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Sidney. Lady Johanna Gray.
Sidney. Schon lange hallt das Innre des Palastes
Von klagendem Getön – Des Königs Schicksal,
Dein Schicksal, Albion, wird jetzt entschieden!
Wie bebt mein ahnend Herz! – Doch, seh' ich nicht
Des frommen Suffolk schöne Tochter
Und Guilfords Braut, die königliche Lady
Johanna Gray, sich nahn? – Ihr thränend Auge
Verkündigt eine böse Botschaft!
Lady Johanna. Es ist geschehn! – Der König ist nicht mehr!
Mein Freund, mein Bruder Edward!Johanna war die Enkelin einer Schwester Heinrichs VIII. und hatte an dem Unterrichte, den Eduard erhielt, Theil genommen. Diesen Unterricht näher zu kennen, ist zum Verständniß des Ganzen nöthig, und ich theile daher Niemeyers Schilderung desselben (a. a. O. S. 227 fgg.) mit. »Zuvörderst war er ganz in den Händen gelehrter Geistlicher. Dann machte theils die Erlernung fremder Sprachen, selbst der ausgestorbenen, wie der lateinischen, auch wohl griechischen, theils eigentliche Theologie die wesentlichen Bestandtheile desselben aus. So erklärt es sich, daß viele der Fürsten und Regenten jener Zeit, neben den neueren Sprachen, wenigstens der lateinischen mächtig waren, deren man sich damals ohnehin in der Diplomatik bediente. Jene Unterrichtsweise ging nun selbst auf das weibliche Geschlecht über, und wo irgend Ansage und Lust sich zeigte, ermangelten die Lehrer nicht, auch die jungen Prinzessinnen schulgerecht zu bilden. Heinrich VIII. war bei aller Rauheit seines Charakters nichts weniger als unwissend. Er hatte sogar die Scholastiker gelesen. Vor Allen schätzte er den Thomas von Aquinum und nahm daher Luthern, der geringschätzig von diesem geurtheilt hatte, dieß so übel, daß er sogar eine lateinische Schrift von den sieben Sacramenten gegen ihn herausgab. Kein Wunder, daß er auch seinem Thronerben Eduard eine gelehrte Erziehung geben ließ, woran von Zeit zu Zeit Johanna Theil nahm. Diese, den Prinzen an Talent noch übertreffend, ergriff mit unglaubiger Wißbegier Alles, was man sie lehrte. Noch sehr jung, war sie wie der neueren, auch der lateinischen und selbst griechischen Sprache so kundig, daß sie darin sogar Briefe fertig schrieb. Von ihren Eltern war sie in ihrer Kindheit äußerst streng behandelt. Vielleicht hatte dieß ihren natürlichen Hang zur Stille noch mehr genährt. Wenigstens fühlte sie sich von Jugend auf Weit mehr zu den Wissenschaften, als zu den Lustbarkeiten des Hofes hingezogen. Der gelehrte Asham, Lehrer der Prinzessin Elisabeth, erzählt in seinen Briefen, wie er sie einst, während der ganze Hof auf der Jagd gewesen, mit Platons Phädon von der Unsterblichkeit der Seele beschäftigt angetroffen, wobei sie ihn versichert, daß sie sich in solchem Umgang am glücklichsten fühle. Besonders gab sich einer ihrer Lehrer, Ellmer, ein eifriger Protestant, viele Mühe, sie recht tief in der Religion zu begründen und gegen den Papismus sogar mit allen Waffen der Schule auszurüsten. Eine solche Bildung, die schon in ihrer frühen Jugend ihrem Geist eine gewisse Frühreife verschafft hatte, muß uns allerdings etwas verkehrt vorkommen, wenigstens als Pedanterei erscheinen. Aber es gehörte nun einmal zum Charakter der Zeit, und hatte auf Johanna wenigstens die wohlthätige Wirkung, daß sie frühzeitig etwas viel Höheres kennen lernte, als den Glanz einer Krone.« G. – gute Sidney,
O hilf mir weinen! Weine, gute Sidney,
O! misch' in meine und in Englands Thränen
Die deinigen – der König ist nicht mehr!
Sidney. Gott! welch ein Schlag! Weh' uns! – O Gott! wie schwer
Fällt deine Hand auf uns! – Mit ihm
Sinkt Albions letzte Hoffnung!
Lady Johanna. Einer solchen Tugend
War diese Welt nicht werth! Der Himmel hat
Sein stärkres Recht an ihn zurückgefordert.
Sidney. Zu früh! Ach! allzufrüh, o theurer Jüngling,
Eilst du zurück, die Himmelsluft zu athmen,
Wo du geboren warst – zu früh für uns,
Eh noch die goldnen Tage kamen,
Von denen uns die Morgenröthe schon
Aus deinem hulderfüllten Antlitz strahlte.
Dich flehten unsre ungestümen Seufzer
Dem Himmel ab, dich, unsre letzte Hoffnung!
Zu dir, zu dir rang ein gequältes Volk
Die wunden Arme, seiner Fesseln müde,
Der Tyrannei, der Todesscenen müde,
Ermüdet zwischen Furcht und banger Hoffnung,
Ein ungewisses Leben fortzuschleppen.
Zu dir hob mitten aus den Flammen
Die leidende ReligionHeinrich VIII. hatte, weil der Papst seine erste Ehe nicht trennen wollte, sich selbst für das geistliche und weltliche Oberhaupt Englands erklärt. Ungeachtet dieser Losreißung vom Papste blieb er jedoch Katholik, und der Protestantismus erhielt erst unter Eduard stillen Fortgang, den jedoch der Maria fanatischer Eifer bald wieder hemmte. Der Hinrichtung entzog man sich nur durch Flucht, und Dänemark, die Niederlande und viele Städte Deutschlands füllten sich mit Colonisten aus England an, bis Elisabeth (1558) den Thron bestieg. G. ihr Auge
In heißen Thränen auf! – Ach, Edward, Edward!
Fliehst du von uns? Eh deines Volkes Glück
Dich mit dem süßen, schönsten aller Namen,
Dem Namen, der im Ohre frommer Fürsten
So lieblich tönt, dem Vaternamen, krönte?
Lady Johanna. Dieß, Freundin, dieß durchbohret mir die Seele!
Mein eigner Schmerz, so scharf er ist, verschwindet
Im allgemeinen Elend! – O! mein Vaterland,
Du kennst noch nicht in seinem ganzen Umfang
Den Werth des Guts, das du verloren hast.
O! große Thaten, werth des Nachruhms, werth
Von künft'gen Altern nachgeahmt zu werden,
Den Fürsten, die noch ungeboren sind,
Erhabne Muster, hat sein früher Tod
Der Welt geraubt! Was schön, was edel ist,
Was erst den Menschen, dann den König bildet,
Des dritten Edwards väterlicher Sinn
Zu seinem Volk, und Richards Löwenmuth,
Der kluge Geist des Salomons der Britten,
Der ganze Chor der Schwestertugenden,
Die einst sich Alfreds Brust zum Tempel weihten,
Befruchteten sein Herz.Unter Eduard III. im Jahr 1343 bildete sich das Parlament zu einem Ober- und Unterhause aus, welche beide gemeinschaftlich den gesetzgebenden Körper von England ausmachten. Zur Errichtung von Wollwebereien nahm er Flandrer in das Reich auf und hat um Anstalten für allgemeine Gerechtigkeit und Wohlstand große Verdienste. – Richard I., genannt Löwenherz, ist durch seinen Heldenmuth berühmt, den während seines Kreuzzuges selbst Saladin bewunderte. – Alfred (875), der in der gefahrvollsten Zeit den Thron bestieg, brachte fast unglaublich schnell den zerrütteten Staat wieder in Ordnung, gab ihm Land- und Seemacht, Wissenschaften und Künste, Städte und Gesetze. Im häuslichen und öffentlichen Leben gleich groß, theilte er die Stunden des Tages, wie die Geschäfte und Einkünfte ein und behielt eben so viel Raum zur Erholung als zur königlichen Milde. G. Wie Davids Sohn
Bat er von Gott nicht Macht, nicht Ruhm, nicht Gold,
Er bat um Weisheit, und er ward erhört!
Vergebens bot ihm mit Sirenenlippen
Die Wollust ihre schnöden Süßigkeiten;
Wie Herkules verschmäht' er sie und wählte
Der Tugend steilen Pfad, den Weg der Helden!
Und, o! wie zärtlich war sein fühlend Herz,
Wie scharf sein innres, immer waches Ohr,
Der Weisheit leise Warnungen zu hören!
Wie weit verbreitet seine Menschenliebe!
Gefühlvoll für die Leiden seiner Brüder,
Von Sehnsucht glühend, Allen wohlzuthun,
Schnell zum Verzeihn und nur der Bosheit streng;
Wie sanft, wie frei von Stolz und eitler Selbstheit,
Der Wahrheit hold, auch wenn sie ihn bestrafte –
O mein zu weiches Herz!Johanna wird mit jedem Zuge, den sie in ihrem Enthusiasmus zum Bilde ihres geliebten Edwards hinzu setzt, immer weicher: ihre immer steigende Rührung muß auch in ihrer Stimme immer merklicher werden, bis endlich die letzten Worte von einer Bewegung, welche sie nicht mehr zurückhalten kann, beinahe erstickt werden. Dieß muß im Declamiren dieser Stelle mit aller dem eigenen Charakter dieser jungen Prinzessin gemäßen Wahrheit ausgedrückt werden, oder die Ausrufung – O mein zu weiches Herz! hätte keinen Sinn. – Der Verf. erinnert sich noch immer und rechnet es unter die süßesten Erinnerungen aus seiner Jugend, mit welchem Gefühl, welcher Innigkeit, welcher ganz Natur scheinenden Kunst Madame Ackermann, die würdige Mutter unsers großen Schröders, auch diese Stelle, sowie überhaupt die ganze Rolle der Johanna und besonders die letzte Scene des ganzen Stücks durch ihre zuletzt bis zur täuschendsten Begeisterung steigende Declamation und Action darstellte. W. – O theures Bild,
Ist's möglich, bist du Alles, was von ihm
Mir übrig ist? O flieh! du täuschest mich,
Ihn mir so lebend, so mit jedem Zug,
Mit jedem Lächeln seiner holden Augen
Stets vorzustellen – Theurer Jüngling! Nimmer,
Ach! nimmer werden diese holden Augen
Auf die Gespielin deiner Kindheit lächeln!
Nie wird mich deiner Stimme süßer Ton
Beim Namen rufen! Nimmer werden uns
Bei deines Platons göttlichen Gesprächen
Die Winterstunden zu Minuten werden!
Ist's möglich, kannst du mich zurücke lassen?
Mich, deren Seele mit der deinigen
So zart verwebt war! – Ach! Und wo? wo läßt du mich,
Zu deinen anverwandten Engeln eilend?
Sidney. Gerecht sind deine Klagen, fromme Schöne;
Doch bald wird sie der allgemeine Jammer
Unhörbar machen! – Ach! die schwarze Stunde,
Da Edward starb, ist Englands Todesstunde.
Sein Tod wird ganze Hekatomben würgen!
Die Freiheit stirbt mit ihm, die nun so lange,
Aus Griechenlands und Roms Ruinen flüchtig,
In Albion sich eine Zuflucht suchte.
Und, ach! was wird die Kirche Gottes werden?
Die, kaum errettet aus des Tigers RachenHeinrichs VIII., der bekannter Maßen in den letzten Jahren seiner Regierung die Katholischen eben so heftig als die Reformirten verfolgte. W.,
Zu athmen anfing, unter Edwards Schutz
Die erste goldne Zeit der Christen hoffte;
Die Tage hoffte, da das heil'ge Volk
Noch auf dem Pfade seines Meisters ging,
Da Unschuld, Sanftmuth, ungefärbte Liede
Das Merkmal war, woran man Christen kannte?
Ach! jede Hoffnung bess'rer Zeiten sinkt
In Edwards Grab! Und welche Schreckgestalten
Zeigt uns die Zukunft? Bald, o schrecklicher Gedanke!
Verschlingt die Erde, bebend vor Entsetzen,
Das Blut der Zeugen, das aus Flammen sprudelt.
Maria leiht der priesterlichen Wuth
Den königlichen Arm. Weh' uns! was bleibt
Der nackten, unbewehrten Unschuld übrig?
Wenn du, o Gott, dich unser nicht erbarmest,
Und Edward aus den Au'n des Lichts herabsteigt,
Der treue Schutzgeist seines Volks zu bleiben!
Lady Johanna. Er wird, er wird es seyn! Kein Mutterherz
Schlägt zärtlicher für ihren ersten Säugling,
Als Edwards Herz für sein geliebtes Volk.
Vor Allen trug er die in seiner Brust,
Die nach der Reinigung der Kirche seufzten
Und an das Werk des Herrn voll Heldenmuths
Die Hand schon angelegt. Nur die Erinnerung
An sie hielt seine Lust zum Sterben auf.
In dieser Nacht, da schon sein Geist im Eingang
Des Himmels schwebte, naht' ich unbemerkt,
Beim düstern Schein der Lampe, seinem Lager.
Er betete. Sein thränenvolles Auge
Schien unverwandt zu Gottes Thron entzückt
Und sagte mehr, als Worte reden können.
Doch brach die Inbrunst seines Herzens oft
In Seufzer aus, die auf den starren Lippen
Zu Worten wurden und in meine Brust
Wie Pfeile drangen. »Gott« (so hauchte sich
Die heil'ge Seele aus), »nimm mich zu dir!
Nimm meinen Geist aus dieser Welt des Abfalls
Zu dir und zu den Geistern, die dich lieben
Und deinen Willen thun. – O! meine Seele
Lechzt lange schon, dein Angesicht zu schauen!
Du, Vater, weißest es, wie gut mir's wäre,
Bei dir zu seyn! Und doch, um derer willen,
Die du erwählt hast, um der Frommen willen,
Die zu dir weinen, laß mich länger leben!
Noch leben, bis das große Werk vollbracht ist,
Dein Reich in Englands Grenzen fest zu gründen.
Doch nicht mein Will', o Vater, sondern deiner
Gescheh'!Diese ganze Stelle, so wie überhaupt die Charaktere der Personen und alle historischen Umstände, sind aus Burnets Geschichte der englischen Reformation genommen, für deren völlige Unparteilichkeit der Verfasser nicht gut seyn möchte. W.« Hier schwieg sein Mund, und mir
Zerfloß das Herz in namenloser Wehmuth.
Sidney. Des frommen Edwards letztes Seufzen wird
Und kann nicht unerhört zum Himmel steigen.
Zwar Edward starb! Doch der, zu dem er flehte,
Hat tausend Mittel, uns zu retten, übrig.
Lady Johanna. Die Wege Gottes sind dem blöden Menschen
Geheimniß; die Gedanken, die er denket,
Sind nicht wie unsre eiteln Traumgedanken.
Nur Wunder, die wir nicht berechtigt sind
Zu fordern, können uns dem offnen Rachen
Des Untergangs entreißen! – Edwards Krone
Fällt nach dem Reichsgesetz und Heinrichs letztem Willen
Jetzt auf Mariens Haupt. Die Stund' ist da,
Auf welche sie ihr racheschnaubend Herz
So lang vertröstete; die Stund' ist da,
Nach der sich Rom und seine Priester sehnten.
O! was für grauenvolle Scenen
Von Blut und Mord weissagt mein bebend Herz!
Schon lange lechzt ihr Eifer nach dem Blute
Der Heiligen! – Von Mönchen mit gezücktem Stahl,
Von Priestern, die mit räuberischer Faust
Den Donner Gottes schleudern, rings umgeben,
Wird sie, die neue Königin, den Thron
Auf Todtenschädel gründen und den Himmel
Und Roms erzürntes Haupt mit Menschenopfern
Versöhnen wollen. BonnerEbenfalls katholischer Bischof unter Maria, viel brutaler als Gardiner. G., Gardiner
Und Andre, deren tiefversteckte Bosheit
Zu Edwards Zeit sich in Verstellung hüllte,
Stehn schon bereit, den Gott der sanften Liebe
In ihrer heuchlerischen Wuth zu rächen.
Ach, Sidney! – Ach! Die Zahl der Wahrheitsfreunde,
Der Redlichen verliert sich in der Menge
Der falschen Seelen, die von jedem Winde
Wie Rohre wanken, immer fertig sind,
Dem zuzurauschen, den das Glück begünstigt.
O England! O zu früh verwaiste Kirche!
So kürzlich erst gepflanzt, jetzt schon im Keime
Von strenger Glut versengt! O kleine Schaar
Der ersten schwachen Säuglinge der Wahrheit!
Für euch bricht mir mein schwesterliches Herz,
Für euch thränt unversiegt mein ahnend Auge!
Der Himmel zürnt den frommen Thränen nicht,
Dem Zoll der Menschlichkeit; er fordert nicht,
Daß wir gefühllos seiner Schläge lächeln.
Sidney. Lord Guilford kommt, Prinzessin, deine Klagen
Und den gerechtsten Schmerz mit dir zu theilen.
Ich geh', der Stadt, die zwischen Furcht und Hoffnung
Erwartend schwebt, ihr Schicksal anzukünden.
Lady Johanna. Lord Guilford.
Lady Johanna. O Guilford! komm'! und mische deine Thränen
Den meinigen! – O Freund! wie elend macht
Uns dieser Morgen! – Ach! wie bald, wie plötzlich,
Wie tief sind wir der schönsten Morgenröthe
Des Glücks entstürzt! – O, wie ist um mich her
Die Welt zerstört! – Wie schwarz das Licht der Sonne!
Die Sphären stehen! Stumme Todesstille
Ruht auf der Schöpfung! – Guilford, du allein
Bist mir noch übrig (letzter Trost im Elend!),
In deinem Arm mein Leben, ungetadelt
Und ungestört, in Seufzer auszuhauchen.
Lord Guilford. O! du – wo find' ich einen Namen,
Der deinem Werth' und meiner Liebe gleicht?
Du schönste, reinste Seele, die sich je
In Engelsbildung dieser Erde zeigte,
Ersinke nicht den Leiden, die dein zartes Herz
Zerreißen! Zage nicht, du meines Lebens Wonne. Noch
Ist Alles nicht verloren; noch ist Hoffnung da.
Dein Vater, dessen fromme Redlichkeit
Und sanfte Güte jedes Herz schon lange
Sich eigen machte, und Northumberland,
Das Haupt des Raths, mein Vater, und viel Andre
Der Edelsten des Reiches, deren Ansehn,
Von Macht und Gunst des Volkes unterstützt,
Mariens Anhang leicht zur Erde drückt,
Die alle leben noch und leben nur
Zum Schutz der guten Sache!
Lady Johanna. O Guilford! Hoffe nicht
Auf Menschen, deren Kraft ein Schatten ist,
Ein Traum ihr Leben! Hoffe nicht
Auf Stützen, die vom schwächsten Stoße fallen!
Dort über uns – schau durch die Wolken auf,
Die unserm Blick die sel'ge Aussicht wehren! –
Dort wohnt, von Engeln, die ihr Wink bewegt,
Umringt, dort wohnt die Macht, die uns erretten kann!
Sie schaut auf uns herab! Sie lenkt, sie ordnet Alles!
Nur der Gedank' an sie – hält meine Seel' empor,
Daß sie nicht ganz ersinkt!
Lord Guilford. Vertraue nur,
Du schöne Heilige! vertraue du
Der Vorsicht, die du glaubst, und deren Macht und Güte
Gleich unbegrenzt, gleich unaufhaltbar ist.
Sie wird uns retten! Aber sie gebraucht
Zu ihren unsichtbaren Thaten stets
Die sichtbare Natur, den Lauf der Dinge,
Der Menschen Arm und Witz und Leidenschaften.
Sie wird die Helden, die sich jetzt zum Heil
Des Vaterlands verbinden, zweifle nicht!
Mit Klugheit und mit starkem Muth begeistern.
Der Rath versammelt sich. Den Augenblick,
Da ich hierherging, sah ich meinen Vater,
Mit Mienen, die ein wichtiges Geheimniß
Zu decken schienen, Hand in Hand
Mit deinem Vater zur Versammlung eilen.
Mir ahnet was. Ein zweifelhaft Gerücht
Schleicht leis' am Hof' umher und murmelt heimlich,
Von einem Mund zum andern – Edward habe,
In seinen letzten Stunden noch bekümmert
Für unser Wohl, ein Testament erlassen,
Wodurch die römischdenkende Maria
Vom Throne ausgeschlossen sey. Ist dieß,
So hat des besten Königs früher Tod
Die Aussicht einer bessern Zukunft uns
Nicht ganz geraubt! So kann noch Albion,
So kann die Kirche, die nach Freiheit schmachtet,
So kann dein Guilford, der in dir den Himmel
Der Tugend und der Schönheit mit Entzücken
Sein eigen nennt, noch frei, noch glücklich seyn!
Lady Johanna. Was du mir sagtest, ist mir unbegreiflich.
Wie kann des achten Heinrichs letzter Wille,
Der, wenn der Himmel Edward fordern würde,
Den Thron Marien gibt, vernichtet werden?
Wie kann das Volk, wie kann der Rath der Edeln
Die Heiligkeit des theuren Eides brechen,
Wodurch sie sich dem Sterbenden verbanden?
Wie konnte Edward, er, in dem die Tugend
Uns sichtbar ward, des Vaters Angedenken so
Entehren? – Nein! er konnt' es nicht!
Lord Guilford. Auch mir ist ein Geheimniß, was ich seh'
Und was ich hör', und was mein Herz mir weissagt.
Doch bald –
(Ein Officier erscheint.)
Der Officier. Lord Guilford, der Senat erwartet dich.
Guilford (zum Officier, der wieder sich entfernt).
Gut! (Zu Lady Johanna.)
Nun wird Alles sich uns bald enthüllen.
Jetzt fordert mich die Pflicht. Ich stahl den Augenblick
Nur, Theurste, dich zu sehn und deinen Muth
Mit einem Strahl von Hoffnung zu beleben.
Jetzt sind Minuten mehr als Tage werth,
An einer einzigen vielleicht
Hängt Englands Schicksal und das unsrige.
Die Feinde schlummern nicht – Ich eile, desto bälder
Zu dir zurückzufliegen – Lebe wohl!
Lady Johanna. Ein guter Engel leite deine Tritte!
Lady Johanna allein.
Indessen, daß die Weisen, daß die Väter
Des Reiches sich zum Heil des Staats berathen,
Was kann ich thun? Ich, deren Herz so feurig
Für Englands Glück, fürs allgemeine Wohl
Der Menschen schlägt! – Was kann ich thun? – Ach England,
Mein mütterliches Land, ich kann nur weinen!
Nur über deiner Noth mich selbst vergessen!
Nur einsam weinen und, die schwachen Arme
Gen Himmel ringend, dich um Hülfe flehn,
O du der Engel und der Menschen Vater! –
Komm! stille Ruh', komm, süße Einsamkeit,
Umschatte mich! O, kommt, geliebte Bilder
Von Tod und sanfter Ruh' im stillen Grabe
Und vom Triumph der fesselfreien Seele,
Die sich dem Staub entschwingt! Nur ihr allein
Besänftigt meinen Schmerz, nur ihr vermögt den Kummer
In schlummerndes Vergessen einzuwiegen!