ach! dieser Edward
Hat, einem Raubthier gleich, die Kirche Gottes
Durchwühlt, beraubt, zerstört. Die stillen Wohnungen
Der Gottgeweihten, die der Welt entsagen,
Sind eingestürzt, die Priester ausgetrieben,
Die milden Stiftungen aus frömmern Zeiten
Ein Raub der schnöden Ueppigkeit des Höflings.
O Schand'! O Greuel! Ketzerische Füße
Entweihen ungescheut die Heiligkeit des Altars!
Der Ketzerei, der frechen Lästrung Stimme
Hallt ungestraft in unsern Tempeln wieder
Und täuscht das leichtbetrogne Volk! – So tief,
So tief war Albion, so nah zur Hölle
Hinab gesunken: als die Hand des Gottes,
Der seine Kirch' auf einen Felsen gründete,
Den auch der Hölle Wüthen nicht erschüttert,
Durch einen schnellen unverhofften Schlag
Den Feind des Glaubens plötzlich weggerafft!
Maria herrscht! Die Gottesfurcht bestieg
Mit ihr den Thron. Ein heil'ger Eifer flammt
In ihrer frommen Brust, von allen Greueln
Dieß Land zu säubern und die Last des Fluches
Von ihrem armen Volke abzuwälzen.
Sind sanftre Heilungsmittel ohne Frucht,
So mag Britannien durchs Feu'r gereinigt werden!
Die HäresieKetzerei. G., die schon ihr Schlangenhaupt dem Himmel
Entgegen thürmt, muß ausgerottet seyn!
Marien graut, auf einem Thron zu sitzen,
Den noch der Bannstrahl schwärzt, in einem Reich zu herrschen,
Das mit dem Himmel noch nicht ausgesöhnt ist.
Sie eilt, den racheschwangern Blitzen
Des Donnergottes noch zuvor zu kommen!
Doch soll die Sanftmuth alle ihre Künste
Zuerst versuchen, eh der Eifer sich
Mit Strenge waffnet. Den Verführern nur
Dräut sein gezücktes Schwert. Doch die Verführten,
Die ihre Einfalt oder ihr Geschlecht
Und zartes Alter schützt, soll Reu' und Wiederkehr
Mit Gott und mit der Kirche auszusöhnen
Genugsam seyn! – Du hast es nun gehört,
Prinzessin, was von dir erwartet wird!
Dein Beispiel ist es, welches Tausende
Verirrter nach sich ziehen und mit dir
Zugleich erretten wird! Dein Beispiel fordert
Die Königin, und deine Wiederkehr
Die Kirche! Schau, sie streckt voll Zärtlichkeit
Die Arme nach dir aus, sie öffnet lockend
Dir ihren mütterlichen Busen! Schau', ich selbst
Erniedre mich, Verweis und Dräuungen
In Bitten zu verwandeln! Mitleid
Und ungewohnte Regungen erweichen
Mein Herz für dich! – Bedenke dich, Prinzessin!
Dein Heil, dein Leben schwebt auf deinen Lippen.

Lady Johanna. Und denkt Ihr, Mylord, daß des Todes Anblick
So schrecklich sey? –

Gardiner.                         Mich dünkt, Prinzessin,
Wem zwischen Leben oder Tod die Wahl
Gelassen ist, der sollte wenig Zeit
Sich zu entschließen brauchen.

Lady Johanna.                                   Meine Wahl
Ist schon getroffen! – Dankt in meinem Namen
Der Königin für eine Huld, die mir
Zu theuer angeboten wird – Das Leben,
Wornach ich dürste, kann der Tod nur geben.
– Ich sollte Gott, ich sollte dich verleugnen,
Dich, mein Erlöser! und dein Evangelium,
Die Wahrheit, die du selbst mit deinem Blut versiegelt!
Dir und der heiligen Gemeine
Der Auserwählten, die in frommer Demuth
Dir folgen – sollt' ich untreu werden?
O Schande? – Und warum? – Ein Leben zu verlängern,
Worin ich fern von deinem Anblick schmachte?
Verschonet meiner, Mylord! – Treibet nicht
Die müdgemarterte Geduld zum Murren!
Verschont mein Ohr, Versuchungen zu hören,
Wovon der bloße Schall mir Gräuel ist!

Gardiner. Was hör' ich? Wie? ist das die Dankbarkeit,
Womit das Uebermaß der königlichen Großmuth
Empfangen wird? Ist das die Antwort, Lady,
Die ich der Königin von deinen stolzen Lippen
Zurücke bringen soll?

Lady Johanna.                   Auf Euren Antrag
Ist keine andre möglich! – Saget mir,
Mein liebster Vater, sage mir, mein Guilford,
Ist eine andre möglich?

Lord Guilford.                     Ach Johanna!
Wie sehnlich wünscht' ich –

Lady Johanna.                           Still! Mein Guilford! Laß mich
Nichts weiter hören! Mylord! Mein Entschluß
Befremdet Euch? – Ihr kennt mein Herz nicht! Nie,
Nie fühlt' ich nur das mindeste Verlangen
Nach Macht und Purpur! Edwards Tod
Erweckt' in mir nur brennende Begierde,
Ihm nachzufolgen und bei dem zu seyn,
Den meine Seele liebt! – Der Himmel weiß,
Was wider meine Neigung, die sich stets
Dagegen sträubte, mich bewogen hat,
Den Schritt zu thun, der durch die weise Leitung
Der Vorsicht nun zum Ziele meiner Hoffnung
Mich bringen wird! – Ich wollte das vollenden,
Was Edward angefangen. Doch der Schluß
Des unerforschten Schicksals hält den Fortgang
Des großen Werks noch auf. Maria herrscht!
Der Aberglaube sitzt an ihrer Seite,
Ihr sanftes Herz mit fremder Grausamkeit
Und einem Eifer, der den Gott der Liebe
Mit Menschenblut versöhnen will, zu füllen.
Was soll mir nun das Leben? Soll ich mich
Durch Uebelthaten zu dem bangen Anblick
Der schreckenvollen Scenen aufbehalten,
Die Eure heil'ge Wuth mir angekündigt?
O nein! gesegnet sey der Tod! der Führer
In eine bessre Welt! Gesegnet sey
Der Mund, der ihn mir angekündigt hat!

Gardiner. Du triumphirst zu früh, Verkehrte! Wenn dich ja
Die Lust zu sterben so ergriffen hat,
So stirb! Doch wisse! Deines alten Vaters
Und Guilfords Leben sind an deins gebunden!
Dein Tod ist ihrer! – Sieh'! Ich biete dir noch einmal
Den Schooß der Kirche und dein Leben an!
Sprich nein, so sprichst du dir und deinem Vater
Und deinem Bräutigam das Todesurtheil!
Bedenke dich!         (Geht ab.)


Vierte Scene.

Lady Johanna. Suffolk. Lord Guilford.

Lady Johanna.         O Guilford! O mein Vater!
O welche Prüfung! – Ach! – Gerechter Himmel!
Sind diese stillen Seufzer, die ich unablässig
Für sie zu dir geschickt, ach, sind sie alle
Vergeblich, unerhört? – O! Der du mir
Das Leben gabst, o du, mit dem ich es
Zu theilen hoffte, euer Leben ist
Unendlich kostbarer als meines! Könnt' ich es
Mit meinem Blut erkaufen, o, wie wollt' ich
Mich glücklich preisen! – Meine Seele nur,
Nur mein unsterblich Theil ist mir noch theurer
Als euer Leben! – Nein! Ihr fordert nicht,
Erwartet nicht, daß ich –

Suffolk.                                   O Tochter, deine Tugend,
Dein Werth entzückt und ängstigt mich zugleich!
Du zwingest mich, den bangen Mund zu öffnen,
Der lieber, gleich dem Marmorbild der Trauer
Auf einem Grabmal, ewiglich verstummte!
Ach mein geliebtes Kind! Sieh', ich bin alt,
Das schwache Leben, das mir die Natur
Noch stundenweise vorgezählet hätte,
Hat keinen Reiz als dich! Das Beil kann mir
Nur wenig Tage rauben. Ach Johanna!
Für dich, für dich allein zerfließt mein Auge
In väterlichen Zähren – Du sollst sterben? –
Du, Liebling meiner Seele, du sollst sterben?
Gewaltsam vor der Zeit, im Frühling deiner Jahre
Vernichtet werden? – O mein Kind, die Qualen,
Womit der schwarze schreckliche Gedanke
Mein Herz zerreißt, kann nur dein Vater fühlen.
Vor Kurzem priesen mich noch alle Lippen
Den glücklichsten der Väter, und ich war's!
Ach! dacht' ich jemals, wenn dich meine Arme
Umschlossen hielten, wenn mein thränend Auge
Mit stummen Dank von dir zum Himmel aufsah,
Konnt' ich es denken, daß dein Elend einst
Den Wunsch aus meiner Seele zwingen würde,
Daß, – ach! – der süße Vatername mich
Aus deinem Munde nie entzücket hätte!

Lord Guilford. Vergib dem Uebermaß der unaussprechlichen
Gedrängten Schmerzen, die mein Herz bestürmen,
Mein Herz, das einzig dich zu lieben athmet!
Du solltest sterben? Schönste Zier der Schöpfung!
Die kalte Hand des ungerechten Todes
Soll vor der Zeit dich pflücken! – Diese Augen,
Wo in der Farbe des entwölkten Himmels
Der schönste Geist sich spiegelt, sollen sich
Auf ewig schließen! Diese keuschen Wangen,
So blühend, wie die Rosen, die am Haupte
Der Engel duften, soll der Tod entfärben!
Ach! dieser holde Mund sich nimmer wieder
Zu Reden öffnen, die mir süßer sind
Als Sterbenden – Johanna! Höre mich!
Wo wendest du dein himmlisch Auge hin? –

Lady Johanna.                                 O Guilford, Guilford!
Sind das die edelmüthigen Gedanken,
Womit der Christ sich zu der letzten Größe
Im Tod erhebt? – Vergiß mich oder liebe
Mich so, wie Einer, dessen reine Seele
Sich jetzt entkörpern soll! – Mein Vater, mein Gemahl!
Der Tod ist nicht, wie sich der Aberglaube,
Nicht, wie die Seelen, die zu tief im Schlamme
Der Sinnlichkeit versunken sind, nicht, wie
Des Lasters bebendes Gewissen
Ihn malt! Er ist ein Uebergang ins Leben!
Nur, um zu sterben, wurden wir geboren!
Er raubt uns nichts als unsre Sterblichkeit,
Die Quelle unsrer Leiden! – Laßt uns sterben!
Was kann der Christ, der Tugendhafte sich
Und denen, die er liebet, Bessers wünschen,
Als schön zu sterben?

Suffolk.                               Jetzt, mein theures Kind,
Bereite dich zum letzten Streich des Unglücks!
Sieh! deine Mutter kommt.


Fünfte Scene.

Lady Suffolk. Die Vorigen.

Lady Johanna (gen Himmel schauend).
                                              O, stärke mich! –

Lady Suffolk. Ich lag und weint' und flehte zu den Füßen
Der Königin, als Gardiner hereintrat
Und deine Antwort brachte! – O mein Kind,
Mein theures Kind! Wie donnerten die Worte
Von seinem Mund in mein erstarrtes Herz! –
Und willst du sterben? – Aber – ach! Bedenke,
Daß mein Verhängniß mir den Trost versagt,
Mit dir zu sterben! – Ach! die grausame Maria
Zwingt mich zum Leben! Himmel! Welch ein Leben,
Wenn du, wenn Guilford, wenn dein Vater, Alle
Rings um mich her gefallen sind! – Johanna,
Schau' her! O, wende deine holden Blicke
Auf deine Mutter! Kannst du die, die dich
Mit Schmerz gebar, die dich in ihren Armen,
An ihrer Brust erzog, die dich den Stolz,
Die Wonne ihres frohen Lebens nannte,
O! kannst du, kannst du sie so elend machen?
Sieh mich zu deinen Füßen! Laß mich nicht
Vergebens flehn! Erbarme dich, Johanna,
Der unglückseligsten der Mütter! – Lebe!
Ach! lebe, daß ich nicht das Licht verfluchen müsse –

Lady Johanna. O meine Mutter! O, das ist zu viel!
Mein Herz erliegt im innerlichen Kampfe –
Es bricht –

(Sie sinkt beinahe ohnmächtig in ihrer Mutter Arme und wird auf einen Lehnstuhl gebracht.)

Lady Suffolk.   O Gott! Sie stirbt, sie stirbt! O Engelsseele!
Verweile noch –

Suffolk.                     Du siehest ihren Kampf!
Sie folgt der Lehre, die ihr Meister gab,
Und liebt nur Gott noch mehr als Eltern und Gemahl.
Ach! Könnte sie, ihr – zärtlich frommes Herz
Verzöge keinen Augenblick, uns Alle
Durch ein erfreuend Ja aufs Neue zu beleben!
O flieh, Geliebte! deine Gegenwart
Erschöpfet nur den schwachen Rest vom Leben,
Der noch in ihren Adern glimmt.

Lady Suffolk.                                       Ich gehe,
Die Königin um meinen Tod zu flehen.


Sechste Scene.

Die Vorigen ohne Lady Suffolk.

Lord Guilford.         – Johanna! Engel! welchen noch
Auf kurze Zeit die Sichtbarkeit umschleiert,
Hörst du mich nicht? Eröffne deine Augen!
Sie strahlen eine Kraft in meine Seele,
Die mich zu dir erhebt –

Suffolk.                                 Sie lebet wieder auf,
Die Farbe kommt den bleichen Lippen wieder,
Sie schaut umher –

Lady Johanna.             Wo ist sie? Wo ist meine Mutter?

Suffolk. Sie ging hinweg, den Himmel im Verborgnen
Um Trost zu flehn.

Lady Johanna.             Sie wird ihn auch erhalten!


Siebente Scene.

Gardiner. Die Vorigen.

Gardiner. Dein Vater, Guilford, dieser einst so stolze
Gefürchtete Tyrann, Northumberland,
Ist nicht mehr. –

Lord Guilford.         Himmel! Jeder Augenblick
In dieser schwarzen Stunde ist
Ein neuer Ruf zum Tode!

Gardiner.                               Die Gesetze,
Das Vaterland, Maria und ihr selbst
Sind nun gerochen! Er verrieth sie Alle!
Ja, euch verrieth er! Er bekannte selbst
Vor seinem Ende, daß ein unbezähmter
Verruchter Stolz ihn zum Verräther
An Edward und Johanna Gray gemacht;
Daß, nicht der Eifer für den neuen Gottesdienst,
Nur die Begier, mit deiner Hand, Johanna,
Den Königstab zu führen, ihn getrieben,
Dem jungen Edward, als er mit dem Tode
Schon rang, den letzten ungerechten Willen
Noch abzuzwingen, der die Königin
Des Rechts, das ihr der Himmel gab, beraubte.
Voll Seelenangst verflucht' er seine Ränke
Und sein Verbrechen, dessen Schlangenbisse
Ihm nicht erlaubten, wie ein Held zu sterben.
Und dennoch hinterließ er euch ein Beispiel,
Das würdig ist, von euch befolgt zu werden.
Vor allem Volk' entsagt' er mit Verwünschung
Dem neuen Glauben und gestand voll Reue,
Daß nur der Eigennutz ihn wider sein Gewissen
Zu Edwards Zeit in Heuchelei verlarvt!
Er starb versöhnt mit unsrer heil'gen Mutter,
Der Kirche. –

Lord Guilford. Ha! Was hör' ich? Zu verwegner Bischof!
Kannst du so grausam seyn und unser Elend
Noch durch Entehrung meines Vaters häufen?
Des Himmels Zorn vergelte dir –

Gardiner.                                           Halt' ein,
Zu rascher Jüngling! Was ich sage, hat
Das ganze Volk gehört, von dessen Flüchen
Verfolgt, die Seele des Verbrechers angstvoll
Dem Leib' entflog.

Lord Guilford.             Laß ab! laß ab, o Schicksal!
Mein blutend Herz steckt voll von deinen Pfeilen!
Komm, meine Freundin, siehe mich bereit,
Mit dir zu sterben! O, mir graut, mir ekelt
Vor diesem Leben! Meine Seele lechzt
Mit Ungeduld der Todesstund' entgegen,
Wie Einer, den des Mittags strengste Glut
Auf dürrem Sand gesengt, nach einer Quelle lechzet.
Mein Vater! – Ach mein Vater! Muß ich noch
Im Tod' erröthen, daß ich – meine Seele schauert,
Den schrecklichen Gedanken auszudenken!

Gardiner. Und ist nun, Lady, dein Entschluß gefaßt?
Du hast dich zu bedenken nur
Noch wenig Augenblicke! – Soll ich dich
Von Neuem flehn, dein Leben nicht zu hassen?
Der Zorn der Königin ist durch die Strafe
Northumberlands versöhnt und fordert weiter
Kein Opfer mehr! Sey weise! Wirf dich eilig
In ihrer Großmuth Arme –

Lady Johanna. O! Wenn Ihr anders meiner Noth nicht spottet,
So laßt mich knieend, Mylord, Euer Mitleid
Für eine Unglückselige erbitten,
Die stets in Unschuld lebt' und keinen Menschen
Vor diesem schwarzen Tag beleidigt hat.
Laßt Euch erweichen! Fleht die Königin,
Für Guilford und für meinen Vater mich
Allein zum Opfer anzunehmen!
O Mylord! Auch Ihr hattet einen Vater!
Erbarmt Euch meiner! Laßt mich nicht die Schuld
An seinem Tod mit in die Grube nehmen!

Gardiner. Hartnäckiges, selbst unerbittlichs Weib,
Du flehst umsonst! – Sie sterben unvermeidlich,
Wofern du nicht –

Lady Johanna.           O! So vergebet mir,
Mein Vater, mein Gemahl! Vergib mir, theure Mutter,
Und fluche nicht dem Tag, der mich gebar!
Ihr wißt, mit welcher heißen Zärtlichkeit
Ich euch geliebt – Doch unbegrenzte Liebe
Bin ich nur Gott, nur meinem Schöpfer schuldig! –
Laßt uns wie Christen sterben!

Gardiner.                                           Kerkermeister,
Soldaten! Auf! Herbei! Führt die Gefangnen
Hinweg! Sorgt, daß sie abgesondert
Verschlossen werden und sich ohne meine
Bewilligung nicht sehn! – Und ihr, bereitet euch
Zum nahen Tode! –         (Er geht ab.)


Achte Scene.

Lady Johanna. Suffolk. Lord Guilford.

Lord Guilford. O Grausamkeit!

Lady Johanna.                             Gott Lob! die Vorbereitung ist geschehen!
Ich lebte nur, um glücklich einst zu sterben!

Suffolk. Und müssen wir denn scheiden, meine Tochter? –

Lord Guilford. Uns niemals –

Lady Johanna.                           Nein! uns bald in jener bessern Welt,
Dort unter jenen goldnen Sternen, wieder
Zu sehn und zu umarmen und voll Wonne
Im himmlischen Triumph, aus unsers Gottes Hand
Die Siegeskrone zu empfangen!

(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.)

 


 


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