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Melancholien hängen in der Luft,
Wenn sich im Frühling feuchte Schleier weben
Um Berg und Tal, der graue Nebelduft
Wie Greisenliebe kriecht um junges Leben,
Wenn Regen sprüht aus zorn'ger Wolkenkluft
Auf Blüten nieder, die im Frost erbeben
Und weinend fragen, welch ein Fluch so rauh
Verwandelt hat den milden Maientau?
Sechs finstre Tage lang blieb zugezogen
Der Vorhang, der das Sonnenlicht verschloß,
Sechs finstre Tage lang die Welt betrogen
Um Glanz und Wärme. Da auf einmal schoß
Am siebenten herab vom goldnen Bogen
Der erste Sonnenpfeil. Langsam zerfloß
Der schweren Wolkendünste trübe Schar.
Mit blassem Blau ward rings der Aether klar. 144
Doch Millionen, die sich jüngst des blauen
Gezeltes freuten, – vor der schlimmen Zeit! –
Nicht sollen sie's zum zweiten male schauen.
Von frosterstarrten Leibern weit und breit
Sind übersät die Felder und die Auen,
Als hätt' es Leichen aus der Luft geschneit.
Sie liegen in den Pfützen, auf den Wegen,
Und unterm Schlamm noch zuckt ein leises Regen.
Maikäferkönigs Volk, des einst so stolzen,
Hat seine Beresina durchgemacht.
Wie Winterschnee ist die Armee geschmolzen,
Am Tag umschwirrt in schreckensvoller Schlacht
Von tausend wohlgezielten Armbrustbolzen
Des Mißgeschicks; vom Frost vertilgt zu Nacht.
Der Rest – erlangte volle Lebenskunde,
Doch teures Lehrgeld kostete die Stunde.
Laßt uns die Letzten denn zum Ziel geleiten.
Es wird ein langer, närr'scher Trauerzug,
In dem wir hinter kleinen Leichen schreiten,
Die freilich auch ein kleiner Tod erschlug,
– Nicht jener eurer trag'schen Herrlichkeiten! –
Doch war er ihnen grade groß genug.
Und konnten sie auf Erden nicht erwerben
Sich Lieb' und Duldung, – konnten sie doch sterben.
Breite, von Pappeln, Linden und den Fruchtbäumen der anstoßenden Wiesen eingefaßte Landstraße, etwas bergan steigend, Ein schwerer Lastwagen, der auf der Höhe langsam verschwindet, hat im Straßenkot breite Geleise zurückgelassen. In den Lachen vom Regen der Nacht spiegelt sich die Sonne. Käfervolk kriecht quer über die Straße.
Am Wegrand, um einen Prellstein herum, Hans von Maikerf mit mehreren Brüdern und seinem Weibe Phrixa.
Phrixa (jammernd).
Oi! oi! oi! oi! oi! oi!
Hans von Maikerf.
Still mit dem heidnischen Geschrei!
Dritter Bruder.
Darf die Schwägerin nicht jammern, da es uns allen so schlecht geht? 148
Hans von Maikerf.
Jammern möchte sie, wenn's über ihre und unser aller Sünde wäre! Aber sie jammert fleischlich.
Phrixa.
Was uns geschieht, – oi! oi! – geschieht uns auch am Fleische. Schau dorthin, wie das ungeheure Rad mit jeder Drehung neue zerquetschte Leiber der Unsrigen in die Höhe bringt. Als Brei kleben dort unsre Brüder und Schwestern.
Hans von Maikerf.
Leben noch Sünder genug.
Phrixa.
Und dort überall die von den Gäulen getroffenen, halb lebendig, halb tot in den nassen Staub gepflastert mit ihren eigenen Eingeweiden. Oi! oi! oi!
Hans von Maikerf.
Haben eine Gnadenfrist zu bereuen, eh' sie abscheiden.
Phrixa.
Wie sie zappeln und zucken und sich nutzlos abmühen!
Hans von Maikerf.
Die Qual wird ihnen das Gewissen schärfen. »Gottes Mühlen mahlen langsam, aber mahlen schrecklich fein.« 149
Phrixa.
Du bist unbarmherzig.
Dritter Bruder.
Da stimm' ich bei; auch mir wird's nachgerade zu dick.
Zweiter Bruder.
Und mir! So was erwarteten wir nicht, als wir in unsern alten Erdhöhlen auf die schöne Gotteswelt vorbereitet wurden.
Dritter Bruder.
Ja, damals hast auch du aus einem andern Ton gesungen. Da hieß es, all' Not und Mühsal werd' ein Ende nehmen im Lande der Verheißung und das große Licht . . .
Hans von Maikerf.
Schweig'! Unsere Sünde hat den Segen in Fluch verkehrt. Ist's nicht auch ein altes Wort: »Wenn der Morgen schon kommt, so wird es dennoch Nacht sein« –?
Dritter Bruder.
Was haben wir Uebles getan?
Hans von Maikerf.
Im Fleische gelebt. Und werden darum im Fleische heimgesucht und gezüchtigt. 150
Phrixa.
Darfst du das allgemeine Elend noch schärfen durch strafende Reden? Ich sage mich los von dir.
Hans von Maikerf.
Mir ganz recht! Ihr Weiber seid alle heidnisch von Natur, keine Faser in euch, die nicht von dieser Welt wäre. Und durch euch ist das Verderben in unser Volk gekommen.
Zweiter Bruder.
Hat nicht des Königs Prediger – du selbst erzähltest es – den Bund der Männer und Weiber gebilligt und durch sein eigenes Beispiel . . .
Hans von Maikerf.
Auch ihn hat Gott gerichtet, denn seine Lehre war verkehrt.
Zweiter Bruder.
Die Staatskirche ist dir nicht mehr Richtschnur?
Hans von Maikerf.
Ihr Blinden! – Wahrlich, eine neue Gemeinschaft der Heiligen muß kommen. Und ich will dafür sorgen. Aus unserer elend geschlagenen Armee will ich eine Armee des Heils machen, selbst ihr erster Prediger sein. Und wenn Brüder und Weib mich verlassen, werd' ich neue Brüder und Schwestern werben. 151
(Singt:)
O! angenehme Folterpein!
Willkommen Qual und Schmerz und Wunden;
Ihr sollt mir Trank und Speise sein,
Bis ich durch euch zum Himmel ein
Den rechten Weg gefunden.
(Fliegt fort.)
Zweiter Bruder.
Der ist dümmer, als Dummerchen selig in seinen blödesten Stunden war.
Dritter Bruder.
Nein! dumm ist er nicht. Er will oben bleiben um jeden Preis. Immer hat er uns Brüder beherrscht. Das ist sein Regentengeist. Wenn seinesgleichen spürt, daß die Welt ein Untier, ein Drache ist, so will seinesgleichen wenigstens zwischen den Nüstern des Ungetüms sitzen, wo es rechts und links Flammen hinausschnaubt, und dazu rufen: »So ist's richtig, so muß es gehn, das sind verdiente Schwefeldämpfe für euch arme Schlucker.« Solche Leute würden es fertig bringen, noch die Pest mit einem neuen Gifte zu würzen; denn, was sonst einfach ein Unglück wäre, machen sie zu einem Strafgericht.
Phrixa.
Ich wollt', ich hätt' ihn nie gesehen; hab' wenig Freud' an ihm gehabt. 152
Zweiter Bruder.
Laßt ihn laufen und probiert's mit mir, Schwägerin.
Phrixa.
Ist mir nicht mehr um neue Freier.
Zweiter Bruder.
Ach was! »Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.« Das haben wir auch einst auswendig gelernt, zwar zur Abschreckung . . .
Dritter Bruder.
Ja, ja! Die alten Sprüche bekommen neue Gesichter. – Machen wir uns fort von da ins Grüne!
(Kriechen alle drei in die Wiese.)
Reps (in Moll singend) kommt daher.
Maikäferchen
Eins zwei drei, eins zwei drei,
Im Dreck vergehen,
Das schafft der Mai!
Ah! quel lendemain!
Reps (ihm begegnend).
So zynisch gestimmt, Herr Kamerad?
Kleps.
Scheußlich! 153
Reps.
Nicht zufrieden gewesen mit Frauenzimmerchen?
Kleps.
Na, anfangs ja schon. Aber – ä! Schrecklich anhängliche Person. War nicht mehr abzubringen.
Reps.
Haben das im allgemeinen so, die Weiber, werden zärtlich, wenn Mann längst fertig. War aber im ganzen selber doch recht gern dabei. Gehört zu den unbestrittenen Vorzügen unserer Rasse, einen so langen Allianzzustand zu haben. Hierin aller Kreatur über. Müßte in unsere Kernliedersammlung aufgenommen werden.
Kleps.
Vorzug? Hm! führt unter Umständen zu schauderhaft tragischen Situationen.
Reps.
Tragischen?
Kleps.
Etwa nicht, wenn Allianz über den Tod des einen Teils hinaus dauert? E?
Reps.
Donnerwetter! 154
Kleps.
Na, Kamerad, tun Sie nicht, als ob Sie das nicht wüßten. Is dieser Tage hundertfach vorgekommen. »Inséparables« sagt man empfindsam und findet es anfangs so rührend, so erhebend. Is auch allerdings nichts ganz Gemeines, die halbe tote Gemahlin mit sich herumschleppen. Is, wenn Sie wollen, sogar romantisch.
Reps.
Sie selber?
Kleps.
Hatte auch einen ganzen Zug Bewunderer immer auf den Fersen, verfluchtes kleines Beißzangenvolk, das sich so allmählig durch meine selig verstorbene Andrakia zu mir durchfressen wollte.
Reps.
Schauderhaft!
Kleps.
Und das Umgekehrte ist auch passiert, d. h. daß Eine den toten Gemahl durch diese beste Schöpfung spazieren schleppte. Traf da ein Frauenzimmer, das davon rein verrückt geworden war. Hieß Anthusa, er ein gewisses Dummerchen. Sie nannte ihn aber in ihrer Ueberspanntheit »Prinz Schionatulander« und sich »Düchesse Sigune« nach einem alten Märchen. Wie's in dem Verslein heißt:
»Märchen noch so schauderbar,
Die Natur macht alle wahr!« 155
Reps.
Sie zitieren sehr ungenau, Herr Kamerad.
Kleps.
Is egal. Gäb's keine schlimmern Ungenauigkeiten in der Schöpfung als falsche Zitate! Und würden nur geflügelte Worte verstümmelt statt geflügeltes Leben!
(Ein Zug Volkes kriecht eilig quer über die Straße, einige, die noch dazu Kraft haben, fliegen.)
Kleps.
Was gibt's denn dort wieder?
Zweiter Bürger.
Ja! das frag' ich auch. Warum geht's plötzlich da hinüber?
Erster Bürger (eilig rennend).
Weiß nicht. Aber was die andern tun, macht man halt mit.
Zweiter Bürger.
Wißt Ihr's, Gevatter Hinterstoißer?
Hinterstoißer.
Unser Hintertreffen ist bedrängt. Darum schafft jeder, daß er nach vorn kommt. Dem alten Hubeland haben sie auch den Rest gegeben.
Reps.
Wer denn? 156
Hinterstoißer.
Hühner!
Kleps und Reps.
Pfui Teufel! Fort!
(Alle machen sich nach der nächsten Wiese hinüber.)