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Eine Viertelstunde später verabschiedete sich Thummelumsen.
Den Kater hatten sie nicht wieder eingefangen.
»Wo möchtest du wohl am liebsten liegen. Mörch?«
»Hm!«
»Neben deiner Frau ist es ja feucht!«
»Ach was!«
»Und du bist ja so sehr für Wärme und Sonnenschein!«
»Unsinn, Knagsted.«
»Aber hier ist ein schöner Platz, wie? trocken und angenehm. Hier kannst du dich lange halten.«
»Wie kannst du nur solchen Blödsinn reden!«
»Und falls Grundwasser da sein sollte, kannst du ja dränieren lassen.«
»Ich will nichts mehr hören!«
Und der Konsul riß verbittert seinen Arm aus dem des Zöllners und blieb stehen.
Sie gingen auf dem Friedhof spazieren. Und Esau wollte absolut, daß sie sich jetzt stante pede ihre Grabstätte auswählten.
Der Konsul trug einen Pelz und eine Pelzmütze, der Zollkontrolleur hatte einen Winterrock an. Denn es war kalt. Aber ihren Spaziergang mußten sie machen.
Knagsted ging einige Schritte zur Seite, wo ein paar breitkronige, entlaubte Kastanien standen.
»Und hier will ich dann liegen«, sagte er und ritzte ein Viereck mit seinem Stock in den Boden. – »Hier ist es im Sommer so herrlich kühl, und ich habe ja Haar genug, um mich warm zu halten.«
Mörch antwortete nicht. Er stand noch da und schielte wütend zu dem Freund hinüber.
»Weißt du was,« sagte der Zöllner plötzlich, »ich habe einen Gedanken! Du solltest dich wahrhaftig im Pelz begraben lassen, Mörch, dann können wir auch fernerhin spazierengehen.«
»So,« sagte Mörch. »jetzt gehe ich!« Und er fing an, nach dem Ausgang zu humpeln.
Der andere folgte ihm und nahm ihn wieder unter den Arm.
»Ich will dir helfen, lieber Mörch, dann geht es besser.«
Sie trippelten schweigend dahin. Der Konsul verbissen und vornübergebeugt, die Augen zu Boden gerichtet; der Zöllner frischen Mutes, aufrecht und gerade, mit stolz erhobenem Kopf.
Als sie an Emanuel Thomsens Brutplatz vorüberkamen, der gegen den Wind geschützt lag, und wo die Sonne warm und traulich auf die Bank herabschien, fragte Esau:
»Wollen wir uns nicht ein wenig setzen, Mörch? Bist du nicht müde?«
»Ja,« sagte der Konsul, »aber ich fürchte, daß ich mich erkälten könnte.«
» Hier? Mitten im Sonnenschein? Nein! Und du bist ja auch warm angezogen.«
»Ja, wir können uns meinetwegen gern einen Augenblick hinsetzen.«
Der Konsul schielte mißtrauisch zu dem Freund hinüber. Wenn Knagsted rücksichtsvoll wurde, wußte er nämlich, daß immer irgend etwas dahinterstecke.
Und dann setzten sie sich.
»Siehst du wohl, daß es hier angenehm ist!«
»Ja.«
Ein Wirbelwind fuhr über das Dach der Kapelle und drehte den Staub auf dem breiten Mittelwege zu einem Kreisel zusammen. Und ein Fetzen Zeitungspapier tummelte sich hoch oben in der Luft und verschwand hinter den Bäumen.
»Du hast doch keinen Zug, Mörch?«
»Nein. – Du bist ja sehr liebenswürdig!«
»Hm! – Aber du bist ja der einzige, an den ich mich hier in der Stadt wirklich angeschlossen habe; da will ich dich natürlich ungern verlieren.«
Wütendes Schweigen.
»Übrigens ein schöner Herbst, den wir haben!« begann der Zöllner von neuem.
»Es weht und stürmt doch jeden Tag!«
»Hm, ja!«
»Und es stäubt! Ich habe es so satt! Es ist immer dasselbe!«
»Nun, – das mußt du nicht sagen! Es ist doch eine Art Abwechslung darin. Den einen Tag stäubt es von der einen und den andern Tag von der andern Seite –«
»Unsinn!«
Neues Schweigen.
Der Konsul war in seinen Pelz zurückgesunken. Und der Zöllner saß da und pfiff leise vor sich hin und klappte mit dem Fuß den Takt auf der Erde dazu.
Plötzlich hielt er inne und fragte in gleichgültigem Ton:
»Ist es wahr, Mörch, daß du die alte Stine von Rechtsanwalt Petersen hast auf die Straße werfen lassen?«
Das aufgedunsene Gesicht des Konsuls quoll aus dem Pelz hervor.
»Wa–wa–was?« fragte er. Er war im Augenblick nicht imstande, einen andern Laut hervorzubringen.
»Man erzählt es sich!« nickte der Zöllner.
»Wer sagt das?«
»In der Stadt sagt man es.«
»Hm!«
»Ich habe aber gesagt, es sei eine infame Lüge!«
»Hm –«
»Denn ich kenne dich ja!«
»Ja –«
»Die zehn Kronen alle halbe Jahre –«
»Es sind zwanzig!«
»Wie?«
»Es sind zwanzig!«
»Nun ja, meinetwegen zwanzig! Auf die zwanzig Kronen alle halbe Jahre kann es dir wahrhaftig nicht ankommen, wie?«
Mörch wand sich.
»Zwanzig Kronen hier und zwanzig Kronen da«, sagte er. – »Sie hat seit dem vorigen Oktober keine Miete bezahlt!«
»Sie ist krank.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Sie hat über ein halbes Jahr zu Bett gelegen!«
»Hm!« »Wir müssen immer hübsch bezahlen, was wir schuldig sind! Ich bin auch schon lange krank gewesen!«
Knagsted sah hastig zu dem Freund hinüber.
»Ach ja!« sagte er ruhig, »mag sein! Du hast vielleicht recht! Ich bin wohl nur zu weichherzig!«
»Ja!« nickte der Konsul mit einem Hoffnungsschimmer, »weshalb soll man auch –«
»Nein, – versteht sich! – Sag' einmal, erinnerst du dich deiner Frau noch?«
»Meiner Frau –«
»Deiner Frau, ja!«
»Was für ein Unsinn ist denn das nun wieder?« fragte der Konsul und rückte unruhig auf der Bank hin und her.
»Ich frage, ob du dich deiner Frau noch erinnerst?«
»Großer Gott, natürlich erinnere ich mich meiner Frau!«
»Ja, ich meinte nur. – Es sind ja bald zwölf Jahre her, seit sie starb, da dachte ich –«
»Unsinn! Wozu wollen wir darüber reden?«
»Ich entsinne mich ihrer noch sehr wohl.«
Der Konsul riß seine blöden Augen weit auf.
»Du?«
»Ja, ich habe sie gekannt.«
»Du hast sie gekannt?«
Knagsted nickte.
»Und deshalb habe ich dich so lieb!«
»Wo hast du sie gekannt?«
»In der Kronprinzessinstraße, Nummer acht, vierte Etage.«
Der Konsul sperrte den Mund weit auf.
»Ja, aber – ja, aber,« stammelte er. »da hast du doch nicht verkehrt?«
»O ja, zu meiner Zeit! Aber du hast mir den Rang abgelaufen, du Schwerenöter!«
»Ich?«
»Ja, du! – Das ist ja der Grund, weshalb ich dich so lieb habe!«
Es war auch nicht die geringste Erregung bei dem Zöllner zu verspüren. Seine Antworten klangen trocken und nüchtern.
»Alvilda – Alvilda hat mir nie davon erzählt,« fuhr Mörch fort, »Alvilda –«
»Nein, weshalb sollte sie es auch erzählen? Sie schrieb mir nur, jetzt wolle sie lieber dich haben. Und damit Punktum!«
Die Hände des Konsuls tasteten nervös in seinem Schoß.
»War't ihr denn – war't ihr denn – verlobt?«
»Ja, es war etwas Derartiges.«
»Davon, – davon habe ich nichts geahnt –«
Knagsted wandte sich heftig nach seinem Opfer um:
»Hättest du sie mich sonst behalten lassen?«
»Ich – ich –« lallte der Konsul. Er war jetzt ganz von Knagsted paralysiert und zitterte am ganzen Körper.
Der Zöllner lächelte.
»Sie konnte brillant küssen!« sagte er. »Und jetzt haben die Würmer sie aufgefressen.«
»Ach, laß das, – laß das, Knagsted – laß das –« Mörch jammerte wie ein Kind.
»Und grüße sie von mir. Du siehst sie wohl zuerst.« Der Konsul wurde schwarzblau im Gesicht und hieb mit seinem Stock kraftlos auf Esau los.
»Du bist ein Satan!« fauchte er.
Der Zöllner lachte laut.
»Nun, nun! Vergiß nicht, daß du krank bist, Mörch!« sagte er dann in freundlich ermahnendem Ton. »Und kranke Leute dürfen sich nicht aufregen.«
Der Stock entfiel Mörchs Hand. Es war, als erschlafften alle Nerven in ihm. Er sank auf der Bank zusammen, und indem er seine blaugeschwollenen, zitternden Hände zu seinem Gesicht emporhob, weinte er wie ein Schuljunge, der Prügel bekommen hat: »Du kannst mich doch in Ruhe lassen. Ich habe dir doch nichts getan, – und immer mußt du das Allerscheußlichste zu mir sagen – und mich bange machen. – Ich bin krank – das weißt du recht gut – und trotzdem – und trotzdem. Warum kannst du – mich nicht – in Frieden lassen – ?«
Knagsted antwortete nicht. Er hatte sich von der Bank erhoben und stand bleich und unbeweglich da und betrachtete seine Beute – – – – –
Die Gitterpforte schrie in ihren Hängen.
»Mörch, da kommt jemand!«
»Da kommt jemand!«
»Ja, – ich will gleich –«
Der Konsul machte einen Versuch, sich von der Bank zu erheben, vermochte es aber nicht. Knagsted war ihm behilflich.
»Und hier ist dein Stock!«
»Danke!«
»So komm jetzt!«
»Ja –«
Und dann gingen sie.