Christoph Martin Wieland
Lady Johanna Gray
Christoph Martin Wieland

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Zweiter Aufzug.


Erste Scene.

Northumberland allein.

Wenn nicht das Schicksal oder eine Gottheit,
Die mir zu mächtig ist, mein Werk zerstört,
Die Arbeit vieler Jahre, vieler einsam
Durchwachten Nächte, wenn mich Alles nicht
Betrügt, verläßt – so trennt mich nur ein Schritt
Vom höchsten Gipfel, den der Stolz des Menschen
Erstreben kann! – Wie günstig fügt sich Alles
Nach meinem Wunsch! – Durch seiner Tochter Band
Mit meinem Sohn ist Suffolks Ansehn mein!
Das Volk ist mein durch Guilford. Wie bequem
Erblaßt der junge Fürst! Sein letzter Wille,
Beschworen von den Mächtigsten des Reichs,
Die, willig oder nicht, mein Ansehn zwang,
Schließt Heinrichs ältste Tochter von der Krone
Auf ewig aus und gibt Johannen Gray
Den Königstitel, mir des Scepters Macht!
Mariens Anhang darf, durch diesen Streich
Als wie von einem Donnerkeil getroffen,
Nicht wagen, sein bestürztes Haupt zu zeigen.
Das Volk, das Rom und seine Fesseln hasset,
Nach Freiheit seufzt und vor Marien bebt,
Wird mit Entzückung, wird mit offnen Armen
Die neue Königin von Edwards Hand empfangen,
Die ihm so ähnlich ist – die er so zärtlich
Wie seine Schwester liebte, deren Tugend
So viel verspricht! Ja, Alles, Alles stimmt
In meine Absicht ein! – O! Welche Aussicht
Umglänzt mich – Zwar mußt' ich sie erkaufen!
Und theu'r erkaufen! Bedford mußte fallen –
Der junge KönigEduard ist nicht ohne Verdacht empfangenen Giftes gestorben, und der Protector Eduard Seymour fiel als Opfer der Ränke des Herzogs von Northumberland. G. – Doch verschließe dich
In meine Brust, verderbliches Geheimniß,
Und ruh' auf ewig da! Ein undurchdringlich Dunkel
Umhüllt mein Werk! – Wer kommt? – Sie ist es selbst!
Wie schön, wie unschuldsvoll! Wie malt ihr Antlitz
Ein königliches Herz! Wie werth ist sie
Des Glücks, das ihr mein Mund entdecken wird!


Zweite Scene.

Northumberland. Lady Johanna.

Northumberland. Komm, meine Tochter; laß mich dich umarmen,
Zum letztenmal dich mit dem süßen Namen
Begrüßen, der –

Lady Johanna.           Was sagt mein theurer Lord? –
Zum letztenmal? –

Northumberland.       So will die Pflicht es künftig!
Johanna, fasse dich! Vernimm, verehre
Des Himmels Fügungen! Der letzte Wille
Des guten Fürsten, den der Tod uns raubte,
Der heilige Wille, dessen Feirlichkeit
Des Rathes Schwüre unverletzlich machen,
Erkläret – dich – zur Königin der Britten.

Lady Johanna. Mich? Mylord! – hör' ich recht? Ist's Guilfords Vater,
Der mit mir spricht? – Ist's möglich? Kann er wohl
In dieser ernsten Stunde, da der Himmel
Durch Edwards frühen Tod Britannien
Das Todesurtheil spricht, – in dieser Stunde,
Da Jeder weint, dem in der Brust ein Funke
Von Tugend glüht, da namenloses Elend
Auf unsrer Scheitel hängt, kann Guilfords Vater
Mit seiner leidenden Johanna scherzen?

Northumberland. Mich wundert nicht, daß solch ein Wechsel dir
Unglaublich scheint! daß, nicht dazu bereitet,
Dein überraschtes Herz, von tausend neuen
Empfindungen ergriffen, meine Reden
Für Täuschung hält! Doch ferne sey von mir,
In dieser ernsten feierlichen Stunde,
Die unsern Thränen um den besten König,
Die Englands Rettung, die dem Schutz der Kirche
Geheiligt ist, gedankenlos zu scherzen!
Nichts ist gewisser, als daß dich der Himmel
Zu dem glorreichen Werk' ersehen hat,
Von welchem Edward abgerufen ward.

Lady Johanna. Wie kann ich's glauben, theurer Lord?

Northumberland.                                                             Dein Zweifel
Beleidigt mich: jedoch bald wird dein Vater
Und Guilford und der glänzende Senat
Britanniens, zu deinen Füßen liegend,
Dich überzeugen! – Fasse dich, Johanna!
Sey deiner würdig! Sey des Thrones würdig,
Der größern Glanz, als er dir geben kann,
Von dir empfängt. Fließt nicht das reinste Blut
Des königlichen Stamms in deinen Adern?
Wen fordert wohl die Kirche und der Staat,
An Edwards Statt sie zu beglücken,
Als dich, in deren Brust der gleiche Geist
Der Tugend und der Menschenliebe athmet?

Lady Johanna. Wie soll – wie kann ich sagen, was ich fühle?
Und hätt' ich Worte, so versagt die Zunge mir,
Sie auszusprechen – O, wie konnt' in Edwards Herz,
Wie konnt' in Eures, Mylord, ein Gedanke,
Wie dieser kommen? – Ich erröth' und zittre,
Es Euch zu sagen – Nein, ich faß' es nicht,
Wie Eure Klugheit, Euer langgeübter,
Erfahrner Geist Euch so verlassen konnte!
– Doch, ich begreife mich! – Mein theurer Vater,
Verzeihet meiner Jugend und Bestürzung!
Ein brennend heißer tugendhafter Eifer,
Vom Rand des Untergangs sein Vaterland
Zurückzureißen, kann den Weisesten
Zu einem Anschlag treiben, den die Klugheit,
Bei kälterm Blute, unterdrücken würde!
Doch, sagt mir, wird das Volk nicht wohlberechtigt zürnen,
Wenn, statt der Erbin, die das Reichsgesetz
Zum Throne ruft, der Enkelin, der Tochter
Und Schwester seiner Könige, ich, Suffolks Tochter,
Geboren zum Privatstand, zum Gehorchen,
Ihm aufgedrungen würde? – Muß nicht Zorn und Unmuth
Auf jeder Stirne glühn? Wird Roms Partei,
So zahlreich und so mächtig, wie sie ist,
Unthätig bleiben? Oder kann man glauben,
Die Tochter Heinrichs, die ihr Stand dem Volke
Ehrwürdig macht, ihr Unglück liebenswerth,
Glaubt man, sie werde keine Freunde finden,
Die sich für sie bewaffnen? Und nicht nur
Für sie, für die verletzte Heiligkeit
Der alten Reichsgesetze, die der Britte
Als das Palladion seiner Freiheit ehrt!
Wird Oestreichs Macht, vor der der Erdkreis bebt,
Wird Philipp, dessen unbegrenzter Scepter
Die beiden Indien schreckt, der Bräutigam,
Den das Gerüchte der Prinzessin gibt,
Sich säumen, ihr gekränktes Recht zu schützen?
Was wird dann gegen eine Welt voll Feinde
Ein schwaches, unerfahrnes, junges Mädchen
Euch helfen können?

Northumberland.           – Meine theure Tochter!
Ich ließ dich ungehindert Alles sagen,
Was, wider unser Hoffen, deiner Seele
Erhabne Großmuth hemmt. Wie konnten wir
Auch nur vermuthen, daß Johanna Gray,
Sie, die ihr Geist, ihr Herz, ihr Edelmuth
Weit über ihr Geschlecht und zartes Alter
Erhöht, wie konnten wir sie fähig glauben,
Der herrlichsten Bestimmung sich zu weigern,
Wozu der Himmel Menschen oder Engel
Berufen kann? – Verbanne diesen Kleinmuth!
Schwing' über diese weiblichen Gedanken
Dich weg, Johanna! Denke, was dein Herz,
Dein Vaterland, dein Glaube von dir fordert.
Geziemt's der Tugend wohl, vor Schwierigkeiten,
Die ihrem Laufe trotzen, sich zu scheuen?
War das der Muth, der jene Helden trieb,
Die, unerschreckt durch dräuende Tyrannen,
Für Freiheit, für den Staat ihr Leben wagten?
War das der Muth, der in den heil'gen Zeugen
Der Wahrheit brannte, der sie fähig machte,
Dem Tod in jeder Schreckgestalt zu lächeln?
Doch, meine Tochter! Was dein Edward selbst
Dir sterbend auferlegt, was jetzt durch mich
Der brittische Senat, durch sie das Volk
Dir aufträgt, fordert keinen Heldenmuth,
Kein Opfer! Alle diese Schwierigkeiten,
Die Welt voll Feinde, die Gefahren alle,
Sind nur Geschöpfe deiner Phantasie,
Die noch von Edwards Tod erschüttert ist.
Die Zahl der Redlichen, der Patrioten,
Ist größer, als du denkst. Wer Freiheit liebt,
Wer Rom verabscheut, wer die Raubbegierde,
Den Stolz, den Blutdurst seiner Mönche haßt
(Und, o! wer haßt sie nicht?), die Alle sind
Mit uns vereint. Maria ist im Auge
Des Volks nicht Heinrichs ältste Tochter, nein!
Nur eine Sklavin Roms, nur Philipps Braut.Maria's Ernennung zur Thronerbin konnte, da Heinrich VIII. von ihrer Mutter geschieden war, für illegitim gelten, so wie die der Elisabeth, deren Mutter verstoßen worden. – Am 5. Juli 1554 wurde Maria mit dem spanischen Kronprinzen, nachmaligem König Philipp II., vermählt. G.
Wem in der Brust ein brittisch Herz noch schlägt,
O! dem empört in jeder Ader sich
Das Blut vom Schatten des Gedankens schon,
Sein freies Haupt ins abgeworfne Joch
Des stolzen Roms zurück zu schmiegen.
O! glaube mir, die Stadt, das ganze Volk
Wird dich als einen sichtbarn Engel grüßen,
Den uns zum Schutz der Himmel zugesandt.

Lady Johanna. Ach! Wollte Gott, es wär' in meiner Macht,
Mein Volk zu retten! – Aber diese Macht
Gab mir der Himmel nicht! Er haßt die falsche Weisheit,
Die ungerechte frevelhafte Thaten
Durch einen guten Endzweck adeln will.
Der Thron gehört nicht mir, solange Heinrichs Töchter
Und Edwards Schwestern leben. –

Northumberland.                                   Bist du nicht,
Wie sie, von königlichem Blut? – Die Enkelin
Von Heinrichs Schwester? – Hat Marien die Geburt
Dem besten Prinzen mehr als dich genähert,
So macht dich deine Tugend, deine Güte
Zu Edwards Schwester! – Pflegt' er dich nicht stets
Mit diesem süßen Namen zu benennen?
Verdient die stolze, grausame Maria,
In deren Brust nur Gift und Rachsucht kocht,
Bei der die Aussprüch' eines finstern Mönchs
Orakel sind, sie, die kein Sokrates
Die große Pflicht der Fürsten lehrte,
Nur im gemeinen Wohl ihr Glück zu suchen
Und, gleich der Gottheit, weis' und gut zu seyn –
Verdient sie mehr als du, die Edwards Geist und Herz
Uns wieder gibt, den Namen seiner Schwester?

Lady Johanna. Dieß Lob, das mir von eines Vaters Lippen
Sonst süß ertönte, kann mich jetzt nicht rühren.
Ihr schmäht Marien, meinen kleinen Werth
Durch ihre Schwärze glänzender zu machen?
Es sey! – Doch Alles, was Euch wider sie
Empört, gibt mir kein Recht an ihre Krone.
Will uns die Vorsicht durch verderbte Fürsten,
Durch Unterdrückung, durch Tyrannen strafen,
So thut sie nichts, als was wir längst verdient,
Sie züchtigt uns durch unsre eignen Laster,
Die Fürsten sind nur schlimm, weil wir es sind!
Die Schmeichler, die verderbten Höflinge,
Die Sklaven sind es, die Tyrannen machen.

Northumberland. Ach! Meine Tochter! wie betrügest du
Nicht meine Hoffnung nur, des ganzen Rathes,
Des Volkes Hoffnung! – Soll denn eines Mädchens
Unbiegsamkeit – Doch, nein, du wirst dich fassen!
Ein wenig Zeit und reifre Ueberlegung
Wird deine Zweifel heben.
        (Er sieht sich um und sieht von ferne Lady Suffolk sich nähern.)
                                              Wie erwünscht
Kommt deine Mutter! welch Entzücken schimmert
Aus ihren Augen! Sie empfindet besser,
Als du, den Werth der angebotnen Krone,
Ihr überlass' ich dich –         (Er geht ab.)


Dritte Scene.

Lady Suffolk. Lady Johanna.

Lady Suffolk.                       O meine Tochter,
O du, mein Stolz, mein Kleinod, meine Freude!
O, komm' in meinen Arm! Komm, laß
Mit Inbrunst an mein Mutterherz dich drücken!
Wie glücklich – Aber wie? – Antwortest du
Mit Seufzern nur dem Ausbruch meiner Freude? –
Du weinst, mein Kind? –

Lady Johanna.                       Ach meine Mutter!

Lady Suffolk.                                                           – Wie?
Du weißt, Johanna, welch ein glänzend Glück
Dir angetragen wird, und kannst noch trauern?
Kann Englands Thron, die Majestät der Würde,
Die Sterbliche zu ird'schen Göttern macht,
Ein Hof, ein mächtig Volk zu deinen Füßen,
Kann die Gewalt, Glückselige zu machen
Und unter Allen selbst die Glücklichste zu seyn,
Dein Auge nicht entwölken? – Edwards Geist
Ist schon befriedigt! Sein Gedächtniß fordert
Von deiner Liebe keine Thränen mehr!
Komm', überlaß dich ganz den reizerfüllten Bildern
Der schönsten Zukunft, die er dir, und uns
Durch dich, vermachte! – Ganz gewiß, Johanna,
War es der Engel einer, die das Haupt
Des Sterbenden umschwebten, der ihm, noch
In seiner letzten feierlichsten Stunde,
Des Himmels großen Rathschluß in die Lippen hauchte,
Zur Erbin seines Throns dich zu erklären!

Lady Johanna. Warum denn kann ich nicht, wie Ihr, mich freuen?
Warum empört mein bebend Herz sich so
Vor dem, was Euch entzückt? – Wie soll ich das,
Was ich empfinde, nennen? Diese Schauer,
Die Ahnungen, die meine Brust erschüttern? –
O Edward, du bist glücklich! –

Lady Suffolk.                                   Ohne Zweifel
Genießt er jetzt das reine Glück der Engel;
Dir, meine Tochter, ist das höchste Glück
Der Erde zugedacht! Er selbst, dein Edward selbst
Bestimmt' es dir! – Kann der Gedank' allein
Es dir nicht schätzbar machen?

Lady Johanna.                                   Eben dieß
Mehrt meine Zweifel! – Konnte der Gerechte,
Der fromme Jüngling, in der letzten Stunde,
Im Angesicht der Engel, an der Pforte
Des offnen Himmels, noch ein Unrecht thun?
Das erste Unrecht seines kurzen Lebens,
Im letzten Augenblick? Wie kann ich's glauben?
Er liebte mich; er pflegte seiner Seele
Geheimste Wünsch' und stille Sorgen oft
In meinen schwesterlichen Schooß zu schütten.
Warum verbarg er mir doch ein Geheimniß,
Das mich so nah betraf? und ein Geheimniß,
Von solcher Wichtigkeit, von solchen Folgen! –
Und war ich nicht in seiner letzten Nacht
Bei seinem Lager? Faßten meine Lippen
Nicht seinen letzten heil'gen Seufzer auf?
Wie konnt' er? Doch – jetzt fällt mir etwas bei, –
Ich ward einmal von ihm hinweggerufen, –
Man hielt mich auf, und als ich wiederkam,
So schien sein brennend Auge zärtlicher,
Mit ernsten Blicken, die bedeutend schienen,
Auf mir zu ruhn! Er drückte meine Hand,
Sein Mund versuchte mich noch anzureden;
Allein der Ton verlor sich auf den Lippen
In leises Lispeln! – Ach, so war es dieß,
Was du mir sterbend noch entdecken wolltest? –
Mein Edward! –

Lady Suffolk.           Rufe diese Trauerbilder
Nicht stets zurück! Entfern' ihr Angedenken
Aus deinem Geist! – O, gib mir meine theure
Johanna wieder, die der Kummer fast
Unkennbar macht! Wo ist die edle Denkart,
Der königliche Geist, die reife Tugend,
Die in den Augen Aller, die dich sahen,
Dich über dein Geschlecht erhoben?
Jetzt fordert dich der Ruf des Himmels auf,
Vorm Angesicht der Erde sie zu zeigen.
Sey freudig, was er dir gebeut, die Mutter,
Die Retterin, die Königin der Britten!

Lady Johanna. Wie gern versprechen wir doch unsern Wünschen
Des Himmels Beifall! – Doch! wenn Edward wirklich
Berechtigt war, die Kron' auf Heinrichs Schwesterkinder
Zu übertragen, ist die Reihe denn
An mir? – Was müßte meine Mutter seyn,
Eh mir der Thron gebührte?

Lady Suffolk.                               Deine Mutter!
Und stolzer auf den Titel deiner Mutter,
Als auf den Ruhm, die glänzende Monarchin
Der ganzen Welt zu seyn! – Ja, liebstes Kind!
Mit Lust entsag' ich meinem nähern Anspruch,
Mit Freuden wähl' ich mir die Dunkelheit,
Nur dich, den holden Liebling meines Herzens,
Erhöht zu sehn! Welch ein Triumph für mich,
Dich auf dem Ziel der kühnsten Hoffnungen,
Im schönsten Licht, worin die Tugend sich
Der Erde zeigen kann, von Nationen
Geliebt, bewundert, angebetet sehn!
Genug für mich, wenn diese Myriaden,
Die du beglücken wirst, die Mutter segnen,
Die dich gebar, die Brust, die dich gesäugt;
Wie wallt mein Herz bei dieser frohen Aussicht
Von Freuden über! –

Lady Johanna.                 Ach! Das meine schmilzt
Von Wehmuth! – Beste, zärtlichste der Mütter!
Was soll ich thun? – O! warum kann ich nicht –

Lady Suffolk. Nichts mehr, mein Kind! – Ich sehe, wie gerührt du bist –
Ich will dich jetzt verlassen – Einsamkeit
Und stille Ueberlegung wird dich bald
Zu einem Schluß, der deiner werth ist, bringen!


Vierte Scene.

Lady Johanna rallein.

Wie klopft mein Herz! – Wie taumeln durch mein Haupt
In innerm Streit die zweifelnden Gedanken!
O! Edward, Edward! Diese Augen sahen
Die deinen brechen! sahn das letzte Lächeln,
Das die beglückte Seel' im Scheiden noch
Auf deinem bleichen Angesicht zurückließ.
Bald folg' ich dir! Was ist mir eine Krone?
Des Hofes Pomp und seine eiteln Freuden?
Der Krone, die dein Haupt jetzt unverwelklich schmückt,
Der werth zu seyn, ist Alles, was ich wünsche! –
Und doch entzückt der reizende Gedanke
Mein Innerstes, das Glück so vieler Menschen
Zu machen! – Ach! Wie oft, wie oft war dieß
Der Seufzer meines jugendlichen Herzens!
Um dieses nur, nur um die edle Macht,
Den Menschen wohlzuthun, Gott nachzuahmen,
Beneidet' ich das Glück der Könige!
Wie! Sollt' es wahr seyn? Riefe mich die Vorsicht
Zu diesem großen, göttlichen Geschäfte? –
Wie gerne öffnet sich mein willig Herz
Dem seligen Gedanken! Soll ich glauben,
Was Guilfords Vater, was der Mütter zärtlichste,
Was, wie es scheint, die Weisesten und Besten
Des Rathes glauben, Edwards Wille sey
Des Himmels Schluß, den Gott dem Sterbenden
Ins Herz gehaucht? – Zu rasche Hoffnung! Nein!
Du täuschest mich! Ein ungerechter Rath
Kann nicht vom Himmel kommen! – Aber wie?
Verdient die graue Weisheit meiner Väter,
Verdient der majestätische Senat
Britanniens die ungerechten Zweifel,
Die ich in ihre reifre Einsicht setze?
Wie, wenn sie besser als ein unerfahrnes Kind,
Was recht ist, wissen, was die große Pflicht
Fürs Vaterland und für die Nachwelt fordert? –
Wie ängstigt dieser zweifelhafte Stand
Mein ungewisses Herz! – Wer führet mich
Aus diesem Labyrinth? Wen kann ich fragen? – Alle
Sind wider mich! – O Himmel, leite du
Dein gleitendes Geschöpf! Dein Will' allein
Gebiete meinem Willen! – Soll ich nicht
Der leisen Warnung folgen, die mein Geist
Stets in sich hört, der Stimme des Gewissens,
Die mir verbeut zu thun, was ich als Unrecht fühle?
Ja! Ja! Ich folge dir! Du bist
Die Stimme Gottes! Kein Phantom der Sinne,
Kein blendendes Gewebe falscher Schlüsse
Soll mich vom ebnen Pfad der Tugend weichen machen!
        (Sie sieht Suffolk und Guilford kommen.)
O Himmel, stärke mich!


Fünfte Scene.

Herzog von Suffolk. Lord Guilford. Lady Johanna.

Suffolk.                                   Ist dein Entschluß,
Wie ihn die Pflicht und unsre Liebe wünschet,
So laß, Johanna, deinen alten Vater
Und Guilford, der dein ganzes Herz verdient,
Die Ersten seyn, die das erwünschte Ja
Von deinen Lippen hören! Wie? du zögerst noch?
Hat Guilfords Vater dich nicht rühren können?
Mein Kind, betrüge meine Hoffnung nicht!
Die Rettung deines armen Vaterlands –
Sie hängt an deinem Ja! Du kennst, Johanna,
Die dringende Gefahr, worin wir schweben;
Der Staat, die Kirche, alle Fromme seufzen
Nach einer Fürstin, die das große Werk,
Das Edwards Frömmigkeit begann, vollende!

Lady Johanna. Erlaube mir, mein Vater, eine Frage!
Ist wirklich sonst kein Weg zu Englands Rettung
Als dieser? –

Suffolk.               Nein! Wofern der Himmel
Nicht Wunder thut, die wir von ihm zu fordern
Kein Recht, noch zu erwarten Hoffnung haben.
Es ist kein andrer Weg zu Englands Rettung!

Lady Johanna. Und war es Edward selbst, der sterbend mich
Zur Königin erklärt'?

Suffolk.                             Er war es selbst!

Lady Johanna. Er selbst? – So war's in einer bangen Stunde,
Da sein Gemüth vom Todeskampf des Leibes
Entkräftet lag! – Er that's – vielleicht gezwungen.

Suffolk. Ja! von der Liebe seines Volks gezwungen,
Vom Eifer, der in seiner Engelsbrust
Für Gott und seine Wahrheit brannte!
Von einem Eifer, der die feigen Zweifel
Der falschen Klugheit dieser Welt verschmähte;
Der zwang ihn! – Fühltest du, was er empfand –

Lady Johanna. O, könnt', o, könnte doch mein Blut dich retten,
Mein Vaterland! Wie froh sollt' es für dich
Aus jeder Ader sprudeln! – Du, Allwissender,
Du bist mein Zeuge! –

Lord Guilford.                   – Erlaube, Theuerste,
Erlaube dem, der deine Seele liebt,
Den rühmlichen Versuch, dich zu erbitten!
Doch, nein! dein Guilford haßt, verschmäht den Zweifel
An deiner Großmuth! Niemals liebt' ich dich
Mit tiefrer Ehrfurcht, niemals schienst du mir
Bewundernswerther als in dieser großen Stunde!
Aus Tugend weigerst du dich unsern Wünschen;
Nur eine Heldenseele, wie die deine,
Ist fähig, Kronen auszuschlagen! Aber jetzt,
Geliebte, jetzt ist's größre Tugend, jetzt ist's Pflicht,
Sie anzunehmen! Laß nicht allzuzarte
Spitzfindige Begriffe deinen Geist
Zum Nachtheil deines reinen Herzens täuschen;
Was einem ganzen Volke, was den Enkeln
Der Enkel nützt, wie könnten die Gesetze
Es Unrecht nennen? Ist das oberste Gesetz,
Das einzige, das keine Ausnahm' zuläßt,
Johanna! – ist es nicht des Volkes Wohlfahrt?
Komm'! Ueberlaß dich frei den schönen Trieben
Der Großmuth und dem sanften Zug der Liebe
Zum menschlichen Geschlecht! Verdiene
Die Freudenthränen des entzückten Danks
Von Myriaden, die nur dir ihr Leben,
Ihr Glück und ihre Freiheit schuldig werden!
Wie wird die späte dankerfüllte Nachwelt
Noch mit Entzücken dein Gedächtniß segnen!
Die Mutter, mit dem Säugling an der Brust,
Der fromme Greis, der mit vergnügten Blicken
Die Enkel überzählt, die Gatten, die, wie wir,
Sich lieben, Alle werden dich, Johanna,
Die Schöpferin von ihrem Glücke, segnen!

Lady Johanna. Ach! Guilford! Guilford! –

Lord Guilford.                                             Sieh dein Vaterland
In mir zu deinen Füßen. Theures Mädchen!
Du kennst das Elend, das auf Alle wartet,
Auf Alle, die die Fesseln Roms zerbrachen,
Auf alle Redlichen! – Ach! Kerker, Bande
Und Schwert und Flammen sind den Heiligen
Gedräut, den unbeweglichen Bekennern
Des Evangeliums! – Die Grausamkeit
Der Priester schont des schwächeren Geschlechts,
Der Kinder nicht! des zarten Säuglings nicht!
Erbarme dich des namenlosen Elends,
Das Rach' und Blutdurst deinem Volke dräut!
Erbarme dich –

Suffolk.                   Soll dein Gemahl, dein Vater,
Dein Vaterland, soll Edward selbst vom Himmel
Vergeblich flehen?

Lady Johanna.             Nein! mein theurer Lord!
Steh' auf, mein Guilford! Kniee nicht vor mir!
Mein Herz ersinket unter der Gewalt
Der Bitten, die von deinem holden Munde
So rührend schallen! – Nehmet mich, mein Vater;
Nimm, Guilford, mich, macht aus Johanna Gray,
Was euch gefällt! –


Sechste Scene.

Northumberland. Die Vorigen.

Northumberland.         Die Fürsten Albions
Erwarten sehnlich ihre Königin!
Hat Großmuth endlich über ihre Zweifel
Den Sieg erhalten?

Suffolk.                           Ja! Sie hat gesiegt.
Sie gab uns noch die Probe des Gehorsams,
Die sie uns schuldig war!

Northumberland.                   Hinfür gebührt es uns,
In deinen Winken unsre Pflicht zu lesen.
Heil dir, Prinzessin, Heil dir, Enkelin
Von alten Königen, du schönste Blume
Von Yorks und Lancasters vereintem Stamme!Von Yorks und Lancasters vereintem Stamme – Aus dem Hause Lancaster regierten drei Heinriche, der IV. bis VI., aus dem Hause York hierauf zwei Eduarde, der IV. und V., und der abscheuliche Richard III. Beide Häuser führten eine Rose in ihren Wappen, das Haus Lancaster die rothe, das Haus York die weiße. Die Streitigkeiten beider Häuser um die Krone nennt man den Krieg der rothen und der weißen Rose. Durch Heinrich des VII. [aus dem Hause Lancaster] Vermählung mit Elisabeth, der Tochter Eduard IV., – die man wohl auch als eine Vermählung der beiden Rosen darstellt – endigte dieser Streit. Aus dieser Ehe entsproß Heinrich VIII., und von dessen jüngster Schwester Maria war Johanna die Enkelin. G.
Durch deren Eifer, unter deren Schutze
Die göttliche Religion der Christen
Ihr leuchtend Angesicht, von ihren Flecken
Vereinigt, siegreich über alle Länder
Erheben soll! durch deren klugen Scepter
Gesetz und Freiheit, Fleiß und Ueberfluß
Und Wonne diese segensreiche Insel
Zur Königin der Erde krönen sollen.
Mein Knie beugt sich zuerst, dir ehrfurchtsvoll
Den Bund der unverletzten Treu zu weihen!
Heil, Ruhm und Glück der Königin Johanna!

Suffolk. Lady Suffolk. Lord Guilford.
Heil, Ruhm und Glück der Königin Johanna!

Northumberland. Gefällt es dir, Prinzessin, den Senat
Durch deine Gegenwart zu ehren
Und von den Edelsten der Britten
Den Eid der Treue zu empfangen?
Dann soll das ganze Volk den theuren Namen hören,
Der unsern Enkeln heilig bleiben wird!

Lady Johanna. Ich folge dir!         (Sie bleibt allein.)
                                            Geheimnißvolles Schicksal!
Wie spielst du mit den Menschen! – Diese schnelle
Verwandlung – Doch ich schweige! Höre du,
Der du die Unschuld dieses Herzens kennest,
Die heißen Seufzer meiner bangen Seele!
Häuft dieser schwarze Tag das Maß des Unrechts
Auf Englands Haupt, ist dein gerechter Zorn
Noch nicht versöhnt und warten neue Plagen,
Sich über dieses unglücksel'ge Land
Zu stürzen? – Gott! So höre mein Gebet!
Verschone seiner! Laß auf mich allein
Die Strafe fallen! mich allein, o Gott,
Für mein geliebtes Volk zum Opfer werden! (Geht ab.)

 


 


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