Josef Victor Widmann
Maikäfer-Komödie
Josef Victor Widmann

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Zweiter Auftritt.

Waldwiese an einer Hügelabdachung.

Große Versammlung der Weiber, unter ihnen Tattabaucis, Kakodromida, Phyllis, Lainilla und andere.

Tattabaucis.
Hier scheint der Ort mir günstig. Gegen Süden
Senkt sich vom Eichwald her die sanfte Halde,
Ein warmer Streifen lockern, trocknen Bodens.
Wie denkt ihr andern?

Phyllis.
                                    Du bist unsre Herrin,
Seit Artemisia des Todes starb.

Tattabaucis.
Nicht so! Ich will nicht eure Fürstin sein,
Nur eure Führerin, der ihr vertraut.
Mit Liebelei'n und höf'schem Glanz ist's aus. 157
Auf kurzes Brautglück folgt die Mutterschaft,
In der wir alle gleich sind, unromantisch
Und praktisch nur. Bloß weil ihr mich erkanntet
Als so beschaffen, habt ihr mich erwählt.

Kakodromida.
Ja, jetzt kommt unsereins zum Recht. Gebären
Ist demokratisch.

Lainilla (sich umsehend).
                            Mir gefällt's hier gut.

Andre Weiber (einstimmend).
Und mir! Und mir! Uns allen!

Tattabaucis.
                                                Ans Geschäft denn!
Erst weiht den Ort mit gutem Spruch und Reigen,
Der auf die Bürde lösend wirkt; dann schlüpfen
Wir unter, jede, wo es ihr gefällt.

Reigen und Gesang.
Eier Eier legen –
Erst ein freier Regen –
Dann ein freier Sonnenschein –
Sieben Segen hinterdrein –
Maiengrün und Flieder –
Dreimal sieben Kinderlein –
Alle mitt's ins Nest hinein –
Sitz' nieder! Sitz' nieder! 158

Anthusa (herbeieilend).
Ihr wollt gebären?

Phyllis (sie begrüßend).
                              Ei, sieh da, Anthusa!

Anthusa (sie nicht beachtend).
Ihr wollt gebären?

Phrixa.
                              Wollen ist das Wort nicht,
Wir müssen.

Phyllis.
                      Doch wir können auch.

Lainilla.
                                                            Und drum
Ist Wollen gleichwohl mit dabei. Wer möchte
Nicht wollen, was er muß und kann?

Anthusa.
                                                            Tut's nicht.

Tattabaucis.
Bist du kein Weib, daß du so töricht faselst?

Phyllis.
Verzeih ihr. Unsrer vielbeklagten Fürstin
Hoffräulein einst, gleich mir, sprach sie von jeher
Verworrnes krauses Zeug; doch war verständ'ger 159
Ihr Handeln als ihr Reden. So zum Beispiel
Auch widerriet sie uns zu frei'n; wir sollten
Die Männer meiden. Später ward sie selbst
Mit einem Mann betroffen.

Anthusa.
                                            Er ist tot.

Phyllis.
Wie starb er dir?

Anthusa.
                            Ihr kennt das Volk der Menschen.
Da Fliegen ihnen ist versagt, versuchen
Auf hundert Arten eilende Bewegung
Die Listigen. So haben sie's ergattert,
Auf leise Räder rittlings sich zu setzen,
Mit denen wie im Flug heran sie sausen.
Ein widerwärt'ger Anblick ist's, wenn häßlich
Vorwärts gebeugt, mit ihren nur vier Beinen
Sie auf dem Unding kleben. Solch ein Rad
Kam wie ein Blitz daher und traf den Gatten
An Kopf und Brust, ihn augenblicklich tötend.
So schnell geschah's, daß ich, mit ihm verbunden
In inniger Umschlingung, noch liebkosend
Ihn hegte, während längst sein Atem stockte.

Phyllis.
Du Aermste. 160

Tattabaucis.
                    Wenigstens erfuhr sie nicht
Die schlimmre Witwenschaft, wie diese Männer
Nach kurzem Taumel weiter sich nicht kümmern
Um uns.

Anthusa.
              Und wenn ihr dies erfuhrt, wollt dennoch
Fortsetzen ihr das unvernünft'ge Leben
In künftigen Geschlechtern?

Tattabaucis.
                                              Hört die Närrin,
Die nicht begreift, daß wir Notwendiges üben!

Phyllis.
Fühlst du dich selbst nicht Mutter?

Anthusa.
                                                        Nein.

Phyllis.
                                                                  Dann freilich
Hast du hier Sitz und Stimme nicht.

Anthusa.
                                                          Doch graut mir,
Daß solches Possenspiel, wie wir's erfuhren,
Sich zwecklos ewig soll erneu'n. – Erschnapptet
An dieser Lebensmahlzeit jemals ihr
Nur einen Bissen, der gewürzt nicht war
Mit Lug und Trug? 161

Phyllis (überzeugt).
                              Die Liebe!

Anthusa.
                                                Wo ihr eben
Noch klagtet, daß die Männer euch verlassen,
Sei's, daß der Tod sie raubte, sei's – was schlimmer –
Daß wankelmüt'ger Sinn sie euch entzog?

Phyllis.
Mag sein, daß falsch die Männer sind und treulos,
Mag sein, daß wir auch allzuviel nicht taugen
Und daß die ganze Welt ein Possenspiel.
Doch gibt's im Zeitlauf dieser schlechten Welt
Für unsresgleichen mal ein Viertelstündchen,
Das alles zahlt: wenn zwei von diesen einzeln
So schlimm beschaffnen Wesen sich in Liebe
Verbinden. – Ach! es war halt schön! Und Kinder
Sind das Bekenntnis, daß die Welt uns einmal
So gut gefiel, um selbst an ihr zu baun.

Anthusa.
In unbedachter Lust, ja wohl!

Phyllis.
                                                So sei es:
In unbedachter Lust!

Anthusa.
                                  Die neue Sklaven
In dies Gefängnis liefert, unbefragte! 162

Lainilla.
Geh, frag' sie doch, ob sie nicht kommen wollen.
Mir scheint, sie wollen alle.

Anthusa.
                                            Wem gehörtest
Du an?

Lainilla.
            Ich? Bitt' schön, bin Hofpred'gerswitwe.
Und dreißig Pfarrerssöhn' und Pfarrerstöchter
Schenk' ich demnächst der Welt.

Anthusa.
                                                    Um Gotteswillen.

Tattabaucis.
Nun hab' ich's endlich satt, daß du verekelst
Uns Müttern die Entbindung. Trolle dich!
Wozu, was unabänderlich, beschwatzen?

Anthusa.
»Was unabänderlich?« – Könnt ihr ins Wasser
Die Brut nicht werfen, aufs Gestein sie betten,
Wo sie die Sonne dörrt?

Tattabaucis.
                                      Du grundverderbtes
Geschöpf! So schlecht, wie jene blassen Riesen,
Die unsre Feinde sind und deren Laster
Sich auch ins Riesenhafte recken. Weiber 163
Der Menschen tun vielleicht dergleichen. Heilig
Ist diesem mörderischen Volke wohl
Die eigne Brut auch nicht. Wer weiß! sie suchen
Sich Mittel, ihren Schoß gar zu verriegeln.
Sie leben nicht im Wald wie wir, sie ehren
Nicht Sonnenschein und Tau und nähren sich
Von sanften Blättern nicht, daß mit der Speise
Der Atem unsrer großen, heil'gen Mutter
In ihres Leibes Hallen dringt; sie heben
Die Hand auf feindlich wider die Natur
Und mästen sich vom Morde, der sich blutig
In ihre Adern gießt, ihr Hirn vergiftend
Zu tollem Aberwitz, bis sie verkennen
Des Lebens ewige Gesetze. Freilich
Straft auch Natur sie. Neulich hört' ich schreien
Ein menschlich Weib so furchtbar, daß ich wähnte
Man morde sie. Was war's? (verächtlich)
                                            Ein Kind gebar sie!
Nur eines, und doch wollte sie vergehn
In ihrer Qual. Auch mußten Hand und Werkzeug
In ihrem Leibe wühlen nach der Frucht –
Und diese Menschen werten höher sich
Als uns vor Gott, der sichtbar uns bevorzugt,
Da unser Schoß, wie reichlich auch gesegnet,
Leicht seine Bürde hinlegt, spielend fast. –
    (zu Anthusa)
Du aber, die du frevelnde Gedanken
Als einz'ge Frucht gebierst, und uns empfohlen, 164
Was nie in unserm Volke noch geschah,
Nimm in die Gruft, die über dir wir mauern,
Das schändliche Geheimnis deines Rates.
Ergreift sie! Fort mit ihr! Senkt sie lebendig
In ein Verlies, das nie mehr sie verläßt.

Phyllis.
Erbarmen für die Törin!

Tattabaucis.
                                        Nein! – Kommt alle.
Du, Kakodromida, stehst Wache hier,
Daß niemand uns an unserm Werke störe.

Anthusa (während sie fortgeführt wird).
Was ihr mir zufügt, wird euch selbst getan.
Ihr wißt nicht, daß die Wiegen eurer Brut
Euch zum Gefängnis werden und zum Sarge.
Ihr zahlt die Mutterschaft mit euerm Leben.

(Alle ab, außer Kakodromida, die Wache hält.)

Der lyrische Dichter Sylvan (kommt im Selbstgespräch des Weges daher).
Hier schließ ich endlich den Sonettenkranz
An meine Myrrha! – 's war ein Kettentanz
Für mich, ein wahrer Klebeklettenschwanz.
Und gar nun das berühmte Meistersonett!
Mit besserm Rechte hieß' es Kleistersonett,
Zusammengeleimt, zusammengepappt
Aus Sätzen, denen der Atem abschnappt, 165
Bevor sie völlig zur Welt gekommen.
Doch hab' ich die schwere Form genommen,
Weil Würde sie verleiht zum Lohn,
Den rechten Mausoleumston.

O! Myrrha! nur flüchtig mir angegattet,
In schönen Versen jetzt bestattet,
In einem Sonettenkranz begraben, –
Was könntest du noch dagegen haben,
Wenn ich, da dies Stück Biographie
Nun hinter mir liegt, und ein Genie
Ins volle Leben hinein muß greifen,
Den Trauerflor jetzt würd' abstreifen?
»Sich ausleben«, denk' ich, heißt die Parole.
Du lebtest dich aus, als vom Pirole
Du wurdest durch die Luft getragen.
Ich aber möchte zu meinem Wohle
Eine andre Manier des Auslebens wagen.
    (in einiger Entfernung die Weiber erblickend)
Und da, schau schau, wie sich's gebührt,
Hat die Muse mich wieder mal glücklich geführt.
Ein ganzes Budel schöner Kinder,
Kein Mann dabei, – gehn wir geschwinder!

Kakodromida (ihm den Weg vertretend).
Halt! wer da?

Sylvan.
                      Sylvan, der Poet. 166

Kakodromida.
Was sucht Ihr hier?

Sylvan.
                                Ich geh spazieren.

Kakodromida.
Das ist kein Ort, wo man spazieren geht.

Sylvan.
Warum nicht?

Kakodromida.
                      Weil uns Männer hier genieren.

Sylvan.
Wo bin ich hier denn?

Kakodromida.
                                    Bei den Müttern.

Sylvan.
                                                                Ei!

Kakodromida.
Ja! »Ei!« Das ist die Losung, drum geht weiter.

Sylvan.
Aus diesem allem werd' ich nicht gescheiter.
Was treibt ihr? 167

Kakodromida.
                        Das Geschäft der Mütter?

Sylvan.
                                                                  Was?

Kakodromida.
Hier wird geboren.

Sylvan.
                              Schätzchen, du machst Spaß.

Kakodromida.
Im Gegenteil! Mir ist es bittrer Ernst.
Und wenn du Frecher dich nicht flugs entfernst,
Wird Tattabaucis dir den Weg schon weisen.

Sylvan.
Wer ist das?

Kakodromida.
                    Unsre Mustermutter. Dicker
Als alle. Führt ein Regiment von Eisen.

Sylvan.
Ich bleib'. Als Dichter . . .

Kakodromida.
                                        Gib acht, Verseflicker!
Sie hat dich schon bemerkt. Jetzt geht's dir schlecht. 168

Tattabaucis (mit einem Teil der Weiber zurückkehrend).
Was muß ich sehn? Ein Mann! Mit welchem Recht
Störst du der Mütter heilige Verrichtung?
Steh Rede mir! Weshalb hier drangst du ein?

Sylvan.
Ich bin Sylvan, ein Fürst im Land der Dichtung.

Tattabaucis.
Wärst du geblieben dort.

Sylvan.
                                        Wollt mir verzeihn.
Ich hoffte hier ein Publikum zu finden
Für meinen duftenden Sonettenkranz.
Von denen bin ich, die den Frauen binden
Manch zartes Sträußchen. Dichter geben Glanz
Der Frauenliebe wie dem Frauenleben.

Tattabaucis.
Ja wohl! So ein Verhimmeln und Verschweben
In luft'ge Phantasie und blauen Dunst!
Fern aller Wirklichkeit ist eure Kunst.
Und was da Männchen heißt, stimmt gleichen Tones
Sanft flötend ein in eure Melodie,
Bis ihr teilhaftig seid des süßen Lohnes,
Den ihr erstrebt. Doch selten oder nie 169
Seid ihr nachher die gleichen wie zuvor.
Schlecht hält der Gatte, was der Bräut'gam schwor.
Und daran seid vor allem schuld ihr Dichter,
Die ihr die Welt gewöhnt an Lügentand,
So daß, wenn alles nüchterner und schlichter
Dann in der Ehe zeigt sich dem Verstand,
Enttäuschung Mann und Weib ergreift und trennt.

Sylvan.
Ich darf behaupten, daß ihr mich verkennt,
Und nicht nur mich, die ganze Dichterzunft.
Wohl wahr ist, daß zuweilen Unvernunft
Uns reißt dahin in all zu tollem Schwirren,
Wenn nach dem Weibe jede Fiber lechzt . . .

Tattabaucis.
Berechnung ist dabei; ihr wollt uns kirren,
Indem ihr gar so gottserbärmlich ächzt . . .

Sylvan. O! nein! Es ist uns wirklich so zu Mut.
Wer brünstig liebt, schaut wunderbare Dinge,
Die blasse Welt getaucht in Purpurglut,
Um leere Köpfe heil'ge Farbenringe.
Und in uns schwillt's und brodelt's trüb und schwül
Von einem übermächtigen Gefühl . . .

Tattabaucis.
Das dann ohnmächtig sinkt in sich zusammen,
Sobald gelöscht des ersten Durstes Flammen. 170

Sylvan.
Das alles mag so sein . . .

Tattabaucis.
                                        Es ist.

Sylvan.
                                                  Doch nur,
Weil jene große Dichterin Natur
So in uns wirkt. Wir Dichter aber streben,
Dem flücht'gen Glück den Weiheglanz zu geben,
Der selbst den Tod oft überdauert,
Wie ich, zum Beispiel, der um Myrrha trauert . . .

Lainilla (als Botin kommend, zu Tattabaucis).
Jetzt ist sie völlig eingemauert.

Tattabaucis.
Schweig!

Sylvan.
                Wer ist eingemauert? Darf ich fragen?

Tattabaucis.
Nein!

Lainilla.
          Ei! warum soll man's nicht sagen?
Ein sittenlos Geschöpf, das frevelhaft
Uns riet, die künft'gen Kinder zu vernichten. 171

Phyllis.
Anthusa ist's.

Sylvan.
                      O! Löset ihre Haft.

Tattabaucis.
Nichts da!

Sylvan.
                  Ist's ein Triumph, sie hinzurichten?
Wär's nicht glorreicher, edler, zu bekehren
Die arg Gefallene?

Tattabaucis.
                              Bekehren? Die?

Sylvan.
O! schenkt sie mir. Ich würde sie belehren
Und bessern.

Phyllis.
                      Witwer er und Witwe sie –
Laßt Gnad' für Recht ergehn.

Tattabaucis.
                                                Und wär' es Gnade,
Wenn aus den Beiden wirklich würd' ein Paar?

Lainilla.
's ist Eines für das Andre nicht zu schade! 172

Tattabaucis (für sich).
Die schärfste Buße Beiden wär's. – 's ist wahr:
Ein Dichter und ein tolles Frauenzimmer
Als zärtlich Paar – da ist der Tod nicht schlimmer.
    (zu Sylvan)
Es sei! – Doch Myrrha? der Sonettenkranz?

Sylvan (beglückt).
O! sorgt euch nicht um diesen Firlefanz.
Da »Myrrha« so wie so kein Keimwort war,
Paßt alles auf Anthusa ganz und gar.
Doch nimmt sie mich?

Tattabaucis.
                                    Wo ich das Bündnis flechte?
    (höhnisch)
Glaub mir's: du bist für sie genau der Rechte!

(Alle gehen ab). 173


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