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Hvidgaard war ein Idyll ... ein viereckiges einstöckiges Gebäude, weiß getüncht mit rotem Ziegeldach und von Gräben mit weißen Brücken und weißen Schwänen, umflossen. Auf dem kiesbestreuten Hofplatz eine weißgetünchte Fontaine und bunte Pfauen, die Räder schlugen ... Und Hof und Garten und Park warm geborgen zwischen hohen, waldbestandenen Hügeln. Der Wind konnte in den Wäldern oben auf den Hügelkämmen entlang heulen und brummen, unten, an den Wegen des Gartens und in den Zimmern des Hofes herrschte die stillste Ruhe ...
Das heißt zu Jacob Reinholds Zeiten. Denn mit Frau Mona hielten auch der Sturm und die Unruhe ihren Einzug auf Hvidgaard, – und das Idyll flog in die Geschichte hinüber.
Sie sauste nämlich wie ein Gewitter durch das Haus. Wände wurden eingerissen, Türen und Fenster wurden versetzt, Decken wurden gehoben und Fußböden wurden gesenkt. Und als sie im Hause fertig gerast hatte, ging sie auf den Garten und den Park los. Sie wollte Atemraum haben, sagte sie, und sie ließ die stolzesten Bäume fällen, wenn sie ihren Plänen im Wege standen. Ja, vor ihren Wohnstubenfenstern ließ sie sogar den Wald umhauen und den Hügel durchschneiden, daß der Ostwind jetzt glückselig durch den Garten strich, die Rosen abfraß und in die Kachelöfen fuhr, daß sie rauchten. Aber sie ließ die Rosen ausgraben und die Schornsteine verlängern, wodurch sie die Schönheit des Gartens und des Gebäudes zerstörte.
» Was kümmert uns das,« sagte sie, »wenn wir nur Luft kriegen.«
Und um Gesellschaft zu haben, wenn ihr Mann vom Hofe abwesend war, begann sie Hunde zu sammeln. Sie brachte es so weit, daß sie zu gleicher Zeit vierzehn besaß, alle von verschiedener Rasse. Vom Grand Danois, groß wie ein Füllen angefangen, bis herunter zum Bologneser, nicht größer, als eine ausgewachsene Ratte.
Frau Monas Wiege hatte in einem vierten Stock eines Kopenhagener Hinterhauses gestanden; und sie war Eline Mortensen getauft worden. Aber nun hieß sie Frau Hofjägermeister Uldahl und regierte uneingeschränkt über ihren Riesen von Mann, der sich nie die Möglichkeit vorgestellt hatte, die Freuden bei einem Weibe zu genießen, die sie ihm bot. – Ihr Körper war wie lebendiges Feuer, wenn er ihn suchte. Sie schlug um ihn zusammen wie Flammen. Und er ließ sich mit Wonne verzehren.
»Wenn ich nun deinen Vater geheiratet hätte ...?« fragte sie ihn einmal während einer solchen Feuersbrunst.
Und ohne Zögern antwortete er:
»Dann wäre ich dein Geliebter geworden!«
Worauf er wieder in den Flammen verschwand.
Jens Oluf Rasmussen, Küster und Vorsänger an der Schule von Havslunde, stand eines Tages kurz vor Weihnachten draußen im Schulflur und seine Frau kam aus einer Tür, die zur Wohnung führte.
Als sie ihn sah, schlug sie entsetzt die Hände zusammen:
»Aber was tust du nur da, Jens Oluf!«
Er wandte sich schnell um.
»Was hast du hier zu suchen?«
»Ach, Jens Oluf, Jens Oluf ...!«
»Geh' deiner Wege, Oline!«
»Ich glaube, du stehst hier und bespeist das Essen der Kinder, Jens Oluf ... O Gott, o Gott, was soll das nur mit dir werden!«
Er ging auf sie zu, die Hände wie zum Schlage erhoben.
»Jetzt gehst du, Oline! Oder ist stehe nicht für mich!«
Aber dann bekam er einen Hustenanfall und sank zusammengedrückt und vornübergebeugt auf eine Bank. Die Frau lief zu ihm und stützte ihm den Kopf mit den Händen. Drinnen im Schulzimmer lärmten die Kinder.
»Jens, Jens, das kann doch nicht weiter gehen.«
Sie dachte nur an die fürchterliche Entdeckung, die sie gemacht hatte. Den Tumult der Kinder hörte sie nicht...
Der Hustenanfall war überstanden. Der Kranke schloß die Augen und lehnte sich kraftlos gegen die Wand. Große schwere Schweißtropfen glitten ihm über das Gesicht.
Seine Frau nahm ihr Taschentuch hervor und trocknete sie ab.
»Soll ich den Kindern nicht frei geben, Jens, und dich zu Bett bringen?«
»Nein, ... übermorgen bekommen sie ja Weihnachtsferien ...« Er öffnete langsam die Augen, die von dunklen Ringen umgeben, tief in ihren Höhlen lagen, und der Blick schien aus weiter, weiter Entfernung hervorzuwachsen, aus meilenweiter Entfernung, müde, demütig, gequält und gehetzt ...
»Ich weiß bald keinen Ausweg mehr, Oline!«
»Ja aber wie konntest du das nur tun?«
»Ich könnte noch etwas viel Schlimmeres tun, wenn das über mich kommt ...«
»Was für Frühstückspäckchen hast du bespieen?«
»Es sind wohl die drei, die da offen stehen ...«
»Dann nehme ich sie mit hinein ... Du kannst ja dann den Kindern sagen, daß sie in die Küche hinaus kommen und sich etwas anderes geben lassen können ... Ich sage ihnen dann, daß der Hund damit weg gelaufen ist.«
»Ja ...«
Die Frau erhob sich und ging zum Fensterbrett, wo viele Stapel kleiner Frühstückspäckchen lagen. Sie nahm die drei obersten, deren Papier gelockert war. Dann wandte sie sich um. Der Kranke war wieder gegen die Wand zurückgesunken. Im Schulzimmer war der Lärm gewachsen. Die Kinder riefen, schrieen, lachten und trampelten.
»Soll ich sie nicht lieber für heute frei lassen, Jens, damit du ein wenig Ruhe bekommst?«
»Nein ...!« sagte der Küster reizbar, stand mit einem Ruck auf und ging zu den Kindern hinein.
Im selben Augenblick, als er sich in der Tür zeigte, verstummte drinnen jeder Laut.
Jens Oluf Rasmussen war ebenso wie die Leichen-Johanne ein wilder Schößling des Uldahl'schen Stammes.
Aber Jens war ein Sohn von Niels.
Die Überlieferung erzählt, daß dieser eines Tages in seinen besten Jahren von Thorsminde auf den Hof Ramus Olufsens, den Kleinhof, ein Pachtgut von Egesborg, geritten kam.
»Ist deine Frau zu Hause?« fragte er.
»Ja,« sagte Rasmus Olufsen mit der Mütze in der Hand. »Sie ist oben in der Stube.«
»Willst du so lange mein Pferd halten ... Ich muß mit ihr sprechen.«
»Ja,« sagte Rasmus Olufsen.
Zwanzig Minuten später ritt Herr Niels wieder fort, und neun Monate darauf wurde Jens geboren.
Er war Rasmus Olufsens und dessen Gattin erstes und einziges Kind, und er wurde ein kränkliches Kind, merkwürdig nervös und eingeschüchtert; aber sehr tüchtig in der Schule, weshalb man ihn später auf ein Seminar brachte, wo er gut vorwärts kam. Und nach ein paar Hilfslehrerstellen rings in der Umgegend wurde er infolge der Aufforderung der Gemeindemitglieder hier an der Schule von Havslunde angestellt.
Nun war er wieder zu Kräften gekommen, und schön und stattlich sah er aus mit seiner aufrechten Gestalt und seinem langen Vollbart. Und da er ein mildes und liebevolles Gemüt hatte, war er bei Kindern und Erwachsenen wohlgelitten. In der Kirche ertönte seine schöne Stimme lauter als alle anderen. Die Mädchen sahen ihn mit milden Blicken an. Und endlich heiratete er eine wohlhabende Landwirtstochter aus dem benachbarten Kirchspiel... Aber da brach ein halbes Jahr später die Krankheit aus.
Es war die Brustkrankheit. Er hustete hohl und siechte dahin. Es war, als wenn ihn tausend Nadeln in den Lungen stächen, sagte er. Sein Gesicht wurde klein und gelblich-blaß hinter dem Bart. Und seine Augen wurden böse. Denn er, der früher sanft und milde und von trällernder Seminaristen-Fröhlichkeit erfüllt gewesen war, begann allmählich das Leben und was dem Leben angehörte zu hassen. Er war erst 27 Jahre alt, fühlte sich aber schon in dem Maße, wie die Krankheit vorschritt, bitter und verdrossen wie ein Greis, der den Anblick heranwachsender und fröhlicher Jugend nicht ertragen kann. In der Schule, wo er einst seiner verständnisvollen Munterkeit wegen von den Kindern geliebt und vergöttert worden war, saß er jetzt schweigend und hart da und paßte sorgsam auf, ob er eine Übertretung gewahrte, um dann mit Schadenfreude über den Sünder herzufallen. Und am liebsten suchte er sich die Rotwangigen und Lebensstrotzenden zum Opfer aus.
»Bist du ein großer Junge?« konnte er fragen, und das Lächeln um seinen schmalen Mund wurde lüstern und raubtierartig. »Nein, jetzt werde ich dir zeigen, wie man groß wird!« und mit seinen mageren Fingern packte er den Verbrecher bei den feinen Schläfenhärchen und zerrte ihn daran in die Höhe.
»Wachse, wachse!« sagte er und zerrte ihn immer mehr und mehr in die Höhe, bis der arme Sünder zuletzt auf den Spitzen seiner verzweifelten kleinen Zehen balancierte:
»So ist es, wenn man wächst, mein Junge!« sagte er. »So ist es, wenn man groß wird! ... Und jetzt kannst du heruntergehen und fröhlich sein!« Und er schickte den kleinen Burschen fort mit einem Fußtritt, daß er taumelte....
So war Jens Oluf Rasmussen geworden.
Und heute hatte also seine Frau entdeckt, daß er in seinem krankhaften Haß auf Leben und Gesundheit heimlich seine Krankheitskeime auf das mitgebrachte Essen der Schulkinder spie.
Auch für die Herrschaft auf Havslundegaard gestaltete sich das Weihnachtsfest trübe.
Denn am ersten Weihnachtstage nachmittags 3 Uhr fand der Futtermeister Voldby, als er auf den Heuboden hinauf kam, um eine Portion Heu für das Vieh herauszuholen, den Verwalter Jensen tot an einem Hahnenbalken hängen – und er hatte wohl vorher den Versuch gemacht, sich in der Pferdeschwemme zu ertränken, denn seine Sachen waren naß und schmutzig bis mitten auf die Brust hinab.
»Na, so mußte das enden ...!« sagte Voldby und begann bedächtig den Strick mit seinem Taschenmesser zu durchschneiden... »Jacobsen!« rief er in den Stall hinab, wo der Eleve umherging und das Heu rings in die Krippen verteilte ... »Jacobsen! ... Der Verwalter hat sich hier oben erhängt!«
»Was hat er?« sagte Jacobsen und ließ den Arm voll Heu, mit dem er gestanden hatte, pardautz zu Boden fallen.
Jacobsen war ein großer, derbgebauter Pächtersohn von 17–18 Jahren. Und er war zum ersten Male unter Fremden.
Voldby puffte sich mit der Leiche herum, um sie auf die Arme nehmen zu können.
»Ja, das hat er und er ist schon kalt ... Willst du ihn auffangen?«
»Nein!«
»Quatsch! Stell' dich nun gerade dahin, wo er herunterfallen muß, dann laß ich ihn so langsam gleiten. Na, wird's bald!«
Die gespreizten Beine des Toten zeigten sich schon in der Öffnung, Jacobsen war weiß wie ein Laken geworden und bebte am ganzen Leibe.
»Ich getraue mich's nicht, Voldby ...«
»Quatsch! Fass jetzt an ...! Hast du angefaßt?«
»Ja –.«
»Ja, jetzt kommt er!«
Der schwere Körper des Verwalters glitt langsam durch das Loch, steif wie ein Balken.
»Ich getraue mich's nicht, ich getraue mich's nicht..!« stöhnte der Eleve.
»Bist du verrückt, Lümmel? Willst du festhalten! Ich habe doch losgelassen!«
Die Leiche begann plötzlich rasch über das glatte Heu hinzusausen, und indem sie dem Knaben, dem sie zu schwer war, wuchtig in die Arme fiel, drang aus ihrem Halse ein Ton, der bis dahin abgesperrten Luft: Bä–uw! rülpste sie ihm gerade ins Gesicht.
Aber da ließ der Eleve, wild vor Angst, den Toten los und stürzte heulend wie ein mondsüchtiger Hund zum Stall hinaus.
»Das verwinde ich nie...!« schrie er – »Das verwinde ich nie! Dazu hätte mich Voldby nicht zwingen sollen! Das verwinde ich nie!«
Und während er auf den Hofplatz und über die Felder hinausflüchtete, schwenkte er irrsinnig die Arme über seinem Kopf herum und herum, wie zwei Mühlenflügel...